Der Zukunft zugewandt: Jeanette Wolff

Cover "Jeanette Wolff 1888 - 1976"

Cover „Jeanette Wolff 1888 – 1976“

„Als gestandene Sozialdemokratin, Jüdin und Holocaust-Überlebende trotzte sie den Nationalsozialisten und Kommunisten. Jeglicher Totalitarismus war ihr zuwider.“ So beschreibt Ralf Wieland, Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Jeanette Wolff in seinem Geleitwort zu einer neuen Veröffentlichung über das bewegte Leben der Berliner Politikerin.

Erschienen ist die Broschüre „Jeanette Wolff 1888-1976“ in der Schriftenreihe des Berliner Abgeordnetenhauses. Autor Klaus Bästlein, Jurist und Historiker, beschreibt darin ihren Lebensweg und rückt auch Aspekte ins Licht, die seiner Einschätzung nach in bisherigen Veröffentlichungen zu kurz kamen, etwa ihre Zeit im Ghetto Riga, ihre KZ-Haft und ihr Engagement in der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Jeanette Wolff wurde 1888 in Bocholt als Tochter von Dina und Isaac Cohen geboren. Die sozialdemokratische und jüdische Familie lebte in einem ärmlichen Umfeld, als 16jährige kam Jeanette Wolff nach Brüssel, begann eine Ausbildung als Kindergärtnerin, die sie mit Auszeichnung abschloss, trat in die sozialdemokratische Partei ein. Sie heiratete, brachte eine Tochter zur Welt, die nur wenige Monate später starb. Auch ihren Mann verlor sie kurz darauf durch Krankheit. 1909 machte sie das Abitur. 1911 heiratete sie Hermann Wolff, der wie sie aus einer jüdischen Familie stammte und am Vorabend der Hochzeit der SPD beitrat. Drei Töchter wurden geboren, Jeanette Wolff blieb politisch aktiv, galt als brillante Rednerin. Als ihr Mann im 1. Weltkrieg kämpfte, versorgte sie die Familie und engagierte sich für die junge Republik.1919 zog sie als erste Jüdin in den Stadtrat von Bocholt ein.

Es folgten Reden auf den SPD-Parteitagen, auf vielen Versammlungen, sie war Mitbegründerin der Arbeiterwohlfahrt, ihr Haus war Treffpunkt der Arbeiterkinder aus der Umgebung. Die Nazis verhafteten sie noch im März 1933, nahmen sie in „Schutzhaft“.  Die jüdische Familie war zahlreichen Verfolgungen ausgesetzt, Tochter Käthe wurde ins KZ Ravensbrück gebracht, aus dem sie nicht zurückkehrte. Jeanette Wolff, ihr Ehemann und die beiden älteren Töchter wurden ins Ghetto Riga deportiert. Die Erinnerungen an diese Zeit in Riga und im KZ Stutthof hat Jeanette Wolff 1946 in Berlin niedergeschrieben. „Sadismus oder Wahnsinn“, so der Titel ihres Berichts. Bästlein gibt einen bedrückenden Einblick. Jeanette Wolffs Überleben, so Bästlein, grenzte an ein Wunder.


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Mit ihrer Tochter Edith kam Jeanette Wolff, befreit von der Roten Armee, im Januar 1946 nach Berlin und meldete sich bei der SPD. Sie arbeitete für die Zeitung „Sozialdemokrat“ und wurde in der Jüdischen Gemeinde aktiv. In den ersten Monaten des Jahre 1946 kämpfte sie mit Franz Neumann und anderen gegen den vom SPD-Zentralausschuss um Otto Grotewohl forcierten Zusammenschluss der SPD mit der KPD. Eine Urabstimmung in den westlichen Berliner Bezirken machte die Ablehnung der Zwangsvereinigung deutlich, im Ostteil Berlins verhinderten die Sowjets die Abstimmung und setzten die Bildung der SED durch

Die SPD konnte weiterbestehen, Jeanette Wolff wurde in den neuen Vorstand gewählt. Im Oktober zog sie in die Stadtverordnetenversammlung ein – nach einem, so Bästlein „Triumph der Parteien, die für Freiheit und Demokratie standen“. Die   Auseinandersetzungen in Berlin nahmen an Schärfe zu, 1948 wurde Jeanette Wolff nach einer Sitzung der im Ostteil tagenden Stadtverordnetenversammlung von kommunistischen Demonstranten tätlich angegriffen.

Die Spaltung der Stadtverwaltung war nicht mehr aufzuhalten, 1948 fanden Wahlen nur noch im Westteil statt, die SPD erzielte überragende 64,5 Prozent der Stimmen. Jeanette Wolff wurde wiedergewählt, sie engagierte sich in der Gewerkschaft und in der Frauenpolitik, kümmerte sich um die Belange von NS-Opfern, vielen Einzelfällen ging sie in ihren Sprechstunden nach.

Als Berliner Vertreterin im Bundestag kämpfte sie beharrlich für eine höhere Entschädigung der NS-Opfer und stellte Vergleiche mit den Rentenzahlungen für die ehemaligen Offiziere Hitlers an. Forderungen, die an der CDU scheiterten.  Empört stellte sie fest, dass die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen kaum vorankam, dass Nazis wieder öffentlich in Erscheinung traten. Bästlein verlängert Jeanette Wolffs mahnenden Blick auf diese Entwicklung in die Gegenwart und verweist auf über 200 durch Rechtsextremisten ermordete Menschen seit 1990.

Bästlein zeichnet das Bild einer selbstbewussten Frau, die trotz vieler Schicksalsschläge und persönlicher Verluste für ihre Ideen weiterkämpfte. „Jeanette Wolff blieb optimistisch und der Zukunft zugewandt“, so Klaus Bästlein. Bis zuletzt war sie aktiv, am 19. Mai 1976 starb sie im Jüdischen Krankenhaus. „Jeanette Wolffs Leben bleibt eine Aufforderung, in Deutschland den Antisemitismus als besonders menschenverachtende Ideologie endlich konsequent zu bekämpfen“, so Bästlein im Epilog.

Die Publikation umfasst 66 Seiten und ist kostenfrei erhältlich. Sie kann per E-Mail im Referat Öffentlichkeitsarbeit unter oeffentlichkeitsarbeit@parlament-berlin.de oder telefonisch 030 2325 1064 bestellt werden.

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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