„Charlottenburg ist wirklich eine Stadt“

Cover Charlottenburg ist wirklich eine Stadt

Einem protestantischen Pfarrer ist es zu verdanken, dass viele Details aus der Geschichte Charlottenburgs überliefert worden sind. Akribisch notierte Johann Christian Gottfried Dressel (* 22. September 1751 in Crossen an der Oder; † 16. Oktober 1824 in Charlottenburg) in seinen Chroniken Ereignisse und Begebenheiten im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert. Henrike Hülsbergen hat ausgewählte Texte unter dem Titel „Charlottenburg ist wirklich eine Stadt“ 1987 in Buchform zugänglich gemacht.

Dressel begann seine Tätigkeit als Prediger in Charlottenburg 1778. In der Regierungszeit Friedrich Wilhelm III. (1770 – 1840) erging 1813 die Aufforderung an die Geistlichen, die Tagesgeschehnisse ihres Ortes für die Nachwelt festzuhalten. Dressel nahm die Aufforderung ernst. Bei der Amtsübernahme hatte er in Charlottenburg keinerlei Kirchenakten vorgefunden. Stattdessen erhielt er die Auskunft, sie seien mit seinem Vorgänger beerdigt worden. Für Dressel war dies Ansporn, möglichst viel Material auch aus der Vergangenheit zusammenzutragen, Überlieferungen und Erinnerungen zu notieren. Zudem hatte er schon über seine Kindheit, Schule und Studium Tagebuch geführt.

Dresssel begann damit, eine Pfarrchronik zu verfassen, die heute im Besitz der Luisenkirche ist, später erweiterte er sie zur Rathauschronik, die im Besitz des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin ist.

Charlottenburg hatte 1705 seinen Namen und gleichzeitig Stadtrechte erhalten. Bereits zuvor war das Schloss erbaut worden, das für Königin Sophie Charlotte als Sommerresidenz dienen sollte. „Aufgezeichnete Nachrichten vom Ursprunge, Anbau und Vergrößerung des Königlichen Schlosses und der Stadt Charlottenburg“ schrieb Dressel 1816 nieder.

Eine Teerhütte hatte an der Stelle gestanden, an der das Schloss errichtet und ein Garten angelegt wurde. Mit dem Namen Charlottenburg wurde an die im Frühjahr 1705 verstorbene Königin Sophie Charlotte erinnert. Das Schloss wurde anfangs wenig genutzt, erst mit Friedrich Wilhelm II., dessen Regierungszeit 1786 begann, wurde das ganze Schloss repariert, so Dressel, und unweit ein „schönes Comoedien Haus“ errichtet. Friedrich Wilhelm III. war es dann, der mit seiner Gemahlin Louise in Charlottenburg einzog. Nach ihrem frühen Tod ließ er für sie im Garten ein Mausoleum  errichten. Dressel: „Wie sehr der König diese seine Gemahlin geliebt hat und noch nach ihrem Tode verehrt, kann man schon daraus abnehmen, dass derselbe dies kostbare Mausoleum erbauen und den Sarcopag anfertigen ließ zu einer Zeit, da Er einige Jahre vorher beinah sein halbes Königreich durch Napoleon, dem damaligen Kaiser von Frankreich und jetzigen Gefangenen auf der Insel Helena (1816) verloren hatte und fast nicht abzusehen war, wie Er jemals durch Bezahlung Seiner Schulden Seinen Unterthanen gerecht werden würde.“

Von Johann Christian Gottfried Dressel – Königliche Magistratsbibliothek zu Charlottenburg im Verwaltungsinformationszentrum des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39459874

Dressel hält auch Missgeschicke fest, wie etwa beim Staatsbesuch der Erbstatthalterin von Holland und königlichen Schwester, deren Kutscher in die Menge fuhr. Dressel persönlich sorgte dafür, dass die begleitenden Kinder nicht unter die Räder kamen.

Wie das Gebiet des späteren Charlottenburg ausgesehen haben muss, das die neuen Siedler unter ärmlichsten Bedingungen urbar machen sollten, und die ersten Konflikte um das Land beschreibt Dressel: „Von der Morgen Seite scheint der Thiergarten, von hier aus nach Berlin zu rechter Hand, näher an Charlottenburg gegangen zu seyn als jetzt, linker Hand aber fingen sich schon die Aecker und Wiesen der Lützower an, welche sich wie jetzt noch hinter den Thiergarten bis nach Berlin erstreckten. Von der Abendseite nach Spandow zuging die Königl. Spand. Forst bis an den Mühlberg, und nur einige Felder hatten die Lützower daselbst zwischen dem Gehölze oder Strauchwerk. Der ganze Acker über der Spree war Heide und Buschwerk – die jetzigen schönen Spreewiesen waren nur Sumpf, mit Sträuchern bewachsen, so auch die Nonnen, Meckeritz u. andere Wiesen, worauf die Berliner sich der Hüthung bedienten und anfängl. alles Vieh der ersten Ansiedler hieselbst auf diesen Hüthungen pfändeten, ohne beweisen zu können, dass sie ein Recht dazu hatten.“

Dressel beschreibt die allmähliche Entwicklung der Stadt, etwa am Beispiel des Tischlers Zeitler, der zwischen 1772 und 1776 einen Gasthof erbaute. „Kaum war es in Berlin bekannt geworden, dass man in Charlottenburg einen Gasthof vorfände, und zwar unter den Linden in der schönen anmuthigen Berliner Straße, wo man Coffee, Portionsweise, fremde gute Biere, Wein und Brandtwein, auch auf Bestellung Essen erhalten könnte, so fanden sich gleich Berliner zum Besuch dieses Gasthofes ein.“ Dressels Beschreibung legt nahe, dass der Erfolg des Gasthofes auch der „sehr schönen Frau“ Zeitlers zu verdanken war.

Mit „Weisheit“ sei der alte Plan zur Regulierung der Straßen, ihrer Längen und Breite, entworfen worden, lobt Dressel. Durch Nachgiebigkeit des Magistrats sei der Plan jedoch „sehr verhunzt“, am meisten in den beiden breiten Spreestraßen. Dressel kritisiert auch Gefälligkeiten gegenüber einem Minister, für den ein Stück der Straße seinem Garten zugeschlagen wurde. Oder den Bau eines Palais für die Gräfin von Lichtenau, die Mätresse Friedrich Wilhelms II., die zwischen dem Schloss und dem Dorf Lietzow ein Grundstück erhalten hatte und, so Dressel, „dorten ein Palais an der Spree hinbauen ließ, wo vorher ein massives Wohnhaus stand“. Mehrere Bürgerhäuser wurden zugunsten eines Gartens abgerissen, klagt Dressel.

Kritisch sieht Dressel auch den „elenden Turm“ der 1712 erbauten Kirche und die Tätigkeit oder Untätigkeit des 1751 ins Amt gekommenen Predigers Erdmann, Vorgänger Dressels. Neun Jahre wurden keine Taufen ins Kirchenbuch eingetragen.  Detailliert und schonungslos beschreibt Dressel  den Umgang des weinseligen Erdmanns mit dem Kaufmann Wegelin, der vor dem Bankrott stand.

Dressels Schilderungen zeigen das Stadtleben und den Alltag in der aufstrebenden Kleinstadt, sind ein kleines Sittengemälde. Dressel, Anhänger der Aufklärung, begnügte sich aber nicht mit dem Schreiben, er sorgte auch für Verbesserungen im Schulwesen und der Armenunterstützung und wurde zum Vorsteher der Stadtverordneten gewählt. Ein Amt, das er umgehend wieder niederlegen musste, weil es sich nach Auskunft der königlichen Regierung nicht mit der Würde des geistlichen Standes vereinbaren ließ. Einfacher Stadtverordneter aber blieb er.

2024 fand eine Ausstellung zum Wirken Dressels in Charlottenburg statt.

Henrike Hülsbergen: Charlottenburg ist wirklich eine Stadt : aus den unveröffentlichten Chroniken des Johann Christian Gottfried Dressel (1751–1824), Berlin, Edition Divan, 1987

Lebensbeschreibung von Johann Christian Gottfried Dressel 1 1751-1773 Transkription der Handschrift von Chiara Blume, Geschichte und Geschichten aus Charlottenburg-Wilmersdorf 3 Hrsg. vom Verwaltungsinformationszentrum des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin, 2020 

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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