Professorin, Berliner Justizsenatorin, Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und schließlich von 2002 bis 2008 Präsidentin des Goethe-Instituts: die 2016 verstorbene Jutta Limbach hat sich in vielen Ämtern Hochachtung erworben. Für Pauline Staegemann wäre eine solche Karriere gut hundert Jahre zuvor noch undenkbar gewesen. Politische Betätigung war Frauen untersagt, Polizei und Justiz verfolgten jeden Versuch.
Geld- und Haftstrafen musste auch Pauline Staegemann hinnehmen. Eine „politische Justiz“, wie die Juristin Jutta Limbach urteilt, suchte sie „von der politischen Bühne zu entfernen“. Gelungen ist dies nicht. Pauline Staegemann, geboren 1838, Dienstmädchen und später in einem kleinen Gemüsekeller tätig, gründete 1873 mit den Berliner Arbeiterfrauen Berta Hahn und Johanna Schackow den „Berliner Arbeiterfrauen- und Mädchenverein“, die erste sozialdemokratische Frauenorganisation. Und sie war der erste politische Häftling im Frauengefängnis in der Barnimstraße.
Für Jutta Limbach, erste weibliche Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, hat Pauline Staegemann eine besondere Bedeutung: Sie war ihre Urgroßmutter. „Wenn ich glaubte, als ununterbrochen berufstätige, in ambulanter Ehe lebende Mutter von drei Kindern an der Grenze meiner Belastbarkeit entlang zu schrammen, genügte mir ein Rückblick auf diese tatkräftige Frau, um mich ob meines Kleinmuts zu schämen und neuen Antrieb zu gewinnen“, stellt Jutta Limbach im Vorwort fest. Pauline Staegemann war Mutter von vier Kindern, darunter der späteren sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Elfriede Ryneck, sie war berufstätig und widmete viel Zeit den Versammlungen und der Vereinsarbeit.
Viel an schriftlichen Zeugnissen ist nicht erhalten, vieles vielleicht auch aus Sorge vor Hausdurchsuchungen von Pauline Staegemann nie aufgeschrieben worden. Und auch in der Familie selbst, so bedauert Jutta Limbach heute, ist zu wenig nachgefragt worden. Oft muss es daher bei Vermutungen bleiben. So hat wohl die nahezu rechtlose Stellung der Dienstbotinnen zur Politisierung beigetragen. Jutta Limbach schildert ihre Urgroßmutter als Sozialdemokratin, die den Weg von Reformen gehen wollte, die in ihrer Zeit konkrete Verbesserungen erkämpfen wollte und nicht auf eine Lösung der „Frauenfrage“ durch Verwirklichung des Sozialismus warten wollte. Dass sie von ihrem Mann unterstützt wurde und beide schon eine partnerschaftliche und gleichberechtigte Ehe führte, steht zu vermuten.
Jutta Limbach berichtet von den Lebensumständen der Frauen zu Pauline Staegemanns Zeiten und schaut auf die aktuellen Entwicklungen, auf Teilhabemöglichkeiten und Quotendebatte. Die „gläserne Decke“, an der sich so manche aufstrebende Frau den Kopf gestoßen habe, scheine heute aufgebrochen, stellt sie fest. Aber es gibt weiter Ungerechtigkeiten. Jutta Limbach verweist auf einen alten Wert: die Solidarität. Die hängt auch heute ab von Menschen wie Pauline Staegemann.
Jutta Limbach, „Wahre Hyänen“, Pauline Staegemann und ihr Kampf um die politische Macht der Frauen, Verlag J.H.W. Dietz Nachf., 120 Seiten, Klappenbroschur, 18,00 Euro, ISBN 978-3-8012-0480-8