Er hat auffällige Spuren in der Stadt hinterlassen. Nicht immer gefällige, manchmal umstrittene, aber auch imposante. Als Architekt war Hermann Henselmann an etlichen Großprojekten Ost-Berlins beteiligt. 1981 ist in der DDR sein Buch „Drei Reisen nach Berlin“ erschienen, darin berichtet er über sein Leben, seine Erfahrungen, sein politisches und gesellschaftliches Verständnis und seine architektonischen Vorstellungen. Es endet zwar mit seiner dritten Ankunft in Berlin – also vor der Verwirklichung seiner Berliner Bauprojekte. Aber es trägt dennoch viel zum besseren Verständnis seiner Arbeiten bei.
Henselmann entwarf so unterschiedliche Gebäude wie die Turmbauten am Frankfurter Tor und am Strausberger Platz, den Gasthof Zenner, das Haus des Lehrers am Alexanderplatz und die benachbarte Kongresshalle, von ihm stammt die Idee für den Bau des Berliner Fernsehturms. Angefangen hatte alles mit einer Schreinerlehre im väterlichen Betrieb. Seine erste Reise nach Berlin führte ihn dann zum Studium an die Handwerker- und Kunstgewerbeschule Berlin. Er arbeitete für Architekturbüros, beteiligte sich an Wettbewerben. Anfang der dreißiger Jahre erhielt er den Auftrag zum Bau einer Villa in der Schweiz, er experimentiert mit Beleuchtung, auch die Möbel entwirft er.
Der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright, Walter Gropius und Le Corbusier sind Vorbilder. Henselmann ist aber auch beeindruckt von der russischen Revolution, von der Idee, Kunst und Bauen an den Interessen der arbeitenden Bevölkerung auszurichten. Die Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin entstandenen Mietskasernen mit ihren dunklen Hinterhöfen sind abschreckendes Beispiel für eine am Profit weniger Hausbesitzer orientierte Architektur. Abriss und Neubau sind ernsthafte Überlegungen der jungen Architekten, lichtdurchflutete Wohnungen in Hochhäusern und Wohnblöcke mit Grünanlagen sollen die Alternativen sein. Architekten glauben, die Scheidungsraten senken zu können, wenn die Wohnungen so gestaltet sind, dass Frauen ihrer Hausarbeit darin mit Freude nachgehen können.
Henselmann baut zu Beginn der dreißiger Jahre – orientiert an der Moderne – zunächst Einfamilienhäuser in Kleinmachnow und 1934–1935 das Wohnhaus vom Hoff Auf der Weinmeisterhöhe in Berlin-Gatow. Das entgeht, weil zu modern, nur knapp dem von den Nazis geforderten Abriss. Henselmann arbeitet bis 1945 in verschiedenen Architekturbüros, plant Funktionsgebäude, baut zerstörte Bauerngehöfte im Wartheland auf, entgeht so mit seiner Familie weitgehend der Verfolgung und der Einberufung zum Kriegsdienst.
All die Jahre bewegt sich Henselmann in einem Kreis von prominenten kritischen Künstlerinnen und Künstlern, die den Größenwahn der Nazi-Architektur ablehnen und Architektur und Kunst als Einheit empfinden, die dem Menschen zu dienen hat. Einige von ihnen überleben die Nazizeit nicht, einige emigrieren, mit anderen werden Pläne für die Zeit nach dem Ende der Diktatur gemacht. Mit dem Kriegsende und der Befreiung verbindet Henselmann die Hoffnung auf einen Neuanfang, auf die Verwirklichung der hehren Ziele, die von den Architekten vor der Machtübernahme der Nazis entwickelt worden waren, unterstützt von der sowjetischen Militäradministration. Er wird Stadtbaurat in Gotha und baut dann die Hochschule für Baukunst und bildende Künste in Weimar auf. Neben der Theorie ist die Praxis für Henselmann ein entscheidender Faktor der Ausbildung. Rasch muss neuer Wohnraum geschaffen werden, für die Ausgebombten, für die Geflüchteten. Dazu müssen junge Architekten mit einer neuen Denkweise ausgebildet werden. Industrielles Bauen ist nun notwendig, dazu werden Verfahren entwickelt.
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Henselmann verschreibt sich dem Neuanfang, wie er in der DDR möglich erscheint, noch ist auch linientreues Denken kein Thema. „Der subalterne Kopfnicker bei der Erörterung von Beschlüssen, für deren Durchführung man verantwortlich ist, wird unter guten Kommunisten gar nicht so geschätzt, wie manche denken“, notiert Henselmann über eine Auseinandersetzung mit SED-Funktionären. Er beschreibt, dass Freunde der KPD beitreten, andere sie verlassen. Manche verlassen im beginnenden kalten Krieg auch die DDR. Über die unter Druck erfolgte Vereinigung von KPD und SPD verliert er kein Wort, aber er beobachtet auch, wie ein erklärter Kommunist denunziert und intrigiert.
In Berlin wird Henselmann 1949 Abteilungsleiter am Institut für Bauwesen der Deutschen Akademie der Wissenschaften. Mit seinen Bauten an der Stalin-Allee zieht in den fünfziger Jahren der Sozialistische Realismus in Ost-Berlin ein, es ist allerdings Henselmanns zweiter Entwurf, nachdem der erste, noch an der Moderne orientierte, eine heftige politische Auseinandersetzung ausgelöst hatte. Henselmann liefert schließlich, was für die sozialistische Prachtstraße gefordert wird, er führt die industrielle Bauweise ein und er übersteht auch die nach Stalins Tod eintretende Kehrtwende. Ab1953 ist er Chefarchitekt Ost-Berlins. Sein „Haus des Lehrers“ zeigt die Abkehr vom stalinistischen Neoklassizismus, Henselmann orientiert sich wieder an der Moderne, er entwirft Hochhäuser für die Innenstädte von Leipzig und Jena. Er fühlt sich der sozialistischen Idee verpflichtet, blickt aber stets auch über die enger werdenden Grenzen der DDR hinaus. 1972 beendet er seine Tätigkeit als Chefarchitekt des Instituts für Städtebau und Architektur der Bauakademie als, 1995 stirbt er kurz vor seinem 90. Geburtstag. Begraben ist er in Zehlendorf, im ehemaligen West-Berlin.
Drei Reisen nach Berlin, der Lebenslauf und Lebenswandel eines deutschen Architekten im letzten Jahrhundert des zweiten Jahrtausends. 336 S, Henschel, Berlin 1981.