SPD-Landesparteitag vom 3. Juli 1999: Protokoll

Landesparteitag der Berliner SPD am 3. Juli 1999
Internationales Congress-Centrum, Saal 2  14055 Berlin

 Beginn: 10.26 Uhr

Präs. Sigrun Klemmer: Liebe Genossinnen und Genossen! Liebe Gäste unseres Parteitages! Wir bitten, die Plätze einzunehmen, damit wir den Landesparteitag beginnen können. Wir kommen zu

Punkt 1 der Tagesordnung

Eröffnung und Begrüßung

Das Wort hat Christine Bergmann, die Ministerin für Frauen, Jugend, Familie und Senioren!

(Beifall)

Christine Bergmann: Liebe Genossinnen, liebe Genossen! Ich freue mich, dass ich euch hier ganz herzlich begrüßen darf. Ich hoffe, ihr freut euch auch, dass ich hier wieder stehe. Ab Mitte Juli sind wir dann richtig in Berlin, und ich bin dann auch wieder mehr in den Kreisen zu Gast. Darauf freue ich mich auch schon.

(Vereinzelter Beifall)

Es ist ein sehr wichtiger Parteitag, den wir heute durchführen, der Wahlprogramm-Parteitag. Wir haben noch gut drei Monate bis zur Wahl am 10. Oktober. Das sind drei Monate, in denen wir den Berlinerinnen und Berlinern klar machen wollen: Wir haben die besseren Konzepte, um unsere Stadt fit für die Zukunft zu machen. Wir haben den besseren Kandidaten für das Amt des Regieren­den Bürgermeisters, und wir wollen dafür kämpfen, dass die SPD zur bestimmenden politischen Kraft in dieser Stadt wird, zehn Jahre nach Erreichen der Einheit der Stadt.

(Starker Beifall)

Und da lassen wir uns auch nicht bange machen, wenn die Umfrageergebnisse nicht so toll sind für uns. Sie sind ja auch unterschiedlich. Was wären wir denn für Sozialdemokratinnen und Sozialde­mokraten, wenn wir den Kopf hängenlassen!

(Beifall)

Die Wahlen werden nicht von Demoskopen entschieden, sondern von den Wählerinnen und Wäh­lern, und um die wollen wir kämpfen. Die wollen wir von unserer Politik überzeugen. Aber dazu brauchen wir jede und jeden von uns, und das jeden Tag bis zum 10. Oktober!

(Beifall)

Das muss auch das Signal sein, das von diesem Parteitag ausgeht.

Wir wissen alle, dass die Wahlen in den Bundesländern immer auch von der Bundespolitik beeinflusst werden. Das gilt natürlich auch für Berlin. Ich weiß, dass es unter euch in den vergangenen Monaten manchen Unmut gegeben hat über das, was die Bundesregierung darstellte. Ich will auch selbstkritisch einräumen, dass vieles nicht so toll gelaufen ist, vor allem in der öffentlichen Kommu­nikation. Nehmen wir zum Beispiel das 630-DM-Gesetz, das wir ja alle wollten. Wir wollen es nach wie vor, und wenn ich mir die Stimmen anhöre, etwa der Frauen, die sagen, wir bekommen wieder normale Teilzeitjobs im Handel, in den Apotheken, in den Arztpraxen, dann hat sich da schon durchaus etwas zum Positiven bewegt. Und jetzt kommen die Unternehmer aus dem Gaststätten- und Hotelgewerbe und sagen, dass sie 90 Prozent der Regelung prima finden, weil sie eigentlich ordentliche Arbeitsplätze haben wollen und die unlautere Konkurrenz ihnen die Arbeitsplätze ka­puttmache. Ich denke, das ist auch etwas, was wir in den nächsten Wochen ein Stück gegen die öf­fentliche Kampagne kommunizieren müssen. Die sagen das natürlich nicht immer laut. Die Kampa­gnen sind immer andere, aber ich denke, wir haben hier schon ganz vernünftige Dinge auf den Weg gebracht. Das wird sich noch zeigen.

Aber ich will noch ein paar Sätze zu unserem Zukunftsprogramm sagen, dass wir gerade in der Bun­desregierung beschlossen haben und von dem ich mir erwarte, dass wir richtig Rückenwind kriegen – aber auch nur dann, wenn wir es gemeinsam vertreten. Wir haben ein Zukunftsprogramm, das sehr viel auch mit dem uns ja in Berlin auch sehr vertrauten Thema Sparen zu tun hat. Aber wir wissen auch, dass es nicht sozial sein kann, wenn man immer neue Schulden zu Lasten der nächsten Generation auftürmt. Da kann mir doch niemand erklären, dass das eine soziale Politik ist.

(Starker Beifall)

Das wissen auch die Menschen. Sie wissen, dass wir nicht aus Selbstzweck sparen, sondern, dass es darum geht, wieder zukunftsfähig zu werden, wieder Spielraum zu bekommen. Natürlich steht die SPD auch mit diesem Konsolidierungsprogramm, mit diesem Zukunftsprogramm für Innovation und soziale Gerechtigkeit, und da brauchen wir uns weder von rechts noch von links überholen zu lassen.

Ich will das an ein paar Beispielen zeigen. Wir haben in der Familienpolitik – und es wird ja alles immer schnell vergessen – mit diesem Zukunftsprogramm noch einmal eine Erhöhung des Kinder­geldes, einen Familienlastenausgleich vorgenommen. Wir haben also in einem Jahr das Kindergeld um 50 DM erhöht. Wir haben die Kinderfreibeträge erhöht. Wir haben Steuerentlastungen. Wir werden eine weitere Stufe im Jahr 2002 zur weiteren Entlastung der Familien haben. Wenn man das einmal auf eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern im Jahr 2002 bezieht, werden es fast 3 000 DM Steuerentlastung sein. Das müssen wir auch deutlich den Leuten beibringen, was hier getan wurde. Wir reden nicht nur darüber, dass die Familie in der Gesellschaft wichtig ist, sondern wir tun auch etwas dafür, dass Familien wirklich entlastet werden.

(Starker Beifall)

Wir haben mehr bis jetzt schon mehr getan, als wir im Koalitionsvertrag versprochen haben. Auch das ist eine Wahrheit.

Wenn es um Zukunft und Zukunftssicherung geht, dann muss es natürlich auch um die Renten­reform gehen. Da wissen wir, dass das ein schwieriges Thema ist, weil es darum gehen muss, Renten zu sichern, aber gleichzeitig auch für die junge Generation zu sichern, dass die Beiträge nicht ins Uferlose wachsen. Auch muss das Gesamtpaket so geschnürt werden, dass es eben wirklich über die nächsten Jahrzehnte reicht. Ich glaube, dass das, was jetzt auf dem Tisch liegt, von uns allen mitein­ander vertreten werden kann. Die Rentner werden, auch wenn die Erhöhung nur im Rahmen des In­flationsausgleichs liegt, mehr an Steigerung haben als in den letzten sieben Jahren. In diesen letzten sieben Jahren sind die Renten sechsmal unterhalb der Inflationsrate geblieben. Wir nehmen die In­flationsrate, weil wir sagen, wir haben durch unsere Steuerentlastung so eine hohe Nettolohnsteige­rung, dass wir sie jetzt nicht auf die Renten umlegen können. Das muss man den Rentnern erklären und gleichzeitig sagen, was wir in dem Paket haben: Wir führen die soziale Grundsicherung ein. Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt. Niemand soll, wenn er alt ist, zum Sozialamt gehen müs­sen. Er muss seine Grundsicherung über die Rente erhalten.

(Starker Beifall)

Wir steigen auch ein die eigenständige Alterssicherung von Frauen. Wie lange haben wir darüber diskutiert, bis wir es endlich hinbekommen haben? Wir müssen uns weiter in die Debatten einmischen, wie das zu gestalten ist. Aber es ist doch eine so tolle Veränderung in der Rentenreform. Das können wir auch sehr positiv vertreten.

In diesem Zusammenhang muss man sich auch ein paar Zahlen anschauen. Die CDU macht ja nun wieder eine Politik links von der SPD. Sie hatte aber eine Rentenreform vorgelegt, die nur den demographischen Faktor berücksichtigte. Damit wären die Renten bis zum Jahr 2015 auf 64 Prozent abgesenkt worden. Unsere Reform schafft dauerhaft 67 Prozent Rentenansprüche, bei einem Beitragssatz von etwa 19 Prozent. Wir haben also beide Generationen im Auge – die Sicherheit der Renten der Alten, aber auch den Generationenvertrag. Wir sind schließlich nicht nur für die Alten zuständig, sondern müssen auch sehen, dass die Jungen in die Sicherungssysteme hineingehen, damit sie nicht das Gefühl haben, sie bekommen sowieso nichts mehr heraus. Der Generationenpakt muss also nach wie vor halten. Auch das können wir, glaube ich, gut vertreten.

Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen, das Thema Jugend. Es ist auch ein Thema, das in meinen Diskussionen mit den Älteren eine große Rolle spielt. Die Älteren in unserer Gesellschaft sind sehr froh, dass wir an die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit so konsequent herangehen.

(Beifall)

Schaut euch doch nun einmal an, was da in den letzten Monaten schon passiert ist! Wir haben gesagt, wir wollen für 100 000 Jugendliche ein Sofortprogramm haben. Es sind mittlerweile über 140 000 Jugendliche in diesem Programm. In Berlin sind es fast 10 000. Das ist ein großer Erfolg, nicht nur wegen der Zahlen, sondern weil wir mit dem Programm viele Jugendliche erreicht haben, die schon resigniert hatten, die längst nicht mehr beim Arbeitsamt gemeldet waren. 25 Prozent der Teilnehmer an dem Programm sind Jugendliche, die in keiner Statistik mehr aufgetaucht sind. Wir haben hier also wirklich Jugendlichen, die von sich und der Gesellschaft schon abgeschrieben waren, eine Chance gegeben. Wir haben sehr viele behinderte Jugendliche integriert. Wir haben sehr viele nichtdeutsche Jugendliche in diesem Programm. Wir haben all diesen Jugendlichen neue Hoffnung gegeben, und das ist doch das Wichtigste, was Politik machen muss!

(Starker Beifall)

Wir können auch den Wählerinnen und Wählern sagen: Das ist keine Eintagsfliege. Wir haben trotz dieses großen Sparprogramms für das 2000 wieder 2 Milliarden DM für dieses Sonderprogramm.

(Beifall)

– Ja, da kann man wirklich richtig jubeln, das ist ja viel „Knete“, wie man hier in Berlin sagt. Die begonnen Maßnahmen können also sowieso fortgesetzt werden, aber wir können tatsächlich auch neue Maßnahmen starten. Wir können die Erfahrungen, die wir gesammelt haben – es wird ja auch evaluiert – anwenden. Wir können sehen, was wirklich notwendig ist. Was wir damit vor allem geschafft haben, ist es, Jugendlichen zu zeigen, dass es wieder eine Politik gibt, die sie ernst nimmt und allen eine Chance geben will.

(Beifall)

Liebe Genossinnen und Genossen! Was wir auf der Bundesebene tun, ist euch in Berlin wohl vertraut. Den Haushalt zu konsolidieren und zu gestalten ist eine Strategie, die wir in Berlin seit Jahren verfolgen. Im Übrigen läuft es – und das wird manchmal gar nicht wahrgenommen – in anderen Bundesländern auch so. Guckt euch einmal Hamburg an, die haben seit Jahren einen Minushaushalt. Da geht es nur meistens ruhiger zu, weil da nicht ein Koalitionspartner dasteht und meint, es ginge alles eigentlich ohne Einsparmaßnahmen, als könnte man die Zukunft sichern, ohne einzusparen, als könnte man also auf Kosten der nächsten Generation leben. Wir wissen: Ohne den konsequenten Sparkurs von Annette wäre Berlin schon längst pleite. Ich glaube nicht, dass das ein Zustand ist, den wir hier alle gern hätten.

(Beifall)

Wir wissen auch, dass das nicht immer sehr bequem und sehr populär ist. Aber es ist schlichtweg notwendig. Wir müssen auch immer wieder klar machen, dass diejenigen – und die CDU macht das ja in großem Umfang, die PDS übrigens auch, da sind sie sich einig – die Menschen täuschen, die den Eindruck erwecken, als ob es einen bequemen Weg gäbe, einen Weg vorbei an der Konsolidierung, auch am Umbau des Sozialstaats, um ihn abzusichern. Das kann nicht unsere Aufgabe sein, und deswegen fahren wir diesen Kurs konsequent weiter.

Zum Schluss möchte ich auf das hinweisen, was mir in Berlin immer am meisten am Herzen lag und nach wie vor liegt: Wir wissen, dass das, was wir am meisten brauchen, Arbeitsplätze sind. Wir müssen deutlich machen, dass wir die besseren Konzepte in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik haben. Wir haben sie wirklich!

(Vereinzelter Beifall)

Es ist doch verrückt: Wir haben seit Jahren CDU-Wirtschaftssenatoren und einen Regierenden Bürgermeister, der sich wenig darum kümmert. Wir haben dem wirklich etwas entgegenzusetzen! Hier muss eine Veränderung in der Stadt passieren. Berlin ist beim Wirtschaftswachstum Schlusslicht in Deutschland, und damit sich das ändert, brauchen wir auch einen Regierenden Bürgermeister, der sich aktiv um die Ansiedlung von Unternehmen kümmert, der wirtschaftliche Dynamik in die Stadt bringt. Walter hat gesagt, dass für ihn Wirtschaftspolitik Chefsache ist, und das muss man auch von einem Regierenden Bürgermeister erwarten können.

(Beifall)

Dafür wird es höchste Zeit in unserer Stadt, und das gilt auch für das Bündnis für Arbeit. Seit Jahren – ich weiß das ja, ich saß ja mit am Tisch – haben wir immer vergebliche Anläufe gemacht. Es wird endlich Zeit, dass hier klare Konzepte auf den Tisch kommen, dass entschlossen gehandelt wird. Da kann vom Bund kräftiger Rückenwind kommen, aber das kann in Berlin nur dann gelingen, wenn es da einen Regierenden Bürgermeister am Tisch gibt, der das auch wirklich will und die Verantwortlichen in die Pflicht nimmt. Walter, das ist deine Aufgabe! Die SPD wird das anpacken!

(Vereinzelter Beifall)

Lieber Walter! Du hast es in den letzten Wochen nicht immer leicht gehabt. Was da kam, ging oft unter die Gürtellinie. Aber du kannst sicher sein: Wir lassen es nicht zu, dass mit unserem Spitzenkandidaten so umgegangen wird, und wir sollten es an keiner Stelle zulassen!

(Starker, anhaltender Beifall)

Jede und jeder von uns muss immer wieder klar machen, dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen. Wir werden gemeinsam mit dir in den nächsten Monaten kämpfen, damit die SPD in unserer Stadt die bestimmende politische Kraft in unserer Stadt wird und du unser Regierender Bürgermeister. Dieses eindeutige Signal wollen wir heute von diesem Parteitag aussenden. Aber nicht nur heute, meine Lieben, sondern jeden Tag bis zum 10. Oktober. In diesem Sinne wünsche ich uns einen guten Parteitag und einen richtig guten Wahlkampf!

(Starker, anhaltender Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Damit ist der Parteitag eröffnet. Das Präsidium stellt fest, dass die auf dem Jahresparteitag gewählten Kommissionen im Amt sind.

Die Redezeit für die Generaldebatte und die Antragsberatung beträgt auf unseren Vorschlag hin fünf Minuten. Für alle Kommissionen steht der Saal 5 zur Verfügung, und ich lasse nun darüber abstimmen, ob der Tagesordnung, wie sie in der Tischvorlage vorliegt, zugestimmt wird. Ich bitte um euer Kartenzeichen! – Danke schön! Die Gegenstimmen! – Keine. Dann ist die Tagesordnung so beschlossen.

Ich freue mich, wie immer, zahlreiche Ehrengäste auf unserem Parteitag begrüßen zu können:

Hartmut Friedrich von der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft,

(Beifall)

Ernst Otto Kock und Susanne Stumpenhusen von der ÖTV,

(Beifall)

Jörg Wreh von der Komba,

(Beifall)

Claudia Zinke vom Landessportbund,

(Beifall)

Jutta Tschötschel von der IG Bau-Agrar-Umwelt,

(Beifall)

Mario Möller und Jean Wandkowski von der Deutschen Steuergewerkschaft,

(Beifall)

Peter Ehrenberg vom Berliner Landesverband der Gartenfreunde,

(Beifall)

Hartmut Pech von der Gewerkschaft der Polizei,

(Beifall)

Renate Cid-Romero vom Sozialverband VdK,

(Beifall)

Jörg Kiekhäfer und Thomas Baron von der Deutschen Postgewerkschaft,

(Beifall)

Ilse Schaad von der GEW Berlin,

(Beifall)

Andreas Bürkle und Rolf Schröder von den Falken.

(Beifall)

Ich freue mich ganz besonders über die Teilnahme von Karl-Olof Andersson von der Schwedischen Botschaft.

(Beifall)

Dr. Thomas Klöckner von der BSR ist da;

(Beifall)

Herr Bruno Osuch vom Humanistischen Verband,

(Beifall)

und nicht zuletzt: Juppi von der Ufa-Fabrik.

(Beifall)

Liebe Gäste! Liebe Genossinnen und Genossen! Ich darf jetzt ein Grußwort zum Landesparteitag der Berliner SPD am 3. Juli 1999 im ICC vom Präsidenten des Deutschen Bundestags und stellvertretenden Vorsitzenden unser Partei, Wolfgang Thierse, vorlesen. Er schreibt uns:

Liebe Genossinnen, liebe Genossen,

ich bedaure, an diesem Tag nicht gemeinsam mit euch den Grundstein für den politischen Wechsel in unserer Stadt am 10. Oktober 1999 legen zu können.

Ich habe heute die Ehre, in Osnabrück den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis an den iranischen Schriftsteller Huschang Golschiri verleihen zu dürfen.

(Beifall)

Mit dieser Auszeichnung soll Huschang Goschiris literarisches Werk, sein Streben für Menschenrechte, Demokratie und Meinungsfreiheit gewürdigt werden. Diese Ehrung ist ein wichtiges Zeichen, die gesellschaftlichen und kulturellen Reformkräfte im Iran zu stützen und zu stärken.

Liebe Genossinnen und Genossen, heute ist aber auch ein besonderer Tag für Berlin. Ihr werdet ein Zeichen setzen, welches der Stadt eine neue Zukunftsperspektive gibt. Das Wahlprogramm der Berliner SPD wird die Grundlage unseres politischen Wirkens in den kommenden Wochen und Monaten sein – viel Überzeugungsarbeit liegt noch vor uns, um die SPD zur stärksten politischen Kraft in Berlin und unseren Spitzenkandidaten Walter Momper zum Regierenden Bürgermeister zu machen.

(Beifall)

Wir Sozialdemokraten melden mit dem heutigen Landesparteitag unseren Führungsanspruch in Berlin an! Lasst uns gemeinsam für die Inhalte unserer Politik streiten und so den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt klar machen, dass Berlin die Chance hat, mit uns eine wirtschaftlich starke, ökologisch wegweisende und politisch selbstbewusste europäische Metropole zu werden.

Ich wünsche euch gutes Gelingen, allen Gästen einen spannenden Tag und uns Sozialdemokraten einen überzeugenden Start in die heiße Wahlkampfphase!

Herzliche Grüße

Wolfgang Thierse

(Beifall)

Wir kommen damit zum nächsten Punkt unserer eben beschlossen Tagesordnung, zu

Punkt 2 der Tagesordnung

Rede des Landesvorsitzenden Peter Strieder

Er hat das Wort!

(Beifall)

Peter Strieder: Liebe Genossinnen und Genossen! Wir haben gestern in den Nachrichten gesehen, wie Gerhard Schröder in Cottbus gekämpft hat. Das war nicht einfach. Er hat keine Zustimmung erhalten, aber er hat gekämpft und nichts zurückgenommen, und ich bin sicher, dass Gerhard Schröder auch nach der nächsten Bundestagswahl regieren wird. Auch Berlin braucht einen Regierenden Bürgermeister, der einmal kämpft und sich nicht nur als Erntehelfer betätigt.

(Beifall)

Unser Parteitag findet, wie wir schon am Eingang sehen, unter neuen Bedingungen statt. Berlin ist wirklich Hauptstadt, und wir freuen uns auf Wolfgang Thierse und seine Kolleginnen und Kollegen im Parlament. Wir freuen uns auf Gerhard Schröder und sein Kabinett, und, Christine, wir finden es toll, dass du jetzt immer bei uns bist. Herzlich willkommen, back in Berlin!

(Beifall)

Das ist natürlich auch eine Chance, für uns und für die Republik. Aber es ist nicht einfach. Wir wollten diese rot-grüne Bundesregierung. Sie ist eine historische Chance. 16 Jahre lang haben wir dafür gekämpft. Es ist unsere Sache, es geht uns an, was die Bundesregierung macht. Das ist es, was wir wollen, und die Bundesregierung ist den Wechsel in rasantem Tempo angegangen. Die Ausplünderung unserer Sozialsysteme durch die 630-DM-Jobs ist rückgängig gemacht worden. Jetzt werden wieder gesicherte Arbeitsplätze geschaffen.

(Beifall)

Das Kindergeld wird um 50 DM erhöht, und Familien werden steuerlich entlastet. Die Gesundheitsreform richtet sich gegen die Absahner unter den Ärzten und sorgt für ein bezahlbares System. Die Kürzung der Lohnfortzahlung ist zurückgenommen worden. Die Rentenreform wird die Altersversorgung langfristig sichern. Und was haben wir denn im Wahlkampf gesagt? – „Wir wollen, dass Sie im Alter mehr haben als nur schöne Erinnerungen.“ Aber, liebe Genossinnen und Genossen, das gilt auch für die Jugend, das gilt auch für die heutigen Beitragszahlerinnen und –zahler!

(Beifall)

Wir wollen unsere sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig machen. Wir wollen eine gerechte Lastenverteilung. Und die ökologische Steuerreform? – Die wollten wir doch auch! Wir wollten, dass Umweltverbrauch belastet und Arbeit entlastet wird.

(Beifall)

Ich bin froh, dass die Bundesregierung in Fahrt gekommen ist. Ich bin froh, dass die Zeit des Stillstands endlich vorbei ist.

(Beifall)

Hans Eichel und Gerhard Schröder haben mit diesem Zukunftsprogramm 2000 die Richtung vorgegeben, eine Richtung, die wir aus Berlin kennen. Der Haushalt muss auf eine solide Basis gestellt werden, damit Gestaltungsspielräume gewonnen werden. Das war auch unsere Politik in den letzten vier Jahren in Berlin. Natürlich ist es bequemer und verlockender, blühende Landschaften zu versprechen, alles Schöne und Gute mit Geld zu bedenken. Aber es ist unverantwortlich, unseren Kindern und Kindeskindern die Rechnung zu präsentieren. Deshalb sind jetzt Reformen angesagt!

(Beifall)

Die Regierung Kohl ist abgewählt worden, weil sie ihren politischen Kredit restlos verspielt hatte: die höchste Verschuldung – der Staatshaushalt im schwarzen Loch versunken, sozusagen -, die höchste Arbeitslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland – über eine halbe Million junger Menschen ohne Ausbildung und Arbeit -, ja selbst die Chancen der Einheit sind finanz- und wirtschaftspolitisch verspielt worden. Aber der Politikwechsel nach 16 Jahren – er erzeugt Gegenwind. Die Besitzstandswahrer melden sich zu Wort. Aber das war doch klar. Oder hat jemand allen Ernstes geglaubt, dass Henkel, Hundt und Springer eine rot-grüne Regierung so einfach hinnehmen werden? Nein! Aber ich sage euch: Diese Kampagne bröckelt. Letzte Woche titelte die Zeit: Nur Mut, Kanzler! Ich sage euch: Nur zu, SPD! So weitermachen, Reformen anpacken jetzt!

(Starker Beifall)

Die Bundesregierung hat ein gutes und mutiges Projekt. Aber es wird nicht leicht. Schröder, Eichel, Riester, auch die beiden Fischers verdienen unsere Unterstützung. Sie brauchen auch unsere Unterstützung. Aber eine Reformkoalition in Berlin reicht nicht. Wir brauchen selbst noch eine Reformkoalition für diese Stadt!

(Starker Beifall)

Vier Jahre lang haben wir die CDU zum Jagen getragen. Jetzt braucht Berlin den Regierungswechsel, damit es vorangeht. Diepgen hat nicht regiert, und, Genossinnen und Genossen, ich kann das beurteilen: Er kann auch nicht regieren. Immer dann, wenn es darauf ankommt, hat er Bedenken, zaudert und zögert. Da fällt mir ein: Wir haben ja diese Biotechnologie als Kompetenzzentrum in Berlin. Das Genom-Projekt hat jetzt das menschliche Erbgut gefunden für Zögern und Zaudern. Es ist das „Diep-Gen“.

(Heiterkeit und Beifall)

Ja, so ist das, wenn man Weltkompetenzzentrum ist – dann kriegt man das heraus. – Diepgen also regiert nicht, und er hat auch keine Mehrheit in seiner Partei. In Neukölln kommen die BVVer zu uns, in Kreuzberg wandern gleich hundert CDU-Mitglieder in andere Bezirke ab, in Lichtenberg und Hellersdorf finden statt Parteitagen Gerichtsverhandlungen statt, und in Wilmersdorf wird solange gewählt, bis das Ergebnis passt.

(Beifall)

Die CDU hat aber durchaus ihre eigenen Antworten auf die Probleme der Stadt: Ausgangssperre für Jugendliche, Zuzugssperre für Migrantinnen und Migranten, Missstände wegsperren und vertreiben, und in der Bildungspolitik möchte sie noch ein paar Extrawürste für die Bonner. Liebe Bonner Zuzügler! Ich sage euch: Die Berliner Schule ist vielfältig und gut. Wir werden und wir müssen sie euretwegen nicht ummodeln.

(Beifall)

Das Motto der CDU in den letzten vier Jahren war: erst die Partei, und dann das Land. Deswegen sagen wir der CDU: Macht euch endlich ehrlich. Ihr seid nicht hundert Prozent Berlin, sondern hundert Prozent altes West-Berlin.

(Beifall)

Und für Landowsky gilt: Er torpediert alles, was ihm vor die Flinte kommt, etwa das wichtige Projekt der Fusion mit Brandenburg mit der Bemerkung, die sozialistischen Wärmestuben müssten ausgekehrt werden. Die Bewag-Privatisierung wollte er durch gezielte Indiskretionen seinen bayrischen Amigos zuschanzen. Und die unglaubliche „Ratten“-Rede war kein Ausrutscher – so ist er. Und ich sage euch und den Kolleginnen und Kollegen der Berliner Stadtreinigung: „Dirty Landy“ – wir bringen das in Ordnung am 10. Oktober!

(Beifall)

Genossinnen und Genossen! Die SPD hat allen Grund, selbstbewusst zu sein. Wir haben die besseren Köpfe, und die CDU kann es einfach nicht. Frau Hübner war so mit ihrem Staatssekretär Orwat beschäftigt, dass sie keine Zeit hatte, den Krankenhausplan rechtzeitig vorzulegen. Überhaupt die CDU und die Staatssekretäre: Pufendorff macht Politik, Radunski baut Luftschlösser, und dann sagt Pufendorff, er wolle gehen. Jetzt aber mal ehrlich, Genossinnen und Genossen! Es geht doch nicht darum, ob er gehen darf. So einer, der nicht mehr will, gehört an die frische Luft gesetzt.

Ihr wisst ja, ich habe einen neuen Freund, Jürgen Klemann. Der glaubt, er habe den Beschluss über den 80:20-Verkehrsmix umgesetzt. 80 Prozent Autoverkehr, sagt sich Jürgen, das ist doch nicht schlecht! Da haben wir ja alles erreicht! – Reden und Handeln ist eben zweierlei bei der CDU. Das sieht man bei der inneren Sicherheit. Da gibt man sich mit einer flapsigen Bemerkung des Polizeipräsidenten zufrieden. So läuft es beim Innensenator. Aber Staatssekretär Böse und ein innenpolitischer Sprecher namens Gewalt – das klingt eben nach Programm, ich kann es auch nicht ändern.

(Beifall)

Soll ich noch etwas zum Wirtschaftssenator sagen? Erinnert sich noch einer an den Vorgänger oder nur an die Weinmarke? Aber darauf kommt es nicht an. Ich sage euch: Der Fisch stinkt vom Kopf her. Diepgens Kleinformat reicht eben nicht mehr für die deutsche Hauptstadt.

(Beifall)

Aber dass in den letzten vier Jahren doch noch so manches zustande gekommen ist, ist das Verdienst der SPD, unser Verdienst. Wir haben gegen den Willen der CDU den überschuldeten Haushalt saniert. Wir haben gegen den Willen der CDU die Bezirksgebietsreform durchgesetzt. Wir haben gegen die CDU die Verwaltungsreform durchgesetzt. Wir haben gegen die CDU für eine aktive Arbeitsmarktpolitik gestanden und insbesondere den Jugendlichen eine Chance gegeben. Da erleben wir viel von dem, was du, Christine, initiiert hast und was Gabi weiterführt. Herzlichen Dank!

(Starker Beifall)

Und wir haben auch gegen die CDU – auch wenn es manchmal anders berichtet wird – bei BVG und BSR die Rahmenbedingungen dafür durchgesetzt, dass sie sich zu wettbewerbsfähigen Unternehmen entwickeln können. Es ist nicht die schützende Hand von Landowsky gewesen. Die wollten fünf Jahre. Wir haben acht Jahre durchgesetzt, damit es keine betriebsbedingten Kündigungen gibt. Wir haben das Landesabfallgesetz durchgesetzt, damit die Kolleginnen und Kollegen der BSR ihre Jobs behalten können. Es waren die Sozialdemokraten, die für die Arbeitsplätze eingestanden sind!

(Starker Beifall)

Aber ich gebe zu, dass wir manche Erfolge auch gut versteckt haben, zum Beispiel in der Bildungspolitik die Grundschulreform 2000, das neue Schulgesetz, die Sprachförderung für Nicht-Deutsche, die Integration Behinderter, den Einstellungskorridor für Lehrerinnen und Lehrer. Gut, das hätte man besser kommunizieren können. Aber, Genossinnen und Genossen, wir waren und sind es, die die Grundlagen dafür schaffen, dass Berlin liebens- und lebenswert bleiben kann. Wir sind es, die die Zukunft der Stadt gestalten, und es sind unsere Konzepte – vom Planwerk Innenstadt über das Quartiersmanagement bis zur „Sauberen Stadt“ -, die notwendig sind, um diese Stadt liebens- und lebenswert zu erhalten.

Natürlich verändert sich viel, und das tut Berlin gut. Aber wir werden auch künftig dafür sorgen, dass die Berlinerinnen und Berliner sich hier zu Hause fühlen. Die „Helle Mitte“ ist uns genauso wichtig wie der Potsdamer Platz. Die Kietze in Neukölln, in Friedrichshain, in Köpenick sind uns genauso wichtig wie das Kulturforum. Bei allen Veränderungen, bei neuen Jobs, neuen Mitbürgern, neuen Quartieren – für eins stehen wir ein: Die Berlinerinnen und Berliner wissen: Berlin bleibt doch Berlin. Berlin behält seinen Charakter als aufregende Zukunftsstadt im Herzen Europas.

(Beifall)

Wir beraten heute unser Wahlprogramm, und dieses Wahlprogramm ist die Richtschnur unseres Handelns in der kommenden Legislaturperiode. Doch ein Wahlprogramm bleibt bedrucktes Papier, wenn wir es nicht alle zu unserer Sache machen. Gestattet mir deshalb ein paar persönliche Bemerkungen: Wir sind, wie jeder weiß, in einer schwierigen Phase. So mancher hat sich schon verunsichern lassen. Die Stimmung ist nicht gerade freundlich für uns, und von Rückenwind kann nicht direkt die Rede sein. Vieles war von uns nicht zu beeinflussen. Aber wir hatten auch nicht in allem eine glückliche Hand. Ich habe zum Beispiel gelernt, dass nicht jeder Denkanstoß in eine Beschlussvorlage münden muss. Aber manchmal habe ich auch gedacht, ich greife nur noch in die Scheiße: Zwei Tage nach der gelungenen Willkommensveranstaltung in der Volksbühne tritt Oskar zurück. Dann haben wir die Momper-Postkarte in den Redaktionen; „lieber eine Glatze als gar kein Profil“, da taucht die Putzfrau auf. Und die Europa-Wahl war auch nicht gerade überzeugend. Das war nicht leicht, und es ist nicht nur mir so gegangen. Einige von euch habe ich immer seltener gesehen, dafür umso häufiger von ihnen gelesen. Daran müssen wir etwas ändern, Genossinnen und Genossen! Wahlkampf ist unsere gemeinsame Sache!

(Starker, anhaltender Beifall)

Es ist meine tiefe Überzeugung: Wir können die Wahl gewinnen, und wir gewinnen die Wahl mit Walter Momper!

(Starker Beifall)

Wie die meisten von euch wissen, waren Walter und ich nicht immer ein Herz und eine Seele. Aber ich will euch dann doch einmal etwas sagen: Gerade in der letzten Zeit habe ich Walter bewundert. Nach der Geschichte mit Friederike hat eine bestimmte Presse den Versuch unternommen, Walters Familie zum Vehikel ihrer Kampagne zu machen. Aber er hat sich nicht hereinlegen lassen von denen, die das betrieben haben!

(Starker Beifall)

Noch am selben Tag ist er wieder unter die Menschen gegangen, hat sich gewehrt, hat seine Tochter verteidigt und hat für unsere Ziele geworben. Ja, man muss sich dann wehren, wenn die Presse so etwas macht, wie es Oscar Wilde ausgedrückt hat: In früheren Zeiten bediente man sich der Folter. Heutzutage bedient man sich der Presse.

(Beifall)

Und Walter, ich habe mich in diesen letzten Wochen an 1989 erinnert, als die Mauer aufging und du Regierender Bürgermeister warst. Damals war es wirklich eine brenzlige Situation. Damals hat Walter die Nerven behalten: Er hat dafür gesorgt, dass hier nicht Tumult entsteht, hat dafür gesorgt, dass alle anpacken, die Verwaltungen motiviert sind, und dafür gesorgt, dass die Situation friedlich geblieben ist. Wer so etwas durchgestanden hat, der hat auch in der jetzigen Situation die Nerven!

(Starker Beifall)

Dennoch: Unsere Umfragen könnten besser sein, im Bund wie in Berlin. Und jeder von uns wusste im Herbst letzten Jahres, dass der Wahlkampf in Berlin nicht leicht werden würde – auch wenn manche gedacht haben, das Ding ist schon gelaufen. Aber ich sage: Unsere Voraussetzungen sind trotz aller Umfragen nicht schlecht. Wir liegen in fast allen wichtigen Kompetenzfeldern vor der CDU. Darauf können wir stolz sein, und das müssen wir nutzen. Wir wollen stärkste politische Kraft werden. Wir wollen den Führungswechsel in Berlin. Berlin ist nicht Bremen, Diepgen ist nicht Scherf.

(Beifall)

Jetzt sind drei Dinge notwendig: 1. Wir müssen einheitlich auftreten. 2. Wir brauchen den Einsatz von allen. 3. Wir müssen davon überzeugt sein, dass wir gewinnen können.

Zu 1., einheitliches Handeln: Plakate und Briefe gewinnen keine Wahlen. Selbst der Spitzenkandidat ist nur ein – wenn auch besonders wichtiger Teil – unseres Wahlkampfs. In Wirklichkeit sind wir hier alle, von den Führungspersönlichkeiten bis zu den Abteilungen, für den Erfolg verantwortlich.

(Vereinzelter Beifall)

Der Gesamteindruck entscheidet über unser Ergebnis. Und darum bitte ich euch: Wann immer ihr, wo auch immer, zu unserer Politik Auskunft gebt – am Infostand, beim Hausbesuch oder bei einem Telefonat mit Journalistinnen und Journalisten: Wir sind alle Kommunikatoren. Wir gewinnen oder verlieren alle zusammen. Einige meinen wohl, im Hintergrundgespräch käme es nicht so darauf an, weil es nicht gedruckt wird. Das ist falsch! So entstehen Stimmungen, und jeder in Berlin weiß, dass Diepgen und Landowsky in der CDU keine Mehrheit mehr haben. Aber die, die dort die Mehrheit haben, also ihre Kritiker, halten im Wahlkampf den Mund, und ich wünschte mir, wir könnten die Eitelkeiten auch bis zum 10. Oktober zurückstellen.

(Beifall)

Ich will da niemanden kritisieren, ich weiß selber, wie schwierig es ist, einmal auf einen Kommentar zu verzichten. Aber glaubt mir, es lohnt sich.

(Vereinzelter Beifall)

Zu 2., der Einsatz: Wahlkampf ist unsere gemeinsame Sache. Wir packen jetzt alle zusammen an, und dann wollen wir doch einmal sehen. Ran an die Wählerinnen und Wähler! Und das geht nicht nur die Kandidatinnen und Kandidaten an und nicht nur die, die sowieso immer die Arbeit machen. Das ist unser aller Job bis zum 10. Oktober diesen Jahres!

(Beifall)

Wir können die Wählerinnen und Wähler von unserem Programm überzeugen. Arbeitsplätze, Bildung, die Stadt sozial entwickeln – das sind unsere Botschaften, und wir wollen, dass die Wählerinnen und Wähler am 10. Oktober sagen können: Gut, dass wir verglichen haben!

Und 3.: Wir schaffen es! Wir dürfen uns nicht die Laune verderben lassen. Wir schaffen das am 10. Oktober, und zwar alle zusammen. Wenn wir allerdings schlecht drauf sind, kommunizieren wir das Wahlergebnis gleich mit. Lasst euch nicht verunsichern! Willy Brandt hat einmal gesagt: Ich habe meine Erfahrung bestätigt gesehen, dass es hoffnungslose Situationen kaum gibt, solange man sie nicht als solche akzeptiert. – So ist es!

Liebe Genossinnen und Genossen! Es geht nicht um uns, nicht um die SPD. Es geht um die Zukunft der Berlinerinnen und Berliner. Das ist unser Auftrag. Herzlichen Dank!

(Starker, anhaltender Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Wir kommen zu

Punkt 3 der Tagesordnung

Bericht des Fraktionsvorsitzenden Klaus Böger

Das Wort hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Klaus Böger!

(Beifall)

Klaus Böger: Liebe Genossinnen, liebe Genossen! Seit gut zehn Jahren trägt die Berliner SPD als Regierungspartei politische Verantwortung für Berlin. In diesen Jahren haben wir – und das ist auch unsere Aufgabe – für die Stadt viel geleistet. 1990, nach der Wiedervereinigung unserer Stadt, haben uns die Wählerinnen und Wähler eine Rolle zugewiesen, in der wir nicht den Regierenden Bürgermeister stellen konnten. Um es vorweg zu sagen: Das können wir ändern, das wollen wir ändern, und das werden wir ändern!

(Beifall)

Wir haben mit unseren Leistungen in den letzten Jahren die Grundlage für ein zukunftsfähiges Berlin geschaffen und auch – davon bin ich fest überzeugt – für einen erfolgreichen Wahlkampf. Die Erfolge sind nicht nur die Erfolge der Fraktion oder der Senatsmitglieder. Nein, das sind die Erfolge der gesamten Berliner SPD. Die SPD war und ist der Motor in der großen Koalition. Wir, liebe Genossinnen und Genossen, haben die notwendigen Schritte auf dem Weg zur Erneuerung der Stadt durchgesetzt. Wir haben durch Reformen in Politik und Verwaltung die entscheidenden Voraussetzungen für die Modernisierung, ja für die Lebensfähigkeit der Stadt geschaffen.

Wir wissen: Wer Veränderungen will, der muss oben anfangen, muss überzeugen. Daher haben wir die Verkleinerung des Senats von fünfzehn auf acht Ressorts durchgesetzt.

(Vereinzelter Beifall)

Daher haben wir das Abgeordnetenhaus von ehedem 200 auf 130 Mitglieder reduziert. Daher haben wir die Bezirke von 23 auf 12 reduziert, und daher haben wir die Verwaltungsreform durchgesetzt und einen bürgernahen und leistungsstarken öffentlichen Dienst auf den Weg gebracht. Das sind Leistungen, die sich sehen lassen können!

(Beifall)

Wir haben in der Regierungsarbeit einen weiteren, ganz klaren Schwerpunkt gesetzt: Uns ging und geht es darum, Zukunftschancen für die junge Generation in Berlin sicherzustellen. Wir haben mit Christine Bergmann – und Gabi Schöttler hat dies genauso fortgesetzt – Ausbildungsplätze für junge Leute von Staats wegen wie in keinem anderen Bundesland geschaffen.

(Beifall)

Und weil von den Konservativen so viel über die Staatsquote gesprochen wird und darüber, dass sie zu hoch sei – eins ist wohl wahr: Die Staatsquote bei den Ausbildungsplätzen, die ist in der Tat zu hoch. Da ist mehr von der privaten Wirtschaft zu erwarten. Dessen ungeachtet haben wir die jungen Leute nicht alleine gelassen und werden dies auch nicht tun.

(Beifall)

Wir haben die Initiative ergriffen in der sozialen Stadtentwicklung, Peter Strieder hat darüber berichtet. Wir wollen nicht, dass die Quartiere in unserer Stadt umkippen. Wir wollen, dass man sich Kietz wohlfühlt. Deshalb haben wir entscheidende Veränderungsschritte eingeleitet und werden auch am Ball bleiben.

Wir haben, liebe Genossinnen und Genossen, in der Bildungspolitik wichtige Reformen angeschoben. Trotz des notwendigen und unabweisbaren Einstellungsstopps haben wir in der Vergangenheit mehr als 500 zusätzliche Stellen für Lehrerinnen und Lehrer in der Bildungspolitik geschaffen. Vielleicht haben wir das verschwiegen. Aber wir haben es getan, und es war richtig so!

(Vereinzelter Beifall)

Wir haben die Grundschule reformiert beziehungsweise Reformen auf den Weg gebracht. Wir haben ein Konzept zur Veränderung der Schule: Die Schule soll mehr Selbständigkeit, die Lehrerinnen und Lehrer und die Schülerinnen und Schüler sollen mehr Rechte bekommen. Wir werden die Bildungspolitik auch weiterhin zu einem Schwerpunkt unserer Politik machen.

(Vereinzelter Beifall)

Es gibt – und das will ich einmal sagen – ja vielfältige und berechtigte Kritik an der einen oder anderen Boulevardzeitung. Aber ich sage auch mit ganzem Freimut: Wenn man die CDU in der Vergangenheit gehört hat, konnte man den Eindruck gewinnen, in der Berliner Schule gehe es drunter und drüber. Die Bonner kommen, sie finden ein marodes System, es geht hier nichts voran, und wir sind gewissermaßen die Letzten in der Schlange. Ich darf den Damen und Herren der CDU empfehlen – sonst tun sie es ja auch einmal: Lest doch einmal die BZ! Diese hat, wie ich finde, eine hervorragende Darstellung über die Leistungen, die Vielfältigkeit, das differenzierte Angebot in Berlin gegeben und gemeint, dass die Berliner Schule von Grund auf klasse ist.

(Beifall)

Wir haben, um ein weiteres Beispiel zu nennen, mit den Leistungsverträgen für die Berliner Hochschulen die Weichen für mehr Qualität, internationale Wettbewerbsfähigkeit, Planungssicherheit und Eigenverantwortung der Hochschulen gestellt. Dadurch schaffen wir die Voraussetzungen für eine zukunftsfähige Berliner Wissenschaftslandschaft.

Wir haben mit dem internationalen Flughafen in Schönefeld das größte europäische Infrastrukturprojekt auf den Weg gebracht. Nun lesen wir ja einiges in den Zeitungen. Aber es war unsere Fraktion in Berlin, die dieses Projekt auf den Weg gebracht hat. Die Probleme, die sich jetzt stellen – wenn es denn Probleme sind -, sind Probleme der Exekutive, und ich bin ganz sicher: Sie werden geklärt, und sie müssen auch geklärt werden, weil der internationale Flughafen Berlin-Schönefeld ein notwendiges und dringendes Zukunftsprojekt für die Stadt und die ganze Region ist.

(Beifall)

Und was den berühmten Konsensbeschluss betrifft: Er ist ja nicht nur eine politische Verabredung, sondern eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit. Tempelhof wird nach gerichtlich festgestellter Planfeststellung geschlossen werden, und Tegel wird geschlossen, wenn die zweite Start- und Landebahn in Schönefeld in Betrieb genommen wird. Dabei bleibt es!

(Beifall)

Nun lese ich heute in den Zeitungen: Da versteigt sich das Sprachrohr von Herrn Diepgen – und wahrscheinlich sagt er das selbst auch -, Herr Liepelt, mit der Aussage an die Berlinerinnen und Berliner: 1. Tegel bleibt offen. Das wird ein Regierungsflughafen. Und 2.: Tempelhof bleibt auch offen, das wird ein Wirtschaftsflughafen. – Wisst ihr, was er 3. nicht sagt? – Das hat zum Ergebnis, dass diese ganze Stadt platt und zu bleibt. Das ist Irrsinn, was dort erzählt wird – um das einmal ganz deutlich zu sagen.

(Vereinzelter Beifall)

Es macht keinen Sinn, den Menschen in dieser Stadt nach dem Munde oder scheinbaren Munde zu reden. Ich stelle hier fest: Regierungsflughäfen gibt es in politischen Systemen, in denen die Regierenden fliegen und die anderen zu Hause bleiben. Ein solches System aber haben wir nicht!

(Beifall)

Und im übrigen: Herr Diepgen fliegt ja selbst viel. Das soll er tun. Das finde ich gut. Man muss auch im Ausland viel Erfahrungen sammeln. Aber wenn er über Flughäfen redet, dann soll er nicht so einen Quatsch in der Stadt erzählen, dass alles offen bleibt, weil wir sonst keine Leistungsfähigkeit bekommen, sondern dann soll er endlich einmal dafür sorgen, dass wir wieder eine Direktverbindung in die Vereinigten Staaten bekommen. Das ist eine Aufgabe, die sich lohnt, anstatt herumzuschwadronieren.

(Beifall)

Liebe Genossinnen und Genossen! Wir haben vor allem dafür gesorgt, dass unsere Stadt, dass Berlin nicht bankrott gegangen ist. Grundvoraussetzung für die Erneuerung der Stadt ist und bleibt eine konsequente Haushaltskonsolidierung. Niemand sollte sich täuschen lassen oder sich selbst etwas vormachen: Für sichere Finanzen zu sorgen bleibt auch in Zukunft die zentrale Aufgabe der Stadtpolitik. Das große Verdienst von Annette Fugmann-Heesing ist, dass sie gemeinsam mit der Fraktion das Ruder in buchstäblich letzter Sekunde herumgerissen hat.

Als ich im Januar 1996 dich, Annette, angerufen habe und dich nach Berlin gebeten, gelockt und schließlich überzeugt habe, da habe ich dich noch nicht so ganz genau gekannt. Nachdem ich dich jetzt länger und ganz genau kenne, sage ich: Es wäre gut gewesen, wenn ich dich schon 1990 hätte anrufen können. Denn du bist ein Gewinn für diese Stadt!

(Beifall)

Ich bin ganz fest davon überzeugt: Wenn wir den Menschen vernünftig erklären, wie notwendig und wichtig unser Kurs ist, dann werden sie diesen Kurs auch mitgehen. Davon bin ich felsenfest überzeugt.

Gerhard Schröder hat auf Bundesebene Ähnliches festgestellt und durchgesetzt. Er hat gesagt: Stabile Finanzen sind die Grundlage für alles andere, und vor allen Dingen auch für eine Politik der sozialen Gerechtigkeit in unserem Land.

Die Herren Kohl und Waigel haben uns mit ungedeckten Schecks, mit einem Haushalt, der fast bankrott war, mit riesiger Massenarbeitslosigkeit, mit ausgeplünderten Sozialsystemen ein wirklich schweres Erbe hinterlassen. Sie haben sich eben nicht um Zukunftssicherung und Erneuerung gekümmert. Das ist jetzt unsere Aufgabe auf Bundes- und Landesebene.

(Beifall)

Die Aufgaben von Bund und Berlin gleichen sich. Aber es gibt gewaltige Unterschiede. In Bonn steht Gerhard Schröder uneingeschränkt und voll hinter seinem Finanzminister und gibt ihm volle politische Rückendeckung. In Berlin hingegen erleben wir einen Regierungschef, der nicht nur keine Rückendeckung gibt, sondern jedes Mal in Deckung geht, wenn es ernst und wichtig für die Stadt wird. Das ist der entscheidende Unterschied. Aber die Stadt braucht keinen Regierenden Bürgermeister, der in Deckung geht, sondern einen, der aus der Deckung kommt und die klaren Aufgaben der Stadt anspricht!

(Starker, anhaltender Beifall)

Dieser Regierende Bürgermeister hat der Stadt über zwei Jahre lang in einem wichtigen – ich würde fast sagen, dem wichtigsten – Feld, nämlich der Wirtschaftspolitik, einen Wirtschaftssenator zugemutet, der überhaupt keine Lust mehr hatte. Ich gebe zu, und wir wollen da keine Illusionen wecken: Der Staat, das Land Berlin, kann nicht automatisch Arbeitsplätze schaffen. Aber ein Wirtschaftssenator, der gar keine Lust mehr hat, der kann überhaupt nichts schaffen! Und es ist die Verantwortung von Herrn Diepgen, dass wir Schlusslicht sind!

(Beifall)

Auch im Krankenhaus-Bereich kann man erkennen, was es heißt, wenn man die Dinge liegen lässt. Wir haben über Jahre darauf gedrängt und gesagt, hier hat die Stadt einen notwendigen Korrekturbedarf, weil wir sonst dazu kommen werden, dass die Lohnnebenkosten in dieser Stadt noch höher werden – und das kann kein Verantwortlicher wollen. Die Konsequenz war: abtauchen. Über die Gesundheitssenatorin ist Ausreichendes gesagt. Sie hatte Streit mit ihrem Staatssekretär, er wollte da hin, sie hier hin. Diepgen wusste gar nicht, was er wollte. Und dann gibt es eben Notgeburten. Und auch da haben wir uns nicht weggeduckt. Aber hätten wir früher gehandelt, dann hätten wir besser handeln können.

(Vereinzelter Beifall)

Im übrigen gibt es ja neuerdings – und das erleben wir bei Herrn Diepgen – das scharfe Wort gegen Bonn. Nachdem er acht Jahre den Kuschelbär bei Kohl gemimt hat, macht er nun den Gummibären, den starken Mann und Faxen. Das ist nicht überzeugend!

(Vereinzelter Beifall)

Ich bin auch für ein sehr selbstbewusstes Auftreten Berlins, und wir haben das eine oder andere gemeinsam zu besprechen. Aber wie sehen eigentlich die Fakten aus? Was hat denn die neue Bundesregierung, was hat denn Gerhard Schröder für Berlin in dieser kurzen Zeit getan, und was hat denn Kohl uns hinterlassen? – Ich gebe euch drei Beispiele – zum einen die Kultur, unser aller liebstes Kind und ein wirklich wichtiges Feld für Berlin: In Kultur und Kulturfinanzierung haben wir außer großen Worten und großen Ankündigungen gar nichts von der alten Bundesregierung bekommen, und Schröder und Naumann haben erst die ungedeckten Schecks tatsächlich gesetzt und die Kulturfinanzierung für Berlin verstärkt. Das ist eine Leistung, die gut ist!

(Beifall)

Und was ist mit unserem wichtigsten Infrastrukturprojekt, dem internationalen Flughafen, und dessen Anbindung? Die ist absolut entscheidend: Wir brauchen einen Flughafen, der von Bahn und Autobahn erschlossen wird. Was hat denn da die alte Bundesregierung, was hat denn Herr Wissmann mit den Seinen unter Kohls Deckung gemacht? – Sie haben einen Plan geschrieben, und da stand „Anschluss“ drin. Aber sie haben diesen Plan überhaupt nicht ausfinanziert. Ausfinanziert hat das erst diese Regierung und Franz Müntefering.

(Beifall)

Schließlich noch ein drittes Beispiel – und manche werden sagen, da müssten noch mehrere kommen: das Olympia-Stadion. Das ist ein wichtiger Punkt für die Stadt. Natürlich braucht sie ein leistungsfähiges und modernes Olympia-Stadion, das ist doch überhaupt keine Frage. Und natürlich brauchen wir auch Unterstützung vom Bund. Aber wie war denn das? – Da hat Kohl als Kanzler gesagt: 100 Millionen DM. Da ist es uns gelungen – ich gebe zu, auch mit ein paar Tricks -, in der Oppositonsphase Gerhard Schröder auch auf eine Zusage von 100 Millionen DM zu bringen. Aber jetzt kommt der entscheidende Unterschied: Das eine war ein ungedeckter Scheck, aber Gerhard Schröder hat eben diese Zusage wahr gemacht. Der Bund wird mindestens 100 Millionen DM für das Olympia-Stadion geben. Und das ist in diesen harten Zeiten – und das sage ich auch einmal in Berlin – eine Leistung für die Bundesregierung.

(Beifall)

Liebe Genossinnen und Genossen! Lasst mich auch ein Wort zur demoskopischen Lage sagen. Wir leben ja in Zeiten in Berlin, da meint man, es gibt bei Diepgen einen hektischen Stillstand, und trotzdem gibt es ständig Umfragen. Damit müssen wir fertig werden. Ich gebe zugleich zu: Wir wollen keine Umfragen gewinnen, sondern Wahlen. Aber, es ist überhaupt keine Frage: Das Bild, das wir dort sehen, was heute so in den Zeitungen ist, ist nicht gut, da brauchen wir nicht darum herumzureden. Aber nun darf ich einmal, selbst in dieser schwierigen Lage, auf etwas aufmerksam machen: Das Meinungsbild ist, selbst wenn man die letzten zwei Wochen in den verschiedenen Umfragen verfolgt, diffus und in Bewegung. Die CDU liegt noch vorne. Aber es gibt ganz unterschiedliche Vorsprünge und ganz unterschiedliche Aussagen. Und daraus folgt – und das ist kein übertriebener Optimismus, sondern eine klare Analyse: Es ist in dieser Stadt, was die Wahl am 10. Oktober betrifft, überhaupt noch nichts entschieden. Es gibt noch Möglichkeiten, dieses Steuer herumzureißen, und das werden wir schaffen!

(Starker Beifall)

Lasst mich noch ein Wort zu Bremen sagen – darauf haben manche gewartet: 1. Bremen hat gezeigt, dass die platte Aussage nicht zutrifft, wonach man die Landtagswahlen verliere, wenn man die Bundesregierung stelle. Das ist Quatsch! Bremen hat gezeigt, dass die SPD auch dann Landtagswahlen gewinnt, wenn sie die Bundesregierung stellt. Das ist die erste Erkenntnis.

Die zweite: Bremen hat gezeigt – auch für uns: Es ist wichtig und richtig, wenn man in einer großen Koalition mit einem politischen Gegner steht – von der Gesamtstruktur her -, muss man sich zu seinen politischen Leistungen bekennen und braucht sich nicht zu verstecken. Auch das hat Bremen gezeigt.

(Beifall)

Und drittens – da gibt es nun bemerkenswerte Unterschiede zu Berlin: Diese bremische große Koalition wird von der SPD und einem Regierungschef geführt, der eben nicht in Deckung geht, sondern die Aufgaben gemeinsam anpackt. Das ist in Berlin anders. Hier haben wir einen Regierungschef, der in Deckung geht, und deswegen muss er ausgewechselt werden. Wir brauchen einen, der die Sachen anpackt.

(Beifall)

Schließlich: Was folgt daraus? – Daraus folgt ganz einfach: Unser erstes und wichtigstes Wahlziel ist, dass wir wollen und es packen werden, dass die SPD die stärkste politische Kraft in Berlin wird, weil wir die politische Führung in der Stadt übernehmen wollen.

(Beifall)

Wenn wir die politisch stärkste Kraft sind, werden wir, anders als in Bremen, unter unserer Führung und mit unserer Stabilität eine andere, eine Reformkoalition für diese Stadt angehen.

Berlin – davon bin ich überzeugt – braucht eine Politik der Erneuerung mit Augenmaß. Dazu gehören Modernisierung und soziale Gerechtigkeit, aber eben auch eine Politik – und dafür stehen wir -, die die Schwachen und jene, die in unserem Land und in unserer Stadt Probleme haben – und das sind viel zu viele -, niemals aus dem Auge verliert. Unser Ziel ist – ich sage es einmal mit der berühmten Formel: 30 Prozent plus x. Das können und müssen wir erreichen, und dann wird Walter Momper der nächste Regierende Bürgermeister in Berlin!

(Beifall)

Das schaffen wir aber nicht mit Kleinmut – Peter Strieder hat schon darauf hingewiesen -, sondern nur, wenn wir bis zum 10. Oktober gemeinsam und entschlossen für den Erfolg kämpfen. Wir haben keinen Anlass, uns entmutigen zu lassen! Ich sage, und wir sagen: Berlin braucht keinen Regierenden Bürgermeister, der vor den notwendigen Entscheidungen wegrennt. Berlin braucht einen Regierungschef, der entschlossen zum Wohl der Stadt und der Menschen handelt, unterstützt von einer starken und zukunftsorientierten Sozialdemokratischen Partei. Deswegen hat Walter Momper mein Vertrauen, und deswegen muss Walter Momper Regierender Bürgermeister von Berlin werden!

(Starker, anhaltender Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Ich möchte mitteilen, dass sich die Mandatsprüfungskommission um 12 Uhr im Saal 5 trifft. Die Namen möchte ich jetzt nicht verlesen. Ich denke, ihr wisst alle in den Kreisen, wer von euch zur Mandatsprüfungskommission gehört. Es sind die gleichen, die wir auf dem Jahresparteitag gewählt haben. Die Mandatsprüfungskommission ist also um 12 Uhr im Saal 5.

Wir kommen dann zu

Punkt 4 der Tagesordnung

Willkommen Zukunft. Berlin bleibt doch Berlin:
Vier Statements von Unterstützern

Ich übergebe das Wort und das Mikrofon an Monika Buttgereit!

Monika Buttgereit: Liebe Genossinnen und Genossen! Wir befinden uns seit vielen Wochen im Wahlkampf, ihr alle wisst das. Wahlkampf lebt vom Einsatz vieler ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer von innerhalb und außerhalb der Partei. Ich denke, wir sollten heute schon einmal diesen Helferinnen und Helfern unseren Dank aussprechen für die vielen Wochen harter Arbeit, die hinter ihnen liegen, und für die noch viel härteren Wochen Arbeit, die bis zum 10. Oktober vor ihnen und vor uns allen liegen.

(Beifall)

Wahlkampf lebt auch ganz besonders vom Einsatz von Bürgerinnen und Bürgern, die bereit sind, sich für einen Kandidaten nach außen hin zu öffnen und sich für ihn zu engagieren. Es ist kein Zufall, dass gerade Walter Momper so viele Unterstützergruppen um sich geschart hat. So bin ich heute besonders stolz darauf, dass ich einige Vertreterinnen und Vertreter dieser Unterstützergruppen auf unserem Landesparteitag begrüßen kann. Liebe Genossinnen und Genossen! Lasst uns gemeinsam begrüßen: als erstes aus der Initiativgruppe „Studentinnen und Studenten für Walter Momper“ Petra Eschen. Sie ist Studentin der Politikwissenschaft und Koordinatorin der Initiative „Bildung schafft Arbeit mit Zukunft“. Herzlich willkommen, Petra!

(Beifall)

Aus der Initiativgruppe „Unternehmerinnen und Unternehmer für Walter Momper“ begrüße ich sehr herzlich Dr. Thilo Sarazin!

(Beifall)

Herr Dr. Sarazin ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft und seit Donnerstag stellvertretender Vorsitzender der „Berliner Wirtschaftsgespräche“. Nachträglich herzlichen Glückwunsch!

(Beifall)

Für die Gruppe „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für Walter Momper“ begrüßen wir Prof. Dr. Ernst Uhe. Er ist Professor an der TU Berlin und Herausgeber der Zeitschrift „Berufsbildung“.

(Beifall)

Für die Gruppe „Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für Walter Momper“ begrüßen wir stellvertretend zum einen Helmfried Hauch. Er ist ÖTV-Mitglied und Schwerbehinderten-Vertrauensmann bei der Berliner Stadtreinigung. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Und wir begrüßen Jürgen Lindemann, IG Metall-Mitglied sowie Betriebsratsvorsitzender der Elektro-, Energie- und Kommunikationsanlagen GmbH in Berlin-Marzahn!

(Beifall)

Last not least begrüße ich ganz herzlich für die „Künstlerinnen und Künstler für Walter Momper“: Juppi von der UFA-Fabrik. Herzlich willkommen!

(Starker Beifall)

Die UFA-Fabrik hatte ja vor wenigen Wochen ihr 20jähriges Jubiläum. Juppi, ich denke, du kannst vom ganzen Parteitag herzliche Grüße übersenden. Einige von uns hatten ja die Ehre, an der Feier teilnehmen zu dürfen. Wir haben uns dort köstlich amüsiert. Wir hoffen, dass wir noch viele weitere Jahre mit der UFA-Fabrik hier in dieser Stadt feiern und leben dürfen.

(Beifall)

Jetzt möchte ich euch noch ein Fax von jemandem vorlesen, der auch gern heute hier oben gestanden und etwas zu Walter Momper gesagt hätte, von Wolfgang Völz. Er kann leider nicht kommen, hat uns aber dieses Fax geschickt. Ich finde es so toll, dass ich es euch nicht vorenthalten möchte:

Die innigsten Grüße an den SPD-Landesparteitag in Berlin! Zu meinem anstehenden 70. Geburtstag wünsche ich mir Walter Momper als Regierenden Bürgermeister.

(Beifall)

Ich halte ihn für den besten Mann, und er ist der einzige, der mich über meine schmerzliche Rentenkürzung hinwegtrösten kann. Allen anderen wünsche ich toi, toi, toi! und bei den Wahlen mindestens eine Handbreit Wasser unter dem Ergebnis!

Wolgang Völz

(Beifall)

Wir stehen hier etwas gedrängt, aber ich hoffe trotzdem, dass wir es schaffen, ohne herunterzufallen. Frau Eschen! Warum engagieren Sie als Studentin sich gerade für Walter Momper?

Frau Eschen: Zunächst möchte ich betonen, dass ich nicht in der Partei bin. Ich bin parteilos. Ein zweiter, sehr wichtiger Aspekt, den ich gleich hier anführen möchte, ist, dass ich hier nicht nur aus der Sicht einer Studentin sprechen möchte. Ich bin zwar Studentin, aber ich denke, dass es für meine Generation sehr typisch ist, dass wir nicht nur unsere eingeschränkten hochschulpolitischen Interessen in den Vordergrund stellen wollen, sondern auch wissen, dass es große Probleme in Berlin insgesamt gibt. Deswegen möchte ich erst einmal betonen, warum ich für Walter Momper bin: Zum einen ist es, ganz klar, seine Persönlichkeit. Ein Regierender Bürgermeister sollte glaubwürdig und durchsetzungsfähig sein, und in seiner direkten, auch sehr unbequemen Art ist er ein authentischer Politiker mit Visionen. Das halte ich für sehr wichtig, und ich denke, dass das auch in der Bevölkerung so gesehen wird.

Er kritisiert – das ist sehr wichtig -, auch wenn er damit unbequem ist. Er fordert auch unpopuläre Maßnahmen, und ich denke, dass die Bevölkerung bereit ist, unpopuläre Maßnahmen hinzunehmen, wenn sie einsieht, dass sie notwendig sind.

Es gibt einen zweiten, sehr wichtigen Grund, warum ich Walter Momper und auch die SPD unterstütze: Wie ich finde, setzt sie die richtigen Schwerpunkte, die für die Zukunft Berlins wichtig sind. Das ist zum einen die Wirtschaftspolitik, zum anderen die Bildungspolitik. Ich denke, dass es hier sehr gute, innovative Konzepte gibt. Ich möchte sie einmal kurz anführen: Berlin ist ja ganz klar eine Wissenschaftsstadt. Und Bildung ist das Zukunftspotential, das Berlin hat. Das ist wirklich der entscheidende Bereich. Das muss einfach zum Schlüsselthema in Berlin werden, und ich denke, dass die Berliner SPD das erkannt hat und auch wirklich sehr gute Ideen vorstellen kann. Einige Punkte hierzu: Es ist ganz offensichtlich, dass wir uns zur Informationsgesellschaft ändern. Wir haben ganz neue Herausforderungen durch den stärker werdenden internationalen Wettbewerb. Insofern muss sich auch das Bildungssystem diesen neuen Herausforderungen stellen. Es muss modernisiert werden.

Hier bietet die Berliner SPD wirklich sehr gute Punkte an, und zwar nicht nur Einzelbereiche betreffend, sondern hier muss das ganze Bildungssystem über die Schule, die Ausbildung, die Universität bis zur beruflichen Weiterbildung reformiert werden. Es ist ganz klar: Bildung durchzieht das ganze Leben, Bildung und Lernen. Und je besser die Bildung ist, desto besser sind natürlich auch die Chancen, gute Arbeitsplätze zu bekommen, und desto geringer ist auch die Arbeitslosigkeit. Hierzu zähle ich zum einen das Konzept „Grundschule 2000“. Ich finde gut, dass es eine noch größere Vielfalt im Bereich der Berliner Bildungseinrichtungen geben soll. Des Weiteren finde ich auch die zunehmend internationale Ausrichtung im Bereich der Ausbildung sehr gut. Auch schätze ich sehr, dass wirklich jedem Jugendlichen, der einen Ausbildungsplatz haben will, auch ein Ausbildungsplatz gegeben werden soll.

Im Bereich der Hochschule ist es ganz wichtig, dass große Teile sich stärker auf die Arbeitswelt orientieren.

Den letzten Punkt, den ich sehr wichtig finde, ist das lebensbegleitende Lernen. Dieses System muss hier in Berlin wirklich ermöglicht werden, und ich denke, dass gerade die „job-rotation“, die Walter Momper sehr häufig fordert – und auch Gabriele Schöttler forciert dieses Projekt -, weiter ausgedehnt werden sollte. Das ist eine sehr vielversprechende Chance.

Insgesamt möchte ich sagen, dass ich denke, dass die Berliner SPD und Walter Momper wirklich gute Konzepte in der Bildungspolitik haben. Sie haben innovative Konzepte. Das muss nur wesentlich stärker nach außen getragen werden. Die Öffentlichkeit muss es einfach einmal mitbekommen, welche guten Konzepte die Berliner SPD und Walter Momper präsentieren können.

(Beifall)

Ich möchte damit meinen Wunsch verbinden, dass dieser Parteitag die Wende dahin bringt, dass die guten Konzepte, die Walter Momper und die Berliner SPD vorzeigen können, wirklich selbstbewusst umgesetzt werden können.

(Beifall)

Monika Buttgereit: Danke schön! Daran haben wir in den letzten Wochen gearbeitet, und wir werden das heute vollziehen. Auch ich bin froh, und wohl viele in der Partei sind es, dass Walter Momper das Thema Bildung zu seinem Thema gemacht hat. Wir hoffen, dass wir da gemeinsam vorankommen. Vor allem hoffen wir, dass viele junge Menschen Ihrer Generation ihrer Meinung sind und in der SPD einen Hoffnungsträger sehen. Vielen Dank!

(Beifall)

Herr Dr. Sarazin! Ein Unternehmer wie Sie hat sicherlich etwas andere Gründe, sich für den Spitzenkandidaten Walter Momper zu engagieren.

Herr Dr. Sarazin: Das, was wir eben hörten, ist natürlich auch immer mit dabei. Aber ich weiß als Unternehmer, dass man sich, wenn man überleben, sich verbessern will, zur rechten Zeit verändern muss. Man darf nicht warten. Man muss den richtigen Zeitpunkt nehmen, und dann muss man entschieden handeln. Und wir haben es eben gehört: Wir haben in Berlin – ich selbst bin nicht aus Berlin, sondern neu hier – eine Dreiteilung der Politik. Zwei große Parteien wollen nichts verändern: Die eine will in West-Berlin nichts verändern, die andere in Ost-Berlin. Nur eine Partei will in der ganzen Stadt etwas verändern, und sie hat auch etwas verändert. Sie hat vor allen Dingen den Mut besessen, dort zu verändern, wo es erstens notwendig ist, zweitens aber vielen weh tut. Ein kleineres Abgeordnetenhaus zum Beispiel kann keine Begeisterung in den Parteien auslösen. Weniger Geld für viele gute Zwecke – das kann auch keine Begeisterung auslösen. Weniger öffentliche Verwaltung – auch das kann keine Begeisterung auslösen. All dies ist geschehen, all dies wurde von der SPD angestoßen. Und Walter Momper als Person, in der Art, wie er ist – und jeder ist irgendwie unveränderlich -, steht für mich für eins: Mit ihm wird es garantiert nicht keine Veränderungen geben. Er steht aufgrund seines Wesens und seiner Art einfach dafür, dass etwas passiert – weil er so ist, wie er ist. Man kann heute noch nicht sagen, was passieren muss. Man weiß nur, man offen sein und rechtzeitig und richtig handeln. Man muss das, was man tut, dann auch vermitteln, und man muss die einzelnen Elemente richtig verbinden.

Schauen wir nach Bonn: Dort geschieht im Moment etwas, was normalerweise jede Regierung hinwegfegen würde, nämlich dass man alle Wähler gleichzeitig ärgert. Wenn es ein Erfolg wird, dann deshalb, weil es richtig vermittelt wurde und weil die Dinge zum rechten Zeitpunkt kamen. Und darauf setze ich bei Walter Momper. Vielen Dank!

(Beifall)

Monika Buttgereit: Vielen Dank! Ich darf Sie als Neu-Berliner ganz herzlich in Berlin willkommen heißen!

Wir kommen zur Wissenschaft: Herr Prof. Uhe, ich habe gesehen, Sie haben schon bei vielem genickt, das Frau Eschen gesagt hat. Weshalb unterstützen Sie Walter Momper?

Herr Prof. Dr. Uhe: Ich kann all die Punkte unterstützen, die Frau Eschen erwähnt hat. Ich möchte hinzufügen: Wir als Wissenschaftler sind eigentlich so ein ganz klein wenig enttäuscht von der Politik, weil oft von Stellenabbau und Sparen und so weiter die Rede ist. Es wird gesagt: Die Wissenschaft muss dazu dienen, der Wirtschaft in Berlin ein gutes Fundament zu geben, das sei ihre Aufgabe. Andere wiederum sagen: Ihr müsst dafür sorgen, dass so viele Studienplätze da sind, dass wenigstens alle Landeskinder studieren können. Also ich verstehe unsere Aufgabe so, dass wir beides – also Dienstleister der Wirtschaft und Dienstleister der jungen Menschen – sind, und für mich ist Walter Momper derjenige, der dafür sorgt, dass das in einem ausgewogenen Verhältnis passiert, so dass keine dieser beiden Aufgaben unter den Tisch fällt.

Ich möchte noch etwas weiteres sagen: Wir Wissenschaftler brauchen eine Motivation. Wir müssen dafür, dass wir unter relativ schwierigen Bedingungen Höchstleistungen erbringen sollen, einen Motivationsschub haben, und solch ein Motivationsschub könnte durch einen Regierungswechsel und durch die Person Walter Mompers geschehen.

Ich möchte noch etwas gern sagen: Ich schaue hier herum und sehe, dass ich einer der Älteren in diesem Saal bin. Für mich gab es im November 1969 einen Glückstag. Wir hatten damals einen sozialdemokratischen Bundespräsidenten, Gustav Heinemann, und wir bekamen einen sozialdemokratischen Bundeskanzler, Willy Brandt. Seit Donnerstag dieser Woche ist die Konstellation im Bund genauso. Es fehlt eigentlich nur noch eins: Wir brauchen einen sozialdemokratischen Regierenden Bürgermeister.

(Beifall)

Monika Buttgereit: Diesem Wunsch können wir alle uns nur anschließen. Vielen Dank, Herr Prof. Uhe!

Jetzt komme ich zu Herrn Lindemann und zu Herrn Hauch: Die Veränderungen in Berlin waren ja sehr schmerzlich in den letzten Jahren, auch die durch die Politik verursachten, etwa durch die Umwandlungen, die passieren mussten. Das gab durchaus auch Konflikte mit Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern. Deswegen meine besondere Frage an Sie beide: Weshalb sehen Sie es anders als manche Ihrer Kolleginnen und Kollegen, die gesagt haben, die SPD sei im Moment nicht wählbar für sie? Sie engagieren sich ja nun für Walter Momper und für die SPD.

Helmfried Mauch: Ich finde die SPD schon wählbar, wenn ich mir die anderen Alternativen in der Stadt so angucke. Ich engagiere mich auch deshalb, weil ich meine, in der SPD müssen wir als Gewerkschafter und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wieder stärker zu Wort kommen und uns selbst zu Wort melden. Das heißt also, nicht nur einfach sagen, die SPD macht nichts, sondern wir selbst müssen etwas machen. Wir selbst müssen, so sage ich es einmal, die Schubkarre in die Hand nehmen und den Dreck ausfegen. Es kann nicht sein, dass die große Koalition, die jetzt existiert, weiter existiert nach dem 10. Oktober. Das müssen wir verhindern.

Ich bin ein Verfechter der rot-grünen Koalition. Ich hoffe, dass wir als Partei insgesamt es schaffen, am 10. Oktober die Mehrheit zu bekommen, so dass eine andere Regierungspolitik in dieser Stadt stattfinden kann, und auch, dass die SPD – und das ist auch mein Votum an Walter und generell an die Partei – wieder mehr darauf hört, was Arbeitnehmer sagen.

(Vereinzelter Beifall)

Ich finde, ihr vernachlässigt uns als Arbeitnehmer des öfteren. Die BSR – der Betrieb, aus dem ich komme – hat in den letzten Jahren bewiesen, dass nur mit den Arbeitnehmern eine Veränderung möglich ist. Also auch eine Veränderung wie die Verwaltungsreform, wie eine Umstrukturierung, geht nur mit den Arbeitnehmer, und nicht von oben übergestülpt.

(Vereinzelter Beifall)

Monika Buttgereit: Danke schön! Herr Lindemann!

Jürgen Lindemann: Ich kann mich dem nur anschließen. Das sind auch meine Beweggründe. Ich kann noch hinzufügen, wie vorhin schon erwähnt: Ich bin Betriebsratsvorsitzender eines privatwirtschaftlichen Unternehmens und zweitens aus Ost-Berlin, komme also aus einem Unternehmen, das ehemals der Treuhand gehörte und heute noch Berührungspunkte zur BFS hat. Ich kenne ja den Walter persönlich und im Zusammenhang mit Ost-Berliner Betriebsratsproblemen schon seit 1990. Wir waren damals alle dankbar, als Walter zu uns gefunden hat und uns bei Privatisierungsproblemen unterstützt und bei Fragen Verbindungen zur Treuhand verschafft hat, um mit oder gegen die Treuhand zu versuchen, Arbeitsplätze zu retten.

Ich war bis 1997 Betriebsratsvorsitzender bei der Elbra AG (phonet., Red.). Wir sind dann verkauft worden. Wir haben auch versucht, den Industriestandort in der Rhinstraße mit ihm zusammen zu retten. Das gehört zu den 21 Flächen, die damals unter diesem Flächenprogramm gelaufen sind. Ich weiß, und wir wissen alle, wie Walter für Dynamik sorgen kann, auch gerade dann, wenn es Arbeitsplätze anbelangt.

Wir erwarten letzten Endes von der Politik, dass es Arbeit, Arbeit, Arbeit gibt. Das ist ja von den Rednern vorher schon alles gesagt worden. Das muss natürlich Arbeit sein, die wettbewerbsfähig und innovativ ist. Ganz besonders erwarte ich – obwohl das nur meinen Unternehmensbereich tangiert -, dass speziell innovative Arbeitsplätze bei den Tiefenergien geschaffen werden, also etwa im Solarprogramm. Ich habe beispielsweise verschiedene Ausschreibungen in der Hand gehabt, die die Regierungsneubauten betrafen. Mir ist kein einziges Anlagenteil aufgefallen, das mit Solar- oder Photovoltaikanlagen zu tun hatte. Da bin ich etwas enttäuscht. Da hätte man doch schon, gerade jetzt für das Jahr 2000, in Berlin Maßstäbe setzen können.

Der nächste Punkt sind Ausbildungsplätze, allerdings solche vor allen Dingen im dualen System. Wir wissen – besonders ich als Betriebsratsvorsitzender -, wie schwierig es ist, Ausbildungsplätze zu erhalten und zu schaffen.

Drittens: die soziale Gerechtigkeit. Wir als Arbeitnehmer erwarten einfach, dass auch wir gehört werden – mein Vorredner hat das schon gesagt. Wir wissen das alles und sind überzeugt, dass Walter das schafft. Dynamik ist wichtig und dass nicht alles so lau, wie die Vorredner schon sagten, in Berlin abläuft und Verbindungen zu Wirtschaft und Finanzen und so weiter geschaffen werden. Das muss ja alles richtig organisiert werden. Was Unternehmensgründungen anbelangt, ist wichtig, dass Gründer sich nicht totlaufen und für Liquiditätskapital gesorgt wird etc. etc. Wir haben einen Haufen Probleme in Berlin. Wir können es nur anpacken, müssen aber auch vieles richtig machen!

(Beifall)

Monika Buttgereit: Danke schön! Ich denke, das ist nicht nur ein Appell an Walter Momper gewesen, sondern an uns alle, das Gespräch mit den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern wieder etwas enger zu führen, als es vielleicht in den letzten Monaten und Jahren geführt wurde.

Juppi, von Ihnen als Initiator eines alternativen Kulturprojekts in dieser Stadt würde man nicht von vorneherein annehmen, dass Sie die SPD unterstützen. Warum also Walter Momper und die SPD?

Juppi (UFA-Fabrik): Ich muss erst einmal sagen: Walter Momper, weil er der Spitzenkandidat der Berliner SPD ist. Es bleibt uns doch gar nichts anderes übrig. Ich habe mir erst einmal mehr Sorgen um die SPD als um Walter Momper gemacht, wenn ich die Presse aufschlage. Deshalb habe ich mir überlegt: Wenn ich einen Spitzenkandidaten habe, muss ich doch alles tun, um so einen Mann zu unterstützen. Es macht doch keinen Regierenden Bürgermeister aus, ob sein Kopf ein paar Zentimeter dicker oder dünner ist. Einen Regierenden Bürgermeister machen vielmehr die Leute aus, die um ihn herum sind und mit ihm zusammenarbeiten und ihm helfen, den Geist so einer ganzen Stadt zu verstehen.

Wir sind ja nur Kleinkünstler. Aber so ein Regierender Bürgermeister ist auch ein Künstler in einer gewissen Form. Er jongliert mit den Geschicken einer Metropole, und so einen Mann muss man dann doch unterstützen, den kann man ja nicht alleine lassen.

(Beifall)

Wenn ich Walter Momper sehe, dann habe ich in letzter Zeit oft das Gefühl gehabt, dass er alleingelassen wurde. Man muss in Berlin ja auch wissen, dass die Berliner hinterfotzige Wähler sind. Sie mögen es nicht gerne, wenn schon vor der Wahl feststeht, wer gewinnt. Deshalb sollte man sich da gar nicht so viele Sorgen machen. Die Sommerferien stehen vor der Tür. Ich würde drei Tage Ostsee vorschlagen, und dann die ganze Energie in den Wahlkampf gesteckt. Es ist noch Zeit genug.

Was ich in der SPD manchmal vermisse – nicht an Walter Momper, deshalb bin ich ja froh, dass er da ist -, ist die Kultur. Das sage ich nicht, weil ich hier für mich oder für die Künstler in der Stadt rede, sondern deswegen, weil es schlau für die SPD wäre. Mit der Kultur verkauft sich doch einfach alles besser. Fragt doch mal den Landowsky, der weiß das. Ob das Ökologie, Wohnungsbau oder neue Arbeitsplätze sind – man kommt einfach sympathischer rüber, wenn man auch Künstler unterstützt. Man muss auch einmal eins wissen: Ein Künstler macht unter Umständen eine Stimmung aus, um tausend Leute gut oder schlecht draufzubringen. Solche Energien sollte man also eher für sich nutzen, also ein bisschen mehr einbinden.

(Beifall)

Ansonsten etwas zu Walter Momper: Man hat ihn ja wohl deshalb vorgeschlagen, weil man wusste, dass er vor zehn Jahren hier in dieser Stadt eine gute Figur gemacht hat. Bis auf die Nationalhymne war ja auch alles o. k.

(Heiterkeit und starker Beifall – Walter Momper bedankt sich bei den Unterstützern)

Monika Buttgereit: Vielen Dank an die Unterstützer!

Präs. Sigrun Klemmer: Auch wir bedanken uns noch einmal! Wir kommen dann zu

Punkt 5 der Tagesordnung

Aufbruch 99: Rede des Spitzenkandidaten Walter Momper

Walter, du hast das Wort!

(Starker Beifall)

Walter Momper: Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde! Ich weiß, dass einige von euch tiefe Zweifel haben. Aber ich sage euch: Ich heiße immer noch Walter Momper und will immer noch Regierender Bürgermeister von Berlin werden. Und ich werde auch Regierender Bürgermeister werden – wenn ihr es wollt.

(Starker und lang anhaltender Beifall)

Ich weiß ja, dass die Presse jetzt mit der Stoppuhr dabeigewesen ist. Aber ich denke, jetzt haben wir die Rekorde von anderen übertroffen.

Ich habe auch Fehler gemacht. Viele von euch mussten sich wieder an mich gewöhnen. Aber jetzt sind wir an den Punkt der Entscheidung gekommen. Die Umfragen sind so, wie sie sind, aber sie sind noch nicht das Wahlergebnis. Und wer mich nicht will, der sollte hier den Mut haben, das auch zu sagen. Wer aber gewinnen will, der muss jetzt loslegen. Hier und heute geht er los, der Kampf um die Mehrheit in Berlin.

(Starker Beifall)

Spätestens mit dem „Zukunftsprogramm 2000“ der Bundesregierung ist allen im Land klargeworden, worum es eigentlich geht. Es hat sich vieles verändert in dieser Republik. Die Ära Kohl ist zu Ende. Wo 16 Jahre Stillstand herrschte, kommen die Dinge jetzt in Bewegung. Die „Berliner Zeitung“ spricht von der „neuen Lust am Regieren“. Die „Süddeutsche Zeitung“ sagt über das Programm, es sei ein „großer Wurf“. Was die Bundesregierung mit diesem „Zukunftsprogramm 2000“ vorgelegt hat, ist tatsächlich ein entscheidender Kurswechsel. Es wird nicht mehr das Geld zu Lasten künftiger Generationen ausgegeben – das ist die erste und wichtigste Botschaft der Politik der Bundesregierung, und wir begrüßen diese Politik!

(Starker Beifall)

In diese Bundesrepublik bringt jede Veränderung erst einmal Aufregung. Wir sehen, wie sich die Lobbys organisieren und kampfbereit machen. Die Schlagzeilen-Beauftragten der Redaktionen in den Boulevard-Zeitungen besaufen sich an der Empörung. In Berlin wurde neulich bei der Polizeikontrolle einer erwischt, der konnte nicht einmal mehr freihändig stehen. Er hatte angeblich nur 0,5 Promille Alkohol im Blut. Wahrscheinlich hatte er wieder eine fette Überschrift für seine Berliner Boulevard-Zeitung gegen die Bundesregierung gemacht.

(Heiterkeit und Beifall)

Lasst euch nicht irremachen! Wir gehen durch eine rauhe Zeit. Gerhard Schröder macht ernst, und dafür wird es auch höchste Zeit. Deutschland geht auf Zukunftskurs. Rot-Grün macht jetzt das, wofür diese Regierung gewählt worden ist. Jetzt kommen Innovation und Gerechtigkeit. Wir haben allen Grund, uns hinter die Bundesregierung und hinter unseren Bundeskanzler Gerhard Schröder zu stellen.

(Starker Beifall)

Das „Zukunftsprogramm 2000“ ist mehr als ein Sparpaket. Das Ende der Schuldenpolitik ist längst überfällig und auch eine Veränderung unseres Staatsverständnisses. Der Staat gibt den Anspruch auf, für alles Mögliche zuständig zu sein. Er kann es auch gar nicht mehr. Eigeninitiative und Bürgerengagement treten stärker in den Vordergrund, ohne dass der Sozialstaat diejenigen fallen lässt, die wirklich auf seine Hilfe angewiesen sind. Und zugleich schafft sich der Staat damit die Ressourcen, um Anreize für den wirtschaftlichen Aufschwung und für mehr Beschäftigung zu geben. Der Staat soll Politik und Wirtschaft steuern, nicht rudern. Nur so bekämpfen wir nachhaltig die Arbeitslosigkeit in diesem Land.

(Beifall)

Die Politik in Deutschland hat eine Wende geschafft. Dennoch werden diese Regierung und wir als Partei in den nächsten Monaten große Standfestigkeit brauchen. Die Schieflage von 16 Jahren Kohl-Regierung lässt sich nicht über Nacht beseitigen. Die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung lässt sich nicht über Nacht herstellen. Wer Deutschland in die Zukunft führen will, wer die alten Privilegien beseitigen will, wer Innovationen und Gerechtigkeit durchsetzen will, bei leeren Kassen – der braucht wirklich starke Nerven und gute Argumente, und ich denke, Gerhard Schröder und wir alle werden sie haben.

(Beifall)

Wir müssen standhaft sein und dürfen uns von der massiven Propaganda der Gegenseite nicht beirren lassen. Niemand weiß das besser als wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Berlin. Wir wissen, wie steinig der Weg von der Subventionspolitik zur Eigenständigkeit ist. Diesen steinigen Weg begehen wir schon seit vier Jahren, und wir haben bisher durchgehalten und die Nerven gehabt.

Liebe Genossinnen und Genossen! Wie sieht das Bonner Paket aus? – Die Steuerreform bringt einer durchschnittlich verdienenden Familie mit zwei Kindern im Jahr 1999 eine Entlastung von 1.200 DM. Ab 2002 wird diese Familie jährlich 3.000 DM weniger Steuern zahlen. Das Kindergeld – es wurde schon gesagt – wird noch einmal um 20 DM, also um insgesamt 50 DM angehoben, und der Betreuungsbetrag für Kinder auch. Diese Zahlen sind Fakten. Lasst sie euch nicht von den Lobbyisten vom ADAC bis hin zur Stromwirtschaft zerreden! Zum ersten Mal seit langer Zeit werden die Einkommen der unteren und mittleren Schichten gestärkt. Es gibt mehr Gerechtigkeit für Kinder und Familien. Das ist doch das, was wir immer gewollt haben! Jetzt ist es da, und jetzt müssen wir dafür kämpfen.

(Starker Beifall)

In einem Kraftakt sondergleichen hat die Koalition den Familien-Lastenausgleich – nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts -, die Rentenreform – die Renten sicher bis zum Jahr 2020, die Grundsicherung eingeführt-, die Gesundheitsreform – um die Kassen bezahlbar zu halten – und die Unternehmenssteuerreform mit 8 Milliarden DM angepackt. Was zeichnet diese Reformen aus? – Sie sind, man glaubt es kaum, für die Bundesrepublik Deutschland geradezu revolutionär. Sie bewegen etwas, sie greifen Besitzstände an, die sich in der Vergangenheit niemand getraut hat anzugreifen. Der Aufschrei quer durch die Gesellschaft war ja wirklich vorhersehbar. Aber die, die schreien, müssen sich fragen lassen, ob sie nur für ihre eigenen Interessen eintreten, nur für sich selbst, oder ob es ihnen um das Land und seine Zukunft geht. Geht es diesen Leuten um die ganze Gesellschaft? Das müssen sie sich fragen lassen.

(Starker Beifall)

Der Staat kann heute, mit seinen begrenzten Ressourcen, nicht mehr alles finanzieren, was lieb und teuer war. Wir müssen Schwerpunkte setzen, und wir müssen auch den Mut haben zu sagen, was nicht mehr geht. Wir müssen auch sagen, wo Wirtschaft und Bürger in ihrer Eigenverantwortung gefordert sind.

Zur Haushaltskonsolidierung und zur Modernisierung gibt es keine Alternative. Das haben wir vor vier Jahren erkannt, und Klaus Böger und Annette Fugmann-Heesing kommt das Hauptverdienst dafür zu, es uns auch in die Köpfe hineingebracht zu haben. Das war ja auch nicht ganz einfach.

(Beifall)

Nur wenn der Faktor Arbeit von den Nebenkosten entlastet wird, können neue Arbeitsplätze entstehen. Nur wenn die Rente reformiert wird, wird sie auch in Zukunft sicher sein. Nur wenn das Gesundheitswesen effektiver wird, werden wir es auch in Zukunft bezahlen können und die Beiträge dafür stabil halten. Nur so ist die Versorgung der breiten Bevölkerungskreise gesichert. Nur ein reformiertes Steuersystem beschleunigt das Wachstum.

Liebe Genossinnen und Genossen! Willy Brandt hat einmal gesagt: „Gerade wer das Bewahrenswerte bewahren will, muss verändern, was der Erneuerung bedarf.“ Wir Sozialdemokraten sind eine Reformpartei. Wir wollen das soziale Gefüge sichern. Wir wollen es verändern, wir müssen es verändern, und wir dürfen die Augen vor den gesellschaftlichen Veränderungen in diesem Land nicht verschließen. Wir müssen endlich aufhören, über die Probleme zu reden. Wir müssen unsere Politik als das Zukunftsprogramm für Deutschland vertreten – das ist es nämlich -, und wir alle müssen dabei mitmachen, es zu verteidigen und umzusetzen.

(Starker Beifall)

Manche sagen, da seien in Bonn Managementfehler gemacht worden, und manches, zum Beispiel das 630-DM-Gesetz, hätte besser verkauft werden können. Das mag ja alles sein. Aber das ändert nichts daran, dass es der richtige Weg ist, und es ändert auch nichts daran, dass auch wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in der Verantwortung sind. Ich sage euch, und das ist fast unabhängig vom Berliner Wahlkampf: Runter von den Zuschauerrängen! Schluss mit dem Gejammere! Wir, Genossinnen und Genossen, bringen Deutschland auf Zukunftskurs, und darauf sind wir stolz, und dafür kämpfen wir!

(Starker Beifall)

Die Bundesregierung hat mit ihrer Konsolidierungspolitik den richtigen Weg eingeschlagen. Die Kritik der Opposition ist mehr als kurzsichtig. Schon wollen Teile der CDU wieder eine Unterschriftenaktion starten. Als die Sozialdemokraten in Bonn über 16 Jahre in der Opposition waren und Dressler und andere die Verantwortung für die Politik der Fraktion hatten, da haben die Sozialpolitiker der beiden großen Parteien die Kirche im Dorf gelassen. Sie haben dafür gesorgt, dass die Strukturen intakt blieben, und zwar gemeinsam. Das war das Erfolgsmodell für die Bundesrepublik Deutschland. Das ist in Gefahr geraten, als Blüm sich nicht getraut hat, die notwendigen Formen in Angriff zu nehmen. Mit Polarisierung und Hetze wird in diesem Land keine Rentenreform zustande gebracht oder irgendein einziges Problem gelöst! Ich sage euch: Die Rente muss wieder heraus aus dem Schussfeld, und ich appelliere an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Herrn Eberhard Diepgen, die Polarisierer in seiner eigenen Partei zurückzupfeifen und die notwendigen Reformen mitzutragen. Das wäre ein sozialer Zug bei der Berliner CDU und keine Schokoladenpolitik, die sie sonst immer betreiben!

(Starker Beifall)

Auch die Interessenverbände der deutschen Wirtschaft sind gefragt. Auch sie schulden der Bundesregierung die Bereitschaft zu einem konstruktiven Dialog. Sie schulden auch dem Sozialstaat der Bundesrepublik Deutschland die Reformen, ohne die der Sozialstaat nicht überleben wird. Und sie schulden sich selbst und der Bundesrepublik Deutschland die Stabilität, ohne die sie nicht funktionsfähig ist. Auch die Interessenverbände stehen in der Verantwortung, den Standort Bundesrepublik Deutschland zu sichern. Sie sollten sich ein Vorbild an der deutschen Gewerkschaftsbewegung nehmen, die – wie zum Beispiel die IG Chemie – das Reformprojekt der Bundesregierung aus voller Überzeugung unterstützt hat.

(Beifall)

Wir kennen das doch aus den Wahlen: Manche Stellungnahme aus der deutschen Industrie klingt wie Parteiklüngel. Da wird gesagt, dass die Maßnahmen ja eigentlich ganz gut seien. Sie kämen nur von der falschen Regierung. – Nein, so kann das nicht gehen! Wenn das Strukturprogramm 2000 aus der Sicht der Industrie richtig ist, dann muss die deutsche Industrie es auch unterstützen, dann muss sie sich auch zu den Maßnahmen dieser Bundesregierung bekennen!

(Beifall)

Liebe Genossinnen und Genossen! In Berlin stellt sich das gleiche Thema wie im Bund, und das schon etwas länger. Wie schaffen wir die Zukunftsperspektive für diese Stadt? Und: Wie nehmen wir die Menschen in dieser Stadt auf diesem Weg mit? Was kann der Staat weiterhin leisten, und was müssen wir den Menschen an Eigeninitiative abverlangen?

Diese Woche hat mich ein Journalist gemahnt, nur populäre Politik mache populär. Das war gut gemeint. Viele von euch fragen ja auch: Wo bleibt das Positive? Ich sage euch: Den Luxus von Populismus können wir uns nicht leisten. Ich bin zu vielem in der Politik bereit, aber ich werde den Menschen nichts vormachen. Das gebietet die Aufrichtigkeit und die Ehrlichkeit in der Politik, und langfristig wird man damit in der Politik auch die richtigen Mehrheiten gewinnen.

(Starker Beifall)

Am Donnerstag im Parlament haben ja einige von euch gehört, wie Landowsky den Verkauf der Wasserwerke, die Teilprivatisierung gelobt hat. Milch und Honig flossen um seinen Mund – man könnte auch sagen, er wollte anderen Rotz um die Backe schmieren, wie die Berliner das nennen. Ausgerechnet er, der noch bei jeder Privatisierung, und auch bei dieser, alles getan hat, um den Verkauf, um den Abschluss zu verhindern, und Annette Fugmann-Heesing Knüppel zwischen die Beine geworfen hat! Ausgerechnet er macht eine solche Kehrtwende innerhalb weniger Stunden! Ich sage euch: Das ist nicht nur im politischen Umgang verkommen, das ist der Politik und auch Berlin gegenüber verantwortungslos, und nichts anderes!

(Starker Beifall)

Natürlich dürfen wir den Menschen nichts vormachen. Aber wir dürfen sie auch nicht vor den Kopf stoßen, und ich weiß natürlich auch, welche zugespitzten oder losen Reden ich manchmal in der Vergangenheit geführt habe – sie sollten ja auch ein bisschen provozieren. Aber ich sage euch: Klarheit und Wahrheit ist der erste Grundsatz einer Politik für Gerechtigkeit und Solidarität. Ich predige nicht Blut, Schweiß und Tränen, wie einige mir unterstellt haben. Wer eine verantwortliche und soziale Haushaltspolitik mit diesen Begriffen denunziert, verweigert sich heute den notwendigen Lösungen. Und, Genossinnen und Genossen, das ist das Thema für den Wahlkampf! Damit kann man überzeugen. Die SPD steht für den Wandel, für die Bereitschaft zu Reformen, und mit dieser Bereitschaft müsst ihr ran an die Menschen. Wir sind nicht opportunistisch wie die Berliner CDU. Wir machen keinen Schokoladenwahlkampf. Die SPD ist in der Lage, den Wandel so zu gestalten, dass niemand hinten runterfällt. Das ist natürlich unsere soziale Tradition. Dafür stehen wir, dafür steht ihr als Partei, und dafür stehe auch ich als Sozialdemokrat, der natürlich auch aus sozialen Verhältnissen kommt und weiß, wie den kleinen Leuten zumute ist, wenn Arbeitslosigkeit herrscht oder das Geld nicht mehr ausreicht, um am Monatsende all das zu finanzieren, was zu finanzieren ist. Wir sind das soziale Gewissen, und das lassen wir uns auch nicht nehmen!

(Starker Beifall)

An drei Beispielen möchte ich euch aufzeigen, wie es laufen kann: 1. Krankenhausplanung. Eberhard Diepgen wollte sich, wie üblich, durchmogeln. Drei Jahre alt ist der Beschluss des Abgeordnetenhauses, eine Bettenplanung vorzulegen. Er wollte das machen wie Helmut Kohl, aber er ist damit auf die Nase gefallen. Unausgereifte Pläne mussten angesichts des Ultimatums der Kassen schließlich durchgepaukt werden. So dilettantisch darf Berlin nicht länger regiert werden!

(Beifall)

  1. Privatisierung: Da haben wir uns alle schwergetan, und es war auch richtig, dass wir bis zuletzt soziale Argumente und Überlegungen ausgetauscht und das getan haben, was für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen Betrieben notwendig ist. Aber ich sage euch: Die Privatisierung von Bewag, Gasag und schließlich auch den Wasserwerken ist im Ergebnis eine Erfolgsstory für Verbraucher, Wirtschaft und Arbeitnehmer. Für die Arbeitnehmer werden, selbst wenn etwas abgebaut werden muss, letzten Endes sichere Arbeitsplätze herauskommen. Für die Verbraucher werden die Preise marktgerecht sinken – wir sehen das bei den beiden Energieunternehmen schon. Und die Wirtschaftskraft unserer Stadt wird gestärkt werden. Wir haben hier kaum Unternehmenszentralen. Diese großen Unternehmen haben die Chance, mit ihrem ganzen Know-how auch die internationalen Märkte zu bedienen, gerade die in Ost-Europa.

Und was für diese drei Bereiche – Arbeitnehmer, Wirtschaft, Konsumenten – ein Erfolg ist, ist auch ein Erfolg der Berliner SPD, denn sie hat das durchgesetzt. Das sind ganz persönliche Erfolge von Annette Fugmann-Heesing und von Klaus Böger. Klaus Böger ist es gewesen, der auf der Betriebsversammlung den Kopf hat hinhalten müssen.

(Starker Beifall)

Und es ist auch ein Erfolg derjenigen, die soziale Korrekturen angebracht haben, die es nach außen, zu jeder Seite hin, abgesichert haben. Das ist doch ganz klar.

Übrigens sieht auch die Industrie- und Handelskammer, die Berliner Wirtschaft, das so. Und ich bin der Industrie- und Handelskammer ja ausgesprochen dankbar dafür, dass sie bei der Teilprivatisierung der Berliner Wasserwerke die CDU zur Ordnung gerufen hat. Man sieht: Der Industrie- und Handelskammer geht das Wohl der Stadt vor parteipolitischer Sympathie. So sollte es auch sein, und das sollte sich die CDU hinter ihren Spiegel stecken!

(Beifall)

  1. BVG: Hier haben alle erkennbar gelernt. Der Betrieb hat mit der Geschäftsleitung, mit dem Personalrat und mit der ÖTV einen Plan zur Gewinnung der Wettbewerbsfähigkeit entwickelt, der gangbar ist. Da hat die ÖTV sich nicht eingemauert, und das ist ein gutes Modell zur Sicherung der Arbeitsplätze und der Leistungsfähigkeit der BVG. Und wenn Klaus Böger und Peter Strieder nicht Druck dahinter gesetzt hätten – unter anderem im Koalitionsausschuss -, dann hätte die BVG den Unternehmensvertrag noch lange nicht. Dann wäre das irgendwann nach den Wahlen und wahrscheinlich zu spät gemacht worden. Ich finde das gut, dass ihr Druck gemacht habt! Das ist auch ein Erfolg der SPD, und es ist gut, dass im Einvernehmen mit dem Personalrat, mit den Gewerkschaften und mit der Geschäftsleitung dieser Weg begangen wird. Wir werden ihn begleiten müssen, eventuell kritisch. Aber ich hoffe, dass dann im Ergebnis die Arbeitsplätze bei der BVG auch so sicher sind wie bei Bewag oder Gasag.

(Beifall)

Liebe Genossinnen und Genossen! Ich möchte euch über die Hauptaufgabe der Berliner Politik ein Zitat vorlesen:

Wichtigstes Ziel dieser Legislaturperiode sind Arbeitsplätze für alle Berlinerinnen und Berliner, die arbeiten können und arbeiten wollen … Die vor uns liegenden Aufgaben erfordern dabei gemeinsame Kraftanstrengungen der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der öffentlichen Hand. Schon im März werden wir uns zusammensetzen, um zur regionalen Ausgestaltung des bundesweiten Bündnisses für Arbeit ein Berliner Bündnis zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes und der Beschäftigung zu schließen.

Das könnte fast aus unserem Wahlprogramm stammen. Es sind zwei entscheidende Sätze. Sie fassen zusammen, um was es in Berlin geht: Arbeitsplätze schaffen, Bündelung aller Kräfte, um dieses Ziel zu erreichen, so wie eben bei der BVG. Ich habe diese beiden Sätze aber nicht aus unserem Wahlprogramm abgeschrieben. Nein, sie stammen aus der Regierungserklärung von Eberhard Diepgen aus dem Jahr 1996. Das Ergebnis ist bekannt: Berlin liegt als Schlusslicht der wirtschaftlichen Entwicklung noch hinter Mecklenburg-Vorpommern, hinter Sachsen-Anhalt und hinter Thüringen. Berlin hat als einziges Bundesland ein negatives Wirtschaftswachstum von minus 0,2 Prozent. Eine Folge davon ist der Skandal der Arbeitslosigkeit von 300.000 Berlinerinnen und Berlinern.

Das Bündnis für Arbeit tagte übrigens genau drei Mal in vier Jahren. Das ist auch ein Skandal, und dieser Skandal trägt auch einen Namen: Es war der amtsmüde Herr Pieroth. Aber Herr Pieroth, in Erkenntnis seiner eigenen Kräfte, wollte ja auf Rente gehen. Nur hat Eberhard Diepgen ihn nicht gelassen, weil er sich nicht traute, jemanden nachwählen zu lassen, und weil er auch keinen hatte, der bei ihm als Wirtschaftssenator antreten wollte. Das ist eine Schande für die Stadt und verantwortungslos gegenüber der Stadt!

(Starker Beifall)

Deshalb brauchen wir den Politikwechsel, damit sich in der Wirtschaftspolitik in der Stadt wieder etwas bewegt. Und ich sage: Meine Hauptbotschaft für die Wahl lautet: Wir wollen in Berlin wieder eine wirtschaftliche Dynamik in Gang setzen. Wir wollen den Standort wieder attraktiv machen. Die Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze ist das wichtigste Ziel der Berliner SPD. Innovation und Modernisierung sind die Schlüsselbegriffe für den Erfolg dieser Politik. Die Stadt braucht wirklich Mut zu neuen Wegen. Deshalb sagen wir als SPD auf unseren Plakaten: Willkommen Zukunft! Willkommen, das neue Berlin!

(Beifall)

Heute muss in Berlin ein Investor, der sich hier ansiedeln will, mindestens fünf Behörden anlaufen, ehe er weiß, dass er eine Fabrik auf einem bestimmten Grundstück bauen kann oder nicht. Wir haben zwar auch eine Wirtschaftsförderungsgesellschaft. Aber andere Städte, Länder, Gemeinden und Landkreise haben längst eine Wirtschaftsförderungsgesellschaft, die für den gesamten Prozess der Ansiedlung zuständig ist oder die ihn mindestens für den Investor begleitet und echte Kompetenzen hat. Und wenn die Investoren kommen und man sagt ihnen: Da müssen wir mal mit dem Bezirksamt reden, ob die das mitmachen, und dann noch mit einer Senatsverwaltung, bei der man es auch nicht so genau weiß, dann sagen die schönen Dank, dann gehe ich gleich nach Düsseldorf oder Hannover, da habe ich das alles aus einer Hand. Herr Eberhard Diepgen hat es bis heute nicht geschafft, eine Wirtschaftsförderungsgesellschaft mit echten Kompetenzen, mit eigenen Zuständigkeiten zu gründen. Da gehen doch die Investoren lieber gleich woanders hin. Das ist das Klima, das Investoren nicht anzieht, sondern eher abschreckt. Das ist das Klima, das bei allen positiven Faktoren, die wir für die Ansiedlung haben, dazu führt, dass wir ein negatives Wirtschaftswachstum haben.

Das muss sich ändern, und deshalb ist natürlich mein Hauptanliegen die Wirtschaftspolitik und die Schaffung von Arbeitsplätzen, was denn sonst?!

(Starker Beifall)

Liebe Genossinnen und Genossen! Ihr habt davon gelesen: Ich war Anfang der Woche mit Annette zwei Tage in Polen, und wir haben da wirtschaftspolitische Gespräche geführt. Ich habe alte Freunde wieder getroffen. Das war wichtig, weil unser größter Nachbar, Polen, mit 40 Millionen Einwohnern im Osten liegt, 70 Kilometer von Berlin entfernt. Die wollen in die Europäische Union, und wir sollten das auch fördern.

(Beifall)

Erinnert euch einmal an Oskar als saarländischen Ministerpräsidenten. Der hat in Lothringen, im Elsass gelebt wie der Fisch im Wasser. Der kannte sich da aus. Der war der Sprache des Nachbarlandes mächtig – sie ist nun ein bisschen einfacher und westlicher geprägt. Er ist ja nicht nur wegen der guten Lokale dort hingegangen, sondern natürlich wegen der grenzüberschreitenden Beziehungen. Ich vermute, Eberhard Diepgen weiß noch nicht einmal, wie „guten Tag“ auf polnisch zu sagen ist. Ich weiß es: Dzien dobry, pan – oder pany.

(Vereinzelter Beifall)

In Warschau gibt es eine deutsch-polnische Handelskammer. Sie hilft Investoren und vermittelt Kontakte. Und in dem Empfangszimmer, in dem wir auch einen Empfang hatten, da gibt es ein großes Regal, wo die Bücher und Broschüren aus Deutschland ausliegen. Die oberste Reihe war voll mit Broschüren und Heften der Messe Köln. Zweite Reihe: Wirtschaftsförderungsgesellschaft Köln, die macht alles für den Investor. Dritte Reihe: Broschüren aus Bayern und aus Baden-Württemberg. Ich habe mich gefragt: Wo ist denn da Berlin? Da war nichts. Berlin war nicht präsent. Könnt ihr das eigentlich verstehen, so eine Präsentation nach außen? Da sieht man, wie lieblos Wirtschaftspolitik in dieser Stadt gemacht wird!

(Beifall)

In Berlin muss eine Ansiedlungspolitik aus einer Hand geboten werden. Die Wirtschaftspolitik muss Chefsache werden. In Nordrhein-Westfalen wirbt Wolfgang Clement, wie jeder andere Ministerpräsident auch, um jede Firma, die in sein Land kommen will. Ich will als Regierender Bürgermeister der erste Akquisiteur meiner Stadt werden. Ich will nach draußen gehen, um Investoren werben. Ich will ihnen auch hier den roten Teppich ausrollen, und ich will etwas dafür tun, dass sie wirklich in unsere Stadt kommen.

(Starker Beifall)

Das ist aber keine Ein-Mann-Show, denn eine Person allein wird es nicht richten können. Von der Spitze her muss vielmehr vorgemacht oder vorgelebt werden, wenn man so will, dass der ganze politisch-administrative Apparat dieser Stadt ansiedlungsfreundlich, investorenfreundlich und wirtschaftsfreundlich wird. Davon wird keine Bezirksverordnetenversammlung, kein Bezirksamt, keine Senatsverwaltung, keine Behörde und auch keine der politischen Parteien ausgenommen werden dürfen. Das ist ein Veränderungsprozess, den wir noch durchmachen müssen. Wir müssen ihn aber lernen, denn nur so bekommen wir Ansiedlungen, nur so bekommen wir Arbeitsplätze in diese Stadt.

(Beifall)

Daraus ergeben sich natürlich auch einige Konsequenzen. Die erste ist: Das Senatsressort für Wirtschaft und Betriebe wird aufgelöst. Ob der ältere Herr Pieroth oder der junge Herr Branoner – wir brauchen keine Sektkelchhalter oder Fördertopfverteiler, wir brauchen wirklich eine effektive Wirtschaftspolitik!

(Vereinzelter Beifall)

Konsequenz Nr. 2: Wirtschaftspolitik wird wirklich Chefsache, sie kommt in das Rote Rathaus.

(Vereinzelter Beifall)

Konsequenz Nr. 3: Wir brauchen einen echten Zukunftssenator – oder eine Zukunftssenatorin – für Forschung und Wissenschaft und Technologie. Er oder sie wird auch die Senatsverantwortung für den Zukunftsfonds haben, der ein wichtiges politisches Mittel zum Handeln in der Wirtschaftspolitik ist. Das muss dort verwaltet werden, zusammen mit der Wissenschaft, zusammen mit der Technologie und mit der Forschung.

(Beifall)

Konsequenz Nr. 4: Das Ganze funktioniert nur ohne Eberhard Diepgen.

(Starker und anhaltender Beifall)

Er hat gezeigt, dass er das wirklich nicht kann. Ich weiß gar nicht, ob man ihm das eigentlich vorwerfen kann. Aber Wirtschaftspolitik, das sieht man diesem Mann doch an, das ist wirklich nicht sein Ding!

Unsere Stadt verändert sich. Manchem geht es nicht schnell genug, anderen aber macht das Tempo Angst, und dieser Prozess wird mit weiteren Einschnitten für Teile der Bevölkerung verbunden sein. Ich will, dass Berlin eine soziale Stadt bleibt, in der niemand ausgegrenzt wird. Das ist der Sinn unseres Slogans „Berlin bleibt doch Berlin!“

(Starker Beifall)

Ein modernes Berlin heißt immer, auch für uns, auch für mich, auch für Annette, auch für Klaus, auch für Peter Strieder: ein soziales Berlin. Wir wären ja sonst keine Sozialdemokraten! Für die SPD ist eine aktive Arbeitsmarktpolitik auf der Schiene von Christine, wie Gabi es macht, ein zielgerichtetes Qualifizierungsangebot bei der gleichen Verwaltung, eine öffentlich geförderte Beschäftigung, deren Bedeutung ja annähernd bleiben wird, der gleichberechtigte Zugang von Frauen zum Arbeitsmarkt, der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit, bei dem wir mit Christine eine Verbündete bei der Bundesregierung haben, und der Kampf gegen soziale Ausgrenzung von gleich hoher Bedeutung für die Zukunft.

(Starker Beifall)

Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum – das haben uns doch 40 Jahre Bundesrepublik gelehrt – ist immer soziale Gerechtigkeit und innerer Friede. Und die SPD bleibt der Garant für die soziale Sicherheit in Berlin. Berlin muss alle Anstrengungen unternehmen, damit Stadtquartiere nicht in Armut absinken. Wir sehen es ja: Die guten Wohnlagen werden immer besser, und die armen Kietze werden immer noch ärmer. Soziale Stadtentwicklung heißt, durch gezieltes Quartiersmanagement, wie Peter Strieder es macht, den negativen Entwicklungstendenzen entgegen zu wirken. Neben den wirtschaftlichen Maßnahmen müssen wir gerade in diesen Stadtteilen Beschäftigung und Arbeitsplätze schaffen, und wir müssen die Schulen verbessern, um Chancengleichheit für alle zu erreichen.

(Starker Beifall)

Das heißt aber auch, dass sozial intakte Gebiete weiterhin intakt gehalten werden müssen und wir aufpassen müssen, weil die Entwicklungen und Verschiebungen in einer Großstadt ganz schnell und ganz rasant sind – vielleicht noch schneller in Zukunft, als wir es jetzt erleben. Aber die Berliner Innenstadt muss auch für den Normalbürger bezahlbar und lebenswert bleiben. Wir Sozialdemokraten werden aufpassen, dass alle mitkommen in das neue Berlin. Soziale Gerechtigkeit ist für uns, für die SPD, genauso wichtig wie der Glanz des Potsdamer Platzes!

(Starker Beifall)

Wenn ich Regierender Bürgermeister bin, wird Berlin auf Bildung setzen. Zukunft beginnt bekanntlich jeden Morgen um acht Uhr, nämlich dann, wenn die Schule anfängt. Dafür will ich ordentliche Schulgebäude haben. Dafür will ich eine reformierte Grundschule, und es muss Schluss sein mit dem vielen Unterrichtsausfall, und die ersten Maßnahmen sind jetzt zum neuen Schuljahr hin eingeleitet.

Für die Wissensgesellschaft der Zukunft ist die Jugend und deren Ausbildung und Bildung unser größtes Kapital – und auch ein bedeutender Standortfaktor. Ich will da nicht missverstanden werden: Ich rede hier nicht der Ökonomisierung des Bildungswesens das Wort, im Gegenteil. Es muss Orte des Lernens, der Kreativität und auch der Freiheit des Denkens geben, die sich den Kriterien der Wirtschaftlichkeit und der Verwertbarkeit entziehen.

(Beifall)

Aber deshalb ist noch längst nicht alles tabu, an was sich Schule, Lehrer, Eltern gewöhnt haben. Manches muss man auch kritisch hinterfragen. Ich weiß ja, dass es dann immer den größten Beifall gibt, wenn ich sage, vielleicht können wir das eine oder andere im Landesschulamt dezentralisieren, damit die Arbeit dort besser und leichter wird.

(Vereinzelter Beifall)

– Ihr müsst da nicht klatschen. Von der Dimension her ist das wirklich eine verwaltungsorganisatorische Aufgabe; schwierig genug, aber ich weiß ja, wie es sonst in Parteiversammlungen ist. Aber politisch müssen wir sagen: Wir sollten vielleicht die Schule mehr Schule sein lassen. Etwas weniger Bürokratie und etwas weniger sozialdemokratischer Beglückungswille wären schon angebracht.

(Starker Beifall)

– Man sieht deutlich: Die politische Trennschärfe auf dem Berliner Landesparteitag ist eindeutig höher als auf Kreisdelegiertenversammlungen, wo das Landesschulamt immer für den wichtigsten politischen Punkt gehalten wird.

Etwas Zurückhaltung des Staates in diesem Bereich ist richtig. Das ist der Sinn unseres Programms „Schule in eigener Verantwortung“. Allerdings heißt das auch – und da habe ich mit Interesse zur Kenntnis genommen, welche großartige Debatte da unter den Schulleuten läuft -, dass einheitliche Qualitätsmaßstäbe in der Berliner Schule eingeführt werden. Denn je mehr Freiständigkeit und Eigenständigkeit du in dem einen Bereich hast, umso mehr musst du dafür sorgen, dass überall gleiche Bedingungen herrschen. Das ist eine schwierige Aufgabe, wie ich gelernt habe.

(Vereinzelter Beifall)

Ich sage euch auch, liebe Genossinnen und Genossen – auch wenn es in der SPD manchmal nicht auf Jubel stößt: Es kann auch nicht schaden, den Elternwillen ein bisschen stärker zu respektieren, als wir das manchmal in losen parteipolitischen Reden tun.

(Beifall)

Das war der Grund für die Erweiterung der Zahl der Klassenzüge an den grundständigen Gymnasien im Express-Abitur. Auch wenn wir als Politiker in einer großen politischen Partei manchmal glauben, alles besser zu wissen, sage ich euch: Wir sollten akzeptieren, dass Eltern oft noch genauer als wir wissen, was für ihre Kinder gut ist. Das gehört dazu, wenn man die demokratische Eigenverantwortung von Eltern ernst nimmt und stärken will.

(Beifall)

Und wenn ich mir die CDU angucke, nachdem wir nun die Klassen für das Express-Abitur fast verdoppelt haben, nachdem die Leistungsdifferenzierung bei Klasse 5 und 6 im nächsten Schuljahr in Angriff genommen wird: Da fällt Herrn Diepgen zur Schulpolitik nichts anderes mehr ein, als dass er nach Religion als ordentlichem Wahlpflichtfach ruft. Ich will sagen: Es sollte bei der Berliner Regelung bleiben.

(Beifall)

Ich denke, Religionsunterricht entzieht sich der Benotung, und Ethik und Wertevermittlung sollten sich natürlich durch den ganzen Unterricht hindurchziehen, durch jedes Fach.

(Beifall)

Ich will, dass die Ausgaben für Schule, Universitäten, Ausbildung und Bildung absolut und relativ auf dem bisherigen Stand und der bisherigen Höhe gehalten werden. Aber wohlgemerkt: Das Geld kann nicht zweimal ausgegeben werden. Wenn wir es dort ausgeben, muss es aus anderen Bereichen kommen. Das ist die ganz einfache Logik. Und wenn ich mir so bildlich den Berliner Steppke in der Schule vorstelle, dann muss doch wirklich wieder der alte Grundsatz gelten: Leistung muss sich für ihn wieder lohnen.

(Beifall)

Liebe Genossinnen und Genossen! Heute, zehn Jahre nach der Wende und dem Fall der Mauer, stehen wir am Ende der ersten Aufbauphase Berlins. Berlin ist wieder eine zusammenhängende Stadt. Der Modernisierungsprozess der letzten zehn Jahre ist überall sichtbar: von der Sanierung der Plattenbauten über den Ausbau oder Wiederaufbau des öffentlichen Personennahverkehrs, die moderne Telekommunikation, vor allem im östlichen Teil dieser Stadt, die Reform der Energieversorgung, die Verwaltungsreform, die Bezirksreform, die Veränderungen in der Verwaltung selbst – ihr seht, Berlin hat sein Gesicht verändert. Das sind Leistungen der Berlinerinnen und Berliner. Denn keine andere westliche Stadt hat so viele Veränderungen erlebt wie wir in beiden Teilen Berlins zusammengenommen. Und das ist nicht nur eine Leistung der Berlinerinnen und Berliner, sondern auch eine Leistung der Berliner Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Wir sind ja an den elf Jahren Regierung beteiligt, und in unseren Bereichen haben wir das geleistet, was Klaus Böger hier benannt hat und was in dieser wunderbaren Broschüre der Fraktion, die ihr heute bekommen habt, auch aufgelistet ist. Darauf können wir wirklich stolz sein!

(Starker Beifall)

Einige in der Stadt halten es ja für einen Widerspruch, wenn man stolz ist auf die eigene Regierungstätigkeit und gleichwohl nach einer neuen Koalition sucht. Mit unseren 23,6 Prozent haben wir mehr bewegt, als andere mit ihren Mehrheiten bewegt haben in vergleichbaren Zeiträumen.

(Beifall)

Das soll uns erst einmal jemand nachmachen, aber wir kämpfen ja für höhere Zahlen, das ist doch klar. Und unser Koalitionspartner, die CDU, der nervt! Das fing schon an – erinnert ihr euch überhaupt noch daran? – mit dieser ätzenden fünftägigen Etatdiskussion 1996. Das war doch ein Trauerspiel, wie die tagtäglich dort im Senatsgästehaus waren, und es kam und kam kein Ergebnis heraus. Hier sind ja ein paar alte Fahrensleute, die haben auch schon schwierige Zeiten erlebt, vielleicht nicht so schwierige wie jetzt. Aber es ist doch eine Schande für die Stadt, dass ein Kabinett – und vor allem der Regierungschef – sich nicht hinter die Finanzsenatorin gestellt hat und gesagt hat: So, das ziehen wir durch! Fünf Tage hat das gedauert!

Diepgen hat zwar seine Verdienste, aber innovativ ist er nun leider nicht. Jetzt versucht er das mit den neuen Anzügen und den schnellen Schuhen. Ich vermute, bald wird er mit dem Haarschnitt von Peter Strieder ankommen.

(Heiterkeit)

Wenn es der Stadt nützen würde, wäre es ja ok. Aber ich befürchte, dass wird weder ihm noch der Stadt nützen.

Liebe Genossinnen und Genossen! Ich lege mich fest: Wenn wir wie in Bremen die Wahl haben zwischen Rot-Grün pur und der großen Koalition, dann ist es doch überhaupt keine Frage, dass wir eine neue Koalition, eine Reformkoalition für diese Stadt bilden werden. Dann wird es Rot-Grün pur geben und nichts anderes!

(Starker und anhaltender Beifall)

Man muss das noch einmal sagen. Wir haben es im Wahlprogramm nicht drin. Damit alle es auch verstehen: Das ist die Zustimmung des Landesparteitags dazu. Ich sage – ihr wisst, für wen – das noch einmal ausdrücklich.

Die gewaltigen Investitionen, das Privileg der geographischen Lage Berlins in der Mitte Europas, der Umzug von Bundestag und Bundesregierung – das alles schafft hervorragende Voraussetzungen für die Entwicklung der Hauptstadt. Berlin muss seine Chancen jetzt nutzen – aber wie? Wir werden uns in den kommenden Jahren weiter anstrengen müssen, um Berlin auf eigene Füße zu stellen. Wir machen hier keine Schokoladenpolitik. Der Modernisierungsprozess wird für manchen in unserer Stadt noch Einschnitte und auch Härten mit sich bringen. Heute ist, wie jeder weiß, Finanzpolitik in erster Linie Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik. Der Bund hält keine schützende Hand mehr über uns. Das muss der Berliner Wirtschaft klar sein, aber auch manchen in den Parteien, auch in unserer Partei. Und auch damit lege ich mich klar fest: Der Konsolidierungsprozess wird weitergehen. Die Schuldenaufnahme muss weiter gesenkt werden, und auch dafür bitte ich um eure Zustimmung und euren Beifall!

(Starker und anhaltender Beifall)

Lasst euch nicht einreden, dass Diepgen wieder Regierender Bürgermeister wird, weil er in den Umfragen die besseren Sympathiewerte hat. 1989 waren seine Werte noch höher, und dennoch haben wir gewonnen. Natürlich hat er den Amtsbonus, wie jeder Regierungschef. Ich sage euch aber: Gewählt wird am Ende der, der eine klare politische Linie für die Zukunft hat und sich auch durchbeißen kann.

Was, liebe Genossinnen und Genossen, könnt ihr von mir erwarten? – Die Antwort ist einfach: politische Führung. Politik in dieser Stadt muss mehr sein als das ordentliche Verwalten. Das ist schon ganz wichtig, und das habe ich auch immer an der großen Koalition gelobt. Aber es ist doch kein Wunder, dass die große Koalition von außerhalb und auch innerhalb dieser Stadt von den Bürgerinnen und Bürgern mehrheitlich so negativ bewertet wird. Es fehlt die politische Führung. Es fehlt das Vertrauen, dass dieser Regierende Bürgermeister Probleme anpackt und auch in der Zukunft durchführt und verändert. Er muss immer erst gestoßen werden.

Politische Führung heißt aussprechen, was ist, Wahrheiten sagen, auch wenn sie unbequem sind, und sich besinnen auf unsere eigene Kraft. Das gibt den Menschen Orientierung, das nimmt ihnen die Angst vor der Zukunft, und das weist den Weg Berlins in die Zukunft.

(Starker Beifall)

Politische Führung besteht nicht darin, dass der Regierende Bürgermeister die Senatssitzungen leitet oder den Begrüßungsonkel bei Grundsteinlegungen macht. Politische Führung besteht auch nicht darin, die Befindlichkeiten der eigenen Partei zu bedienen. Wenn man die Stadt auf einen modernen Stand bringen will, dann enthält das auch immer Zumutungen an viele Interessengruppen und auch an die eigene Partei. Das war auch in den letzten vier Jahren manchmal so. Aber ich sage euch: Wer diesen Überzeugungsprozess voranbringt, der wird auch gewinnen. Seht euch an, wie Gerhard Schröder das macht, wie er kämpft. Wir sollten mitkämpfen und das Bonner Reformpaket, aber auch unsere eigenen Erfolge offensiv vertreten und für unsere eigene Politik werbend eintreten.

(Starker Beifall)

Ich will eine neue Politik für Berlin, die Vertrauen schafft und die fit macht für die Zukunft. Um das zu erreichen, brauche ich eure Unterstützung. Wir haben Fortschritte gemacht. Wann hatte die SPD zuletzt eine so geschlossene Führung wie jetzt mit Annette, Klaus, Peter und meiner Person? Das haben wir lange nicht gehabt. Wir haben auch manche Spiegelstrich-Diskussion hinter uns gelassen. Wir haben Fortschritte gemacht, und ich will euch sagen: Bei dem Gegenwind, der weht, haben wir alles in allem auch eine erstaunliche Disziplin gezeigt. Jetzt aber müssen wir kämpfen. Ich kämpfe auch mit meiner ganzen Kraft. Ich erwarte von euch das Gleiche. Ich weiß, einige sitzen noch in der Zuschauerloge. Sie sind auf dem Kampfplatz bisher durch scharfe Kritik an der CDU bisher noch nicht gesichtet worden. Ich freue mich auf die Unterstützung aller. Ich freue mich natürlich ganz besonders darauf, dass die jungen Kreisvorsitzenden sich heute in den Kampf einklinken wollen.

(Starker Beifall)

Ohne das direkte Gespräch auf der Straße werden wir unser Wahlziel verfehlen. Aber wer den Wechsel will, der muss SPD wählen, und das müssen wir den Wählerinnen und Wählern sagen. Nur so können wir eine neue Mehrheit schaffen und den Mehltau der großen Koalition verjagen. Unser Ziel ist klar: Eine rot-grüne Mehrheit soll nach dem 10. Oktober diese Stadt regieren.

Liebe Genossinnen und Genossen! Noch stehen wir im Gegenwind. Aber gewählt wird erst am 10. Oktober. Das sind noch genau 99 Tage. Aus 32 Jahren politischer Arbeit und politischer Erfahrung in der Berliner SPD sage ich euch: Nichts ist so wechselhaft wie die Politik. Aber für die Änderung und für den richtigen Wind und die richtige Windrichtung müssen wir kämpfen!

(Starker, anhaltender Beifall)

In diesem Sinn wollen wir dafür arbeiten, dass die SPD am 10. Oktober die stärkste Partei wird. Ich will dafür kämpfen, dass Berlin am 10. Oktober 1999 eine neue Politik bekommt. Ihr alle müßt mithelfen, dass Berlin am 10. Oktober 1999 eine neue Mehrheit erhält. Und wenn ihr kämpft und wenn wir arbeiten und wenn ich kämpfe und alle anderen mit mir, dann wird uns das auch gelingen. Glück auf!, sage ich der Berliner SPD. Danke schön, Genossinnen und Genossen!

(Starker, anhaltender Beifall – Zurufe: Bravo, bravo! – Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen)

Präs. Sigrun Klemmer: Liebe Genossinnen und Genossen! Wir kommen jetzt zur Beratung unseres Wahlprogramms, zu

Punkt 6 der Tagesordnung

SPD-Wahlprogramm 1999 – 2004
a) Einführung: Klaus Uwe Benneter, Vors. der Wahlprogrammkommission
b) Bericht der Antragskommission: Herm. Borghorst, Vors. der Antragskommission
c) Generaldebatte
d) Antragsberatung
e) Beschlussfassung

Die Einführung gibt der Vorsitzende der Wahlprogrammkommission, Klaus Uwe Benneter. Klaus Uwe, du hast das Wort!

Klaus Uwe Benneter: Liebe Genossinnen und Genossen! Bitte geht jetzt nicht alle Kaffee trinken, wenn ich in das Wahlprogramm einführe. Ich hoffe, ich werde euch nicht langweilen. Ich gehe davon aus, dass wenigstens ihr das alle gelesen habt. Ihr werdet erkennen, dass auch ich die Bedeutung von Wahlprogrammen nicht überschätze und überbewerte, aber jeder muss eins haben, auch wenn viele ungelesen bleiben. Wir haben uns die Mühe gemacht, sämtliche Fachausschüsse, Arbeitskreise, Arbeitsgemeinschaften, die ganze Partei einzubeziehen, und deshalb wird es auch für diejenigen, die sich noch dafür interessieren und jetzt nicht Kaffee trinken gehen, in großer Einmütigkeit verabschiedet werden. Dies deutete sich jedenfalls schon in der Antragskommission an.

So ein Wahlprogramm ist kein Grundsatzprogramm. Deshalb haben wir da auch keinen nutzlosen Streit bei der Verabschiedung des Wahlprogramms darüber, ob es mehr Angebots- oder mehr Nachfragepolitik ist oder ob man vielleicht beides braucht. Das ist aus diesem Wahlprogramm herausgehalten. Aber es ist – und insofern ist es nicht völlig unbedeutend – die Vorgabe für die nächste Legislaturperiode, die Handlungsanleitung für sozialdemokratische Regierungsarbeit. Sie ist die Richtschnur und sie gibt unsere Lösungen an für die Herausforderungen, für den politischen Rahmen, mit dem das gesellschaftliche Leben in Berlin von uns in der nächsten Zeit gestaltet werden soll. Wir wollen hiermit unsere Rezepte angeben, unsere Konzepte vorlegen, mit denen wir meinen, dass Berlin fit gemacht und fit wird für die Zukunft.

Parallel zum Zukunftsprogramm der Bundesregierung nennt unser Wahlprogramm drei Schwerpunkte: zum einen Transparenz, Konzentration und Bündelung des staatlichen Rahmens für den Mittelstand, das Handwerk, die Existenzgründer. Das ist das, was Walter Momper hier eben skizziert hat, das, was in die Senatskanzlei kommt, das, was in das Rote Rathaus kommt: die Bündelung und die Verantwortung des Regierenden Bürgermeisters für den Mittelstand, für das Handwerk, für Existenzgründer, für Wirtschaft schlechthin in dieser Stadt. Deshalb denke ich auch, dass der Jugendarbeitslosigkeit vom Roten Rathaus her der Kampf anzusagen ist. Auch das hat Walter Momper hier in seinem Beitrag klargemacht. Wirtschaftspolitik also nicht länger lieblos und nachrangig zu behandeln – das kommt eindeutig und klar in unserem Wahlprogramm zum Ausdruck.

Der nächste Schwerpunkt ist es, Bildung, Forschung und Wissenschaft zu stärken. Die Einzelheiten werden wir noch diskutieren. Aber auch da geht es darum, Berlin fit zu machen für die Zukunft, deutlich zu machen, dass wir nicht die Schul- und Bildungssysteme, auch die Bildungsanstrengungen weiter so schleifen lassen können, wie wir dies in der Vergangenheit oft getan haben.

Das dritte ist, dass die Stadt nicht nur in der Mitte und an ihren Schauplätzen zu entwickeln ist, sondern auch dort, wo nicht jeder hinsieht, nämlich in den Ecken.

Diese drei Schwerpunkte – Wirtschaftspolitik, Bildungspolitik und Stadtentwicklungspolitik – stellen wir auch im Wahlprogramm in den Mittelpunkt. Es wäre schön, wenn jetzt nicht so viele draußen wären, sondern mehr hier drin; aber ich weiß, wie schwierig es ist, wenn der Spitzenkandidat in einer längeren Ausführung seine Grundzüge und seine Grundsätze dargelegt hat. Es geht mir bei diesem Parteitag – und das wäre noch viel wichtiger als die einmütige Verabschiedung eines Wahlprogramms – darum, deutlich zu machen, dass wir ein anderes Gesellschaftsbild als die CDU haben. Wir wollen nicht, dass sich die Ellenbogen durchsetzen. Wir wollen eine solidarische Gesellschaft, und das ist der wesentliche Unterschied. Dafür gilt es zu kämpfen. Wenn man sich einmal die Umfragewerte ansieht: Die sind doch dazu da, uns mutlos zu machen. Das dürfen wir nicht zulassen! Denn wer sich klar macht, was es heißt, wenn wir mutlos würden, muss erkennen, dass das bedeuten würde, dass wir auch weiterhin nicht in der Lage wären, unser anderes Gesellschaftsbild in der Stadt mehrheitsfähig zu machen. Dieses andere Bild ist eine solidarische Gesellschaftsordnung, eine menschenwürdige Ordnung, eine – wie Johannes Rau das sagen würde -, die Menschenwürde allen, egal mit welchem Pass, zuerkennt.

Wir haben ein anderes Gesellschaftsbild als die CDU, die mit ihrer Kampagne gegen das neue Staatsbürgerrecht versuchte, den rechten Sumpf zu mobilisieren. Diepgens permanente Versuche, den gleichen Sumpf bei der Diskussion um das Holocaust-Mahnmal zu mobilisieren, muss uns doch zu denken geben. Da wird doch deutlich: Die wollen eine ganz andere Gesellschaft. Die wollen nicht dasselbe wie wir. Mit denen können wir nicht noch einmal eine große Koalition eingehen oder auch nur zulassen, dass wir gezwungen sein könnten, eine solche Koalition nochmals aufzulegen.

Oder denkt doch einmal an Landowskys „Müll und Ratten“- Rede. Da bleibt doch nur zu sagen: Das ist verkommen und unverantwortlich! Und mit so etwas sollen wir noch einmal in eine Koalition gehen? – Aus diesem Grund müsst ihr euch alle zusammen mit dem Spitzenkandidaten und mit der Quadriga anstrengen, um zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Schon allein aus diesem Grund ist es notwendig, hier mehr zu tun.

(Beifall)

Guckt euch doch die Umfragen an, guckt euch doch die „Berliner Zeitung“ von heute an: Da hätte man ja sagen können, der Abwärtstrend sei gestoppt, weil wir schon tiefer als 25 Prozent waren. Aber nein, da steht oben drüber: „SPD stagniert“. „Keine Punkte mehr dazugewonnen“, steht dann dabei. Wie gesagt: Die Art und Weise, wie man uns jetzt mutlos machen will, sollte uns, unseren Mut und unsere Kraft geradezu herausfordern, um entgegenzuhalten. Wir haben in dieser Stadt oft genug dagegengehalten und dagegenhalten müssen, und wir haben die besseren Konzepte und sollten dies deutlich machen.

(Vereinzelter Beifall)

Und wir haben ein anderes Gesellschaftsbild als die CDU. Aber wenn es bei diesen Umfragewerten bliebe – und dabei bleibt es natürlich, wenn wir nicht alle Anstrengungen unternehmen, um dies umzuwenden –, würde dies die Fortsetzung dieser unsäglichen Koalition bedeuten, dieser mehr als dümpelnden Koalition, und die SPD wäre zur Mehrheitsbeschafferin der CDU in dieser Stadt verkommen und nicht mehr in der Lage, eine eigene Rolle als Volkspartei in dieser Stadt zu spielen. Wenn wir weiter in der Loge bleiben und zuschauen, wie Walter Momper hier am Hochseil turnt – fällt er oder fällt er nicht? -, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die SPD ihre Existenz als Volkspartei in dieser Stadt bei den nächsten Wahlen verliert. Das steht hier auf dem Spiel, und deshalb seid ihr alle gefordert, hier bei diesem Wahlkampf mitzutun. Darum geht es auch, wenn wir hier dieses Programm einmütig diskutieren und verabschieden – aber nicht nur das Programm abwickeln und dann weiterdösen, sondern die Verantwortung wahrnehmen, die wir alle haben, nicht nur der Spitzenkandidat, um der provinziellen Miefigkeit, diesem drögen Dahinschleppen, ja dem Verspielen unserer ganzen Zukunftschancen in dieser Stadt ein Ende zu bereiten. Wir alle haben es in der Hand, eine selbstbewusste Führungskraft in dieser Stadt zu werden, eine Führungskraft, die ihren Gesellschaftsentwurf um- und durchsetzen will, einen Gesellschaftsentwurf, der die Werte Menschenwürde, Freiheit, Leistungsgerechtigkeit, Solidarität und Teilhabe in die Wirklichkeit umsetzt und Wirklichkeit werden lässt. Wir können es schaffen. Deshalb: Straffen wir alle unser Kreuz und packen es an! Es geht, nach meiner Auffassung, um viel: um die Existenz als Volkspartei in Berlin. Das muss bis zum 10. Oktober entsprechend umgebogen werden. Lasst euch nicht durch die Umfragewerte mutlos machen! Packen wir es an!

(Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Ich bitte die Delegationsleiter, sich um ihre Delegierten zu kümmern, damit sie wieder hereinkommen. Fünf Minuten Pause haben ja wohl gereicht, eine Zigarette zu rauchen oder einen Schluck Kaffee zu trinken. Wir wollen dann den Bericht der Antragskommission hören und in die Beratung einsteigen. Für die Antragskommission hat jetzt zu Punkt b) dieses Tagesordnungspunkts ihr Vorsitzender Hermann Borghorst das Wort!

Hermann Borghorst: Liebe Genossinnen und Genossen! Die Antragskommission hatte insofern eine schwierige Aufgabe, als insgesamt 180 bis 190 Anträge zu behandeln waren. Das ist sicherlich auf der einen Seite auch Ausdruck einer lebendigen Partei, und dafür sind wir auch dankbar. Ich will auch gern zum Ausdruck bringen, dass wir eine Reihe von Anträgen und Vorschlägen erhalten haben, die insgesamt zu einer Ergänzung und auch zu einer Abrundung des Programmentwurfs beigetragen haben. Ich weiß sehr genau, wieviel Engagement, Mühe und Schweiß darin liegt, und dafür wollen wir uns sehr herzlich bei allen bedanken, die sich beteiligt haben.

(Vereinzelter Beifall)

Eine solche Antragsberatung führt aber zwangsläufig auch dazu, dass nicht alle Anträge angenommen werden können. Manchmal – das gebe ich gern zu – mussten wir etwas rigoros sein, weil wir der Auffassung waren, der Programmentwurf ist ohnehin eigentlich schon zu lang und für die Bürgerinnen und Bürger kaum noch verkraftbar. Wir bitten deshalb um Verständnis, wenn sich nicht alle bei den Empfehlungen der Antragskommission wiederfinden. Das gilt zum Teil für Fachausschüsse, Kreise, Abteilungen, aber auch für die Jungsozialisten.

Die Antragskommission hat gemeinsam beschlossen, alle Änderungsanträge in eine geschlossene Konsensliste zu geben. Das gilt im übrigen auch für die Anträge und die redaktionellen Änderungen, die ihr heute noch auf den Tisch bekommen werdet. Das ist sicherlich etwas Ungewöhnliches, aber ich denke mir, wir leben im Moment auch in relativ ungewöhnlichen Zeiten, und wir sollten möglichst große Geschlossenheit hier auf diesem Parteitag zeigen.

(Vereinzelter Beifall)

Wir haben deshalb an euch alle die herzliche Bitte, sich in der Generaldebatte auf die großen Linien und die inhaltlichen Schwerpunkte zu konzentrieren. Denn eine Spiegelstrichdebatte und redaktionelle Übungen auf diesem Landesparteitag nützen niemandem, vor allem nicht der Berliner SPD. Deswegen laßt uns deutlich machen, dass wir eine programmatisch orientierte und geschlossen handelnde Partei sind! Das ist der entscheidende Punkt. Deswegen bitten wir sehr herzlich um Zustimmung zu dieser großen Konsensliste.

Ich will einige Punkte hervorheben, die wir ergänzend aufgenommen haben und die ohne Zweifel auch zur qualitativen Verbesserung des Programms beitragen.

  1. Es ist ein ausführlicher Antrag aus Wedding und Spandau zur bürgernahen, effektiven und kostengünstigen Verwaltung gekommen, der gerade auch auf die Erfolge der SPD bei der Verwaltungs- und Bezirksgebietsreform hinweist. Darin steht u. a.: „Wir wollen ein Informationsfreiheitsgesetz, wie in Brandenburg. Wir wollen mehr Bürgerbeteiligung und eine Fortsetzung der Verwaltungsreform mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des öffentlichen Diensts und ihrer Vertretungen.“ Ich will dabei eins deutlich betonen, und das muss klar sein: Mit der SPD wird es auch in Zukunft keine betriebsbedingten Kündigungen im öffentlichen Dienst geben.

(Vereinzelter Beifall)

  1. Der Fachausschuss Nord-Süd hat mit Recht darauf hingewiesen, dass ein Absatz zur internationalen Politik und zum Nord-Süd-Standort Berlin fehlt. Wir wollen deshalb auch in Zukunft darauf hinwirken, dass Berlin ein Zentrum der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit bleibt. Es gibt viele sehr engagierte Nicht-Regierungsorganisationen hier in der Stadt, die sich in der Bildungsarbeit, vor allem ehrenamtlich, engagieren, und es kommt darauf an, dass wir von der Berliner SPD das klare Signal setzen: Wir unterstützen dieses ehrenamtliche Engagement.

(Vereinzelter Beifall)

3. Wir haben im Zusammenhang mit der Technologie- und Wettbewerbspolitik ein Kapitel zur sozial gestalteten Innovationspolitik für den Menschen aufgenommen. Dazu gab es Vorschläge vom DGB und seiner Gewerkschaften. Innovation ist nicht nur Technik. Die Schlüsselrolle müssen dabei die Menschen und ihre Qualifikationen spielen. Deshalb brauchen wir mehr Weiterbildung, mehr Sicherung der Mitbestimmung und vor allem die Humanisierung der Arbeitswelt, damit Innovation mit einem sozialen Berlin verbunden werden kann.

4. Wir unterstreichen noch einmal deutlich die Verantwortung und Mitwirkung der Bezirke bei der kommunalen Beschäftigungsförderung. Wir wollen neue Beschäftigungsinitiativen in den Bezirken unterstützen, damit auch dort endlich gezielt in bestimmten Stadtteilen die Arbeitslosigkeit mehr als bisher bekämpft werden kann.

  1. Aufgrund von Anträgen, unter anderem aus Charlottenburg, Wilmersdorf, Zehlendorf und Steglitz, wird das Thema „Gleichberechtigung und Gleichstellung von Männern und Frauen“ noch an verschiedenen Stellen des gesamten Programms zugespitzt. Wir haben da eine ganze Reihe von Initiativen in den letzten Jahren gehabt. Die letzte war zum Beispiel im Abgeordnetenhaus, wo wir es durchgesetzt haben, dass die öffentliche Auftragsvergabe mit der Frauenförderung verbunden wird. Ich finde, wir können stolz sein auf die SPD-Frauenpolitik in Berlin, und das müssen wir auch nach draußen deutlich machen.

(Beifall)

6. Wir sind dem Fachausschuss Bildung und Schule dankbar, dass er das Kapitel „Berufliche Erstausbildung in Berlin – Zukunftschancen für Jugendliche“ neu formuliert hat. Wir müssen alles daran setzen, dass jeder Jugendliche die Chance auf eine Berufsausbildung erhält. Die Berliner Wirtschaft steht in der Verantwortung, ein entsprechendes Ausbildungsplatzangebot zur Verfügung zu stellen. Ich sage aber auch an dieser Stelle sehr deutlich: Auch der öffentliche Dienst muss hier mit gutem Beispiel vorangehen, und das klare Ziel muss die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in der Stadt bleiben.

  1. Im Bereich Verkehr gab es eine ganze Reihe von Ergänzungen, die geholfen haben, das Programm qualitativ aufzuwerten, unter anderem aus Friedrichshain, Wilmersdorf und Charlottenburg. Wichtig war vor allem aber auch, dass wir zum Konsensbeschluss – und das ist hier schon angesprochen worden – zu den Berliner Flughäfen noch einmal klar Position beziehen. Deswegen haben wir das deutlicher formuliert. Es muss klar sein: Schönefeld wird gebaut, und die innerstädtischen Flughäfen Tempelhof und Tegel werden geschlossen.

(Vereinzelter Beifall)

 

  1. Es fehlte im Programmentwurf ein Kapitel zu Berlin-Brandenburg, und ich glaube, es ist von der Berliner SPD immer mit hoher Zustimmung erfolgt, dass wir die Kooperation zwischen Berlin und Brandenburg stärken und intensivieren wollen. Wir sind eine gemeinsame Wirtschafts- und Arbeitsmarktregion, und deshalb kommt es darauf an, dass die Berliner SPD noch einmal deutlich macht: Wir wollen auch weiterhin die Fusion der beiden Länder Berlin und Brandenburg, und wir wollen einen neuen Anlauf dazu und ein gemeinsames Bundesland Berlin-Brandenburg.

(Vereinzelter Beifall)

Liebe Genossinnen und Genossen! Lasst uns nun gemeinsam an die Beratung des Wahlprogramms gehen. Es ist ein guter Entwurf, der auch klare Schwerpunkte setzt. Parteiprogramme lesen aber nur wenige Menschen. Deshalb kommt es darauf an, dass wir in den kommenden Wochen und Monaten die Menschen in der Stadt von den guten Zielen, die wir in diesem Programm drinhaben, überzeugen. Das ist die eigentliche Aufgabe, und das ist die Kernaufgabe für uns alle. Glück auf! Und herzlichen Dank!

(Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Wir begrüßen auf dem Parteitag den Berliner Polizeipräsidenten Herrn Hagen Saberschinsky ganz herzlich!

(Vereinzelter Beifall)

Wir kommen dann zu Punkt c) des Tagesordnungspunkts, zur Generaldebatte. Ich erinnere alle Rednerinnen und Redner daran, dass sie sich an die beschlossenen fünf Minuten halten. Die erste Rednerin ist Felicitas Tesch aus Charlottenburg, ihr folgt Thomas Gaudszun aus Reinickendorf. Wir werden mit dem Aufrufen nicht lange warten. Die Delegierten haben sich hier im Raum aufzuhalten, und wer nicht hier ist, hat sein Rederecht verwirkt. Wir haben eine ganze Reihe von Wortmeldungen. Ich bitte jetzt Felicitas Tesch aus Charlottenburg!

Präs. Felix Clauß: Einen Moment noch bitte, ich habe eine Anmerkung zur Redezeit: Wir werden diesmal, da wir eine Redezeit von fünf Minuten haben, im Sinne eines schleunigen Ablaufs um vier Minuten nach Beginn der Redezeit ein kleines, sanftes Klingelzeichen geben, und nach fünf Minuten ist dann wirklich Schluss für den Redner.

Felicitas Tesch (Charlottenburg): Wahrscheinlich werde ich die gar nicht brauchen, weil es um eine Generaldebatte geht und ich mich kurzfassen werde und Generelles sagen möchte. – Liebe Genossinnen und Genossen! Wer das Paket mit den Änderungsanträgen zum Entwurf des Wahlprogramms gesehen hat, wird feststellen, dass Charlottenburg eine große Anzahl von Anträgen, wenn nicht sogar die meisten, eingebracht hat. Das ist nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zu sehen, und ich möchte mich an dieser Stelle ganz besonders bei unserer Grundwertekommission und auch bei der KDV bedanken, die das ganze Paket durchgesehen und abgestimmt hat. Wir freuen uns daher auch, dass die Antragskommission das berücksichtigt und einige unserer Anträge aufgenommen hat.

Ich gebe euch einmal ein paar Beispiele: Unsere Vorschläge zur Verwaltungsreform sind aufgenommen worden, ebenso die Vorschläge zur besseren Einbeziehung von Frauen in die Politik. Der gesundheitspolitische Teil ist mit kleinen Änderungen vom Fraktionsarbeitskreis übernommen worden, der kam auch aus Charlottenburg. Die verbilligte Umweltkarte für die BVG und die Schließung von Tegel und Tempelhof sind weitere Beispiele.

Zur Bildungspolitik muss ich leider etwas differenzierter ausholen, zumal ja auch Walter heute wieder gesagt hat, er stehe auf Bildung. Wir sind auch sehr froh über das neue Sanierungsprogramm für die Schulen. Aufgenommen aus dem großen, langen Charlottenburger Antrag wurden auch die Ganztagsschule im Grundschulbereich, die Werteorientierung – wenn auch mit anderen Worten -, die Lehr- und Lernmittelfreiheit – die liegt uns sehr am Herzen – und die Verzahnung von Jugend, Schule und Sport, die schon lange von Charlottenburg gefordert wird.

Allerdings hätten wir noch gern unsere Vorstellung zur Einstellung von Lehrerinnen und Lehrern jedweden Lebensalters aufgenommen gehabt. Wir haben heute wieder von Klaus Böger erfahren, dass für das kommende Schuljahr 400 Zweidrittel-Stellen, also Stellen für 600 Menschen, bereitgestellt wurden. Das begrüßen wir sehr. Wir möchten aber gern, dass das fortgeschrieben wird, ebenso die Begrenzung der Klassenfrequenz auf 25. Wir – die Charlottenburgerinnen und Charlottenburger – sind nämlich der Meinung, dass auch in ein Wahlprogramm Visionen und Zielvereinbarungen gehören, die man nicht als utopisch abtun muss. Man soll also auch bei einem Wahlprogramm nicht immer die Schere im Kopf haben.

Nach diesen Ausführungen wird deutlich, dass die Charlottenburger bei all diesen angenommenen Änderungsvorschlägen nicht traurig sind, wenn einige Punkte nicht aufgenommen worden sind. Wir werden daher der Konsensliste zustimmen und wollen auch an dieser Stelle dem Landesverband signalisieren, dass wir auch in Zukunft konstruktiv und aktiv, aber auch natürlich sehr kritisch und später in Zusammenarbeit mit Wilmersdorf, mitarbeiten wollen. Dies ist ja nicht der letzte Landesparteitag. Ich danke euch, Genossinnen und Genossen!

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Danke schön, Felicitas! So wird das von diesen Bezirken natürlich auch erwartet. Es folgt Thomas Gaudszun, Reinickendorf, danach Kerstin Raschke, Marzahn!

Thomas Gaudszun (Reinickendorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Es geht nach den vielen Reden, die wir hier gehört haben, nicht nur darum, was in dem Programm schriftlich aufgelistet ist, sondern auch darum, was hier heute gesagt und vielleicht nicht in jedem Buchstaben dort aufgelistet wird. Das letztere hat ja manchmal noch mehr Bedeutung in der medialen Verbreitung über das, was wir bei diesen Wahlen erreichen wollen.

Neben vielen wichtigen Punkten hat Walter Momper zwei in den Vordergrund gestellt – und zwar noch vor dem, dass er die Wirtschaftspolitik zur Chefsache machen will -, die wir ja alle, so denke ich, gut finden. Das ist erstens die deutliche Betonung des Faktors der sozialen Gerechtigkeit für die Berliner SPD, und zweitens – ich sage das ein bisschen deutlicher als er – das klare Eintreten für Rot-Grün.

Lasst mich mit dem letzteren beginnen: Man kann nicht gleichzeitig hinter der Politik der Bundesregierung und hinter unserem Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner Politik stehen und sich dann in Berlin von dem Modell Rot-Grün distanzieren. Das ist unglaubwürdig, und das kann man nicht zusammen vertreten. Deswegen bin ich dankbar für das, was Walter Momper hierzu gesagt hat.

Ich habe mich auch sehr über die Bemerkung in diesem etwas herausgehobenen Satz gefreut, dass er gesagt hat, soziale Gerechtigkeit ist so wichtig wie der Glanz des Potsdamer Platzes. Aber wir müssen – und da will ich dann doch etwas Wasser in den Wein gießen – uns darüber im klaren sein, dass es bei der Zumessung des Faktors soziale Gerechtigkeit, der für uns Sozialdemokraten auch in der Bemessung der Wahlchancen essentiell ist, in der Bevölkerung im Bund und auch in Berlin noch einen erheblichen Nachholbedarf gibt. Hierbei geht es auch mehr um die Qualität bestimmter Belastungen, Einschnitte und Maßnahmen als um die Quantität. Solange es ein relativ komplizierter Vorgang ist, den Menschen in der Diskussion deutlich zu machen, wo denn ihr Vorteil in Mark und Pfennig – oder bei den Rentnerinnen und Rentnern vielleicht auch nur ein ganz geringer Rückschritt – ist, wird es uns schwerfallen, bei diesem essentiellen Punkt wirklich Punkte zu machen.

Und wenn wir beispielsweise bei den Rentnerinnen und Rentnern wirklich Akzeptanz haben wollen – und wenn ihr euch die Ergebnisanalysen anseht, dann ist es gerade da im Moment nicht gut bestellt -, dann müssen wir sowohl im Bund als auch in Berlin deutlich machen, dass, wenn wir dort Einschnitte machen, dann auch die Wohlhabenden in diesem Land einen notwendigen Beitrag zu den Belastungen bringen müssen.

(Vereinzelter Beifall)

Wenn wir verlangen, dass alle einen Beitrag bringen müssen, dann bleibt uns auch nichts anderes übrig, als dass andere auch Verzichte leisten müssen. Wir müssen ja einmal überlegen: Warum gelingt es der CDU und den mit ihr verbündeten Verbänden und auch Teilen der Presse zurzeit, soviel Sand in die Augen der Menschen zu streuen? – Wir müssen diesen Punkt deutlich machen, und da fällt dann das Stichwort „Ersatz für die Vermögenssteuer“, und ich erwarte einfach, dass wir über die Sommerpause bis hin zu den Wahlen in Berlin hier eine Entlastungsdebatte führen. Ich weiß, dass der Bundeskanzler und Bundesvorsitzende da zum Teil andere Ansichten hat, aber ich bin davon überzeugt, dass dies ein wichtiger Punkt ist. Walter, ich würde mir wünschen, dass du dazu im Wahlkampf und auch in der Sommerpause schon etwas sagst. Es wird den Wahlchancen der Berliner SPD guttun.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Kerstin Raschke, und danach Hans-Georg Lorenz, Spandau!

Kerstin Raschke (Marzahn): Liebe Genossinnen und Genossen! Walter Momper hat vorhin gesagt – ich habe es mir mitgeschrieben -, wir sollten unsere eigenen Erfolge offensiv vertreten. Tatsächlich hat man manchmal den Eindruck: Die Berliner SPD ist, bei aller Bescheidenheit, gut. Aber das Problem ist immer wieder unsere Bescheidenheit. Dabei ist gerade in den letzten Jahren in einem Bereich – und deshalb war ich froh, dass heute unter denen, die hier vorgestellt und interviewt wurden, die Studentin Petra Eschen und Professor Uhe waren – Enormes passiert, und zwar im Hochschulbereich. Bildung ist nicht nur Schule, sondern auch Hochschule. Auch da passiert Bildung. Nirgendwo, in keinem anderen Bereich, gab es in den letzten acht Jahren – und zwar immer von der SPD unterstützt – derartig viele Veränderungen.

Ich erinnere mich genau daran, wie wir der letzten Koalitionsvereinbarung zugestimmt haben. Alle hatten Bauchschmerzen bei einem Punkt, und das war der, den der damalige CDU-Senator uns noch ins Wahlprogramm hineingeschrieben hat: Bestimmte Studiengänge sollten geschlossen werden. Das war ein richtiger Brocken für uns. Heute spricht darüber niemand mehr. Heute spricht man über leistungsorientierte Hochschulverträge. Dass die gedankliche Initiative bis hin zur Umsetzung ausschließlich von der SPD kam, würdigen wir viel zu wenig.

Wir fordern in unserem Wahlprogramm die Abschaffung des Beamtenstatus gerade im Hochschulbereich. Wer von uns hat eigentlich zur Kenntnis genommen, dass auf Initiative der SPD der oberste Verwaltungsbeamte einer Hochschule, der Kanzler, seit Anfang des Jahres nicht mehr Beamter sein muss, sondern Angestellter, und das befristet? Ich frage euch: Welche Begründung sollte denn jetzt – nachdem die CDU dem zustimmen musste – noch irgendwer dafür bringen, dass die nachfolgenden Verwaltungsbeamten künftig Beamte sein müssen, wenn der oberste, der Kanzler, Angestellter ist? Ich weiß, dass das ein Punkt ist, der selbst in den eigenen Reihen manchmal schwerfiel. Aber es ist richtig und notwendig, die eigenen Erfolge stärker zu betonen.

Ich will euch noch ein Beispiel aus diesem Bereich nennen: Die Uni-Klinika sind als teure Hochschulmedizin immer wieder bei der Krankenhausplanung in der Diskussion. Wir haben eine Finanzierung, die aus den Kassen kommt, und einen Staatszuschuss. Wir haben damals, vor ungefähr sieben, acht Jahren, gesagt: Wir wollen wissen, was die Uni-Klinika mit dem Staatszuschuss machen. Da gab es eine Reaktion, die war umwerfend. Alle haben erklärt, das ginge überhaupt nicht, man könne das gar nicht trennen. Wie könnt ihr verlangen, dass wir euch sagen, was wir mit dem Geld machen? Heute redet kein Mensch mehr darüber. Selbstverständlich müssen die ausweisen, was sie mit dem Geld machen.

Das sind ganz konkrete Punkte, wo sich SPD-Politik in kleinen Schritten durchgesetzt hat, und die sollten wir auch einmal ganz offensiv vertreten. Wir sollten klar sagen, was unsere Leistung ist, gerade in der Politik. Dann wird sich zeigen, lieber Walter, dass die SPD mit und ohne Glatze Profil zeigen kann. Danke schön!

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Hans-Georg Lorenz, Spandau, dann Gabi Schöttler!

Hans-Georg Lorenz (Spandau): Liebe Genossinnen und Genossen! Innenpolitik wird auch in unserer Partei häufig zu einem Streit über Polizeipräsidenten, FPR, FDP oder Videokameras degradiert. Die SPD hat daher häufig ein eher distanziertes Verhältnis zur Sicherheitspolitik. Die Bevölkerung sieht das anders. Und sie hat recht: Staat – das ist für die Bürger ein Leben in Sicherheit und Gerechtigkeit. Das ist das Mindeste, was sie von einem Staat erwarten, denn davon hängt ein Groß-teil ihrer Lebensqualität ab, das friedliche Leben in der Gesellschaft.

Innenpolitik und Rechtspolitik ist auch der Kampf um demokratische Rechte, um die Freiheit des Einzelnen und der Gesellschaft und des Einzelnen in der Gesellschaft. Das ist auch Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, und es ist der Kampf und das Ringen um die Lebensqualität der Schwachen und Wehrlosen in dieser Gesellschaft.

Nun gibt es viele, auch in unserer Partei, die meinen, das alles sei doch hier nicht gefährdet. Die große Koalition mache das doch ganz gut. Ich frage mich immer, wo solche Menschen leben. Lesen sie nicht täglich in der Presse, was in dieser Stadt los ist? Lesen sie nicht, dass der Innensenator jede parlamentarische Kontrolle unterbindet und ein System der Angst in der Verwaltung verbreitet? Selbst Beamte, die aktive Mitglieder der CDU sind, suchen verzweifelt eine Rechtfertigung für ein kurzes privates Gespräch, das sie mit einem SPD-Abgeordneten geführt haben.

Lesen Sie nicht, dass der Innensenator in seiner Verachtung der SPD nicht davor zurückschreckt, auch den Präsidenten des Deutschen Bundestags von Veranstaltungen auszuschließen, die dem Frieden in dieser Stadt dienen sollen? Und merken sie nicht, dass er damit die Demokratie verhöhnt?

(Vereinzelter Beifall)

Lesen sie nicht, dass der Innensenator jede konstruktive Selbstkritik der Polizei, an ihren selbstgewachsenen und verwucherten Strukturen unterbindet, sie mundtot macht und sich weigert, entdeckte Missstände zu beseitigen, indem er sie zunächst einmal diskutiert? Und können sie sich nicht denken, was dies für die Sicherheit des Einzelnen, auch in dieser Stadt, bedeutet? Lesen sie nicht, dass der Innensenator zwar für die Wiederverwendung von Stasi-Mitgliedern ficht, aber jeden Beamten, der mit einem demokratischen Abgeordneten spricht, aus dem öffentlichen Dienst entfernen möchte? Lesen sie das nicht?

(Vereinzelter Beifall)

Lesen sie nicht, dass der Innensenator, gemeinsam mit der Polizeiführung, das Parlament belügt und eine Sicherheitslage vorgaukelt, die in der Realität nicht einmal in Ansätzen besteht? Und spüren sie nicht, dass an dieser Gleichgültigkeit vier Menschen starben und die Stadt in den Ruf kam, als Regierungssitz bezüglich der Sicherheitslage ungeeignet zu sein?

(Vereinzelter Beifall)

Lesen sie nicht, dass alle Schritte zu einer weltoffenen und bürgerorientierten Polizei blockiert und prügelnde Polizisten gedeckt werden? Und merken sie nicht, dass eine fehlgeleitete Polizei die Bürgerrechte in Zukunft nicht schützen wird, sondern das Gegenteil bewirkt?

Lesen Sie nicht, dass die einzige wirklich politische Äußerung des Innensenators seit Monaten die Forderung nach der sofortigen Abschiebung von Kosovo-Flüchtlingen ist, eine Forderung, die selbst Bayern nicht zu erheben gewagt hat? Ausländerhass ist aber keine Politik, sondern die Verhöhnung der Grundwerte unserer Verfassung!

(Beifall)

Wer Minderheiten zu Sündenböcken stempelt, vergreift sich an den Grundwerten eines friedlichen gesellschaftlichen Zusammenseins. Wer der Öffentlichkeit einen Schutz vorgaukelt, den es nicht gibt, der belügt das Parlament und das Volk. Wer die Rechte des Parlaments missachtet, der greift die Demokratie an!

(Glocke der Präsidentin)

Die SPD stellt dieser erschreckenden und vom Innensenator der CDU geschaffenen Lage das Bild einer Polizei entgegen, die der inneren Liberalität dient.

Präs. Sigrun Klemmer: Kommst du bitte zum Schluss, Hans-Georg?

Hans-Georg Lorenz (Spandau): Ja! – Nun fragen einige: Kann man das nicht freundlicher und friedlicher kritisieren, wie es die große Koalition immer tut? – Nein, das kann man nicht! Demokratie, die Rechte des Parlaments und die der demokratisch gesinnten Bürger verteidigt man nicht mit Kungeleien im Hinterstübchen! Wer der SPD in ihrem gerechten Kampf um Liberalität, Menschlichkeit, Schutz der Schwachen, um die Rechte des Parlaments und für eine demokratische Verwaltung in die Arme fällt, wer die SPD im Kampf gegen die antidemokratischen Kräfte, gegen Ausländerhass und Chauvinismus, gegen Lüge und Verachtung des Volkes behindert, der muss wissen, dass er in uns, in der Sozialdemokratie, Feinde findet!

(Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Das Wort hat jetzt die Senatorin für Arbeit und Frauen, Gabi Schöttler, ihr folgt Klaus Riebschläger, Steglitz!

Gabi Schöttler: Liebe Genossinnen, liebe Genossen! Walter hat es gesagt: Wir sind die Partei, die Modernisierung und Zukunftswillen verbindet mit Solidarität und Gerechtigkeit. Wir betreiben Innovation nicht um ihrer selbst willen, sondern um Arbeitsplätze in dieser Stadt zu erhalten und neue Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze zu schaffen.

(Vereinzelter Beifall)

Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren ist in dieser Stadt schon seit langem oberstes Gebot. Wir haben jetzt Rückenwind aus Bonn von der neuen Bundesregierung. Die Arbeitsmarktpolitik in Berlin war davon gezeichnet, dass sie auf der einen Seite Mittel dafür eingesetzt hat, dass kleinere und mittlere Unternehmen zukunftssichere Arbeitsplätze schaffen, indem wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus- und weitergebildet haben für ihre Zukunft. Auf der anderen Seite haben wir die Mittel nachhaltig und effektiv für einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor eingesetzt,

(Vereinzelter Beifall)

um die notwendige soziale Infrastruktur und die ökologische Zukunftssicherung in dieser Stadt zu sichern. So verfahren wir auch weiter. Die Mittel aus Bonn werden uns zur Verfügung gestellt, und Berlin wird kofinanzieren, dass jede und jeder in dieser Stadt einen Arbeitsplatz hat. Wir können nicht darauf verzichten, das Wissen und die Erfahrung von Älteren, die insbesondere im zweiten Arbeitsmarkt beschäftigt sind, brachliegen zu lassen, genauso wenig, wie wir es uns leisten können, die jungen Menschen im Regen stehenzulassen.

(Beifall)

Deshalb noch einmal: Wir fördern in der Zwischenzeit 70 Prozent aller Ausbildungsplätze in Berlin. Wir fordern 100 Prozent betriebliche Ausbildungsplätze, und der Staat zieht sich darauf zurück, dass wir die Berufsschule finanzieren. Denn so ist das duale System eingerichtet.

Diese Forderung ist im Moment nicht durchsetzbar. Deshalb sagen wir: Wir können uns nicht zurücklehnen und unterstützen Betriebe, die erstmals ausbilden, die junge Mädchen einstellen, die in Verbundausbildung Ausbildungsplätze schaffen.

Ich glaube aber, wenn sich, auf lange Sicht, der Kurs der Unternehmen nicht ändert, werden wir einen Lastenausgleich schaffen müssen,

(Vereinzelter Beifall)

und zwar zwischen den Unternehmen, die sagen, Jugend ist unsere Zukunft, und Jugend ist auch die Zukunft der Wirtschaft, und zwischen den anderen, die sich darauf verlassen, der Staat wird es schon richten, die bilden für uns aus. Da muss ein Lastenausgleich her, wenn da nicht ein Umdenken einsetzt!

(Beifall)

Ein weiterer wichtiger Aspekt unserer Politik und auch der SPD ist: Wir sind die Frauenpartei. Wir sind diejenigen, die immer wieder und permanent sich dafür einsetzen, dass eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens stattfindet. Wir sind einen ganzen Schritt vorangekommen, dank vieler engagierter Politikerinnen und Politiker. Die Beispiele sind schon genannt worden: Die Änderung des Landesgleichstellungsgesetzes im Bezug auf Frauenförderung im Zusammenhang mit öffentlicher Auftragsvergabe. Ein neunjähriger, steiniger Weg liegt hinter uns. Wir haben es jetzt geschafft. Wir sind aber noch nicht am Ende: Die Verordnung muss jetzt noch den Senat passieren, und ich hoffe, dass sie nicht diesen Senat passieren muss. Dann würde sie nämlich nicht passieren. Ich hoffe, dass ein anderer Senat mit anderen Mehrheiten da ist.

(Beifall)

Ich will mich nachher nicht abklingeln lassen und deshalb mit dem Motto schließen: Tue Gutes und rede darüber! Nutzen wir die letzten 99 Tage, um darüber zu reden, was wir Gutes in dieser Stadt getan haben und weiter tun werden! Danke!

(Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Klaus Riebschläger, dann Inge Frohnert, Spandau und AG 60 plus!

Klaus Riebschläger (Steglitz): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich glaube, wir stimmen darin überein: Wir haben gute Reden gehört. Jetzt gilt es, die Reden nicht missverstehen. Ein Missverständnis haben wir schon, aber das berührt nur die innere Ordnung des Parteitags: Als von Aufbruchstimmung die Rede war, haben viele Delegierte das missverstanden und sich in die Mittagspause zurückgezogen und das für den Aufbruch gehalten. Solche Missverständnisse wird es hoffentlich in der Außendarstellung dessen, was wir hier treiben, in Zukunft nicht geben.

Wir sind so überzeugt davon, dass wir gut sind. Deshalb halten wir es einmal als selbstverständlich fest. Die Aufgabe besteht nur nicht darin, das innerhalb der Partei zu transportieren, sondern zum Wähler, denn in der Wirkungskette, rückwärtsgewandt vom 10. Oktober, geht ja wohl die Reihenfolge so: Richtige Wahl setzt richtigen, überzeugten Wähler voraus, und die Überzeugung des Wählers müssen wir herbeiführen. Ich bin dankbar, dass wenigsten einige Redner sehr deutlich über das hinaus, was man von Parteitagen erwartet – nämlich gute Stimmung zu verbreiten -, auf die Diskrepanz zwischen unserem Anspruch, was am 10. Oktober herauskommen soll, und dem, wo wir im Augenblick stehen, hingewiesen haben – denn niemand unterstellt ja den Demoskopen, dass sie etwas erfunden hätten, um diesen Parteitag zu ärgern.

Eine gewisse Diskrepanz ist leider nicht zu übersehen. Deshalb ist es auch erlaubt, uns zu fragen, wie es dazu kommt. Also, ich finde standing ovations prima. Ich bin auch aufgestanden, und die Reaktion von Walter Momper fand ich ausgesprochen sympathisch: Ihm war das ein bisschen unangenehm. Ich muss sagen, das war menschlich eine saubere Leistung. Da steht ein Parteitag vor ihm auf, in dem eine ganze Menge Leute sitzen, die in den letzten Wochen und Monaten entweder kein Stück Arbeit geleistet haben, um seine Kandidatur zu unterstützen, oder gar in zahlreichen Interviews Munition für Presse und CDU geliefert haben, um ihn fertigzumachen. Das war eine Wiedergutmachung, sie kann aber mit einer standing ovation einzelner Delegierter nicht ihr Bewenden haben.

Nehmen wir doch einmal diese Dinge, die in der Partei so verschämt angesprochen werden, etwa die Frage der Putzfrau. Was für ein unpolitischer Verein, wenn drei Viertel der Angesprochenen Walter Momper da in die Pfanne hauen, obwohl das nur ein Beweis dafür ist, dass heute die Dinge – auch die, die wir selbst anpacken – so kompliziert sind, dass ein Spitzenkandidat nicht automatisch, aus dem Handgelenk, die richtige Antwort darauf geben kann! Es sagt doch nichts darüber aus, dass er der falsche Kandidat ist. Trotzdem werden viele, die von einer nicht gerade wohlgesonnenen Zeitung in dieser Frage angesprochen worden sind, zu Leumundszeugen gegen ihn. Ich finde das unter aller Sau, um das hier einmal ganz klar zum Ausdruck zu bringen!

(Beifall)

Ich habe dem Reporter gesagt – aber das hat er natürlich nicht geschrieben: Wissen Sie, was Sie schreiben sollten? – Walter Momper verdient die Verdienstmedaille der oberen Zehntausend dieser Republik. Er hat ihnen einmal gezeigt, in welchen Gefahren sie mit ihrer illegalen Putzfrau leben. – Er fand das ganz gut, sagte aber, das passt nicht in das Bild, das ihre sonstigen Parteigenossen gezeichnet haben. Das habe ich dann auch akzeptiert. Wir müssen aber die Kirche im Dorf lassen.

Damit sind wir schon bei dem, was die Bundesregierung macht. Wo sind wir eigentlich angelangt, dass bei einem erheblicher Teil dessen, was dort, wie ich finde, hervorragend geleistet wird – von der 630-Mark-Gesetzgebung über die Steuergesetzgebung und die kinder- und familienfreundliche Komponente – nichts herüberkommt? Wieder wird viel mehr Energie darauf verwendet, was wir noch nicht geschafft haben und was wir uns in der Phantasie vorstellen könnten für die ideale Gesellschaft, als das zu verkaufen, was wirklich geleistet wird. Das geht ja so weit, dass die Leute, die sich in Organen der Partei darüber äußern und schimpfen, nicht einmal wissen, was in den Gesetzen drinsteht. Das ist Verkommenheit in der Politik, wenn wir das, was unsere eigene Regierung leistet, nicht einmal kennen und dann in die Parolen einstimmen, die andere gegen diese Politik formulieren.

Ich wünsche mir einfach – ich habe ja noch eine Minute -, dass das Selbstbewusstsein, das im Beifall zum Ausdruck kommt, in der täglichen Überzeugungsarbeit draußen zum Ausdruck kommt. Es nützt nämlich nichts, wenn wir uns hier zujubeln. Es nützt nur etwas, wenn von diesem Optimismus und der behaupteten Überzeugung, dass wir die beste Politik haben, im täglichen Gespräch draußen und in der Auseinandersetzung mit dem Gegner und in Interviews mit Journalisten rüberkommt, dass wir annehmen, die besseren Politiker und die bessere Politik zu haben. Den Rest kann man sich schenken. Deswegen ist meine Bitte an diesen Parteitag: Lasst es nicht dabei bewenden zu sagen, es waren schöne sechs Stunden, sondern sagt: In den nächsten 99 Tagen wollen wir es alle zusammen besser machen als in den zurückliegenden Monaten!

(Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Inge Frohnert, dann Erich Pätzold, Wedding!

Inge Frohnert (Spandau): Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde! Ich stehe hier und spreche für über 6.000 ältere Genossinnen und Genossen der Berliner SPD, und, wenn ihr so wollt, auch für die über 500.000 älteren Menschen in dieser Stadt.

(Vereinzelter Beifall)

Ich denke, wir sind ein bisschen zu kurz gekommen in unserem Wahlprogramm, obwohl wir unsere Texte abgeliefert haben. Aber das macht nichts. Wir können uns auch so bemerkbar machen, und wir haben heute noch einmal in einer Resolution klar gemacht, wer wir sind und was wir wollen. Wir haben in der SPD 1994 die AG 60 plus gegründet, und ich glaube, mit gutem Erfolg. Wir können auch in Berlin eine gute Bilanz aufweisen. Wir wollen den Dialog mit den Jungen. Wir haben Kinder und Enkel, und wir wollen mit denen zusammen helfen, die Zukunft zu gestalten, und alles, was Walter Momper hier gesagt hat, hat unsere volle Unterstützung.

Wir werden uns auch weiter räuspern. Ihr wisst, wir haben eine Wählerinitiative „Seniorinnen und Senioren für Walter Momper“. Wenn wir da aktiv sind und alle zusammenhalten, dann werden wir es schaffen. Wir unterstützen Walter, wo wir nur können. Macht das auch! Danke schön!

(Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Erich Pätzold, dann Ingeborg Junge-Reyer, Kreuzberg!

Erich Pätzold (Wedding): Liebe Genossinnen und Genossen! Diese Partei und dieser Parteitag hatten vor dreieinhalb Jahren einen sehr schweren Start in die jetzt zu Ende gehende Wahlperiode. Wir haben uns sehr gestritten, ob wir die große Koalition fortsetzen sollten. Das lag vor allem daran, dass viele bei uns, aber auch viele Wähler draußen den Eindruck hatten, die SPD sei nur noch zum Anhängsel der CDU, zum Mehrheitsbeschaffer für die CDU verkommen. Das wollten wir nicht fortsetzen, aber wir sahen eigentlich auch keine Hoffnung, dass sich das bessern würde.

Wenn wir ehrlich Bilanz ziehen, müssen wir sagen, dass diese Berliner SPD vor allen Dingen mit ihrer Fraktion und im Senat in diesen abgelaufenen dreieinhalb Jahren sehr viel besser war und dass wir den Eindruck erwecken, als seien wir die Mehrheitsfraktion in der großen Koalition. Wir sind in der Tat der Motor für viele Dinge gewesen und haben immer wieder erleben müssen, wie die CDU und insbesondere der Regierende Bürgermeister allenfalls das Zeug zur Blockade hatten.

Insofern ist die Situation eine sehr viel bessere geworden, und umso mehr stimmt traurig, dass die gerade wieder veröffentlichten Meinungsumfragen ein anderes Bild zeichnen. Das muss man wohl unter die Rubrik buchen: Wer in diesen schwierigen Zeiten den notwendigen Mut zur Unpopularität hat, der wird dafür abgestraft. Aber ich kann niemandem dazu raten, deswegen den Mut zur Unpopularität aufzugeben.

Dass es so viel besser geworden ist – insbesondere in der sichtbaren Arbeit der Fraktion -, ist einmal das Verdienst der Fraktionsführung und besonders von Klaus Böger. Ich selber habe in dem schwierigen Feld der Verwaltungsreform nur immer Unterstützung erfahren, und ich muss als zweites sagen: Niemand konnte ahnen, dass mit Annette Fugmann-Heesing eine so tatkräftige und standhafte Frau in die Stadt kommen und die Verantwortung für die Finanzen übernehmen würde und dass dies zu unserem Segen ausschlägt. Natürlich ist es ganz mühsam, mit all den notwendigen Sparvorgaben auszukommen. Aber ohne einen entschlossenen Kurs der langfristigen Konsolidierung kann diese Stadt nicht überleben. Das war auch der Grund, warum wir die Modernisierung der Stadt, auch im politischen Feld, auch in den Verwaltungen, tatkräftig angepackt haben.

Wir hätten das alles nicht geschafft, wenn es auch bei der CDU nicht einige wenige Abgeordnete gegeben hätte, die bis zum heutigen Tag – vorgestern ist ein Eigenbetriebsgesetz verabschiedet worden, ein Dienstrechtsreformgesetz, vorher ein Verwaltungsreformgrundsatzgesetz und und und – mitgezogen hätten. Aber das wäre beinahe daran gescheitert, dass die Großen, dass Diepgen oder Landowsky das alles im Prinzip nicht wollten. Ich empfinde es als Aberwitz, wenn Diepgen das heute als Reformkraft der großen Koalition ausgibt. Das ist nur die SPD-Seite der Koalition, um das ganz deutlich zu sagen.

(Vereinzelter Beifall)

Walter Momper und mich vereint immer das schöne Stichwort „Landesschulamt“. Ich möchte ihm noch einmal sagen: Es ist nicht nur eine verwaltungsmäßige Frage, ob durch ein überorganisiertes, überschwerfälliges Landesschulamt die Arbeit von Lehrern, Eltern und Schülern massiv beeinträchtigt worden ist. Wir möchten, dass das wieder zu einem vernünftigen Zustand zurückgeführt wird, und leider hat die Antragskommission eine Formulierung vorgeschlagen – an der ich jetzt auch nicht rütteln will -, die da von „Dezentralisierung“ spricht. Ich sage nur: Juristisch ist Dezentralisierung die Rückverlagerung zu den selbstverwalteten Einheiten, und nicht etwa nur Stärkung von Außenstellen. Das möchte ich hier noch einmal ausdrücklich festgestellt haben. In diesem Sinne kann auch ich dieser Formulierung zum Landesschulamt zustimmen.

(Vereinzelter Beifall)

Lasst uns also gemeinsam einen weiteren reformerischen Aufbruch suchen! Diese Bundesregierung verdient unsere Unterstützung, trotz mancher vordergründiger Kritik. Wir selbst wollen uns durch die Wahlen in die Situation bringen lassen, dass wir endlich nachholen und voranbringen, was in dieser Stadt seit langem fehlt: Führung und Reformen zugunsten der Bürger.

(Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Ingeborg Junge-Reyer, dann Thomas Härtel, Steglitz!

Ingeborg Junge-Reyer (Kreuzberg): Genossinnen und Genossen! Wir haben Regierungsverantwortung in Bonn übernommen, wir haben seit langen Jahren Regierungsverantwortung in Berlin. Wenn man in einer solchen Situation ein Wahlprogramm vorlegt, dann ist dies eine Verpflichtung für die Zukunft. Allerdings ist es besonders schwer, in diesen Zeiten, in denen wir wissen, dass Einschränkungen verkündet werden, dass Haushaltskonsolidierung in Bonn und in Berlin betrieben wird, den Menschen, die glauben, dabei zu kurz kommen zu können, die Angst zu nehmen. Deshalb ist es wichtig, dass wir für die Akzeptanz dessen, was in Bonn geschieht, und dessen, was wir hier in Berlin an Haushaltskonsolidierung für die Zukunft betreiben, alles in einen Gesamtzusammenhang setzen können und nachvollziehbar und konkret machen.

Es ist uns wohl noch nicht ausreichend gelungen, den Menschen die Angst zu nehmen, und ich glaube, dass dies vielleicht daran liegt, dass wir auch und gleichzeitig eine innerparteiliche Diskussion führen um eine moderne Zukunft, um eine Modernisierung der Zukunft. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir denjenigen, die fürchten, dass die SPD mit dieser Situation, mit dieser Diskussion die alten Grundwerte aufgeben könnte, sehr deutlich sagen, dass wir der festen Überzeugung sind, dass modern zu sein allein kein Programm ist,

(Vereinzelter Beifall)

dass die SPD auch mit ihrem Bekenntnis zu richtigen Finanzpolitiken in beiden Bereichen dennoch die Grundwerte nicht in Frage stellt. Wir brauchen keine neuen Grundwerte! Wir werden soziale Gerechtigkeit und Solidarität für die Zukunft bewahren, aber wir werden dies mit anderen Mitteln und mit anderen Möglichkeiten tun müssen.

Wir werden neue Wege suchen müssen, und ich will euch sagen, dass wir sicher – wenn wir hier erklären, dass wir bereit sind, Menschen deutlich zu machen, dass vieles notwendig ist – auch sagen, dass wir ganz konkret bereit sind, zum Beispiel den Rentnerinnen zu erklären, warum die Rentenerhöhungen nicht so steigen werden, wie sie es sich gewünscht haben, und dass dies für die Sicherung der Zukunft von Kindern und Familien geschieht.

Aber ich glaube, dass wir an der einen oder anderen Stelle auch noch nachzubessern haben. Ich will euch ein Beispiel dafür nennen: Wenn wir in Kürze denjenigen, die als Jugendliche keine Arbeitslosenhilfe nach dem Studium oder der Ausbildung bekommen werden – das werden Zehntausende sein – dies erläutern müssen, dann müssen wir auch sagen, wo wir an anderen Stellen die berühmten Besitzstände angehen. Und da fehlt noch etwas, zum Beispiel unser Bekenntnis dazu, dass wir eine Vermögenssteueranhebung wollen, dass wir eine Erbschaftssteuer wollen.

(Beifall)

Wir brauchen zwischen den Ministerpräsidenten der SPD-geführten Länder auch eine Besetzung dieses Themas. Bilden wir uns doch nicht ein, dass wir den sogenannten kleinen Leuten erklären können, was tatsächlich geschehen muss und wo auch sie sich einschränken müssen, wenn wir das den anderen, die mehr haben, nicht nachvollziehbar und deutlich sagen und uns dazu auch öffentlich trauen.

(Vereinzelter Beifall)

Die Berliner SPD ist mit ihrem Wahlprogramm auch eine kommunalpolitische Verpflichtung eingegangen. Ich will dies hier deutlich sagen, weil viele von euch in den Bezirken, in den Bezirksämtern, in den Fraktionen Verantwortung für die konkrete Umsetzung dieses Wahlprogramms haben. Wir werden uns nicht mit der Versicherung, dass wir etwas für die Jugend tun können, oder mit anderen Versicherungen durch eine konkrete Wahlkampfauseinandersetzung an den Ständen hindurchfinden. Wir müssen uns das Wahlprogramm auf die Umsetzung der Programme, die Gabi Schöttler hier geschildert hat, sehr genau anschauen. Wir müssen vor Ort zeigen, dass wir in jedem Bezirk und überall 80.000 Menschen, die arm sind, eine neue Chance bieten, dass wir durch den Einsatz von Sozialhilfemitteln für Arbeit kommunale Beschäftigung schaffen, dass wir jeden, der einen ersten Antrag auf Sozialhilfe schickt, nicht nur finanziell sichern, sondern ihm auch eine Chance bieten. Ich kann euch sagen, dass das geht. Es ist zwar nicht gut, dass ein Sozialamt der größte Arbeitgeber im Bezirk ist. Aber wir bekennen uns zu unserer Verantwortung dafür, dass wir Menschen Qualifikationen und eine Chance auf diese Weise bieten müssen.

(Vereinzelter Beifall)

Ich komme zum Schluss und will dazu noch ein Wort aus einem dieser Papiere aufgreifen: Wir müssen den Menschen, die leistungsfähig sind, ein Sprungbrett bieten. So, wie es dasteht, sicher. Aber wir müssen auch denen, die da nicht hinaufklettern können, eine Chance geben, das Klettern zu lernen, und wir müssen denjenigen, die es nicht lernen, eine gleichberechtigte Teilhabe an dieser Gesellschaft ermöglichen. Das ist Aufgabe auch unseres Wahlprogramms.

(Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Thomas Härtel, Steglitz hat jetzt das Wort, dann kommt Anna Damrat, Wilmersdorf!

(Bundeskanzler und Bundesparteivorsitzender Gerhard Schröder betritt den Saal – Starker, anhaltender Beifall – Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen)

Wir begrüßen den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, unseren Parteivorsitzenden Gerhard Schröder! Lieber Gerhard! Wir sind mitten in der Generaldebatte zu unserem Wahlprogramm, und wir freuen uns, wenn du an dieser Debatte noch vor deiner Rede ein bisschen teilnimmst. Daher rufe ich jetzt den nächsten Redner auf. Das Wort hat Thomas Härtel, Steglitz, danach Anna Damrat!

Thomas Härtel (Steglitz): Lieber Gerhard! Liebe Genossinnen und Genossen! Es ist völlig richtig: Soviel Aufmerksamkeit habe ich selten, wenn ich auf dem Parteitag spreche. Das ist eine sehr günstige Situation. Herzlich willkommen, Gerhard, und schönen Dank, dass ich die Gelegenheit habe, jetzt die Generalaussprache fortzusetzen!

Nach der gewonnenen Bundestagswahl war für viele kaum vorstellbar, dass uns nach der Euphorie und der hohen Erwartungshaltung an die neue Regierung so schnell wieder der Wind ins Gesicht blasen würde. Handwerkliche Fehler in der ministeriellen und parlamentarischen Umsetzung unserer Vorhaben für die ersten 100 Tage, der Rücktritt von Oskar Lafontaine, der Krieg im Kosovo haben nicht nur unsere Wählerinnen und Wähler, sondern auch die Mitglieder unserer Partei zutiefst verunsichert. Wir sind in einem Umfragetief, und das zeigt sich besonders auch in Berlin, wo wir selbst als Berliner SPD unseren Beitrag dazu geleistet haben, dass der mit der Bundestagswahl gewonnene Schwung abgebremst wurde.

Wir haben uns nach einer innerparteilichen Urwahl lange selbst mit uns beschäftigt. Wir haben der nackten Flucht aus der großen Koalition das Wort geredet und vergessen – das wurde heute schon deutlich -, welche Leistungen wir in dieser großen Koalition gebracht und für die Menschen in dieser Stadt auch umgesetzt haben. Wir haben nach der innerparteilichen Urwahl eine Quadriga ins Leben gerufen, die als Vierradantrieb den stotternden Zweiradantrieb der CDU abbremsen und endlich zur Autoabfallverwertung bringen sollte.

Heute sind wir gewissermaßen an einer Tankstelle angelangt und müssen Super, natürlich bleifrei, tanken, um Schwung zu holen. Wir müssen die holprigen Straßen und Wege verlassen und einen Highway zum 10. Oktober befahren, und zwar wir alle mit und hinter unserem Spitzenkandidaten Walter Momper.

(Vereinzelter Beifall)

Wir haben ein Wahlkampfkonzept vorgelegt, und ich will einige Punkte daraus vortragen: Wir müssen im kommenden Wahlkampf unsere Stammwähler in Ost und West voll mobilisieren. Sie sind die größte Gruppe unserer Wählerinnen und Wähler. Wir müssen die ehemaligen Anhängerinnen und Anhänger zurückgewinnen, die sich 1995 nicht an der Wahl beteiligt haben. Wir müssen die immer größer werdende Gruppe der Wechselwähler erreichen, die größtenteils bei der CDU zu finden sind. Wir müssen die PDS-Wählerinnen und -wähler, wie bei der Bundestagswahl, vor die Entscheidung stellen. Und wir müssen die Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen, die uns bei der letzten Bundestagswahl mit ihren Erwartungen auf mehr Innovation und Gerechtigkeit gewählt haben. Das ist eine große Herausforderung, und dieses Wahlprogramm, das wir euch vorgelegt haben, zeigt auch Konzepte für veränderte Realitäten, die es in dieser Stadt wahrzunehmen gilt und wofür wir unseren Menschen in der Stadt konkrete Antworten bieten müssen.

Wir wollen die Politik der neuen Mitte fortsetzen. Mit dieser Botschaft haben wir bei der Bundestagswahl viele Wählerinnen und Wähler, vor allem aus dem Umfeld der Wechselwähler, gewinnen können. Wir müssen die Menschen erreichen, die mit dem raschen Wandel der Gesellschaft und Wirtschaft leben und zurechtkommen müssen. Die Wählerinnen und Wähler, die in ihrem täglichen Leben Initiative und Anpassungsfähigkeit im Hinblick auf die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen beweisen müssen, erwarten das Gleiche von ihren Regierungen und ihren Politikern. Wir müssen die Chance ergreifen, die dieser wirtschaftliche Umbruch mit sich bringt. Der Wandel vernichtet zwar Arbeitsplätze, aber er schafft auch neue. Dafür haben wir Beispiele im Wahlprogramm genannt, wie durch eine Förderung des Mittelstands, die Unterstützung von Existenzgründerinnen und -gründern und eine bessere und engere Verzahnung von Hochschule und Wirtschaft dies erreicht werden kann.

Eine abschließende Bemerkung – und ich muss jetzt kürzen – sei hier erlaubt: Die Bundesregierung hat in den letzten Tagen, lieber Gerhard Schröder, gute Arbeit geleistet.

(Beifall)

Wir haben festgestellt, dass auch die öffentliche Kommentierung wieder auf Seiten der SPD steht.

(Heiterkeit)

Da gibt es überhaupt nichts zu lachen. Wer die Kommentare in der „Berliner Zeitung“, in der „Süddeutschen“ und an vielen anderen Stellen liest, der stellt fest, dass wir angesichts

Präs. Sigrun Klemmer: Thomas, hältst du dich bitte an die mit fünf Minuten beschlossene Redezeit?

Thomas Härtel (Steglitz): der Entscheidungen zur Steuerreform und zur Sozialversicherung wieder Unterstützung erhalten. Hier sollten wir selbstbewusst in die Öffentlichkeit gehen und für das kämpfen, was auf den Weg gebracht worden ist. Die „Berliner Zeitung“ hat einen ihrer Kommentare mit der Überschrift „Die neue Lust am Regieren“ versehen. Diese neue Lust wollen wir nicht nur in Bonn sehen, sondern auch in Berlin. Die neue Lust am Regieren – das ist unser Auftrag für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 10. Oktober. Vielen Dank!

(Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Ich muss euch noch einmal herzlich und eindringlich darum bitten, dass ihr euch an die vorgegebenen fünf Minuten Redezeit haltet, die wir hier beschlossen haben. Es sind noch eine ganze Reihe auf der Redeliste. Anna Damrat ist die nächste, ihr folgt Andreas Köhler, Lichtenberg!

Anna Damrat (Wilmersdorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Berlin – so steht es auch im Programm – ist eine Stadt der Frauen und der Gleichberechtigung. Warum dies? – In Berlin leben mehr Frauen als sonst in vielen Städten, mehr als 53 Prozent der Berliner sind Berlinerinnen. Das ist sehr viel, und damit sind sie nicht irgendeine kleine Gruppe, die man zu bedienen hätte, sondern eine große Mehrheit in der Stadt. Die Wählerinnen zeigen dies auch. Sie sind, selbst bei den Europa-Wahlen, der SPD treuer geblieben als die Männer.

(Vereinzelter Beifall)

Insofern ist es nicht erstaunlich, dass Gleichstellungspolitik und Frauenpolitik als besonderes Kompetenzfeld der SPD von den Wählerinnen und Wählern gehalten wird – ganz anders als bei der CDU. Dies ist ein Pfund, mit dem wir zu wuchern haben. Es ist nicht ein Gedöns, sondern es geht um eine Gleichberechtigungspolitik, die wir mit großem Erfolg durchsetzen, auch immer wieder gegen den Widerstand der CDU.

Es gibt dieses Extrakapitel. Weil es aber eine ressortübergreifende Politik ist und weil es in Europa jetzt insgesamt üblich ist, vom „gender mainstreaming“ zu reden, heißt es, dass in allen Kapiteln dieses Wahlprogramms ein Punkt zu finden ist, wo es darum geht, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern auch real herzustellen – und nicht nur im Programm – und das wahrzumachen, was wir in unserer Verfassung jetzt noch deutlicher haben als je zuvor – was wir übrigens sogar mit dieser großen Koalition hingekriegt haben. Da wird deutlich, dass sich die SPD vehement für Gleichberechtigungspolitik einsetzt. Das gilt für Wirtschaft und Technologie und Innovation, das heißt, gleiche Chancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt und ein anderes Verhältnis von Frauen und Männern, nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch im privaten Leben. Beide müssen sich sowohl am Arbeitsleben als auch am Familienleben beteiligen. Dazu bedarf es allerdings noch grundsätzlicher Änderungen, auch in der Haltung vieler Männer, und hieran wollen wir weiterarbeiten.

(Vereinzelter Beifall)

In Bildung und Wissenschaft dürfen nicht nur die Mehrzahl der dort Tätigen Studentinnen sein, sondern sie müssen auch in einem ganz anderen Maß als bisher unter den Professoraten vertreten sein. Es ist daher eine besondere Freude, euch mitteilen zu können, dass es uns am letzten Donnerstag geglückt ist, die Stellung der Frauenbeauftragten an den Universitäten durch eine Veränderung des Berliner Hochschulgesetzes entscheidend zu stärken.

(Vereinzelter Beifall)

Es geht auch um die Sachkompetenz von Frauen im Bau- und Verkehrswesen. Niemand benutzt die öffentlichen Verkehrsmittel in einem so hohen Umfang wie Frauen. Deshalb müssen sie auch an der Planung des Bau- und Verkehrswesens heftig beteiligt sein. Weiterhin wollen wir auch den Beirat für frauenspezifische Belange bei der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen stützen. Das ist notwendig, damit Wohnungen auch menschengerecht geplant werden. Wir wissen aus Erfahrung, dass Frauen dies noch viel häufiger als Männer beachten.

Nun könnt ihr sagen: So etwas steht ja zum Teil bei der CDU auch immer einmal wieder drin. Das stimmt auch. Aber wenn ihr allein die ärmlichen Zahlen seht, mit denen CDU-Repräsentantinnen überhaupt vertreten sind – das zeigt doch schon, dass sie diesen Bereich überhaupt nicht ernst nehmen und nicht umsetzen, und wir bedürfen der geballten Frauen-Power der SPD-Frauen zum einen, aber auch der geballten Gleichstellungskraft der SPD-Männer, um das hier auch durchzusetzen. Deshalb halbe-halbe – in den Regierungsämtern wie überall im Leben. Dies gilt auch für die SPD. Walter Momper hat es schon gezeigt und sogar, entsprechend der Bevölkerungszahl, mehr Frauen in der Regierung gehabt als Männer. Wir haben dies auch weiter durchgeführt durch die große Koalition mit unseren SPD-Senatorinnen. Deshalb hat Gabi Schöttler recht, wenn sie sagt, wir sollen Gutes tun und davon reden. Dies gilt in jedem Fall auch für die Frauenpolitik, und deshalb bitte ich euch auch in diesem Fall einmal wieder um eure Unterstützung. Danke schön!

(Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Der nächste ist Andreas Köhler aus Lichtenberg, danach Annette Fugmann-Heesing!

Andreas Köhler (Lichtenberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Walter Momper hat es vorhin gesagt: Die jungen Kreisvorsitzenden betreten jetzt die Kampfstatt. Das wollen wir tun, deswegen stehe ich hier,

(Vereinzelter Beifall)

obwohl wir nicht erst heute antreten, sondern schon die Wochen davor gekämpft haben.

(Beifall)

Im Entwurf des Wahlprogramms steht, dass das Ziel sozialdemokratischer Stadtentwicklungspolitik die Verhinderung von Abwanderung von Verdrängung bedeute. Das ist leicht gesagt, aber durch die Vielzahl der Ansatzpunkte, die es dabei gibt, schwer gemacht.

Punkt 1, den ich nennen will: Wir haben im Entwurf des Wahlprogramms stehen, dass die Entwicklungsgebiete Berlins überdacht werden. Überdenken der Vielzahl der Entwicklungsgebiete Berlins darf aber nicht bedeuten, dass sich die Dynamik dieser Entwicklungsgebiete abbremst, denn nur auf private Investoren zu warten und als öffentliche Hand nicht zu investieren bedeutet die Zukunft unserer Stadt zu gefährden. Als Beispiel die Rummelsburger Bucht in Lichtenberg: Das ist ein Entwicklungsgebiet, ein völlig neues Wohngebiet, das auf einer Industriebrache entstanden ist und jetzt voll vermietet ist. Es braucht dringend Infrastruktur. Die Entscheidungen im Abgeordnetenhaus sahen in letzter Zeit so aus, dass aus monetären Gründen dort Streichungen vorgenommen wurden. Ich warne aber davor, diese Streichungen so auszuführen, dass diese Entwicklungsgebiete selber abgewürgt werden und keine Entwicklung mehr stattfindet. Dann haben wir solitäre Wohnhäuser an den schönsten Lagen der Stadt, aber die Abwanderung kann nicht verhindert werden. Jetzt komme ich zum Punkt: Diese Häuser sind mit Lichtenbergern bezogen, die aus ihren alten Wohnquartieren ausziehen wollten und nicht an den Stadtrand gezogen sind, sondern in der Innenstadt geblieben sind, eben weil es das Stadtentwicklungsgebiet Rummelsburger Bucht gibt.

Das nächste ist die Sanierung der Plattenbausiedlungen. Sie ist voll am Laufen, und die Mieter bleiben auch nur in sanierten Wohnungen. Das heißt auch dort Weiterinvestieren in Wohnumfeldverbesserungsmaßnahmen. Nur das hält letztendlich die Mieter in den Plattenbausiedlungen, nur das verhindert die Verdrängung.

Das Quartiersmanagement, das jetzt eingeführt wurde, ist eine Reparatur von unhaltbaren Zuständen. Soziale Stadtentwicklung muss aber bedeuten, dass unhaltbare Zustände vermieden werden.

(Vereinzelter Beifall)

Der nächste Punkt ist die Altbausanierung. Wenn ihr euch in Prenzlauer Berg umschaut oder auch nur in den Sanierungsgebieten Lichtenbergs, werdet ihr feststellen, dass soviel gebaut wird wie nie zuvor – in Prenzlauer Berg ist ungefähr jedes dritte Haus eine Baustelle. Das heißt aber auch, dass dort der Druck auf die Mieten und die Mieter besonders hoch ist. Unsere Überschrift im Wahlprogramm heißt „Berlin bleibt doch Berlin“. Aber das kann nur heißen: mit Berlinern. Der eine oder andere hat es vielleicht in letzter Zeit in der Zeitung gelesen, dass Senator Klemann plant, die Mietobergrenzen in den Sanierungsgebieten aufzuheben oder zumindest aufzuweichen. Ich denke, das ist ein Beweis dafür, dass die Innenstadtkonferenzen des Regierenden Bürgermeisters Diepgen nur ein hohles Wortgeklingel sind. Auf der einen Seite redet Diepgen und hält Innenstadtkonferenzen ab, und zur gleichen Zeit schafft sein Bausenator die Voraussetzungen für eben diese Verdrängung. Das ist das Problem der CDU: Reden, aber nicht handeln.

Liebe Genossinnen und Genossen! Wir haben Probleme. Aber hüten wir uns davor, pauschale Lösungsansätze zu bieten. Wir brauchen differenzierte Antworten für diese komplexen Ansätze. Das ist für uns alle sicherlich der schwerere Weg, das dickere Brett, aber es ist der richtige, der erfolgreiche Weg. Es reicht nicht, einfach gewählt zu werden, man muss auch handeln. Taten sind gefragt. Danke!

(Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Annette Fugmann-Heesing, die Finanzsenatorin, ist die nächste, danach Christian Gaebler, Wilmersdorf!

Annette Fugmann-Heesing: Genossinnen und Genossen! Als ihr mich 1996 nach Berlin geholt habt, um eine neue Finanzpolitik zu machen, habt ihr das getan im Bewusstsein, dass es nicht so weiterging. Es gab damals ein Wahlprogramm, das die Finanzierung außen vor ließ, und viele von euch haben gespürt, dass wir die Enden verschiedener Stränge der Politik nicht mehr zusammengebracht haben. Aber ich glaube, kaum jemand von euch hat damals gedacht und erwartet, wie viele Auseinandersetzungen wir in dieser Legislaturperiode zu bestehen haben würden, dass – wenn man eine klare politische Linie findet und um Vertrauen für diese Linie wirbt – man hinstehen muss, in jedem Konflikt, und die Konflikte aushalten und trotzdem Linie bewahren muss.

(Vereinzelter Beifall)

Immer, wenn es konkret wird, dann gehen die Beschwerden los, und das, was wir seit 1996 hier in Berlin erleben, das ist die Situation, die jetzt Hans Eichel auf Bundesebene erlebt. Auf dem Kurs der Bundesregierung, den Sozialstaat zu erhalten – und genau darum geht es in der Finanzpolitik – und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass dieser Staat auch in Zukunft für seine Bürger die notwendigen Leistungen noch erbringen kann und eine sichere finanzielle Grundlage zu schaffen, um den Familien zu helfen und den Wirtschaftsaufschwung zu organisieren, wird es auch für die Bundesregierung noch rauhes Fahrwasser geben.

Lieber Gerhard, du hast es gestern in Cottbus selbst erlebt, wie rauh das Fahrwasser bisweilen ist. Wir kennen das aus vielen Versammlungen hier in Berlin, für uns ist das nichts Neues. Ich sage dir nur: Gott sei Dank, dass im Bund die Probleme nicht mehr ausgesessen werden, sondern dass eingesteuert wird.

(Starker Beifall)

Ich wünsche dir dabei gute Nerven, das Stehvermögen, das man in einer solchen Situation braucht, und der Erfolg wird sich dann auch einstellen.

Wer jetzt, hier in Berlin, auf Umfragen starrt und unsicher wird, der hat schon verloren. Wir müssen hier wie auf Bundesebene für unseren Kurs einstehen und ihn halten. Das Wahlprogramm zeigt das.

Ich habe mich in den dreieinhalb Jahren hier in Berlin manchmal gefragt: Wo ist eigentlich der Machtwille in dieser Partei? Ich habe in Hessen und Nordrhein-Westfalen eine Partei erlebt, die einen viel ausgeprägteren Machtwillen hat, als ich das hier in Berlin erlebe. Ich habe mich über manches Gespräch gewundert, wo ich von Genossinnen und Genossen gehört habe, dass die Nische wichtiger sei und man doch vielleicht lieber in der Opposition als in der Regierung sei. Liebe Leute! Wenn wir Politik gestalten wollen, dann kann man das nur in einer Regierung tun, und dann muss man mit Machtwillen in einen Wahlkampf gehen, und das werden wir gemeinsam schaffen!

(Starker Beifall)

Ich freue mich über die Beiträge gerade auch der jungen Kreisvorsitzenden, die wir gehört haben, weil sie zeigen, dass nach den vielen, auch innerparteilichen Diskussionen, die wir gehabt haben, wir auf einer gemeinsamen Linie sind. Mit dieser gemeinsamen Linie werden wir auch gemeinsam erfolgreich sein. Nur das ist die Haltung, mit der man Wahlen gewinnen kann.

Wir haben Berlin auf Zukunftskurs gebracht, und wir haben alle zu spüren bekommen, dass es Schwarzbrot war, was wir den Menschen in der Stadt zu bieten haben. Aber, liebe Freunde, die Welt ist nicht so, dass wir Champagner versprechen können. Was wir wollen, ist, den Menschen, die in dieser Stadt leben, die Sicherheit zu geben, die sie in der Zeit privater Umbrüche brauchen. Und die können wir nur versprechen, wenn wir auch gleichzeitig den Mut zum Wandel haben und in diesem Kurs verlässlich sind.

Ich freue mich, dass wir trotz des vielen Gegenwinds, den wir in den letzten Wochen erlebt haben,

Präs. Sigrun Klemmer: Annette, kommst du zum Schluss, bitte?

Annette Fugmann-Heesing: so viele bereit sind, hier und heute und morgen mitzumachen. Ihr wisst, dass die Mühen nicht ohne Lohn sind. Wir haben bereits erhebliche Erfolge, und sie sind ausführlich dargestellt worden, erzielt. Wir werden weitere Erfolge haben, und wir werden als stärkste Kraft in der neuen Regierung unsere Politik in Berlin gestalten.

(Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Christian Gaebler, Wilmersdorf, ist der nächste, ihm folgt Dilek Kolat, Schöneberg!

Christian Gaebler (Wilmersdorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Die jungen Kreisvorsitzenden sind hier schon angesprochen worden. Tatsächlich betreten wir den Kampfplatz nicht erst jetzt, lieber Walter, wir haben schon länger mitgekämpft. Wir haben auch um gemeinsame Positionen gerungen und dann auch ein Modernisierungsprogramm entwickelt und in Weiterentwicklung zum jetzigen Wahlprogramm gemeinsame Positionen gefunden, mit denen wir Politik für die ganze Stadt machen, wenn wir gemeinsam bis zum 10. Oktober kämpfen für eine Mehrheit in dieser Stadt. Und das ist gut so.

(Vereinzelter Beifall)

Ich will an dieser Stelle, weil die Jungen angesprochen sind, einen Punkt zu Gerhard Schröder sagen: Im Bereich der Rentenpolitik ist in den letzten Jahrzehnten so viel gelogen worden, dass eigentlich keine Balken mehr da sind, die sich biegen könnten. Aber das, was die Bundesregierung jetzt macht, ist das einzig Richtige und Vernünftige, um Sicherheit – für alle Generationen übrigens – zu schaffen. Dafür bin ich dir dankbar, und das müssen wir jetzt auch offensiv im Wahlkampf vertreten.

(Beifall)

Ich möchte hier auf die Verkehrspolitik eingehen. Sie ist traditionell ein emotional stark besetzter Politikbereich – dazu kann sicherlich auch Gerhard einiges beitragen. Hier muss man manchmal auch individuelle Befindlichkeiten zurückstellen. Man muss Politik für die Gesamtheit der Gesellschaft und in Berlin für die Gesamtheit der Stadt machen, denn diese Befindlichkeiten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass zum Beispiel hier in Berlin Lärm und Abgase Familien aus der Stadt treiben und ganze Stadtteile entwerten. Wir brauchen eine intelligente, stadt- und umweltverträgliche Mobilität für die Lebensfähigkeit der Stadt, sonst können wir uns auch alle anderen Programme zur sozialen Stadtentwicklung und Ähnlichem sparen.

(Beifall)

Die CDU und die Senatsverkehrsverwaltung setzen unbeirrt auf Konzepte der 60er Jahre – mehr Auto, mehr Straße, ÖPNV als Restgröße, Fußgänger und Radfahrer als Störfaktor. Senator Klemann und Staatssekretär Schmitt präsentieren Berlin international als Inkompetenzzentrum für Verkehr. Die schnelle Erreichbarkeit der Golfplätze im Umland scheint wichtiger zu sein als die Lebensqualität in der Stadt. Deswegen sage ich: Dieser Senator geht zu Recht am 10. Oktober in Ruhestand, und wir wollen dann auch einen anderen sozialdemokratischen Senator oder eine andere sozialdemokratische Senatorin sehen, die dann wirklich Politik für die Stadt macht und nicht an ihr vorbei.

(Beifall)

In der Verkehrspolitik gibt es mehr Hängepartien als in allen anderen Politikbereichen Berlins. Die SPD treibt voran, die CDU blockiert und verschleppt. ÖPNV-Ausbau und Bus- und Straßenbahnenbeschleunigung sind da nur ein Beispiel. Der Stadtentwicklungsplan Verkehr, der seit vier Jahren auf dem Tisch liegt und nicht vorankommt – Peter Strieder treibt ihn voran, Senator Klemann blockiert die Verabschiedung -, ist ein weiteres Beispiel dafür. Es muss endlich Schluss sein mit der großen Koalition der Besitzstandswahrer. Wir müssen tatsächlich eine Politik für die Menschen in der Stadt machen, auch für die Mehrheit.

(Vereinzelter Beifall)

Und wenn 100.000 Menschen in Berlin unter dem Lärm der Flughäfen in Tegel und Tempelhof leiden, die Hälfte der Haushalte nicht über ein eigenes Auto verfügt und 60 Prozent der Berlinerinnen und Berliner mit der Verkehrspolitik unzufrieden sind, dann ist es Zeit, hier endlich zu Veränderungen zu kommen, zu einer modernen Verkehrspolitik, die diesen Namen auch tatsächlich verdient.

Modern nach Definition der CDU ist, den Transrapid Berlin-Hamburg ohne Rücksicht auf Fakten und Kosten voranzutreiben, neue Straßenbahnen minutenlang an Ampeln stehen zu lassen, durch neuen Straßenbau noch mehr Autos in die Innenstadt zu ziehen und die ÖPNV-Fahrpreise immer weiter zu erhöhen und so die Attraktivität zu mindern. Das ist Verkehrspolitik nach Rezepten von Diepgen und Landowsky. Das kann aber nicht unsere Verkehrspolitik sein. Wir brauchen Klarheit und Wahrheit auch in der Verkehrspolitik. „Modern“ heißt nämlich nachhaltig und zukunftsfähig und nicht allen Leuten nach dem Munde reden.

Deshalb haben wir in unserem Programm Vieles dargelegt, was ich jetzt nicht wiederholen will. Es geht wirklich darum, Lärm und Abgase zu senken, Vorrang für den ÖPNV und den stadtverträglichen Wirtschafts- und Dienstleistungsverkehr zu schaffen, um den Ausbau der Bahn, Kundenorientierung, Sicherheit und Sauberkeit im ÖPNV, darum, die Verkehrsbetriebe wettbewerbsfähig zu machen in Zusammenarbeit mit den Beschäftigten und den Kunden. Die Wählerinnen und Wähler müssen sich entscheiden. Bei der Politik geht es nicht darum, am beliebtesten zu sein. Sonst müsste Harald Juhnke Regierender Bürgermeister werden.

Eberhard Diepgen ist nicht der Mann im Mond, sondern Regierender Bürgermeister und Chef des Senats, und als solcher ist er nicht regierungsfähig. Das hat er in den letzten Jahren bewiesen. Die SPD hat ein klares Programm, und wir sind nicht Mehrheitsbeschaffer für diejenigen, die über unseriöse Versprechungen Wählerfang betreiben. Wir wollen deshalb eine neue Koalition gegen die Rückwärtsgewandtheit, die die Stadt zukunftsfähig gestaltet, und dafür werden wir gemeinsam kämpfen.

(Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Dilek Kolat, Schöneberg, dann Wolfgang Schimmang, Neukölln!

Dilek Kolat (Schöneberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Lieber Gerhard! Auch ich begrüße dich recht herzlich hier in Berlin. Berlin ist eine ganz besondere Stadt, unsere Hauptstadt. Aber ganz wichtig ist, dass Berlin eine tolerante und weltoffene Stadt ist.

(Beifall)

Diesem Anspruch gerecht zu werden ist nicht einfach. Das wissen wir alle. Was macht eine Stadt überhaupt weltoffen, woran kann man das sehen? – An erster Stelle wird geschaut, wie diese Stadt mit Menschen umgeht, die schon jahrzehntelang dort leben, und wie man mit Menschen umgeht, die in dieser Stadt Zuflucht gefunden haben und als Flüchtlinge hierhergekommen sind.

Als Zweites ist es ganz wichtig zu schauen, ob es Chancen und Rechtsgleichheit in einer solchen Stadt gibt, denn ohne Chancen und Rechtsgleichheit kann man kein friedliches Miteinander schaffen, die Schwierigkeiten sehen wir an vielen Ecken und Enden unserer Stadt.

Als dritter wesentlicher Punkt ist es ganz, ganz wichtig – und das ist auch Alltag in unserer Stadt -, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bekämpft werden.

(Beifall)

Hier möchte ich gerne einen Blick aus Berlin heraus auf Brandenburg werfen. Wir wissen alle, dass wir in Brandenburg Schwierigkeiten mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit haben. Das ist nicht nur ein gesellschaftliches Problem. Es ist längst auch ein wirtschaftliches Problem geworden, denn Brandenburg hat Angst um internationale Investoren, die sich bereits angesiedelt haben oder potentiell vorhanden sind. Die gemeinsame Aufgabe von Berlin und Brandenburg – das wurde heute schon mehrfach genannt – ist nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene zu sehen, sondern auch bei der Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit müssen wir in Zukunft viel stärker zusammenarbeiten.

(Beifall)

Wenn wir auf das zurückblicken, was die CDU mit ihren Senatoren hier in Berlin für das friedliche Miteinander gemacht hat, so hat H. G. Lorenz schon gesagt, dass wir in den vergangenen Jahren mit Schönbohm, aber auch mit Werthebach eine Ausländerpolitik gehabt haben, die auf Ausgrenzung und Diskriminierung ausgerichtet war. Es hat mir sehr, sehr weh getan, als die ersten Kosovo-Flüchtlinge hier ankamen und wir Schlagzeilen darüber gelesen haben, wie Werthebach sich darüber aufgeregt hat, diese Menschen wären nur hier, um Sozialhilfe zu bekommen. Dieser Mensch hat nicht verstanden, was im Kosovo passiert ist.

(Beifall)

Als Ergebnis haben wir, dass das Vertrauen der Migranten in Berlin völlig geschwächt ist und kaputt gemacht wurde. Wir, die Sozialdemokraten in Berlin, müssen dieses Vertrauen auf jeden Fall zurückgewinnen.

Wir haben auch schon einiges gemacht, und da möchte ich kurz auf die Erfolge kommen, die wir in Berlin erreicht haben: Über das Quartiersmanagement haben wir die Mütterkurse in den Bezirken und in den Grundschulen eingeführt. Aus Schöneberg kann ich berichten: Es ist ein Riesenerfolg. Wir haben damit die Mütter nichtdeutscher Herkunft und die Eltern in die Schulen hineinbekommen, und das ist ein großer Erfolg.

(Beifall)

Der zweite Punkt: Immer wird darüber gesprochen, dass die Kinder, die über Jahrzehnte hier leben, die dritte oder vierte Generation, noch immer kein Deutsch sprechen. Auch Diepgen redet sehr oft und gerne darüber. Wir haben Handlungsfähigkeit mit der Verdopplung der Mittel für die Förderung in den Schulen gezeigt, und wir haben in Berlin jetzt die Situation, dass jedes Kind, das Bedarf nach Förderung in der deutschen Sprache hat, sie bekommt.

Eins unterscheidet uns an dieser Stelle von der CDU: Wir wollen die deutsche Sprache fördern, aber wir wollen auch die interkulturelle Kompetenz, die Muttersprache dieser Kinder fördern. Das ist ein Schritt in Richtung Toleranz.

(Vereinzelter Beifall)

Auf die vielen Punkte, die wir im Wahlprogramm haben, möchte ich im einzelnen nicht eingehen. Ich denke, dass die AG Emigration ihre erste Aufgabe sehr gut erfüllt hat, um ihren Beitrag zu leisten. Aber es sind viele, viele Punkte enthalten wie Chancengleichheit bei Ausbildungsplätzen, Altenhilfe für ältere Emigrantinnen und Emigranten, Einbürgerungsbeschleunigung, und auch die Ausländerbehörde im Bezug auf Verwaltungsreform und Modernisierung muss angepackt werden.

Ich denke, dass wir Sozialdemokraten in der Zukunft alles dafür geben müssen, dass Berlin dem Anspruch, eine weltoffene Stadt zu sein, gerecht wird. Wir müssen alles dafür tun! Danke!

(Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Wolfgang, wartest du einen Moment? Wir haben einen Antrag zur Geschäftsordnung. Nils Diederich aus Treptow hat das Wort!

Nils Diederich (Treptow): Genossinnen! Genossen! Diese Partei – gerade die Berliner Partei – ist eine diskussionsfreudige Partei. Ich verfolge die Debatte auch mit hoher Aufmerksamkeit und finde, dass gute Beiträge gekommen sind. Gerade die letzten drei Beiträge haben mir besonders gut gefallen. Aber wir haben heute die Rede unseres Spitzenkandidaten gehört. Wir haben andere Reden gehört, die alle großartig waren, und eigentlich dient das ja alles dazu, uns auf ein Ziel einzustimmen, für das wir handeln müssen. Deswegen möchte ich den Antrag auf Schluss der Debatte stellen. Wir haben noch unser Programm zu verabschieden, und wir alle wollen den Bundeskanzler hören. Ich muss sagen: Ich fühle mich wie ein Pferd, das am Loslaufen gehindert wird. Ich möchte raus und agieren. Ich bitte also alle, die jetzt noch dran sind, um Verständnis, aber ich schlage den Schluss der Debatte vor.

(Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Genossinnen und Genossen, ihr habt den Antrag von Nils Diederich gehört. Spricht jemand dagegen?

(Zurufe: Ja!)

Dann müssen wir darüber abstimmen. Wer stimmt dem Antrag von Nils Diederich auf Schluss der Debatte zu? – Danke schön! Die Gegenstimmen! – Enthaltungen? – Das erste war die deutliche Mehrheit. Dann ist so beschlossen. Die Generaldebatte ist beendet. Wir kommen dann zu Abschnitt d) des sechsten Tagesordnungspunkts, zur Antragsberatung. Ich gebe das Wort an Hermann Borghorst!

Hermann Borghorst: Liebe Genossinnen und Genossen! Ich habe schon in meinem Bericht aus der Antragskommission darauf hingewiesen, dass wir in der Sitzung der Antragskommission beschlossen haben, gemeinsam alle Änderungsanträge in eine Konsensliste zu geben. Wir haben heute morgen noch einmal getagt und die zwischenzeitlich eingegangenen und uns auch heute morgen noch vorgelegten Änderungsanträge beraten. Auch dort sind wir uns einig geworden, dass wir all diese Änderungsanträge und auch redaktionellen Änderungen in die Konsensliste geben.

Deswegen liegt euch jetzt einmal das Wahlprogramm in diesen beiden Paketen vor, zum anderen das Paket der Änderungsanträge, die zugeschickt wurden, und vier Seiten auf zwei Blättern auf dem rosa Papier. Die Empfehlung der Antragskommission lautet, alle Änderungsanträge in die Konsensliste zu geben. Damit könnten wir dann, vom Verfahren her, über die Konsensliste abstimmen und dann gleich eine Schlussabstimmung über das Landeswahlprogramm vornehmen.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Das Wort zur Antragsdebatte hat Jürgen Müller, Tempelhof! Anschließend stimmen wir dann über den Vorschlag von Hermann ab.

Jürgen Müller (Tempelhof): Liebe Genossinnen und Genossen! Die Antragskommission hat zwar Konsens in allen Punkten empfohlen. Ich stelle hier aber doch den Antrag, aus Seite 37 einen Absatz zu streichen. Es geht um die Wohnungspolitik und ist der zweite Absatz, der von Zeile 5 bis 15 geht. Es kann doch nicht Aussage der Berliner SPD sein, zur Konsolidierung des Haushalts die Wohnungen der Berliner Mieter auch an Dritte zu verkaufen.

(Vereinzelter Beifall)

Wir haben einen Landesparteitagsbeschluss von 1997, wo gesagt wird, dass – wenn Verkäufe stattfinden – die Wohnungen nur an Berliner Mieter verkauft werden dürfen. Hier wird das Gegenteil gesagt, was also unserem Landesparteitagsbeschluss von 1997 widerspricht.

Ich möchte auch den Satz auf Seite 35 erwähnen, wo steht: „Wir streben ein gestreutes Wohneigentum vor allem ehemaliger Mieter an.“ Hier beantrage ich die Streichung der beiden Wörter „vor allem“. Es sollte also heißen, dass Wohnungsverkäufe nur an ehemalige Mieter erfolgen.

Das waren die beiden Streichungen, die ich beantrage. Ich möchte auch einen Satz dazu sagen, wie wir hier uns beruhigen. Wir haben ein paar Zeilen weiter, auf Seite 37, stehen: „Die Veräußerung von städtischen Wohnungen an Investoren ist für die SPD nur vertretbar, wenn diese den Mieterschutz nicht einschränken.“ Das sagen wir immer, wenn wir begründen wollen, warum wir die Wohnungen auch an Dritte verkaufen wollen. Darum geht es aber gar nicht. Der Mieterschutz ist diesen Mietern gesichert. Die behalten ihren Mieterschutz, das ist gar nicht die Frage. Was passiert aber hinterher? – Bei der hohen Fluktuation der Mieter in dieser Stadt ist nach wenigen Jahren die Wohnung frei und wird dem Mietermarkt entzogen. Damit werden unsere Kinder und Enkel keine bezahlbaren Wohnungen in der Stadt mehr bekommen. Darum geht es! Es ist also eine Beruhigung für uns selber, und ich finde es unmöglich, dass wir solche Absätze in unserem Wahlprogramm stehen haben. Ich beantrage also die Streichung des zweiten Absatzes auf Seite 37 und der beiden Wörter auf Seite 35.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Ich möchte allen interessierten Gästen, der Presse und natürlich auch euch Delegierten sagen, dass der Verlauf des Parteitags, wie wir ihn jetzt durchführen, mit unserem Parteivorsitzenden abgesprochen ist. Es muss niemand nervös werden. Es interessiert ihn durchaus, wie wir in Berlin debattieren. Er hat Zeit genug mitgebracht, um uns eine Weile anzuhören, und alle werden noch rechtzeitig in den Genuss seiner Rede kommen. Hermann, du hast das Wort für die Antragskommission!

Hermann Borghorst: Liebe Genossinnen und Genossen! Über den Verkauf von städtischen Wohnungen und Wohnungsbaugesellschaften ist in den letzten Wochen sehr ausführlich diskutiert worden. Wir haben das sowohl im Landesvorstand als auch im Landesausschuss gemacht. Das, was jetzt im Wahlprogramm drinsteht, ist das Ergebnis, das wir in den Sitzungen des Landesausschusses festgehalten haben. Auch wir in der Antragskommission haben uns noch einmal ausführlich damit befasst, und ich kann für die Antragskommission sagen: Wir empfehlen die Ablehnung der Anträge von Jürgen Müller.

Präs. Sigrun Klemmer: Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Dann lasse ich abstimmen über den Antrag von Jürgen Müller. Wer möchte diesem Änderungsantrag zustimmen? – Danke! Die Gegenstimmen! – Das ist die Mehrzahl.

Dann stimmen wir ab über die Konsensliste, die Hermann hier vorgestellt hat. Wer stimmt der vorgelegten Konsensliste zu? – Danke! Die Gegenstimmen! – Enthaltungen? – Bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen ist somit die Konsensliste angenommen.

Wir können dann zu Abschnitt e) des Tagesordnungspunkts, zur Beschlussfassung und zur Schlussabstimmung über das vorgelegte Wahlprogramm kommen. Wer dem Wahlprogramm in der vorgelegten Fassung zustimmen kann, den bitte ich um das Kartenzeichen! – Die Gegenstimmen! – Enthaltungen? – Damit ist das Wahlprogramm bei 17 Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen angenommen. Ich danke euch!

(Starker Beifall)

Wir kommen nun zu einem der Höhepunkte unseres Parteitags, zu

Punkt 7 der Tagesordnung

Rede des Parteivorsitzenden, Bundeskanzler Gerhard Schröder

Wir begrüßen noch einmal ganz herzlich den Bundeskanzler der Bundesrepublik, unseren Parteivorsitzenden Gerhard Schröder. Gerhard, du hast das Wort!

(Starker, anhaltender Beifall)

Bundeskanzler und Bundesparteivorsitzender Gerhard Schröder: Liebe Freundinnen, liebe Freunde! Liebe Genossinnen, liebe Genossen! Wir haben uns in der abgelaufenen Woche aus Bonn verabschiedet. Die deutsche Politik wird in Berlin stattfinden, und ich erinnere an einen großen Berliner Regierenden Bürgermeister, an Ernst Reuter, der in einer Krisensituation die Welt aufgefordert hat: „Schaut auf diese Stadt!“ Wir werden in dieser Stadt für Deutschland, aber auch für Berlin arbeiten.

(Sicherheitskräfte entfernen Demonstranten, die ein Spruchband zu entrollen versuchen – Unruhe)

– Nun streitet euch doch nicht! Also, da rufen einige immer, sie seien Jusos. Ich weiß das nicht. Ich war das auch einmal, und ihr seht, was daraus alles werden kann.

(Beifall)

Ich wünsche euch, liebe Freundinnen und Freunde von den Jusos, viel Glück auf eurem Weg. Aber lasst mich doch jetzt einfach ausreden. Deswegen bin ich doch gekommen. Und streitet euch nicht zuviel da hinten!

Ich fange noch einmal an, liebe Genossinnen und Genossen, und versuche es deutlich zu machen, dass und warum wir uns auf Berlin freuen. Wir wollen hier in dieser Stadt für unser Land arbeiten, aber damit natürlich zugleich auch für diese großartige Stadt. Berlin braucht, damit das gelingt, eine Entwicklung, die diese Stadt kulturell und wirtschaftlich nach vorne bringt. Wir glauben daran, dass Berlin eine der großen Metropolen der Welt werden wird – wirtschaftlich und auch kulturell. Um das zu erreichen, braucht Berlin eine Führung, die diesem Anspruch auch wirklich gerecht wird. Dieser Parteitag hat mit dem Wahlprogramm dafür eine gute Grundlage gelegt, und er hat sich eine Führung gegeben, die mit Walter Momper, Annette Fugmann-Heesing, Klaus Böger und Peter Strieder an der Spitze dafür sorgen wird, dass der Anspruch auf Modernität und soziale Gerechtigkeit in dieser Stadt und weit darüber hinaus realisiert werden wird.

(Starker Beifall)

Lieber Walter! Ich möchte dir ganz persönlich sagen: Die Bundesregierung, die nach Berlin gekommen ist, will mit dir persönlich zusammenarbeiten für diese Stadt, für Deutschland.

(Beifall)

Und ich möchte dir sagen: Wir setzen sehr viel Hoffnung auf dich persönlich, als Repräsentant einer gleichermaßen weltoffenen und toleranten Stadt, wie die junge türkische Kollegin hier gesagt hat. Dafür stehst du ganz persönlich, und erinnere mich gern an die Zeit unserer Zusammenarbeit, als du Regierender Bürgermeister in Berlin warst, und daran, wie du mir in meinem ersten Wahlkampf 1990 geholfen hast, als ich darum kämpfte, niedersächsischer Ministerpräsident zu werden. Übrigens: Damals waren die Umfragen für mich verdammt schlecht. Die Wahl habe ich gewonnen, auch und nicht zuletzt mit deiner Hilfe. Ich habe das nie vergessen. Man vergisst es nicht, wenn man plötzlich zu der Schlussveranstaltung im Wahlkampf eine – nachvollziehbare – Absage des eigentlichen Redners bekommt und dann der Regierende Bürgermeister Walter Momper einspringt, als wäre das selbstverständlich. Ich habe mich, lieber Walter, damals auf dich verlassen können. Du kannst dich auf mich verlassen.

(Starker Beifall)

Ich bin ganz sicher, liebe Genossinnen und Genossen, die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, dass durch harte Arbeit, die ihr leisten werdet, durch Hinausgehen in die Bezirke und Stadtteile, durch die direkte Diskussion mit den Menschen, durch die Vermittlung eures und unseres Programms die Situation besser wird.

(Jusos demonstrieren mit einem Plakat, auf dem steht: „Modernisierung muss man richtig machen – mit links“)

– Nun lasst sie doch ruhig mit dem Plakat, das ist doch in Ordnung! Ich will keinen Streit mit den Jusos!

(Beifall)

Ich verstehe gar nicht den Streit darüber! Das war schon immer meine Meinung!

(Beifall)

Ich will jetzt über das reden, was auf dem Plakat der Jusos steht, nämlich über Modernisierung. Wir machen diese Modernisierung im Wirtschaftlichen, im Sozialen, in der Bildung, in der Außenpolitik, in der Europa-Politik. Das zu erklären, das den Menschen zu vermitteln, dabei auch dann standfest zu bleiben, wenn es Druck von außen gibt – das, liebe Freundinnen und Freunde, ist die Aufgabe unserer Partei.

Was haben wir in den letzten acht Monaten auf den Weg gebracht? – Wenn ich mich so umhöre, gelegentlich auch Stimmen aus der eigenen Partei, von Genossen höre, die regieren, dann erweckt das den Eindruck, als hätten wir das, was wir den Menschen vor den Wahlen versprochen haben, nicht gehalten. Nichts ist richtig davon! Wir haben den Menschen, speziell den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, vor der Bundestagswahl gesagt: Wir gehen mit den Steuern, gerade bei euch, runter. Denn wir wollen die Leistungsträger in den Verwaltungen und Fabriken entlasten und nicht belasten.

(Beifall)

Und wir haben den Familien mit mehreren Kindern gesagt: Wir haben verstanden – längst bevor uns das Bundesverfassungsgericht Auflagen gemacht hat -, dass für die Familien mit Kindern in dieser Gesellschaft mehr getan werden muss.

Und, liebe Genossinnen und Genossen, wie sieht denn das erste Steuerreformgesetz aus, das wir gemacht haben, und wie sieht das aus, das wir darauf gesetzt haben? – Wir haben den Eingangssteuersatz um mehr als fünf Prozent abgesenkt. Wir haben das Existenzminimum erhöht, also den Beitrag, auf den man gar keine Steuern mehr zahlen muss. Wir haben innerhalb von acht Monaten das Kindergeld erst um 30 DM und dann um weitere 20 DM erhöht. Soviel haben die Familien in Deutschland in den letzten Jahren niemals von der Politik bekommen, liebe Genossinnen und Genossen!

(Starker Beifall)

Trotzdem gibt es gelegentlich Kleinmut, auch und gerade bei uns. Es gibt den Hinweis, den ich selbst von Spitzengenossinnen und –genossen aus der Fraktion höre, unser Programm hätte soziale Schieflage. Ich kann das nicht verstehen. Rausgehen und selbstbewusst vertreten!

Wir hatten versprochen, Menschen, die in der Arbeit und durch die Arbeit krank werden, die volle Lohnfortzahlung wieder zu gewährleisten. Wir haben das gemacht, liebe Genossinnen und Genossen!

(Starker Beifall)

Wir hatten versprochen, Menschen, die arbeiten, die für sich und ihre Familien Einkommen und Auskommen durch Arbeit erzielen wollen, nicht schutzlos der Kündigung preiszugeben. Wir hatten ihnen vielmehr gesagt, dass das in einem vernünftigen Rahmen wiederhergestellt wird. Wir haben das getan, und wir sollten sagen, dass wir das getan haben. Wer denn sonst, wenn nicht wir, soll das sagen? Die Opposition wird es nicht tun!

(Starker Beifall)

Ich kann das Gerede über eine angeblich nur angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, für die ich stehen soll, während andere für eine Nachfrageorientierung stehen, überhaupt nicht mehr hören. Was für ein Quatsch! All die Dinge, die ich genannt habe, sind wirksam auf der Nachfrageseite, geben den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Familien mit Kindern mehr ins Portemonnaie, damit sie etwas kaufen können, was dann im Land produziert werden kann. Das ist Nachfragepolitik, liebe Genossinnen und Genossen!

(Starker Beifall)

Aber es ist wahr – und ich stehe dazu: Moderne Wirtschaftspolitik heißt auch, auf die Angebotsseite zu schauen, und das heißt, sich auch zu beschäftigen mit den Kostenstrukturen, insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen – jener Unternehmen, die zwei Drittel und mehr aller Arbeitsplätze bereitstellen -, aber auch jener Unternehmen, die international konkurrenzfähig bleiben müssen, wenn sie weiter Arbeits- und Ausbildungsplätze vorhalten sollen, und das sollen sie.

Was haben wir gemacht? – Wir haben alte Forderungen aus jenen Teilen der vernünftigen Wirtschaft, die es auch gibt und die man nicht unbedingt gleichsetzen muss mit jenen Verbänden und Verbandsfunktionären, die immer schon nach dem ersten Satz, den man sagt, gleich den Mund aufreißen – nein, es gibt diese Leute in der Wirtschaft, mit denen man reden kann und die immer darauf gehofft haben, dass es ein Unternehmenssteuerrecht gibt, das einfach ist, das niedrige Sätze hat, das dafür aber auch steuerliche Sondertatbestände abschafft –. Die Vernünftigen in der Wirtschaft haben immer gewusst, dass eins nicht geht: amerikanische Steuersätze und die Kunst deutscher Abschreibungsmöglichkeiten. Das geht nicht!

(Starker Beifall)

Mit dem Unternehmenssteuerrecht, das wir jetzt auf den Weg bringen, gehen wir mit den Sätzen für die Körperschaften auf 25 Prozent. Einschließlich einer durchschnittlichen Gewerbesteuer von 10 Prozent sind das Unternehmenssteuern von 35 Prozent. Damit liegen wir im unteren Drittel des europäischen Maßstabs. Wahr ist – und das ist auch nötig, weil bei uns die Löhne und auch die Abgaben darauf höher sind: Alles in allem gesehen, ist das ein großartiges Angebot der Bundesregierung an die Unternehmen. Dieses Angebot wird in der Erwartung gemacht, liebe Genossinnen und Genossen, dass die, die es entgegennehmen, auch ihre Pflicht zu tun haben, auch Ausbildungsplätze bereitzustellen haben, auch neue Arbeitsplätze zu schaffen haben. Das ist Angebot und Nachfrage in gleicher Weise.

(Starker Beifall)

Die Politik, die wir zur Entlastung der Unternehmen machen, die Bereitschaft, die wir damit zeigen, auf berechtigte Forderungen einzugehen – das darf keine Einbahnstraße sein. Wer in dieser Gesellschaft glaubt, er könne immer nur nehmen, aber hätte nichts zu tun für den Zusammenhalt dieser Gesellschaft, der irrt auch.

(Beifall)

Also lasst uns nicht zetern über die Notwendigkeit, ein vernünftiges Unternehmenssteuerrecht zu machen. Wir tun das. Lasst uns das auch nicht mit schlechtem Gewissen vertreten, liebe Genossinnen und Genossen! Das bringt nichts! Wir dürfen keine Situation zulassen, in der der Eindruck entsteht – und einige sind hier, die sich an die späten 70er und frühen 80er Jahre erinnern -, dass eure Regierung – es ist ja nicht unsere, sondern eure – in Bonn das Notwendige macht, die Partei es aber mit schlechtem Gewissen begleitet und das Wünschbare selbst gegen die Regierung formuliert. Das darf nicht passieren, denn diese Situation würden wir beide ganz schnell nicht aushalten.

(Beifall)

Deswegen: Was wir auf der Nachfrageseite getan haben, das findet sicher den Beifall der Sozialdemokraten – wenn sie sich daran erinnern, was wir getan haben, und das sollten sie schon. Was wir auf der Angebotsseite – um in den wirtschaftswissenschaftlichen Kategorien zu bleiben – tun, findet gewöhnlich weniger Zustimmung bei den Sozialdemokraten. Aber das darf nicht so bleiben, liebe Genossinnen und Genossen! Denn eine vernünftige Wirtschaftspolitik besteht eben aus beiden Teilen oder, wie es mein früherer Finanzminister und Vorgänger im Amt immer gesagt hat: in einem policy mix aus angebots- und nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik. Ihr seht: Es ist gar nicht so schwer, Kontinuität zu wahren.

(Heiterkeit und Beifall)

Aber ich möchte dann haben, liebe Genossinnen und Genossen, dass die Seite, die sich mit der notwendigen Senkung der Unternehmenssteuern befasst, die dafür arbeitet, dass parallel dazu dann auch die steuerlichen Sondertatbestände abgeschafft werden, als die eine Seite der Medaille, die zwei Seiten hat, begriffen wird und genauso offensiv und – wenn ihr wollt – genauso fröhlich nach außen vertreten wird wie der Bereich, der sich eher mit der Nachfrageseite beschäftigt.

Liebe Genossinnen und Genossen! Wir haben eine schwierige Auseinandersetzung um die Frage vor uns, wie die Alterssicherung jener sein soll, die ein erfülltes Arbeitsleben hinter sich und dabei ein Recht auf Sicherheit haben. Das Rentenkonzept, das Walter Riester entwickelt hat und das wir gemeinsam vertreten, ist eine gewaltige Reformanstrengung in einer Gesellschaft, in der Reformen, die nicht nur etwas geben, verdammt schwer durchzusetzen sind. Aber ich möchte, dass klar ist, dass die alten Menschen wissen, dass dieser und nur dieser Reformansatz ihnen die notwendige Sicherheit gibt, auf die sie Anspruch haben, ohne ihre eigenen Kinder und Enkel zu sehr zu belasten.

(Beifall)

Jenen Rentnerinnen und Rentnern, die durch eine erbärmliche Kampagne der Union jetzt verunsichert werden sollen, möchte ich gerne sagen: Wir tun es für euch, aber wir tun es auch für eure Enkel.

(Beifall)

Und wenn ich Einfluss auf die Bilder hätte, die auf die Plakate gemalt werden, dann würde ich einfach nur Lukas, der vorhin bei mir war, oder Benjamin mit seiner Oma auf dem Plakat abbilden und darunter schreiben: „Danke, Oma. Du hast es auch für mich getan.“

Ich glaube, dass wir guten Gewissens deutlich machen können, liebe Genossinnen und Genossen, dass wir auf diesem so schwierigen Gebiet, wo es so viele Ängste gibt, ein Konzept haben, dass das erste Mal einerseits Rentensicherheit durch beitragsfinanzierte Rente – wie immer – bereitstellt, andererseits aber auch Rentensicherheit herstellt dadurch, dass man daneben eine Kapitaldeckung aufbaut – langsam und in Schritten, freiwillig und über Tarifverträge. Warum ist das notwendig? Das müssen wir uns und anderen klarmachen. Wir müssen den Menschen erklären, dass die sozialen Sicherungssysteme, die wir kennen, dass das Rentensystem, das wir haben, auf Beiträgen aufgebaut ist, die aus Vollerwerbsarbeitsverhältnissen kommen. Und wir müssen den Menschen erklären – weil das die Wahrheit ist -, dass jene Vollerwerbsarbeitsverhältnisse, die die Basis für die Beiträge waren, in den letzten Jahrzehnten – vor allem im letzten Jahrzehnt -, kontinuierlich zurückgegangen sind. Das heißt: Wir haben den ökonomischen Tatbestand, dass wir ein Brutto-Inlandsprodukt, das stetig gewachsen ist, mit immer weniger Vollerwerbsarbeitsverhältnissen geschaffen haben. Und weil das so ist, brauchen wir diesen reformerischen Ansatz, brauchen wir nicht den Ersatz der beitragsfinanzierten Rente – das würde viel zuviel Unsicherheit bedeuten, das darf nicht sein -, sondern die Ergänzung. Und wir müssen jetzt damit anfangen, denn je später wir damit anfangen, desto schwieriger wird es, die Ergänzung hinzubekommen, und desto größer müssen die Schritte sein. Wir können es uns leisten, jetzt kleine Schritte zu tun, nicht auf Zwang, sondern auf Freiwilligkeit zu bauen. Aber wir müssen es uns auch leisten.

Was wir machen mit diesem Konzept, liebe Genossinnen und Genossen – bitte macht es euch klar, es ist enorm wichtig -, ist es, eine Brücke zu bauen zwischen den Jungen, die ihre Chance haben müssen, ohne durch Beitragsleistungen überfordert zu sein, und den Alten, die ein Recht auf Sicherheit im Alter haben. Und dieses Recht werden wir ihnen auch gewährleisten. Aber es ist nur zu gewährleisten durch den Reformansatz, den wir gemacht haben!

(Starker Beifall)

Mit der Fähigkeit und mit dem Willen, diesen Zusammenhang zu vermitteln und dadurch Vertrauen bei den älteren Menschen zu erhalten und bei den jungen neues zu gewinnen, steht und fällt die Frage, wie sich Umfragen entwickeln. Das glaube ich.

Es kommt noch etwas hinzu: Wir dürfen auf die schlimme Demagogie der anderen Seite nicht hereinfallen. Da wird gesagt: Ok, das Konzept mag ja richtig sein. Aber die Sozialdemokraten geben in den Jahren 2000 und 2002 weniger an Erhöhung, als den Rentnerinnen und Rentnern zusteht. Liebe Genossinnen und Genossen! Auch dem sollte man argumentativ entgegentreten. Das darf man sich doch nicht gefallen lassen! Wir geben den Rentnerinnen und Rentnern im Jahr 2000 das Doppelte dessen, was sie von Blüm an Erhöhung bekommen haben, und jener, der ihnen nur die Hälfte gegeben hat, hat das Recht verloren, gegen den zu polemisieren, der das, was sie bekommen, verdoppelt. Das sollten wir klar machen!

(Starker Beifall)

Wir geben im Jahr 2001 fast das Vierfache an Erhöhung, was Blüm 1997 gegeben hat. Das ist die Wahrheit! Sie soll nach außen getragen werden, und zwar von uns allen, Genossinnen und Genossen! Es gibt auch in dieser Frage überhaupt gar keinen Grund, in Sack und Asche herumzulaufen. Wir haben das richtige Konzept, und wir setzen es auf eine Weise durch, die den Menschen wirklich das gibt, was sie brauchen – Sicherheit und eine Erhöhung, die vertretbar ist.

Ich habe keine Schwierigkeiten damit, einem älteren Menschen zu erklären, dass in seine Rentenerhöhung nicht jedesmal jeder Teil einfließen kann, den wir den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über Kindergeld oder Steuerermäßigung geben. Aber wir haben gerechnet: Wenn wir es jetzt – mit eurer Unterstützung – so machen, wie wir vorgeschlagen haben, dann können wir zwei Jahre später, ohne die Kasse in Bedrängnis zu bringen, zur alten Formel zurückkehren. Das ist der ganze Sinn der Operation: anzufangen mit dem Aufbau einer Kapitaldeckung in vertretbaren, vernünftigen Schritten und auf der anderen Seite ein Rentenniveau zu sichern, das deutlich über dem liegt – auch bei den beitragsfinanzierten Renten -, was Blüm und seine Leute vorhatten. Auch dieses Konzept lässt sich vertreten, weil es ein gutes Konzept ist.

Ich habe, liebe Freundinnen und Freunde, von der Notwendigkeit geredet, eine Brücke zwischen Alt und Jung zu bauen. Und da bin ich bei den Jungen: Wir haben – das ist ja jedem klar – eine gewaltige Sparleistung vor uns und teilweise auf den Weg gebracht. Aber wir haben trotzdem Schwerpunkte in unserem Haushalt gesetzt, die den jungen Menschen eine Chance geben. Wir werden nicht ablassen von dem Ziel, den Haushalt für Bildung und Forschung weit deutlicher steigen zu lassen als alle anderen Haushalte.

(Beifall)

Dieses Ziel wird beibehalten. Und, liebe Genossinnen und Genossen, das sage ich den Jusos – das Plakat ist weg, ich hoffe, die Jusos sind noch da: Wir haben in der immens schwierigen Situation, in der wir sind, im letzten Jahr ein Zwei-Milliarden-Programm zur Förderung von Ausbildung und Beschäftigung bei jungen Leuten durchgesetzt. Wir haben zum ersten Mal die Situation, dass die Jugendarbeitslosigkeit zweistellig sinkt. Und trotz enormer Sparzwänge haben wir gesagt: Ausbildungsnot zu beseitigen ist uns so wichtig, dass dieses Programm nicht dem Rotstift zum Opfer fällt, sondern weitergeführt wird, liebe Genossinnen und Genossen.

(Starker Beifall)

Was hindert euch daran, rauszugehen und zu sagen: Die strengen sich an. In enorm schwierigen Zeiten, in denen sie Lasten wegschleppen müssen, die ihnen andere auf die Schultern gelegt haben, denken sie an die Jungen, geben ihnen Chancen, weil das Teil ihrer Programmatik war und bleiben wird. Und sie schreiben es nicht nur auf Papier, diese Sozialdemokraten da in Bonn, sondern sie tun es sogar.

Ich bin verdammt stolz auf diese Anstrengungen, liebe Genossinnen und Genossen, und Stolz ist etwas, was Sozialdemokraten ruhig auch einmal haben dürfen.

(Starker Beifall)

Ich will nicht lange darüber reden, was wir in der Außen- und Europapolitik zustande gebracht haben, hier in Berlin und anderswo. Aber in einer Stadt, die – wenn ich es richtig im Kopf habe – nicht einmal hundert Kilometer von der polnischen Westgrenze entfernt ist,

(Zurufe: Siebzig bis achtzig!)

die noch nicht einmal siebzig bis achtzig Kilometer

(Heiterkeit und Beifall)

weit von der polnischen Westgrenze entfernt ist, hat die deutsche Präsidentschaft in Europa in einer enormen Anstrengung dafür gesorgt, dass die Agenda 2000 beschlossen werden konnte, die nicht nur den Bauern geholfen hat – wofür sie nicht sonderlich dankbar sind, wie ich gestern gemerkt habe.

(Heiterkeit)

Aber nicht nur das: In dieser Stadt haben wir im März dieses Jahres mit der Agenda auch die Basis dafür gelegt, dass es zu einer Ost-Erweiterung kommen kann, dass Polen, Tschechen, Ungarn – um nur sie zu nennen – Teil der Europäischen Union werden können. Und wenn es eine Lehre aus dem Kosovo-Konflikt gibt, dann ist es die Lehre, dass dauerhafter Frieden wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern voraussetzt.

(Beifall)

Dauerhafter Frieden setzt auch voraus, dass wir diesen Ländern nicht nur helfen, auf die Beine zu kommen, sondern dass sie eine Beziehung zu Europa brauchen, dass sie eine Perspektive der Annäherung – in Schritten, gewiss – brauchen, die sie als Teil Europas begreift, damit sie sich auch selbst als ein solcher Teil begreifen. Das ist hier in Berlin beschlossen worden, und damit ist in unserer Präsidentschaft in wirklich enormen Anstrengungen die Basis für die friedliche Entwicklung Europas durch Integration der europäischen Länder im Osten und Südosten gelegt worden. Das ist eine Leistung, von der ich glaube, dass sie „historisch“ genannt werden darf.

Interessant dabei ist – und ich habe nichts anderes erwartet, als dass die Opposition daran herum kritisiert -, dass diese Leistung im Ausland sehr wohl gesehen wird, und das von Staatsmännern, die nicht mehr im parteipolitischen Hader sind, wie Hans-Dietrich Genscher. Es kann also so schlecht nicht gewesen sein, was wir zuwege gebracht haben, und es war auch nicht schlecht. Auch das kann man sagen, auch das kann hilfreich sein im Bestehen der politischen Auseinandersetzung, die vor uns liegt.

Eine letzte Bemerkung, liebe Genossinnen und Genossen, betrifft das Sparpaket und seine Bedeutung insgesamt. Als wir ins Amt kamen, haben wir ein Defizit von 30 Milliarden DM, das nicht gedeckt ist, vorgefunden. Aber das war es keineswegs allein. In den 16 Jahren Regierung Kohl sind die Staatsschulden in Deutschland von 300 Milliarden im Jahr 1982 – ihr erinnert euch, da kam er ins Amt – auf 1,5 Billionen DM in diesem Jahr angestiegen. Da sage ich nur eins: Leute, die das vorzuweisen haben, sollen aufhören, den anderen vorzuwerfen, sie könnten nicht mit Geld umgehen. Denn sie können es nicht!

(Starker, anhaltender Beifall)

Wir zahlen gegenwärtig für diese Schulden jährlich 82 Milliarden DM an Zinsen. Für diejenigen, die ein Haus oder eine Eigentumswohnung haben, sage ich: ohne Tilgung, nur für Zinsen. 82 Milliarden! Das heißt – das kann man nachrechnen: pro Minute 150 000 DM. Damit könnte man eine Menge anfangen. Nun will ich nicht selbstgerecht sein, liebe Genossinnen und Genossen. Auch wir alle haben dazu beigetragen, gar keine Frage. Aber dass diese Tendenz nicht weitergehen kann, das liegt doch auf der Hand! Dass wir damit Gestaltungsmöglichkeiten für die verbauen, die weit jünger sind als wir – bei mir werden das leider immer mehr -, das liegt doch auch auf der Hand! Wir mussten also handeln, um die Fähigkeit der Politik zur Gestaltung erst einmal wieder zurückzugewinnen. Denn nur dann, wenn man diese Fähigkeit hat, kann man ja Ansprüche an die Gestaltungsmöglichkeiten stellen, kann man den Anspruch stellen, Programmatik in Praxis umzusetzen. Das, was wir jetzt vor uns haben, ist der Kampf um die Zurückerlangung der Fähigkeit, Politik zu gestalten. Es ist unser Kampf, eurer, unser gemeinsamer.

Damit bin ich bei dem letzten, das ich sagen möchte: Welche Rolle spielt dort eigentlich unsere Partei? – Liebe Genossinnen und Genossen, diesen Kampf um die Gestaltungsfähigkeit deutscher Politik können wir nicht gewinnen, wenn sich die Regierung auf der einen Seite mit den unterschiedlichsten Verbänden fetzt und die Partei auf der anderen Seite zuguckt, wie das wohl ausgeht. Das können wir nicht schaffen. Was wir schaffen müssen, ist, in allem Respekt vor den Verbänden – die Bauern eingeschlossen; Arbeitgeber, Gewerkschaften, Mieter, Hauseigentümer, alle sind organisiert in unserer Gesellschaft, und das hat gute Gründe -, dass wir ihnen allen sagen müssen: Ihr dürft und sollt, meinethalben auch lautstark, eure Interessen vertreten. Das ist euer Recht, darum habt ihr euch organisiert. Aber wir müssen zugleich sagen: Die Interessen, die ihr vertretet, sind Interessen eines Teils der Gesellschaft, sind partikulare Interessen. Die Interessen, die wir als Regierung vertreten, als Mehrheit im Deutschen Bundestag hier im Reichstag, sind und müssen die Interessen des allgemeinen Wohls sein. Das ist unsere Aufgabe!

(Starker Beifall)

Und in diesem Sinn muss die Partei, die SPD, weil wir von euch beauftragt regieren, in der Lage sein, nicht nur auf einzelne Interesse zu gucken – auch nicht auf die, denen wir uns historisch so sehr verbunden fühlen wie die der Gewerkschaften, und zwar völlig zu Recht. Auch da müssen wir wissen: So wenig die Gewerkschaften Vorfeldorganisationen der SPD sein dürfen und sind, so wenig dürfen wir der verlängerte Arm der Gewerkschaften in den Parlamenten sein.

(Vereinzelter Beifall)

Das können wir immer auch sein. Aber wir müssen wissen, liebe Genossinnen und Genossen: Gewinnen können wir diese Auseinandersetzung nur, wenn sich die SPD begreift als die Kraft, die der Regierung hilft, die Interessen des allgemeinen Wohls zu definieren und in der Gesellschaft durchzusetzen. Das ist die Aufgabe, die wir miteinander vor uns haben!

(Starker Beifall)

Und wenn uns das klar ist, dann muss auch klar sein, liebe Freundinnen und Freunde, dass wir nicht abwarten dürfen. Ihr dürft es erst recht nicht. Ihr müsst euch begreifen als Avantgarde der Modernisierung. Ihr müsst vorangehen, drängen. Die anderen werden es nicht tun, die spielen auf Halten. Ihr dürft nicht auf Halten spielen, zumal dann nicht, wenn wir gewinnen wollen. Denn wer auf Halten spielt, hat noch nie gewonnen. Wenn wir das so machen, also kraftvoll und selbstbewusst vertreten, was wir in wenigen Monaten Vernünftiges und für die Menschen in ihrer Mehrheit – nicht für alle – Gutes angerichtet haben, wenn wir selbstkritisch auch mit unseren Fehlern umgehen – nur der, der überhaupt nichts tut, macht keine, das ist doch klar -, wenn wir darüber hinaus uns klar machen, dass eine Partei wie die deutsche Sozialdemokratie, die dem Gemeinwohl verpflichtet sein und der Regierung und der Mehrheit im Parlament helfen muss, das durchzusetzen, und gleichzeitig wissen, dass das enorme Widerstände weckt in einer Gesellschaft, die Angst vor Veränderungen hat, und dass nur wir in der Lage sind, diese Widerstände zu überwinden, dann können wir gewinnen – in Deutschland, aber – und ihr werdet es sehen, liebe Genossinnen und Genossen – auch in Berlin.

Also: Schlaget die Trommel und fürchtet euch nicht – aber küsst nicht nur die Marketenderin!

(Starker und anhaltender Beifall – Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen)

Präs. Sigrun Klemmer: Herzlichen Dank, lieber Gerhard! Deine Worte werden unserem Wahlkampf gut tun. Es wird ein guter Auftakt werden.

Wir kommen damit zu

Punkt 8 der Tagesordnung

Schlusswort des Landesvorsitzenden Peter Strieder

Das Wort hat Peter Strieder!

Peter Strieder: Liebe Genossinnen und Genossen! Das war ein guter Parteitag.

(Beifall)

Wir haben einen kämpferischen Walter Momper erlebt. Wir haben ein richtiges und wichtiges Wahlprogramm beschlossen, und wir haben einen Bundeskanzler und Parteivorsitzenden erlebt, der die Kraft der Rhetorik nicht verlernt und überzeugend gesagt hat, wohin die Modernisierung geht. Nehmen wir den Ball auf! Sagen wir, was wir erreicht und durchgesetzt haben! Wir müssen nur nacherzählen, was er uns hier vorerzählt hat.

(Beifall)

Ihr wart ja durchaus leise und ruhig. Ihr habt zugehört. Es fällt euch also nicht schwer.

Und für Berlin gilt es nun, gute Laune zu zeigen und zu zeigen, dass wir die Stadt und ihre Menschen lieben; dass wir uns nicht wegducken, sondern auf die Wählerinnen und Wähler zugehen und unsere Inhalte vertreten. Die Botschaft dieses Parteitags lautet: Wir wollen stärkste Kraft werden. Wir wollen den Führungswechsel, und wir wollen, dass Walter Momper Regierender Bürgermeister von Berlin wird.

(Starker Beifall)

Viele haben in den letzten Wochen geholfen, diesen Parteitag zu organisieren. Ihr wart diszipliniert. Ich danke euch! Ein schönes Wochenende, und alles Gute bis zum 10. Oktober! Kräftig ranklotzen jetzt!

(Starker Beifall)

Präs. Sigrun Klemmer: Liebe Genossinnen und Genossen! Der Parteitag ist beendet. Ich wünsche euch ein gutes Wochenende!

Schluss: 15.19 Uhr

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
Dieser Beitrag wurde unter SPD-Geschichte abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert