Die Vielfältigkeit der Berliner Geschichte zeigt seit 1982 regelmäßig das Jahrbuch des Landesarchivs Berlin auf. Im Jahrbuch 2015 geht es u.a. um Kirchengeschichte, Theatergeschichte, um Antisemitismus im Strandbad Wannsee oder um Ernst Reuters Erfahrungen mit dem Kommunismus.
Die Erinnerung an Ernst Reuter ist bis heute mit seinem leidenschaftlichen Kampf für die Freiheit der Stadt in der Blockadezeit verbunden. Erik Schneeweis lenkt in seinem Beitrag den Blick auf Ernst Reuters Erfahrungen als Kommissar in Russland und seine Mitgliedschaft in der KPD. Reuter, während des 1. Weltkriegs in russische Gefangenschaft geraten, lernte dort die russische Sprache und begeisterte sich für die Idee des Sozialismus. Als guter Organisator übernahm er Verwaltungsaufgaben und wurde von den Bolschewiki als Kommissar in die von Deutschen bewohnten Wolgagebiete entsandt.
1918 kehrte Reuter nach Deutschland zurück, wurde Mitbegründer der KPD und übernahm Organisationsaufgaben. Der deutlicher werdende Einfluss der Komintern auf die KPD, der Zentralismus und der von oben angeordnete Aktionismus führten schließlich in der KPD zu heftigen Konflikten. Reuter, zunächst Befürworter des Komintern-Kurses, unterstützte als Generalsekretär jedoch stärker den Kurs der Unabhängigkeit, was letztlich zum Bruch und dem Ausschluss Reuters aus der KPD führte. Erik Schneeweis beschreibt Brüche und Kontinuitäten in Ernst Reuters Aussagen und analysiert die möglichen Beweggründe.
Auf die Ausgrenzung von Juden aus dem alltäglichen Leben weist ein Aufsatz von Aylin Herker hin. Schon vor 1933 hatten hatten Anhänger der Nazis im Strandbad Wannsee mit Hakenkreuzemblemen und Fahnen an den Strandkörben versucht, das Bild zu bestimmen und jüdische Besucherinnen und Besucher zu provozieren. Hermann Clajus, SPD-Stadtverordneter und seit 1926 Leiter des Strandbads, hielt mit seinem Aufsichtspersonal energisch dagegen. Als die Nazis im Frühjahr 1933 eine Entlassungswelle starteten, die auch ihn betroffen hätte, nahm sich Clajus das Leben. Kurzzeitig wure „Nichtariern“ im August 1933 das Betreten des Bads verboten, aus außenpolitischen Rücksichten wurde das Verbot zunächst noch einmal zurückgenommen. Doch die Propaganda gegen jüdische Besucher wurde verstärkt. Mit Streifen und Spähern suchte die Gestapo sie zu vertreiben, auch wenn bis nach den Olympischen Spielen noch immer der Schein gewahrt bleiben sollte. Im November 1938 erfolgte dann das offizielle Verbot.
Das Jahrbuch vereint viele kleine Mosaikstücke. Ein Teil der deutsch-deutschen Geschichte istzum Beispiel die Vereinbarung zum Ausbau des Teltowkanals. Einblicke in die frühzeitigen Kriegsplanungen der Nazis liefert ein Beitrag zur Einrichtung von Behelskrankenhäusern in Schulgebäuden. Eine Chronik des Jahres 2014 und ein Überblick über die Theaterpremieren ergänzen den Band.
Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 2015, Herausgegeben von Werner Breunig und Uwe Schaper, Gebr. Mann Verlag, Berlin, 442 S. m. 94 Abb., davon 29 farbig, 29,90 EURO, ISBN 978-3-7861-2750-5