Zu den wichtigsten historischen Neuerscheinungen des Jahres 2007 gehörte Helga Grebings „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“. VierzigJahre nachdem sie erstmals unter diesem Titel einen umfassenden Überblick über die Akteure, die Parteien und Organisationen der arbeitenden Bevölkerung vorgelegt hat, gibt es nun keine einfache Fortschreibung, sondern einen neu formulierten, in Teilen gestrafften, zum Teil auch neu bewerteten Geschichtsabriss auf 200 Druckseiten. Helga Grebings Hauptaugenmerk liegt auf der Sozialdemokratie. Berlin ist dabei immer wieder Schauplatz wichtiger Ereignisse und Entscheidungen.
Helga Grebing, selbst seit 1948 Mitgliedder SPD und zeitweilig in der Grundwertekommission aktiv, hat ihre Erkenntnisse aus der Innenwelt der SPD mit den Forschungsergebnissen und der Außensicht zu einer spannenden Analyse des Zeitraums von 1848 bis zum Jahr 2000 kombiniert.
Im Verlaufe des gut 150jährigen Kampfes der Arbeiterbewegung, den Helga Grebing beschreibt, sei „eine pluralistische politische Kultur und eine soziale Verfassung der gesellschaftlichen Verhältnisse“ entstanden, „definiert durch Demokratie und Sozialstaat, die den ursprünglichen Zielen der demokratischen Arbeiterbewegung sehr nahe kommen“. Zu recht spreche man von einem sozialdemokratischen Jahrhundert.
Gegenüber der Buchfassung, die vor 40 Jahren entstand, ist die Geschichtsschreibung bis 1933 kürzer und prägnanter. Neuen Raum nehmen die Ära Willy Brandts, die zum Teil heftigen Richtungskämpfe in der SPD der siebziger und achtziger Jahre, der Wahlsieg Gerhard Schröders und das Schröder-Blair-Papier ein.
Rhetorisch fragt Helga Grebing sich selbst, wozu sie nun gleichsam „eine Geschichte einer fremden, versunkenen Welt“ schreibe. „Die Antwort mag sein, dass es gerade deshalb Zeit sein kann, zu überprüfen, ob und was sich an inhaltlicher Substanz und antreibenden Impulsen aus derErinn erung an die emanzipatorische Kraft der alten Arbeiterbewegung gewinnen lässt, die auch für das 21. Jahrhundert taugen können. Das Projekt einer menschen würdigen, sozial gerechten und politisch freien Gestaltung der Welt ist immer noch unabgeschlossen und bedroht, vielleicht mehr denn je.“
In ihrem Buch gelingt es Helga Grebing die großen Entwicklungslinien der sozialdemokratischen Bewegung aufzuzeigen, ohne sich in der Fülle der historischen Details zu verlieren. Sie beschäftigt sich mit den jeweiligen Zeitfragen und exemplarischen Debatten – etwa der Frage, wer die Tradition des demokratischen Sozialismus fortführt. Und wie die Arbeiterbewegung für ausreichend Arbeit sorgen kann.
Konsequent verfolgt sie eine Idee durch die rund 150jährige Geschichte, eine Idee, die am Ende wohl weiter notwendig ist und Bestand haben wird. Helga Grebings Rat an die SPD ist, sich weiter als eine Programmpartei zu verstehen, weil sie erst die Bestätigung gemeinsamer Grundüberzeugungen verbunden mit langfristigen Zielsetzungen handlungsfähig mache. „Sie sollte Begriff und Inhalt der linken Volkspartei bewahren, um solidarisch zu wirken als eine Partei, die die sozial Schwachen und Ausgegrenzten nicht den linken und rechten Randgruppen in Politik und Gesellschaft überlässt. Sie müsste dazu eine Mitgliederpartei bleiben und im Sinne einer dauerhaften ,Versammlungsdemokratie’ in andauernder Anstrengung zusammenführen, was zusammengehört.“
Ergänzt wird das lesenswerte Buch durch eine Zeittafel und einen Anhang mit zahlreichen Kurzbiographien nicht nur sozialdemokratischer Politiker und Funktionäre.
Helga Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Von der Revolution 1848 bis ins 21. Jahrhundert, Vorwärts Buch, Berlin 2007, ISBN 3866022883, Kartoniert, 324 Seiten, 24,80 EUR