Barrikaden am Wedding

Cover "Barrikaden am Wedding", Berlin 1962

Cover „Barrikaden am Wedding“, Berlin 1962

Die Ereignisse lagen zwei Jahre zurück und hatten Ihre Spuren in Berlin hinterlassen. Die tödlichen Schüsse von Polizisten auf Arbeiter am 1. Mai 1929 gingen als „Blutmai“ in die Geschichte ein. 1931 veröffentlichte der kommunistische Journalist und Schriftsteller Klaus Neukrantz  einen Roman über die Maitage 1929: „Barrikaden am Wedding“.

Klaus Neukrantz, im Mai 1897 geboren, hatte sich als Freiwilliger zum 1. Weltkrieg   gemeldet, fand nach Kriegsende zur Arbeiterbewegung und trat 1923 in die KPD ein. Ab 1924 schrieb er für die „Welt am Abend“, „Die Rote Fahne“ oder die „Die Linkskurve“ des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller.

Sein Roman wirkt eher reportagehaft, ergänzt mit zahlreichen Dokumenten und Zitaten. Die Figuren sind etwas klischeehaft angelegt, da ist der aufopferungsvolle Kommunist, der trotz harter Arbeit auf dem Bau nachts für seine Partei Plakate klebt, da ist der gutmütige alte Sozialdemokrat, der den Glauben an seine Funktionäre verliert, der umsichtige Kommunist, der stets weiß, was zu tun ist, der Polizeioffizier, der gegen die verhassten Kommunisten losschlagen möchte.

[amazon_link asins=’3954008165,B006K0US7E,3866804199,3897028662,3924158339′ template=’ProductCarousel‘ store=’fotosausberli-21′ marketplace=’DE‘ link_id=’49c4f391-212c-4891-be3d-5c178623c8ed‘]

„Barrikaden am Wedding“ gibt Einblick in den Alltag in einer kommunistisch dominierten Weddinger Straße, der Kösliner Straße, unweit vom Nettelbeckplatz. 23 Häuser, etliche enge Hinterhöfe, hohe Arbeitslosigkeit, die „Rote Nachtigall“ ist Kneipe und KPD-Treffpunkt.

Das Buch ist zugleich der Versuch, die Deutungshoheit über die Ereignisse des Mai 1929 zu gewinnen. Die Botschaft: Der sozialdemokratische Polizeipräsident lässt als Büttel der herrschenden Klasse auf die kommunistischen Arbeiter schießen, die nur ihrer traditionellen Maifeier nachgehen wollen. Wenige Wochen danach referiert der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann in den Weddinger Pharus-Sälen über die „Rolle der Sozialdemokratie im heutigen Klassenkampf und die Entwicklung des Sozialfaschisrnus“. Die KPD erklärt die SPD zum  Hauptgegner.

Ganz so einfach sind die Ereignisse, die in der Folgezeit immer wieder aufs Neue instrumentalisiert wurden, aber nicht zu bewerten. Denn die Parole vom „Sozialfaschismus“ hatte die Kommunistische Internationale bereits ein Jahr zuvor ausgegeben. Belege dafür herbeizuführen, lag also durchaus im Interesse der KPD-Führung. Nach zum Teil tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten, Kommunisten und Sozialdemokraten bestand in Berlin seit Ende 1928 ein Demonstrationsverbot, das der sozialdemokratische Polizeipräsident Zörgiebel auch am 1. Mai 1929 nicht aufheben wollte. Ein grober Fehler, wie sich bald erwies, denn damit war die Auseinandersetzung programmiert. Während die SPD ihre Maifeiern im Saal plante, beharrten die Kommunisten darauf, den 1. Mai traditionell auf der Straße zu begehen. Im Bemühen, Ruhe und Ordnung durchzusetzen, wurden von der Polzeiführung in den Arbeitervierteln Wedding und Neukölln starke Kräfte der Schutzpolizei zusammengezogen, von denen nicht alle Unterstützer der jungen Republik und der Demokratie waren. Die Presse, auch die sozialdemokratische, heizte den Konflikt zusätzlich an. Mit brutaler Gewalt versuchte die Polizei alle Protestaktionen niederzuschlagen, es wurde auf Hauseingange und Fassaden scharf geschossen. Zu den ersten Opfern gehörte der Sozialdemokrat Max Gmeinhardt, der in der Kösliner Straße  erschossen wurde, weil er Aufforderungen der Polizei nicht schnell genug nachgekommen war. Die Polizei, die bürgerkriegsähnliche Zustände gefürchtet hatte, provozierte sie nun statt sie zu verhindern.  Es kam zu Barrikadenkämpfen, 33 Todesopfer und 200 Verletzte waren zum Schluss zu beklagen. Sowohl SPD wie KPD sahen sich in ihren Urteilen über die jeweils andere Partei bestätigt, die Spaltung der Arbeiterbewegung vertiefte sich weiter.

Der klassenkämpferische Roman von Neukrantz wurde verboten, mehrere Neuauflagen erlebte er später in der DDR, oft zu Zeiten, in denen der Kalte Krieg sich intensivierte. So gab es 1962, ein Jahr nach dem Mauerbau, eine Ausgabe des Buches im  Deutschen Militärverlag der DDR. Auch in West-Berlin wurde der Text 1975 wiederentdeckt.

Neukrantz selbst wurde von den Nationalsozialisten verhaftet und später in eine psychiatrische Klinik gebracht. Sein Todesdatum ist nicht bekannt.

 

Klaus Neukrantz, Barrikaden am Wedding. Der Roman einer Straße aus den Berliner Maitagen 1929, verschiedene Ausgaben: Erstausgabe Berlin 1931;
Ausgabe Roman-Zeitung Nr. 118, 4/59, Verlag Volk und Welt Berlin 1959;
Ausgabe des Verlags J. Mackensen, Taschenbuch, 168 S., ISBN-13: 9783926535009;
Ausgabe des Deutschen Militärverlags DDR 1962, gebundene Ausgabe;
Ausgabe des Oberbaumverlags Berlin 1975, 204 S., Paperback, ISBN-13: 9783876280233

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
Dieser Beitrag wurde unter Berlin im Buch, Berlin-Antiquariat, Berlin-Literatur, Wedding abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert