Es sind gestochen scharfe Aufnahmen. Seine Fotografien bieten den Blick auf Straßen, Plätze, auf den Verkehr, die Wohnhäuser und Kirchen, die städtischen Gebäude. Max Missmann (1874 – 1945) fotografierte in der Zeit um 1900 bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts eine Stadt, die gerade zur Metropole wurde, das neue „Groß-Berlin“. In seinen letzten Lebensjahren erlebte er mit, wie das, was er so umfangreich dokumentiert hatte, zerstört wurde, darunter auch sein eigenes Atelier.
Die Fotografie hatte im 19. Jahrhundert rasch an Bedeutung gewonnen, sie brachte Porträts von Herrschern in die Wohnzimmer, dokumentierte Katastrophen und Kriege, zeigte Sehenswürdigkeiten ferner Länder. Aber sie hielt auch fest, was früher der Malerei vorbehalten war: die Abbildung der Stadtlandschaft.
Als Max Missmann im Juni 1874 in Berlin geboren wurde, hatte der Fotograf Friedrich Albert Schwartz bereits seit 14 Jahren ein eigenes Atelier an der Friedrichstraße. Schwarz fotografierte Industrieanlagen, Maschinen und die Architektur der Stadt. Seine Arbeiten erzählten Stadtgeschichte, er fotografierte etwa den Bau des Anhalter Bahnhofs und der Berliner Stadtbahn. In der Jägerstraße hatte der Fotograf Hermann Rückwardt ab 1868 ein Atelier. Schwartz und Rückwardt, beide mit dem Titel Hof-Photographen ausgewiesen, dokumentierten die Veränderungen im Zentrum der Residenz, Rückwarth veröffentlichte seine „architektonische Studienblätter“ mit Abbildungen von Gebäuden und ihren Fassaden, er hielt die neu entstehenden Villen im Berliner Umland im Bild fest. Mit Georg Bartels (1843 – 1912) fotografierte ein dritter bedeutender Lichtbildkünstler die Stadt um die Jahrhundertwende, ihn interessierten neben der Architektur auch die Menschen. Er stand in den Diensten des Märkischen Provinzialmuseums in Berlin, auch Schwartz und Rückwarth lebten vielfach von öffentlichen Aufträgen, u.a. für das Berliner Straßenbauamt, die Bibliothek des Magistrats oder die Preußische Staatsbibliothek.
Max Missmann gehörte – wie auch Waldemar Titzenthaler (1869 – 1937) – der nächsten Generation von Berliner Fotografen an, die beeinflusst von den Arbeiten von Schwartz, Rückwardt oder Bartels neue Motive in der Stadt entdeckten. Der Sohn eines Uhrmachers, der zunächst eine Lehre als Dekorateur begonnen hatte, eröffnete nach seiner Ausbildung zum Fotografen 1903 ein Foto-Atelier in der Skalitzer Str. 45. Missmann veröffentlichte seine Aufnahmen in Architektur-Zeitschriften und Kalendern, viele seiner Motive wurden als Postkarten gedruckt. Das Geschäft war anfangs mühselig: Ganze 77,50 Mark erhielt Missmann vom Märkischen Museum für 31 Abzüge mit Stadtansichten u.a. des Krögels.
Mehr als tausend Originalabzüge Missmanns mit Berliner und Brandenburger Motiven kamen bis 1943 in den Besitz des Museums. Das erwies sich als Glücksfall, denn das Atelier Missmanns, das sich wie die Wohnung der Familie zuletzt in der Gneisenaustraße 22 befand, wurde im Januar 1944 durch einen Bombenangriff zerstört. „So ist nun die Arbeit von vier Jahrzehnten vergebens“, schrieb Missmann in einem von ihm gestellten Entschädigungsantrag. Nur wenige Monate nach Kriegsende, im Oktober 1945, starb Missmann. Der Wert der noch erhalten gebliebenen Glasplatten-Negative wurde nicht erkannt – bei der Instandsetzung des Hauses wurden sie abgewaschen und 1945/46 an einen Glaser verkauft.
Erst mehr als 40 Jahre nach seinem Tod wurde das in den Beständen des Märkischen Museums erhaltene fotografische Werk Missmanns für die Öffentlichkeit wiederentdeckt und gewürdigt. 1987 erschien der von Wolfgang Gottschalk herausgegebene Bildband „Alt-Berlin. Historische Fotografien von Max Missmann“ (Kiepenheuer, Leipzig & Weimar 1987, ISBN 3-378-00031-7), 1991 der ebenfalls von Wolfgang Gottschalk herausgegebene Band „Das große Berlin. Max Missmann, Photographien 1899–1935“ (Argon, Berlin 1991, ISBN 3-87024-176-4). Im Juni und Juli 1989 würdigte die Berlinische Galerie Missmann mit einer ersten Ausstellung im Martin-Gropius-Bau. „Vor zehn Jahren“, so Wolfgang Gottschalk 1991 in seiner Einführung zum Fotoband „Das große Berlin“, „waren nicht einmal Geburts- und Todesdatum Missmanns zu ermitteln, geschweige denn Lebens- und Arbeitsumstände.“
Gottschalk, ab 1975 in der Öffentlichkeitsarbeit des Märkischen Museums tätig, hat diese Lücke zumindest etwas geschlossen. Der Fotoband „Das große Berlin“ zeigt einen beeindruckenden Ausschnitt aus der Arbeit Missmanns: Panoramen des Alexanderplatzes, die Geschäftsstraßen, Bauten wie die Jungfernbrücke, den Tunnelbau unter der Spree für die U-Bahn, den Wachaufzug Unter den Linden. Häufig blickt der Fotograf von einer erhöhten Position auf die Kreuzungen und Plätze, er zeigt die Straßenführung und die Anlage der Grünanlagen. Er beschränkt sich nicht auf das Stadtzentrum des alten Berlin, sondern geht auch in die damals noch selbständigen Städte wie Schöneberg oder Charlottenburg, die erst 1920 zum neuen „großen Berlin“ zusammengeführt werden, er fotografiert die Dorfaue Müggelheim, den Kietz in Köpenick, die Dorfkirchen rund um Berlin. Auf seinen Straßenszenen sind mitunter auch Flaneure zu erkennen, Personenaufnahmen bleiben aber die Ausnahme.
Missmann hatte seine Aufnahmen mit einem „Bilderzeichen“ gekennzeichnet, das neben dem doppelten M für seinen Namen auch Datum und Negativnummer enthielt. So ist die Zuordnung stark erleichtert. Der Fotoband liefert zudem im Bildtext ausführliche Ortsangaben und räumliche Orientierungen.
Nachtrag:
Nicht alle Glasplatten-Negative von Max Missmann gingen in der Kriegs- und Nachkriegszeit verloren. Darüber hat uns Mario Kacner, Fotograf und Grafikdesigner (ehem. Stiftung Preuss. Kulturbesitz) am 9. Juni 2021 informiert. „Ich war bis heute im Besitz von 58 original signierten und überwiegend gut erhaltenen Glasplatten (18×24 bzw. 24×30 cm), die ich soeben dem Stadtmuseum Berlin als Spende übergeben habe“, so Mario Kacner „Es handelt sich um Aufnahmen aus dem Berlin der Kaiserzeit bis in die 30er Jahre sowie aus Hamburg. Die Signatur ist auf den Platten gut erkennbar.“
(Danke für die Information!)