Als „Rumpelkammer Berlins“ hätten Lokalhistoriker den Bezirk Lichtenberg einmal bezeichnet, so der Autor Jan Feustel in seinem Buch „Spaziergänge in Lichtenberg“. Denn die Stadt Berlin hatte Ende des 19. Jahrhunderts all die Einrichtungen, die sie in ihren Mauern weniger attraktiv fand, vor die Tore verlagert: Armenfriedhof, Waisenhaus, Arbeitshaus und Zwangserziehungsanstalt wurden auf günstigem Lichtenberger Bauland errichtet.
Im Laufe der Jahre kamen repräsentative Kommunalbauten dazu, ehe Lichtenberg 1920 in Groß-Berlin aufging. Aber ein einheitliches Bild des Bezirks gibt es nicht, und so schlägt Jan Feustel sieben Spaziergänge zu den unterschiedlichen Bereichen vor, zu den Dorfkernen, den Arbeiterkolonien oder den Villensiedlungen.
Auf diesen Spaziergängen zeigt sich tatsächlich, wie vielschichtig und architektonisch reizvoll der wohl oft unterschätzte Bezirk ist. Der erste Rundgang führt rings um die ehemalige Dorfaue, Feustel berichtet anschaulich die Geschichte der Kirchengemeinde und lässt auch die kleinen Skandale nicht aus, er erinnert an das Möllendorffsche Schlösschen und führt zum Theater an der Parkaue und zu eigenwilligen Eckhäusern. Der zweite Spaziergang richtet den Blick auf das städtische Zentrum und auf eine Geschichte, mit der der Bezirk in der Nachkriegszeit eher verbunden wird – die Zentrale der Staatssicherheit, für die auch bauhistorisch wertvolle Wohnblöcke, errichtet von Bruno Taut, gesprengt wurden. Ein weiterer Spaziergang führt in die Herzberge, erzählt von der Straßenbahnlinie 68, die einst Wittenau und Lichtenberg verband – und damit zwei Heil- und Pflegeeinrichtungen, die sich mit den nervlichen Leiden der Stadtbevölkerung befassten. Feustel führt seine Leserinnen und Leser vom Lichtenberger Kietz nach Rummelsburg, in die Victoriastadt, eine der ersten Betonsiedlungen, nach Friedrichsfelde und schließlich nach Karlshorst, das „Dahlem des Ostens“.
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Autor Jan Feustel, 2009 kurz vor seinem 58. Geburtstag verstorben, war von Beruf Mathematiker. Als nach der Wende seine Weiterbeschäftigung an der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften befristet wurde, suchte er sich mit der Berlingeschichte ein neues Aufgabengebiet. Auf seinen Spaziergängen in Lichtenberg, die 1996 erschienen, schildert er nicht nur anschaulich die kleinen und großen Sehenswürdigkeiten, die am Weg liegen, er erzählt auch so unterhaltsam ihre Geschichten, dass die Fahrt nach Lichtenberg eigentlich unausweichlich ist.
Jan Feustel: Spaziergänge in Lichtenberg. Berlinische Reminiszenzen 75, Verlag Haude und Spener, 1996, ISBN 3-7759-0409-3. Antiquarisch erhältlich.