Nach dem großformatigen Bildband über Ost-Berlin hat der Elsengold-Verlag jetzt den Berlinerinnen und Berliner aus dem Westteil ein ebenso gewichtiges Werk gewidmet. Tausend Fotografien aus dem Bestand der dpa-Tochter Picture Alliance erzählen – geordnet in thematische Kapitel – von der spannenden Zeit zwischen 1945 und 1990.
Die Bilder zeigen den Wiederaufbau der zerstörten Stadt, Hamsterfahrten, Notbeleuchtung während der Blockade und in den Gesichtern Durchhaltewillen. Die Fotografen blicken in enge Küchen mit Kohleöfen, treffen Ausflügler beim Baden am Humboldthain. Die Alliierten haben ihren festen Platz in der Stadt.
Das Wirtschaftswunder wirkt auch im Westteil Berlins, auf den Laufstegen ist neue Mode zu sehen, Charlottenburg entwickelt sich zur modernen City der Halbstadt, aber selbst Ende der siebziger Jahre finden die Fotografen noch einen Milchbauern in einem bröckeligen Hinterhof. In vielen Bildern wird die Enge der eingemauerten Stadt sichtbar, in der die verschiedensten Lebenswelten und -entwürfe aufeinanderprallen.
Veränderungen werden nicht nur in den Äußerlichkeiten sichtbar, an den neuen Gebäuden etwa oder der zunehmenden Zahl von VW-Käfern auf den Straßen. Da blickt auf einem Bild eine weißgekleidete Braut mit dem Fernglas über die Mauer zu ihren Eltern, die an ihrer Hochzeit nicht teilnehmen können. Ein anderes Bild zeigt ein Kind, das im Schatten der Mauer mit einem Ball spielt. Während die einen die Mauer als schmerzhafte Trennungserfahrung mit sich tragen, gewöhnt sich die nächste Generation an den Umgang damit.
Die Fotografien dokumentieren die Stadtlandschaft ebenso wie die politischen Ereignisse und Begegnungen, die Showgrößen bei ihren Berlinauftritten oder die Demonstrationen der Studentinnen und Studenten. Große Momente der Berliner Nachkriegsgeschichte stehen neben ganz persönlichen Begegnungen.
Die Aufnahmen transportieren zugleich die zur Entstehungszeit gewünschten Aussagen und Geschichten, es sind Fotos mit viel Symbolkraft. Da schieben vier Mädchen vor der Silhouette zerstörter Häuser zu Beginn der fünfziger Jahre ihre Kinderwagen durch die Straße, ein Bild, das von einer besseren Zukunft erzählt. Ein Wohnwagen, montiert auf einem Floß, das im Wannsee schwimmt, zeigt den Traum von der Freizeitidylle. Lange Schlangen vor der West-Berliner Passierscheinstelle oder Autoschlangen am Grenzkontrollpunkt dokumentieren trotzig das Interesse am Zusammenhalt.
Das „Schaufenster des Westens“ spiegelt sich in den Bildern ebenso wie die Konflikte in der Stadt, wenn ein Hausbesetzer von Polizisten aus einem geräumten Haus abgeführt wird. Der Publizist Günther Wessel reißt in seinen knappen Texten die einzelnen Themenbereiche kurz an, erzählt in den acht Kapiteln, denen die Fotos zugeordnet sind, vom „Bauen und Wohnen“, von „Arbeit und Leben“ oder dem „Leben mit der Mauer“. Der Band ist ein fotografisches Geschichtsbuch und sicher für viele ein Erinnerungsalbum.
Es lohnt sich, die beiden Bände von Ost- Berlin und West-Berlin einmal nebeneinander zu legen und zu blättern. Wann hat sich das Leben in den beiden Stadthälften eigentlich auseinanderzuentwickeln begonnen? Was genau unterscheidet das Leben, den Alltag, die Architektur in den Jahren bis zum Mauerfall?
Mit seinen aufwendig produzierten Berlinbüchern besetzt der im vergangenen Jahr gegründete Elsengold-Verlag eine Lücke. Zum Frühjahrsprogramm gehören auch der reich illustrierte Band „Berlin. 1000 Jahre Geschichte“ von Henry Werner, ein Band, der Einblick in die „Berliner Kieze“ bietet sowie ein „Berliner Liederbuch“ mit Noten, Akkorden, Liedtexten und den Geschichten zu den Liedern.
Der Fotoband mit 1000 Aufnahmen ist im Elsengold-Verlag erschienen und kostet 49,95 Euro (ca. 464 Seiten, Hardcover im Schuber, Print: ISBN 978-3-944594-14-9)