In der Aula der Zehlendorfer Zinnowwaldschule kamen am 7. April 1946 rund 500 Delegierte zum Bezirksparteitag der „alten“ Berliner SPD zusammen. Für sie war es ein zweiter Anfang – nachdem sich genau eine Woche zuvor die (West-)Berliner Mitglieder der SPD in einer Urabstimmung gegen die von KPD und sowjetischer Militäradministration geforderte Vereinigung von KPD und SPD ausgesprochen hatten. Die Fusionsgegner hielten den Anspruch der SPD auf Eigenständigkeit aufrecht, der Parteitag in der Zinnowwaldschule war Symbol des Kampfes der Berliner Sozialdemokratie für Freiheit und Unabhängigkeit.
Das vollständige Wortprotokoll:
Vorsitzender Gerhard A u s s n e r: Genossinnen und Genossen!
Ich eröffne hiermit den ordnungsgemässen Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Gross-Berlins. (Lebhafter Beifall.)
Schwere Tage liegen hinter uns. Es galt, unsere alte, verdienst- und ruhmvolle Sozialdemokratische Partei zu retten. (lebhafter Beifall.) Zu retten gegen Massnahmen, die wir als gute Demokraten stets abgelehnt haben. Ausgehend vom 29. Dezember war unser Weg teils dornenvoll, teils auch mit übelsten Anschuldigungen gepflastert. Als Berliner Sozialdemokraten haben wir das eherne Ziel jeder Demokratie gestellt, durchgerungen und auch erreicht: dass die Sozialdemokraten in den westlichen Zonen von Berlin ihre Stimme in geheimer, demokratischer Wahl abgeben konnten. (lebhafter Beifall.) leider sind im Osten Fehler bei der Beantragung der Wahl begangen worden, und so konnte sie dort nicht stattfinden.
Ehe ich die Tagesordnung bekanntmache, begrüsse ich die hohen Vertreter der Interalliierten Militärkommandanturen. Ferner begrüsse ich die alten Genossen, deren Namen und Taten bekannt sind und die uns im Reichstag sowie im Landtag vertreten haben und die sich jetzt rückhaltlos für unsere Richtung erklärt haben. (Stürmischer Beifall.)
Ich verlese die Tagesordnung:
1. Begrüssung durch Genossen Dr. Rudolf W i s s e l l. (Lebhafter Beifall.)
Zu diesem Punkt, Genossinnen und Genossen, kann ich einen Brief verlesen, den uns der Genosse Paul L ö b e hierher gegeben hat, mit der Bitte, ihn zu verlesen. Ich verlese nunmehr den Brief unseres allverehrten Genossen Paul Löbe:
„Werte Genossen!
Leider kann ich Euch die angekündigte Ansprache nicht halten, die ohne meine Zustimmung auf die Tagesordnung gesetzt worden ist. Ich möchte die Hoffnung immer noch nicht aufgeben, dass die grenzenlose Zersplitterung unserer Reihen vermieden wird, die uns gegenwärtig droht.
Wie jeder von uns habe auch ich in den letzten Monaten um der Partei willen die schwersten inneren Kämpfe durchlebt. Keiner, der sich nicht für Beendigung des Bruderkrieges in der Arbeiterschaft eingesetzt hätte – ich selbst habe es in zahlreichen Versammlungen getan.
Nun flammt statt dessen ein neuer Bruderkrieg auf. Als Genosse Schumacher sich vom Zentralausschuss verabschiedete gaben beide Teile die Versicherung ab: was auch kommen möge, und wenn unser Weg uns auseinanderführt, wir wollen nie vergessen, dass wir beide Kinder einer Mutter, der Sozialdemokratischen Partei sind und uns demgemäss verhalten. Was ist daraus geworden? Nach den bereits vorher von gewisser Seite erfolgten Angriffen auf die Genossen Severing, I,eipart, Noske, Ebert, Stampfer, Löbe, folgen jetzt niedrige persönliche Schmähungen gegen Schumacher, den der offene Brief, unterzeichnet Max Fechner, noch durchaus kameradschaftlich als Genossen angesprochen und behandelt hatte, persönliche Schmähungen gegen die Genossen Swolinzky und Dahrendorf – alles erst von dem Augenblick an, in dem sie sich sachlich zu einer anderen Auffassung bekannt hatten. Wer wird der nächste sein? Darin allerdings kann ich einen Weg zur Einigung nicht sehen, das muss neue Wunden schlagen und Klüfte aufreissen.
Solange es aber denkbar ist, möchte ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass auf diesem verhängnisvollen Wege Einhalt geboten wird und dass auch für die Sozialdemokraten, die sich heute befehden, ein Tag der Versöhnung kommt. Tragt Ihr durch Eure Verhandlungen dazu bei, dass diese Möglichkeit nicht verhindert wird.
Mit sozialdemokratischem Gruss Paul Löbe.“
(Stürmischer Beifall.)
Genossinnen und Genossen, ich glaube, im Namen des Parteitages zu sprechen, dass es an uns nicht gelegen hat und auch in Zukunft nicht liegen wird (sehr richtig!), wie die Verhandlungen weitergehen werden.
1. Punkt der Tagesordnung: Organisationsbericht – wird erstattet durch den Genossen Franz N e u m a n n.
3. Punkt: Diskussion
4. Punkt: Wahl des Berliner Vorstandes.
5. Punkt: Die Aufgaben der Berliner Sozialdemokratie – Referent Genosse Kurt S w o l i n z k y.
6. Punkt: Schlussansprache Genosse Dr. Klaus-Peter S c h u l z.
Hat jemand gegen Form oder Fassung dieser Tagesordnung etwas einzuwenden? – Das geschieht nicht. So erkläre ich dieselbe für angenommen und erteile als erstem Redner das Wort unserem Genossen Dr. Rudolf W i s s e l l .
Dr. Rudolf W i s s e l l (mit lebhaftem Beifall durch Händeklatschen begrüsst) :
Werte Genossinnen und Genossen:
Wir stehen vor einer Tagung von geschichtlicher Bedeutung. In ihr sollen die Schlussfolgerungen gezogen werden aus einer von fester, unbeirrbarer sozialdemokratischer Überzeugung getragenen Auffassung. Woran unsere Väter und Grossväter geglaubt, was wir dann von ihnen übernommen haben und was dann in uns aus eigener Erfahrung immer fester und sicherer unsere Erkenntnis gestützt und untermauert hat, das ist stärker als alle oft sehr brüchige Logik angeblich aufgeklärter und von besserem Wissen getragener Enkel.
In unserer Überzeugung schwingen aber auch Stimmungen sehr realer Art mit. Wir Alten sind alt geworden mit der Sozialdemokratischen Partei. Schon unsere Väter und Grossväter haben in ihr, mit ihr und für sie gearbeitet. Wenn wir des Abends geistig hungrig nach Hause kamen und das erste war, dass wir zum Parteiorgan griffen, dann stillten wir diesen Hunger durch das geistige Brot, was die Zeitung bot. Hier in Berlin war es seitdem Fall des Sozialistengesetzes der „Vorwärts“. Noch heute fragen wir manchmal versehentlich unter uns: wo ist der „Vorwärts?“, wenn wir ihn nicht schon des morgens mit zur Arbeit genommen hatten, um ihn während der Arbeitspausen zu lesen. Dabei wussten wir ganz genau, dass das Parteiorgan heute „Das Volk“ heisst. Wir hatten keine Einwendung gegeni diesen Nselen zu erheben, denn dem, der in der Parteigeschichte Bescheid wusste, war bekannt, dass dieser anscheinend neue Name übernommen worden war von einem Blatt des gleichen Namens, dessen Schriftleiter Karl M a r x und Friedrich E n g e l s gewesen waren, und das war ein gutes Omen für die neue Zeitung. Denn wir mussten ja annehmen, dass dieser Name eine stolze Verpflichtung auch für das neue Blatt sein werde. Aber bald kamen doch Enttäuschungen. Und wir waren empört) als wir hörten, dass der Name der Partei, der von Anbeginn an eine immer stärker gewordene Anziehungskraft für schliesslich Millionen von Arbeitern ausgeübt hatte, nun preisgegeben werden solle. Und dann hörten wir auch, dass „Das Volk“ nicht Zentralorgan bleiben sollte, sondern durch die kommunistische Zeitung ersetzt werden sollte. So nebenbei,, vielleicht als ein Abendblatt, sollte es weiter bestehen bleiben. Aber auch das war noch keineswegs so ganz sicher.
Ohne die Mitgliedschaft zu befragen, über deren Köpfe hinweg, wurde das alles vorbereitet. Wir kamen uns wie verraten und verkauft vor. (Sehr gut und starker Beifall.)
Nun, Genossinnen und Genossen, Ihnen ist ja die Parteigeschichte der letzten Wochen bekannt, die zu diesem Bezirksparteitag führte. Nur noch in grossen Umrissen möchte ich dieselbe rekapitulieren:
Als im vorigen Jahre die Parteien gestattet wurden, waren wir es, die den Kommunisten vorschlugen, eine Partei zu gründen. Diese lehnten ab mit der Begründung, dass die ideologischen Voraussetzungen erst noch geprüft und geklärt werden müssten. Gut, man konnte das verstehen. Die meisten Führer der KPD waren 12 Jahre lang im Ausland gewesen (grosse Heiterkeit und Beifall) und hatten dort kaum Gelegenheit, sich mit der Demokratie zu befassen (stürmischer Beifall).
Vielleicht aber meinten sie im Vorigen Jahre noch – ich habe das sehr oft in unseren Kreisen aussprechen hören – den Rahm von der Milch schöpfen zu können. (Heiterkeit..Die dann später abgehaltenen Wahlen in Süddeutschland und in Osterreich zeigten, dass sich zum Fettabschöpfen für die KPD keine Möglichkeit mehr bot. Das war für sie dann das Alarmzeichen, nun sofort in die Einheitspartei hineinzuspringen, um nicht etwa bei neuen Wahlen ihre Schwäche gär zu deutlich in Erscheinung treten zu lassen. (Sehr richtig!) Sie kointen die SPD als Blutspenderin sehr gut gebrauchen. Starker Beifall.) So kam dann überraschend für alle die Erklärung des Zentralausschusses vom Dezember v. J. Nun wurde es lebendig in unseren Reihen. Anfragen über Anfragen in den Versammlungen. Der Zentralausschuss sah sich genötigt, Beruhigungspillen auszugeben. Niemand hat grössere Wandlungen durchgemacht als die Körperschaft des Zentralausschusses. (lebhafte Zustimmung.) Wenn er zu gegebener Zeit noch bereit war, lieber die Partei aufzulösen, als sie von der KPD erobern zu lassen, gab er als nächsten Schritt die Dezember Resolution der 6o-Mann-Kommission bekannt. Dieser Resolution folgten dann die beruhigenden Erklärungen, dass es sich ja vorläufig nur um vorbereitende Schritte handele, die Einigung später einmal durchzuführen. Vorläufig bliebe die SPD noch für sich, und bei Wahlen würden getrennte listen geführt, und vor allem sollte ein endgültiger Beschluss durch einen Reichsparteitag gefasst werden. Aber diese Zusage ist nicht gehalten worden.
Es überstürzten sich die Ereignisse. Eine Grosskampagne Goebbelsschen Musters wurde aufgezogen (stürmischer Beifall), und die Genossen in der Provinz wurden dermassen unter Druck gesetzt, dass von dort nur noch Einheitserklärungen kamen.
Sehr gut!) Aus manchem Privatbrief wissen wir ja, wie man so etwas macht, und Sie werden es ja alle auch erfahren haben. (Sehr richtig!) Der 1. Mai sollte das ruhmreiche Datum sein. Ach, der 1. Mai, das war ja viel zu spät, nein, früher noch musste das geschehen, wenn uns die Reaktionäre nicht über den Kopf wachsen sollten. (Gelächter). Die dieses Tempo nicht mitmachten, die auf die Zusicherungen des Zentralausschusses pochten, sie wurden selbst zu Saboteuren, zu Reaktionären gestempelt. Es gab keine Möglichkeiten für sie) ihre abweichende Meinung in der Zeitung zum Ausdruck zu bringen und damit zur demokratischen Diskussion zu stellen. „Das Volk“ nahm Allüren an, wie sie uns vor 1933 von der Kommunistischen Presse leider noch sehr bekannt waren. (Zustimmung.) Und als die Opposition dann eine andere Veröffentlichungsmöglichkeit fand, da wurde sie gar zum Verräter gestempelt. Es folgten persönliche Verunglimpfungen derjenigen, die dieses Spiel nicht mitmachten und aus dem Zentralausschuss ausschieden oder ausgeschlossen wurden. Zum Ausschluss ist der Zentralausschuss leicht, leicht bereit gewesen. Aber sonst, da ist er den lieben Bundesgenossen gegenüber von einer Liebenswürdigkeit, die die grössten Grobheiten übersieht. Er kennt natürlich die Geheiminstruktion der Kommunisten an ihre Leute, in der es heisst:
„Genossen, habt keine Angst und scheut Euch nicht, Euch der sterilen Führerschaft der SPD zu nähern. Nur, indem wir sie durch ihre eigenen Mitglieder von unten her dazu zwingen, eine Einheitsfront von oben zu schaffen, werden wir fähig sein, sie aus dem Felde zu schlagen. Dieser Weg führt allein zu unserem Ziel.“
Ja, die das geschrieben haben, die kannten ihre zukünftigen Bundesbrüder, die wussten, dass die Brüder von morgen schon in den Knien weich geworden waren. (Heiterkeit). Die von oben befohlene Vereinigung der Arbeiterparteien hat zur Spaltung in dem Sinne geführt, dass wenigstens die Sozialdemokratie in Berlin, die nicht dem ungeheuren Druck der Provinz ausgesetzt ist, sich ihre Partei nicht zerschlagen lässt, sondern mit dem heutigen Bezirksparteitag neu aufzubauen beginnt. (Stürmischer, anhaltender Beifall.) Nun gut, wir werden zeigen, dass das Vertrauen der Genossen im ganzen Reich, auch in der Sowjetzone, und auch das Vertrauen des Auslandes, auf unsere demokratischen Grundsätze zu Recht besteht und dass wir als selbständige Sozialdemokratische Partei in der Lage sein werden, die aufbauwilligen Kräfte zu sammeln und an der Wiederaufrichtung unseres Vaterlandes in materieller und geistiger Beziehung zu arbeiten und zu erreichen, dass wir alle, die wir guten Willens sind, auch einmal wieder in die Völkerfamilie aufgenommen werden. (Sehr gut!)
Da wir Berliner zunächst auf uns allein gestellt sind, haben wir uns mit der von uns einzuschlagenden Politik zu befassen. Sie wird wesentlich dadurch mitbestimmt sein, dass wir die Verpflichtungen aus dem Hitlerkriege zu erfüllen haben. Mit dem „Wir“ meine ich natürlich das gesamte deutsche Volk.
Grundsätzlich ist das auch möglich mit der Politik der alten Sozialdemokratie. Wir erstreben eine Wirtschaftsführung, die nicht auf dem Egoismus des einzelnen aufgebaut ist, sondern auf dem Dienst des einzelnen an der Gesamtheit. Die „Wirtschaft hat nicht dem Wohl des einzelnen, sondern dem Wohl der Gesamtheit zu dienen.
Die früher in weiten bürgerlichen Kreisen vorhandene Auffassung, dass der Sozialismus nur eine lehre sei, wie die wirtschaftliche Lage der unteren Schichten des Volkes gebessert werden könne, ist heute schon besserer Hinsicht gewichen. Schon, als ich Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in die Partei eintrat, sagte mir der, der mich in die Geheimorganisation mitnahm: Es handelt sich beim Sozialismus nicht um eine lehre von Mitteln des gesellschaftlichen Fortschritts, sondern um ein neues Ideal der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens. Der Sozialismus ist ein besonderes Kulturideal, eine besondere Ethik, eine besondere Lebensauffassung. Daher ist nur der ein Sozialist, der in seinem ganzen Denken und Fühlen von einem besonderen sittlichen Ideal durchdrungen ist. Nicht der ist schon ein Sozialist, der nur nach der an sich durchaus berechtigten Verbesserung seiner Lebenshaltung strebt, sondern dieses Streben wird erst dann sozialistisch, wenn es um eines höheren, geistig sittlichen Ideals, nicht nur um das eigene Wohls sondern um des Wohles aller anderen Menschen willen geübt wird. (Starker Beifall.)
Der Sozialismus ist also auch ein sozial-ethisches Problem. Obwohl das deutsche Volks in den 12 Jahren der Naziherrschaft geradezu in ein geistig-sittliches Elend hinabgestossen wurde, ist doch noch in vielen unserer Volksgenossen diese sozial-ethische Auffassung vorhanden. Weite und breite Kreise bei uns freilich sind von der immerhin erreichten Höhe menschlicher, geistiger Land sittlicher Kultur wieder in die Tierheit hinabgestürzt. Aus allen Prozessberichtan der letzten Monate ist das ersichtlich geworden, w}.e schwer sie geistig und sittlich heruntergekommen, verkommen sind.
Und doch sind noch weite Kreise des Volkes frei von solcher Krankheit. Sie haben einen unbestechlichen Wirklichkeitssinn, gepaart mit gesundem Misstrauen gegen grosse hohle Worte und tönende Phrasen. Sie stehen dem Sozialismus näher, als sie es vielleicht selbst wissen. Ich glaube, keiner von denan wird sich gegen eine Besserung der Lage der unteren Schichten der Bevölkerung wehren. Sie sind auch mit -uns für Demokratie, und es heisst, nicht nur für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit, sondern auch für politische und kulturelle Gerechtigkeit.
Diese Gerechtigkeit ist nicht gegeben, so lange noch ein Monopol vorhanden ist, z.B. an nicht vermehrbaren Gütern, wie dem Grund und Boden und den in ihm ruhenden Schätzen.
Wenn die soziale Umwandlung vollzogen und das bisherige Eigentumsrecht durch ein anderes, besseres ersetzt worden ist, dann ist ein Teil des Sozialismus erreicht. Dann erst kann die ganze Kraft auf die sozial-ethische Seite des Sozialismus gelegt werden, kann die Umwandlung der menschlichen Lebensform geschehen.
Nun sind wir durch die gegenwärtigen Zeitverhältnisse in der Durchführung der wirtschaftlichen Aufgaben des Sozialismus recht gehemmt. Ihnen gehen. die Wiedergutmachungsverpflichtungen voran; je mehr wir darin unseren guten Willen beweisen, um so eher auch können wir auf die Gleichberechtigung mit anderen Völkern rechnen. Und diese Verpflichtungen können die Siegermächte uns auch erleichtern dadurch, dass sie die wirtschaftliche und politische Einheit des Reiches recht bald wieder herstellen. (Stürmischer, anhaltender Beifall.)
Das Ruhrgebiet, das Saargebiet und das Rheinland müssen ungeschmälert bei Deutschland bleiben. (Stürmischer Beifall durch Händeklatschen.) Ihre Loslösung oder auch nur die Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen und politischen Kräfte müsste ja unsere Leistungsfähigkeit wesentlich behindern.
Wir sind willens, mit allen Mächten der Besetzung objektiv
und bereitwillig zusammenzuarbeiten. Es ist falsch, grundfalsch, wenn etwa angenommen werden würde, dass unsere Ablehnung einer Verschmelzung zur Jetztzeit sich etwa gegen Russland richtete oder gegen die russische Besetzung wendete. (Sehr gut! und stürmischer demonstrativer Beifall.)
Wir fürchten eine Zersplitterung der Partei in ganz Deutschland unc damit eine Beeinträchtigung der uns obliegenden Verpflichtungen. (Starker Beifall). Für den Zusammenschluss müssen erst die ideologischen Voraussetzungen gegeben sein, und das ist heute noch nicht der Fall. (Stürmischer, anhaltender Beifall.)
Wir sind uns auch unserer sonstigen inneren Verpflichtungen bewusst. Wir haben den heute noch ohne ein eigenes Heim bei Fremden notdürftig Untergebrachten eine Wohnung und Arbeitsmöglichkeit zu schaffen. Das gleiche gilt auch für die lo bis 11 Millionen aus dem Osten und Südosten wieder nach Deutschland Gekommenen und noch Kommenden. Das ist eine Aufgabe, wie sie noch keinem Volke jemals oblag.
Und wir haben uns auch der vielen Millionen derer anzunehmen, die durch Alter, Krankheit, Unfall oder durch Kriegseinwirkungen zum Teil doch schwer betroffen sind, und das sind weite, weite Kreise. Wir wissen es und die Betroffenen wissen es auch, dass die Versorgung all dieser Hilfsbedürftigen nicht in der früheren Höhe möglich sein wird und daher in sozial gestaffelter Höhe durchzuführen ist. Die allein hieraus, erwachsenden Lasten können unmöglich der neuen Arbeit auferlegt werden.
Ich kann nicht auf alles in dieser Ansprache eingehen, daher soll nur gesagt werden, dass für manche Verpflichtungen schon Vorarbeiten vorliegen, die zu veröffentlichen dem Zentralausschuss bisher nicht möglich war, weil er in Einheitsbestrebungen mehr als genug zu tun hatte. (Beifall.)
So wenig es möglich war, hier auf alle Aufgaben einzugehen, zu denen der Bezirksparteitag Stellung zu nehmen hat, so wenig
ist es dem Bezirkstag selbst möglich. Er kann nur grundsätzlich dazu Stellung nehmen und daher kann meine Begrüssung nur ausklingen: Auf Euch blickt nicht nur dlie „Sozialdemokratie Deutschlands, sondern ein grosser Teil auch der Welt (sehr gut!). Ihr habt eine schwierige Aufgabe durchzuführen, und ich zweifle nicht, dass Ihr sie leistet. In diesem Sinne begrüsse ich Euch: Auf, auf zur rüstigen Tat! (Tosender, langanhaltender Beifall.)
Vorsitzender Aussner: Das Wort hat Genosse Rüdiger zur Geschäftsordnung.
R ü d i g e r (zur Geschäftsordnung):
Genossinnen und Genossen! (Grosse Unruhe.) Franz N e u m a n n :
Genossen, ich möchte Euch bitten, seid ruhig! Wir verfahren nicht nach den Methoden des Zentralausschusses. (Beifall.)
R ü d i g e r (fortfahrend);
Ich möchte anfangen mit dem, was mein Freund Neumann gesagt hat. Auch ich bin derjenige, der die Methoden des Zentralausschusses nicht für gut hält. Aber etwas anderes: Ich spreche als zweiter Vorsitzender von Berlin. (Zurufe: Das ist nicht zur Geschäftsordnung. Unruhe.) Ihr könnt der Ansicht seins dass Ihr mit diesem Bezirksvorstand, den ich vertrete, nichts zu tun habt. Das ist Eure Angelegenheit. Ich vertrete die Interessen der Sozialdemokraten Berlins, deren Bezirksvorstand ich angehöre.
Ich bin der Ansicht, dass Ihr eine Erklärung entgegennehmen könnt von dem Vorstand, zu dem ich gehöre und dem Ihr zum grossen Teil noch angehört. Ich möchte bitten, mir fünf‘ Minuten Gehör zu schenken, um eine Erklärung abzugeben. (Widerspruch und Unruhe.)
Vorsitzender A u s s n e r :
Genossinnen und Genossen, der Genosse Räder in seiner Eigenschaft als zweiter Vorsitzender des Berliner Bezirksverbandes „a.D.“ (Beifall) hat den Antrag gestellt, eine Erklärung hier abgeben zu können. Ich stelle diesen von Rüdiger gestellten Antrag sofort zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. (Geschieht.) Genossen, wer dagegen ist, dass der Genosse Rüdiger die Erklärung abgibt, den bitte ich um das Handzeichen. (Geschieht.)
Ich stelle fest: der Antrag ist gegen zwei Stimmen abgelehnt worden. Ich kann dem Genossen Rüdiger das Wort nicht erteilen. Ich möchte ihn bitten, den Raum zu verlassen. (lebhafte Zustimmung.) Als nächster Redner hat das Wort der Genosse Neumann.
2. Organisationsbericht.
Franz N e u m a n n:
Genossinnen und Genossen!
Ich möchte vorerst im Namen der fünf Genossen, die von den Kreisleitern beauftragt worden sind, diesen Bezirksparteitag einzuberufen, folgendes erklären: Wir bedauern ausserordentlich, dass es uns nicht gelang, einen grösseren Raum far diesen Bezirksparteitag in der kurzen Zeit zu beschaffen. Wir bedauern ausserordentlich, dass die Delegierten des Bezirksparteitages hier in dieser drangvollen Enge stehen müssen. Wir bedauern ausserordentlich, dass Hunderte und Aberhunderte von Gästen wieder nach Hause gehen mussten. Diese Tatsache liegt aber nicht an uns, sondern es war so, dass wir in Berlin keinen anderen Saal überhaupt besorgen konnten. (Zuruf: Admiralspalast!) Ja, lieber Freund, der Admiralspalast war nicht frei, und ausserdem wäre er zu klein gewesen. (Lebhafter Beifall).
Der Genosse Wissell hat in einer längeren Begrüssungsansprache aus seinem Gefühl heraus die Dinge gesagt, die ihn als alten Parteiveteranen bewegen. Ich habe den Parteioffiziösen Auftrag, im Namen der Kreisleiter unseren Standpunkt in chronologischer Art nüchtern darzulegen. Ich brauche in diesem Kreise nicht mit einer längeren Ausführung zu beginnen. Ich muss mich wegen der vorgeschrittenen Zeit, die durch die Raumverhältnisse bedingt ist, recht kurz fassen und kann nur die notwendigsten Dinge vortragen. Ich möchte daher sofort mit dem ersten Berliner Bezirksvorstandstag beginnen, der am 29. Dezember also zum ersten Mal nach der Tagung des 60-er-Ausschusses vom 2o./21. Dezember stattfand und der die Konsequenzen aus den Entschlüssen vom 2o. und 21. Dezember zog. Wir haben uns als Bezirksvorstand damals nach stundenlanger Diskussion einmutig zu der Entschliessung Nr.1 bekannt, die Ihnen ja durch die Organisation bekannt geworden ist, die leider niemals veröffentlicht werden konnte. „Das Volk“ hat ja seit dem 2o./21. Dezember niemals die Beschlüsse der Kreisleiter, also des erweiterten Bezirksvorstandes, vorgetragen. Unsere Meinung wurde also wiedergegeben durch die Entschliessung Nummer 1, die da heisst:
„Die Berliner Organisation steht grundsätzlich auf dem Standpunkt der Einigung. Sie erblickt in dem Aufruf der 6o Genossen zunächst nur eine brauchbare Diskussionsgrundlage; er verpflichtet zu keinerlei organisatorischer Bindung. Wir hoffen, dass dieser Aufruf die Plattform zur Vorbereitung einer einheitlichen deutschen Arbeiterbewegung sein wird. Vor jeder neuen grundsätzlichen Entscheidung ist aufgrund unserer demokratischen Einstellung die Mitgliederschaft durch Urabstimmung zu befragen, sofern die Abhaltung eines Reichsparteitages nicht möglich ist.“
(Hört! hört!)
Das war die einstimmige Erklärung des Bezirksvorstandes am 29. Dezember des vorigen Jahres. Diese Entschliessung ist sämtlichen Kreisleitern durch den Bezirksverband Berlin zugeleitet worden.
Genossinnen, Genossen, als wir nach dem Bekanntwerden des 60-er-Ausschusses in die Organisation kamen, da haben wir ja nicht nur in Berlin, sondern in der Gesamtmitgliedschaft sofort Proteste bekommen, die sich gegen diese Beschlüsse gewendet haben. Der Genosse Wissell hat in längeren Ausführungen einen Teil der Argumente gebracht, ich kann mich daher auf wesentliche Momente beschränken.
Der Zentralausschuss hat dann die Mitgliedschaft beruhigt durch seine Erklärung vom 15. Januar. Die vier Punkte, die allen Unterbezirksvorständen, Kreisvorständen, den Ortsvereinen in den kreisfreien Städten vom Bezirksvorstand bekanntgegeben wurden, waren:
1. Keine organisatorische Vereinigung beider Arbeiterparteien im Bereich von Bezirken, Provinzen, Ländern oder einer Besetzungszone;
2. Die. Herstellung der organisatorischen Einheit kann nur durch den Beschluss eines Reichsparteitages erfolgen.
3. In logischer Konsequenz daraus treten beide Parteien bei etwaigen Wahlen mit getrennten listen auf.
4. Jede gegenseitige Bekämpfung beider Parteien muss unterbleiben, vielmehr die Zusammenarbeit im Geiste der Kameradschaft und Gleichberechtigung auf jeden Fall sichergestellt werden.
Ich möchte Ihnen zu diesen vier Punkten die offiziellste Begründung geben und deshalb die Worte des Vorsitzenden des Zentralausschusses Otto G r o t e w o h l Ihnen vortragen, die er damals dazu geäussert hat:
„Wir sind aber der Überzeugung, dass die Herstellung der Einheit der Arbeiterklasse in der sowjetischen Zone allein unter den heute gegebenen Verhältnissen es unmöglich machen wird, die Einheit der Arbeiterklasse im übrigen Deutschland herbeizuführen. Die Herstellung der Einheit der Arbeiterklasse in der Sowjetzone allein wurde nicht nur in der Welt den Eindruck erwecken, dass die Sozialdemokratische Partei nicht aus freier Entschliessung, sondern unter einem gewissen Druck gehandelt habe; sie würde auch nicht die innere Kraft besitzen, die sie haben könnte, wenn zur Vorbereitung dieser Einheit die notwendige Zeit gegeben wäre und wenn sie als Beschluss der Reichsparteitage der beiden Parteien zustande kommen würde.“
Er sagte weiter zu den 3o Genossen von der KD; “
„Wir sind in hohem Masse überrascht und. vor eine vollkommen neue Situation gestellt durch die Tatsache, dass die Kommunistische Partei unsere Auffassung nicht nur nicht teilt) sondern in striktem Gegensatz dazu den Weg gehen will, der die Einheit der deutschen Arbeiterklasse verhindert und die deutsche Arbeiterklasse in aktionsunfähige Stücke zerreissen muss.
(hört, hört!)
Hier liegen nach der Auffassung des Zentralausschusses der Sozialdemokratischen Partei Auffassungen von einer Gegensätzlichkeit zutage, für die es eine Brücke nicht gibt, wenn das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei auf seinem Standpunkt beharrt.“
(hört, hört!)
Ich möchte hier, vor der Weltöffentlichkeit, sagen, dass das keine Geheimdokumente sind, dass das keine Mitteilungen sind, die irgendwelche Kreise der sozialdemokratischen Opposition sich unerlaubt beschafft haben, sondern dass das die offizielle Rede des Genossen Grotewohl auf der 60-er-Konferenz ist, die allen Organisationen, die dem Zentralausschuss in der Sowjetische Militäradministration angehören, zugestellt worden sind.
Genössen, die Parteiorganisation war nach diesen Erklärungen vom 15. Januar, wo die 4 Punkte noch einmal klar und deutlich herausgehoben wurden, auf einer Linie: man war sich einig darüber, dass man den Versuch machen müsste, im Reichsmasstab durch die gemeinsame kameradschaftliche Arbeit die Basis zu finden) die für eine Zusammenarbeit überhaupt notwendig ist. Vom 15. Januar haben wir bis zum l0. Februar Wandlungen erlebt) wie sie der Genosse Wissell angedeutet hat. Ich möchte nicht wiederholen, sondern nur feststellen; Diese Wandlungen standen den gesamten Beschlüssen nicht nur der Berliner Mitgliedschaft, sondern der Gesamtmitgliedschaft, die dem Zentralausschuss untersteht, diametral gegenüber. Wir Berliner sahen klar und deutlich, dass dieser Weg des Zentralausschusses ein unheilvoller war. In allen Sitzungen des Bezirksvorstandes, in allen Abteilungsversammlungen, in allen Kreisversammlungen aller 4 Sektoren Berlins wurde einheitlich gegen diese Politik des Zentralausschusses Stellung genommen.
Die Reinickendorfer Parteiorganisation hat dann den Aufruf zur Stimmabgabe aller Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone und in Berlin zur Einheit der Arbeiterschaft beschlossen; sie sagte, dass aus dem Für und Wider eine einheitliche Willensbildung erfolgen muss. Getreu der demokratischen Forderung unserer Bewegung geschieht das durch Befragen aller Mitglieder in geheimer Abstimmung. „Mit Deinem Ja oder Nein auf dem nachstehenden Stimmzettel sollst Du, Genosse, diese Willensbildung vornehmen durch Beantwortung der Frage 1: Bist Du für sofortigen Zusammenschluss beider Arbeiterparteien ‚- ja — nein, und der Frage 2: Bist Du für ein Bündnis beider Parteien, welches gemeinsame Arbeit sichert und das Bruderkämpfe ausschliesst?“
Wir gaben dazu eine rein sachliche Stellungnahme der beiden Richtungen. Wir sagten, dass die einen den sofortigen Zusammenschluss fordern, weil sie sich davon eine starke Anziehungskraft auf alle Werktätigen versprechen, sowie einen wesentlichen Faktor für den demokratischen Aufbau der wirtschaftlichen und politischen Einheit Deutschlands. Die anderen warnten vor übereilten Beschlüssen und wünschten vorerst ein Bündnis zwischen beiden Parteien, welches gemeinsame Arbeit sichert, Bruderkämpfe verpönt, die alten sozialdemokratischen und kommunistischen Grundsätze erst ein Echo im Volk finden lassen will, um daraus die für die demokratische Erneuerung Deutschlands einzuschlagende Richtung zu erkennen. Zusammenschluss nur, wenn er in allen Zonenmöglich ist, da sonst nach der von mir vorgetragenen Meinung des Zentralausschusses die Spaltung der Arbeiterschaft in Ostdeutschland einerseits und in West-, Nord- und Süddeutschland andererseits zu befürchten sei und damit auch die Schaffung einer politischen Einheit Deutschlands fragwürdig wäre. Und, Genossen, die politischen Beschlüsse, die in Potsdam von den Alliierten gefasst worden sind, sehen das einheitliche Deutschland vor (Sehr gut!) und wir unterstützen damit nur die Politik, die nicht nur unsere ist, sondern die dazu führen würde, dass wir in der ganzen Welt alle Interessen zusammenbringen wollen. Wir wollen als Sozialdemokratische Partei keine Politik gegen die Besetzungsmächte, sondern wir wollen auf gemeinsamer Linie aus dem Elend unserer Tage herauskommen. (Stürmischer, langanhaltender Beifall.)
Und, Genossen, der 1. März, der entscheidende Tag in Berlin, brachte uns die Mehrheit. Mit 5 Sechsteln Stimmenmehrheit entschieden sich die Berliner Funktionäre im Admiralspalast dafür, dass diese Reinickendorfer Resolution die Resolution Berlins wurde. Wir haben am 2. März einen Bericht darüber im „Volk“. Es heisst dazu:
„Es war eine sehr lebhafte Versammlung. Nun, stürmische Auseinandersetzungen hat es in der sozialistischen Bewegung schon immer gegeben, und sie waren durchaus nicht schädlich. Besonders die Sozialdemokratie von Berlin kann es sich zur Ehre anrechnen, von jeher lebhafte Diskussionen geführt zu haben, die von ehrlicher Überzeugung und tiefer sozialistischer Leidenschaftlichkeit durchglüht und die der Gesamtpartei nützlich waren.“
Dann folgt auf vielen Seiten das Referat Grotewohl’s – und dann ist von der Admiralspalastkundgebung „Feierabend“. (Heiterkeit.) Als damals Genossinnen und Genossen sich an mich wandten, sagte ich: abwarten, das „Volk“ hat keinen Platz mehr, morgen werden die Diskussionsreden und die Resolution, die wir gefasst haben) im „Volk“ stehen. Ich habe mich nicht getäuscht, am nächsten Tag finden wir im „Volk“ nochmals einen Bericht über die Admiralspalastkundgebung. Wegen seiner Wichtigkeit möchte ich diesen Teil des Berichtes vollständig vorlesen. Otto Grotewohl sprach an diesem Tag in der Parteikonferenz der KPD. Er sagte folgendes über die Parteifunktionärversammlung der Sozialdemokraten Berlins:
„Zurückkommend auf die Konferenz der Berliner Funktionäre der SPD am Freitag erklärte er, er sei sich bewusst, dass der Verlauf dieser Konferenz keineswegs die eindeutige Haltung der Berliner Sozialdemokratie dargestellt habe. (Hört! hört!) Das Erlebnis der Konferenz sei vielmehr die Auswirkung der Tatsache,“ — jetzt wird er rätselhaft — „dass Berlin in 4 Sektoren verschiedener Besatzungsmächte aufgeteilt sei.“
Punkt! Damit kann ich diesen Bericht des „Volks“ vom Bezirksparteitag abschliessen. Immerhin ist interessant, dass der Vorsitzende des sozialdemokratischen Zentralausschusses das Stichwort für die Bewertung der Funktionärversammlung Gross-Berlins gab.
Eine andere Zeitung vom gestrigen Tag sagt unter der Überschrift „Parteitage“ folgendes:
„Die Reaktion scheute vor keinerlei Mittel zurück, um die Einheit der Arbeiterklasse zu zerreissen. Mit besonders schamlosen Methoden versuchte sie in Berlin die Einheil der Arbeiterklasse zu zerstören. (Pfui-Rufe)
Hier machte sie auch vor den abgeschmacktesten Versuchen der Fälschung und des Betruges nicht halt. (Hört! hört!) Jedoch auch in Berlin erlitten die Versuche der Saboteure der Einheit ein Fiasko. Die Ergebnisse der Urabstimmung, die am letzten Sonntag mit besonders viel Tamtam durchgeführt wurde, zeigen die Haltlosigkeit der Versuche der Reaktion; die Schumacherlinge behaupten, dass 90% der Berliner Organisation der SPD gegen die Einheit seien, und sie genierten sich nicht, bei der Durchführung der Urabstimmung Methoden anzuwenden, die in den finstersten Tagen der Reaktion Brauch waren. Sie haben trotzdem eine Niederlage erlitten. Nur 29,5% der Berliner Organisation der SPD traten gegen die Verschmelzung der Arbeiterparteien auf. Und das nach einer mehrere Monate währenden lärmenden und hemmungslosen Propaganda.“(Stürmisches Gelächter,)
In der gleichen Zeitung ein Bericht über den Prenzlauer Berg.
In einer Versammlung vom Freitagabend hat dort der uns Berlinern ja bekennteste Vorsitzende des Zentralausschusses Max Fechner folgendes gesagt:
„Der Redner unterstrich sodann, dass die Vereinigung nicht von oben herab diktiert werden könne, sondern auf einem statutengemäss einberufenen Parteitag von den Mitgliedern beschlossen werden muss. Das innerparteiliche Leben müsse demokratisch sein. (Heiterkeit.) Nach aussen und innen müsse es frei und unabhängig auftreten. Das Recht der politischen freien Meinungsäusserung dürfe nicht geschmälert werden. (lachen.) Etwas anderes aber sei es, wenn sich die Spaltungspolitiker im Kampf um untergeordnete Fragen soweit hinreissen liessen, eine organisierte Opposition zu bilden.“
Derselbe Max Fechner, der dies am 5. April sagt, hat ein Vierteljahr früher etwas anderes gesagt; ich möchte hervorheben, dass das wiederum kein Geheimmaterial ist, sondern in der „Täglichen Rundschau“ nachgelesen werden kann in einem offiziellen Schreiben des Zentralausschusses um die Zeit des 15. Januar herum. Damals sagte Max Fechner:
„Für eine endgültige organisatorische Vereinheitlichung
sind aber noch zahlreiche andere Voraussetzungen erforderlich. Die in Aussicht genommene Einheitspartei soll auf einer wahrhaften innerparteilichen Demokratie beruhen.“
Soweit ist er sich einig mit seiner Erklärung am Freitagabend, er hat aber vergessen, was er noch vor einem Vierteljahr sagte:
„Ein Einheitsbeschluss kann auch nur für die Gesamtpartei im deutschen Raum gefasst werden. Es wird auch nicht von oben her dekretiert, wie dies so häufig gesagt wird. Ein solcher Beschluss kann nur nach Bestätigung durch den Parteitag der gesamten deutschen Sozialdemokratie verwirklicht werden, nötigenfalls sogar durch eine Urabstimmung der Mtgliedschaft. (Grosse Heiterkeit.) Wir sind es den vielen Männern und Frauen schuldig, die der SPD während der 12-jährigen Macht des Nationalsozialismus die Treue gehalten haben.“
Genossen anschliessend an diese Dinge möchte ich jetzt zu den letzten 8 Tagen übergehen und einige Worte sagen zum „Volk“, zum Aufruf des Zentralausschusses vom Donnerstag, dem 28. März, Erklärung des Zentralausschusses zur Urabstimmung in Berlin:
„Es entsprach weder der Parteitradition noch der Parteidemokratie, wenn die zufällig zusammengesetzte Funktionärversammlung in Berlin am 1. März verlangt usw. usw.“
Das ist das Stichwort, das Herr Grotewohl am Tage nach der Admiralspalast—Versammlung gab, und das liegt in der gleichen Linie, wenn hier gesagt wird: hier machte sie auch vor den abgeschmacktesten Versuchen der Fälschung und des Betruges nicht halt. Genossen, wer hat diese abgeschmackten Versuche der Fälschung und des Betruges angewendet? (Zuruf: der Zentralausschuss!) Ich möchte die Dinge schildern, wie sie sind und das gerade jetzt sagen, weil der 2. Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Berlins noch hier ist.
Wir haben in Berlin bekanntlich demokratisch gewählte Funktionäre und diese Funktionäre haben Funktionärkarten nach der geheimen Wahl erhalten. Jede Abteilungsversammlung hat ihre Vertreter in diesen Monaten Januar und Februar gewählt. Diese Funktionäre liegen statutarisch genau fest, und diese Funktionäre hatten das Recht, am 1. März zum Admiralspalast zu kommen. (Sehr richtig!) Grotewohl hat nach dem 1. März erklärt: die Versammlungsmehrheit sei dadurch zustande gekommen, dass entweder aus Reinickendorf oder aus Spandau 150 Delegierte in diese Kundgebung im Admiralspalast hineingeschoben worden sind. (Hört! Hört!) Das waren diejenigen, die die Claque bildeten, die vom Genossen Germer dirigiert wurden und den Genossen Grotewohl nicht voll zum Wort kommen liessen. Genossen, es ist doch wirklich eine Verkennung der Tatsachen, dass diese Tausende von Funktionären sich von einer kleinen Gruppe so beeinflussen liessen. Die Veranstaltung
im Admiralspalast stand unter der Kontrolle der Weltöffentlichkeit, genau so wie hier, und zwar nicht nur der Presse, sondern auch der Herren Offiziere von der Alliierten Kommandantur. Es sind schlechte Psychologen, die derartige lahme Erklärungen abgeben. (Sehr richtig!)
Es heisst in dem Aufruf weiter:
„Andere, noch stärker besuchte Berliner Funktionärversammlungen haben gegenteilige Beschlüsse gefasst.
Das ist richtig, das möchte ich ausdrücklich unterstreichen. Die Versammlungen der Funktionäre, die nach dem 1. März in Berlin stattgefunden haben, haben andere Beschlüsse gefasst, – das sind die Versammlungen, die mit den „abgeschmacktesten Versuchen der Fälschung und des Betruges“- um mit diesem Organ zu sprechen – zustande gekommen sind. (Stürmischer Beifall.)
Ich will hier nichts erklären, was ich nicht beweisen kann, deshalb lade ich die Herren Vertreter der Presse und auch die Herren Vertreter der Alliierten Kommandantur ein, am Schluss der Kundgebung bei mir Material einzusehen.
Ich habe folgendes zu der Versammlung erst zu sagen: Hier in dem Aufruf wird von der Versammlung des Bezirksvorstandes, der Kreis- und Abteilungsleiter vom 14. März berichtet. Genosse Aussner war es, der gleich zu Beginn Mitteilung machte, dass er am Vor-mittag den Bezirksvorstand, Genossen L ü b b e , angerufen und gebeten habe, für die im „Volk“ veröffentlichte Betriebsfunktionärsitzung Karten zu erhalten. Man hatte nämlich im „Volk“ veröffentlicht, dass besondere Eintrittskarten aus der Behrenstrasse abzuholen seien. Lübbe erklärte am Telefon: es findet überhaupt keine Funktionärversammlung statt. Darauf sagte Aussner: Dann guck Dir einmal das „Volk“, Seite 1, an, da ist die Einladung. Lübbe erwiderte: Ja, davon weiss ich allerdings nichts. (Hört! hört!) Lübbe ist allerdings nur der erste politische Sekretär (Heiterkeit), von dem kann man das wahrscheinlich nicht verlangen,, dass er das weiss. und, Genossen, ich werde Euch beweisen, dass er es auch nicht wissen kann. (Zuruf Rüdiger.) Ich werde gleich dazu kommen. Ich habe daraufhin mich zum Wort gemeldet. Ach so, ich muss erst noch erwähnen, dass Gen. Aussner erklärte, dass er einen Genossen zu Lehmann schickte, der für die Ausgabe der Karten zuständig war. Die Sekretärin suchte den Namen Aussners in einer Liste und fand ihn nicht, wahrscheinlich weil er nur der Betriebsgruppenführer der grössten sozialdemokratischen Betriebsgruppe ist, dann erklärte die Sekretärin: Aussner kriegt keine Karte. Ich habe ihnen dann sagen lassen, dass ich diesen Weg von ihnen nicht erwartet hätte. Ich habe von dem kommunistischen Vorsitzenden des FDGB Reinickendorf meine Karte bekommen. (Heiterkeit und lebhafter Beifall.) Ich konnte sie am gleichen Tage vorzeigen, und eine ganze Reihe von Genossen erklärte: Wir haben von der kommunistischen Ortsgruppe von da und da Karten bekommen. Ich habe hier ein Original eines Briefes von der Kommunistischen Partei des Verwaltungsbezirks Reinickendorf an die KPD, Betriebsgruppe des Gaswerks Tegel, in der die Einladungen enthalten sind. Wer von den Herren Vertretern der Weltpresse, der Berliner Presse oder von den Herren Offizieren die Sache einsehen will – bitte sehr!
Nachdem ich das erklärt habe, ist Genosse Rüdiger aufgestanden und hat folgende Erklärung abgegeben, die er durch seinen Zwischenruf angedeutet hat: „Ich habe folgendes zu sagen: Die Unterschrift des 1. Vorsitzenden Berlin Hermann Hanisch ist nicht nur ohne sein Wissen, sondern gegen seinen Willen unter diesen Aufruf gekommen.“ (Hört! hört!)
Rüdiger erklärte weiter:
„Der Bezirksvorstand Berlins hat diese Funktionärversammlung abgelehnt; er hat mit der Einberufung dieser Funktionärkonferenz nichts zu tun.“
Daraufhin habe ich vor den über 200 anwesenden Hauptfunktionären Berlins die Erklärung abgegeben: Also ist diese Funktionärkonferenz keine Funktionärkonferenz Berlins. Und das war die einmütige Feststellung aller Berliner Spitzenfunktionäre. Das Ergebnis sahen wir am nächsten Morgen im „Volk“. Trotz dieser Erklärung war die Anzeige der Versammlung wieder darin und ebenso die Unterschrift des Bezirksvorstandes Berlin und die bestrittene Unterschrift des ersten Vorsitzenden, des Genossen Hermann Harnisch. Fechner hat auch dazu eine Erklärung abgegeben. Er sprach auf der ersten gemeinsamen Kundgebung von SPD- und KPD-Funktionären, in der auch Walter Ulbricht sprach. Dasselbe Manöver war vollzogen worden. Nach Max Fechner hatten nur die fortschrittlichen Genossen Zutritt gefunden. (Heiterkeit.)
Mit dieser Erklärung möchte ich mich begnügen und es der Öffentlichkeit der Welt überlassen, wer abgeschmackte Fälschungen und Betrugsmanöver vollzogen hat. (Sehr gut!)
loh möchte nur noch einen wesentlichen Punkt herausarbeiten. Wenn erklärt wird: Zur Finanzierung der Fraktionsarbeit wurden Geldsammlungen veranstaltet, so spielt man auf einen Beschluss der Funktionäre der Kreisdelegiertenversammlung Reinickendorf an. Wir haben am 23. Februar beschlossen, dass wir einen monatlichen Extrabeitrag von 0,10 RM beim niedrigsten Verdient bis zu 5o.– RM beim Höchstverdienst erhoben wollen. Warum? Wir sind ein Kreis, der in Berlin nicht der kleinste ist. Wir haben beschlossen, ein eigenes Büro mit drei Kräften zu besetzen. Wir Sozialdemokraten Berlins sind auf die finanziellen Mittel angewiesen, die wir selbst sammeln. (Sehr gut und lebhafter Beifall.) Wir bekommen
von keinem Zuwendungen oder Stipendien. (Starker Beifall.) Deshalb können wir es uns nicht erlauben, wie beispielsweise unsere Bruderpartei im Verwaltungsbezirks über 4o bezahlte Kräfte anzustellen. Wir waren daher gezwungen, diesen Beschluss in Gegenwart der Vertreter des Zentralausschusses zu fassen. Es hat damals niemand etwas dagegen einzuwenden gehabt.
Genossen, ich möchte dieses Kapitel abschliessen. Zwei Tage vor der Wahl wurde in dem Aufruf des Zentralausschusses gefordert, dass die Berliner Mitgliedschaft nicht zur Urabstimmung am 31. März gehen soll. Genossen, das ist der Höhepunkt, den sich eine Parteibürokratie in einer so entscheidenden Frage, die die Mitgliedschaft bewegte, überhaupt erlaubt hat. (Lebhaftes sehr richtig!) Noch niemals hat es irgendwie ein Parteivorstand in irgendeiner Partei gewagt, die Beschlüsse der Mitgliederschaft so mit Füssen zu treten, wie es hier der Fall gewesen ist. (Sehr gut! Stürmischer Beifall.)
Als wir die Resolution Reinickendorf einbrachten, haben wir dies getan, um eine gemeinsame Basis für die geheime Befragung aller Mitglieder zu schaffen. Wir wollten auch dem letzten Genossen und der letzten Genossin das Recht der Entscheidung zugestehen.
Und, Genossen, wenn vom Zentralausschuss gesagt worden ist, dass diese Urabstimmung nicht im Statut vorgesehen ist, dass ist das richtig, aber ich möchte darauf hinweisen, dass die Liquidierung der Sozialdemokratischen Partei in keinem Statut festgelegt ist! (Stürmischer, langanhaltender Beifall.)
Nun zur Abstimmung: Wenn am Abend des vorigen Sonntag durch den Berliner Aether die Mitteilung ging: Der Zentralausschuss der Sozialdemokratischen Partei teilt mit, dass von 66.000 Mitgliedern nur 19.000 sich (gegen die sofortige Verschmelzung ausgesprochen haben, so ist dazu folgendes zu sagen. (Zuruf: Wehrmachtsbericht! – Stürmische Heiterkeit.) Ich kann zum Wehrmachtsbericht nichts sagen, da ich keine Uniform getragen habe. Aber vom Standpunkt des Zivilisten aus sage ich, dass der Meister der Rabulistik des faschistischen Staates Goebbels im Zentralausschuss seine Meister gefunden hat. (Stürmischer Beifall.) Goebbels hat sich wahrscheinlich am Sonntag abend im Grabe gedreht. (Heiterkeit.)
Wie ist das Ergebnis der Urabstimmung? Obwohl der Zentralausschuss seinen gesamten Machtapparat und den Parteiapparat der KPD gegen uns eingesetzt hat (Zuruf: Rundfunk), trotz stärksten Trommelns, trotz des versuchten wirtschaftlichen Druckes auf die Mitglieder und obwohl man glaubte, alle öffentlichen Propagandamittel nur für diesen Standpunkt des Zentralausschusses einsetzen zu müssen, dennoch sind es drei Viertel der Berliner Mitgliedschaft gewesen, die sich an der Abstimmung beteiligt haben. (Beifall.) Ich bedaure ausserordentlich, dass der Zentralausschuss es unterlassen hat, durch geeignete Massnahmen auch den Genossen in den östlichen Sektoren zu ermöglichen, an der Abstimmung teilzunehmen. (Pfui-Rufe). Die Verantwortung für das Nichtzustandekommen der Abstimmung im russischen Sektor schieben wir einzig und allein dem Zentralausschuss zu.(Zustimmung.) Sich hinter einem anderen zu verstecken ist ein Drücken vor der Verantwortung. (Lebhaftes sehr richtig!)
Genossen, es besteht gar keine Ursache, anzunehmen, dass auch nur ein einziger Kreis des sowjetischen Sektors eine andere Haltung eingenommen hätte als dies die Genossen im amerikanischen, englischen oder französischen Sektor getan haben. Wir haben die verschiedensten Abstimmungen ja vorher gehabt, und warum sollten die Genossen nun auf einmal eine andere Meinung haben als die Genossen in den drei genannten Sektoren. In den westlichen Sektoren ist klar und deutlich und einwandfrei eine Mehrheit gewesen, die sich bei der Frage 1 gegen die sofortige Verschmelzung wandte und zur Frage 2 ausdrücklich bemerkte, dass sie gewillt ist, in gemeinsamer kameradschaftlicher und brüderlicher Arbeit die Voraussetzungen zu schaffen, die einmal zu einem. Ineinanderfliessen später führen würden. (Lebhafter Beifall.) Das möchten wir ausdrücklich feststellen, dass wir uns zu dieser kameradschaftlichen Arbeit bekannt haben. Wenn Zweckmeldungen herausgegeben werden, dass damit ein Bruch mit irgend jemand vollzogen sei, so lehnen wir das ganz entschieden ab.
Nun die Schlussfolgerung des Zentralausschusses aus der Urabstimmung. Wir waren gewillt, getreu unserer bisherigen Tradition offiziell in der Sozialdemokratischen Partei zum Bezirksparteitag zu gehen. Was hat der Zentralausschuss nun aus dieser Urabstimmung für Lehren gezogen? Er sagt:
„Jetzt wollen wir nicht mehr diskutieren, sondern handeln.“ Und wie will der Zentralausschuss handeln? Er sagt:
„In den Kreisen und Abteilungen der Partei, die die Spalter zerschlagen haben, ist sofort mit dem Wiederaufbau der Organisation zu beginnen. Wer, nachdem die Lage in Berlin geklärt ist, weiter in Opposition verharrt, schädigt die Partei. Er mag sich vom Zentralausschuss lösen. Zweideutigkeit wird nicht länger geduldet werden. Wo Funktionäre nicht eindeutig für die Einheit der Arbeiterschaft eintreten, können sie ein Amt in der Sozialdemokratischen Partei nicht länger bekleiden.“ (Pfui!)
Auf der dritten Seite sehen wir dann die berühmte Gretchenfrage. Alle Delegierten zum Bezirksparteitag sind zunächst nach der Behrenstrasse beordert worden und sollten dort diese Gretchenfrage beantworten. Als wir in der Nacht zum Mittwoch dazu Stellung nahmen, haben wir die einzig mögliche Konsequenz daraus gezogen. Wenn in dem Aufruf gesagt wird:
„In solchen Kreisen und Abteilungen sind sofort neue Leitungen zu bilden. Auch wenn zunächst noch keine Wahl möglich ist, muss doch sofort mit der Aufbauarbeit begonnen werden. Wir fordern unsere Genossinnen und Genossen auf, an die zweifelhaften Funktionäre die Frage zu richten, ob sie für die sofortige Vereinigung sind. Wird diese Frage nicht mit einem klaren Ja beantwortet oder liegen bereits eindeutige Handlungen vor, so bitten wir unsere Mitglieder um sofortige Nachricht an den Bezirksvorstand, wer an die Stelle eines Spalters als Funktionär eingesetzt werden soll.“ (Pfui!)
Verehrter Genosse Rüdiger, dieser Befehl des Zentralausschusses ist leider kein Irrtum, er ist abgedruckt im „Volk“ vom Mittwoch, dem 3. April, und jeder kann ihn nachlesen. (Zuruf) Für uns gab es aus dieser Erklärung nur eine ganz klare und eindeutige Stellungnahme, die die Kreisleiter allerdings in einer Sonderzusammenkunft am Mittwoch Morgen fassten.
Wir Kreisleiter haben ein Provisorium gebildet, einen Fünferausschuss, und dieser Fünferausschuss hat dann den bekannten Aufruf herausgebracht: Die Würfel sind gefallen. Die Berliner Mitgliedschaft hat sich mit überwältigender Mehrheit für die Selbständigkeit der SPD ausgesprochen. (Stürmischer, nicht enden wollender Beifall.)
Da wir beim Wahlergebnis feststellen müssen, dass keine Verfälschung irgendwie eine Änderung zugunsten des Zentralausschusses herbeiführen kann, dass alle Mittel, die in dieser Richtung angewendet werden, nur zu sehr an die Methoden der Vergangenheit erinnern, die wir in 12 Jahren erlebt haben, haben wir weiter sofort den Beschluss gefasst, dass in allen Kreisen, wo noch keine Delegierten gewählt worden sind, eine Neuwahl stattzufinden hat,
ebenso da, wo durch die neue Anweisung des Zentra1ausschusses Delegierte zu wählen sind. Seit Freitagabend sind diese Neuwahlen in sämtlichen Kreisen durchgeführt worden. Wir haben in Reinickendorf am Freitag mit der Sache begonnen, es folgten Wilmersdorf, Schöneberg, Steglitz, Zehlendorf, Kreuzberg, Neukölln und Spandau. Alle Kreise, die noch nicht gewählt hatten, haben klar und deutlich) zum grossen Teil durch einstimmigen Beschluss, den heute hier anwesenden Delegierten des Berliner Parteitags ihr Mandat gegeben.
Genossen, was wir durch die Urabstimmung in einem Mehrheitsbeschluss sichern wollten, nämlich die Berliner Sozialdemokratie zusammenzuhalten, damit sie eines Tages den Kern einer einheitlichen sozialistischen Bewegung bilde, dieses Ziel, das von uns unter soviel Mähe erstrebt wurde, hat der Zentralausschuss durch seine Diktatur zerschlagen. (Starker Beifall.)
Der Zentralausschuss stand mit seiner politischen Haltung seit Monaten ausserhalb der Reihen der Berliner Mitgliedschaft. Er hat durch seine Spaltungsmethoden den Anspruch darauf verloren, dass die Sozialdemokraten Berlins ihm noch zu folgen haben. (Starmischer Beifall.)
Genossinnen und Genossen, wir haben dann am Schlusse unseres Aufrufs gesagt:
„Wie Ihr am Tag der Urabstimmung der Welt bewiesen habt, dass Sozialdemokraten sich weder durch Drohungen, wirtschaftliche Abhängigkeiten, noch durch die skrupellosen Methoden einer kostspieligen Propaganda sich beirren lassen, so zeigt der Welt jetzt, dass die Sozialdemokratie lebt und bereit ist, ihre Aufgaben zu erfüllen.“ (lebhafter Beifall.)
Genossinnen und Genossen, wenn jetzt der Zentralausschuss erklärt:
„Die hinlänglich bekannten Spalter der Berliner Parteiorganisation: Aussner, Germer, Neumann, Schulz und Swolinzky berufen zum Sonntag, den 7. April, einen Berliner Parteitag ein, um damit die Loslösung eines Teiles unserer Berliner Mitgliedschaft auch öffentlich zu vollziehen.“ so ist das ja eine Lächerlichkeit; sie sagen weiter:
„Sie behaupten, das im Auftrag der Berliner Organisation der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu tun. Diese Behauptung ist unwahr. Niemand hat ihnen diesen Auftrag erteilt, als sie sich selber.“ (Heiterkeit.)
Genossen, die Weltöffentlichkeit, die Presse und die Herren Offiziere der Kommandanturen, haben den Kampf der Delegierten gesehen, wie sie versuchten, mit ihren Delegiertenkarten hereinzustürmen. Der Saal ist zu klein, um alle Vertreter Berlins zu fassen. Wir haben das Mandat der Mitgliedschaft Berlins (stürmischer Beifall.), und dieses Mandat haben wir als Demokraten nur wenige Tage diktatorisch) möchte ich einmal sagen, gehabt. Am Mittwoch ist der Fünferausschuss gebildet; aufgrund der Urabstimmung vom vergangenen Sonntag hat er Autorität. (Lebhafte Zustimmung.) Ich stelle die Frage, ob der Zentralausschuss seit dem 1. Januar nicht genau so gut wie wir die Gelegenheit hatte (Sehr gut!), den Versuch zu unternehmen, eine legitime Bestätigung seiner Funktionen zu erreichen? (Lebhafte Zustimmung.) Der Zentralausschuss arbeitet seit über l0 Monaten, und er hat bis zum heutigen Tage nicht die Mitglieder befragt, ob er das Vertrauen hat, obwohl in Hunderten von Versammlungen ihm das Misstrauen ausgesprochen worden ist. (Sehr richtig!) Uns ist am vergangenen Sonntag durch die geheime Abstimmung aller Mitglieder, die bis zum 28. Februar ihren Beitritt in die Sozialdemokratische Partei vollzogen haben, das Vertrauen ausgesprochen worden, und wir haben binnen drei Tagen, wenn auch unter den heutigen schwierigen Verhältnissen, einen Bezirksparteitag auf die Beine gestellt) um durch demokratische Untermauerung des Bezirksvorstandes ihm eine Legalität und Autorität zu geben. (Stürmischer, anhaltender Beifall.)
Genossen, wenn jetzt erklärt wird, dass in allen Kreisen die Delegierten vom Zentralausschuss diktatorisch eingesetzt werden, so kann ich heute schon feststellen, dass damit der Bezirksparteitag vom nächsten Sonnabend eine Farce ist. (Stürmische Zustimmung. Kein Mandat ist überhaupt berechtigt, keiner hat das Recht, sich dort als Vertreter der Berliner Parteigenossenschaft zu bezeichnen. (Sehr richtig!) Die Körperschaft, die eine demokratische Untermauerung hat, sitzt heute hier beisammen. (Stürmischer Beifall.)
Eins aus dem „Volk“ von heute: Es ständen Manöver einer kleinen Clique zur Debatte. Wir bitten die Weltöffentlichkeit, hernach beim Ausgang die Mandate zu prüfen; man soll fragen; wer die Delegierten sind, wir haben gar keine Ursache, etwas zu verschweigen. (Sehr gut!)
Genossen, nun möchte ich mit den Fragen der Vergangenheit aufhören. Ich wollte nur in Kürze chronologisch feststellen, wie die ringe seit Weihnachten sich vollzogen haben. Ich möchte Einiges zu den organisatorischen Fraget der nächsten Tage, Wochen und Monate sagen.
Wir haben nicht die Absicht, heute einen Vorstand zu wählen, der ewig tagt. Wir müssen heute aus den Vorschlägen der Versammlung heraus diesen Bezirksvorstand bilden. Wir werden auf dem nächsten Bezirksparteitag, nachdem die Mitgliedschaft die Frauen und Männer diskutiert hat, die die Spitze bilden sollen, erneut den Bezirksvorstand zur Wahl stellen. (Lebhafter Beifall.) Das ist die überhaupt demokratische Form, die wir vollziehen können. (lebhafte Zustimmung.)
Genossen, eins zum Schluss: Wir sind – das dürfte aus den von mir vorgetragenen Gründen auch aller Überzeugung sein – die alte Sozialdemokratische Partei Berlins, wir haben die Massen der Sozialdemokraten hinter uns. (Beifall.) Wir haben die alte Partei das alte Statut und wollen dieser Organisation neuen Geist und Inhalt geben. (Stürmischer, lang andauernder Beifall.) Die Aktivität, die Ihr in den letzten Monaten entwickelt habt, soll in unserer Organisation immer bleiben. (Beifall.) Wir wollen alle dem Negativen der letzten Monate unsere Aktivität jetzt für die positiven Dinge einsetzen. (Beifall.)
Und, Genossinnen und Genossen, eine baldigst erscheinende Zeitung soll der Ausdruck unseres Erlebens sein. (Stürmischer Beifall.) Was wir bisher im „Volk“ hatten, (Zuruf: „Vorwärts“), das war die schlechteste Zeitung Berlins. (Zustimmung). Wir wollen uns die Kräfte schaffen, wir wollen aus unserem. „Vorwärts“ die beste Zeitung Berlins machen. (Stürmischer Beifall.) Genossen, wenn wir auch eine Partei arm an Geld sind, so wollen wir durch unsere Aktivität die Grundlagen schaffen, dass wir in hoffentlich nicht allzuferner Zeit Gelegenheit haben, bei der Meinungsbefragung der Berliner Bevölkerung einen nicht unwichtigen Teil der Stimmen Berlins für uns zu erringen. (Lebhafter Beifall.) Wir wollen jedem sagen, dass er bei uns in der Partei Mitbestimmung hat, dass diese Mitbestimmung aber auch ihm zugleich Verantwortung auferlegt. (Sehr richtig!) Verantwortung zur Mitarbeit am Wiederaufbau unseres so schwer geprüften Berlins. (Beifall.) Und, liebe Freunde, diese Gesamtbeteiligung am Wiederaufbau nicht nur Berlins sondern am Wiederaufbau eines demokratischen Deutschlands, ist ein Teil unserer Wiedergutmachung. (Beifall.) Und wir Sozialdemokraten erklären – wenn wir auch für das, was in den letzten 12 Jahren passierte, nicht schuldig sind (die Hunderttausende, die in den Konzentrationslagern, Gefängnissen und Zuchthäusern waren, sind die lebendigen Zeugen dafür -: wir fühlen uns verpflichtet zur Wiedergutmachung um der Völkerverständigung willen. (Stürmischer Beifall.)
Ich wiederhole, was ich am letzten Freitag über unsere politische Stellung zur Welt gesagt habe: Wir bewundern nicht nur das gewaltige Kulturwerk, das Aufbauwerk, das im Osten sich heute vollzieht und das wahrscheinlich noch ein gigantischeres Ausmass erreicht hätte, wenn nicht der Hitler-Faschismus ,Europa in den Krieg gezogen hätte. (Sehr richtigl) Nein, nicht nur dort sind unsere Sympathien, uns verbindet auch eine jahrhundertalte Tradition mit der Kultur und der sozialistischen Arbeiterbewegung des Westens. Aus dieser Meinung wollen wir die Synthese ziehen und damit unseren wesentlichsten Beitrag zum Völkerfrieden, zur Völkerverständigung geben. Das ist die politische Hauptaufgabe der Sozialdemokratischen Partei Berlins. Wir wollen die Brücke zwischen den Völkern bilden. (Starker Beifall.) Genossen, zu diesem grossen Werk rufen wir nicht nur die Sozialdemokraten, die bei uns organisiert sind, auf; wir rufen die arbeitende Bevölkerung und alle Einwohner Berlins auf, dass sie uns folgen; wir rufen sie auf mit dem Schlachtruf, den schon unsere Grossväter und Väter hatten:
„Wohlan, wer Recht und Wahrheit achtet, zu unserer Fahne steht zu Kauf!“
(Stürmischer, langanhaltender Beifall.) Vorsitzender A u s s n e r:
Ehe ich dem nächsten Diskussionsredner das Wort erteile, möchte ich erst einmal Vorschläge für die Mandatsprüfungskommission haben. Wir wollen morgen nicht Nachrichten lesen, wonach hier jeder das Stimmrecht hatte, der hier drinnen ist. Stimmrecht haben nur diejenigen, die in ihren Kreisen – ich betone, auch in den östlichen Kreisen — als Delegierte gewählt worden sind.
Wir fragen nicht danach, ob sie für oder gegen uns sind, sondern jeder hat das Stimmrecht, der eine Delegiertenkarte hat. Ich glaube, wir kommen mit fünf Genossen aus.
(Zuruf: Ich stelle den Antrag, dass Genosse Rüdiger den Saal verlässt.)
Genossinnen und Genossen, ich möchte Euch doch bitten, in diesem Punkte Ruhe. zu bewahren. Der Genosse Rüdiger hat sich bei mir erneut zur Geschäftsordnung gemeldet, und ich werde auch dem Genossen Rüdiger nachher nochmals das Wort geben. (Sehr gut!) Ich möchte Euch bitten, in jedem Falle Ruhe zu bewahren.
Nunmehr bitte ich um die Vorschläge für die Mandatsprüfungskommission. (Zurufe.)
Es sind vorgeschlagen:
R a h n Wedding,
J a n i s ch, Spandau,
H e n n i g, Tiergarten,
S c h o l z, Tiergarten,
A r n d t, Charlottenburg,
H o r 1 i t z, Charlottenburg.
Ich schlage Euch vor, die 6 Genossen, die ich verlesen habe, als Mandatsprüfungskommission zu bestätigen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen.
(Geschieht)
Bitte: Gegenprobe (Erfolgt.)
Ich stelle Einstimmigkeit fest und bitte daher die gewählten Genossen, mit ihrer Arbeit zu beginnen.
Ich habe eine Begrüssungsadresse der Fraktionsleitung der Sozialdemokratischen Partei der Siemenswerke zu verlesen:
„An den Ersten Berliner Bezirksparteitag der alten SPD. (Beifall.)
Die Mitglieder der SPD in den Siemenswerken überreichen dem Bezirksparteitag unserer alten SPD die herzlichsten Grüsse und besten Wünsche für die Zukunft. Wir SPD-Mitglieder stehen auf dem Boden der sozialen Demokratie und werden für dieses Ideal stets eintreten. Wir verdammen den Bruderkampf zwischen den arbeitenden Menschen Deutschlands und haben das Herzensbedürfnis, für immer mit allen antifaschistischen Parteien zum Wohle unseres Volkes zusammenzuarbeiten.
Fraktionsleitung der SPD
in den Siemenswerken.“
Weitere Begrüssungen sind eingegangen aus Wedding, Mitte, Treptow, Köpenick; die senden Euch alle herzliche Grüsse und sind mit ganzem Herzen bei uns.
Ich erteile nunmehr dem Genossen Rüdiger das Wort zur Geschäftsordnung. Ehe ich ihn zu sprechen bitte, möchte ich ihn fragen, ob er auf dem Boden des Zentralausschusses, oder ob er auf dem Boden unserer Meinung steht. Das möchte ich bitte, in seiner Erklärung uns zu beantworten. (Zuruf.) Nein, in seiner Erklärung. (Zuruf: Zur Geschäftsordnung!)
Das Wort ist erteilt.
R ü d i g e r ( Zur Geschäftsordnunng):
Ich bin Sozialdemokrat und vertrete mit voller Überzeugung die Meinung des Bezirksvorstandes. Das muss Euch vorerst genügen. Ich weiss, Ihr seid in der übergrossen Mehrheit. Ich will Eure Zeit nicht in Anspruch nehmen, noch Euch provozieren. Aber ich habe die Pflicht, und deswegen wiederhole ich das noch einmal: Ich habe die Pflicht, Euch zu sagen, was ich als 2. Vorsitzender von Berlin für notwendig erachte. Aus dem Grunde stelle ich erneut den Antrag, dass ich bei Euch irgendwie in einer beschränkten Redezeit reden darf.
Vorsitzender A u s s n e r :
Genossinnen und Genossen, darüber haben wir allerdings schon ab-gestimmt, und ich halte es für überflüssig, diese Abstimmung nochmals vorzunehmen. Um unserer Versammlung einen weiteren ruhigen Verlauf zu gewährleisten, stelle ich allerdings einen Antrag von mir aus zur Debatte und Abstimmung, und das ist:
Soll der Genosse Rüdiger weiter in diesem Raum bleiben
oder soll er ihn verlassen? Ich bitte, darüber abzustimmen. (Unruhe.) Wer dafür ist, dass Genosse Rüdiger den Rum verlässt, den bitte ich um das Handzeichen. (Geschieht.)
Gegenprobe, wer dafür ist, dass der Genosse Rüdiger hier bleibt, aber nicht im Namen des Bezirksvorstandes Berlin sprechen darf, den bitte ich um das Handzeichen. (Geschieht.)
Genossinnen und Genossen, das ist die übergrosse Mehrheit.
3 . Aus s p r a c h e
Ich erteile nunmehr dem nächsten Diskussionsredner das Wort. Es hat sich gemeldet der Kollege Holz (Hohls?)aus Friedrichshain.
H o l z , Friedrichshain:
Wir haben es im Friedrichshain am vorigen Sonntag ausserordentlich bedauert, dass wir nicht auch in der Lage gewesen sind, unsere Meinung in der Urabstimmung abzugeben. Das ist aus dem einfachen Grunde nicht möglich gewesen, weil der Kreisvorstand im Bezirk Friedrichshain, ebenso wie der Bezirksvorstand Berlin, es nicht für notwendig gehalten hat, für die Wahlsicherheit und Abstimmungssicherheit innerhalb des Bezirks eine Genehmigung der Abstimmung durch die Militärbehörde zu beantragen. Ich habe an den Kreisvorstand und den Bezirksvorstand einen Brief geschrieben, worin ich dagegen protestiert habe und nicht nur für Friedrichshain, sondern für den gesamten sowjetischen Sektor die Urabstimmung forderte. Die Antwort darauf war gestern im „Volk“ zu lesen, indem der erweiterte Bezirksvorstand beschlossen hat, dass es vollkommen überflüssig sei, in den 8 östlichen Bezirken die Urabstimmung vorzunehmen. (Pfui-Rufe.)
Zur Illustration der ganzen Dinge scheint mir eins wichtig zu sein. loh will nach einmal zum Ausdruck bringen, dass Genosse Grotewohl am 11. November in seiner grossen Rede erklärte, dass er und auch die Gefolgsmänner des Zentralausschusses nicht paktieren wollen, sondern die Menschen sollen nach seiner ehrlichen Überzeugung die Vereinigung der Arbeiterparteien auf einem Reichsparteitag entscheiden. Das hat Genosse Grotewohl mehrfach erklärt.
Am 18. Februar hat im Parteihaus in der Behrenstrasse eine Studentenversammlung stattgefunden, wobei Genosse Grotewohl gefragt worden ist, warum er vor Monaten eine andere Meinung gehabt hat. Daraufhin hat er erklärt, dass s.Zt. aus rein taktischen Gründen derartige Äusserungen gemacht worden sind. (Pfui-Rufe.) Damit ist ganz klar und deutlich vom 1. Vorsitzenden des Zentralausschusses und von seinen absoluten Gefolgsmännern zum Ausdruck gebracht worden, dass die Mitglieder der SPD von denen, die sich Vorsitzende nennen, verraten. worden sind. (Zustimmung) Es ist eine ganz folgerichtige Erscheinung, dass die Kreise sich von diesem verräterischen Zentralausschuss gelöst haben. Wir können es im Osten leider nicht tun, weil wir nicht den Apparat in Händen haben. Der Apparat ist in den Händen derjenigen, die auf dem Boden der sofortige Verschmelzung stehen. Zur Illustration möchte ich Euch mitteilen, dass am 24. vorigen Monats eine grosse Mitgliederversammlung des Bezirks Friedrichshain stattfinden sollte. Das war aber keine Mitgliederversammlung, sondern eine öffentliche Versammlung; sie war dadurch zu einer öffentlichen Versammlung geworden, dass von Seiten des Kreisvorstandes nicht nur die Mitglieder des Bezirks Friedrichshain, sondern darüber hinaus auch andere Mitglieder und auch Mitglieder der Kommunistischen Partei geladen worden sind. Eine Mitgliederversammlung muss unbedingt eine solche bleiben. Aber das sind die Methoden einer Kreisleitung wie auch des Zentralausschusses.
Es ist erwähnt worden, dass der Zentralausschuss jetzt einfach Delegierte, Vorsitzende usw. bestimmt hat. Das entspricht keineswegs der Demokratie in unserer Organisation. Wenn wir Wert auf Demokratie legen, müssen wir sie zu allererst in unserer eigenen Organisation handhaben. Dann können wir Anspruch darauf erheben, nach aussen als Demokraten angesehen zu werden. Es erscheint mir notwendig, den neuen Bezirksvorstand darum zu bitten, dass sämtliche Kreisleiter und auch die heiter der östlichen Bezirke hinzugezogen werden, um einen Beschluss darüber zu fassen, was in der sowjetrussischen Zone geschehen soll, die in der Luft schwebt (Zustimmung.) Wir haben keine Lust, isoliert zu sein. (Lebhafter Beifall.) Wir wählen heute einen neuen Bezirksvorstand in der Sozialdemokratischen Partei. (Starker Beifall.)
Vorsitzender A u s s n e r:
Genossinnen und Genossen, ich möchte die folgenden Diskussionsredner bitten, sich so kurz wie möglich zu fassen. Wir befinden uns in einem Krankenhaus und müssen um 8 Uhr unbedingt den Saal geräumt haben. Ausserdem möchte ich mitteilen, dass der Genosse Rüdiger mir eine Erklärung herausgegeben hat, dass er, da er
hier nicht s rechen könne, nunmehr die Versammlung verlässt. (Zustimmung
Als nächster Redner hat das Wort der Genosse S c h ö p f l i n, Neukölln.
S c h ö p f l i n, Neukölln:
Genossinnen und Genossen, mit den vier Berliner Genossinnen und Genossen habe ich heute morgen in der Tageszeitung „Das Volk“ die Bestätigung finden können, dass wir ausgeschlossen sind. Um jeden Zweifel zu beheben, möchte ich gleich anfangs feststellen? Wir sind vollkommen rehabilitiert. Heute morgen fand der Kreis-Vertretertag des Kreises Neukölln statt. Der bisherige Kreisvorstand ist durch Annahme des Misstrauensantrages in der Kreisvertreterversammlung vom 17. März zum Rücktritt gezwungen worden. (Beifall.) Am 25. März d. J. erklärte der bisherige Kreisleiter wie auch sein Stellvertreter, dass sie nicht gewillt seien, den Beschluss der Mitgliedschaft durchzuführen, und auch nicht bereit seien, ihre Ämter niederzulegen. (Pfui-Rufe.) Die Abteilungsleiter beziehungsweise deren Stellvertreter des Kreises Neukölln sahen keine Möglichkeit der Vertretung der demokratischen Richtung der Mitgliedschaft der SPD; sie beauftragten fünf Genossen, bis zum Kreisvertretertag die Geschäfte zu führen. In diesem Auftrag eröffnete ich heute morgen den Kreisvertretertag in den Passagefestsälen in Neukölln. Die Anhänger der sofortigen. Verschmelzung inszenierten einen derartigen Tumult, dass die Versammlung polizeilich geschlossen werden musste. (Pfui-Rufe.) Nach der Hetze der Tageszeitung „Das Volk“ und der geführten Polemik musste mit Störungsversuchen der Anhänger der sofortigen Vereinigung gerechnet werden. Wir hatten deshalb vorsorglich einen zweiten Saal festgelegt (Heiterkeit und Beifall) und die Versammlungserlaubnis eingeholt. Der Kreisvertretertag des Kreises Neukölln konnte nunmehr ordnungsgemäss und entsprechend der grossen Tradition der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands durchgeführt werden. (Lebhafter Beifall.) An diesem Kreisvertretertag haben von 235 Delegierten des Kreises Neukölln 185 ordnungsgemäss gewählte Delegierte teilgenommen. (Starker Beifall.) Das ist die erdrückende Mehrheit der Neuköllner Mitgliedschaft, deren wahrer Stimmung damit Ausdruck gegeben worden ist. Der Kreisvertretertag fasste einstimmig folgenden Beschluss:
„Bei der Urabstimmung am 31.3.46 haben sich in Neukölln von -3795 abgegebenen Stimmen 2853 Mitglieder gegen die sofortige Vereinigung ausgesprochen. Der Zentralausschuss hat mit seinem Beschluss vom 2.4.46 ebenso eindeutig die Missachtung, der demokratischen Rechte der Mitglieder dargelegt. Durch den Aufruf des Zentralausschusses, der Urabstimmung fernzubleiben, hat er die von der Funktionärversammlung vom 1.März 1946 einstimmig geforderte Urabstimmung sabotiert und sich damit selbst das Recht abgesprochen, für die Berliner Organisation der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu amtieren. Der Kreis Neukölln der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands beschliesst daher
1.) den vom Zentralausschuss bisher entlassenen Parteimitgliedern ihre bisherigen Funktionen wieder zuzusprechen und sie des Vertrauens der gesamten Mitgliedschaft zu versichern;
2.) sich vom Zentralausschuss zu trennen und diesen als Parteiinstanz nicht anzuerkennen;
3.) die Neuköllner Werktätigen wollen keinen Bruderkampf und reichen allen Antifaschisten die Hand, die willens sind, unter Wahrung demokratischer Rechte Deutschland wieder aufzubauen und der Menschheit den Frieden der Völker zu erringen. „(Beifall. )
Der heute gewählte Kreisvorstand ist allein berechtigt, die SPD im Kreise Neukölln zu vertreten. Ich bin weiterhin durch einstimmigen Beschluss des Kreisvertretertages Neukölln beauftragt worden, dem heute stattfindenden Parteitag der SPD Berlin folgenden Antrag zu unterbreiten:
„Der Kreisvertretertag beschliesst, dass die Genossen Max F e c h n e r,
Richard W e i m a n n
Karl L i t k e und
Rudolf Z i m me r m a n n
wegen parteischädigenden Verhaltens aus der Partei a u s g e s c h l o s s e n werden. (Beifall.)
Die Parteischädigung wird darin erblickt, dass die Genossen durch Unterzeichnung des Aufrufs des Zentralausschusses vom 2.4.46 dem demokratischen Prinzip der SPD dadurch entgegenhandelten, dass die Funktionäre ihrer Parteiämter enthoben werden) wenn sie nicht entgegen der Auffassung der von ihnen vertretenen Mitglieder der sofortigen Vereinigung KPD — SPD zustimmen. Die Genossen betrieben damit bewusst die Spaltung der Sozialdemokratischen Partei und schädigten mit der Missachtung demokratischer Rechte die lebenswichtigen Interessen des werktätigen Volkes.“ (Beifall.)
Genossinnen und Genossen, die werktätige Bevölkerung Neuköllns, des stärksten Verwaltungsbezirks von Gross-Berlin, ist sozialdemokratisch. (Beifall.} Ich schliesse mit dem Ruf: Es lebe unsere alte, stolze Sozialdemokratische Partei Deutschlands. (Starker, anhaltender Beifall.)
Vorsitzender A u s s n e r :
Ehe ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich den Genossen aus Zehlendorf, der die Liste am Eingang geführt hat, bitten, dass er sich mit der Mandatskommission sofort in Verbindung setzt.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Genossen Kräutlein, Heiligensee.
K r ä. u t l e i n, Heiligensee:
Genossinnen und Genossen, als wir im Juni die Partei gründeten, waren wir freudigen Herzens dabei, die alten demokratischen Grundsätze der Sozialdemokratie wieder in Kraft zu setzen. Wir waren froh, dass 12 Jahre Gewalt, 12 Jahre einer Einheitsliste vorbei waren. Aber wir wurden nicht ganz froh. Denn alle die Zusammenarbeit, die wir innerhalb der Arbeiterschaft anstrebten, stiess auf schwere Gegensätze. Nur mit Mühe gelang es uns, tat—sächlich zur Zusammenarbeit in den Kreisen und Abteilungen zu kommen. Die SPD war ja der Meinung, dass sie die Partei ist, der allein die Arbeiterschaft Deutschlands nachlief. Damals war es der Genosse Dahmen von der KPD, der in der Volkszeitung schrieb: Die KPD gewinnt in immer zunehmendem Masse das Vertrauen breitester Massen; sie ist an der Spitze der Betriebe, der Gewerkschaften, der Landwirtschaften, der Organe der Selbstverwaltung zu finden, es weht ein frischer demokratischer Wind, — bloss wir haben davon nichts gespürt. Aus der Tatsache, dass im Grossbetrieb die KPD alle Stimmen erhalten hat, geht hervor, dass die KPD die grösste Massenpartei Deutschlands wird. Ja, Genossinnen und Genossen, warum denn auf einmal diese Eile, mit uns zusammen eine Einheitspartei zu bilden? Warum dieses Theater gegen die Grabstimmung, die ja schon früher von den Gewerkschaften bei wichtigen Fragen immer durchgeführt worden ist. Man wirft uns vor, durch die heutige Veranstaltung förderten wir die Reaktion. Nein, nicht wir fördern die Reaktion, sondern die Genossen aus dem Zentralausschuss, (Sehr gut!) die Genossen, die mit Hitlermethoden in Versammlungen durch vollkommene Inanspruchnahme des Radios der Welt anscheinend beweisen wollen, wie ihre Demokratie aussieht. Und noch schlimmer ist es damit, wenn wir sehen, dass derjenige, der gegen den Stachel zu löcken wagt, nach der alten Scharfmachermethode behandelt wird: Wer nicht pariert, fliegt! Das ist Propaganda für die Reaktion, und weil wir diese Propaganda nicht wollen, weil wir der Welt und vor allen Dingen dem deutschen Volk beweisen wollen, dass Deutschland eine Demokratie ist, dass wir bereit sind, nicht nur demokratisch im Inland, sondern demokratisch mit der ganzen Welt zusammenzuarbeiten, deshalb lehnen wir die SEP ab. Damit wollen wir keinen Bruderkampf, aber wir wollen eine ehrliche Zusammenarbeit auf demokratischer Basis, und wenn die andern bereit sind, ehrlich, offen und demokratisch mit uns zusammenzuarbeiten, dann werden wir die letzten sein, die sie zurückstossen. Fair wollen auch ehrlich mit dem Osten und Westen zusammenarbeiten. Wir wollen der Welt zeigen, dass wir ein Deutschland demokratisch aufbauen zum Besten der Arbeiterschaft, des deutschen Volkes und zum Besten der Welt. (lebhafter Beifall.)
Vorsitzender A u s s n e r :
Es ist ein Geschäftsordnungsantrag auf Schluss der Debatte eingegangen. Ich möchte aber bitten, noch eine Vertreterin unserer Frauen sprechen zu lassen. Es hat sich die Genossin Jeanette Wolff gemeldet. Ich stelle den Antrag auf Schluss der Debatte zur Abstimmung und rechne mit dem Einverständnis der Versammlung
unter der Voraussetzung, dass erst noch die Genossin Wolff spricht.
Wer unter dieser Voraussetzung für Schluss der Debatte ist, den bitte ich um das Handzeichen. (Geschieht.) Danke, Gegenprobe? (Erfolgt.) Ich stelle Einstimmigkeit fest.
Jeanette W o l f f:
Verehrte Herren Offiziere der Besatzungsmächte, liebe Parteigenossen und liebe Parteigenossinnen!
Wer nie den Mut besass, die Freiheit zu erringen, besitzt auch nie die Kraft, um Grosses zu vollbringen.
Das war die Richtschnur, unter der wir Frauen in Berlin unsere Arbeit unter den allerschwierigsten Verhältnissen aufgenommen haben. Ich brauche nicht gegenüberzustellen: Dort stehen die Frauen mit der Meinung für die Einheit und hier gegen die Einheit, wir Sozialdemokratinnen Berlins sind alle für gemeinschaftliche Arbeit mit allen denjenigen, die ehrlichen Willens sind. Aber wir sind der Ansicht, dass unser zu Boden liegendes Vaterland nur im freien Spiel der Kräfte auf dem Boden einer wirklichen Demokratie wieder aufgebaut werden kann. (lebhafter Beifall.) Und weil wir das wissen, darum hüben wir den schweren Weg gewählt, nämlich den Weg, den alle Wahrheitssucher und alle Wahrheitskämpfer gehen müssen, den Weg, der oft durch Spiessruten und unter Schmutzkübeln hergeführt hat. Aber wir sind aus diesem Kampf rein hervorgegangen. Denn das, was uns die 8o Jahre lang bestehende Sozialdemokratie mit ihrer heiligen lehre des Sozialismus gegeben hat, das kann kein Unratkübel wegspülen. (lebhafter Beifall.) Wir haben die grosse Ehre, zu denjenigen zu gehören, die, weil sie sozialdemokratisch bleiben wollten, ausgeschlossen worden sind aus der Partei. Aber für uns sind diese Methoden nichts Neues. 6 1/4 Jahr Konzentrationslager resp. Zuchthaus für seine demokratische Überzeugung von Hitler, Göring und Göbbels diktiert, da macht es uns auch nichts aus, wenn man uns ein solches Ehrenbrieflein ausstellt. Wir wissen, was wir zu tun haben und kennen unsere Aufgaben, und darum haben die Frauen der Berliner Sozialdemokratie, nämlich jene Frauen, die für sich in Anspruch nehmen können, dass sie die Sauberkeit des politischen Lebens und die Menschenliebe als oberstes Gesetz betrachten, eine einzige Kampflinie. (Beifall. )
Wir stehen in den Geburtswehen einer neuen Welt. In jedem Volke der Welt ist der Mutterbegriff etwas Heiliges, und wir Berliner sozialdemokratischen Frauen wollen unsere Mutterhände .nehmen und das heilige Feuer der Begeisterung schützen und schirmen und anfachen, bis es zur lodernden Flamme höchster menschlicher Vollendung wird. (Lebhafter Beifall.) Wir wollen – das ist unsere Aufgabe – dem Leben von heute die neue, die sozialistische, nämlich die anständige Note, aufdrücken.
Unser Kampf ist der Kampf mit geistigen -gaffen. Wir wollen herausführen aus den Niederungen des Nazischutts das gesamte deutsche Volk zu einer höheren menschlichen Auseinandersetzung zwischen Menschen, die mit den Ideen des Geistes sich auseinanderzusetzen vermögen. (Beifall.) Und deshalb betrachten wir unsere Arbeit als etwas unendlich Wichtiges und Notwendiges. Die Genossen stehen in vorderster Reihe und führen den Kampf, aber wir stehen dahinter und feuern an, damit es vorwärts geht. (Starker Beifall.) Wenn einmal die Befreiung der Menschheit Wahrheit werden soll, wenn einmal das deutsche Volk, das durch 12 Jahre Naziterror zum wirtschaftlich ärmsten Volk der Welt herabgesunken ist, in der Reihe der Völker wieder seinen Platz einnehmen soll und. wiedergutmachen soll, was andere verschuldet haben, dann muss eine höhere Lebensform in Deutschland. Platz greifen, und diese höhere Lebensform wollen wir sozialdemokratischen Frauen hineintragen, und zwar durch Säuberung des politischen Lebens von jedem Schmutz und jeder persönlichen Verunglimpfung. (Starker Beifall.) Wir wollen aufräumen mit allem Nazischutt in Herzen und Hirnen. Wir wollen aufräumen mit der Parteibuchwirtschaft, die ein Überbleibsel aus der Hitlerzeit ist, die Deutschland nicht ertragen kann. (Sehr richtig!) Wir wollen kämpfen gegen das, was noch notwendig ist, um das öffentliche leben zu befreien von allem, woran wir noch kranken.
Genossen und Genossinnen, wie konnte es möglich sein, dass in die Sozialdemokratie der Zerspaltungskeil hineingetrieben wurde, was politisch unverständlich wurde? Weil man nicht operierte nach dem Grundsatz der Sozialdemokratie: Wahrheit, Klarheit, Menschlichkeit und Gerechtigkeit, sondern unverständlicherweise zurückfiel in die Aera von Hitler, Göring und Goebbels. (Lebhafter Beifall.) Wir wollen die Menschen untereinander dazu verpflichten, menschlich zu sein. Deswegen fort mit allen Propagandamethoden nach Goebbel’scher Art. Freiheit der Meinungsäusserung, Freiheit des Handelns, soweit die Gesamtheit dadurch nicht Nachteile hat, – das soll unser oberstes Gesetz sein. Bei Anstellungen soll nicht entscheiden das Parteibuch (Beifall), sondern die Eignung und die persönliche Anständigkeit. (Starker Beifall.)
Weite Kreise unseres Volkes haben ihre politische Heimat nach den 12 Jahren Terror noch nicht wiederfinden können. Aber in all den Herzen derer, die auf Grund des Terrors zu beklagen haben den Verlust lieber Angehöriger, den Verlust ihrer bluteigenen Menschen, ihres Heims und ihres bisschen Wohlstands, in all diesen Menschen lebt eine geheime Stimme, die nach einer Heimat des Herzens ruft, und wir Berliner Frauen haben diese Heimat des Herzens im Sozialismus, und wir wollen sie alle heranholen zur wahren Heimat des Herzens, damit sie sich wieder wohlfühlen in unserem armen getretenen deutschen Vaterland. (Beifall.) Deswegen sage ich: Heran an unsere Arbeit. Wir können nicht versprechen, von heute auf morgen die Verhältnisse grundlegend zu ändern, wir können alles nur im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten fordern oder erringen, (Sehr gut!) Aber zur Forderung höchster Menschlichkeit, höchst freundschaftlichen Zusammenlebens, von Anständigkeit und Reinheit des Lebens überhaupt, sind uns nach oben hin keine Schranken gesetzt. (Beifall.)
Genossinnen und Genossen, so wollen wir uns bemühen, in der nächsten Zeit die Aufgabengebiete zu meistern, die himmelhoch vor uns liegen. Aber die Freude ist die Quelle aller Kraft, und so sage ich: mit der heiligen Freude, die alte Sozialdemokratie mit dem neuen Geiste höchster Menschlichkeit zu erfüllen, werden wir die Aufgabe meistern, wenn jene Besatzungsmächte, mit denen wir zusammenarbeiten wollen und müssen, uns bei dem Kampf um Freiheit und Menschlichkeit den genügenden freien Atem lassen. (lebhafter Beifall.)
Mit dem Kinde werden wir die Erziehung beginnen. Wir werden unsere Kindergruppen in der nächsten Zeit schaffen. (Beifall.) Wir werden ihnen Luft und Licht und Sonne geben, und alles, was an Kriegsbereitschaft erinnert, verschwindet in der Versenkung. (Beifall.) Eine neue deutsche Sprache wird gefunden, die beginnt mit den Worten: Freund zu Freund, liebe Deinen Nächsten, der da ist wie Du. Das ist die Sprache der Menschlichkeit, die wir zu reden beabsichtigen. Wir haben die lebendigen Beispiele vor Augen. überall, wo wir gesehen haben, dass man nicht reinen Herzens um eine Idee ringt, kann der Vater nicht seinem Sohn beibringen, dass die Idee die richtige ist. Wir wollen ehrlichen Herzens um das sozialistische Gemeinschaftsleben ringen. Was Du nicht willst, dass man Dir tu‘, das füg‘ auch keinem andern zu. Das ist die beste sozialistische Erziehung. Aber wir wollen heute geloben allen denjenigen, die durch 12-jährigen Terror gelebt und gelitten haben und die mit ihrem Blute den Boden Europas gedüngt haben als Opfer eines räuberischen Krieges, allen denjenigen, die auf Grund von Sportpalastmethoden in den Konzentrationslagern Deutschlands zu Tode gekommen sind, allen denjenigen, die heute weinend vor der Aufgabe stehen, ein neues Dasein sich zu erringen allen denen, die diesseits und jenseits der Grenzen gestorben sind, geloben wir sozialdemokratischen Frauen, dass unsere heilige Aufgabe darin besteht, die Herzen und Hirne der Jugend, der Kinder der Frauen, der Mütter offen zu halten für den Gedanken, dass nur der Friede und die Völkerversöhnung ein neues Glück für alle herbeiführen können. (Starker Beifall.)
Wir geloben heute – und damit komme ich zum Schluss – all denjenigen, die man draussen von der anderen Seite auf die Propagandazettel gestellt hat, worüber, wenn sie heute noch lebten, unsere Genossen, wie August Hebel, wie Wilhelm Liebknecht, sich die Augen reiben würden über solch ein Vorgehen, was in den 8o Jahren unbekannt war; wir geloben allen denen, die unsere Vorkämpfer waren, einem Marx, Engels, Liebknecht, Bebel, Ebert: dass wir das Sprichwort
„Was Du ererbt von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“
heilig halten werden, so lange noch ein Atem in unserer Brust ist und dass wir kämpfen wollen um unsere Freiheit heute, morgen und immerdar, bis der Tag kommt, an dem eins feste geeinte Sozialdemokratie Deutschlands die „Wege für den Sozialismus der gesamten Welt vorbereitet hat und wir Frauen sagen können:
„Was hinter uns, war Krieg, war Wahn, war Hassen, war Irrtum, Unrecht, war verlorene Zeit.
Doch vor uns liegt, zum Greifen nah‘, zum Fassen das Reich der liebe und der neuen Menschlichkeit!“
(Stürmischer, anhaltender Beifall.)
Vorsitzender A u s s n e r
Genossinnen und Genossen, in Anbetracht der vorgerückten Zeit bitten wir die Genossen S w o 1 i n z k y und Dr. S c h u l z von ihren Referaten heute Abstand zu nehmen; sie sind gewillt, diese Referate bei einer grösseren Kundgebung, die in nächster Zeit stattfinden wird, zu halten. (Zuruf: Rundfunk! – Heiterkeit.)
Wir haben hier eine programmatische Erklärung, die in Gemeinschaft arbeit von mehreren Genossen ausgearbeitet und aufgestellt wurde. Der Genosse D ü n n e b a c k e aus Reinickendorf wird so freundlich sein, diese Proklamation zu verlesen.
D ü n n e b a c k e , Reinickendorf:
Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, anzunehmen, dass die Fragen, die uns in den letzten Monaten bewegt haben, rein äusserlicher Natur waren. Im Gegenteil, jedem Denkenden ist klar geworden, dass es sich dabei auch um ideologische Meinungsverschiedenheiten handelt, die uns heute noch von der Kommunistischen Partei und leider auch vom Zentralausschuss trennen. Es erschein uns daher notwendig, diese grundsätzlichen Unterscheidungen einmal klar herauszustellen, vor allen Dingen im Hinblick auf die alten Grundsätze unseres demokratischen Sozialismus. Eine kleine Kommission hatte den Auftrag, eine kurze Erklärung auszuarbeiten. Diese Formulierung kann nur provisorischer Natur sein. Es standen uns nur wenige Stunden zur Verfügung. Die Erklärung muss in der nächsten Zeit vertieft und weiter ausgearbeitet werden. Ich bringe sie zum Vortrag:
„Die Sozialdemokratische Partei hat in der kurzen Zeit ihres neuen Bestehens bereits den Prozess der inneren Klärung in den kritischen Punkten überwunden. Sie verkündet heute im Bewusstsein ihrer Unabhängigkeit und aus der Verpflichtung der politischen Partei gegenüber dem Volke die Grundlinien ihrer Politik.
Die Sozialdemokratie hat erkannt, dass sie vor Aufgaben steht wie sie in der Geschichte noch nicht bestanden haben. Zwei Kriege von unvergleichlichen Ausmassen haben innerhalb eines Menschenlebens vollkommen neuartige Verhältnisse geschaffen. Jede Lösung der heute vorhandenen Schwierigkeiten verlangt als Voraussetzung die Unbefangenheit des Handelnden, die Ablehnung jedes Vorurteils. Nur ein Wert blieb in diesem grossen Prozess der Umwertung aller Dinge erhalten, der Begriff des Menschentums.
Die Ideale der Sozialdemokratie bleiben die gleichen, für die bereits unsere Väter das Ringen um die Höherführung der menschlichen Gesellschaft führten, sind durch den Ablauf der Weltgeschichte in den letzten drei Jahrzehnten entscheidend verändert worden.
Wir müssen feststellen:
Das alte sozialistische Programm, das die klassenlose Gesellschaft nur über den Weg des Klassenkampfes) des Kampfes der arbeitenden Menschen um die gesellschaftliche Gleichberechtigung erreichen konnte) ist heute durch die Entwicklung überholt. Die zerstörende Gewalt der letzten beiden Kriege hatte die Proletarisierung des ganzen deutschen Volkes zur Folge: der Klassenkampf hat damit seine Voraussetzungen verloren.
Wir stehen heute bereits auf der nächsten Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung. Wir arbeiten an der Höherführung des Menschentums.
Es geht um die Klärung von Anspruch und Verpflichtung zwischen Individuum und Gesellschaft — es geht um die Sicherung der materiellen Existenz der menschlichen Gesellschaften.
Wir Sozialdemokraten vertreten den Grundsatz, dass der Mensch, die Persönlichkeit, der Ausgangspunkt für jede Betrachtung sein muss. Die Gesellschaft ist der- Rahmen, doc~ nicht der Inhalt unserer Welt. Den Kollektivmenschen, d.h.. den Menschen, der nur Objekt einer anonymen Gesellschaft ist, lehnen wir ab. Immer wird es unser Ziel bleiben, das Höchstmass an persönlicher Freiheit innerhalb der Gesellschaft zu erstreben, und dieses Höchstmass wird gleichbedeutend mit dem Empfinden des Glückes im selbstbewussten Menschen sein.
Wir arbeiten für die Sicherung der Persönlichkeitsrechte, wir kämpfen um die Demokratie.
Die materielle Existenz ist die Grundlage alles irdischen Lebens. Entsprechend den Erkenntnissen des wissenschaftlichen Sozialismus werden wir dafür Sorge tragen, dass die materiellen Güter im Interesse der Gesellschaft verwertet werden und nicht der egoistischen Raffgier des Einzelnen überlassen bleiben. Dabei werden wir nie vergessen) dass das berechtigte Interesse des Einzelnen als eine treibende Kraft im gesellschaftlichen Leben eingeschaltet bleiben muss.
Wir beschränken uns in dieser Erklärung auf die Darlegungen der Grundlinien unserer politischen Arbeit. Wir vermeiden es bewusst, Dogmen aus den Ideen unserer Väter zu schaffen, denn diese fordern ihre Formulierung unter gesellschaftlichen Verhältnissen der Vergangenheit, die von den heutigen grundverschieden sind. Wir wollen den neuen Erkenntnissen den Weg freihalten. Darum lehnen wir es auch ab, politische Entscheidungen zu treffen, durch einfaches Konstruieren von Parallelen an politischen Ereignissen in der Vergangenheit.
Im einzelnen soll sich unsere Politik auf folgenden Grundsätzen aufbauen:
1. Die Sozialdemokratische Partei Berlins ist ein Teil der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Sie hält mit allen Sozialdemokraten im übrigen Deutschland enge Fühlung und tritt mit allen Kräften fair den baldigen Aufbau einer einheitlichen, geschlossenen Organisation der Partei für ganz Deutschland ein. Bis dahin wird sie mit aller Kraft sehen, von sich aus für die Ziele der Sozialdemokratie zu streben.
2. Die Sozialdemokratische Partei will das Zusammenleben der Menschen auf eine neue Grundlage stellen. Sie will den Sozialismus. An die Stelle des landwirtschaftlichen Grossgrundbesitzes soll dort, wo das noch nicht geschehen ist, das Eigentum von Kleinbauern, die aber der Gemeinschaft verpflichtet sind, oder grössere für die Gemeinschaft geführte Betriebe treten. Das private Eigentum an grösseren Flächen anderen Bodens macht den Erwerb von Gemüseland für viele unmöglich und verteuert das Bauwesen. Solche Bodenflächen müssen daher in das Eigentum der Gemeinschaft überfahrt werden.
3. So lange das Wohnungswesen in privater Hand liegt, sind die meisten Menschen zu unwürdigen Wohnverhältnissen verurteilt. Hier Wandel zu schaffen ist jetzt, wo durch den Krieg ein grosser Teil des Volkes Habe und Heim verloren hat, und wo die jüngeren Menschen, besonders die Mädchen, kaum noch auf einen baldigen eigenen Haushalt hoffen können, besonders wichtig.
4. In einer Zeit, wo nur wenige ihr Eigentum behalten haben und wo fast alle gezwungen sind von ihrer Arbeit zu leben, ist die Überführung der Reste der zusammengebrochenen kapitalistischen Wirtschaft in eine sozialistische Ordnung ein Gebot der Gerechtigkeit – und dringendes Interesse der grossen Mehrheit des ganzen Volkes. — Bei dieser Neugestaltung der Wirtschaft wird die Sozialdemokratische Partei in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften für die Interessen aller Arbeitenden, gleichgültig welcher Art ihre Arbeit ist, eintreten und nach Kräften sich für eine Besserung der Arbeitsbedingungen und, wenn möglich, eine Erhöhung der realen löhne einsetzen.
5. Dazu ist Voraussetzung, dass eine Inflation vermieden und ein gesundes Geldwesen wiederhergestellt wird. Die Sozialdemokratische Partei tritt für eine Sozialisierung des Bank- und Börsenwesens ein, — Eine Wiederherstellung des Sparbetriebes, ist Voraussetzung für die Gesundung der Wirtschaft. Daher wünscht die Sozialdemokratie eine Kontrolle der umlaufenden Banknoten und eine begrenzte Öffnung der alten Konten.
6. Die Überführung des Eigentums an Grund und Boden und Produktionsmitteln in die Hände der Gemeinschaft ist nicht Selbstzweck. Die Sozialdemokratische Par_. will sie um des Menschen willen. Der Mensch soll frei von Not und frei von wirtschaftlicher Unterdrückung sein. Ebenso soll er aber auch nie wieder politisch unterdrückt werden, er soll ein Leben führen können, frei von Furcht und mit der Möglichkeit, seine Meinung in Wort und Schrift frei zu äussern. Die Sozialdemokratische Partei will die Demokratie.
7. Unter Demokratie, Herrschaft des Volkes, versteht die Sozialdemokratische Partei, dass der Wille des Staates bestimmt wird nicht durch den Willen Einzelner oder einer Minderheit, sondern durch die freie Entscheidung der Mehrheit aller Staatsbürger. Diese Entscheidung setzt eine freie Äusserung aller Meinungen, auch der der Minderheiten voraus. In der Demokratie haben aber nur solche Parteien Existenzberechtigung, die die Grundsätze der Demokratie anerkennen und befolgen. Die Mehrheit lenkt und sichert den Staat, sie entscheidet also auch aber die Gestaltung des Wirtschaftslebens.
8. Der deutsche Volksstaat soll allen deutschen Stämmen die Möglichkeit zur freien Entfaltung ihres kulturellen Eigenlebens geben. Er wird daher jede gewaltsame Gleichmacherei und alle unnötigen Eingriffe der Zentralgewalt in das Sonderleben der einzelnen deutschen Länder und Provinzen vermeiden. Andererseits aber ist eine zweckvolle und planmässige Gestaltung des deutschen Gesamtlebens nur bei einer mit genügenden Befugnissen ausgerasteten Regierung für Gesamt-Deutschland möglich.
9. Die Rechtspflege muss davon ausgehen, dass die Persönlichkeit eines jeden Menschen einen unbedingten Anspruch auf Achtung durch den anderen Menschen hat. Diese muss durch einen wirksamen Rechtsschutz verbargt werden. — Zu der neuen Rechtspflege ist eine gründliche und schnelle Reform der einschlägigen Gesetze und Verordnungen, vor allem aber auch die Ersetzung aller volksfremden Richter und Strafvollzugsbeamten durch neue Menschen sowie ein entsprechender Ausbau der Polizei notwendig. Sie ist die Voraussetzung, wenn die Menschen. im Staate frei von Furcht für Leib und leben, Ehre und Eigentum leben sollen.
10. Die Sozialdemokratische Partei will eine neue Erziehung, die vom Kindergarten bis zur Hochschule der ganzen deutschen Jugend ohne Unterschied des Herkommens und der Konfession die Möglichkeit geben soll, die Bildung zu erhalten, die der Begabung eines jeden einzelnen entspricht.
11. Auf dem Gebiet der Weltanschauungen hat die Sozialdemokratie Achtung vor jeder ehrlichen Überzeugung. In ihr soll und kann sich der religiöse Mensch und der Christ genau so heimisch fühlen wie der Anhänger einer atheistischen Weltanschauung. In der Geschichte sieht die Sozialdemokratie die wirtschaftlichen Kräfte als besonders wirksam an, lehnt aber eine vergröbernde Ausschliesslichkeit ökonomischer Gesichtspunkte ab. Andererseits hält es die Sozialdemokratische Partei für abwegig, die religiöse Frage in die Kämpfe der Politik hineinzuziehen.
12. Die Achtung vor dem Menschen darf nicht an den Grenzen des Landes oder des Volkes Halt machen, sondern muss in gleicher Weise für alle Menschen ohne Unterschied des Volkstums oder der Rasse gelten. Die Sozialdemokratische Partei strebt eine freundschaftliche Zusammenarbeit mit allen Völkern an. In der Organisation der Vereinten Nationen sieht sie einen verheissungsvollen Anfang für eine überstaatliche Rechtsordnung. Eine besonders enge Zusammenarbeit strebt die Sozialdemokratie mit den Bruderparteien in allen Bändern und dar Internationalen Gewerkschaftsorganisation an.
Sozialdemokraten Berlins: Unsere Organisation ist erneuert. Erfüllt sie mit neuem Geist und neuer Kraft.
Sozialdemokratische Partei Berlins.“
S c h o l z , Zehlendorf – zur Geschäftsordnung
Der Genosse Dünnebacke hat eine Art Parteiprogramm vorgetragen. Ich möchte den Antrag stellen, den Entwurf den Abteilungen vorzulegen. Es ist unmöglich, heute dazu Stellung zu nehmen. Ich beantrage, die Sache heute nicht zu behandeln, sondern dass der neue Bezirksvorstand uns möglichst bald die Entwürfe zuleitet.
Vorsitzender A u s s n e r :
Dagegen ist nichts einzuwenden. Wir werden so verfahren.
Zu dem Antrag von Neukölln betreffend Ausschluss von Fechner, Weimann, Litke, Zimmermann ist ein Zusatzantrag eingegangen, der beantragt, den gesamten Zentralausschuss auszuschliessen. Bevor wir uns damit beschäftigen, erteile ich dem Genossen
Horlitz als Vorsitzendem der Mandatsprüfungskommission das Wort zu seinem Bericht.
H o r l i t z
Die Mandatsprüfungskommission unterbreitet Ihnen folgenden Bericht:
Es sind wahlberechtigte Mitglieder angemeldet: 57.015. Es fehlen die Angaben der Kreise Treptow und Köpenick. Danach sind stimm-berechtigt rund 471 Delegierte. Anwesend sind 464 Delegierte. Dazu kommen 20 Kreisleiter, insgesamt 485. Da die Gastkarten von den Delegiertenkarten sich in der Farbe nicht unterscheiden, möchte ich bitten, die Kontrolle gegenseitig auszuüben. Abzustimmen haben nur die Inhaber von Delegiertenkarten.
Vorsitzender A u s s n e r:
Soviel mir bekannt ist, sind die Gastkarten abgegeben worden.
Sollte ein Genosse noch eine Gastkarte haben, bitte ich, sie abzugeben bzw. nicht mit abzustimmen. Selbstverständlich haben nur die Delegierten Stimmrecht.
D i c k f e l d, Neukölln – zur Geschäftsordnung:
Zu dem Zusatzantrag, den gesamten Zentralausschuss auszuschliessen, möchte ich bemerken, dass wohl auch im Zentralausschuss noch beute sind, die gegen die Einigung sind, Wir müssen berücksichtigen, dass die nicht ausgeschlossen werden dürfen.
Vorsitzender A u s s n e r:
Genossinnen und Genossen, ich stelle fest, dass der Genosse
Neubecker die Erklärung abgegeben hat, dass er nicht daran denkt) in diesen Zentralausschuss jemals zurückzukehren. Infolgedessen betrachtet er sich nicht als Mitglied des Zentralausschusses, Er ist infolgedessen hiermit auch nicht ausgeschlossen.
Genosse Swolinzky spricht zu diesem Antrag.
S w o l i n z k ,y , Neukölln:
Aus Gründen der Korrektheit schliesse ich mich dem Antrag des Neuköllner Genossen an. Wir können nicht summarisch Manschen ausschliessen, bevor wir keine bindenden Erklärungen von ihnen haben, vor allen Dingen, wenn wir ihre Namen nicht wissen. Wir wollen so verfahren: Wir entscheiden den Antrag Neukölln und überlassen es den Kreisen, denen wir meinetwegen den Auftrag geben, in ihren eigenen Kreisen die notwendige Ordnung zu schaffen. Ich hoffe, das liegt im Interesse einer ordnungsgemässen demokratischen Erledigung.
Vorsitzender A u s s n e r:
Es liegt der Antrag vors den Antrag Neukölln zu erweitern. Wer dafür ist, dass der Antrag Neukölln auf sämtliche Mitglieder des Zentralausschusses und auf sämtliche Mitglieder des Bezirksvorstandes erweitert wird — das ist ein Antrag, ich muss darüber abstimmen lassen, da Swolinzky einen anderen Standpunkt einnimmt – wer für die Erweiterung ist, den bitte ich um das Handzeichen. (Geschieht.) Bitte um die Gegenprobe. Ich bitte, die Delegiertenkarten hochzuheben, nur diese haben Stimmrecht. (Geschieht.)
Ich stelle fest, das ist die überaus grosse Mehrheit. Somit stelle ich jetzt den Antrag, wie er von Neukölln eingereicht wurde, zur Abstimmung. Wer dafür ist, dass die Genossen
Max Fe ohne r,
Richard Weimann,
Karl Litke,
Rudolf Zimmermann
(Zuruf: Grotewohl!)
Der steht nicht drauf, und die Erweiterung wurde abgelehnt. Infolgedessen haben wir nur noch über den Antrag Neukölln abzustimmen. Wer dafür ist, dass dieser Antrag angenommen wird, den bitte ich um das Handzeichen. (Geschieht.) Ich danke. Die Gegenprobe? (Geschieht.) Ich stelle fest: Annahme gegen zwei Stimmen.
Genosse Kischkat zu einer Erklärung.
K i s c h k a t:
Betreffend die Ausschlussanträge möchte ich nur mitteilen, dass die Kreisvertreterversammlung Schöneberg und Friedenau, die gestern getagt hat, den Beschluss gefasst hat, die Genossen Grotewohl und Karsten sowie die Bezirkssekretäre des Bezirksverbandsvorstandes, und zwar Wendt und Thurau, die in unserm Kreis ihren Wohnsitz haben, ebenfalls aus der Partei auszuschliessen. Ich möchte bitten, wie bereits vom Genossen Swolinzky empfohlen worden ist, in den nächsten Versammlungen die in anderen Kreisen wohnenden Mitglieder des Zentralvorstandes und Bezirksvorstandes ebenfalls auszuschliessen, weil Ihr sie am besten kennt. (Sehr richtig!)
Vorsitzender A u s s n e r: Somit kommen wir zur
Wahl des neuen Berliner Vorstandes.
Sämtliche Kreisleiter sowie die fünf Genossen, die durch die Kreisleiter gewählt wurden, um die Vorarbeiten und die Leitung des heutigen Bezirksparteitages zu übernehmen, haben sich folgende Vorschläge geeinigt, und sie sind mit Zetteln in diesem Gremium gewählt worden. Daher schlagen wir Euch vor) die liste anzunehmen. Ich werde die liste ganz langsam vorlesen. Es bleibt natürlich jedem einzelnen unbenommen, andere Vorschläge einzubringen. Aber ich wiederhole nochmals, wir empfehlen Euch, die liste so anzunehmen, wie ich sie verlese. Ich betone ins besondere, dass es sich hier um keine Posten und keine bezahlten Stellen handelt sondern wir haben uns bereit erklärt, diese Arbeit ehrenamtlich zu machen, (Beifall.) und zwar so lange ehrenamtlich, wie es überhaupt vereinbar ist, zum mindesten so lange ehrenamtlich, bis der nächste Bezirksparteitag dann endgültig einen Vorstand für ein Jahr wählt. (Beifall.)
Als drei gleichberechtigte Vorsitzende:
N e u m a n n, Reinickendorf,
G e r m e r Wilmersdorf,
S w o 1 i n z k y, Tempelhof.
Kommen dazu weitere Vorschläge oder Änderungswünsche? (Zuruf: Frau Wo l f f . )
Frau Wolff ist vorgesehen bei den Frauen) sie kommt in den Vorstand hinein. Ich werde erst einmal die Gesamtliste verlesen.
Hier, das ist der Genosse Neumann. (Beifall.)
Genosse Swolinzky. (Beifall.)
Genosse Dr. Schulz als Pressereferent bekannt durch seinen offenen Brief an den Genossen Pieck. (Beifall.)
Als Kassierer ist meine Wenigkeit vorgesehen. Mein Name ist Aussner. Ich gehöre zum Kreisvorstand Spandau.
Als politischer Sekretär wurde der Genosse Wilke vorgeschlagen. (Beifall.)
Ihm beigeordnet ist der Genosse Lohrenz, Spandau. (Beifall.) Für die Gewerkschaften ist der Genosse Scherff vorgeschlagen. Er war Vorsitzender des Telegrafenarbeiterverbandes und wurde wegen seiner Haltung aus der Gewerkschaft ausgestossen. (Pfui-Rufe.)
Für die Frauen schlagen wir Euch vor Jeanette Wolff, die vorhin gesprochen hat (Beifall) und die Genossin Hannemann aus Britz (Beifall), die allen bekannt ist aus der Funktionärversammlung, die illegal einberufen war und die als Diskussionsrednerin unsere Meinung klar und deutlich ausgesprochen hat. Für die Jugend schlagen wir die Genossin Bodin aus Spandau vor, die in der Studentenversammlung dem Genossen Grotewohl so die Meinung gesagt hat, dass alle Studenten das verstanden haben und dementsprechend auch dem Genossen Grotewohl die Antwort gegeben haben. (lebhafter Beifall.) Als männlicher Genosse steht ihr zur Seite der Genosse Liebmann aus Kreuzberg (Beifall.)
Wir haben bewusst Genossen gewählt, die das nötige Rüstzeug mitbringen, um die Jugend zu lenken. Die Frauenvertreterin wird auch hinzugezogen zum Vorstand.
Wir werden diesen Vorstand selbstverständlich noch hier und da erweitern. Wir werden insbesondere alte verdienstvolle Genossen hineinziehen, die uns beratend zur Seite stehen, nicht als Vorstandsmitglieder, sondern als beratende Genossen, die uns die nötige Lenkung geben. Wir werden es alsdann mit jugendlichem Eifer und Elan weiter bringen zum Wohle unserer Partei. (Beifall.)
Weiterhin benötigen wir 3 Kassenrevisoren. Die haben wir selbstverständlich nicht benannt, sondern das bleibt ganz Euch überlassen, wen Ihr dafür vorschlägt. (Zuruf: Kischkat.)
Ich möchte Euch bitten, gebt die Vorschläge auf einem Zettel herauf. (Geschieht.) Soviel Geld haben wir gar nicht, wie Kassenrevisoren. Es wurden vorgeschlagen:
Kischkat, Schöneberg,
Arndt, Wedding,
Eichner, Pankow,
Mengert, Tempelhof,
Solla, Britz,
Theiss, Britz,
Schott, Zehlendorf.
Wer damit einverstanden ist, dass die zuerst verlesenen drei – Kischkat, Arndt, Eichner als Kassenrevisoren bestätigt werden, den bitte ich um das Handzeichen (Geschieht.) Danke, die Gegenprobe.)(Erfolgt.)
Ich stelle Einstimmigkeit fest. Somit haben wir die Kassenrevisoren schon gewählt ehe wir einen Kassierer haben. Wünscht jemand das Wort?
Der Genosse Megelin, Reinickendorf.
M e g e 1 i n Reinickendorf :
Ich habe gegen den vorgeschlagenen Vorstand an sich keine Bedenken, ich möchte aber zu einem Punkt doch etwas sagen und halte es für unbedingt erforderlich, dass wir noch eine kleine Änderung vornehmen. Und zwar handelt sich um die Jugendarbeit des Bezirksvorstandes. Unsere Sterne verblassten, als das Thema „Einheit“ auftauchte. Ich habe einen guten Überblick über die Jugendarbeit und mache den Vorschlag — ich habe nichts gegen die Genossin Bodin und möchte, dass sie darin ist, aber mein Vorschlag geschieht im Interesse der Jugendarbeit. Bei der Jugend ist es nicht so einfach. Deshalb schlage ich vor, dass wir noch zwei männliche hinzunehmen, und zwar Kurt Schmidt, Neukölln (Beifall), und Heinz Westphal, den wir alle kennen.
Max Westphal war sein Vater, ein bekannter Mann in unserer Bewegung. Ich möchte bitten, die Sache nicht zu verzetteln, ich komme aus der Praxis und schlage die Richtigen vor.
Vorsitzender A u s s n e r:
Wir möchten selbstverständlich der Jugend die Entscheidung überlassen. Aus diesem Grunde schlage ich vor, dass die Kreisjugendausschüsse sich ihren Jugendvertreter selbst wählen, und die. werden solange fungieren, bis der nächste Parteitag sie ordnungsgemäss wählt. Es ist selbstverständlich, dass in den engeren Vorstand nicht von jedem Kreis nun ein Jugendlicher einziehen kann. Dafür haben wir ja die Aufklärung der Jugendausschüsse. Ich schlage jedenfalls vor, der Jugend zu überlassen, wen sie uns in den Vorstand hineinwählen will. Aber wie die Genossen uns benannt sind, möchten wir doch bitten, Genossin Bodin und Genossen Liebmann zu beauftragen.
(Megelin: Ich bin für Schmidt.)
Genossinnen und Genossen! Wir kommen nun langsam zur Wahl. Ich stelle fest, dass als Jugendvertreter zwei männliche Genossen vorgeschlagen sind. Wir werden nachher darüber abstimmen. Das ist alter demokratischer Brauch, und das werden wir so handhaben. Will jemand zu den Vorschlägen sprechen?
Lehmann :
Ich möchte bitten, von drei gleichberechtigten Vorsitzenden Abstand zu nehmen, sondern als ersten Neumann, zweiten Swolinzky, dritten Germer. loh halte diese Lösung für besser.
Vorsitzender A u s s n e r:
Auf Grund der Ausführungen des Genossen muss ich die Gründe nennen, warum wir uns bereit erklärt haben, gleichberechtigte Vorsitzende zu wählen. Wie ich erwähnte, machen wir die Arbeit ehrenamtlich. Genosse Neumann ist nebenbei Bürgermeister, Swolinzky hat ein Geschäft. Es wird einmal so sein, dass Neumann, ein anderes Mal Swolinzky oder Germer da ist. Sie müssen dann das volle Recht zur Entscheidung haben. Das haben sie in dem Moment nicht mehr, wenn wir sie der Reihe nach wählen. Es ist nur eine vorläufige Sache, und wir versprechen auch felsenfest, wir warten nicht so lange, wie der Zentralausschuss. Wir werden Euch in allerkürzester Frist hierher bitten, um entsprechend zu wählen. Hat sonst noch jemand Vorschläge?
(. . . . Ich möchte anstelle des Genossen Germer den Genossen Schöpflin vorschlagen.)
Schöpflin, Neukölln:
Ich habe heute den Kreis Neukölln übernommen. Da liegt soviel Arbeit vor, dass ich mich keiner zweiten Aufgabe unterziehen kann. So sehr ich für die Kandidatur dankbar bin, möchte ich bitten, damit einverstanden zu sein, dass ich ablehne.
L ü d e m a n n
Ich halte zwei Frauen für zu wenig. Ich schlage vor, als dritte Frau die Genossin Ida Wolff hinzuzuwählen.
Vorsitzender A u s s n e r:
Wir haben nichts dagegen, aber wie vorhin bekannt wurde, hat Genossin Ida Wolff erklärt, sie kann im Moment die Arbeit nicht übernehmen.
L a n g e , Schöneberg:
Es wird doch beabsichtigt, in allerkürzester Zeit unser neues Parteiorgan, den „Vorwärts“, herauszugeben. Da möchte ich anfragen, ob die Personalfragen heute hier mit verhandelt werden. (Widerspruch.) Ich stehe grundsätzlich auf dem Standpunkt, dass nicht eine Personalunion zwischen Vorstandsmitgliedern) Redakteuren und Lizenzinhabern bestehen kann, wenn wir die Demokratie in unserem neuen Parteiorgan haben wollen, die wir im „Volk“ nicht gehabt haben.
Vorsitzender A u s s n e r :
Dazu kann ich erklären, dass diese Sache wohl noch nicht ganz spruchreif ist. Wie Ihr alle wisst, muss man erst eine Lizenz haben. Es ist selbstverständlich daran gedacht, dass diese neue Zeitung Parteieigentum wird und nicht ein Privatunternehmen. Das ist selbstverständlich, und die Besprechungen dieserhalb werden bestimmt im Beisein der Kreisleiter stattfinden, so dass jeder Kreis die Möglichkeit hat, seine Einwände und Vorschläge vorzubringen.
Da weitere Vorschläge nicht eingegangen sind, so stelle ich den Vorschlag der Kreisleiter hiermit zur Abstimmung, mit Ausnahme der Jugend. (Sehr richtig!)
(Zur Geschäftsordnung.) Wir befinden uns in der Abstimmung; da kann ich zur Geschäftsordnung kein Wort erteilen.
Wer dafür ist, dass diese Liste, wie sie vorgeschlagen ist, angenommen wird, mit Ausnahme der Jugend, worüber wir extra abstimmen werden, den bitte ich um das Handzeichen. (Geschieht. Ich danke, bitte um die Gegenprobe.
Ich stelle fest: Der Vorstand wurde gegen eine Stimme bis auf die Jugendvertretung gewählt.
Wir kommen nun zur. Abstimmung über die Jugendlichen. Wir hatten Ihnen vorgeschlagen: Genossen Liebmann, Kreuzberg. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. Ich danke. Wer für den Genossen Kurt Schmidt ist, den bitte ich um das Handzeichen. (Zuruf: Erweiterung.) Nein, das ist eine augenblickliche Wahl. Ich glaube, feststellen zu können) dass das erste die Mehrheit war. Somit ist der Genosse Liebmann als Jugendvertreter gewählt
Wer für die Wahl der Genossin Bodin ist, den bitte ich um das Handzeichen. (Geschieht.) Danke. Gegenprobe. (Geschieht.) Ich stelle fest: gegen zwei Stimmen.
Somit ist der Vorstand so, wie er vorgeschlagen wurde, gewählt.
(Zuruf: Gewählt!) Jawohl, der ist. gewählt!
Ich erteile nunmehr dem Genossen Neumann das Schlusswort.
N e u m a n n Reinickendorf:
Genossinnen und Genossen, ich danke Euch im Namen der gewählten Vorstandsmitglieder für das Vertrauen. Wir werden durch unsere Arbeit den Beweis antreten, dass wir des Vertrauens würdig sind. Ganz wenige Punkte nur noch. Vorerst eins: mich verbindet eine Freundschaft mit dem Genossen Rüdiger seit dem Jahre 1919. Ich weiss, dass er eine schwere Pflicht erfüllte, als er heute hierher kam und seinen Auftrag ausführte und zu uns sprechen wollte. Wir konnten seinem Wunsche nicht nachkommen. Ich möchte aber
doch betonen, dass der Genosse Rüdiger während der gesamten Jahre wo wir mit ihm zusammen gearbeitet haben, einer der anständigsten Genossen war, (Sehr gut!) und dass er diese Anständigkeit gerade im letzten Vierteljahr unter Beweis gestellt hat. Rüdiger hat nicht nur während der legalen Zeit, sondern während der illegalen Zeit viel Mut und Treue bewiesen. Ich möchte hier eins sagen, weil wir ja heute gerade den Fall Rüdiger besprochen haben. Rüdiger hat an dem Tage, an dem ich mit anderen Freunden
vor dem Strafsenat des Kammergerichts im Hochverratsverfahren war, wenige Meter von uns im Zuhörerraum gesessen, obwohl in der Anklageschrift auch von ihm die Rede war. Diesen gleichen Mut hat er in vielen anderen Prozessen bewiesen. Ich hoffe, dass wir viele Rüdigers auch auf der anderen Seite haben und dass sie sich menschlich so zeigen, dass wir auch in Kürze sie in unseren Kreisen begrüssen dürfen. (Beifall.)
Genossen, es ist vom Genossen Schöpflin darauf hingewiesen worden dass heute noch mit Wirkung von vorgestern Ausschlüsse vollzogen sind. Es ist für die Juristen, für unseren kommenden Reichsausschuss, wichtig, zu prüfen, wieweit da irgend eine Veranlassung ist. Ich möchte nur feststellen, dass bei mir eine juristische Frage wahrscheinlich nicht auftreten kann, da ich bis zum heutigen Tag nicht ausgeschlossen war. (Heiterkeit.)
Zur Jugendfrage möchte ich nur wenig sagen. Wir wussten nicht, dass nach Schluss der Rednerliste eine Reihe von Jugendgenossen sich gemeldet haben. Wir wollen doch in der Sozialdemokratischen Partei der Jugend die Heimat geben, die sie braucht. Unsere Sozialdemokratische Partei soll für die Jugend die Arena sein, in welcher sie sich schulen kann, sich formt zu wahrhaft demokratischen Kämpfern für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Unsere Partei soll ihnen die Wege ins Leben bereiten, soll ihnen die Grundlage geben für die Tätigkeit in der Wirtschaft, in der Politik, und sie soll auch gleichzeitig für eine kulturelle Höhergestaltung den Weg bekommen; sie soll erkennen, dass sie frei sein muss von falschen nationalen Vorstellungen, dass sie, wie es Genossin Wolff sagte, die militaristischen Gedanken völlig aus ihrem Gehirn verschwinden lassen muss, und diese Grundlage wollen wir gerade der Jugend in unserer demokratischen Partei geben.
Ich möchte angesichts der dauernden Gefahren des Aufsteigens der Reaktion folgendes ganz kurz sagen. Wir wollen die Alliierten mit unserer ganzen Kraft unterstützen, dass die Reaktion und die Schwester, die immer mit der Reaktion in Verbindung steht, die Diktatur, zerschlagen werden. (Lebhafter Beifall.) Wir Sozialisten wollen für die Freiheit des Gewissens, des Geistes, der Presse und aller anderen öffentlichen Interessen eintreten. Das soll uns von vielen anderen unterscheiden. (Beifall.) Die hier ausgesprochenen Forderungen möchte ich erhärten mit einem Wort, das Otto Grotewohl auf dem Höhepunkt seiner Tätigkeit
im Zentralausschuss am 11. November im Palast ausgesprochen hat. Es soll mich keiner eines Plagiats bezichtigen, denn der Mann, der diese Zeilen geschrieben hat, sitzt heute unter Ihnen als Delegierter. Ich glaube, dass es infolgedessen gerade die Tradition unserer Aufgabe ist, mit dem, was vorhin gesagt worden ist, auf das Treffendste auszudrücken. Ich möchte schliessen, dass unsere Grundsätze und die hier ausgesprochenen Erkenntnisse weder Anmassung noch Anspruch auf politische Priorität sind. Sie sind uns höchste innerste Verpflichtung aus demselben Geist, den einst der Reformator und Kirchenrevolutionär Luther gegen eine Welt von Widersachern in die schlichten Worte legte:
„Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“
Auch wir können nicht anders, es bleibt uns keine andere Wahl, und das ist die einzige Änderung an dem Worte. Der 1946 von uns ergehende Ruf zeigt uns, was wir sind: Wir sind die Saat, die Ernte, das Feld, wir sind das Bauwerk der kommenden Welt!
Es lebe die Sozialdemokratische Partei Deutschlands! Es lebe die Einheit der deutschen Arbeiterbewegung! Es lebe unser deutsches Volk! Es lebe des deutschen Volkes Einheit und seine friedliche zukünftige Freiheit!
Der erste Parteitag unserer Sozialdemokratischen Partei ist damit geschlossen.
{Stürmischer Beifall.) Schluss 19.45 Uhr.
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die Rechtschreibung entspricht – bis auf etwaige Übertragungsfehler – dem Originalprotokoll.