1945: Die Wiedergründung der SPD in Berlin (VI)

Ausriss aus der Zeitung "Das Volk", August 1945

Ausriss aus der Zeitung „Das Volk“, August 1945

Walter Ulbricht hat die KPD-Kreisvertreter am 27. Mai erneut zur Besprechung geladen. In einer Bestandsaufnahme berichten die Kreisvertreter über die personelle Zusammensetzung in den Verwaltungen, über die Haltung der örtlichen Kommandanten, sowie die Aktivitäten anderer Parteien. Für Charlottenburg wird (fälschlich) vermerkt: „Sozialdemokraten haben sich noch nicht geregt“. Über Reinickendorf heißt es: „Die SPD gruppiert sich unter folgenden Namen: Unter den Namen Spalinger und den Kreis des Dr. Klesse. (Klesse ist Leiter des Gesundheitsamts). Von Spalinger gehen Querverbindungen zum Bürgermeister Richter. Die Genossen (der KPD, Anm. des Verf.) sind im Besitze der Namen der Spalingergruppe, das Büro und die Querverbindungen zur Bürgermeisterei sind ebenfalls bekannt. Klesse hat aktiv gegen den Faschismus gearbeitet, ist linke SPD eingestellt.“ In Köpenick stehe die SPD auf dem Boden der Einheitsfront, sie wolle auf „breitester demokratischer Grundlage mit den Genossen arbeiten“. In Tempelhof hat die KPD mit dem Sozialdemokraten Jens Nydahl Kontakt gehabt, der ebenfalls als Befürworter der Einheitsfront beschrieben wird. In Pankow wird die Zusammensetzung der Bezirksverwaltung gerügt, in der SPD- und KPD-Angehörige alle Stellen inne hätten. Die SPD halte ihre Sitzungen in der Bezirksverwaltung ab. Aus Kreuzberg wird – neben anhaltenden Problemen mit dem Kommandanten – berichtet: „Sozialdemokrat Weiss (Gewerkschaftsangestellter) und Bezirksvorsteher hat sich bereit erklärt, seine Gen. von früher zusammenzufassen und im Sinne unserer Auffassungen – die er für die richtigen hält – zu unterrichten.“

In der Palisadenstraße und der Friedrichstraße haben KPD-Mitglieder Zettel bemerkt: „Alle SPD-Leute melden sich…“ Aus Blankenfelde in Brandenburg wird bereits von einer starken KPD-Gruppe berichtet, „die vollste Unterstützung des Kommandanten hat und auch von diesem in die vollste Legalität gebracht wurde“.[1] Die KPD hat zu diesem Zeitpunkt – anders als die Sozialdemokraten – dank der Gruppe Ulbricht mit ihren Instruktoren bereits eine bezirksübergreifende Struktur, sie ist in den Bezirksverwaltungen und den örtlichen Polizeidienststellen verankert. Auf bezirklichen Kommandanturen, mit denen die Zusammenarbeit nicht klappt, kann sie über die übergeordnete Dienststelle in Karlshorst Einfluss nehmen.

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Ende Mai wächst bei den Sozialdemokraten in der Bülowstraße die Besorgnis. Zwei Gesprächseinladungen der Gruppe um Erich Gniffke, die zweite davon als förmliche schriftliche Einladung an Artur Pieck übergeben, werden von der KPD ohne Rückmeldung nicht wahrgenommen. Dagegen berichten Sozialdemokraten in der Bülowstraße zunehmend über Konflikte mit den KPD-Mitgliedern in den Bezirksverwaltungen, es treffen Berichte auch von außerhalb Berlins ein, nach denen die KPD mit der Mitgliederwerbung begonnen hat. Ein Führungskreis der Sozialdemokraten trifft sich montags und donnerstags um 10 Uhr in der Bülowstraße. Gniffke hört als Gerücht, dass „nur die KPD als einzige Partei der Werktätigen“ zugelassen würde.  So wird er erneut beim Magistrat vorstellig. Am 29. Mai bekommt Gniffke von Piecks Sekretär die Auskunft, Walter Ulbricht werde in den nächsten Tagen zu einer Zusammenkunft einladen. „Wir tappten weiter im dunkeln und konnten uns nicht erklären, warum die Kommunisten sich nicht bei uns sehen ließen“, so Gniffke.[2]

Anfang Juni bringt Otto Meier die Gruppe Fechner-Weimann-Germer mit der Gruppe um Gniffke zusammen. „Fechner und Weimann berichteten, dass der Parteivorstand der SPD 1933 einen ,Ausschuss für die Lenkung des Widerstandes‘, bestehend aus zwölf Mitgliedern, eingesetzt habe“, so Gniffke in seinen Erinnerungen. „Diesen Ausschuss, dessen einzige überlebende Mitglieder sie beide seien, brauche man nur zu ergänzen, um wieder eine aktionsfähige Körperschaft der Partei zu haben.“[3] Da Gniffke, Grotewohl und Graf sich bereits dem Magistrat gegenüber als „Vorbereitender Ausschuss“ der SPD vorgestellt haben, bleibt man bei der Bezeichnung und nimmt Fechner, Weimann und Germer einfach in diesen selbsternannten Ausschuss auf. Um Fechner zur Mitarbeit zu bewegen, wird er eigens schriftlich zum Treffen in der Bülowstraße eingeladen. Mit Toni Wohlgemuth und Otto Meier kommen zwei ehemalige preußische Landtagsabgeordnete mit Verbindungen über Berlin hinaus zu den Treffen der Sozialdemokraten in der Bülowstraße. Da die Brücken in Berlin weitgehend zerstört sind, gibt es zunächst kaum Verbindungen zu Sozialdemokraten im Norden der Stadt.

Wilhelm Griebel, Oskar Tittmann und Richard Draemert verfassen Anfang Juni einen Aufruf an alle Zehlendorfer Sozialdemokraten, beim Aufbau der Partei mitzuhelfen. „Dieser Aufruf wurde hier ringsum an den Bäumen befestigt“, erinnert sich Herbert Antoine. „An einem Sonntag im Juni fand die erste Zusammenkunft im Haus von Gniffke in der Ihnestraße statt.“ Karl Hoffmann wird zum Vorsitzenden gewählt, Richard Draemert sein Stellvertreter, Karl Schott Kassierer und Herbert Antoine Schriftführer. „Der Verkehr mit den Außenbezirken funktionierte ja noch nicht. Als jüngster im Vorstand musste ich per Fahrrad die ersten Kontakte herstellen, zum Beispiel mit Max Floerke in Wannsee, der in seinem Bereich mit dem Aufbau der SPD begonnen hatte“, so Herbert Antoine.[4]

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Mit ihrer „Berliner Erklärung“ übernehmen die vier alliierten Siegermächte am 5. Juni formal die oberste Regierungsgewalt im besetzten Deutschland. Die Regelungen betreffen vor allem die deutschen Streitkräfte, den Umgang mit Kriegsgefangenen, die Aufsicht über Kommunikationsmittel. Im Artikel 13 ist festgelegt: „In Ausübung der obersten Regierungsgewalt in Deutschland, die von den Regierungen des Vereinigten Königreichs, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken sowie der Provisorischen Regierung der Französischen Republik übernommen wird, werden die vier Alliierten Regierungen diejenigen Maßnahmen treffen, die sie zum künftigen Frieden und zur künftigen Sicherheit für erforderlich halten, darunter auch die vollständige Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands.  Die Alliierten Vertreter werden Deutschland zusätzliche politische, verwaltungsmäßige, wirtschaftliche, finanzielle, militärische und sonstige Forderungen auferlegen, die sich aus der vollständigen Niederlage Deutschlands ergeben. Die Alliierten Vertreter bzw. die ordnungsmäßig dazu ermächtigten Personen oder Dienststellen werden Proklamationen, Befehle, Verordnungen und Anweisungen ergehen lassen, um solche zusätzlichen Forderungen festzulegen und die übrigen Bestimmungen dieser Erklärung auszuführen. Alle deutschen Behörden und das deutsche Volk haben den Forderungen der Alliierten Vertreter bedingungslos nachzukommen und alle solche Proklamationen, Befehle, Anordnungen und Anweisungen uneingeschränkt zu befolgen.“[5] Festlegungen zu den Besatzungszonen in Deutschland und der Verwaltung von Groß-Berlin sind bereits im Londoner Protokoll vom 12. September 1944 getroffen worden. Zunächst waren drei Besatzungszonen der Amerikaner, Briten und Russen geplant, später wird auch den Franzosen ein Sektor zugewiesen.

Die Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone wird der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) übertragen, deren Errichtung am 9. Juni bekanntgegeben wird. Sie untergliedert sich in Ländermilitärverwaltungen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und die sowjetische Kommandantur in Berlin, deren Chef zugleich Vertreter in der alliierten Stadtkommandantur ist. Die Leitung der SMAD liegt bis April 1946 bei Marschall Georgi K. Shukow. Bis 1947 wächst ihr Apparat auf 40.000 Mitarbeiter. Zunächst ist die SMAD dem staatlichen Komitee für Verteidigung der UdSSR unterstellt, ab September 1945 dann dem Rat der Volkskommissare bzw. dem Ministerrat der UdSSR[6]. Daneben gibt es weitere Strukturen, die den Alltag bestimmen, etwa den „Politischen Berater“, der dem sowjetischen Außenministerium untersteht, oder den Militärrat, ein politisches Kontrollorgan, das Ende Juni 1945 auch für die SMAD geschaffen wird. Machtkämpfe in Moskau schlagen sich so direkt in den verschiedenen sowjetischen Institutionen in Deutschland nieder, die sich gegenseitig kontrollieren und zeitweise auch unterschiedliche Vorstellungen von der künftigen Entwicklung haben, etwa was die Umsetzung der Reparationsforderungen angeht. Politischer Berater ist zunächst Andrej Wyschinsij, ihm folgen in kurzen Abständen  Andrej Smirnow und Arkadij Sobolew, ehe im März 1946 Wladimir Semjonow, späterer Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland und seit Anfang Mai 1945 in Berlin, das Amt übernimmt, dem u.a. die politische Abteilung und der Bereich Volksbildung zugeordnet sind.

General Lucius D. Clay empfindet die Berliner bei seinem ersten Besuch im Juni als „eingeschüchtert“.  „Wie eine Stadt der Toten lag Berlin da“, schreibt er später[7]. „In Westdeutschland hatte ich nichts Vergleichbares gesehen und ich muss zugeben, dass meine Freude über den Sieg gedämpft wurde, als ich diese menschliche Erniedrigung wahrnahm.“

Zugelassen

Berlins Sozialdemokraten werden im Juni 1945 von der Zulassung von Parteien und Gewerkschaften überrascht, die KPD ist gut darauf vorbereitet. Ihr Parteiaufbau ist weit fortgeschritten, sie will mit Unterstützung der sowjetischen Militäradministration bestimmende Kraft in einem festen Bündnis antifaschistischer Parteien werden und lehnt Vorschläge zur sofortigen Bildung einer einheitlichen Arbeiterpartei ab. Zunächst geht es der Gruppe Ulbricht darum, die eigenen KPD-Mitglieder zu schulen.

Die Sozialdemokraten Hermann Schlimme, ehemaliges ADGB-Vorstandsmitglied und Bernhard Göring, früherer AfA-Sekretär, kümmern sich inzwischen um die Gründung einer einheitlichen Gewerkschaft. Mitglieder der KPD signalisieren ihnen die baldige Zulassung, Parteien würden dagegen nicht so schnell erlaubt[8]. So werden die Sozialdemokraten am 10. Juni überrascht, als Marschall Shukow mit dem Befehl Nr.2 der Sowjetischen Militärischen Administration in Deutschland (SMAD) Gewerkschaften und Parteien gleichermaßen zulässt. Darin  heißt es u.a.: „Seit der Besetzung Berlins durch die Sowjettruppen besteht im Gebiet der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland eine feste Ordnung, sind örtliche Organe der Selbstverwaltungen und die nötigen Bedingungen für eine freie gesellschaftliche und politische Betätigung der deutschen Bevölkerung geschaffen worden. In Anbetracht des oben Ausgeführten befehle ich: 1. Im Bereich der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland die Gründung und Tätigkeit aller antifaschistische Parteien zu erlauben, die sich die endgültige Ausrottung der Reste des Faschismus und die Festigung der demokratischen Grundlagen und bürgerlichen Freiheiten in Deutschland zum Ziel setzen und in dieser Richtung die Initiative und freie Betätigung der breiten Massen der Bevölkerung fördern.“

Antifaschistische Parteiorganisationen und freie Gewerkschaften, so heißt es im Befehl, „haben ihre Statuten oder die Parteiprogramme ihrer Tätigkeit in den örtlichen Selbstverwaltungen und bei den militärischen Kommandanten zu registrieren und ihnen gleichzeitig die Listen der Mitglieder ihrer führenden Organe vorzulegen“.  Zugleich wird klargestellt, dass die Organisationen unter der Kontrolle der  SMAD stehen. In den Besatzungszonen von Amerikanern, Briten und Franzosen in Westdeutschland ist an eine solche Zulassung zu diesem Zeitpunkt nicht zu denken, Amerikaner und Briten wollen die Demokratie zunächst auf lokaler Ebene einführen und halten einen Lernprozess für erforderlich. Die sowjetische Entscheidung kann damit den Prozess der Parteienbildung für ganz Deutschland prägen.

Die KPD ist von diesem Befehl weniger überrascht. Sie stellt nur einen Tag später ihren ausformulierten Aufruf vor. Schon im Mai ist der KPD von der sowjetischen Administration die Zulassung in Aussicht gestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt hält sich der Vorsitzende Wilhelm Pieck noch in Moskau auf.  Die Gruppe Ulbricht hat in Berlin die Vorarbeiten für den Parteiaufbau getroffen, Anton Ackermann mit seiner Einsatzgruppe in Sachsen und  Gustav Sobottka in Mecklenburg. Bereits am 3. Juni findet in Friedrichsfelde eine noch inoffizielle Funktionärskonferenz der KPD statt, auf der Ulbricht den Aufbau von Organisationskomitees fordert.

In der Nacht vom 3. zum 4. Juni fliegen die drei Leiter der Einsatzgruppen zur Berichterstattung und zur Abstimmung nach Moskau. Sie treffen zunächst Pieck, dann Stalin. Danach steht fest, dass die KPD entgegen früheren Überlegungen nun schon bald offen auftreten und sich zur Massenpartei entwickeln soll. Zudem sollen, da es bereits entsprechende Initiativen gibt, drei weitere Parteien zugelassen werden: SPD, Zentrum/CDU und DDP/Liberale. Innerhalb der kommenden Tage finden zahlreiche Beratungen mit Stalin, Außenminister Molotov und Georgij Dimitrov, früherer Generalsekretär der Komintern und inzwischen Leiter der Abteilung Internationale Information in Moskau, statt.

Stalin macht den deutschen Kommunisten klar, dass er nicht an eine einfache Übertragbarkeit des sowjetischen Systems auf Deutschland glaubt, allerdings müsse bei Einführung einer parlamentarisch-demokratischen Republik die „Hegemonie der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Partei“[9] gesichert sein. Ulbrichts Vorschlag zur Schaffung einer einheitlichen Arbeiterpartei wird von Stalin abgelehnt. Zunächst müsse die KPD aufgebaut sein. Die sich gründenden bürgerlichen Parteien sollen mit KPD und SPD in einem Block antifaschistischer Parteien eingebunden werden. Mit Hilfe der Besatzungsmacht würden die Kommunisten in diesem Block dann die entscheidende Rolle spielen[10]. Zudem fordert Stalin eine Bodenreform, also die Umverteilung von Großgrundbesitz an kleinere bäuerliche Höfe.

Anton Ackermann beschreibt gegenüber seinen Moskauer Gesprächspartnern die Funktionäre der Sozialdemokraten als unter sich zerstritten, aber geeint in ihrer Feindschaft gegenüber den Kommunisten und der Sowjetunion[11]. An der Basis von SPD und Gewerkschaften aber sieht er, geprägt von zwölf Jahren Unterdrückung und Verfolgung, ein Bedürfnis nach Einheit der Arbeiterklasse. Diese Massen will Ackermann für die KPD begeistern.

Anton Ackermann entwirft einen KPD-Gründungsaufruf, der betont moderat gehalten ist und der Stalins Billigung findet. 16 Unterzeichner stehen schließlich unter dem Gründungsdokument, 13 kommen aus dem Moskauer Exil, nur drei sind ehemalige Illegale. Walter Ulbricht fliegt mit dem fertigen Aufruf am 10. Juni von Moskau zurück nach Berlin und stellt ihn am Abend vor 60 KPD-Funktionären und Major Lasarenko im Lokal Rose in der Prinzenallee in Friedrichsfelde vor, zusammen mit dem SMAD-Befehl zur Gründung von Parteien und Gewerkschaften. Vor allem die älteren KPD-Mitglieder sind vom wenig revolutionären Charakter des Aufrufs enttäuscht. Statt von der Diktatur des Proletariats ist vom freien Handel und privater Unternehmerinitiative die Rede.

Die Berliner Zeitung erscheint am 10. Juni 1945 mit der Schlagzeile „Demokratische Freiheiten in der Sowjetzone“. In diesem Sinne betont auch Walter Ulbricht in der späteren Geschichtsschreibung der DDR den Unterschied zum fortbestehenden politischen Betätigungsverbot in den Westzonen:  „Vertrauen zur Kraft des deutschen Volkes und Sorge um die Rechte und Interessen der deutschen Werktätigen spricht aus den Worten dieses Befehls, den der sowjetische Sieger knapp einen Monat nach der Kapitulation an die Bevölkerung des besiegten Landes richtete.“[12]

Der KPD-Aufruf wird am folgenden Tag, dem 11. Juni, veröffentlicht und unterstreicht damit deutlich die Vormachtstellung. Ulbricht im Rückblick: „Dass gerade die Kommunisten als erste ihre Stimme erhoben und sich als Motor des demokratischen  Aufbaus erwiesen, war eine notwendige und gesetzmäßige Erscheinung. Keine andere deutsche Partei konnte mit solcher Autorität in dieser schweren Lage dem deutschen Volk die Gründe der nationalen Katastrophe erklären, ihm helfen, die Lehren der Vergangenheit zu ziehen, und den Weg zu einem demokratischen Leben zeigen.“[13]

Auch den übrigen Mitgliedern der Gruppe Ulbricht wird die neue Linie erläutert. „Alle Kräfte müssen zuerst für die Gründung der Kommunistischen Partei eingesetzt werden. Unmittelbar nach der Gründung muss mit der Schulungsarbeit begonnen werden“, erinnert sich Wolfgang Leonhard an die Unterweisung.[14] Die Prinzenallee 80 in Lichtenberg, Quartier der Gruppe Ulbricht, ähnelt für Leonhard nun einem Bienenstock. „Fred Oelßner diktierte – zwei Tage nach seiner Ankunft! – bereits das erste Schulungsheft für die  Mitglieder der noch gar nicht gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands. Sofort nach der Gründung sollten alle Mitglieder mit der neuen Linie bekannt gemacht werden.“ Einmal wöchentlich sind Mitgliederversammlungen zu Schulungszwecken vorgesehen. Das scheint auch nötig – selbst Leonhard ist verwundert über die Wende hin zur Zulassung von Parteien und die Ablehnung einer einheitlichen Arbeiterpartei, wie sie noch im April in Moskau angedacht war.

„Wie die Dinge damals lagen, konnte an den Aufbau des Sozialismus nicht gedacht werden, der Weg der Weimarer Republik kam auch nicht in Betracht, er hatte ja zu Faschismus und Krieg geführt“, wird der KPD-Aufruf in der späteren DDR-Geschichtsschreibung[15] gerechtfertigt. Neue Wege seien notwendig gewesen. Die KPD habe, so die DDR-Historiker Keiderling und Stulz, das „Nächstliegende“ gefordert: „Demokratisierung Deutschlands durch Zuendeführung der bürgerlich-demokratischen Revolution und Vernichtung der Grundlagen des Imperialismus“  – im Gegensatz zum „späteren Führer der Sozialdemokratie Westdeutschlands, Kurt Schumacher, der zur Täuschung des Volkes vom ‚Sozialismus als Tagesaufgabe‘ sprach“. Walter Ulbricht erklärt  im Rückblick: „Viele junge Arbeiter waren nach der zwölfjährigen Hitlerherrschaft noch nicht fähig, ihre Klassenlage zu erkennen.“ Und so sollte die Arbeiterklasse „unter der ideologischen Führung der KPD ihr Klassenbewusstsein erhöhen und ihre Organisation bis zur einheitlichen Partei der deutschen Arbeiterklasse entwickeln und Erfahrungen in der Leitung von Verwaltung und Wirtschaft erwerben“.[16]

(wird fortgesetzt)

[1] Bericht über die Besprechung W. Ulbrichts mit KPD-Funktionäre aus den Berliner Verwaltungsbezirken am 27. Mai 1945, in: Manfred Teresiak, Die SED in Berlin, Berlin 1994, S.47
[2] Erich Gniffke, Jahre mit Ulbricht, S. 25
[3] Erich Gniffke, Jahre mit Ulbricht, S. 26
[4] Ulrich Horb, in Berliner Stimme, Juni 1985
[5] http://www.documentarchiv.de/in/1945/niederlage-deutschlands_erkl.html
[6] Peter Strunk, Zensur und Zensoren, Berlin 1996, S. 19
[7] Lucius D. Clay, Entscheidung in Deutschland, Frankfurt a. M., 1950, S.36
[8] Erich Gniffke, Jahre mit Ulbricht, S. 26
[9] Anton Ackermann, zitiert nach Michel Kubina, Der Aufbau des zentralen Parteiapparats der KPD 1945-1946, in: Manfred Wilke (Hg.), Die Anatomie der Parteizentrale, Berlin 1998, S. 62
[10] Mario Frank, Walter Ulbricht, eine deutsche Biographie, S. 198
[11] Anton Ackermann, zitiert nach Michel Kubina, Der Aufbau des zentralen Parteiapparats der KPD 1945-1946, in: Manfred Wilke (Hg.), Die Anatomie der Parteizentrale, Berlin 1998, S. 63
[12] Walter Ulbricht, Zur Geschichte der neuesten Zeit, Berlin 1955, S. 111
[13] Walter Ulbricht, Zur Geschichte der neuesten Zeit, Berlin 1955, S. 113
[14] Wolfgang Leonhard, S. 390
[15] Keiderling, Stulz, Berlin 1945 – 1968, Dietz Verlag Berlin 1970, S. 37
[16] Walter Ulbricht, Zur Geschichte der neuesten Zeit, Berlin 1955, S. 126f

 

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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