Amtsgericht Wedding, Brunnenplatz

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz. Foto: Horb

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz. Foto: Horb

Die Industrialisierung führt Ende des 19.Jahrhunderts im Wedding zu einer rasanten Zunahme der Bevölkerung. Mietskasernen mit mehreren engen Hinterhöfen entstehen, Arbeiter- und Handwerkerfamilien leben in dunklen, feuchten Räumen. In dieser eher ärmlichen Umgebung wird zwischen 1901 und 1906 ein Ehrfurcht einflößender Prachtbau errichtet: das Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz.

Hier standen Kleinkriminelle vor Gericht, es wurden Zivilprozesse geführt, Mietstreitigkeiten geklärt. Heute ist das Amtsgericht zivilrechtlich für den Bezirk Reinickendorf und die Ortsteile Gesundbrunnen und Wedding im Bezirk Mitte zuständig. Zudem ist es das zentrale Mahngericht für die Länder Berlin und Brandenburg und bearbeitet Anträge eines Europäischen Zahlungsbefehls.

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz, Portal. Aufnahme aus den siebziger Jahren. Foto: Sammlung Horb

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz, Portal. Aufnahme aus den siebziger Jahren. Foto: Sammlung Horb

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz, Portal. Aufnahme aus den siebziger Jahren. Foto: Sammlung Horb

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz, Portal. Aufnahme aus den siebziger Jahren. Foto: Sammlung Horb

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgte der Bau des Amtsgerichts einer Neueinteilung der Gerichtsbezirke in der wachsenden Stadt. „Die Zivil- und Strafprozesse der Bevölkerung Berlins wurden bislang durch zwei Amtsgerichte und zwei Landgerichte geführt“, so beschreibt das „Zentralblatt der Bauverwaltung“ im August 1903 die Ausgangssituation. Und führt weiter aus: „Für Zivilsachen befanden sich die Geschäftsstellen des Land- und des Amtsgerichts I in der Jüdenstraße, des Land- und des Amtsgerichts II am Halleschen Ufer. Die Strafsachen aller vier Gerichte dagegen wurden im Gebäude des Kriminalgerichts in Moabit behandelt. Das schnelle Anwachsen der Hauptstadt und ihrer Vororte, sowie eine über den Fortschritt der Bevölkerungsziffer noch weit hinauseilende Vermehrung der Gerichtsfälle, stellte an die vorbezeichneten Behörden so hohe Anforderungen, dass die Gerichtsverwaltung andauernd ihr Beamtenpersonal zu vermehren und sowohl auf räumliche Erweiterung der Geschäftsgebäude, wie auf Bildung neuer Gerichtsstellen Bedacht zu nehmen gezwungen war.“ So seien in den zurückliegenden Jahren in Charlottenburg und Rixdorf neue Amtsgerichtsgebäude mit eigenen Strafabteilungen errichtet worden, für das Amtsgericht I eine Filiale in der Dirksenstraße und für das Landgericht I ein Neubau in der Grunerstraße. Für das Amtsgericht I sei eine Erweiterung im Bau.

Mit einer umfassenden Reform soll die Situation nun  verbessert werden, Berlin und seine Umgebung werden, so das „Zentralblatt“, „unter Berücksichtigung der Verkehrsverhältnisse“ in zehn Amtsgerichtsbezirke (1. Berlin—Mitte Amtsgericht I, nördlich von der Ringbahn, südlich vom Landwehrkanal begrenzt, 2. Charlottenburg, 3. Schöneberg, 4. Groß-Lichterfelde, 5. Tempelhof, 6. Rixdorf, 7. Lichtenberg, 8. Neu-Weißensee, 9. Pankow und 10. Wedding) unterteilt. Die Amtsgerichte sind drei Landgerichten unterstellt.

Das bis zum Bau des Amtsgerichts Wedding wegen der schwierigen Bodenverhältnisse nur landwirtschaftlich genutzte Grundstück an der Panke, 4800  Quadratmeter groß, stellte die Stadt Berlin bereit. Hier im Umkreis hat sich wahrscheinlich die Mühle des ehemaligen Dorfes Wedding befunden, die Mitte des 13. Jahrhunderts urkundlich erwähnt wird. Da auf dem sumpfigen Gelände eine weitere Absenkung des Grundwasserspiegels befürchtet wird, stabilisieren die Architekten den Baugrund mit acht Meter langen Pfählen aus Beton und Eisen, ein Novum.

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz, Foto: Horb

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz, Foto: Horb

„Das hier zu errichtende Gebäude wird vorläufig für 22 Zivilabteilungen bemessen, es soll aber noch eine derartige Erweiterung erfahren können, daß bis 35 Abteilungen darin Platz finden“, berichtet das „Zentralblatt der Bauverwaltung“. Die Ausführung des Gebäudes und der Nebenanlagen, ausschließlich der tieferen Gründung werde 953.000 Mark beanspruchen.

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz, Grundriss Erdgeschoss.

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz, Grundriss vom Erdgeschoss.

Die Pläne für den Gerichtsbau kommen aus dem Ministerium der öffentlichen Bauten, die Federführung hatte der Regierungs- und Baurat Rudolf Mönnich (1854 – 1922), der gemeinsam mit dem Architekten Carl Niels Paul Thoemer (1851 – 1918) den Bau begleitete. Unterstützt wurden sie von den Landbauinspektoren Hertel und Alsvus. Hertel war verantwortlich für die Fundierung  des Grundstücks mit den Beton-Eisenpfählen und erläuterte das Vorgehen in einem Vortrag auf der Hauptversammlung des Deutschen Beton Vereins 1902. Ausführende sind ausweislich der Berliner Denkmaldatenbank der Maurermeister Benda sowie Gottlieb Tesch.

Mönnich zeichnet in Berlin – zum Teil gemeinsam mit Thoemer – für zahlreiche weitere Gerichtsbauten verantwortlich, darunter das Land- und Amtsgericht Mitte in der Littenstraße (1896 – 1904), das Landgericht Berlin III am Tegeler Weg in Charlottenburg (1901 – 1906), das Amtsgericht Schöneberg in der Grunewaldstraße (1901 – 1906), das Kriminalgericht Moabit in der Turmstraße (1902- 1906) oder das 1913 fertiggestellte Kammergericht Schöneberg in der Elßholzstraße, das spätere Kontrollratsgebäude der Alliierten.

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz, Portal. Foto: Horb

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz, Portal. Foto: Horb

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz, Justitia. Foto: Horb

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz, Justitia. Foto: Horb

Der imposante fünfgeschossige neogotische Weddinger Amtsgerichtsbau mit seiner reichverzierten Fassade greift Stilelemente der Albrechtsburg in Meißen auf. Er ist ein einschüchterndes Zeugnis des mächtigen preußischen Staats im Arbeiterbezirk. Sinnbild dafür: Die Figur der Justitia über dem Eingang, mehr als drei Meter groß, hat nicht wie üblich verbundene Augen und eine Waage als Zeichen der Unparteilichkeit und Ausgewogenheit, sie streckt vielmehr den Menschen das Gesetzbuch entgegen und trägt ein Schild. Die Statue der Justitia, vom Bildhauer Bernhard Hertel entworfen, wurde Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts zerstört und 2006 durch eine Nachbildung ersetzt, die sich an dem in der JVA Tegel aufbewahrten Torso der Justitia orientierte.  Erzählt wird, dass die Statue von einem mit einer Gerichtsentscheidung unzufriedenen Handwerker entwendet wurde, aufgeklärt wurde der Fall nicht.

Im obersten Giebel befindet sich eine Rolandsfigur, die als Symbol für die Gerichtsbarkeit steht und die dem Wedding das erhobene Richtschwert entgegenstreckt.  Hinter der Rolandsfigur befand sich bis zur Zerstörung im 2. Weltkrieg ein spitzer Turm, der beim Wiederaufbau nicht wiederhergestellt wurde.  Zwischen Roland und Justitia sieht man einen Reichsadler, der in den dreißiger Jahren hinzugefügt wurde, 1945 wurde das Hakenkreuz aus dem Ring entfernt. Nach schweren Zerstörungen im 2. Weltkrieg setzte das Land Berlin das Gebäude wieder instand und erweiterte es Mitte der fünfziger Jahre. Heute steht es unter Denkmalschutz.

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz, Tür am Portal. Foto: Horb

Amtsgericht Wedding am Brunnenplatz, Tür am Portal. Foto: Horb

Über den beiden Eingängen ist ein Band mit den Namen der Gesetzbücher erkennbar, die Vorläufer des gültigen Rechts sind: Sachsenspiegel, Schwabenspiegel und die Gesetzessammlung corpus juris. Den Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Wedding im Norden Berlins zeigen Wappen von Dörfern am Eingangsportal auf, darunter Tegel, Wittenau, Reinickendorf, Heiligensee, Hermsdorf und Lübars. Heute umfasst die Zuständigkeit Frohnau, Heiligensee, Hermsdorf, Lübars, Waidmannslust, Märkisches Viertel, Wittenau, Konradshöhe, Tegel, Reinickendorf, Wedding und Gesundbrunnen. Öffnet sich die Eingangstür, geht der Blick in einen kathedralenartigen Raum und das  großzügige  Treppenhaus.

Mit seiner Frontlänge von rund 120 Metern grenzt das Amtsgericht an den Brunnenplatz. Er trägt seinen Namen seit 1896 und erinnert an die nahegelegene eisenhaltige Quelle des Gesundbrunnen. Angelegt wurde der Platz nach Fertigstellung des Amtsgerichts zwischen 1906 und 1908. Gegen Ende des 2.Weltkriegs wurde er als Anbaufläche zur Versorgung der Bevölkerung genutzt, 1949 wieder instandgesetzt und zur 750-Jahr-Feier der Stadt 1987 neu gestaltet. Inmitten des Platzes mit seinen Rasenflächen und Rosenrabatten befindet sich ein großer Springbrunnen. Die gesamte Anlage wird als Gartendenkmal geführt.

Quellen:

 

 

 

 

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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