Erhard Frommhold über „Zeit, Leben, Werk“ Otto Nagels

Als „Klassiker vom Wedding“ hat Erhard Frommhold , lange Jahre Cheflektor im Dresdener Verlag der Kunst, den Künstler Otto Nagel einst etikettiert. Das war zwar ein Lob für den Maler, der in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts den Alltag und die Menschen des Wedding in seinen Bildern eingefangen hatte. In der Nachkriegszeit wurde Nagel aber mit dieser Zuschreibung zugleich zur Geschichte erklärt.

Frommhold, 1946 in die KPD eingetreten, studierte Soziologie, Kunstgeschichte u. Germanistik in Jena. Nach Tätigkeiten für das Land Thüringen kam er 1952 zum Verlag der Kunst. 1974 promovierte er mit einer Arbeit über den Künstler Otto Nagel:  Otto Nagel: Zeit, Leben, Werk. Versehen mit rund 200 Abbildungen von Werken Nagels und einem Vorwort von Walli Nagel erschien ein über 400 Seiten starker Band im Henschel-Verlag und wurde zum Standardwerk über den Künstler, der sieben Jahre zuvor verstorben war.


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Frommhold beleuchtet das Umfeld, in dem Otto Nagel aufwuchs, das Elternhaus, den Einfluss der Schule und des reformorientierten Zeichenlehrers Röhl, den Lesestoff, den Nagel vorfindet. Er sucht die Entwicklung des jungen Otto Nagel nachzuzeichnen, interpretiert, leitet ab. Er beschreibt den Wedding, die Umgebung, von der Nagel geprägt wurde und die er aufmerksam beobachtete. Und Frommhold sieht in den Debatten der Arbeiterbewegung auch eine Erklärung für Nagels autodidaktische Aneignung des künstlerischen Handwerks.

Frommhold bettet Nagel ein in eine Geschichte der Arbeiterbewegung, die die reformistische Sozialdemokratie überwindet und quasi zwangsläufig zum Kommunismus findet. Beispielhaft beschreibt er das in der Besprechung von Nagels Mehrtafelbild einer Weddinger Familie.

Nagels Werken wird im Text und dem umfangreichen Bildteil viel Raum gegeben, Frommhold beschreibt die unterschiedlichen Lebensstationen Nagels, er versucht auch Nagels künstlerisches Scheitern nach 1945 zu erklären. Keinen Raum finden die politischen Auseinandersetzungen, die Nagel als Präsident der Akademie führen musste.

Ergänzt wird Frommholds Text durch autobiographische Notizen Otto Nagels und einige seiner Zeitungsbeiträge.

Erhard Frommhold, Otto Nagel: Zeit, Leben, Werk, Berlin, Henschelverlag, 1974,  414 S., Bildband/Ausstellungskatalog, 27 x 24 cm,   Hardcover  

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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Eine Antwort zu Erhard Frommhold über „Zeit, Leben, Werk“ Otto Nagels

  1. Ein paar Anmerkungen zum Buch von meiner Seite. Ich selbst stöbere immer mal wieder in diesem Buch, ein wichtiger Begleiter meiner Recherche. Das Vorwort ist ungewöhnlich, da Walentina Nagel sehr persönlich schreibt und Otto Nagel direkt anspricht, S. 7-16. Auch „autobiographische Notizen Otto Nagels und einige seiner Zeitungsbeiträge“ sind doch sehr umfangreich. Nach dem Bildteil finden sich autobiografische Texte, zum Teil erstmals veröffentlicht, und ausgewählte Aufsätze, ab S. 354 bis S. 389.
    Die Kritik „Keinen Raum finden die politischen Auseinandersetzungen, die Nagel als Präsident der Akademie führen musste.“ möchte ich so nicht stehen lassen. War das 1974 überhaupt möglich? Und in der DDR? Drei Gedanken dazu:
    1. Dr. Matthias Braun hat 2007 als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abt. Forschung der BStU den Band „Kulturinsel und Machtinstrument. Die Akademie der Künste, die Partei und die Staatssicherheit“ (463 Seiten) herausgegeben. Ein sehr wichtiges Buch, dass begreifen lässt, was hinter den Kulissen passierte. Ich traf den Autor 2019 zum Gespräch über Otto Nagel. Die Kapitel des Werks sind nach den Präsidentschaften unterteilt, so gibt es zwei umfangreiche Kapitel über die Zeit von Otto Nagel 1956-1959 und 1959-1962. Am 8. Februar 1962 gab es eine „Unterredung“ zwischen dem Vertreter des Staates Kulturideologe Alexander Abusch und Otto Nagel. Zu diesem „Vieraugengespräch“ gibt es eine Notiz von Abusch, die „belegt, dass Otto Nagel keineswegs freiwilllig das Präsidentenamt aufgeben wollte“. (S. 149-150). Weitere Belege dazu konnte ich finden. Der Präsident musste trotzdem bis zur Neuwahl sein Amt weiterführen. Nach Außen hieß die offizielle Version, aus gesundheitlichen Gründen sei Nagel zurückgetreten – das sogar bis heute!
    2. Im Zuge meiner umfangreichen Recherche fand ich einen Brief meiner Mutter Sybille Schallenberg-Nagel vom 27.10.1991 an den damaligen BÜrgermeister von Berlin Eberhard Diepgen. Sie schrieb u.a. „Wie Sie sicher ebenfalls wissen, ist mein Vater Ehrenbürger der Stadt Berlin. In den letzten Wochen erfuhr ich durch die Akademie der Künste Ost, daß mein Vater Anfang der sechziger Jahre sein Amt als Präsident eben dieser Akademie u.a. auch wegen enger Zusammenarbeit mit Westberliner Dienststellen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens niederlegen mußte.“
    3. Was zwischen Otto und Walentina Nagel dazu besprochen wurde, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Ich denke aber doch, dass Walentina Nagel wußte oder wenigstens ahnte, was gespielt wird. Fakt ist, dass das Verhältnis zu DAdK sehr schwierig war. Selbst unter Präsident Konrad Wolf ab Juni 1965 dauerte es lange bis Walentina Nagel Vertrauen zu Wolf hatte. Die große Beerdigung Nagels (Foto im Wikipedia Eintrag) durch die Akademie der Künste musste meine Großmutter komplett selbst zahlen – die Rechnung ausgestellt an die DAdK an die Witwe weitergegeben.. alles durchorganisiert durch die Staatsführung. Anmerken möchte ich noch, dass es ab Oktober 1972 einen umfangreichen Dauerleihvertrag zwischen dem Magistrat Ost-Berlin und den Erben gab, Partner für die Pflege des Nachlasses die DAdK. Daraufhin entstand das Otto-Nagel-Haus, aber auch zahlreiche Publikationen erschienen, wie das Werkverzeichnis für Pastelle und Gemälde und das Werk von Frommhold. In diesem sind auch Zeichnungen von Nagel abgebildet, die eher unbekannt sind. Das Werkverzeichnis Handzeichnungen hat das Ministerium für Kultur der DDR leider verhindert.

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