15. November 1952: Verbotene 60-Jahr-Feier der SPD-Friedrichsfelde

Auch nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED bestand die SPD in beiden Berliner Stadthälften weiter. Dafür sorgten – anders als in der DDR – alliierte Vorrechte. Erst 1961 mit dem Mauerbau, als die Verbindungen zwischen Ost- und West-Berlin gänzlich abgeschnitten wurden – entließ der Landesverband der Berliner SPD seine Mitglieder in den östlichen Bezirken aus ihren Verpflichtungen. Die Jahre zuvor waren allerdings geprägt von Schikanen und Einschränkungen, wie der Bericht der in West-Berlin erschienenen SPD-Zeitschrift „Berliner Stimme“ aus dem Jahr 1952 zeigt.

60 Jahre SPD in Friedrichsfelde – Feier im Osten nicht erlaubt

Bis zum Sonntagmorgen sei die Druckgenehmigung für die Eintrittskarten zur Feier des 60jährigen Bestehens der SPD-Ortsgruppe Friedrichsfelde nicht eingetroffen; man habe also die Feier nicht, wie es beabsichtigt gewesen sei, im Ostsektor durchführen können, sagte der Vorsitzende des Kreises Lichtenberg im Städtischen Saalbau Neukölln, wo sie dann in würdevoller Form abgehalten wurde. Im Namen des Gesamtvorstandes der SPD hatte Erich Ollenhauer die besten Grüße und Glückwünsche übersandt und in seinem Telegramm ausgeführt: „In der Geschichte Eurer Abteilung verkörpert sich zugleich ein Stück Geschichte der Berliner und der deutschen Sozialdemokratie. Daß schon im Jahre 1900 ein Sozialdemokrat in die Gemeindevertretung von Friedrichsfelde einziehen konnte, beweist, wie stark und lebendig die Gemeinschaft der Sozialdemokraten in Friedrichsfelde schon vor mehr als einem halben Jahrhundert gewesen ist. Unser besonderer Glückwunsch gilt den Genossen Emil Oehlert und Karl Schönfelder, die seit ihrer Gründung der Abteilung Friedrichsfelde angehören und heute noch in unserer Mitte weilen.
Die Geschichte der Abteilung Friedrichsfelde ist eine Geschichte der Arbeit und des Kampfes. Weder die Verfolgungen in der wilhelminischen Zeit noch die Unterdrückung durch die Nazidiktatur haben den sozialistischen Geist töten können. Und die letzten Jahre, in denen die Partei im Ostsektor um ihre Existenz und um die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit und ihrer freiheitlichen und sozialdemokratischen Ideale kämpfen mußte, haben bewiesen, daß auch die neuen Unterdrückungsmethoden der Kommunisten den sozialistischen Willen unserer Mitglieder und Anhänger in Friedrichsfelde nicht brechen konnte.
Die Partei dankt Eich für Euren Mut und für Eure Aufopferung. Wir fühlen uns mit Euch verbunden, und Ihr dürft überzeugt sein, daß wir auch in Zukunft in alter Solidarität an Eurer Seite stehen werden.“
Die Grüße des Landesverbandes überbrachte Franz Neumann, der betonte, daß die Sozialdemokratie sich dafür einsetze, aß die nächste Veranstaltung der Ortsgruppe Friedrichsfelde wieder im Ostsektor durchgeführt werden könne und daß Ostsektor und Ostzone befreit werden. „Am 9. November 1945 hat Otto Grotewohl im Großen Schauspielhaus zum letzten Male freie sozialistische Gedanken vorgetragen und mit dem Lutherwort geschlossen, hier stehe er, er könne nicht anders. Aber wenige Tage danach hat er anders gekonnt.“ Auch das zweite Sozialistengesetz unter den Nazis sei ein Kinderspiel gegen die Urteile, die jetzt jede Woche im Osten verhängt werden, betonte er. Franz Neumann gedachte der vier jungen Friedrichsfelder, die von den Sowjets zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurden und deren Leiden erst ein Ende haben, wenn eines Tages alle Zonengrenzen überwunden seien und ein einiges Berlin und ein einiges Deutschland hergestellt werden.
Dieser Gedenktag gelte der Rückschau, sagte der frühere Reichstagspräsident Paul Löbe in seiner Festrede. Er erinnerte daran, daß er selbst vor 62 Jahren, nämlich zur Reichstagswahl von 1890 die ersten Flugblätter für die Partei ausgetragen habe, daß er Wilhelm Liebknecht auf seinem letzten Wege nach Friedrichsfelde begleitete. „Diese sozialdemokratische Bewegung war stärker als der Eiserne Kanzler“, sagte Löbe. Aus einem Arbeitergesangverein entstand in Friedrichsfelde, wie an vielen anderen Orten, der Arbeiterbildungsverein und schließlich ans diesem die SPD. Das Unglück der Gegenwart sei zu einem Teil daraus entstanden, daß die Tyrannei der Nazis nur durch fremde Gewalt gebrochen werden konnte. In einem Teil Deutschlands habe lediglich der Tyrann gewechselt, die Unterdrückung sei geblieben. Löbe wandte sich entschieden gegen die Einheitsheuchelei von Pankow. „Wenn ich von Norderney bis zum Bodensee fahre, kontrolliert niemand meine Ausweise, aber sowie ich die Grenze zur „Deutschen Demokratischen Republik“ überschreiten will, muß ich sogar mein Geld vorweisen.“ Von Pankow sei das verraten worden, „was wir als Einheit gemeinsam, wollten“. Musikalische Beiträge umrahmten die Feier, an der auch zwei Sozialdemokraten teilnahmen, die seit der Gründung Mitglied und Funktionäre der SPD sind.
Der heute 85jährige Emil Oehlert, der bereits seit 1885 der Partei angehört, wurde als Vergolderlehrling mit sozialistischen Ideen bekannt. Sein Lehrgeselle war Adolf Hoffmann, vielen Älteren bekannt als der „10-Gebote-Hoffmann“, der nach 1918 preußischer Kultusminister war. Emil Oehlert war dann lange Jahre Vorsitzender des Vergolderverbandes und wurde 1907 zum Gemeindevertreter gewählt. 1918 war er stellvertretender Bürgermeister von Friedrichsfelde.
Karl Schöpfender ist mit 76 noch „jung“. Er kam über den Gesangverein „Vorwärts III“ zur Partei und erinnert sich noch genau, wie sie nach den Übungsstunden für die Partei Plakate klebten und wie der Gesangverein in jener Zeit neben der Gewerkschaftsorganisation Zentrum der Arbeiterbewegung war.

aus: BERLINER STIMME vom 15. November 1952

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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