Für kurze Zeit war er einer der Polit-Stars der Demokratiebewegung in der DDR und erster Geschäftsführer der DDR-SPD. Als Stasi-Spitzel überführt wurde Manfred „Ibrahim“ Böhme dann im Dezember 1990 vom Schriftsteller Reiner Kunze, der schon zu einem frühen Zeitpunkt seine Stasi-Akte einsehen konnte. 1999 starb Böhme, dessen Leben zuletzt von Alkohol, Krankheit und Depression geprägt war, vereinsamt wenige Tage nach seinem 55. Geburtstag in Neustrelitz.
Christiane Baumann hat ein Bild von Ibrahim Böhme an den Beginn des Buches gestellt, eines, auf dem er fröhlich-verschmitzt lächelt. „Ein Mann steht am Berliner Alexanderplatz auf einem Podium und hält eine SPD-Fahne in die Höhe“, so beschreibt sie die abgebildete Situation. „Es ist der 14. Januar 1990, also mitten in der sogenannten Wendezeit. Der Mann blickt direkt in die Kamera.“ Böhme ist da „immerhin der bekannteste Sozialdemokrat der DDR“. Aber er ist auch der, der frühzeitig über die Pläne für eine sozialdemokratische Parteigründung informiert war und sie ebenso frühzeitig an die Stasi verriet. „Unzählige Fotos zeigen den Mann mit anderen Prominenten. Die Aufnahmen sind authentisch, aber der Mann ist es nicht gewesen. Er war jemand anderes als die Bilder vermuten lassen“, so Christiane Baumann.
In ihrem im Lukas Verlag erschienenen Buch „Manfred ,Ibrahim’ Böhme“ geht Christiane Baumann der Frage nach, wer dieser Mann war. Und sie gibt tiefe Einblicke in ein unstetes Leben, das zwischen Phantasiewelt und Realität pendelte. Anhand des Nachlasses und vorliegender Akten in der Stasiunterlagenbehörde rekonstruiert sie den Lebenslauf von Ibrahim Böhme, kein einfaches Unterfangen, weil auch die Aussagen Böhmes widersprüchlich und teils unzutreffend waren.
Böhme hatte keine behütete Kindheit. Die Mutter starb, als er vier Jahre war, er wurde zu Pflegeeltern gegeben, kam ins Kinderheim, dann schließlich wieder zurück zum Vater, der in zweiter Ehe insgesamt neun Kinder hatte. Als verfolgter Kommunist in der Nazizeit übernahm er nach dem Krieg Funktionen in der SED und wurde Stasi-Mitarbeiter. Die Kinder schlug er vermutlich.
Manfred Böhme wuchs in die Arbeit der FDJ hinein, er wurde Maurer, Erzieher, Hilfslehrer, mit 18 SED-Mitglied. Erste Schwindeleien fallen auf, es gibt eine erste Parteistrafe. Ab Juli 1965 arbeitete der Einundzwanzigjährige in der Greizer Kreisbibliothek als Hilfskraft, organisiert Lesungen und gilt schon bald in der Stadt als der Bibliotheksleiter. Deren wirklicher Leiter Hugo Klinkenberg schreibt später in einer Beurteilung über Böhme: „Sein Charakter ist recht widersprüchlich und schwer zu beurteilen. Er schwankt dauernd zwischen Überheblichkeit, Minderwertigkeitskomplexen, Bescheidenheit und überspitztem Geltungsbedürfnis. Besonders ausgeprägt ist bei ihm der Hang zum Polemisieren. Er verfügt dabei über eine Vorstellungskraft, die es ihm oft erschwert, Wirklichkeit und Phantasie zu trennen.“
Er versucht sich als Dichter, lernt spätere DDR-Oppositionelle kennen. Zwischendurch leitet er für die FDJ ideologische Seminare, die sich großer Beliebtheit erfreuen, weil Böhme brillant und unkonventionell wirkt. 1968 übernimmt er die Leitung des Leitung des FDJ-Jugendklubs in Greiz. Mit dem Ende des Prager Frühlings werden Unterstützer in er DDR von der Stasi ins Visier genommen. Für eine von Böhme behauptete Verhaftung in diese Zusammenhang findet die Autorin keine Belege, eine Parteistrafe aber ist vermerkt. Christiane Baumann: „Im Nachhinein betrachtet, dürfte mit dem neuerlichen ideologischen Querliegen auch die Chance auf eine Karriere innerhalb der Partei geschwunden sein. Hat dem ehrgeizigen Böhme deshalb das Angebot gefallen, inoffiziell für das MfS zu agieren?“
Wohl ab Januar 1969 wurde Böhme zum GI (Geheimen Informator) der Stasi. Er bewegte sich in der Oppositionsszene und berichtete u.a. ausführlich über den Schriftsteller Reiner Kunze, der am Tag des Einmarschs in der CSSR sein SED-Parteibuch zurückgegeben hatte. 1976 berichtete er der Stasi über die Protestbriefe seiner Freunde gegen die Biermann-Ausbürgerung und löste damit Maßnahmen der Stasi aus.
Böhme gefiel sich in der Rolle als „intellektueller Sektierer“. Seine Berichte an die Stasi bauschte er auf. Christiane Baumann. „Böhme redete offenbar ungebremst über Personen, Details und Zusammenhänge, erklärte weitschweifig »die tschechoslowakische Entwicklung«, nannte Namen wichtiger Protagonisten in der CSSR, behauptete, einige persönlich zu kennen, und scheint mit all dem in der Rolle seines Lebens gewesen zu sein: in der des hochstapelnden Welterklärers.“
Im Juni 1989 wurde Manfred „Ibrahim“ Böhme von Markus Meckel über die Initiative zur Gründung einer Sozialdemokratischen Partei in der DDR informiert. Am 1. August 1989 berichtete IM-„Maximilian“ alias Böhme dem MfS von den Plänen. Bei der Gründung der SDP in Schwante wurde Böhme ihr 1. Geschäftsführer. Beim ersten ordentlichen Parteitag der Ost-SPD in Markkleeberg wurde er ihr Vorsitzender. Die Hoffnung, die Stasi habe alle belastenden Informationen vernichtet, erfüllte sich für Böhme nicht. Sein politischer und persönlicher Absturz vollzog sich mit dem ersten Stasi-Vorwürfen nach der Volkskammerwahl im März 1990. Nach der ersten Überprüfung der Akten kam bei der SPD kein eindeutiges Signal an. Böhme stritt alles ab, blieb aber belastet. Im Juni 1990 übernahm Wolfgang Thierse den Vorsitz der Ost-SPD. Böhme gab sich als Opfer der Stasi und wurde noch einmal Polizeibeauftragter des Ost-Berliner Magistrats. Im Dezember 1990 erschien dann Reiner Kunzes Band „Deckname Lyrik“, entstanden nach Einsicht in die Stasi-Akten, die Böhmes Spitzelei belegten.
Christiane Baumann gibt mit der Schilderung von Böhmes Leben und seinen Phantastereien auch einen spannenden Einblick in die DDR und die Wirkungsweise von SED und Stasi.
Christiane Baumann: Manfred ,Ibrahim‘ Böhme, Das Prinzip Verrat, Lukas Verlag, Berlin 2015, ISBN 9783867327602, gebunden, 191 Seiten, 16,00 EUR