geboren 31.5.1906 in Hagen/Westfalen
gestorben 22.11.1985 in Berlin
Volksschule, bis 1920 Mittelschule, Handelsschule, Volontariat bei der sozialdemokratischen Tageszeitung in Hagen, bis 1932 Sekretärin im Büro und Archiv der SPD-Fraktion im Preußischen Landtag,
1934-35 im Generalvertrieb der Zeitschrift „Blick in die Zeit“,
1935-39 Stenotypistin
1921 Eintritt in die Sozialistische Proletarierjugend der USPD,
1923 Eintritt in die SPD, vor 1933 Frauenleiterin im Wedding, nach 1945 Frauensekretärin in Neukölln, 1945/46 Frauensekretärin im SPD-Bezirksvorstand,
Dez. 1958 bis Okt. 1963 Mitglied des Abgeordnetenhauses,
Okt. 1963 bis 1969 Mitglied des Deutschen Bundestages
Wiederaufbau 1945
„Es war ein richtig freudiges Wiedersehen. Die Politik stand gar nicht so sehr im Mittelpunkt. Es gab kein Mikrophon, die Redner standen vorn auf den Tischen, man verstand sie hinten kaum noch. Es gab auch keine Stühle. Aber man fiel sich in die Arme, man sah die alten Freunde wieder. Du lebst, du lebst, sagten sie alle, wo bist du, was machst du jetzt?“ An zwei Genossen kann sich Dora Lösche noch erinnern, die zur Gründungsversammlung der SPD im „Deutschen Hof“ in KZ-Kleidung gekommen waren.
„Ein, zwei Tage vorher klebte plötzlich bei uns in Britz ein roter Streifen an einer Hauswand mit dem Aufruf an alle alten Freunde und Genossen, am 17. Juni in die Luckauer Straße zu kommen. Wir hatten in Britz als Treffpunkt den Britzer Damm verabredet. Da aber wartete nur ein einziger Genosse. Gemeinsam sind wir dann sonntags Vormittag hinuntergelaufen nach Kreuzberg. Den Teltowkanal konnten wir nur überqueren, indem wir von Stein zu Stein sprangen. So kamen wir zum U-Bahnhof Leinestraße, wo schon wieder die U-Bahn zum Kottbusser Tor fuhr.“
Gerhard Schlegel, führender Genosse der Arbeiterjugend in der Weimarer Zeit, so erinnert sich Dora Lösche, hatte einen Lastwagen organisiert, der voll mit Sozialdemokraten in der Luckauer Straße vorfuhr . „Es war ein herrliches Wetter, im ,Deutschen Hof‘ sah man durch die Löcher in der Decke hindurch den blauen Himmel.“
„Der Kontakt untereinander“, sagt Dora Lösche, „war während der Nazi-Zeit ja immer vorhanden.“ Geboren im Mai 1906, trat sie im April 1921 in die „Sozialistische Proletarische Jugend“ der USPD ein. Ihr Vater war Reichstags- und preußischer Landtagsabgeordneter, nach dem Nürnberger Vereinigungsparteitag kam er wieder zur SPD.
Sie selbst trat 1923 mit 17 Jahren ein, war vom ersten Tag an aktiv. Von 1922 bis 1932 arbeitete sie als Sekretärin für die preußische Landtagsfraktion der SPD, Verheiratet war sie mit Bruno Lösche, bis 1931 Berliner Jugendsekretär der Sozialistischen Arbeiterjugend SAJ, bis ’33 einer von drei Betriebssekretären der Partei, zusammen mit dem Parteivorstand 1933 verhaftet und später im KZ Brandenburg inhaftiert.
„Wir haben während der Nazi-Zeit nur bei Sozialdemokraten eingekauft. Viele hatten sich ja mit kleinen Läden selbständig gemacht“ Max Fechner etwa, einer von den zwölf Sozialdemokraten, die vom Parteivorstand beauftragt waren, die Parteiarbeit illegal weiterzuführen, hatte ein Lebensmittelgeschäft in Neukölln. „Bei ihm kauften wir ein. und dann trafen wir uns natürlich bei den Veranstaltungen der Berliner Singegemeinschaft in der Singakademie, wo einige hundert Sozialdemokraten zusammenkamen. “
In Britz wohnten ohne hin zahlreiche Sozialdemokraten. Auch wenn viele verhaftet waren, eingezogen oder in Kriegsgefangenschaft – es fiel nicht schwer, gleich in den ersten Maitagen wieder zusammenzukommen. „Wir haben uns bei der Wiedergründung in Neukölln nicht nach den alten SPD-Abteilungen gerichtet. Wir haben Ortsteile wiedergegründet. Der Einzugsbereich ergab sich durch die Brückensprengungen und Absperrungen. Erster Treffpunkt der Britzer war das Lokal ,Gletscher‘..
Für die Britzer geht sie zu den Kreisvorstandssitzungen. „Man war nicht gewählt, man war praktisch ernannt, aber man hatte natürlich das Vertrauen der Genossen.. Herrmann Harnisch wurde Kreisvorsitzender. Die ersten Kreisvorstandssitzungen fanden in einem leerstehenden Laden, drei oder vier Häuser entfernt vom heutigen Kreisbüro in der Karl-Marx- Straße, der damaligen Bergstraße, statt. „Aber man kann eigentlich nicht sagen, dass wir uns um die grundlegenden politischen Fragen kümmern konnten. Das bestimmten alles die Alliierten.“
In den Kreisvorstandssitzungen ging es im wesentlichen um die Frage. wie die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Kleidung sichergestellt werden konnte, Dora Lösche: “ Wir haben als Sozialdemokraten versucht, auf den von den Sowjets eingesetzten Bürgermeister Einfluss zu nehmen. Die wesentlichste politische Frage der ersten Wochen war darüber hinaus: Wann bekommen wir unsere eigene Parteizeitung, nachdem die Kommunisten schon über eine verfügtem“
Die Zeitung „Das Volk“ erschien dann am 7. Juli zum ersten Mal, zum Preis von 15 Pfennig, mit der Schlagzeile “ Vom Chaos zur Ordnung“, unter der der ein Monat zuvor vom Berliner Zentralausschuss veröffentlichte Gründungsaufruf der SPD abgedruckt wurde.
Dora Lösche, als Frauensekretärin der Berliner SPD von Oktober an in der Behrensstraße beschäftigt, gehörte zu den Gegnern der Vereinigungsbestrebungen des SPD- Zentralausschusses und der KPD. „Die Zwangsvereinigung war bald darauf das beherrschende Thema der Kreisvorstandsitzungen.“ Auch Teile des Neuköllner Kreisvorstandes, der Vorsitzende Herrmann Harnisch und sein Stellvertreter Richard Günther, gingen zur SED.
„Von den Sekretären war ich. die einzige, die den Druck aushielt und nicht zur SED ging. Allerdings kamen viele später zurück. Bezirkssekretär Erich Lübbe etwa oder der geschäftsführende Vorsitzende Erich Gniffke.“
Ulrich Horb (aus: Berliner Stimme, Juni 1985, Beilage „40 Jahre Wiedergründung der Berliner SPD, von Manfred Rexin und Ulrich Horb“, Herausgeber: Berliner Stimme und August Bebel-Institut)