von Hofstetten, Mathilde

Mathilde von Hofstetten (12.07.1847 – 21.11.1929) wurde als Mathilde Schultz in ärmlichen Verhältnissen geboren. Von Beruf war sie Näherin. Früh wurde ihr Interesse an „öffentlichen Fragen“ geweckt, wie der sozialdemokratische Vorwärts 1928 in einer Würdigung schrieb. Ihr Engagement in der Arbeiterbewegung nahm nach ihrer Heirat mit Johann-Baptist von Hofstetten um 1870 konkrete Formen an.

Johann-Baptist von Hofstetten  (Geburtsdatum ungewiss: 1836 (?) – 15. Januar 1887) stammte aus einer süddeutschen Adelsfamilie, diente in der bayerischen Armee, die er verließ, um als Journalist und Schriftsteller zu arbeiten. In Berlin heiratete er die vermögende Gräfin Strachwitz.

Politisch begeisterte sich v. Hofstetten für Ferdinand Lassalle, mit dem er befreundet war, und den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein ADAV. 1864, im Jahr des Todes von Lassalle, gründete v. Hofstetten gemeinsam mit Johann Baptist von Schweitzer die Zeitung „Der Social-Demokrat“ als Organ des ADAV, finanziert zum Teil aus dem Privatvermögen v. Hofstettens, das nach wenigen Jahren weitgehend aufgebraucht war. Nach der Trennung von seiner Frau heiratete von Hofstetten die Arbeiterin Mathilde Schultz. Nach einem Streit mit von Schweitzer schlug sich v. Hofstetten als Korrespondent für verschiedene Zeitungen durch, 1887 starb er und hinterließ seine Witwe nahezu mittellos. Sie kämpfte sich durch, engagierte sich fortan in der Arbeiterinnenbewegung, gehörte zu den frühen Unterstützerinnen des Arbeitersamariterbundes und lebte in der Dresdener Straße 127 nahe dem Kottbusser Tor.

Unter der Überschrift „Mathilde v. Hofstetten – Eine Veteranin aus der Zeit des Sozialistengesetzes“ würdigte der sozialdemokratische Vorwärts in seiner Ausgabe vom 21. Oktober 1928 die Vorkämpferin für Frauenrechte:

In einem bescheidenen Stübchen eines Berliner Altersheimes draußen im Norden hat Mathilde v. Hofstetten, die greise Witwe Johann Baptist von Hofstettens als Kleinrentnerin nach einem sturmbewegten Leben einen ruhigen Hafen gefunden. An ihrem 80. Geburtstage erinnerte man sich der tapferen Frau, die mit dem Gatten ihr Hab und Gut für die Propaganda des Sozialismus opferte und im hohen Alter den schweren Daseinskampf der Kriegs- und Nachkriegszeit noch auf sich nahm, indem sie ihren Unterhalt selbst zu erwerben suchte.

Nun ist es wieder still geworden um Mathilde von Hofstetten. Aber sie selbst nimmt weiter lebendigen Anteil an der Welt, sieht unentwegt treu zu ihrer Überzeugung, ehrt die Erinnerungen an die geistigen Kampfzeiten des Gatten und erzählt mit ungetrübtem Gedächtnis von der Entwicklung  ihres einstigen geliebten Lebensgefährten zum Sozialismus, wie er sich schon als Kadett freiheitliche Schriften verschaffte, später auf die Offiziers- und höfische Karriere verzichtete, um als Journalist und Agitator dem Sozialismus zu dienen. Eine kleine Photographie des Frühverstorbenen zeigt in den Zügen eine überraschende Ähnlichkeit mit Lassalle, unter dessen Einfluss sich seine politische Weltanschauung entwickelte, und dessen Vermächtnis er als sein Freund und Kartellträger bei dem unseligen Duelle übernahm und verwaltete. Statt des feurigen Ausdrucks, der Lassalles Portrait charakterisiert, schweifen die schönen träumenden Augen in Hofstettens Antlitz übersinnlich ins Weite. Leider wurden seine Dokumente und Briefe durch einen Brand vernichtet.

Schon als junges Mädchen bekundete Mathilde von Hofstetten  ein lebhaftes Interesse für öffentliche Fragen. Als Frau konzentrierte sie ihre soziale Teilnahme auf das Los der arbeitenden Frauen. Mit dem frühen Tode des Gatten, er starb mit 51 Jahren — viele tausend Genossen geleiteten seinen Sarg unter dem Zeichen des Sozialistengesetzes — bedurfte seine Witwe einer neuen Lebensaufgabe. Seit den achtziger Jahren bereits organisiertes Mitglied, widmete sie sich fortan unermüdlich der Gewerkschaftsbewegung in jener Zeit, in welcher die Beschränkungen des alten Vereinsrechtes solche Arbeit noch zu einem schweren Kampf für die sozial und politisch wirkenden Frauen gestalteten. Kaum war sie in der ersten Versammlung aufgetreten, so betraute man Sie schon mit dem ersten Amt, dem im Laufe des Jahres sieben andere folgten. Damals mussten die Genossinnen stets pro forma einem Berufsverein  beitreten, da Frauen nicht Mitglieder eines politischen Vereins werden durften, Und mit welchen behördlichen Drangsalierungen war auch diese Tätigkeit verknüpft! Als Parteifunktionärin hat Mathilde von Hofstetten, aus bürgerlicher Familie stammend, in Reih und Glied tapfer und treu gearbeitet, Versammlungen geleitet, Ämter verwaltet, Vorträge gehalten, die der Verbesserung der Lage der arbeitenden Frau galten. Bis zu ihrem  73. Jahr war sie{die Geschäftsführerin des Frauenausschusses im Kreise Moabit. Noch heute besucht die 81jährige Frau in unverminderter geistiger Regsamkeit Parteiversammlungen im Norden Berlins, noch immer darf der „Vorwärts“, ihr Parteiorgan, nicht auf ihrem Tisch fehlen, obwohl die schwachen Augen nur noch die fetten Überschriften entziffern können und eine Vorleserin selten zu beschaffen ist. Dabei ist sie ein Vorbild der Genügsamkeit, mit ihrem kargen Alterslos zufrieden. Sie versichert, es an sich selbst erfahren zu haben: „In der Republik kümmert man sich doch mehr um die Menschen als früher“. In ihrer Bescheidenheit findet Sie es eigentlich überflüssig, dass die Öffentlichkeit etwas von ihr erfährt. „Was habe ich denn besonders getan? Viele von den alten Parteigenossen haben gleich mir gekämpft und gehungert, Opfer gebracht und Verfolgungen über sich ergehen lassen, um dem Sozialismus zu dienen. Das hat uns nicht niedergedrückt, sonst wären wir ja keine Idealisten gewesen.

Das Schandgesetz 1878 bis 1890 hat uns trotz aller  Drangsalierungen nicht auseinander gebracht, sondern fester zusammen gehalten. Diese Zeit, so schwer sie war, möchte ich nicht aus meinen Erinnerungen streichen.“

In einer Zeit, in der der Idealismus als schlechte Münze gilt und Märtyrer ihrer Überzeugung immer seltener zu werden scheinen, ist es vielleicht nicht überflüssig, von Mathilde Hofstetten zu berichten. F.L.

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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