Auf dem Umschlagfoto ihres Erinnerungsbandes sieht man Helga Grebing als junge Frau auf einer Parkbank sitzend – lächelnd, vorwärtsschauend, im Hintergrund die Ruinen des Weltkrieges. Es ist ein sehr symbolträchtiges Bild der Historikerin, deren Arbeit darin besteht, Entwicklungen zu beschreiben, Zusammenhänge darzustellen und dennoch nach vorn zu schauen.
Helga Grebings „Erinnerungen an Berlin“ beschreiben ihre Kindheit und Jugend in Berlin-Pankow und Zeuthen. Was den Charme ihres Buches ausmacht und es deutlich von handelsüblichen Erinnerungsbüchern unterschiedet, ist der kenntnisreiche Blick der Historikerin auf die Zeit.
So werden persönliche Erfahrungen ihrer Großeltern und Eltern mit wenigen Sätzen in einen sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhang gestellt. Und auch das Typische der eigenen Erlebnisse wird herausgearbeitet.
Grebing, 1930 geboren, wächst hinein in die Zeit des Nationalsozialismus, in seine Strukturen. „Die Jahrgänge 1929/30 hatten früheren und späteren Alterskohorten einiges voraus“, stellt sie fest. „Sie standen an der Schwelle zum Erwachsensein und konnten deshalb einerseits das Ende des ,Dritten Reichs‘ – Zerstörung, Massenelend, sinnlose Fortführung des Krieges – mit klarem Verstand wahrnehmen, waren aber andererseits noch zu jung, um im strafrechtlichen und moralischen Sinne schuldhaft in die Handlungen des nationalsozialistischen Terrorregimes verstrickt zu sein.“
Helga Grebing kann sich neben ihren Erinnerungen häufig auf Notizen und Tagebucheinträge stützen, sie berichtet ungeschönt von ihren Erwartungen, von ihren Zweifeln. Und von den Schwierigkeiten, aber auch den Möglichkeiten, an Informationen zu kommen, etwa über den Radiosender BBC.
Schon vor dem Kriegsende beginnt ihr Nachdenken und die vorsichtige Distanzierung vom Engagement im BDM. 1947 wendet sich die Absolventin der Arbeiter- und Bauernfakultät der Humboldt-Universität von einem weiteren System ab – dem der SED. Sie tritt im Januar 1948 in Pankow in die SPD ein und wechselt von der Ost-Berliner Humboldt-Universität zur neugegründeten – und auch von ihr geforderten – West-Berliner Freien Universität. Freiheit, die sie meinte. Ihre Dissertation widmet sie der Frage, wie es zur nationalsozialistischen Diktatur kommen konnte.
Es folgten u.a. Stationen in München und Göttingen, ehe sie 2008 nach Berlin zurückkehrte. Dass der Kindheitstraum, Professorin werden zu wollen, tatsächlich eines Tages in Erfüllung gehen konnte, schien anfangs fast undenkbar. Die Befreiung 1945 hat neue Chancen eröffnet, die Helga Grebing mit viel Arbeit genutzt hat.
Der letzte Satz ihre Buches lautet daher nicht ganz überraschend: „Da ich dabei bleibe, dass Sozialismus Arbeit ist, arbeite ich eben weiter und kann so auch noch ein wenig weiterleben, und dies manchmal ganz vergnügt und gelegentlich sogar unbeschwert.“ uh
Helga Grebing, Freiheit, die ich meinte: Erinnerungen an Berlin, Verlag für Berlin-Brandenburg, 2012, 176 Seiten, 19,95 EUR, ISBN-10: 3942476398