Die Diakonissen im Krankenhaus Bethanien, in blauer Tracht gekleidet, mit einem Häubchen und einer weißen, über die Schulter gehenden Schürze, sind größtenteils jung und, so der Schriftsteller Karl Gutzkow, „dem gebildeten Stande angehörige Damen“. „Wie gründliche Vorkenntnisse hier vorausgesetzt werden, ersah ich in der Apotheke, die von zwei Diakonissen allein bedient wird“, schreibt Karl Gutzkow einige Jahre nachdem Theodor Fontane hier als Ausbilder in der Apotheke gewirkt hatte.
Auch die Gegend rund um das Bethanien nimmt Gestalt an. Der Mariannenplatz wird 1850 im „Allgemeinen Wohnungsanzeiger für Berlin, Charlottenburg und Umgebungen“ erstmals erwähnt, beschrieben als Platz zwischen dem Mariannenufer und der Waldemarstraße „vor der Normal-Krankenanstalt“. Der Königl. Polizei-Rath Winckler, der das Adressbuch verantwortet, kann allerdings nur elf Anwohner eintragen, darunter Verwalter Allius, Oberin von Rantzau, Pastor Schulz, Lehrer Kulke und Maschinenmeister Maschmeyer. Denn zu dieser Zeit waren „Gewerbe-Gehülfen, Tagelöhner und Dienstboten“ der Erwähnung im amtlichen Verzeichnis noch nicht wert.
1848 hatte der Bau des Luisenstädtischen Kanals begonnen, der den gerade fertig gestellten Landwehrkanal mit der Spree verbinden sollte, ein Transportweg, aber auch ein Versuch, das Hochwasser der Spree in den Griff zu bekommen. Am nördlichen Rand des Bethanien-Grundstücks entstand in einem schwungvollen Bogen das Bethanienufer. Das Bauprojekt gab rund 5000 Arbeitern Beschäftigung und sollte damit zugleich der sozialen Befriedung nach den auch aus der Not geborenen Aufständen der Jahre 1847 und 1848 dienen. Im Herbst 1848 eskalierte die Situation dennoch erneut. Eine Dampfmaschine sollte eingesetzt werden, um das Grundwasser abzupumpen. Sie wurde in der Nacht zum 13. Oktober 1848 von Arbeitern zerstört, die fürchteten, Maschinen könnten ihre Arbeit übernehmen. Drei Tage danach sollten Entlassungen erfolgen. In der Nähe waren Schutzmänner und Bürgerwehr postiert. Als empörte Erdarbeiter protestierend in die Stadt ziehen wollten, rückte die Bürgerwehr gegen sie vor. Steine flogen, die Bürgerwehr setzte Schusswaffen ein. Drei Arbeiter starben, zwei weitere wurden so schwer verwundet, dass sie bald danach ihren Verletzungen erlagen. Als die Toten von den Arbeitern in die Stadt getragen wurden, kam es erneut zu Schüssen, aufgebauten Barrikaden und Toten.
In seinem 1850 erschienenen Buch „Das Krankenhaus der Diakonissen-Anstalt Bethanien zu Berlin“ beklagt Theodor Stein, der als Bauinspektor an der Planung beteiligt war, dass von den 350 Betten im Schnitt nur 100 belegt sind. Es fehlen Fondsmittel, um die Krankenkosten zu bezahlen. Wobei zahlende Patienten, so legt es die Hausordnung fest, keine Vorrechte gegenüber anderen haben.
Das Adressbuch von 1851 verzeichnet neun Bewohner im Bethanien. Mariannenstraße und Mariannenufer sind unbewohnt. Die Gestaltung des Mariannenplatzes übernahm Lenné 1853, ein Schmuckplatz vor dem Haupthaus entstand, der auch den künftigen Anwohnern Erholung und Grün bieten sollte..
Die Krankensäle sind für zehn bis vierzehn bzw. zehn bis zwölf Patienten angelegt. Daneben gibt es Krankenzimmer für ein bis fünf Betten. Eine Dampfheizung sorgt, so heißt es bei Stein, „für eine mäßige Erwärmung der Räume“. Die Bettgestelle sind aus Eisen, die Füße aus Hohleisen, die als Ausschussware eine Gewehrfabrik verlassen haben. Karl Gutzkow berichtete 1854 von zweihundert Kranken, „für welche die nötigen Einrichtungen vorhanden sind“. Dem „fast zu luxuriös gespendeten“ Raume nach könnten aber noch einmal so viel untergebracht werden, meinte er.
Tatsächlich haben Patienten in den Krankensälen fast doppelt so viel Raum wie in anderen Krankenhäusern. Auch die übrige Ausstattung wirkt beeindruckend. Gutzkow: „Man hat hier ein Vorhaus, eine Kirche, einen Speisesaal, Wohnungen der Diakonissen und Korridore von einer Ausdehnung, die fast den Glauben erweckt, als wäre die nächste Bestimmung der Anstalt die, eine Art Pensionat, oder Stift oder Kloster zu sein, das sich nebenbei mit Krankenpflege beschäftigt. Ohne Zweifel ist auch die Anlage des Unternehmens auf eine ähnliche Voraussetzung begründet. Bethanien soll eine Demonstration der werktätigen christlichen Liebe sein; die Kranken, mag auch für sie noch so vortrefflich gesorgt werden, nehmen gewissermaßen die zweite Stelle ein.“
Gutzkow besuchte auch die Krankenzimmer von Kindern: „Abgezehrte oder aufgedunsene kleine Gestalten lagen in ihren Bettchen und spielten auf einem vor ihnen aufgelegten Brette mit bleiernen Soldaten und hölzernen Häuserchen. Ein blasser Knabe, der an der Zehrung litt und vielleicht in einigen Wochen stirbt, reichte freundlich grüßend die Hand. Einen andern hatt‘ ich gut auf den Sonnenschein, der lachend in die Fenster fiel, auf die Lerchen, die schon draußen wirbelten, auf ein baldiges freies Tummeln im erwachenden Frühling vertrösten, der Kleine litt am Rückenmark und wird nie wieder gehen können.“ Viele Kranke werden von den Armenärzte eingewiesen, für rund 500 solcher Patienten übernimmt die Stadt Berlin die Kosten.
Rund um das Bethanien entstehen in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts Wohnhäuser. In der Mariannenstraße 11 wohnt 1865 der Drechsler R. Becker, am Mariannenplatz 5 der Polizei-Wachtmeister L.F. Klatt, zwei Häuser weiter der Schlächter A. Klewitz. Einen Maurermeister und einen Tischler- und Stuhlmacher verzeichnet das Adressbuch am Mariannenplatz. Zwischen Mariannenplatz und Schlesischem Tor entsteht die „Kreuzberger Mischung“: Wohnhäuser mit mehreren Hinterhöfen. Im Vorderhaus wohnen gut situierte Handwerker und Beamte, auf den Höfen gibt es Gewerbe, in den Hinterhäusern wohnen die Arbeiter. Die preußische Bauordnung von 1853 sorgt sich nicht um deren Wohnbedingungen. Nur weil es im Notfall möglich sein muss, eine Feuerspritze zu wenden, wird eine Mindestgröße der Höfe von 5,30 Metern mal 5,30 Metern festgelegt. Das ermöglicht schmale Vorderhäuser, was Bauherren Geld spart. Denn die Besteuerung, aus der die Erschließungskosten der neuen Wohnquartiere bezahlt werden, richtet sich nach der Breite der Häuser zur Straßenseite hin.
1870 arbeiten im Bethanien fünf Ärzte, einige Krankenpfleger und etwa 70 Diakonissen und Probepflegerinnen. Das Berliner Mutterhaus hat in den ostelbischen Provinzen inzwischen mehr als 30 Gemeinde- und Krankenpflegestationen eingerichtet, in denen Diakonissen aus Berlin arbeiten. Ihre Arbeit trägt mit zur Finanzierung von Bethanien bei, das seit 1864 keine jährlichen Zuschüsse mehr erhält, sondern mit rund 10.000 Talern Zinseinnahmen auskommen muss, die aus einer einmaligen Zuwendung von 250.000 Talern stammen.
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