geboren 11.8.1891 in Werther, gestorben 9.7.1982 in Berlin
Sozialrichterin, Weddinger Bezirksverordnete
Marie-Auguste Barthel trat bereits als junge Frau der SPD bei. 1943 wurde sie von der NS-Justiz zu einer mehrmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, weil sie sich für belgische Zwangsarbeiter eingesetzt hatte. In den Jahren nach 1945 bestimmte sie in verschiedenen Funktionen die Politik der SPD im Wedding mit. Von 1950 bis 1956 gehörte sie dem Sozialpolitischen Ausschuss beim SPD-Landesvorstand an. Der Weddinger Sozialdemokrat Horst Löwe hat seine Erinnerungen an die engagierte Sozialdemokratin aufgeschrieben:
„Die Weddinger haben seit je ein besonderes Verhältnis zur Frauenquote. Wie selbstverständlich haben hier sofort Frauen in allen Gremien und mit viel Erfolg als Sozialdemokratinnen gearbeitet. Das gilt im besonderen Maß auch für die dritte Abteilung. Ihr Erscheinungsbild ist seit der Neugründung von Frauen mitgeprägt worden. Von ganz besonderem Schlage war Marie-Auguste Barthel.
Sie kam aus Westfalen und trat schon sehr jung der SPD bei. Sie gehörte zum Urgestein unserer Organisation und zu den Vorkämpferinnen der Frauenarbeit. Ihr Parteipate war Carl Severing, der spätere Reichsminister des Inneren, ein Autodidakt mit breiter historischer und literarischer Bildung und ein Preuße aus Überzeugung. Ein Leben lang hat sie sich der sozialen Arbeit verschrieben. Sie arbeitete in den Heimstätten von Bethel und war schon vor dem ersten Weltkrieg Schöffin in der Jugendgerichtsbarkeit.
Dann gab starkes Leid ihrem Leben einen neuen Inhalt. Als Folge des ersten Weltkrieges verlor sie sowohl ihren Mann, Rudolf, als auch zwei Brüder. Sie überwand die Trauer, indem sie anderen half. Das war ihre Art, konsequent und zupackend. So wurde sie Mitbegründerin des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten und widmete sich vor allem der Kriegsopferfürsorge. Schon 1919 war sie als Beisitzerin im Reichssozialgericht erste weibliche Sozialrichterin. Hier und im Preußischen Landtag trat sie sehr engagiert für die Opfer des Krieges ein. Sie wurde eine anerkannte und gesuchte Expertin für die Sozialgesetzgebung.
Denunziation und Drangsalierung in der Nazizeit ließen Marie-Auguste vom heimatlichen Neukölln in den Wedding ausweichen, dem sie bis zu ihrem Tode treu blieb. Sie war bescheiden und machte nie viel Aufhebens von ihren Verdiensten, aber wer sich ausdrücklich erkundigte, dem gab sie bereit- willig Rat aus dem großen Schatz ihrer Erfahrungen. Nach 1945 war sie bis zu ihrem 75. Lebensjahr Mitglied des Landessozialgerichts und für die obersten Instanzen der Sozialgerichte eine gefragte fachkundige Gutachterin auf ihrem Spezialgebiet.
Ihr Wissen gab sie gern an die Jungsozialisten weiter. Ich habe viel aus der Zusammenarbeit mit ihr profitiert. Irgendwie war sie unbequem. Ihre knorrige, gerade Art imponierte. Wer einmal ihr selbstgebackenes Brot essen durfte, lernt eine neue liebenswerte Seite dieser Frau kennen. Von 1948 bis 1950 war sie Weddinger Bezirksverordnete. Als sie 1950 Kreisfrauenleiterin wurde, stöhnten manche Vorstandskollegen über ihre Ansprüche an Leistungen und Präzision. Aber als sie zu ihrem 90. Geburtstag von der Kreisdelegiertenversammlung geehrt wurde und dort mit kraftvoller Stimme auf das Selbstverständliche ihres Handelns hinwies, standen vielen die Tränen in den Augen.
Die letzte Zeit ihres Lebens war sie allein. Sie hatte große Hoffnung auf ihren Sohn Rudi gesetzt. Er sollte die Arbeit in ihrem Sinne fortsetzen. Alles deutete darauf hin, dass sich ihre Hoffnungen auch erfüllen würden. Er war Junglehrer im Wedding und konnte schließlich in Anerkennung seiner besonderen Leistungen die Leitung seiner Schule übernehmen. In unserer Abteilung hatte er, nicht zuletzt dank seiner ruhigen und ausgeglichenen Art, viele Freunde. Er wurde 1958 zum Bezirksverordneten gewählt und war in der Bezirksverordnetenversammlung bis 1967 für den Wedding tätig. Die Fraktion wählte ihn nach einiger Zeit zu ihrem Vorsitzenden. Dann aber machte sein früher Tod ihre Hoffnung zunichte. Auch diesen Schicksalsschlag musste sie noch überstehen. Sie tat es mit eiserner Disziplin.
Die Frauen ihrer Generation hatten gemeinsam, dass sie sozialdemokratisches Gedankengut in die neue Zeit retteten und es uns mit Rat und Tat, mit Beispiel und Kritik vermittelten. Neue Frauengenerationen setzen nun ihre Arbeit fort. War es einst noch schwer zu vermitteln. dass es nur vom Können abhängt, in welchem Umfang Mann und Frau gleichermaßen an der Arbeit beteiligt werden, so ist es mindestens seit einmal drei Ehepaare aus unserer Abteilung gleichzeitig in der Fraktion mitarbeiteten klar, dass es nur auf Können, Fleiß und Einsatzfreude ankommt, wenn für die Mitarbeit am Aufbau unseres Bezirks ausgewählt wird. Dafür gibt es in der jüngeren Vergangenheit gute Beispiele.“
(Horst Löwes Beitrag wurde 2009 auf den Internetseiten der Berliner SPD veröffentlicht)