Neuanfang, Verrat und Liebe: Werner Sonnes „Und der Zukunft zugewandt“

Cover Werner Sonne "Und der Zukunft zugewandt"

Cover Werner Sonne „Und der Zukunft zugewandt“

Es sind die letzten Tage des Nazi-Terrors, in die Werner Sonne seine Leserinnen und Leser führt. KZ-Gefangene sind – angetrieben von ihren Bewachern – auf einem Marsch, der für viele mit dem Tod endet. Politische Häftlinge, die sich in SPD oder KPD engagiert hatten, jüdische Gefangene, sie halten im Kampf um das Überleben zusammen. Und dann treffen sie tatsächlich auf ihre Befreier – die Rote Armee. Deutschland steht vor einem Neuanfang.

Werner Sonne beschreibt die großen Hoffnungen von Menschen, die in das zerstörte Berlin zurückkehren. Sein Roman ist die Liebesgeschichte von Klaus Weinert, einem jungen Sozialdemokraten, der das Konzentrationslager Sachsenhausen überlebt hat, und der Halbjüdin Rebecca Miller, die er im KZ kennenlernte, es ist zugleich die Geschichte eines täglichen Überlebenskampfes.

Und es ist auch die Geschichte des Scheiterns der Idee vom gemeinsamen Aufbau einer gerechteren Welt, auf die Sozialdemokraten und Kommunisten im KZ gehofft hatten.

Mit klaren Vorgaben ist die Gruppe Ulbricht im Mai 1945 von Moskau nach Berlin gekommen, sie nimmt Schlüsselstellungen in der Verwaltung ein, gestützt und geschützt von der Roten Armee und ihrem Geheimdienst. Weinert, in Werner  Sonnes Roman Redakteur der sozialdemokratischen Tageszeitung „Das Volk“, ist offen für die Zusammenarbeit von SPD und KPD. Aber er erlebt auch die Einschüchterungen und willkürlichen Verhaftungen kritischer Parteigenossen, den stalinistischen Verfolgungsapparat. Die gerade wiedergewonnene Freiheit bleibt auf der Strecke. Und Weinert ist ein Jahr nach seiner Befreiung aus Sachsenhausen erneut dort inhaftiert, diesmal auf Geheiß  des Geheimdienstes NKWD.

Schon Werner Sonnes 2008 erschienener Roman „Wenn ich dich vergesse, Jerusalem“ greift eine historische Umbruchsituation auf, die Gründung des Staates Israel. Für sein neues Buch hat er zahlreiche historische Quellen herangezogen, so liefert er  ein stimmiges, aber auch komprimiertes Bild der Konfliktfelder der Nachkriegstage.

Vergewaltigung, Prostitution, Schwarzmarkthandel und der aufkommenden Kalte Krieg spielen darin ebenso eine Rolle wie der brutale Antisemitismus im Polen der Nachkriegszeit oder die unmenschlichen Haftbedingungen in den Lagern der sowjetischen Zone.

Die von vielen ersehnte Einheit der Arbeiterklasse sollte es nur zu den Bedingungen der KPD geben. Mit der Urabstimmung, die auf sowjetischen Druck in den östlichen Bezirken nicht stattfinden konnte, wehrte sich ein Großteil der SPD-Mitglieder dagegen, dass statt eines gleichberechtigten Zusammengehens eine Zwangsvereinigung bevorstand.

Das war Grundlage für das tiefe Misstrauen, das die kommenden Jahrzehnte bestimmte. 2002 arbeiteten SPD und PDS in ihrem Koalitionsvertrag die Vergangenheit auf: „Für die Verfolgung von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und anderen Teilen der demokratischen Opposition, für deren Inhaftierung unter menschenunwürdigen Bedingungen bis hin zum Tod und für die Hinrichtungen Andersdenkender trägt die SED eine bleibende Schuld.“ Mit der Unterschrift unter diesem Satz schuf die Berliner PDS die Grundlage für eine Zusammenarbeit, die den Hauptfiguren in Werner Sonnes Roman sicher noch undenkbar erschienen wäre.

Werner Sonne, Und der Zukunft zugewandt, gebundene Ausgabe, 300 Seiten, Bloomsbury ISBN-13: 978-3827009081, EUR 22,90, als eBook EUR 16,99

 

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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