Es sind die siebziger Jahre in Kreuzberg, einem Bezirk, der sich gerade vollständig verändert. Am Ufer des Landwehrkanals sitzen zwei türkischstämmige Paare, vor sich Teegläser auf einer Decke. Ein anderes Bild zeigt eine ältere Frau, die aus dem Fenster eines bröckeligen Altbaus schaut, nachdenklich, das Kinn auf die Hand gestützt.
Aufgenommen hat die Fotos Michael Schmidt (1945 – 2014), der als Polizist seine Liebe für die Fotografie entdeckte und mit seiner Kamera durch den Stadtteil zog. Er beobachtete die Menschen, fing Situationen und Orte ein, er näherte sich, ohne dass seine Aufnahmen gestellt wirken. An der Kreuzberger Volkshochschule gab er Fotokurse, hier initiierte er 1976 die Werkstatt für Photographie, nachdem er aus dem Polizeidienst ausgeschieden war. In den Kursen ging es nicht nur um Technik, sondern auch um den persönlichen Blick.
Mit Unterstützung des Bezirksamts Kreuzberg entstand 1973 der Fotoband „Berlin Kreuzberg“. Es wurde ein Querschnitt der baulichen und sozialen Veränderung in vielerlei Grautönen. Michael Schmidt kontrastierte Neu- und Altbau, sein Blick ging zwischen Wohnhaus und Kirchturm zum Fernsehturm nach Ost-Berlin. Schmidt fotografierte spielende Kinder auf düsteren Hinterhöfe n, hinter Mülltonnen oder Fensterscheiben, vor Brandmauern und vor den Türen eines Neubaus, Menschen jedes Alters, bei der Arbeit, im Alleinsein. Er schaute in die Bezirksverordnetenversammlung, in Bibliotheken, auf die Arbeitsplätze, die Marktplätze, in die Straßenfluchten.
Michael Schmidts Fotografien waren in der Galerie Springer zu sehen, sie wurden im Essener Folkwang-Museum , im Sprengel Museum Hannover, in London, Athen, New York und zahlreichen deutschen Städten gezeigt. Zur Jahreswende 2016/2017 hat C/O Berlin mit der Ausstellung „Kreuzberg – Amerika“ die Geschichte der Kreuzberger Werkstatt für Photographie aufgearbeitet.
Michael Schmidt, Berlin Kreuzberg, herausgegeben vom Bezirksamt Kreuzberg, Berlin 1973, 122 Seiten, rund 100 SW-Fotografien