Ella Kay und das Jugendamt neuer Prägung

Cover „Ella Kay und das Jugendamt neuer Prägung“

1991 erschien im Juventa-Verlag eine Sammlung von Aufsätzen und Beiträgen, in deren Mittelpunkt „Ella Kay und das Jugendamt neuer Prägung“ standen. Gewürdigt wurde damit das Wirken der drei Jahre zuvor verstorbenen ehemaligen Berliner Jugendsenatorin, die die Jugendpolitik der Stadt in der Nachkriegszeit bleibend geprägt hat. Herausgeberinnen waren zwei Sozialdemokratinnen, die mit Ella Kay zusammengearbeitet und ihre Arbeit fortgesetzt haben: Ilse Reichel-Koß und Ursula Beul.

Ella Kay (1895 – 1988) wuchs in einer Berliner Arbeiterfamilie auf und machte nach der Volksschule eine kaufmännische Lehre. 1919 trat sie der SPD bei und engagierte sich in der Arbeiterwohlfahrt. Partei ergreifen wollte sie auch für Kinder und Jugendliche. Neben der Tätigkeit im Jugendamt Prenzlauer Berg bildete sie sich fort und war von 1925 bis 1933 dessen Leiterin. Von den Nazis wurde sie 1933 aus dem Amt entlassen, verfolgt und unter Polizeiaufsicht gestellt, nach Kriegsende meldete sie sich sofort zum Dienst zurück, wurde zur Bürgermeisterin vom Prenzlauer Berg gewählt. Von den Sowjets wurde die resolute Sozialdemokratin abgesetzt, sie ging in den Westteil der Stadt,  wurde dort Leiterin des Hauptjugendamtes und schließlich, als nach ihren Vorstellungen Jugendpflege und Jugendfürsorge in einer Verwaltung zusammengelegt wurden, erste Berliner Jugendsenatorin.

Das Rüstzeug brachte Ella Kay aus dem Prenzlauer Berg mit, wo sie in den zwanziger Jahren gemeinsam mit Walter Friedländer als Stadtrat und Otto Ostrowski als Bezirksbürgermeister das Jugendamt neuer Prägung entwickelt hatte. Ella Kay brachte es auf einen einfachen Nenner: „Ein Amt, wo Kinder Recht bekommen“.

Der Band „Ella Kay und das Jugendamt neuer Prägung“ beleuchtet in verschiedenen Aufsätzen nicht nur die fachpolitischen Aspekte. Roland Schwarz und Winfried Ripp beschreiben die soziale Situation im Prenzlauer Berg der zwanziger Jahre, Manfred Rexin skizziert Ella Kays persönliche Entwicklung, C.W.Müller untersucht die Haltung der Sozialdemokratie gegenüber der sozialen Arbeit. Müller hat – wie die meisten der Autorinnen und Autoren mit „Ella“ zusammengearbeitet. Ihm erschien sie damals „als Verkörperung einer eindrucksvollen Mischung von Jugendbewegung, Mütterlichkeit und hoch entwickeltem Organisations-Verstand“.

Heinz Westphal beschreibt die Konzeption des selbständigen Jugendamtes, Ilse Reichel-Koß, als Jugendsenatorin Nachfolgerin von Ella Kay, widmet sich in ihrem Beitrag dem Jugendamt neuer Prägung, dessen Grundzüge in den zwanziger Jahren entwickelt worden waren. „Dazu“, so Reichel-Koß, „gehörte das Bestreben, die nachgehende Fürsorge zur vorbeugenden, die Gesellschaft mitgestaltenden Sozialarbeit umzubauen, ausführende Sozialarbeiter (damals noch Fürsorger/innen genannt) und die Betroffenen frühzeitig in die Planung einzubeziehen, und Jugendfürsorge und Jugendpflege zusammenzuführen, weil beide Bereiche von einander lernen können sollten, um zusammen mehr für die Jugend zu erreichen.“

Neben Beiträgen zur Geschichte der öffentlichen Erziehung in Berlin (Heide Rienits) und zum Engagement Ella Kays für die Arbeit der Jugendverbände (Michael Schmidt) enthält der Materialienband Reden von Ella Kay und ein Vorwort von Willy Brandt. „Es gibt mehr als einen Grund, weshalb die Erinnerung an Ella Kay wachgehalten werden sollte: Einmal stand sie – neben Louise Schroeder – in der vordersten Linie jener Frauen, die das Berliner Geschehen nach dem zweiten Weltkrieg entscheidend mitgeprägt haben. Zum anderen wird in ihrer Person deutlich, was – allen Scheußlichkeiten der Nazizeit zum Trotz – an guten Impulsen aus den Jahren der Weimarer Republik in die Zeit nach 1945 hinübergerettet werden konnte“, so Brandt.

Antiquarisch:
Ilse Reichel-Koß, Ursula Beul (Hrsg.), Ella Kay und das Jugendamt neuer Prägung,  Weinheim 1991, ISBN: 3779908255, 270 S.,

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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