1966 sind die Erinnerungen eines Sozialdemokraten erschienen, der einige sehr unterschiedliche Lebensstationen durchlaufen hat. Während der Nazi-Zeit verfolgt, 1945 dann Wiederbegründer der Sozialdemokratie in Berlin, gehörte Erich W. Gniffke 1946 zu den Befürwortern der erzwungenen Vereinigung mit der KPD. Er ging den Weg mit zur SED, übernahm dort Führungsfunktionen, um sich 1948 dann wieder in den Westen abzusetzen. Seine Erinnerungen „Jahre mit Ulbricht“ erschienen zwei Jahre nach seinem Tod, Herbert Wehner steuerte das Vorwort bei.
Seit 1933 hielt sich der frühere Braunschweiger Gewerkschafter und Gauführer des Reichsbanners Erich Gniffke in Berlin auf. Mitte der dreißiger Jahre hatte er den Generalvertrieb für die Heizkessel und Heizungsherde der Firma „Heibacko“ übernommen. Das ermöglichte ihm Geschäftsreisen zum Aufbau eines Verkaufsnetzes, auf denen er zugleich Kontakte im ganzen Land pflegen konnte. Und er konnte frühere sozialdemokratischer Funktionäre beschäftigen. So arbeitete Otto Grotewohl, ehemaliger Reichstagsabgeordneter, Vorsitzender der Braunschweiger SPD und als begabter Redner bekannt, in der Schöneberger Verkaufszentrale in der Bülowstraße. Im August 1938 wurden Gniffke und Grotewohl kurze Zeit inhaftiert, ein beruflicher Kontakt wurde ihnen anschließend untersagt. Dennoch trafen sich beide privat mehrmals pro Woche. Und in Gniffkes Büro in der Bülowstraße 7 fand sich auch weiter ein Kreis von Gegnern des NS-Regimes ein.
Das Büro wurde zum Kriegsende im Mai 1945 eine Anlaufstelle der Sozialdemokraten in Berlin, hier bildete sich der SPD-Zentralausschuss, der am 17. Juni 1945 zur Gründungsversammlung in Berlin lud, nachdem sich wenige Tage zuvor die KPD in der sowjetischen Zone mit einem Gründungsaufruf an die Öffentlichkeit gewandt hatte.
Anfangs waren es vor allem Sozialdemokraten, die für eine einheitliche Arbeiterpartei warben, auf Grund schlechter Erfahrungen mit der KPD wurden sie jedoch immer skeptischer. Im Spätherbst 1945 erkannte die KPD jedoch, dass bei freien Wahlen die SPD stärker werden würde und drängte nun auf eine rasche Vereinigung mit den Sozialdemokraten. Gniffke gehörte in der SPD-Führung zu den Befürwortern dieses Weges.
Für die weitgehend zerstörte Stadt Berlin, in der mühselig der Wiederaufbau begann, waren es entscheidende Monate, in denen die Auseinandersetzung um Freiheit und Demokratie geführt wurde. Nur im Westteil Berlins hatten die Sozialdemokraten die Möglichkeit, unterstützt von Kurt Schumacher, der die SPD in den westlichen Besatzungszonen organisierte, sich in einer Urabstimmung gegen die sofortige Vereinigung mit der KPD zu wenden und ihre Partei zu erhalten bzw. wieder neu aufzubauen.
Gniffke erlebte mit, wie in der Einheitspartei SED schon bald die ehemaligen Sozialdemokraten bis auf wenige Ausnahmen ausgegrenzt und verfolgt wurden, wie die Partei „neuen Typs“ entstand. Er selbst floh 1948 nach Frankfurt am Main. Seine Erinnerungen sind ein spannendes Zeitdokument, ein Beitrag zu einem wichtigen Kapitel der Berliner Nachkriegsgeschichte – und sie stellen zugleich auch so etwas wie eine persönliche Rechtfertigung dar.
Erich W. Gniffke: Jahre mit Ulbricht. Mit einem Vorwort von Herbert Wehner. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1966, Reprint 1990; 376 Seiten, 24,– DM
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