In der Berliner SPD kennt man ihn, auch wenn er sich meist im Hintergrund gehalten hat. Bei vielen Wahlkampfveranstaltungen konnte man Frank Stauss am Rande stehen sehen, den Kopf leicht geneigt, beobachtend. Wenn die Veranstaltung begonnen hatte, war für ihn alles gelaufen. Dann mussten die von ihm und seiner Agentur entwickelten Plakate, Spots und Slogans ihre Wirkung entfalten.
Frank Stauss ist der „Mann von Butter“, der Agentur, die in Berlin 2001, 2006 und 2011 Wahlkämpfe für die Berliner SPD und Klaus Wowereit (und auch 2016 noch einmal für Michael Müller) organisiert hat, und die für Gerhard Schröder, Kurt Beck, Hannelore Kraft oder Olaf Scholz Kampagnen entwickelt hat. 2013 hat er ein Buch geschrieben, das seine Freude am Wahlkämpfen beschreibt, die Lust am Gewinnen, aber auch die Anspannung und das wochenlange Leben in „Kampas“, im „Maschinenraum“. Eine aktualisierte und um 50 Seiten erweiterte Fassung erscheint im Februar 2017.
Es ist ein persönliches Buch geworden, ein „Insider-Bericht“, wie es der Untertitel verspricht, tagebuchartig angelegt, auch ein Blick ins Innenleben der SPD, für die Stauss die meisten Wahlkämpfe organisiert hat, ins Gemütsleben von Wahlkampforganisatoren, in die Strukturen einer Kampagne. Es ist packend und mit Witz geschrieben, ehrlich, direkt und so verständlich, wie Stauss in Wahlkämpfen Politik zu vermitteln versteht – einfach und auf das Wesentliche reduziert.
Die Leidenschaft fürs Wahlkämpfen ist bei Stauss früh geweckt worden. Noch während des Studiums hat der damals 25jährige von Januar bis Ende März 1990 im Berliner Büro des Parteivorstandes gearbeitet, das den Aufbau und die ersten Wahlkämpfe der neugegründeten Sozialdemokratischen Partei in der DDR unterstützte. 1992 hatte er die Chance, den US-Wahlkampf von Bill Clinton und Al Gore mitzuerleben. Im „National Speakers Bureau“ half er mit, den zentralen Rednereinsatz der Kampagne zu organisieren. Ausgestattet mit zahlreichen neuen Eindrücken und Erfahrungen kehrte er zurück nach Deutschland und schrieb ein Memo, das er an den SPD-Vorsitzenden Björn Engholm schickte. Engholm allerdings trat kurze Zeit später zurück.
Aufmerksam auf Frank Stauss wurde aber der Agenturchef Werner Butter, dessen gleichnamige Agentur bereits mehrfach für den SPD-Parteivorstand gearbeitet hatte. Stauss stieg mit der Bundestags- und der Europawahl 1994 ins Wahlkämpfen ein. Seit 1997 ist er bei Butter Kreativdirektor und inzwischen einer der Geschäftsführenden Gesellschafter der Agentur, zu deren Tagesgeschäft der Kampf um mehr Marktanteile für einen Joghurtbecher, das Image eines echten norddeutschen Schnapses oder die Werbung für Gemeinnütziges wie die Aktion Mensch zählt. Anders als bei Produktwerbung lässt sich aber in der politischen Kommunikation kaum noch nachsteuern. Welchen Erfolg eine Kampagne letztlich hat, das steht am Wahltag fest, wenn um 16 Uhr die ersten verlässlichen Umfrageergebnisse eintreffen.
Politik ist für ein normales Agenturgeschäft nicht unbedingt zuträglich. Denn Werbekunden suchen keine Parteinähe. Zudem ist Politik ein Stoßgeschäft, nicht nur, weil es mitunter ruppig zugeht, sondern auch weil Wahlkämpfe im Abstand von vier oder fünf Jahren organisiert werden müssen, dann aber in einem sehr kurzen Zeitraum sehr viele Kräfte binden. Sicher, manche Wahl ist planbar. Anderes, wie die vorgezogene Bundestagswahl 2005, von Gerhard Schröder nach der verlorenen NRW-Wahl durch die Abstimmung zur Vertrauensfrage ausgelöst, kommt auch völlig überraschend und wird dann zum wahren „Höllenritt“.
Am Beispiel dieser Bundestagswahl zeigt Stauss die Möglichkeiten und Grenzen von modernen Kampagnen auf. Zugesagt hatte er nach kurzer Bedenkzeit. Denn die Ausgangsbasis war denkbar schlecht. Stauss sah es als Herausforderung. Er beschreibt, welche Ideen entwickelt wurden, wie sie auf ihre Wirksamkeit getestet wurden. Werbung verändert keine politischen Aussagen, sie arbeitet aber die eigenen Stärken und die Schwächen des Gegners heraus. Sie spitzt zu, verkürzt. Sie erfindet Begriffe wie die „Merkelsteuer“ zur geplanten Mehrwertsteuererhöhung durch die CDU. Ein derart einprägsamer Slogan, dass er der SPD noch lange nach ihrer Zustimmung zur Mehrwertsteuererhöhung in der Großen Koalition vorgehalten wurde.
Stauss erläutert das Handwerkszeug moderner Werbung. Und der eine oder andere überraschte SPD-Wahlkämpfer des Jahres 2005 kann hier noch einmal nachvollziehen, warum sich der Wahlkampfstab bei der Farbgebung der Kampagne für das ungewohnte Umbra entschied. „Na gut, schön ist das nicht. Aber frei. Frei im Sinne von: Diese Farbe besetzt keine andere Partei – und das wahrscheinlich auch aus gutem Grund“, schreibt Stauss. Aber dieser SPD-Wahlkampf wird nun von früheren unterscheidbar. Und das rote SPD-Logo „knallt“ auf Umbra.
Es sind viele Details, die eine gute Kampagne ausmachen. Frank Stauss beschreibt Entstehungsprozesse und Umsetzung, die Bedeutung, die das Vertrauensverhältnis zwischen den Spitzenkandidaten, den Organisatoren der Kampagne und der Agentur hat. Und letztlich zählt nicht die perfekt aufgeschriebene Kandidatenrede. „Es geht immer darum, den optimalen Zugang zu finden, damit der Kandidat das Beste aus sich selbst herausholen kann.“ Für wen macht er Politik, was will er erreichen?
Manches, wie der Erfolg von Olaf Scholz in Hamburg, ist eine Frage des Timings: Hier stand der richtige Kandidat zur richtigen Zeit zur Wahl und es wurde eine perfekte Kampagne. Manchmal staunt der Werber Stauss, wie im Berliner Wahlkampf 2011, als die Grünen-Kandidatin Renate Künast so lange an der Option einer Koalition mit der CDU festhielt, bis sie ihr Wählerpotential nahezu halbiert hatte. Denn was ihm an Erkenntnissen aus der Meinungsforschung vorlag, mussten auch die Kampagnenplaner der Grünen wissen.
Vieles an technischen Möglichkeiten ist in den vergangenen Jahren neu dazu gekommen. Aber Stauss weist anhand des Obama-Wahlkampfes auch nach, dass der Online-Wahlkampf Plakate und TV-Werbung nicht ansatzweise ersetzt hat. Im Gegenteil: Kaum wurde jemals mehr Geld für die traditionellen Kanäle ausgegeben.
Die vielen tausend Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer an den Infoständen auf der Straße, die mit großem Engagement bei der Sache sind, wissen nach der Lektüre des Stauss-Buches nun eins mit Sicherheit: Werber sind keine kalt kalkulierenden Büromenschen, sie sind mit ebensoviel Herzblut bei der Sache. Jedenfalls, wenn sie erfolgreich sind.
In der erweiterten 3. Auflage setzt sich Frank Stauss mit einigen neuen Entwicklungen auseinander – mit dem Erstarken des Populismus und Wahlkämpfen in Zeiten einer „gelangweilten Demokratie“. Und er beschreibt das Beispiel einer besonders erfolgreichen Kampagne: Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer lag vor der Landtagswahl 2016 in den Umfragen fast aussichtslos zurück. In weniger als 4 Monaten gelang es ihr, einen 11%-Rückstand in einen 4%-Sieg zu drehen. Denn anders als ihre christdemokratische Gegenkandidatin bewies sie Haltung – unter anderem im Umgang mit Geflüchteten.
Frank Stauss: Höllenritt Wahlkampf. Ein Insider-Bericht. dtv premium, 2013, 12,90 Euro, ISBN 978-3-423-24986-7
Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe, 10. Februar 2017, dtv 14,90 Euro