Von den „goldenen zwanziger Jahren“ Berlins ist hier nichts zu spüren. Die Kamera blickt aus der Vogelperspektive in düstere Weddinger Hinterhöfe, fährt entlang der bröckelnden Fassaden und zeigt auf dem Asphalt spielende Kinder. Der Film „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“, im Herbst 1929 gedreht, führt in die Enge der Berliner Mietskasernen, er zeigt Armut und Hoffnungslosigkeit.
Die Idee zum Film stammt von Heinrich Zille, der mit seinen liebevoll karikierenden Zeichnungen in Berlin große Bekanntheit erreicht hatte. Der Weddinger Maler Otto Nagel entwickelte daraus ein Filmexposé, das er an die Prometheus-Filmgesellschaft schickte, ein Unternehmen, das der kommunistische Medienunternehmer Willi Münzenberg mitbegründet hatte. Prometheus vertrieb zahlreiche sowjetische Filme, produzierte aber auch eigene Spielfilme. Nach Zilles Tod im August 1929 realisierte Prometheus den Film in atemberaubender Geschwindigkeit: Noch am 30. Dezember 1929 wurde der Spielfilm „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ bereits im Berliner Alhambra-Kino am Kurfürstendamm uraufgeführt.
Als Regisseur wählte Prometheus Piel (Phil) Jutzi, einen 33jährigen Kameramann und Regisseur, der für die Produktionsfirma bereits „Kladd und Datsch, die Pechvögel“ (1926) oder den Dokumentarfilm „Die rote Front marschiert“ (1927) gedreht hatte. Von der Ästhetik lehnte sich Jutzi bei „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ an sowjetische Vorlagen an. 1931 verfilmte Jutzi Döblins „Berlin Alexanderplatz“. Dann wandelte sich seine Gesinnung: Im März 1933 trat er in die NSDAP ein.
Gedreht wurde „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ in den Jofa-Ateliers in Berlin-Johannisthal und im Wedding. Beratend wirkten drei Künstler am Film mit, die den Alltag in den Arbeiterbezirken gut kannten: Käthe Kollwitz, der Sozialdemokrat Hans Baluschek und der Kommunist Otto Nagel.
Der mehr als zweistündige Stummfilm zeigt in bedrückender Weise die Lebensverhältnisse in der engen Weddinger Wohnung von Mutter Krause, ihre Hoffnungen und Träume. Auf wenigen Quadratmetern in Stube und Küche lebt sie mit ihrer Tochter Erna und ihrem Sohn Paul sowie dem Schlafburschen, dessen Braut Friede und deren kleiner Tochter. Friede verdient ihr Geld als Prostituierte, der Schlafbursche nimmt ihr das Geld ab und lebt von kleineren Gaunereien. Paul verdient ein wenig mit Gelegenheitsarbeiten und vertrinkt sein Geld in der Kneipe in der Nachbarschaft.
Erna verliebt sich in einen engagierten sozialistischen Arbeiter, während Paul auch das Zeitungsgeld vertrinkt, das seine Mutter gerade von den Abonnenten einkassiert hat. Kann sie es nicht zurückzahlen, droht ihr das Gefängnis. Tochter Erna will das Geld durch Prostitution zusammenbekommen, ekelt sich aber im letzten Moment davor. Der Schlafbursche beteiligt Paul schließlich an einem Einbruch, der im Fiasko endet.
Alle wollen aus ihren unwürdigen Lebensumständen ausbrechen. Die Wege sind unterschiedlich. Alkohol, Kriminalität, Prostitution sorgen für kein wirklich besseres Leben. Tochter Erna schließt sich den demonstrierenden Arbeitern auf der Straße an, ihr Ausweg ist der Klassenkampf.
Die gutmütige Mutter Krause, die lange nicht wahrhaben will, dass ihr Sohn kriminell geworden ist, wählt einen individuellen Ausweg. Sie dreht den Gashahn auf und nimmt dabei ganz bewusst auch der schlafenden Tochter der Prostituierten das Leben: „Was hast Du armet Wesen auf dieser Welt zu verlieren. Komm, Du fährst mit Mutter Krause ins Jlück.“
„Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ gehört zu den „proletarischen Filmen“, die zwischen 1925 und 1933 entstanden. Die realistische Darstellung der Lebensverhältnisse und die berührenden Schicksale der Protagonisten haben den Film auch zu einem Zuschauererfolg werden lassen. 1933 wurde er von den Nazis verboten, die meisten Kopien wurden vernichtet. Eine gekürzte Fassung tauchte nach dem 2. Weltkrieg im Archiv der dänischen Zensurbehörde auf. Sie wurde 1957 im Ost-Berliner Kino „Babylon“ erstmals wieder gezeigt. Seit 2012 gibt es eine nach dem Drehbuch restaurierte Fassung, die bis auf wenige Minuten dem Originalfilm entspricht.
„Mutter Krausens Fahrt ins Glück“, Deutschland 1929, R: Phil Jutzi, D: Alexandra Schmitt, Holmes Zimmermann u.a., 133 min. FSK: ab 12.
Buchtipp: Frey, Walter (Hrsg.): Das Buch zum Film „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“. Piel Jutzis revolutionärer Film von 1929: Geschichte, Analyse und Kritik, Wedding-Bücher, Berlin 2019, ISBN 978-3-946327-21-9.
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