SPD-Landesparteitag vom 13. März 1993: Protokoll

Protokoll
Landesparteitag der SPD, Landesverband Berlin,
Sonnabend, den 13. März 1993, Kongresshalle am Alexanderplatz

                                                                              

Beginn: 9.45 Uhr

Punkt 1 der Tagesordnung

Eröffnung und Begrüßung

Monika Höppner

Monika   H ö p p n e r   : Liebe Genossinnen und Genossen! Ich begrüße euch ganz herzlich zu unserem Landesparteitag. Es ist das erste Mal nach langen Jahrzehnten, dass die Berliner SPD wieder im Herzen der Stadt, im Zentrum, in Mitte, tagt. Ich begrüße euch!

(Beifall)

Es ist vielleicht etwas enger als im gewohnten ICC, aber es passt vielleicht auch gut in die Zeit. Zusammenrücken ist die Devise, und wir fangen an.

Wie in dieser Republik das Zusammenrücken stattfindet, darüber haben in den vergangenen beiden Tagen die Ministerpräsidenten, die Bundesregierung und die Parteien heftig gestritten. Es geht an das Eingemachte. Aber in einem haben wir uns schon durchgesetzt: dass die Sozialhilfe und die Arbeitslosenunterstützung für die Ärmsten der Armen nicht gekürzt werden. Das, glaube ich, hat etwas damit zu tun, dass wir es endlich einmal geschafft haben, an einer Stelle Konsequenz zu zeigen.

Wir Sozialdemokraten haben ein klares Bekenntnis. Wir streuen den Menschen keinen Sand in die Augen, sondern wir sagen ihnen: In den nächsten Jahren gibt es nichts zu verteilen. Aber wenn geteilt werden muss, dann sozial gerecht.

Ein weiteres: Wir müssen uns dagegenstemmen, dass die rechten Kräfte in dieser Republik diese Krise schamlos ausnutzen, um eine gesellschaftliche Wende durchzudrücken. Hier, glaube ich, haben wir Sozialdemokraten noch viel zu tun.

Es ist nicht so leicht, wie sich das viele denken. Das bestürzende Wahlergebnis von Hessen hat gezeigt: Es gibt nicht nur Defizite in der öffentlichen Darstellung unserer Politik. Nein, die Hessenwahl hat auch gezeigt, dass unser Programmziel, soziale Gerechtigkeit, von den Menschen nicht unbedingt mit der SPD in Verbindung gebracht wird. Die tiefe Resignation vieler abgedrängter Menschen in Ost und West zeigt: Helmut Kohls Politik der Entsolidarisierung treibt unsere Wählerschaft auseinander. Im kommenden Jahr ‑ nicht erst im kommenden Jahr, sondern wir müssen heute schon anfangen ‑ wird es darum gehen, unsere Vorstellungen einer solidarischen und gerechten Gesellschaft offensiv zu vertreten. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass die sozialen Standards so gedrückt werden, dass eine große Zahl von Menschen aus der Gesellschaft herausgedrängt wird,

(Beifall)

dass diese Menschen sich zurückziehen oder gar die REPs wählen. Es geht nicht nur darum, dass wir uns um die Ärmsten der Armen kümmern, sondern auch um den Mittelstand. Der Mittelstand muss in einer Größenordnung zur Kasse gebeten werden, die wir nicht mehr vertreten können, und für die müssen wir jetzt auch einstehen. Unsere Kompromissbereitschaft beim Solidarpakt hat dort ihre Grenzen, wo die Standards angegriffen werden.

Wir können als Sozis nicht weiter hinnehmen, dass Studenten beim Bafög, Alleinerziehende bei den Kindergärten zurückstecken müssen.

(Beifall)

Wir müssen beim Leitantrag darüber reden, wie wir uns in Berlin das konkret vorstellen. Ich bitte euch dassei um eine faire und sachliche Debatte und auch in allen anderen Fragen dieses Parteitags.

Für einen Eröffnungsredner eines Parteitages ist es eine unangenehme Aufgabe, eines Verstorbenen zu gedenken.

(Die Delegierten erheben sich von den Plätzen.)

Erneut haben wir um einen ‑ im besten Sinne ‑ verdienten Genossen zu trauern. Gestern haben wir Abschied genommen von Robert Zeiler, dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten. Kurz vor Vollendung seines 70. Lebensjahres wurde er plötzlich aus unserer Mitte gerissen. Bis zuletzt war er aktiv als Antifaschist und Demokrat. Robert Zeiler war ein Mensch, der uns vorgemacht hat, wie man ein schweres Schicksal meistern kann. Er, der Buchenwald gleich zweimal erdulden musste, zuerst als KZ‑Häftling und dann als Internierter der sowjetischen Besatzungsmacht, hat sich nicht resigniert zurückgezogen, sondern hat sich Zeit seines Lebens dafür eingesetzt, dass sich all diese Schrecken nicht wiederholen mögen. Wir wollen und wir werden Robert Zeiler nicht vergessen. ‑ Ich danke allen Genossen für ihr Gedenken.

Bevor wir mit den Beratungen beginnen, möchte ich nicht versäumen, euch als erstes zu sagen, dass wir vorhaben, heute um 24 Uhr die Tagung zu beenden.

(Beifall und Heiterkeit)

Es liegt also nicht am Präsidium oder am Landesvorstand, wenn es länger dauert. Es liegt an uns allen, wie wir diskutieren.

Aber bevor wir beginnen, möchte ich die Liste der zahlreichen Gäste vorlesen. Der erste Gruß gilt natürlich Freunden und Gästen aus unserer Stadt und den Nachbarorten im Land Brandenburg.

(Beifall)

Ein weiterer Gruß gilt unseren Ehrengästen und Senioren.

(Beifall)

Wir begrüben heute Vertreter der Botschaften und Konsulate aus Amerika, Bulgarien, Frankreich, Polen, der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik sowie aus Ungarn.

(Beifall)

Wir möchten besonders begrüben den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Berlin‑Brandenburg, Herrn Wohllebe,

(Beifall)

sowie die Vertreter des Landesrechnungshofes Berlin.

(Beifall und Heiterkeit)

Ich begrübe ferner die Vertreter der Gewerkschaften IG Metall,

(Beifall)

IG Bau‑Steine‑Erden,

(Beifall)

der IG Bergbau und Energie,

(Beifall)

die Vertreter der ÖTV,

(Beifall)

die Vertreter der Gewerkschaft der Polizei ‑ GdP ‑ sowie die Vertreter des Hauptpersonalrates und des Deutschen Beamtenbunds.

(Beifall)

Aus kirchlichen Kreisen begrüben wir die Vertreter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

(Beifall)

sowie des Diözesanrates der Katholiken im Bistum Berlin.

(Beifall)

Ferner möchten wir die Vertreter des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, des Bundes deutscher Hirnbeschädigter, des Verbandes deutscher Kriegsopfer sowie der Arbeiterwohlfahrt und des Arbeiter‑Samariter‑Bundes begrüben.

(Beifall)

Die Vertreter des Amerika‑Hauses, des Landessportbundes, des Landesverbandes Berlin der Gartenfreunde e. V. sowie des Deutschen Freidenker Verbandes und des Landesschulbeirates sind uns ebenfalls herzlichen willkommen.

(Beifall)

Ich möchte begrüben die Vertreter der Arbeitsgemeinschaft privater Berliner Verkehrsverbände sowie des Zentralverbandes Mittel‑ und Ostdeutscher e. V.

(Beifall)

Ein letzter Gruß ‑ weil sie so sehr zahlreich vertreten sind ‑ gilt den Vertretern der Presse, des Funks und des Fernsehens.

(Beifall)

Bevor ich den Landesparteitag für eröffnet erkläre, möchte ich noch eines tun: Wir haben beim vorigen Landesparteitag als Landesgeschäftsführer Reinhard Rob gewählt. Er hat eine andere Tätigkeit aufgenommen. Ich möchte ihn in diesem Rahmen auch wieder verabschieden und ihm für die Arbeit im Landesvorstand ganz herzlich danken; denn er hat auch so manche Mark eingespart.

(Beifall)

Jetzt sollten ganz spontan Blumen kommen. Reinhard, ich hoffe, dass sie irgendwann bis zu dir kommen.

Nachdem wir Ehrengäste begrübt haben und die Vertreter der Presse, wünschen wir uns als Landesvorstand, als SPD, eine faire Berichterstattung. Ich möchte allen jetzt schon sagen: Die Versammlung sieht auch schon ein Licht am Ende des Tunnels. ‑ In diesem Sinne erkläre ich den Landesparteitag für eröffnet.

(Beifall)

Präsidentin Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t : Vielen Dank, Monika. ‑ Monika hat vorhin darauf hingewiesen, wie schön es ist, dass wir wieder in Mitte tagen. Der Raum hat aber auch einen Nachteil: Er ist sehr klein und kompakt und trägt jedes einzelne Wort hervorragend überall hin. Ich bitte euch wirklich ‑ ich weiß, wie schwierig das ist : Versucht, euch zu disziplinieren und so wenig wie möglich im Saal zu reden. ‑ Monika möchte noch eine kurze Ansage machen.

 

Monika   H ö p p n e r   : Genossinnen und Genossen! Mir ist eben mitgeteilt worden, dass auch ein Vertreter einer sehr groben Organisation in Berlin unter uns weilt, nämlich das Deutsche Rote Kreuz, und wir wollen den Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes auch herzlich begrüben.

(Beifall)

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Lasst uns jetzt zu einigen organisatorischen Hinweisen kommen. Zuerst möchte ich euch bitten, in Zukunft nicht nur an eure Mitgliedsbücher zu denken, wenn ihr kommt, sondern auch an eure Delegiertenkarten. Wir haben das Problem, dass trotz etlicher Ersatzdelegiertenkarten die Karten im Tagungsbüro nicht ausreichen, weil eine lange Schlange von Delegierten ihre Karten vergessen hat. Das Tagungsbüro wird jetzt Gastkarten ausgeben, die entsprechend gekennzeichnet sind, damit die Genossinnen und Genossen überhaupt die Unterlagen bekommen und auch berechtigt sind, an den Abstimmungen teilzunehmen. Also noch mal weitergegeben von mir die dringende Bitte des Tagungsbüros: Macht es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leichter und denkt an eure Unterlagen.

Als erstes haben wir eine Umbesetzung im Präsidium vorzunehmen: Für den Genossen Ralf Wieland, dem wir herzlich danken, wird in Zukunft wieder der Genosse Bernd Schimmler, Wedding, die Geschäfte wahrnehmen.

(Vereinzelter Beifall)

Ich bitte euch dafür um euer Kartenzeichen. ‑ Gibt es Gegenstimmen? ‑ Enthaltungen? ‑ Mit einigen wenigen Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen ist Bernd Schimmler ins Präsidium gewählt, und ich bitte ihn, zu uns hochzukommen..

Ich habe euch auch mitzuteilen, dass die auf dem Jahresparteitag gewählten Kommissionen im Amt sind, jedoch noch einige Mitglieder nachzuwählen sind, und zwar für die Antragskommission Kurt Neumann als Vorsitzender ‑ wir machen das en bloc ‑ , Hermann Borghorst als stellvertretender Vorsitzender, Anke Reuther, Andreas Wehr und Monika Wissel als Beisitzer, Ralf Hillenberg für den Kreis Weißensee. Ich bitte euch dafür um euer Kartenzeichen. ‑ Gibt es Gegenstimmen? ‑ Enthaltungen? ‑ Gegen wenige Gegenstimmen so beschlossen.

Ich habe euch dann noch mitzuteilen, dass zum Beispiel aus den Kreisen Weißensee und Pankow bisher keine Mitglieder für die Wahlkommission oder die Mandatsprüfungskommission benannt wurden. Ich bitte die Kreisvorsitzenden, das möglichst umgehend nachzuholen, damit die Kommissionen korrekt und schnell arbeiten können. Wir wollen, wenn es geht, Monikas Versprechen, nur bis 24 Uhr zu tagen, unterbieten und vielleicht schon gar um 22 Uhr nach Hause gehen können.

(Heiterkeit)

Noch mal etwas zu diesem Raum: Es ist auch für mich, obwohl ich mir einbilde, relativ laut zu sprechen, sehr schwer, durchzudringen. Bitte versucht, leiser zu sein. Im übrigen hat auch die Größe des Raums beziehungsweise seine Kleinheit den Grund darin, dass der Landesvorstand ‑ von euch dieses Mal leicht kontrollierbar ‑ hinter uns sitzt,

(Vereinzelter Beifall)

deshalb immer leicht einsehbar ist. Es ist nicht etwa der Gedanke des sich selbst Erhöhens, sondern im Gegenteil, es hat mit den Platzgründen zu tun, und für euch ist es sicher ganz angenehm so.

Ich bekomme gerade gesagt, dass wir auch einen Geburtstag zu feiern haben. Ernst Wüst hat heute Geburtstag ‑ herzlichen Glückwunsch!

(Beifall)

Wir versuchen, unserem Landesrevisor zum Geburtstag das Geschenk zu machen, dass wir so schnell wie möglich mit unserer Tagung zu Ende kommen.

Bevor wir uns die neue Tagesordnung ansehen, vielleicht noch etwas zum Verfahren: Um den groben Berg an Anträgen möglichst präzise und schnell zu beraten, kommt aus der Antragskommission der Vorschlag, eine Konsensliste zur Hand zu nehmen.

(Beifall)

Der alte und neue Vorsitzende der Antragskommission, Kurt Neumann, hat eine Konsensliste vorgelegt, und zwar soll danach in Blöcken zu den einzelnen jeweiligen Themen beschlossen werden. Kurt wird das nachher zu den Anträgen jeweils noch erläutern. Ich gehe davon aus, dass dieses Verfahren eure Zustimmung findet, weil es der Beschleunigung und Straffung unserer Arbeit dient.

Weiter gibt es den Vorschlag, dass die Redezeit auf fünf Minuten begrenzt wird.

(Beifall)

Ich höre keinen Widerspruch.

Die Abgabefrist für Initiativanträge ist 10.30 Uhr. Sie müssen um 10.30 Uhr beim Präsidium vorliegen. Ich sage euch außerdem dazu, dass wir nach den Erfahrungen von den letzten Parteitagen aus der Antragskommission ein Verfahren vorgeschlagen bekommen haben, dass in der Antragskommission entschieden wird, welche Initiativanträge Dringlichkeit besitzen und auf dem Landesparteitag beraten werden sollen. Diese Anträge werden euch dann auch vorgelegt werden.

Zum Schluss habe ich euch noch zu sagen, dass die Kommissionen im Raum 331 tagen und die Kinderbetreuung im Raum 328 stattfindet.

Lasst uns dann die Tagesordnung ansehen, die euch in einer veränderten Form vorliegt. Neu eingefügt wurde der Punkt 3 a: „Soziale Gerechtigkeit und gleiche Lebensverhältnisse herstellen“ ‑ mit Referaten von Horst Wagner und Christine Bergmann zum Stopp der ABM‑Stellen. Ich bitte zu dieser so veränderten Tagesordnung um euer Einverständnis und um das Kartenzeichen. ‑ Gibt es Gegenstimmen? ‑ Enthaltungen? ‑ Dann ist die so veränderte Tagesordnung so beschlossen.

Letzter organisatorischer Hinweis: Um 10.30 Uhr treffen sich die Mitglieder der Antragskommission.

Wir kommen jetzt zu

Punkt 2 der Tagesordnung

Wahl einer Landesgeschäftsführerin/eines Landesgeschäftsführers

Es gibt einen Kandidaten für dieses Amt, das ist der Genosse Rudolf Hartung. Rudolf, ich bitte dich, dich vorzustellen.

Rudolf   H a r t u n g   : Liebe Genossinnen und Genossen! Wenn ich im Laufe meiner Rede zu schnell reden sollte, müsst ihr euch wehren; denn die Akustik ist ja hier wirklich so schlimm, dass man nur mit Mühe folgen kann. ‑ Ich bin 44 Jahre alt, bin in Hilden bei Düsseldorf geboren, Arbeiterkind, habe die Realschule besucht, dann in zweieinhalb Jahren Abitur gemacht, habe dann in Köln Geschichte, Germanistik, Philosophie und Pädagogik studiert, habe politisch angefangen an der Universität Köln, war da AStA‑Vorsitzender, habe später im Dachverband der Studentenschaften auf Bundesebene gearbeitet.

Bei den Jungsozialisten bin ich seit 1969. Ich bin in Köln in die SPD eingetreten, war dann in Ortsvereinsvorständen bei den Jungsozialisten und bin 1977 Bundessekretär der Jungsozialisten geworden.

Von 1982 bis 1984 bin ich Bundesvorsitzender der Jungsozialisten gewesen und arbeite seitdem beim Parteivorstand der SPD in Bonn.

Ich bin seit 1985 stellvertretender Abteilungsleiter der Abteilung Organisation und dort für Kampagnen, für Mitgliederwerbung, für Wahlkämpfe usw. zuständig.

Seit zwei Jahren bin ich überwiegend in den neuen Bundesländern tätig. Ich betreue beim Parteivorstand den Strukturhilfeetat, den die Mitglieder mit ihrem Solidaritätsbeitrag aufbringen. Ich habe 1990 den Landtagswahlkampf in Sachsen‑Anhalt organisiert und war zeitweise kommissarisch Landesgeschäftsführer in Sachsen‑Anhalt. ‑ Soweit zu meinem Lebenslauf.

Politisch habe ich mich bei den Jungsozialisten und danach unter anderem damit befasst, dass wir nach 1979 in der SPD den politischen Kurswechsel in der Frage der Raketen mit durchgesetzt haben. Ich war 1989 in Bonn mit acht, neun anderen an der Organisation der ersten groben Friedensdemonstration beteiligt. Ich habe mich sehr früh an der Diskussion über Energie‑ und Umweltpolitik in der Partei befasst, als damals die Frage Ökologie noch eine Links‑Rechts‑Entscheidung in der Partei war. Ich habe das Projekt „Arbeit und Umwelt“ auf Bundesebene wesentlich mitentwickelt, was dann hinterher programmatisch unter dem Punkt „ökologische Modernisierung“ in das Parteiprogramm gekommen ist.

‑ Ich muss gestehen, dass es ausgesprochen schwierig ist, hier oben zu reden, wenn sich die Hälfte von euch unterhält. ‑

(Beifall)

Ich habe, wie ihr meinem Lebenslauf entnehmen könnt, sehr lange hauptamtlich in der Partei gearbeitet. Mein Grundprinzip war aber immer ‑ und das wird es auch bleiben ‑, dass man neben der hauptamtlichen Tätigkeit für die SPD auch ehrenamtliche Funktionen wahrnehmen sollte, um nicht abgehoben ‑ wie ich in der ganzen Zeit beim Parteivorstand ‑ sich irgendetwas auszudenken, ohne dass es Realisierungsmöglichkeiten vor Ort gibt. Deshalb bin ich noch im Unterbezirksvorstand der Partei in Bonn und war bis vor einem Jahr Ortsvereinsvorsitzender in einem Ortsverein mit 195 Mitgliedern.

Ich bin Mitglied der Gewerkschaft HBV und bin stellvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei der SPD.

Das, was ich glaube bei euch einbringen zu können, sind im Wesentlichen die Erfahrungen, die ich bei der Organisierung von Kampagnen und Wahlkämpfen auf Bundesebene gemacht habe.

Das zweite ist aber das, was ich in den letzten beiden Jahren bei meiner Arbeit überwiegend in Sachsen‑Anhalt, aber auch in den anderen neuen Bundesländern gelernt habe. Ich glaube, das Hauptproblem, vor dem wir stehen und das wir in Berlin gemeinsam voranbringen müssen, ist das Zusammenwachsen der Bezirke in Ost und West unter Respektierung der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen. Ich sage ganz klar: Mein politisches Ziel und mein politisches Wollen ist, die SPD als demokratische linke Mitgliederpartei weiterzuentwickeln.

(Beifall)

Ich will ganz deutlich sagen: Ich halte nichts von Vorstellungen, dass man die SPD mit einem hauptamtlichen Apparat, mit hochbezahlten Beratern, aber mit einer inaktiven Mitgliedschaft auf Dauer gestaltend in der Bundesrepublik voranbringen kann. ‑ Das ist meine Grundposition, und dafür will ich dann auch etwas tun.

(Beifall)

Da sind wir dann bei der praktischen Frage in Berlin: Es ist klar, dass Mitgliedergewinnung und Stärkung der Organisation in den östlichen Bezirken eine Hauptaufgabe sein wird. Aber darüber dürfen wir nicht vergessen, dass wir es schaffen müssen, den Mitgliederverlust auch im Westteil der Stadt zu stoppen und neue Mitglieder hinzuzugewinnen. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Ich habe mir mal alte Statistiken herausgeholt und nehme mal den Bezirk Kreuzberg: In Kreuzberg gab es 1976 2293 Mitglieder, 1986 gab es 1449, und jetzt gibt es noch 1252. Ich könnte jeden anderen der westlichen Bezirke auch vorlesen; das unterscheidet sich nur in kleinen Teilen. Das heißt: Wenn wir die Organisation und die Partei handlungsfähig erhalten sowie bei den Abgeordnetenhauswahlen, bei den Wahlen zum Europaparlament und zum Bundestag im nächsten Jahr wirksamer sein wollen, dann müssen wir deutlich machen, dass die Berliner Partei neue Mitglieder will und neue Mitglieder braucht; denn zusätzliche Mitglieder sind auch Leute, die sich in der Diskussion in der Stadt für unsere Ziele einsetzen.

(Beifall)

Ich sehe als politische Schwerpunkte für den Osten, aber auch für den Westen, vier Themen: Das erste Thema ist die Arbeit. Da ist die aktuelle Auseinandersetzung die, dass wir Sozialdemokraten durchsetzen, dass dieser wahnsinnige Stopp bei der Besetzung von ABM‑Stellen aufgehoben wird.

(Beifall)

Das zweite Thema, was ich sehe ‑ und da sind wir zurzeit auf Bundesebene dabei, eine bundesweite Kampagne der SPD vorzubereiten ‑, ist das Problem: bezahlbare Wohnungen, lebenswerte Wohnungen. Das ist ein Thema nicht nur für die östlichen Bezirke, sondern auch für den Westteil der Stadt.

(Beifall)

Da wäre vieles möglich, wenn die Bundesregierung nicht so borniert wäre und an ihrer Eigentumsregelung nicht festhalten würde.

Das dritte Thema ist das Sicherheitsbedürfnis der Leute. Damit meine ich nicht nur die Absage an Gewalt, die Verfolgung von Bandenkriminalität, sondern ich meine, dass neue Sicherheit auch darüber hergestellt werden muss, dass wir in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der CDU deutlich machen müssen, dass wir für ein System der sozialen Grundsicherung sind, was verhindert, dass die Oma ‑ vom Wohnungsamt zum Sozialamt, von der Rentenkasse zur Behörde ‑ Formulare, Formulare ‑ ‑ Die Leute haben dann die Erfahrung, dass sie den Behörden ausgeliefert sind. Ich denke, das System der sozialen Grundsicherung wäre eine wesentliche Geschichte, die im kommenden Wahlkampf auch Unterschiede zur CDU/CSU deutlich machen könnte.

(Vereinzelter Beifall)

Ich bin ‑ wie einige andere Delegierte auch ‑ eben von einem der Fernsehsender gefragt worden, welche Schlüsse man denn aus dem ziehen muss, was da am vergangenen Wochenende in Hessen stattgefunden hat. ‑ Ich glaube, wir sollten viel weniger über Politik‑ und Politikerverdrossenheit meditieren. Ich denke, was die Leute von uns mit Recht erwarten, ist, dass Parteien Probleme benennen, dass sie sagen, was sie tun wollen, dass sie dann tun, was sie vorher gesagt haben und dass sie, wenn sie etwas nicht tun können, was sie vorher angekündigt haben ‑ in der großen Koalition oder weil Bundesregelungen dem entgegenstehen ‑, den Leuten erklären, weshalb sie bestimmte Dinge nicht tun können. Ich glaube, dass diese Linie, ehrlich zu sein, mit der Wahrheit umzugehen, das beste Mittel dagegen ist, dass Leute sagen, wir sind der Politiker überdrüssig.

(Beifall)

Der zweite Gesichtspunkt ist der: Wir müssen deutlich machen, dass, obwohl wir eine große Partei mit fast 900 000 Mitgliedern sind, wir nicht alles wissen. Wenn wir darangehen, ein Projekt Berlin 2010 zu entwickeln, dann haben Ingenieure und Lehrer, Juristen und Unternehmensberater, Leute in der zweiten Linie in Unternehmen viel dazu beizutragen. Eine meiner Aufgaben werde ich darin sehen, diese Leute dazu einzuladen, sich an der Diskussion in der SPD zu beteiligen ‑ nicht, dass alle gleich Mitglieder werden, aber dass sie uns fachlich bei der Entwicklung des Regierungsprogramms für die nächsten Abgeordnetenhauswahlen beraten. Das ist eine Unterstützung der Fachausschüsse in der Partei. Eines ist klar: Nur über das zu bestimmen, was die SPD tut, dafür muss man Mitglied sein, aber die SPD muss deutlich machen, dass intelligente Leute bei uns willkommen sind, dass Leute uns willkommen sind, die nicht in die Schubladen der verschiedenen Parteikreise passen, sondern dass wir Leute wollen, die unsere gemeinsamen Grundwerte mit ihrer eigenen Überzeugung bereichern wollen, die mit uns und in dieser Gesellschaft streiten wollen.

(Vereinzelter Beifall)

Ich bin für die Öffnung der SPD sowohl nach außen als auch nach innen. Deshalb finde ich das, was mit dem Mitgliederforum in Berlin stattgefunden hat, eine gute Sache. Ich finde, dass man alles, was zu mehr Aktivitäten von Mitgliedern führt, was mehr dazu beiträgt, dass die Leute über die Teilnahme an Abteilungssitzungen hinaus fachlich ihre Kenntnisse in die Partei einbringen, realisieren musss, und deswegen denke ich, dass man die Fragen der Parteireform auch unter diesem Kriterium angehen muss.

Zur Frage der Öffnung der SPD nach außen gehört, dass wir verstärkt Gesprächspartner sein müssen für Kulturschaffende, für Leute aus der Wissenschaft. Ich habe mich im Vorfeld meiner Kandidatur mit Wolfgang Thierse länger unterhalten. Ich denke, das ist ein Bereich, in dem Wolfgang, der sonst auf Bundesebene tätig ist, mit uns zusammen eine Menge machen kann.

Ich glaube, entscheidend für uns ist, dass die SPD im Kiez verankert bleibt. Deshalb glaube ich auch, dass bei allen Diskussionen über Parteireform es keine Alternative zur territorialen Organisation gibt, das heißt zu Abteilungen, die auch an den Kiez, an den Stadtteil gebunden sind. Wenn wir uns aus der Fläche zurückziehen wollten, wie es manche auf Bundesebene diskutieren, wäre das sicherlich der falsche Weg. Inhaltliche Foren, die ich angesprochen habe, sind sicherlich nur ergänzend.

Ein wichtiges organisationspolitisches Ziel, für das ich mich einsetzen will, ist, dass die Quotenregelung, die ich in der Bundeskommission für Organisationspolitik mit durchgesetzt habe, auch inhaltlich ausgefüllt wird dadurch, dass wir, soweit es geht, unsere Arbeitsweisen in der Partei so organisieren, dass Frauen in unserer Partei reale Mitwirkungschancen haben.

(Beifall)

Das gilt für die Terminwahl, das gilt für die Frage, ob ein Parteitag so lange dauern muss oder man nicht auch gezielter arbeiten kann, ob wir nicht unsere Gremiensitzungen effektiver machen können.

(Vereinzelter Beifall)

Wenn ich mir vorstelle ‑ nachdem ich sowohl im Britzer Kreis als auch im Donnerstagskreis war ‑, dass die Linke am letzten Sonntag getagt hat: Zwei Stunden haben sie sich mit der Katze im Sack, Hartung, befasst ‑ das war auch richtig und legitim ‑, eine Stunde mit der Satzung, und wenn ich mich recht erinnere, war für den politischen Teil dann auch noch eine halbe bis eine Stunde Zeit. Das ist nicht nur im Donnerstagskreis so, sondern, wenn man das nach Britz übersetzen würde, könnte das wahrscheinlich auch hin und wieder vorkommen.

(Vereinzelter Beifall)

Ich denke, dass wir unsere Partei insgesamt effektiver organisieren müssen, und zwar wegen uns, weil jeder von uns doch sieht, wie ineffektiv es ist, wenn jeder eine Fensterrede hält, sich nun mal gern reden hört, ohne dass man dann im Ergebnis gemeinsam in der Partei etwas verwirklicht.

(Beifall)

Da bin ich dann auch bei den Kreisen. Kurt Neumann hat, als er mich zusammen mit anderen im Landesvorstand vorgeschlagen hat, auf unsere historischen Auseinandersetzungen bei den Jungsozialisten hingewiesen, die ungefähr 20 Jahre vorbei sind. Bei den Jusos war ich teilweise ein Juso‑Rechter, das haben andere über mich gesagt. In der Kölner und Bonner Partei war ich immer ein Linker. Wenn ich hier Landesgeschäftsführer werden sollte, bin ich der Landesgeschäftsführer aller Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.

(Beifall)

Ich werde in jeden Kreis gehen, der mich einlädt. Ich bin in die SPD eingetreten, weil wir den aufrechten Gang in dieser Partei üben wollten. Das haben wir dann bei Themen wie Berufsverbote, Raketen, Energiepolitik, Asyl, Ausländerfeindlichkeit gemacht. Ich kann euch eines versprechen: In keinem der Ämter, in die ich gewählt worden bin, war ich nach meiner Wahl ein Bequemer, Gehorsamer, Katzbuckelnder, Speichelleckender oder so etwas Ähnliches. Bei den Vorstellungsrunden war das zum Teil etwas missverständlich. Manche haben verstanden, ich würde nach der Methode arbeiten: Wes‘ Brot ich ess, des‘ Lied ich sing. ‑ Manchmal bin ich da ganz unmusikalisch. Deshalb verspreche ich jedem, der mich wählt: Ich werde immer meine Meinung vertreten, und ihr werdet in mir immer jemand haben, mit dem ihr diskutieren könnt und mit dem man sich auch austauschen kann, weil ich nichts davon halte, dass ein Parteimanager sich irgendwie durch die Partei hindurchmogeln soll.

(Beifall)

Zum Thema „Asyl“ habe ich schon etwas gesagt. Ich finde das wichtig, was in Richtung Zuwanderung passiert. Ich muss aber sagen: Ich würde mir wünschen, dass wir Sozialdemokraten in dieser Diskussion trotz allem deutlicher machen, dass für uns Asylgründe politisch Verfolgter wichtiger sind als der Weg, wie ein Asylant in die Bundesrepublik Deutschland kommt ‑ bei allen notwendigen Regelungen.

Ich will mich bemühen, mit den Arbeitsgemeinschaften in der Berliner Partei gut zusammenzuarbeiten. Ich denke, dass die Jungsozialisten besondere Unterstützung brauchen. Ich habe mir die Statistik der Berliner Mitgliedschaft angesehen: Wir haben noch etwa 2 300 Mitglieder bis zu 30 Jahren alt. In der Altersgruppe unter 25 Jahren ist es noch viel schlimmer. Ich denke, dass wir in den Kreisen, in den Abteilungen und auf Landesebene die Jungsozialisten unterstützen müssen.

(Vereinzelter Beifall)

Der Landesverband hat erhebliche finanzielle Probleme. Das heißt, wenn ich Landesgeschäftsführer werde, dann werde ich beim Geldausgeben sparsam sein. Wir müssen uns alle bemühen, beim Erschließen neuer Geldquellen wirksam zu sein. Dabei meine ich weniger Grobspender, sondern ich denke, wenn wir in der Stadt bei den nächsten Wahlen absehbar stärkste Partei sind, dass es auch Leute gibt, die uns nicht nur bei Wahlen, sondern auch für Wahlkämpfe unterstützen, die nicht nur die groben Portemonnaies haben.

Ich kann nicht versprechen, dass die Betreuung der Kreise durch hauptamtliche Mitarbeiter besser wird; denn ihr müsst euch überlegen, dass die 1 300 Mitglieder, die die Berliner SPD im letzten Jahr verloren hat, ungefähr 160 000 DM, 180 000 DM in der Landeskasse ausmachen. Wenn das Personal vom Landesverband bezahlt werden soll, dann müssen wir alle dafür sorgen, dass über Beitragsehrlichkeit, über zusätzliche Mitglieder die finanzielle Situation der Partei verbessert wird.

Ich kann mich ‑ das habe ich auch bei allen Vorbesprechungen deutlich gemacht ‑ jetzt nicht präzise zu der Statutendiskussion äußern, die ihr führt. Das ist eine Sache, da muss ich mich, was die Berliner Verhältnisse angeht, erst reinarbeiten.

Das, was ich in der Besprechung mit den Kreisvorsitzenden gesagt habe, will ich hier wiederholen: Ich finde es gut, dass es in Zukunft monatliche Sitzungen des Geschäftsführenden Landesvorstands mit allen Kreisvorsitzenden gibt ‑ nicht als Abstimmungsgremium, sondern als ein Gremium, in dem unsere Kräfte wirksam gebündelt werden. Ich habe mir vorgenommen, dass ich die Vorsitzenden der Abteilungen oder die für die Organisation Zuständigen in allen Abteilungen zweimal im Jahr auf Landesebene zusammenhole, weil man sich nichts vormachen kann: Die Kraft der SPD liegt in der Arbeit der Ehrenamtlichen. Das, was die Hauptamtlichen tun können, ist nur ein kleiner Ausschnitt der Möglichkeiten, die wir haben.

(Vereinzelter Beifall)

Ich werde mich in den ersten Monaten zu Fragen, die man so mit Kommunalpolitik umschreiben kann ‑ wo welcher Tunnel richtiger ist, wo welche Straßenführung richtiger ist ‑, aus vernünftigen Gründen zurückhalten. Ich will aber eines deutlich machen, weil das auch bei der Vorstellungsrunde eine Rolle gespielt hat: Der Bundestag hat im vorletzten Jahr einen Beschluss gefasst, dass Berlin Hauptstadt ist und dass der Regierungssitz nach Berlin verlagert werden soll. Jeder weiß, dass ich Bonner bin und deshalb in der Diskussion meinen Part gespielt habe. Aber ‑ das sage ich jetzt nicht, weil ich hier kandidiere, sondern das habe ich in den vergangenen Monaten auch in den Bonner Diskussionen gesagt ‑: Der Beschluss muss jetzt umgesetzt werden! Es hat keinen Sinn, dass man wieder daran rummacht.

(Beifall)

Zweitens: Wir als Berliner tun uns keinen Gefallen, wenn wir allen teuersten, monströsesten Modellen nachlaufen würden, sondern dieser Hauptstadtumzug muss so gemacht werden, dass wir jedem Sozialhilfeempfänger, dass wir jedem Rentner und jeder Rentnerin sagen können: Auch deine Steuergroschen werden vernünftig ausgegeben. ‑ Das Absurdeste, was ich gesehen habe, ist dieses Modell, wo oberhalb vom Reichstag so ein Viertel Aquarium angebracht wird. Das ist für mich das Symbol, wie man auch aus einer sinnvollen Sache etwas Unsinniges machen kann und wo die Leute dann mehr über das Glasdach diskutieren als darüber, dass es notwendig ist, Berlin als Regierungssitz so schnell und so gründlich wie möglich handlungsfähig zu machen.

(Beifall)

Wenn ich hier zum Landesgeschäftsführer kandidiere, dann habe ich den Nachteil, dass ich mich in den letzten 20 Jahren mit vielen von euch nicht anlegen konnte, weil ich nicht in Berlin war. Umgekehrt: Ich werde sicherlich im ersten halben oder ganzen Jahr in viele Fettnäpfchen treten, weil ich nicht weiß, wann Müller und Schulze mal einen Konflikt hatten. Ich weiß das schlicht nicht. Ich habe auch keinen Ehrgeiz, das alles nachzuvollziehen. Aber ich kann die Erfahrungen einbringen, die ich mit Kampagnen, mit Wahlkämpfen auf Bundesebene gemacht habe. Ich fände es nicht schlecht, wenn es uns bei der Abgeordnetenhauswahl gelingen würde, Diepgen als Regierenden Bürgermeister in den Vorruhestand zu schicken. Das fände ich nicht schlecht, und wenn wir alle daran arbeiten würden, wäre das noch viel besser, weil das nicht nur eine Frage von Kampagnen ist.

Zweitens: Ich kann meine Erfahrungen aus nun knapp 20 Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit in der Partei einbringen ‑ auf Ortsvereinsebene, auf Unterbezirksebene und auf Landesebene. Ich kann einbringen ‑ das habt ihr zum Teil selbst mitbekommen ‑, dass ich einigermaßen mit Öffentlichkeitsarbeit umgehen kann. Dass im November letzten Jahres bei der Demonstration 350 000 Leute zusammengekommen sind, hing damit zusammen, dass wir hier alle mobilisiert haben. Aber das hing auch damit zusammen, dass es uns gelungen ist, mit der Berliner Presse sinnvoll zusammenzuarbeiten. Ich denke, auch darauf ist eine Partei angewiesen.

Ich will zum Abschluss sieben Punkte nennen, die ich für die Bundespartei und auch für die Berliner SPD wichtig finde. Erstens: Wir müssen damit fertig werden, dass viele Leute über die Parteien enttäuscht sind. Wir müssen deutlich machen, dass die SPD offen ist für intelligente, interessierte Leute, die bei uns mitarbeiten wollen. Wir müssen zum zweiten wesentlich deutlicher als in den vergangenen Jahren auf Bundesebene deutlich machen, dass die SPD die Partei der sozialen Gerechtigkeit ist, dass mit uns eine Kürzung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld nicht zu machen ist und dass wir dafür sind, dass die Finanzierung der deutschen Einheit gerecht stattfindet.

Zweitens: Wir müssen deutlich machen, dass wir das Problem der Integration unserer ausländischen Mitbürger ernst nehmen. Deshalb finde ich die Initiative für doppelte Staatsangehörigkeit eine wichtige Sache. Ich glaube, dass wir unsere Einwanderungs‑ und unsere Flüchtlingspolitik auch in der Auseinandersetzung mit der CDU deutlicher machen müssen, als das in den letzten Wochen und Monaten passiert.

(Vereinzelter Beifall)

Drittens: Ich glaube, dass wir gegen das, was Kohl in den letzten Jahren gemacht hat, deutlich machen müssen, dass die Sozialdemokratische Partei für das moderne Deutschland steht, und zwar für ein weltoffenes Deutschland, dass wir Deutsche Europäer sind, dass wir nicht in nationalstaatliches Denken zurückfallen.

(Beifall)

Viertens: Wir müssen deutlich machen, dass die SPD die Partei der ökologischen Modernisierung unserer Industriegesellschaft ist. Das heißt, wir müssen mit der IG Metall und anderen Gewerkschaften zusammenarbeiten. Wir müssen deutlich machen, dass unsere wirtschaftspolitische Alternative eine ist, die für die Menschen in Ostdeutschland Zukunft bringt, die aber auch die Weiterentwicklung in Westdeutschland voranbringt. Deshalb bin ich dafür, dass wir ein soziales Bündnis aus Ökologiebewegung, Management, Gewerkschaften und anderen zur Modernisierung des Industriestandorts Bundesrepublik organisieren.

Fünfter Punkt: Ich denke, wir müssen deutlich machen, dass Frieden mit der Natur und Ökologie und Gesundheit für uns wichtige Themen sind, die auch nicht ökonomischer Bedingungen wegen hintan gestellt werden müssen.

Sechstens: Ich glaube, dass wir als SPD weiter eine aktive Friedenspolitik und deutlich machen müssen, dass Kooperation zwischen Staaten, dass eine neue Weltwirtschaftsordnung wichtiger sind als eine Diskussion über Blauhelme und verwandte Themen.

Zusammengefasst: Ich denke, wir müssen deutlich machen, dass wir eine linke, freie, moderne Partei in Deutschland sind, dass es sich lohnt, bei uns mitzuarbeiten und das es sich lohnt, uns bei den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin so stark zu machen, dass wir hinterher entscheiden können, mit wem wir eine Koalition eingehen, und zwar danach, mit wem wir das meiste an sozialdemokratischer Programmatik verwirklichen können.

Mir ist bewusst, dass das nicht ein mich Kennen ersetzen kann, was ich hier vorgetragen habe. Aber ich will euch sagen: Ich würde gern für euch als Landesgeschäftsführer arbeiten. Ich finde den einstimmigen Vorschlag des Landesvorstands eine gute Grundlage. Ich fand die Diskussion mit den Kreisvorsitzenden in Ordnung. Und ich fand auch die Diskussion in Kreuzberg in Ordnung, die nun beschlossen haben, dass sie mich nicht wählen wollen. Wir haben da richtig ordentlich politisch diskutiert, und das will ich euch versprechen, dass ich das auch weiter tun will. ‑ Danke schön.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir kommen zur Aussprache. Es liegen bereits drei Wortmeldungen vor. ‑ Zuvor gebe ich bekannt, dass die Frist zur Abgabe von Initiativanträgen nunmehr abgelaufen ist.

(Vereinzelter Beifall)

Als erster hat Frank‑Axel Dietrich das Wort.

Frank‑Axel   D i e t r i c h   (Charlottenburg): Genossinnen und Genossen! Die Tatsache, dass die Genossen Staffelt, Böger und Neumann gemeinsam vorgeschlagen haben, den Kandidaten zu wählen, hat mich veranlasst, meinen Beitrag unter das Motto zu stellen: denn Rudolf Hartung ist ein guter Mann.

Ich möchte zu Punkt 1, der Parteiverdrossenheit, sagen ‑ er kam in der Vorstellungsrede vor ‑: Ich finde, das ist ein wichtiges Thema. Ich finde nicht, dass man dieses Thema als solches bearbeiten kann, um es abzustellen. Aber ich erlaube mir die Frage, ob jemand, der nie in seinem Leben sein Geld anders verdient hat als in politischen Apparaten, geeignet ist, die Probleme der Bürger mit den Parteien aufzuspüren.

(Beifall)

Aber lasst euch nicht stören: Rudolf Hartung ist ein guter Mann.

In der Auseinandersetzung zwischen Bonn und Berlin hat Rudolf Hartung eindeutig Position bezogen. Er hat uns hier versprochen, jetzt das Gegenteil in der Konkurrenz zwischen Bonn und Berlin zu vertreten. Aber geht es denn darum? Ich denke, offensichtlich nicht. ‑ Lasst euch nicht stören: Rudolf Hartung ist ein guter Mann.

An der Schnittstelle des Einigungsprozesses in Berlin, auch in der Partei, geht es um die Zusammenführung. An dieser Aufgabe hat der Genosse Hartung schon einmal mitgewirkt, als er als Betriebsratsvorsitzender in Bonn darüber mit zu entscheiden hatte, wie viele Mitarbeiter der Ost‑SPD übrigbleiben und wie die Zusammenführung vonstatten geht. Dabei war die Sensibilität immerhin so grob, dass mit Zustimmung des Betriebsrats vier Mitarbeiter von der Ost‑SPD übriggeblieben sind. ‑ Lasst euch aber nicht irre machen: Rudolf Hartung ist ein guter Mann und hier am richtigen Platz.

(Beifall)

Diese Partei muss für Wahlen zusammengeführt werden. Dazu ist Gemeinschaftsgeist erforderlich. Wer Rudolf Hartung aus Bonn kennt, weiß, er ist ein Freund der politischen Intrige. ‑ Aber lasst euch nicht irre machen: Rudolf Hartung ist ein guter Mann.

(Beifall)

Wer die Partei modernisieren will, der muss die Anliegen von Frauen in der Partei ernst nehmen. Wer ihn aus der Arbeit in Bonn kennt, wird viele Kronzeugen finden, die ihn als Macho bezeichnen. ‑ Aber er ist der richtige Mann am richtigen Platz ‑ lasst euch nicht irre machen: Rudolf Hartung ist ein guter Mann.

(Beifall)

Wenn diese Aufgabe eines Berliner Landesgeschäftsführers eine ganze Persönlichkeit fordert, die sich hier voll einlässt, dann muss man das auch so spüren. Deshalb kann es hier einfach keine Rolle spielen, dass ein Vertrag mit der Bonner SPD besteht, der es ihm jederzeit ermöglicht, nach dort zurückzukehren, wenn es ihm bei uns nicht mehr gefällt. ‑ Lasst euch auch an diesem Punkt nicht irre machen, Genossinnen und Genossen: Rudolf Hartung ist ein guter Mann.

Ich komme zum Schluss noch einmal dorthin, wo ich angefangen habe: Wenn Kurt Neumann, Klaus Böger und Ditmar Staffelt den Kandidaten empfehlen, dann geht es hier heute um mehr als um eine Personalentscheidung. Wir haben darüber zu entscheiden, ob wir bereit sind ‑ als Basis und Delegierte ‑, weil unsere Führung dies sagt, uns eigene Gedanken zu machen oder nicht. ‑ Und nun wählt man schön!

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Angelika Barbe.

Angelika   B a r b e   (Marzahn): Liebe Genossinnen und Genossen! Nach dieser Rede fällt es mir schwer zu antworten, weil ich mich für Rudolf Hartung aussprechen möchte.

(Vereinzelter Beifall)

Es ist sehr schwierig, wenn Reden nicht vermittelnd gesprochen werden, sondern wenn es sehr demagogisch kommt.

(Vereinzelter Beifall)

Ich will versuchen zu begründen, warum ich Rudolf Hartung, der Betriebsratsvorsitzender gewesen ist, für die Sache in Berlin gut halte. Ich habe ihn als einen Kämpfer für seine Leute erlebt. Ich weiß ganz genau, dass Rudolf Hartung ein Kämpfer ist. Wenn er sich uns hier angetragen und versprochen hat, für unsere Sache zu kämpfen, dann weiß ich, dass er dieses tun wird. Deshalb ist es für mich ein ganz wichtiger Grund, jemanden, der auch für seine Leute einsteht, auch hier zu haben; denn wir brauchen jemanden, der für Berlin und für die Berliner SPD einsteht und kämpft.

Weshalb soll es denn negativ sein, dass er sich für Bonn ausgesprochen hat? Ich finde es sehr sinnvoll, dass sich Leute auch zu Positionen bekennen. Und warum kann er jetzt nicht als Vermittler zwischen Bonn und Berlin auftreten? ‑ Genau das hoffe ich doch, dass wir jemanden hier an dieser Stelle haben, der vermittelnd eintritt, der die Bonner Empfindlichkeiten und Ängste ‑ die gibt es; denn dort sollen auch 30 Stellen wegfallen ‑ kennt und sich dennoch für die Berliner Sache einsetzt. Diese Vermittlung, diese Verbindung ist eine ganz wichtige. Das ist für mich der zweite Grund, weshalb ich für Rudolf Hartung streite.

Drittens kenne ich ihn aus dem Wahlkampf 1990. Ich weiß, dass er sich da in die Sache der Ossis eingefühlt hat. Er hat in Sachsen‑Anhalt einen harten Wahlkampf hinter sich gebracht, und er hat ihn mit Kampfgeist und auch mit Engagement geführt. Er hat hier die Demonstration organisiert, und das war ‑ mit all den Schwierigkeiten, die daran hingen ‑ gewiss nicht einfach. Deshalb bitte ich euch, stimmt für Rudolf Hartung. Ich weiß, dass die Argumente, die in der vorigen Rede gekommen sind, auch ihre Anhänger finden, aber ich bitte ich euch darum, vermittelnde Leute hier zu haben. Ich bitte euch darum, dafür einzutreten, dass wir endlich nicht mehr gegeneinander antreten ‑ Berlin gegen Bonn ‑, sondern dass wir endlich einmal zueinander finden, uns zuhören und uns gegenseitig unterstützen. ‑ Danke!

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat der Genosse Tannert.

Christof   T a n n e r t   (Lichtenberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich denke, der Landesvorsitzende hat richtig gehandelt, schnell und gezielt nach einem geeigneten Kandidaten für das Amt des Landesgeschäftsführers zu suchen. Nachdem eine Berliner Lösung und eine weibliche Lösung gescheitert war, war es richtig, auf bundesweiter Ebene Ausschau zu halten.

Ich gebe natürlich Frank‑Axel Dietrich recht: Wir dürfen uns keine Fehlbesetzung leisten. Nun sage ich, der von Ditmar Staffelt vorgeschlagene und vom Landesvorstand einmütig bestätigte Kandidat erfüllt meines Erachtens drei wichtige Voraussetzungen: Er ist ein ausgewiesener Sozialdemokrat, er ist ein ausgewiesener Politmanager, er hat das Vertrauen des Landesvorstands und des Landesvorsitzenden ‑ die Chemie stimmt, sie können miteinander. Aber Frank‑Axel Dietrich hat natürlich recht: Nicht nur der Landesvorstand und der Landesvorsitzende müssen mit dem nachmaligen Landesgeschäftsführer können, sondern im Idealfall muss es die gesamte Landespartei, und im Idealfall muss es wenigstens deren möglichst grobe Mehrheit können.

Dann habe ich nun eine für mich wesentliche, vertrauensbildende Frage doch noch zu stellen, schicke aber voraus, dass ich mit dem Kandidaten Rudolf Hartung einverstanden bin, dass ich ihn unterstütze. Er hat hier zu der Frage Berlin‑Bonn Stellung genommen und hat das mehrfach auf verschiedenen Ebenen, in verschiedenen Kreisen getan. Die von ihm gegebene Antwort zu dieser Frage ist die eines Politmanagers: Es muss möglichst schnell gehen, und es muss möglichst billig sein. ‑ Das ist nicht die Ebene, auf der diese Frage diskutiert werden kann. Der Wechsel der wichtigsten Bundesgremien nach Berlin ist eine zentrale politische Frage, eine Frage des Vollzugs der deutschen Einheit, und dazu muss sich Rudolf Hartung bekennen. Ich kann verstehen, dass er hier sagt, dass er nicht nach der Devise handelt, wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Wenn er hier Landesgeschäftsführer wird, dann muss er verinnerlichen, dass die volle physische und mentale Präsenz der Bundesgremien im Ostteil des vereinigten Deutschlands ‑ zumal angesichts der sich hier rasant verschärfenden sozialen Krise ‑ höchste Wertigkeit und Dringlichkeit hat, dass ganz Berlin ein neues Bundesland ist und dass in dieser zweigeteilten Stadt der Prozess der deutschen Einheit modellhaft und wie unter einem Brennglas fokussiert stattfindet. Also: Mit dieser Haltung zum Umzug ‑ als einer politischen Grundhaltung in der gegenwärtigen Situation ‑ ist die Glaubwürdigkeit von politischem Willen verknüpft und exemplarisch angefragt. Hier erwarte ich ein klares Bekenntnis des Kandidaten.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat die Genossin Mießner.

Brigitte   M i e ß n e r   (Schöneberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Der Genosse Hartung hat sich selbst als Katze im Sack bezeichnet, als die er sich gefühlt habe, als er sich in den verschiedenen Kreisen der Berliner SPD vorgestellt hat. Vielleicht ist euch allen aufgefallen, dass wir hier in einem Gebäude sind, in dem eine Rassekatzenschau stattfindet. Vielleicht sollten wir erst einmal gucken, welche wichtigen Merkmale denn nun eigentlich der Genosse Hartung erfüllt. Wir brauchen einen guten Landesgeschäftsführer ‑ dazu ist schon etwas gesagt worden. Wir brauchen einen Geschäftsführer, der sich mit Ditmar Staffelt versteht ‑ davon können wir ausgehen. Wir brauchen einen Geschäftsführer, der Positionen gegenüber einem wirklich überlebensgroben Ditmar Staffelt ‑ in Berlin zumindest ‑ glaubwürdig vertritt. Die Frage ist nun: Ist das so? ‑ Der Genosse Hartung tritt in einer Zeit an, in der die Demokratisierung der Partei angesagt ist, in der das Organisationsstatut reformiert werden soll.

Die Art und Weise, wie der Genosse Hartung hier heute als einziger Kandidat präsentiert wird, ist aber gerade ein ganz negatives Beispiel dafür, wie in Zukunft mit solchen wichtigen Positionen umgegangen werden soll.

(Beifall)

Der Genosse Hartung tritt in einer Zeit an, in der es um die Glaubwürdigkeit der Partei geht. Die Glaubwürdigkeit eines Menschen, der für Bonn eingetreten ist, ist vergleichsweise schwierig darzustellen im Kampf für Berlin. Dass der Kampf für Berlin geführt werden muss, ist hier schon mehrfach gesagt worden.

Glaubwürdigkeit ist natürlich auch im Zusammenhang mit den organisatorischen Erfolgen, die er zu verzeichnen hat, ein bisschen schwierig. Die Demonstrationsdebatte vom November soll hier wirklich nicht noch einmal geführt werden, aber vielleicht erinnert ihr euch mal daran, dass viele Menschen gedacht haben, dass diese Demonstration wirklich nicht optimal organisiert gewesen ist.

Der Genosse Hartung tritt in einer Zeit an, in der die Partei geöffnet werden soll. Er ist aber jemand, der ausschließlich in dem Apparat gearbeitet hat. Es wurde gerade gesagt: Die Normalität des Alltags in allen möglichen Lebensbereichen ist ihm ‑ dafür kann er gar nichts ‑ fremder als manchem anderen. Ich gehe davon aus, dass wahrscheinlich niemand oder nur wenige so richtig begeistert sind, dass auf der anderen Seite aber die Vorstellungsrede, die er heute gehalten hat, eigentlich alle beruhigen kann: Er hat bewiesen, dass er lernfähig ist, hat auch diese Frage, wes Brot ich ess, des Lied ich sing mehrfach negativ beantwortet und gesagt, es wird in Zukunft anders werden. Da wir alle daran glauben, dass Menschen lernfähig sind und sich zum Besseren ändern können, können wir das auch in diesem Fall annehmen.

Was er braucht, wird wahrscheinlich sehr viel Kontrolle sein. Die Frage ist, ob wir dazu in der Lage sein werden, diese Form von Kontrolle ‑ über den Landesvorstand und über die anderen Parteigremien ‑ auszuüben.

Um zu lernen, braucht man allerdings auch Lektionen. So, wie ich im Vorfeld einige Sachen verstanden habe, wird es vielleicht so sein, dass der Genosse Hartung dann eben erst im zweiten Wahlgang gewählt wird. Allerdings wird das wohl eher eine Lektion für den Landesvorsitzenden sein, um ihm deutlich zu machen, dass die Demokratievorstellungen der Mehrheit etwas anders sind, als dieses Auswahlverfahren gelaufen ist.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Kurt Neumann.

Kurt   N e u m a n n   (Steglitz): Liebe Genossinnen und Genossen! Langjährige Tätigkeit bei Jungsozialisten vermittelt ein hohes Maß an Personalkenntnis. Das muss ich sagen, weil ich nicht nur Rudolf Hartung gut kenne, sondern ich kenne auch Frank‑Axel Dietrich. Genossinnen und Genossen, Frank‑Axel Dietrich ist ein guter Mann!

(Vereinzelter Beifall)

Er hat aber einen Nachteil: Er kandidiert hier nicht zum Landesgeschäftsführer.

(Vereinzelter Beifall ‑ Zuruf: Ist er gefragt worden?)

‑ Die Kreise sind gefragt worden, ob sie Vorschläge zu machen haben, und jeder hat sich darüber Gedanken gemacht. ‑ Frank‑Axel Dietrich ist ein guter Mann, und ein guter Mann ist auch in der Lage, sich selbst ins Gespräch zu bringen. Ich kenne ihn lange genug: Wenn er das gewollt hätte, hätte er das geschafft.

(Vereinzelter Beifall)

Lasst mich ein weiteres sagen: Ich hatte in der Vergangenheit, auch in jüngerer Vergangenheit, an Rudolf Hartung Kritik zu üben ‑ nicht nur in Juso‑Zeiten, sondern auch darin, was die Behandlung der Vorgänge um die Vereinigung angeht, insbesondere die personalpolitischen Vorgänge in der Baracke in Bonn. Das war nicht gut; das war vor allen Dingen nicht sozialdemokratisch, was da teilweise abgelaufen ist. Das ist die Kritik, die ich ihm auch persönlich unterbreitet habe. Aber Rudolf Hartungs Arbeit sonst in politischen Fragen ist für mich zumindest akzeptabel. Seine organisatorischen Fähigkeiten sind grob. Mich leitet eine Überlegung, auch frei nach Frank‑Axel Dietrich und einem anderen, den er wohl zitiert hat: Ich möchte eines nicht erleben, am Montag, wenn ich die Presse aufschlage: Die Berliner SPD hat einen Landesgeschäftsführer zu wählen. Es gibt nur einen Kandidaten. Weitere Vorschläge gibt es nicht. Die Berliner SPD wählt aber keinen Landesgeschäftsführer. ‑ und trotzdem: Die SPD ist eine gute Partei.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Ingrid Holzhüter.

Ingrid   H o l z h ü t e r   (Tempelhof): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich kann fast nahtlos anschließen. Wir haben alle ein Schildchen gekriegt: Wir müssen uns ändern. Wir sind aber wieder bei unserem Lieblingsspielchen angekommen.

(Beifall)

Ich denke, dieser Parteitag im Ostteil der Stadt sollte eigentlich eine andere Botschaft rüberbringen

(Vereinzelter Beifall)

und nicht die, dass wir wieder einmal bei dem Spiel sind: endlich haben wir wen, und nun machen wir ihn auch gleich kaputt. Dazu brauchen wir keine anderen, das machen wir alles selber.

(Beifall)

Ich muss euch sagen: Langsam reicht mir die Heuchelei, dass immer die Frauen aus der Ecke gezerrt werden, wenn man irgendeinen Mann fertigmachen will.

(Beifall)

Hier wird jeder als Macho bezeichnet, nur man selbst ist natürlich überhaupt keiner. Und man ist natürlich immer bereit, den Frauen den Posten anzubieten, den man selbst vielleicht gerade im Blick hat.

Ihr wisst alle, dass ich nun wirklich eine ausgewiesene Kämpferin für die Frauen bin. Aber ich lasse nicht pausenlos zu, dass man die Frauen missbraucht ‑ immer dann, wenn es einen missliebigen Mann gibt. Und wenn man einen hat, den man will, dann fragt man die Frauen erst gar nicht vorher; dann sagt man, wir hatten ja keine.

(Vereinzelter Beifall)

Ehrlich gesagt, das reicht mir. Lasst euch da etwas anderes einfallen.

Das übliche Meckern auf die Müllerstraße kennen wir alle. Wenn wir da nicht einen vernünftigen Geschäftsführer oder eine Geschäftsführerin haben, die das Handwerk auch verstehen, dann wird das auch weiter so bleiben; dann wird alles, was man selbst nicht machen will, damit kaschiert, dass es in der Müllerstraße nicht klappt.

Ich will euch auffordern ‑ wir schreien hier jeden Tag, die Bonner müssen alle nach Berlin. Nun haben wir mal einen, der will kommen, und dann machen wir ihm das zum Vorwurf ‑:

(Beifall)

Bitte, lasst uns die Personalien kurz, zügig und, wie es ihnen zukommt, mit der nötigen Deutlichkeit ausführen, aber lasst uns dann zu den Dingen etwas sagen, worauf die Menschen draußen einen Anspruch haben, dass wir ihnen antworten.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat der Genosse Ahlert.

Klaus   A h l e r t   (AfA): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich möchte den Genossen Rudolf Hartung nicht kaputtmachen. Ich möchte nur fragen, ob meine Informationen richtig sind, dass das bisherige Gehalt 7 000 DM war und jetzt 14 000 DM beträgt. Wir sollen doch alle den Gürtel enger schnallen, und deshalb frage ich, ob das so richtig ist. ‑ Danke.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat die Genossin Hüser.

Lore   H ü s e r   (Schöneberg): Ich möchte zu Rudolf Hartung selbst auch gar nichts sagen, sondern mehr auf die Art der Personalfindung eingehen. Die Vakanz kam plötzlich, und da Landesvorsitzender und Landesgeschäftsführer eng zusammenarbeiten müssen, sucht ‑ in der Regel ist das wohl so ‑ der Landesvorsitzende den Geschäftsführer und nicht die Partei. Es wurden aus dem Stegreif zwei Frauen und zwei Männer gefragt, ob sie diesen Posten einnehmen wollen. Ihr braucht heute nicht mehr zu raten, wer als einziger zugesagt hat. Die Person heißt zufälligerweise nicht Rosa, sondern Rudolf und war im Gegensatz zu den bereits befragten Frauen schon vorher Angestellter der Partei ‑ das ist auch ein Status, den nicht jeder hatte und nicht jeder liebt.

Lieber Ditmar, eine derartige Personalfindung ist scheindemokratisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem derartigen Verfahren eine Frau ‑ völlig unvorbereitet, aber begeistert ‑ auf diesen Geschäftsführungsposten springen würde, war ausgesprochen gering. Ich kann dir den Vorwurf nicht ersparen, dir keine Mühe gemacht zu haben, eine Genossin als Geschäftsführerin zu gewinnen. Hättest du sie gewollt, hättest du sie gefunden ‑ ansonsten wärest du falsch auf dem Platz des Landesvorsitzenden.

Bill Clinton, der neue USA‑Präsident will das Justizministerium einer Frau unterstellen. Seine ersten beiden Vorschläge scheiterten an der Missgunst der Männermedien. Sein dritter Vorschlag, die dritte Kandidatin, wird es nun schaffen.

Ich kann dir weiter den Vorwurf nicht ersparen, dass deine Sensibilität für die gleichberechtigte Beteiligung von Genossinnen auch im GLV nicht besonders grob ist, sonst hätte dir auffallen müssen, dass zwar deine Stellvertreterinnen quotiert sind, aber alle Einzelwahlposten im GLV männlich besetzt sind, das heißt Vorsitz, Kassierer und ‑ jetzt wieder neu ‑ Geschäftsführung. Frauen müssen aber auch im GLV zu 50 % vertreten sein, so ist das nämlich mit der Quotierung zu verstehen. Die Mindestmarge von 40 % hat nur Bedeutung für die ewig gestrigen Patriarchen. Frauen brauchen Posten gerade auch in der Parteispitze, um dort gemeinsam frauenpolitische Positionen einbringen zu können. Die Veränderung der männlich dominierten Parteistruktur ist Voraussetzung für eine nachhaltig inhaltliche Veränderung der Parteipolitik zugunsten von Frauen.

(Vereinzelter Beifall)

Ich möchte dich auffordern, Ditmar, dich bei den nächsten parteiinternen Wahlen dafür einzusetzen, dass der GLV insgesamt zur Hälfte aus Frauen besteht. Bei der heutigen Wahl steht keine Kandidatin zur Verfügung. Bei den nächsten Wahlen erwarten wir ein zur Hälfte quotiertes Personalkonzept für den GLV.

Ich darf daran erinnern, dass Walter Momper die Hälfte der Senatsposten für die SPD mit Senatorinnen besetzt hat ‑ ein Meisterstück, das Maßstäbe gesetzt hat.

Für die heutige Wahl fordere ich insbesondere die weiblichen Delegierten auf, Rudolf Hartung nicht zu wählen. Wenn wir Frauen nicht in erster Linie nur Fuß- ­und verbales Protestvolk in der Partei sein wollen, müssen wir uns dagegen wehren, dass ständig nur Männer in die Entscheidungsgremien gewählt werden. Wenn wir ernstgenommen werden wollen, müssen wir Frauen Konsequenz zeigen, das heißt die Wahl eines männlichen Geschäftsführers ablehnen. ‑ Ich danke euch.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat der Genosse Chung.

Carl   C h u n g   (Charlottenburg): Ich habe mich gemeldet, weil mir die Art zu diskutieren, wie das Kurt Neumann gemacht hat, gegen den Strich gegangen ist. Der erste Punkt, der mir aufgefallen ist: So, wie die Kandidatensuche geschehen ist, dass also einige wenige beziehungsweise einer umherzieht und Leute einzeln fragt, aber bloß keine Diskussion auch nur unter Genossen erfolgt ist, wer denn überhaupt zur Verfügung steht, also die Frage gar nicht in der Partei gestellt wird, und hinterher kommt dann die Beschimpfung, es hat sich ja keiner gemeldet ‑ das geht so nicht!

(Vereinzelter Beifall)

Das zweite, was mich wirklich gestört hat, war die Art, wie dann mit der Kritik nach innen umgegangen wurde. Das hat mich an eine Floskel erinnert, die nicht aus unserer Parteitradition stammt: Bloß keine Fehlerdiskussion, Einheit und Geschlossenheit zeigen. Das Volk erwartet von uns, Einheit und Geschlossenheit nach außen zu demonstrieren. ‑ Mir hat eigentlich nur noch der Satz gefehlt: Genossen, schließt die Reihen. Keine Kritik nach innen, das nützt nur dem Klassenfeind. ‑ Und das ist nicht meine Parteitradition!

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r : Als letzter auf der Redeliste hat Ditmar Staffelt das Wort.

Ditmar   S t a f f e l t   (Tempelhof): Liebe Genossinnen und Genossen! Meine erste Bemerkung ist die: Niemand will innerparteiliche Diskussionen etwa unterdrücken. Wir haben den Vorschlag, Rudolf Hartung für das Amt des Landesgeschäftsführers zu präsentieren, frühzeitig im Geschäftsführenden Landesvorstand, im Landesvorstand und damit auch mit der Möglichkeit verbunden, in den Kreisvorständen und Kreisdelegiertenversammlungen zu diskutieren, bewusst praktiziert, und etliche Kreisverbände haben davon Gebrauch gemacht.

Ich habe in der Zeit, in der ich der Sozialdemokratischen Partei angehöre, noch nicht erlebt, dass auf einem Landesparteitag mehrere Vorschläge für das Amt eines Landesgeschäftsführers vorgelegen hätten und darüber abgestimmt wurde. Warum hat man darauf in der Vergangenheit verzichtet? Weil der Landesgeschäftsführer mehr als alle anderen Mitglieder des Geschäftsführenden Landesvorstands darauf angewiesen ist, von einer breiten Mehrheit der Partei getragen zu werden, weil gerade er mit den Gliederungen der Partei auf das Engste und Vertrauensvollste zusammenarbeiten muss.

Wenn die Frage gestellt wird: Kann das jemand sein, der ein „professionell“ ist, dann komme ich ins Grübeln. Ständig wird in der Partei mit dem Finger auf die Müllerstraße gezeigt. Ständig wird Erwartung formuliert und gegebenenfalls heftig kritisiert, wenn die Müllerstraße ihren Aufgaben nicht in geeigneter Weise nachkommt. Wir brauchen für die schwierigen Monate bis ins Jahr 1995 ‑ mit Europawahlen, mit Bundestagswahlen, mit Landtagswahlen ‑ einen Kandidaten oder eine Kandidatin, die vom Fach etwas verstehen, die in der Lage sind, die notwendigen Ideen, die notwendigen Koordinierungen vorzunehmen. Dies war ein ganz gewichtiger Punkt für mich, Rudolf Hartung vorzuschlagen.

Ich habe im Übrigen die Partei immer so verstanden, dass sie so viel Fairness an den Tag legt, jemanden nach seinen Leistungen zu beurteilen und nicht bereits zuvor damit zu beginnen, ihn in eine ganz bestimmte Ecke zu drängen ‑ Ingrid Holzhüter hat zu Recht darauf verwiesen. Es war wichtig, dass der Landesvorstand, die Kreisverbände und auch die Kreisvorsitzenden mit Rudolf Hartung über die Frage seiner Haltung zur Hauptstadt, zum Parlaments‑ und Regierungssitz Berlin gesprochen haben, darüber, wie er sich in der Vergangenheit verhalten hat und wie er sich in Zukunft verhalten wird. Aber es ist doch auch ein wenig merkwürdig, wenn ich mir die Frage stelle: Wie viele von denen, die hier sitzen, wären sie Bürger der Stadt Bonn, hätten denn für Berlin gestimmt? Wir müssen doch auch zur Kenntnis nehmen, dass es nicht einmal gelungen ist, auf dem Bundesparteitag eine Mehrheit für den Regierungs‑ und Parlamentssitz Berlin herbeizuführen. Wir müssen diejenigen, die vormals für Bonn waren, für unsere Stadt gewinnen und auch hier ein Stück Integrationskraft an den Tag legen.

(Vereinzelter Beifall)

Wichtig ist für mich im Übrigen, dass Rudolf Hartung eine Vielzahl von Erfahrungen im östlichen Deutschland gesammelt hat. Er ist in den letzten zwei Jahren in Sachsen‑Anhalt, in Thüringen, in Sachsen, in Mecklenburg‑Vorpommern und in Brandenburg unterwegs gewesen. Rudolf Hartung hat im Übrigen auch in seiner Kompetenz, für den Strukturfonds zuständig zu sein, sehr viel für den Landesverband Berlin getan. Ich bitte, das hier nicht einfach aus der Diskussion herauszulassen und so zu tun, als sei Rudolf Hartung kein politischer Mensch, kein Mann, der sich für die deutsche Einheit einsetze, sondern nur ein Rheinländer. Das ist eine völlig verkürzte Diskussion, die der Person Rudolf Hartungs überhaupt nicht gerecht wird.

In Richtung auf Frank‑Axel Dietrich will ich sagen ‑ in bezug auf deinen Hinweis, er sei ein parteibekannter Intrigant ‑: Ich habe den Eindruck, das können nur die beurteilen, die offensichtlich in all diesen Geschichten mittendrinstecken.

(Beifall)

Wir wissen alle, in der Berliner SPD gibt es so etwas nicht. Die Berliner SPD ist frei von all diesen Dingen. So etwas gibt es nur in der Baracke und in der Bonner SPD.

(Heiterkeit)

Ich weise darauf hin: Wir haben mit Rudolf Hartung die grobe Chance, jemanden von draußen zu haben, der nicht vorbelastet ist mit vielen Rangeleien, Auseinandersetzungen, die es in der Berliner SPD gibt. ‑ Und darauf setze ich auch in hohem Maße, dass wir eine Chance haben, einen Landesgeschäftsführer zu haben, der die Sachen voranbringt, die Parteireform voranbringt und der uns durch die Wahlkämpfe führen kann.

Ich will gern noch einmal die Frage der Finanzierung beantworten. Rudolf Hartung erhält das Gehalt, das nach den Tarifverträgen, die die Berliner SPD abgeschlossen hat, einem Landesgeschäftsführer zusteht ‑ und nicht mehr! Er bekommt eine Dienstalterszulage, weil er schon lange Jahre bei der Partei beschäftigt ist. Damit ist der Gesamtbetrag etwas höher als der, den Genosse Reinhard Ross erhielt. Die Beträge, die hier genannt worden sind, sind abstrus und entsprechen überhaupt nicht der Realität. Ich weise das hier noch einmal ganz ausdrücklich zurück, auch im Namen des Landeskassierers.

Wenn einer dann sagt, aber vorher hatten wir doch eine etwas billigere Lösung, weil der Genosse gleichzeitig Abgeordneter war, dann war es eben immer der Wunsch dieses Parteitages, einen Landesgeschäftsführer zu haben, der nur für die Partei da ist ‑

(Beifall)

vergessen wir doch diese Diskussionen nicht.

(Zuruf)

‑ Ja, einige wollten das auch für den Landesvorsitzenden so haben, völlig klar.

Ein letzter Satz: Diejenigen, die sich mit mir auseinandersetzen möchten, sollen dies mit mir tun und das nicht auf dem Rücken von Rudolf Hartung austragen.

(Beifall)

Wir brauchen ein breites Votum des Vertrauens, damit wir in der Partei arbeiten können. Die Aufgaben in der Stadt sind zu grob, als dass wir es uns erlauben könnten, hier noch weitere halbe Stunden ranzuhängen, um eine solche Kandidatur zu diskutieren!

(Vereinzelter Beifall)

Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, an dieser Stelle noch einmal Reinhard Ross sehr herzlich für seine bisherige Tätigkeit zu danken.

(Beifall)

Reinhard wird uns ja nicht verlorengehen. Er wird weiter in der Partei mitarbeiten, er wird weiter sein Mandat als Abgeordneter ausfüllen. Wir jedenfalls laden Reinhard Ross sehr herzlich ein, uns mit seinen Erfahrungen auch im GLV und im Landesvorstand zur Seite zu stehen.

(Vereinzelter Beifall)

Ein letztes Wort zum Verfahren ‑ das kennen wir aus der Partei auch: Wie man es macht, macht man es falsch. In dem Augenblick, wo ich mich im Januar hingestellt und gesagt hätte: Liebe Berliner SPD, nun guckt doch mal, wer denn für das Amt des Landesgeschäftsführers in Frage kommen könnte, hätten alle gesagt: Der Staffelt hat ja überhaupt keine Führungsqualität, der sagt uns gar nicht, wo es langgehen soll. Macht er das, wird gesagt, wo bleibt denn die breite Demokratie in dieser Partei. ‑ Ich finde, wir sollten uns darauf verständigen, dass ich als Landesvorsitzender eine besondere Verantwortung dafür habe, dass ich einen Vorschlag für das Amt des Landesgeschäftsführers mache. Alle anderen haben die Gelegenheit gehabt, andere Vorschläge zu machen. Ich habe mehrere Genossinnen und Genossen angesprochen, die gesagt haben: Nein, ich bin nicht bereit, für ein solches Amt zur Verfügung zu stehen. Ich muss nun offen gestehen: Wenn es heute beim Landesparteitag eine Kandidatur gibt, dann kann die Antwort eigentlich nur heißen: Wir stützen diese Kandidatur! Jeder, der etwas anderes wollte, hätte eine andere Kandidatin oder einen anderen Kandidaten vorschlagen können.

(Vereinzelter Beifall)

Deshalb bitte ich noch einmal um ein breites Vertrauensvotum für Rudolf Hartung. ‑ Danke.

(Beifall)

(Ditmar Staffelt überreicht Blumen an Reinhard Ross ‑

Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Reinhard Rob hat um das Wort gebeten. Vorher allerdings der Hinweis, dass die Mandatsprüfungskommission jetzt tagt, mit der Bitte, noch vor dem Wahlgang ihren Bericht abzugeben.

Reinhard   R o s s   (Reinickendorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich bin vor drei Jahren, in einer schwierigen Zeit, Landesgeschäftsführer geworden, als die beiden Parteien ‑ Ost und West ‑ zusammengelegt wurden und sich im Internationalen Kongresszentrum zusammengeschlossen haben.

Es war keine einfache Zeit. Wir hatten mehrere Wahlkämpfe zu bestehen. Wir haben die Situation gehabt, dass uns in der Zwischenzeit ein Landesvorsitzender verlassen hat. Es waren keine leichten Zeiten. Trotzdem haben wir es geschafft, enger zusammenzurücken. Wir haben es geschafft, dass zwischen den östlichen und westlichen Bezirken die Verständigung viel besser geworden ist, als das zum Anfang der Fall war.

 

Ich glaube auch, dass sich die viel gescholtene Müllerstraße in den letzten Jahren organisatorisch soweit verbessert hat, dass man davon sprechen kann, dass wir eine vernünftige Organisation haben. Ich möchte mich bei all denjenigen, die mich in den letzten Jahren dabei unterstützt haben, recht herzlich bedanken.

Ich möchte euch bitten, dem Landesvorstand, insbesondere dem Landesvorsitzenden, aber auch dem neuen Landesgeschäftsführer das notwendige Vertrauen entgegenzubringen und ihn nicht nur zu kritisieren ‑ das wird auch manchmal erforderlich sein ‑, sondern ihn konstruktiv zu unterstützen; denn er arbeitet für unser aller Wohl. ‑ Ich bedanke mich für die Zusammenarbeit. Nachdem ich nun nur noch Basis und Landesparteitagsdelegierter bin, habe ich die Möglichkeit, an der einen oder anderen Stelle mein Herz auf der Zunge zu tragen, nicht alles herunterzuschlucken und das eine oder andere mal zu sagen. Das werde ich gern tun. ‑ Vielen Dank.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Herzlichen Dank, Reinhard Rob! Auch das Präsidium dankt für die bisherige gute Zusammenarbeit. ‑ Jetzt hat abschliebend, um auch noch mal zu den einzelnen Wortbeiträgen Stellung zu nehmen, Rudolf Hartung um das Wort gebeten.

Rudolf   H a r t u n g   : Ich will das ganz kurz machen. Zu dem, was Frank‑Axel Dietrich hier gesagt hat: Ich finde es gut, dass das hier gesagt worden ist; denn man kann damit besser umgehen, wenn es offen gesagt wird, als wenn es an den Theken und Tischen diskutiert wird, wo man nicht dabei ist. Deshalb will ich kurz auf einige Punkte eingehen.

Erster Punkt: Er hat den Zusammenschluss der Ost‑SPD und der West‑SPD angesprochen. Die Ost‑SPD hatte etwa 250 Mitarbeiter in den Bezirken und in der Rungestrabe. Das waren so viele Stellen, wie der Parteivorstand insgesamt hat. Es war selbst bei Einführung des Solidaritätsbeitrags völlig ausgeschlossen, dass wir in dieser Zahl hauptamtlich Beschäftigte in den ostdeutschen Bezirken haben konnten. Wir haben heute ‑ und insofern stimmt die Zahl nicht ‑ etwa 130 Beschäftigte bei den Landesverbänden und Bezirken und im Berliner Büro des Parteivorstands ‑ finanziert aus den Mitgliedsbeiträgen, die über den Sonderbeitrag erhoben werden.

Zweiter Punkt: Dabei habe ich als Betriebsratsvorsitzender Fehler gemacht ‑ das habe ich in irgendeiner der Vorstellungsrunden auch gesagt. Wir haben dann auswählen müssen, wen von den bisherigen Mitarbeitern wir übernehmen. Da habe ich mich so benommen, wie sich ein dummer Wessi im November oder Oktober oder September 1990 häufig benommen hat. Ich habe in der Zeit in Sachsen‑Anhalt eine ganze Menge dazugelernt. Ich würde mich freuen, wenn viele andere auch etwas dabei gelernt haben. Ich habe damals Fehler gemacht. Ich habe mich damals schon bei den Leuten, die wirklich beschädigt worden sind, auch persönlich entschuldigt.

Dritter Punkt: Ich kann nichts dafür, dass ich keine Frau bin.

(Heiterkeit)

Ich habe gesagt, ich habe aus politischer Überzeugung die Quote in das Bundesstatut mit durchgesetzt. Aber ich sage auch: Wenn hier heute auch eine Kandidatin gewesen wäre, hielte ich es trotzdem für legitim, dass auch bei Einzelwahlen mal ein Mann gegen eine Frau kandidiert und dann die Frau gewählt wird, weil sie qualifizierter ist als der Mann. Daran sollte auch die Partei meines Erachtens festhalten. Das, was zur Quote gesagt worden ist, zur Beteiligung an Gremien und Mandaten, das unterstreiche ich, da sind wir nicht unterschiedlicher Meinung.

Vierter Punkt: Das Hinterhältigste von mir, hat Frank‑Axel Dietrich gesagt, sei die Tatsache, dass, wenn ich hier gewählt und hier dann mal abgewählt werde, ich dann nicht arbeitslos bin, sondern für meinem alten Arbeitsplatz eine Beschäftigungsgarantie habe. Ich finde das für mich richtig und legitim, weil man als Außenstehender nicht auf zwei Jahre kandidiert. Und das, was mit der „Katze im Sack“ gesagt worden ist, gilt doch für viele von euch. Viele von euch kennen mich nicht, können mich jetzt nach der Vorstellung, nach dem, was andere über mich gesagt haben, wählen. Aber nach zwei Jahren muss auch die Möglichkeit da sein, mich nicht wieder zu wählen. Ich mache ganz deutlich: Ich gehe aus politischer Überzeugung, weil ich das für eine wichtige und interessante Funktion halte, nach Berlin, will hier Landesgeschäftsführer werden und will es auch so lange bleiben, um möglichst viel politisch umzusetzen. Das ist meine Motivation, warum ich das mache, und nichts anderes sonst.

Der letzte Punkt ist, dass gesagt wird: Der hat ja immer nur bei der SPD gearbeitet. ‑ Das habe ich auch schon mal im Donnerstagskreis gesagt: Ich schäme mich nicht dafür, dass meine Eltern nicht das Geld hatten, mein Studium zu finanzieren und dass ich dafür in Wechselschicht gearbeitet habe ‑ Tagschicht, Spätschicht und Nachtschicht. Jedes Mal, wenn ich an einem groben Industrieunternehmen vorbeikomme, weiß ich, wie privilegiert ich und wir sind, die wir bei der Partei arbeiten, gegenüber denen, die weiter Tag‑, Spät‑ und Nachtschicht machen müssen. Das Bewusstsein habe ich nicht verloren. Ich finde es unfair, wenn so getan wird, dass, wenn jemand in der Partei hauptamtlich für sie arbeitet, das schon der Ausweis für Weltfremdheit ist. Ich kenne viele ehrenamtliche Leute, die irgendwann einmal ein Mandat hatten, die ihr Geld nicht bei der SPD, sondern beim Staat verdient haben, die wesentlich weltfremder sind als mancher Kollege, der seit Jahren Unterbezirksgeschäftsführer ist.

(Beifall)

Ich weise diese Beleidigung ‑ nicht, weil sie gegen mich gerichtet ist ‑ auch gegen die zurück, die 60 Stunden in der Woche bei der Partei arbeiten ‑ sicherlich nicht zu schlechten Gehältern. Aber wir machen anständige Arbeit, und wir wollen auch von euch anständig behandelt werden. Darauf haben wir einen Anspruch.

Ich bitte euch, wählt ehrlich. Wer mich nicht wählen will, der soll mich im ersten Wahlgang nicht wählen. Wer sagt, der soll einen Vertrauensvorschub haben, der soll mich im ersten Wahlgang wählen. Ich sage denen, die spielen wollen: Ich werde hier dieses Amt antreten, wenn mich die Delegierten dieses Landesparteitags tragen. Eine Mehrheit ist eine Mehrheit, die Demokratie lebt damit. Und Spielereien ‑ im ersten Wahlgang durchfallen lassen, im zweiten Wahlgang wählen ‑ beschädigen mehr den, der sich so verhält, als den, der im zweiten Wahlgang dann doch gewählt ist.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir kommen dann zum Wahlgang. Hierzu verlese ich zunächst die Namen der Wahlkommission I, die in Aktion tritt, damit jeder weib, wer darin ist: Ernst Ollech, Marzahn, Gabriele Zyla, Neukölln, Bruni Wildenhain‑Lauterbach, Wedding, Jutta Dietrich, Köpenick, Andreas Matthae, Kreuzberg, Regine Haage, Spandau, Detlef Klemm, Hellersdorf, Sabine Rogge, Treptow, Cynthia Segner, Tempelhof, Barbara Unger, Lichtenberg, und als Sprecher Manfred Neumann, Hohenschönhausen.

Wir erinnern noch einmal an die vorherige Mitteilung des Präsidiums, dass die Kreise Weißensee und Pankow jeweils noch Mitglieder für die Wahlkommission benennen sollen.

Kann der Bericht der Mandatsprüfungskommission schon gegeben werden? Die Verzögerung liegt im übrigen daran, dass viele Delegierte ohne Karte zu spät gekommen sind und deshalb das Büro diese erst ausstellen mubte.

Dann geben wir zwischenzeitlich einige Hinweise. Die Junge Gruppe in der Gewerkschaft der Polizei hat auf den Tischen eine Postkarte auslegen lassen. Wer sich an dieser Aktion der Jungen Gruppe der GdP beteiligen will, kann seine Karte in eine kleine Kiste, die am Podium steht, legen. Die Karten werden dann an Senator Heckelmann weitergeleitet.

Die Kommissionen treffen sich im Raum 331.

Noch ein Hinweis bevor wir in den Wahlgang eintreten: Wir bitten alle diejenigen Teilnehmer, die nicht Delegierte sind, sich aus den Reihen der Delegierten zu entfernen. Gleichzeitig bitten wir alle Delegiertinnen und Delegierten, ganz egal, wie grob ihr Gewicht ist ‑ ich kann das manchmal nachvollziehen ‑ , so dicht an den Tisch heranzurücken, dass die Mitarbeiter nachher auch durchkommen, wenn sie die Stimmzettel ausgeben beziehungsweise einsammeln.

Es folgt der Bericht der Mandatsprüfungskommission.

Monika   T h i e m e n   (Mandatsprüfungskommission): Liebe Genossinnen und Genossen! Zunächst möchte ich mich für die Mandatsprüfungskommission entschuldigen, dass wir euch haben warten lassen, aber das war heute leider nicht anders möglich. Es sind viele Delegierte später gekommen. Das Tagungsbüro konnte nicht rechtzeitig die Unterlagen bereitstellen, so dass wir ziemlich kurzfristig und schnell prüfen mussten.

Von den gewählten Landesparteitagsdelegierten sind 256 anwesend. 15 davon sind ohne Buch erschienen, trotzdem konnte die Beitragspflicht nachgewiesen werden. Entschuldigt sind 28. Der Landesparteitag ist damit beschlussfähig.

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Dann treten wir in den Wahlgang ein. Ich bitte, zunächst gelbe Stimmzettel auszuteilen. Die Stimmzettel werden nur an Delegierte mit der blauen Delegiertenkarte oder mit einer braunen oder orangenen Delegiertenkarte mit einem extra Zusatz ausgeteilt.

(Austeilen der Stimmzettel)

Das Präsidium macht noch einmal darauf aufmerksam, dass die Mitarbeiter dringend bitten, dass ihr ein bisschen näher an die Tische heranrückt, damit man auch durchkommt.

Hat jeder einen Stimmzettel? Dann können wir mit der Wahl beginnen. Es ist eine Einzelwahl. Wer Rudolf Hartung wählen will, stimmt mit Ja, wer nicht, mit Nein, wer nichts ankreuzt, enthält sich. Der Wahlgang hat begonnen.

(Ausfüllen der Stimmzettel)

Ich gehe davon aus, dass jeder jetzt sein Kreuz gemacht hat und bitte, mit dem Einsammeln zu beginnen.

(Einsammeln der Stimmzettel)

Sind alle Stimmzettel eingesammelt? Dann ist der Wahlgang geschlossen. Ich bitte die Wahlkommission 1, mit dem Auszählen zu beginnen. Da das Auszählen nicht allzu lange dauern wird, schlagen wir vor, um die Bedeutung des nachfolgenden Themas, ABM‑Stopp zum Beispiel, nicht zu verwässern, dass wir kurz unterbrechen.

(Sitzungsunterbrechung von 11.25 bis 11.32 Uhr)

Detlef   D z e m b r i t z k i   (Reinickendorf): Liebe Genossinnen und Genossen vom Präsidium, eure Anwesenheit ist notwendig, und wir bitten, dass ihr eure Plätze einnehmt. Die Vorsitzende der Mandatsprüfungskommission bitten wir ebenfalls zum Podium. ‑ Vielen Dank.

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir bitten die Sprecherin der Mandatsprüfungskommission, zum Präsidium zu kommen.

Die Mandatsprüfungskommission wird noch mal in den Raum 331 einberufen. ‑ Falls sich eine Delegierte oder ein Delegierter nicht im Tagungsbüro gemeldet hat, wird gebeten, dass er dies sofort tut.

Ich bitte alle Delegierten, wieder Platz zu nehmen. Wir wollen mit einem neuen Bericht der Mandatsprüfungskommission fortfahren.

Monika   T h i e m e n   (Mandatsprüfungskommission): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich hatte euch vorhin berichtet, dass wir 256 Mitglieder des Landesparteitags festgestellt haben. Nach unserer Auszählung haben sich noch weitere von euch im Tagungsbüro gemeldet. Das Tagungsbüro hat die Zahlen fortgeschrieben. Es sollen jetzt 269 Landesparteitagsdelegierte anwesend sein.

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das erklärt auch, weshalb im Präsidium etwas Unruhe herrschte. Es waren mehr Stimmzettel abgegeben worden, als es nach dem alten Bericht der Mandatsprüfungskommission hätten sein dürfen. Ich bitte daher noch einmal, dass Delegierte, die kommen, sich immer rechtzeitig, sofort, beim Tagungsbüro melden, damit uns immer der neuste Stand bekannt ist.

Dann geben wir jetzt das Wahlergebnis bekannt.

Manfred   N e u m a n n   (Wahlprüfungskommission): Ich gebe das Wahlergebnis zur Wahl des Landesgeschäftsführers bekannt. Es wurden 264 Stimmen abgegeben. Diese Stimmen waren alle gültig. Die erforderliche Mehrheit betrug damit 133 Stimmen.

Für Rudolf Hartung wurden 168 Ja‑Stimmen abgegeben.

(Beifall)

89 Delegierte stimmten mit Nein, 7 Genossen haben sich der Stimme enthalten. Damit ist der Genosse Hartung zum Landesgeschäftsführer gewählt.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Rudolf Hartung, wir gratulieren auch im Namen des Präsidiums. Nimmst du die Wahl an? Er sagt etwas dazu.

Rudolf   H a r t u n g   : Ich nehme die Wahl an. Denen, die mich gewählt haben, danke ich und hoffe, dass ich ihr Vertrauen erfülle. Bei denen, die mich dieses Mal nicht gewählt haben, hoffe ich, dass ich einen Teil der Vorurteile abbauen kann.

Ansonsten wünsche ich uns allen eine gemeinsame, erfolgreiche Arbeit.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Jetzt kommen wir zu

Punkt 3 a der Tagesordnung

Soziale Gerechtigkeit und gleiche Lebensverhältnisse

herstellen

‑ Tarifauseinandersetzungen in Ostdeutschland

Referat: Horst Wagner

‑ ABM‑Stopp

Referat: Christine Bergmann

‑ Resolution: Ditmar Staffelt

Als erster hat Horst Wagner das Wort zu den Tarifauseinandersetzungen in Ostdeutschland.

(Beifall)

Horst   W a g n e r   (IG Metall): Genossinnen und Genossen! Für die, die es nicht wissen: Ich bin Bezirksleiter der IG Metall Berlin‑Brandenburg.

(Vereinzelter Beifall)

In einer Situation des ökonomischen Umbruchs, der gesellschaftlichen Verwerfung und der politischen Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung sehen die Arbeitgeber offensichtlich ihre Stunde gekommen, den Gewerkschaften im allgemeinen, der IG Metall im besonderen, einen strategischen Schlag zu versetzen.

Es ist in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmalig: Der kalkulierte Rechtsbruch wird zu einem politischen Instrument zur Bekämpfung der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften.

(Unruhe)

Mit ihrer rechtswidrigen Kündigung der Tarifverträge legen die Arbeitgeber die Hände an ein zentrales Fundament des Sozialstaates. Die Arbeitgeber kalkulieren dabei eiskalt mit strategischem Kalkül. Diese Bundesrepublik Deutschland soll eine andere werden. Sie wollen den aus ihrer Sicht schwächsten Punkt, den Osten unseres Landes, mit der dort herrschenden extremen Arbeitslosigkeit und der drückenden Angst um den Arbeitsplatz nutzen, um die Tarifautonomie im Osten mit Wirkung auf den Westen und auf alle Gewerkschaften auszuhebeln.

(Anhaltende Unruhe)

‑ Es ist ein bisschen schwierig in diesem Saal mit der Akustik. Von unten kommt es ziemlich laut.

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Könnt ihr, bitte, etwas ruhiger sein, damit Horst Wagner zu verstehen ist?

(Vereinzelter Beifall)

Horst   W a g n e r   (IG Metall): Genossinnen und Genossen ‑ unter uns Genossen darf man das vielleicht sagen ‑, das Thema, das wir jetzt behandeln und auch das, was danach kommen wird, das geht wirklich an die Fundamente der Menschen, die wir vertreten wollen.

(Beifall)

Die Konsequenzen aus dem Verhalten der Unternehmer in Deutschland sind klar. Mit einem Verlust der Tarifautonomie ginge die Sicherheit und Verlässlichkeit des Tarifvertrags für jeden ‑ und ich betone: für jeden! ‑, für alle Arbeitnehmer verloren. Das kurzfristige Ziel der Arbeitgeber ist, die Tarifverträge mit verbindlichen Stufenerhöhungen auszuhebeln. Die Tarife sollen weg.

Das langfristige Ziel von Gesamtmetall ist ein anderes. Es heißt, die tarifliche Schutz‑ und Gestaltungsfunktion der Gewerkschaften im Bewusstsein der Mitglieder und der Öffentlichkeit zu demontieren. Die Fakten liegen auf dem Tisch. Die Metallarbeitgeber wollten 1991 den Stufenplan. Sie waren es, die diesen Tarifvertrag in seiner Substanz gefordert haben. Sie wollten für die Betriebe Kalkulationssicherheit über mehrere Jahre und für die Menschen eine Perspektive. Beides wollen sie jetzt abschaffen!

Hier in diesem Saal ‑ dessen Akustik hervorragend ist; wenn jemand Zwischenrufe macht, versteht das jeder, der hier oben sitzt ‑ gab es vor zwei Jahren eine stürmische Versammlung, eine Versammlung, in der die Funktionäre der IG Metall genau diesen Tarifvertrag härtestens bekämpften, weil er ihnen in seiner Dauer zu lange war und weil die Erhöhungen der Tarife, die Anpassungen, zu lange auf sich warten lieben. Wir haben es damals dennoch fertiggekriegt, eine Akzeptanz dieses Vertrages herzustellen. Heute wollen die Arbeitgeber von all dem nichts mehr wissen und stellen diesen Vertrag in Frage.

Von Anfang an war bei diesem Vertrag klar: Nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Betriebe, sondern die politische und soziale Gesamtsituation war der Hintergrund für diesen Vertrag. In den tiefgreifenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbrüchen sollten zumindest Tarifverträge eine gesicherte Perspektive bieten.

Klar war aber auch: Ein gezieltes wirtschaftliches Aufbau‑ und Erneuerungsprogramm durch den Staat war unerlässlich. Investitions‑, Absatz­- und Exportförderungen sollten diesen Vertrag begleiten. Nichts von alledem hat die Bundesregierung verwirklicht. Jetzt sollen die Menschen für dieses politische Versagen nicht nur mit dem Verlust der Arbeitsplätze, sondern zusätzlich mit der Verschlechterung der zugesagten und vereinbarten Einkommensangleichungen büßen. Wir, die Gewerkschaften, werden das nicht kampflos geschehen lassen.

(Beifall)

Die Tarifabschlüsse waren 1991 richtig, sie sind es auch heute. Die Kündigung der gültigen Tarifverträge ist rechtswidrig.

(Beifall)

Die Tarifverträge gelten also weiter, weil die Arbeitgeber in keinem einzigen Fall bei den Schlichtungen die notwendige Mehrheit gewinnen konnten. Aber nicht nur deshalb: Die Arbeitgeber der Metallindustrie wollten sich gar nicht mit uns einigen. Sie wollten, obwohl sie die Schlichtung angerufen haben, dieses Instrument überhaupt nicht nutzen. Sie haben alles dafür getan, die Schlichtungsverhandlungen scheitern zu lassen.

Wir haben ‑ und ich muss jetzt leider einige Zahlen nennen, damit klar wird, worüber wir eigentlich reden ‑ beweisen können, wie teuer das Leben heute in den neuen Ländern ist. 99,9 % ‑ entschuldigt, diese Zahl ist im Osten aus alten Zeiten bekannt, aber sie ist so ‑ der Westpreise bezahlt man heute auch im Osten für das tägliche Leben. Dies belegt eine Untersuchung der Verbraucherzentrale in Berlin.

Wie sieht es mit den Zahlen für die Löhne aus? Da gibt es eine Horrorzahl: 26 % Lohnerhöhung fordern die Gewerkschaften. Das hat es im Westen nie gegeben. Diese Zahl wird von den Arbeitgebern bewusst als eine politische Zahl in die Debatte geworfen und immer wiederholt.

In Wirklichkeit verdienen die Arbeitnehmer der Metallindustrie und der Stahlindustrie heute in den neuen Ländern real brutto zwischen 53 und 57 % des Westlohns. Diese Zahlen sind in den Verhandlungen von den Arbeitgebern zu keiner Stunde bestritten worden ‑ und das bei einem Preisniveau von annähernd 100 % West.

Nach der Anpassung im April, also nach Inkrafttreten der nächsten Stufe, die wir vereinbart haben, würde sich der Lohn und das Gehalt auf maximal 63 bis 65 % des Westlohns und des Westgehalts bewegen ‑ weil natürlich immer noch nicht die Zulagen, wie sie im Westen gezahlt werden, vorhanden sind. Und die Preise werden weiter steigen.

Auch nach dem April 1994, also zu einem Zeitpunkt, wo wir im Tarifvertrag 100 % Anpassung vorgesehen haben, hätten die Metallarbeiterinnen und Metallarbeiter erst rund 80 % des Westniveaus auf ihrem Konto. ‑ Das sind die richtigen Zahlen; denn von der Arbeitgeberideologie und ihrer Verbrämung und ihren 26 % kann sich niemand etwas kaufen.

Eine Steigerung von durchschnittlich 55 % auf ca. durchschnittlich 64 % des realen Brutto‑Westeinkommens, also 9 Prozentpunkte, das ist es, um was es wirklich in diesem Tarifkonflikt geht.

Die Arbeitgeber wollen keine vernünftige Lösung, sondern den unsinnigen Konflikt zuspitzen.

Ein Streik ‑ lasst mich das in aller Offenheit sagen ‑ ist sicher das letzte, was die Betriebe im Osten jetzt brauchen. Ich äußere den Verdacht, dass nicht wenige in Gesamtmetall, die das Sagen haben, auch die letzte mögliche Konkurrenz über einen herausgeforderten Streik hier kaputtmachen wollen, wie sie in diesem Land die Industrie plattgemacht haben.

(Beifall)

Wir wissen sehr wohl, dass der Streik immer das letzte Mittel war. Aber wir werden uns an dieser Stelle auch von den Arbeitgebern im Interesse der Menschen im Osten nicht erpressen lassen.

(Beifall)

Als Ablösung für den Stufenvertrag haben die Arbeitgeber Lohnerhöhungen von 9 % im Volumen angeboten ‑ im Volumen, wohlgemerkt. Auch das ist wieder ein übler Trick, um die Öffentlichkeit in die Irre zu führen, genau wie die 26 % als Horrorzahl. 9 % im Volumen heißt: Das sogenannte Angebot ist keines. Unter dem Strich würden die Arbeitnehmer in Ost‑Berlin und in Brandenburg nach diesem Angebot nur 3,9 % mehr Lohn erhalten, weil alles mit eingerechnet wird, was ansonsten tarifvertraglich für die nächste Zeit vereinbart worden ist. Dazu gehören zwei Tage mehr Urlaub, 10 % mehr Sonderzahlung und etwas höhere Leistungszulagen für die Angestellten und für die Arbeiter.

Unterm Strich blieben von den sogenannten 9 % lediglich 3,9 % für Lohnerhöhungen übrig.

In der Stahlindustrie ‑ um der Objektivität willen, möchte ich das ergänzen ‑ wären es, weil dort „nur“ eine gewisse Tarifanpassung außerhalb stattfindet, 5,5 % ‑ auch nicht mehr.

Dieses sogenannte Angebot ist keines. Nun werden wir wiederholt gefragt: 26 %? Die IG Chemie war doch mit 9 % zufrieden. ‑ Auch das ist wieder so eine Sache. Neulich hat mir mal jemand erzählt, wie das mit Prozenten ist, solltet ihr auch wissen. Als die Mehrwertsteuer von 14 auf 15 % erhöht wurde, war das eine Erhöhung um 16 % ‑ das hat keiner geschrieben, hat keiner gesagt. Aber hier, bei diesen Lohnerhöhungen von einem so niedrigen Ausgangspunkt, setzt man Horrorzahlen in die Welt, um den Menschen ihr Recht unmöglich zu machen, für ein anständiges Leben zu kämpfen ‑ auch das gehört zur Wirklichkeit unserer Republik. Nun werden wir gefragt, warum die IG Chemie 9 % akzeptiert und wir nicht. In der chemischen Industrie ist ein Abschluss gemacht worden, der ein Eck‑Entgelt im Tarifvertrag von 2 144 DM monatlich bringt und zusätzlich tarifliche Leistungen ‑ aufs Jahr gesehen ‑, die über den Tarifverträgen von Metall und Stahl liegen. Wir hätten exakt 1 DM mehr, wenn wir unseren Tarifvertrag so, wie vereinbart, durchsetzen. 2 144 DM in der chemischen Industrie; die Gesamterhöhung der Metalltarife würden 2 145 DM bringen. Das ist der Grund, warum wir unseren Tarifvertrag auch durchsetzen wollen, obwohl wir nicht 9 % sagen können. Denn 9 % wären so wenig, dass wir jeden Anschluss an die allgemeine Tarifentwicklung verlieren würden.

Wir haben exakt 2 145 DM zum 1. April vereinbart. Damit erklärt sich, warum wir das auch durchsetzen müssen.

Genossinnen und Genossen! Am 1. April endet die Friedenspflicht der IG Metall in den Tarifgebieten Ost‑Berlin und Brandenburg. Den Kolleginnen und Kollegen wird jetzt schon von den Arbeitgebern Angst gemacht. Sie sollen sich ‑ das wollen betriebliche Verhandlungen oder sollen es bringen ‑ von der IG Metall abspalten. In den Betrieben wird zunehmend mit dem Verlust des Arbeitsplatzes gedroht. Die Arbeitgeber sagen, wenn der Abschluss niedriger ist, würden die Arbeitsplätze sicherer sein. In einem Land, in dem weit mehr als die Hälfte in der Metallindustrie, in der Stahlindustrie drei Viertel aller Menschen jetzt schon ihren Arbeitsplatz verloren haben, ist natürlich eine Drohung an die noch Vorhandenen mit dem Verlust des Arbeitsplatzes eine ganz wichtige, ernstzunehmende Sache. Wer einmal in die Betriebe hineinhört, weiß um die Angst der Menschen um den noch vorhandenen Arbeitsplatz.

Aber ich sage es noch mal: Wir haben in den Verhandlungen zweimal die Frage gestellt: Wären Sie ‑ also die Arbeitgeber ‑  denn bereit, wenn wir nachgeben, wenn wir einen geringeren Anstieg vereinbaren würden, eine Arbeitsplatzsicherung, eine Garantie des Arbeitsplatzes mit uns zu tarifieren? Zweimal erhielten wir während der Verhandlungen ein klares Nein der Arbeitgeber. Sie werden die Entlassungen im Rahmen von Rationalisierungsmaßnahmen fortsetzen, wie sie das in großem Umfang schon getan haben.

 

Die zynische Behauptung von Herrn Kirchner, dem Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall, nur die Arbeitslosen werden streiken, ist doch so perfide ‑ aber natürlich von ihm ernst gemeint in der Hoffnung, dass die Gegenwehr der Arbeitnehmer im Osten Deutschlands gering sein wird, weil die Angst um den Arbeitsplatz so grob ist. Aber auch die Arbeitslosen oder die zukünftigen werden von dem profitieren; denn auch die Lohnersatzleistungen werden nach dem Lohnabschluss steigen.

 

Die Verantwortlichen des Arbeitgeberverbands der Metall‑ und Elektroindustrie sollten es wissen: Die Menschen im Osten haben ihren Mut zu kämpfen noch nicht verloren! Wer glaubt, dass Resignation das eigentliche Verhalten dort wäre, der sollte mal in die Stimmung hineinhören. Meine Sorge ist, dass über einen solchen Arbeitskampf ein Stück in 40 Jahren gewonnener Demokratie verloren geht.

(Beifall)

Dieses Land verändert sich in diesen Wochen und Monaten. In diesem Land geht sozialer Konsens verloren. Und Sozialdemokraten müssen wissen, wir alle müssen es begreifen, dass wir Abschied nehmen müssen von einer Zeit der Harmonie

(Vereinzelter Beifall)

und dass wir einer Entwicklung entgegengehen, von der wir das Ende noch nicht wissen. Ich fürchte, die Auseinandersetzung um diese neue Demokratie ‑ ich hoffe, es wird eine ‑ wird hier im Osten beginnen.

 

Die Verantwortlichen des Arbeitgeberverbandes wissen es, und sie betreiben ihr Spiel trotzdem. Sie werden den Mut und die Entschlossenheit    aller    Gewerkschaften in Ost und West erleben. Der Bundesvorstand des DGB ‑ das ist untergegangen in den sonst so verbreiteten Nachrichten ‑ hat beschlossen, den Kampf der IG Metall zu seinem zu machen.

(Beifall)

Das ist vor dem Hintergrund ‑ und in unserer Partei gibt es ja einige Mitglieder, die im öffentlichen Dienst tätig sind, dachte ich mir ‑ der Tarifabschlüsse des öffentlichen Dienstes notwendig; denn wer da glaubt, dass die Regierungen in Bund und Ländern stillhalten werden, der irrt sich. In den Kreisen der Union wird schon jetzt darüber diskutiert, wann denn die Aufkündigung der bisher abgeschlossenen Tarifverträge notwendig ist, um die Maßnahmen von Gesamtmetall zu flankieren. Ich spreche das hier aus im Wissen, dass es so ist. Ich warne davor, einen solchen Vorgang nicht ernst zu nehmen.

(Vereinzelter Beifall)

Das letzte Mal, dass ein Arbeitgeberverband Tarife fristlos aufgekündigt hat, Recht gebrochen hat, geschah 1928. Was dann kam, das wissen wir alle.

Genossinnen und Genossen! Einige abschließende Bemerkungen zur aktuellen Situation: Unter dem stimmberechtigten Vorsitz von Tino Schwierzina und Herrn von Dohnanyi tagt die Schlichtungskommission der ostdeutschen Stahlindustrie ‑ gestern in der vierten Runde und am Montag in der fünften und ‑ ich hoffe ‑ endgültig letzten. Auch dort steht die gleiche Frage an: Einhaltung eines Tarifvertrages, den die Arbeitgeber in dieser Struktur so wollten. Als Mitglied einer solchen Schlichtungskommission muss man bis zur letzten Minute Optimist sein. In der vierten Runde habe ich jedenfalls nicht erkannt, dass man sich einigen wird ‑ und die fünfte findet Montag statt. Das hiebe, dass nicht nur die Metall‑ und Elektroindustrie in diese Auseinandersetzung kommt, sondern das heißt auch, dass die ostdeutsche Stahlindustrie in die gleiche Situation kommen wird; denn ich zweifele nicht daran, wenn diese Schlichtung ergebnislos bleibt, dass die Arbeitgeber auch diesen Tarifvertrag kündigen werden.

 

Das heißt: Wir hätten im industriellen Bereich Ostdeutschlands einen Flächenkonflikt in der Metallindustrie, in der Elektroindustrie, in der Stahlindustrie, in den einstmals bedeutendsten industriellen Zentren der ehemaligen DDR. Was das in den Auswirkungen für die Menschen bedeutet, darüber sollte sich jeder klar sein.

Genossinnen und Genossen! Ich sagte es schon: Die Arbeitgeber haben mit ihrer Kündigung nicht einen Tarifvertrag allein gekündigt. Sie haben den Grundkonsens der Sozialpartnerschaft ‑ was immer das gewesen sein mag ‑ aufgekündigt.

(Vereinzelter Beifall)

Sie haben einen Grundkonsens dieser sozialen Demokratie aufgekündigt. Genossin Bergmann wird nach mir zu einem anderen, aber ähnlichen Thema sprechen. Seht das alles im Zusammenhang. Seht das im Zusammenhang: Hier wird die Gesellschaft gespalten. Hier wird oben gestärkt, unten geschwächt, und die kleinen Leute werden immer mehr, die unterhalb der Existenzgrenze leben müssen. Vor diesem Hintergrund, denke ich, muss man diesen Tarifkonflikt erleben, muss man sehen, wie die Arbeitslosenunterstützung abgebaut, die Sozialhilfe gekürzt wird und ABM gestoppt wurde. Ich weiß doch noch, wie die Hoffnung da war, ABM wird eine Brückenfunktion haben. Die Brücke hat längst keinen anderen Pfeiler mehr. Für die meisten ist das der Weg in die Arbeitslosigkeit mit Unterbrechung.

(Beifall)

Und nun auch das noch weg.

Wer die Situation der Menschen in Ost‑Berlin, in Brandenburg, überall in den neuen Bundesländern einigermaßen realistisch einschätzen kann, weiß, wie schwer es den Menschen fallen wird, in dieser Herausforderung zu kämpfen. Deshalb hatte Franz Steinkühler recht, als er sagte: Dieser Kampf für die IG Metall darf kein Kampf im Osten allein sein, sondern es muss ein Kampf der Gewerkschafter im Westen und im Osten sein, weil es nicht anders geht.

(Beifall)

Wir befinden uns schon hinter der Schwelle der größten Herausforderung des von uns mit geformten Sozialstaates, der größten Herausforderung von denen, die glauben, dass sie vor dem Hintergrund des Massenelends einer Arbeitslosigkeit jetzt endlich wieder den Standpunkt des Herrn im Hause einnehmen können.

Ich denke, die Gewerkschaften haben sich in diesem Land nie als streikwütig zu erkennen gegeben. Aber sie haben noch zu jeder Zeit verstanden anzutreten, wenn es notwendig ist, die Rechte der Arbeitnehmer durchzusetzen. Wir sind genau an diesem Punkt wieder angekommen: Wir wollen nicht streiken. Wir wollen eine vernünftige Lösung am Verhandlungstisch. Aber wir wollen, dass Tarifverträge Recht bleiben in diesem Deutschland. Und darum werden wir streiken, wenn es notwendig ist.

(Beifall)

Denn wir wollen unser Recht, für das wir unsere Unterschriften gegeben haben. Herr Kohl und seine Regierung haben das Volk in Ostdeutschland so oft belogen, dass wir uns in die Reihe der Lügner nicht einreihen werden.

(Beifall ‑ Zuruf: Bravo!)

Wir wollen unser Recht, und das werden wir erzwingen. ‑ Danke schön.

(Anhaltender Beifall)

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Vielen Dank, Horst! Du hat an dem Beifall des Parteitags gesehen, dass du mit deiner kämpferischen Rede auch die Stimmung der Genossinnen und Genossen getroffen hast.

Wir kommen zum nächsten Thema innerhalb dieses Tagesordnungspunktes, zur Rede von Christine Bergmann. Christine, du hast das Wort.

Christine   B e r g m a n n   : Liebe Genossinnen und Genossen! Ich denke, es ist gut, dass sich dieser Parteitag mit dem Thema „Tarifauseinandersetzung“ und mit dem Thema „ABM‑Stopp“ beschäftigt, weil das deutlich macht, dass dieser Skandal ein Skandal ist, der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht kalt lässt, dass wir in der Berliner SPD wissen, wo wir die Prioritäten zu setzen haben. Denn ‑ Horst hat das sehr deutlich gesagt ‑ ich glaube nicht, dass der Kampf im Osten begonnen wird, der Kampf um den sozialen Konsens und um Demokratie wird nicht begonnen, er hat schon begonnen! Für uns hat er in ganz Berlin begonnen; denn es geht um unsere Arbeitsplätze und um unsere ABM‑Stellen in der gesamten Stadt.

(Vereinzelter Beifall)

Es gehört leider zusammen: auf der einen Seite der Abbau der Tarifautonomie, also Eingriffe bei den Rechten der Gewerkschaften, bei den Rechten der Arbeitnehmer, bei der Finanzausstattung der Arbeitnehmer und auf der anderen Seite im gleichen Moment Eingriffe bei den Arbeitslosen in Form des Versuchs, im Solidarpakt das Arbeitslosengeld noch einmal zu beschneiden. Horst hat deutlich gemacht, um welche Summen es sich hier handelt, um welche Einkommen, die wir noch kürzen wollen. Das ist zwar im Moment vom Tisch, aber alle anderen Punkte durchaus noch nicht. Es geht darum, denjenigen, die in ABM eine Perspektive sehen, dann auch diese Perspektive noch wegzunehmen.

 

Ich möchte an dieser Stelle allen danken, die meine Aktionstage vorige Woche so kräftig unterstützt haben. Es ist kein Zufall, dass wir hier mit der IG Metall und anderen Gewerkschaften gemeinsam gekämpft haben; denn wir lassen uns hier nicht auseinanderdividieren, nicht in diejenigen, die sich nur um Rechte der Arbeitnehmer kümmern und um andere, die sich nur um Rechte von Arbeitslosen oder ABM‑Beschäftigten kümmern.

(Vereinzelter Beifall)

Ich danke euch für eure Unterstützung und bitte euch auch weiter darum; denn der Kampf hat gerade erst begonnen. Wir sind uns, glaube ich, auch durch die Rede von Horst Wagner darüber im Klaren, was in der nächsten Zeit auf uns zukommt und dass es nicht nur darum geht, dass 35 000 ABM‑Beschäftigte betroffen sind, sondern wir alle, dass unsere demokratische Gesellschaft, dass unsere Form von sozialer Gerechtigkeit hier auf dem Prüfstand steht. Hier sind wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gefordert. Ich bin froh, dass die Menschen so viel Vertrauen in uns setzen, das haben wir vorige Woche alle miteinander gespürt. In uns setzen sie Vertrauen, und wir dürfen dieses Vertrauen nicht enttäuschen. Uns wird noch mehr einfallen müssen, damit wir hier wieder zu einer vernünftigen Arbeitsmarktpolitik kommen, damit wir denen helfen können, die sich allein nicht helfen können; denn Arbeitslose haben in dieser Gesellschaft keine Lobby, wenn wir uns nicht darum kümmern.

(Beifall)

Dieser ABM‑Stopp ist nicht nur unerträglich für diejenigen, die zurzeit ABM‑beschäftigt sind. Er ist unerträglich für alle, die in diesem Staat ein soziales Gewissen haben, bis hin zum Bundespräsidenten.

Ich will auch noch eines sagen: Wir haben in den letzten Tagen eine Ablenkungsdiskussion der CDU in der Öffentlichkeit ‑ so nach dem Motto, nun kümmert euch doch mal um die Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt. Das ist eine zynische Diskussion. Wir alle wollen Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt, soviel und so schnell wie nur irgend möglich. Aber vielleicht darf ich euch einmal daran erinnern, wer es denn war, der seit zwei Jahren für einen Sanierungsauftrag der Treuhand gestritten hat ‑ diesen Sanierungsauftrag haben wir immer noch nicht. Jetzt wird über den Erhalt vom industriellen Kern gesprochen, getan wird dazu noch gar nichts. Ich darf euch sagen, dass es in Berlin noch um 8 000 Arbeitsplätze geht. 185 000 Industriearbeitsplätze haben wir im Ostteil der Stadt mal gehabt, 45 000 sind davon noch vorhanden; nur die Hälfte davon wird für wettbewerbsfähig gehalten. Bei der Sanierung geht es jetzt noch mal um 8 000 Arbeitsplätze. Das sind die Dimensionen. Und dann stellt sich diese CDU hin und sagt: Nun macht doch mal endlich was für den Erhalt oder für die Schaffung von Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Auch die Investoren, die Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern schaffen wollen, stehen hier nun nicht unbedingt Schlange ‑ ich schließe West‑Berlin immer mit ein.

Weil das so ist, und weil wir wissen, dass wir sehr viele Menschen haben, fast eine ganze Generation der nicht mehr so ganz Jungen, sehr viele Frauen, denen wir in den nächsten Jahren keinen Platz auf dem ersten Arbeitsmarkt zusichern können, können wir auf das Instrument von ABM, solange wir kein besseres haben oder kein besseres einsetzen dürfen ‑ denn mir fällt hier eine ganze Menge ein, was man besseres tun könnte ‑, nicht verzichten. Mit diesem Instrument haben wir nicht nur eine Perspektive aus Arbeitslosigkeit geschaffen, sondern auch sehr viel und sehr sinnvolle Arbeit für unser Gemeinwesen geleistet. Wir haben ganz bewusst unsere Aktion in der vorigen Woche unter das Motto gestellt: Recht auf Arbeit! Die Menschen, um die es uns hier geht, haben ein Recht auf Arbeit, und diese Gesellschaft hat diese Arbeit für diese Menschen.

Ich denke, dass uns Blüm und Kohl nun ziemlich endgültig vor Augen geführt haben, dass sie einen radikalen Sparkurs auf Kosten der sozial Benachteiligten in den neuen und in den alten Bundesländern wollen. Der Vorschlag der Bundesregierung für den sogenannten Solidarpakt beinhaltet dafür sehr viele Beispiele. Wenn wir heute früh der Presse entnehmen konnten, dass es zwar jetzt nicht mehr um Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe geht, will ich erinnern: Wir haben noch das Unterhaltsgeld, wir haben das Altersübergangsgeld, wir haben das Wohngeld, wir haben das Bafög, wir haben die Sozialhilfe ‑ alles Punkte, wo wir als Sozialdemokraten, auch als Sozialdemokraten im Senat, sagen: Hier stimmen wir nicht zu! Und diesen Auftrag haben wir auch dem Regierenden mit auf den Weg gegeben.

(Beifall)

Wir müssen uns auch darüber klar sein, auch wenn Nürnberg den ABM‑Stopp verkündet hat: Die Verantwortung liegt ‑ das wissen alle im Saal ‑ eindeutig bei der Bundesregierung. Sie hat den völlig unzulänglich ausgestatteten Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit über die 10. AFG‑Novelle durchgedrückt und uns nach Strich und Faden belogen! Nicht nur Gewerkschaften werden im Rahmen der Tarifauseinandersetzungen belogen, auch Arbeitsminister und ‑ministerinnen, auch Betroffene werden belogen. Uns sind für das Jahr 1993 350 000 ABM‑Stellen (Ost) und 70 000 ABM‑Stellen (West) zugesichert worden. Da haben wir schon protestiert und gesagt: Das ist nicht genug! Daraufhin wurden uns die Lohnkostenzuschüsse über den § 249 h sozusagen als Ergänzung angeboten.

Jetzt wissen wir, dass die Mittel im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit für lediglich 220 000 ABM reichen. Ich will euch das in Zahlen vor Augen führen: Wir hatten im vorigen Jahr 388 000 ABM (Ost). Wir werden zum Jahresende 1993 noch 30 000 davon übrighaben ‑ so ist der Haushalt ausgerichtet.

Für Berlin bedeutet das in der gleichen Dimension dasselbe. Ich habe am Anfang gesagt, 70 % aller ABM‑Stellen werden bis zum Jahresende verloren gehen. Ich muss sagen, das war noch zu optimistisch gerechnet. Wir werden zum Jahresende bestenfalls noch 5 000 ‑ Ost und West zusammen ‑ übrighaben.

 

Das können wir so nicht hinnehmen, zumal diese berühmten Lohnkostenzuschüsse über den § 249 h eine Ergänzung sind, eine sinnvolle, aber kein Ersatz. Wir können nicht 300 000 ABM‑Stellen mit § 249 h schaffen. Erstens steht es uns nicht unbegrenzt zur Verfügung, zweitens kostet dieses Mittel das Land viel Geld. Wir rechnen mit 100 Millionen DM für 5 000 Stellen. Wir können es nicht im Westteil der Stadt anwenden, das muss ich auch deutlich sagen. Hier sind wir im Grunde genommen, wenn wir mit ABM nicht weitermachen können, völlig am Ende. Wir können es nicht für alle Gebiete einsetzen: nicht für den Bereich der Wissenschaft, wo wir 4 000 ABM‑Stellen haben, nicht für den Bereich der Kultur.

Wir Arbeitsminister und ‑ministerinnen haben in Magdeburg als Sofortmaßnahme eine Milliarde DM für die Bundesanstalt für Arbeit gefordert, damit es sofort weitergehen kann. Wir sollten alle diese Forderung unterstützen.

Wir sind uns aber auch darüber im Klaren, dass das nicht reicht. Wir brauchen die Ausfinanzierung des Haushaltes der Bundesanstalt für Arbeit in dem Umfang von 350 000 ABM (Ost) und 70 000 ABM (West) und was wir mit § 249 h machen als zusätzliches Mittel. Das muss unser Ziel sein. Das haben wir auch den Ministerpräsidenten für den Solidarpakt mit auf den Weg gegeben. Denn es ist einfach ein Skandal, dass Arbeitsmarktpolitik in diesem Solidarpakt überhaupt nicht vorkommt. Hier muss nachgebessert werden.

Lasst mich noch ein Wort dazu sagen, was es bedeutet, wenn diese ABM‑Stellen wegfallen. Wir haben in der vorigen Woche auch Busrundfahrten organisiert, um zu zeigen, was im Einzelnen passiert. Ich kann nur immer wieder alle Verantwortlichen auffordern, sich das wirklich einmal anzusehen. Wir haben heute die Äußerung des Bundespräsidenten gelesen, der gestern in Sachsen‑Anhalt war und gesehen hat, wie grob die Katastrophe ist und was für sinnvolle Maßnahmen da laufen.

Ich fordere hier auch die Bundesministerin für Frauen auf, nicht nur in der Konrad‑Adenauer‑Stiftung darüber zu reden, wie furchtbar ABM ist, sondern mal in alle die Frauenprojekte zu gehen, die jetzt kaputtgehen, wenn wir nicht weitermachen können.

(Beifall)

Wir haben für 1993 etwa 100 Ausgründungen aus Arbeitsförderungsgesellschaften vor. Wir haben uns ein Instrument dafür geschaffen, Existenzgründungsbeihilfen, eine Kapitalbeteiligungsgesellschaft. Dieses kann vor diesem Hintergrund so nicht stattfinden.

Wir haben eine soziale und kulturelle Infrastruktur im Ostteil der Stadt aufgebaut. Wir brauchen Zeit, um da wenigstens in Teilen eine Festfinanzierung hinzubekommen. Jeden Tag brechen uns ABM‑Stellen weg. Wir wissen, welche wichtige Arbeit hier geleistet wird für die Gesellschaft. Das ist auch eine Missachtung der Menschen und ihrer Leistungen.

 

Nun haben wir uns einiges einfallen lassen, wie wir eine Zwischenfinanzierung oder eine Vorfinanzierung hinbekommen. Aber ich sage auch ganz deutlich: Das kann sich immer nur um Zwischen‑ oder Vorfinanzierungen handeln, die wir als Land hier leisten. Das kann nicht die Lösung des Problems sein. Die Lösung muss eine Aufstockung des Haushalts der Bundesanstalt für Arbeit sein. Wir können nicht alles auf die Länder verteilen und damit den sozialen Konsens in der Gesellschaft kaputtmachen.

(Beifall)

Vielleicht einen Aspekt noch zum Schluss: Wir im Saal sind uns vielleicht darüber im Klaren, aber offensichtlich ist das eine Erkenntnis, die sich bis Bonn noch nicht herumgesprochen hat: Arbeitslosigkeit kostet am Ende die Gesellschaft mehr Geld, als wenn wir Arbeit finanzieren ‑ das ist seit Monaten unsere Forderung.

(Beifall)

Wir Sozialdemokraten wollen keine Gesellschaft, die sich nur um die Besitzenden kümmert. Wir wollen eine Gesellschaft, in der soziale Gerechtigkeit nicht nur ein Schlagwort ist, sondern in dem diese soziale Gerechtigkeit auch praktiziert wird. An dieser Stelle sind wir ganz hart gefordert. Ich meine ‑ wenn in den letzten Monaten immer mal so die roten Alarmlampen aufleuchteten, mit der 10. AFG‑Novelle u. ä. ‑, jetzt läuten nun wirklich alle Glocken. Das betrifft den Bereich der Tarifauseinandersetzung, und es betrifft diesen Bereich der Arbeitslosigkeit, der Finanzierung von Arbeit. Das ist auch kein Problem nur der neuen Bundesländer oder des Ostteils der Stadt. Alle ABM‑Stellen im Westteil der Stadt sind genauso betroffen, und hier brauchen wir die gleiche Unterstützung, die gleichen Mittel; denn Arbeitslosigkeit als soziales Schicksal ist für den Betroffenen hier und da wirklich sehr schwer zu ertragen. Wenn wir es nicht tun, dann frage ich mich, wer soll diesen Beitrag in der Gesellschaft leisten. Ich denke, wir bleiben an diesem Thema dran. ‑ Ich danke euch.

(Beifall)

Präs. Michael   E l z e   : Vielen Dank, Christine. Ich glaube, auch hier haben wir eine völlige Übereinstimmung zu diesem Beitrag bemerkt.

Um das alles politisch zu untermauern, ist eine Resolution vorbereitet worden. Zu dieser Resolution wird Ditmar Staffelt etwas sagen.

Ditmar   S t a f f e l t   : Liebe Genossinnen und Genossen! Ich denke, wenn wir über die Tarifauseinandersetzung in der Metallindustrie reden, wenn wir reden über den Stopp für ABM, dann müssen wir auch ein kurzes Wort über das Thema „Solidarpakt“ verlieren.

Ich glaube, in dieser Bundesrepublik Deutschland warten sehr viele Menschen darauf, dass endlich ein Weg gefunden wird, die Defizite, die schwierige Situation im östlichen Deutschland auszugleichen und dass endlich die These vom Teilenmüssen auch in die Realität umgesetzt wird.

(Vereinzelter Beifall)

Das Teilenmüssen kann aber nur in sozialer Gerechtigkeit geschehen. Das, was die Bundesregierung den Deutschen an dieser Stelle zumutet, ist unverantwortlich, unsozial und unchristlich.

(Vereinzelter Beifall)

Wer glaubt, im Zusammenhang mit einer Diskussion um die Neuverteilung der Finanzen in unserem Land die Hauptsparpotentiale beim Arbeitslosengeld, bei der Arbeitslosenhilfe, bei der Sozialhilfe oder auch beim Wohngeld zu sehen, wird auf entschiedenen Widerstand der Sozialdemokraten treffen.

(Beifall)

Wenn der neue Wirtschaftsminister, Herr Rexrodt ‑ der eigentlich aufgrund seiner Tätigkeit bei der Treuhand ein wenig mehr Realitätssinn entwickeln müsste als sein Vorgänger Möllemann ‑, erklärt, man müsse bei der Sozialhilfe kürzen, damit Missbrauch verhindert wird, dann kann ich nur sagen, Herr Rexrodt sollte sich besser um Steuerhinterzieher und um Schwarzarbeit kümmern, das wäre seine Aufgabe.

(Starker Beifall)

Ich wiederhole: Mit der SPD, auch mit der SPD‑Berlin, wird es im Bundesrat keine Zustimmung für ein föderales Konsolidierungskonzept der Bundesregierung geben, in dem Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe oder Wohngeld angetastet werden.

(Vereinzelter Beifall)

Ich erkläre vor diesem Parteitag, dass dies eine Frage der Identität der Sozialdemokratie ist.

(Beifall)

Wer diese Identität im Sinn der Verantwortung für eine grobe Zahl von Menschen am unteren Rand unserer Gesellschaft nicht respektiert, der muss sich die Frage gefallen lassen, ob er mit uns noch weiterhin in einer Koalition in Berlin regieren will!

(Starker Beifall ‑ Zurufe: Bravo! Bravo!)

Ich füge hinzu: Es kann und es darf nicht sein, dass etwa im Zusammenhang mit Beratungen im Vermittlungsausschub des Deutschen Bundesrates einzelne Bundesländer durch Sonderzuwendungen der Bundesregierung herausgebrochen werden. Darauf werden wir Berliner uns nicht einlassen.

(Beifall)

Ich denke, dass ihr mit mir übereinstimmt, wenn ich sage: Wenn solche Streichungen erfolgen und man glaubt, durch Millionenzuwendungen an den Berliner Landeshaushalt durch den Bund dies ausgleichen zu können, dann weise ich nur darauf hin, dass es in aller Regel in der Bilanz bisher so war, dass der Bund erst zugegriffen hat, erst in die Tasche der Berliner gefasst hat, um dann anschließend ein Stückchen nachzugeben. Das ist keine Rechnung, die wir in Berlin akzeptieren können.

(Vereinzelter Beifall)

Ich möchte auch noch an den Infostand und in der Stadt vor jene Menschen treten können, die davon wirklich betroffen sind. Es sind über 180 000 Personen, die Sozialhilfe beziehen. Es sind 250 000 Arbeitslose. Es sind 150 000 Menschen in AB‑Maßnahmen. Es sind über 200 000 Wohngeldbezieher. Wir haben 120 000 Studenten, von denen viele Bafög erhalten. Nein, Genossinnen und Genossen, wer einer solchen Vorlage zustimmt, der entzieht sich selbst die Basis für politisches Handeln ‑ und wir werden dies nicht mitmachen.

(Beifall)

Niemand soll sich täuschen: Auch wenn wir bisweilen in einer verständlicherweise besonderen Form der Auseinandersetzung zum Beispiel mit der ÖTV sind, es wird kein Löschblatt zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie passen, wenn es darum geht, etwa einen Versuch der Umverteilung in Deutschland ‑ den Reichen mehr, den Armen noch weniger als sie haben ‑ mitzumachen.

Ich weise darauf hin: Ich sagte, Einheit in sozialer Gerechtigkeit. Wir müssen uns dazu bekennen und dafür auch streiten, dass endlich die Ergänzungsabgabe für Besserverdienende und auch die Arbeitsmarktabgabe für Beamte, für Selbständige, für Abgeordnete und Minister eingeführt wird.

(Beifall)

Ich kann mir, bei allem Verständnis für Gruppeninteressen, nicht vorstellen, dass es in dieser schwierigen Lage unseres Landes auch nur eine Berufsgruppe geben kann, die nicht Mitverantwortung trägt für die Finanzierung von Arbeit, die nicht Mitverantwortung trägt für den Aufbau Ostdeutschlands.

Deshalb bitte ich darum, dass wir auf diesem Parteitag auch noch einmal deutlich über diese Resolution und über die Diskussion zu dem Landesvorstandsantrag über Finanz‑ und Wirtschaftspolitik demonstrieren, dass diese Berliner SPD sich in der Hauptsache nicht mit langwierigen Personaldebatten, sondern mit den Dingen auseinandersetzt, die den Menschen wirklich unter den Nägeln brennen und die von existentieller Bedeutung sind.

(Beifall)

Wir können heute ein solches Zeichen setzen. Ich glaube, dass viele ihr Verhältnis zur Berliner Sozialdemokratie auch an der Fähigkeit dieser SPD orientieren werden, wie sie mit diesen Existenzfragen umgeht, die nicht nur auf den einzelnen Auswirkungen haben, sondern die auch Auswirkungen auf den sozialen, auf den inneren Frieden und damit auf die Demokratie in unserem Land haben. Ich jedenfalls werde mit der Politik, die wir als Sozialdemokraten formulieren, alles unternehmen, damit nicht noch mehr Menschen in die Hände der Rechtsradikalen und der Rechtsextremisten getrieben werden!

(Starker Beifall)

Dies ist nicht nur eine ‑ ich wiederhole es ‑ soziale Frage; das ist eine Zukunftsfrage der deutschen Demokratie. Hier werden wir gemeinsam mit den Gewerkschaften streiten.

(Anhaltender Beifall)

Präs. Michael   E l z e   : Angesichts der deutlichen Worte in dieser Resolution gibt es direkt dazu keine Wortmeldungen. Das heißt, wir wollen jetzt direkt über diese Resolution abstimmen.

(Vereinzelter Beifall)

Wenn es doch Wortmeldungen zu dem Problemkomplex gibt, dann werden wir bei den Anträgen darüber beraten und reden. Seid ihr mit diesem Verfahren einverstanden?

(Zurufe)

‑ Gut, dann lassen wir eine kurze Wortmeldung zu.

Mechthild   R a w e r t   (Schöneberg): Ich mache es auch kurz, und ich bedanke mich dafür, dass ihr mir die Chance gegeben habt, hier zu sprechen.

(Vereinzelter Beifall)

Ich bin Mitarbeiterin einer Servicegesellschaft und denke deshalb, dass ich weiß, was der ABM‑Stopp nicht nur für die Betroffenen bedeutet hat ‑ auch bei uns war die Hölle los. Ich begrübe grundsätzlich die Resolution und habe eigentlich nur eine ganz kleine Anmerkung dazu: Wir alle wollen ein neues Arbeits‑ und Strukturförderungsgesetz, weil sich dieses AFG als nicht tauglich erweist. Arbeitsmarktpolitik ist aber nicht nur Gesellschafts‑ und Strukturpolitik und ist auch nicht nur aktive Wirtschaftsförderung. Leider wurde hier ‑ das hat der Senat auf der Grundlage des LADG beschlossen ‑, eine aktive Frauenförderung vergessen.

Mein Antrag geht dahin, zu ergänzen: „… zugleich als aktive Frauen‑ und Wirtschaftsförderung betrieben werden.“ Frauen und Männer, es ist kein kleines Wort. Wir hatten gestern eine Veranstaltung mit über 60 Frauen. Ihr wisst vielleicht nicht, wie die Stimmung dann in solchen Räumen und Situationen ist, wenn man da sitzt und keine Perspektive mehr hat. Einzelne Frauen wickeln gerade ihre eigenen Projekte, ihre eigenen Strukturen ab. Sie bestellen ihre eigene Beerdigung, um das ganz deutlich auszudrücken, weil sie keine andere Chance haben.

 

Ich bitte den Landesvorstand und auch Norbert, den Antrag zur Wirtschafts‑ und Strukturpolitik unter diesem Aspekt durchzusehen. Das würde einige weitere Wortmeldungen ersparen. ‑ Ich bedanke mich und bitte um Zustimmung und Erweiterung.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Michael   E l z e   : Ich glaube, da gibt es keinen Widerspruch. Das wird so übernommen, wie du es gesagt hast.

Dann kommen wir zur Abstimmung der Gesamtresolution. Wer dieser Resolution zustimmt, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Enthaltungen? ­Damit kann vom Präsidium aus festgestellt werden, dass diese Resolution einstimmig verabschiedet wurde.

(Starker Beifall)

Ich rufe auf

Punkt 3 b der Tagesordnung

Die Finanzlage Berlins und die soziale Gerechtigkeit

Referat: Dr. Norbert Meisner

Bitte Norbert, du hast das Wort.

Norbert   M e i s n e r   : Liebe Genossinnen und Genossen! Vor rund zwei Jahren hat Wolfgang Thierse die Delegierten des damaligen Parteitages der SPD in West‑Berlin noch mit den Worten begrübt: „Willkommen bei uns in der Gosse!“ Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie diese ironische Begrüßung uns West‑Berliner Delegierte damals irritierte. Die Tragweite der Einigung unseres Landes war für die Bewohner beider Teile selbst dieser Stadt Berlin noch ziemlich fern.

Aber Wolfgang Thierse hatte natürlich recht: Die West‑Berliner Delegierten befinden sich heute ‑ einzelne vielleicht auch erst morgen ‑ inmitten der Bevölkerung Ostdeutschlands, und deren Platz ist eben nicht auf den Boulevards der Wohlstandsgesellschaft.

(Vereinzelter Beifall)

Nun müssen wir uns fragen: Haben Politik und Gesellschaft in dieser Stadt, insbesondere aber, haben Politik und Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt die Tragweite dieser Entwicklung erkannt? Haben wir registriert, dass eine an der Spitze der Einkommenspyramide liegende Gesellschaft ‑ und das war die alte Bundesrepublik ‑ bei einer Vergröberung der Bevölkerungszahl um 25 % im Durchschnitt dann deutlich schlechter ausgestattet sein wird, wenn der Zugewinn an Vermögen, Produktionspotential und volkswirtschaftlicher Leistungskraft allenfalls 10 % beträgt? ‑ Ich glaube nicht.

Wir wollen uns heute vor allem mit den finanziellen Konsequenzen des Einigungsprozesses beschäftigen. Ich möchte in meiner Diskussionseinleitung aber nicht nur auf die Finanzlage Berlins eingehen, sondern vor allen Dingen etwas zur Situation auf der Bundesebene sagen und die Haltung der Berliner und deutschen Sozialdemokratie dabei noch einmal verdeutlichen.

So sehr uns die finanz‑ und wirtschaftspolitische Wurstelei der Bundesregierung auch nervt, so sehr dieser unehrliche und hinhaltende Kurs zur Parteienverdrossenheit beiträgt und wahrscheinlich sogar, wie die Wahlergebnisse auf der äußersten Rechten zeigen, zur Gefährdung der Demokratie in unserem Land führt: Wir dürfen bei der Schuldverteilung dennoch nicht ungerecht sein. Ein Großteil dessen, was heute in Ostdeutschland investiert werden muss, ist tatsächlich die Folge von jahrzehntelanger Vernachlässigung der Bausubstanz, vom Verrottenlassen von Gleisen und Rohren, es ist die Folge von Umweltsünden und von staatswirtschaftlichen Autarkiephantasien. In den Berliner Altbaugebieten wie in Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Mitte, vielleicht auch in Lichtenberg, stand die DDR eben bis 1990 noch auf den schmutzigen Füßen des Kaiserreichs, was nämlich unter der Erde war.

(Vereinzelter Beifall)

Das war Fakt, und das dürfen wir nicht verdrängen. So weit, so schlimm.

Dann aber kam die Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP. Sie hat im Vereinigungsprozess durch schwerwiegende Fehler Deutschland in eine Finanzkrise hineinmanövriert, die sich auf die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes und über unser Land hinaus in die Europäische Gemeinschaft hinein verheerend auswirkt. Sie hat durch das Wahlgeschenk des 1:1 bis 1:2 Umtauschkurses die Basis der ostdeutschen Außenwirtschaft schon im Sommer 1990 ruiniert. Mitte 1990, bei der Währungsunion, waren die Ostmärkte nämlich nicht, wie das heute immer heißt, zusammengebrochen. Damals sind nur ostdeutsche Produkte, DDR‑Produkte, auf dem Weltmarkt zu teuer geworden; denn schon bevor die Sowjetunion im Chaos versank, wurde der Exportanteil Ostdeutschlands auf Westdeutschland übertragen.

Entgegen dem Rat vieler Experten wurden die zum Aufbau Ostdeutschlands benötigten Summen bagatellisiert. Ich weiß nicht, wie euch das geht; ich habe immer noch das Bild des nach Hause geschickten, gedemütigten Finanzministers Romberg vor Augen, der damals die richtigen Zahlen hatte.

(Beifall)

Mit dieser Bagatellisierung wurde die Bereitschaft der Deutschen in Ost und West, sich an diesen Lasten zu beteiligen, verspielt. Diese Bereitschaft war 1990 da. Durch den weitgehenden Verzicht auf Steuereinnahmen wurden die Kapitalmärkte belastet und der konjunkturfeindliche Hochzinskurs der Bundesbank provoziert. Ich halte nichts davon, der Bundesbank heute die Schuld für den Konjunktureinbruch in die Schuhe zu schieben. Wie anders soll sich denn eine unabhängige Zentralbank verhalten, wenn ihre Regierung das größte deutsche Projekt auf Pump finanziert? ‑ Für Fehleinschätzungen will ich niemanden tadeln. Natürlich kann es Fehleinschätzungen in dieser einmaligen Situation geben.

Fehleinschätzungen über die Dauer der wirtschaftlichen Entwicklung haben übrigens auch zu dem ABM‑Chaos geführt, das eben von Christine und Ditmar angeführt wurde. Die Zeit jetzt, wo die ABM‑Verträge auslaufen und wo die dafür zur Verfügung gestellten Gelder weggenommen werden, die Zeit sollte die sein, in der der wirtschaftliche Aufschwung insgesamt schon so viele Arbeitsplätze am ersten Arbeitsmarkt geschaffen hätte, dass ABM dann eben nicht mehr nötig sein würde. Darum ist auch dieses einfache Hineinpressen der Strukturumbrüche in Ostdeutschland in ein westdeutsches Arbeitsbeschaffungsgesetz meines Erachtens nicht richtig gewesen. Spätestens jetzt müssen die Korrekturen erfolgen, nämlich Korrekturen, die auch wirklich zu Sozialbetrieben führen.

Von 1990 bis heute wurden jeweils nur Teilwahrheiten zugegeben. Es wurden Löcher gestopft, indem andere Löcher aufgerissen wurden. Insgesamt war das alles Flickschusterei. Durch diese Art der Finanzierung der deutschen Einheit wurden die Lasten auch sozial ungerecht verteilt, und schließlich wurde durch die Anerkennung der DDR‑internen Schulden für Wohnungsbau und für Betriebe im Einigungsvertrag ‑ also Schulden, die aus einem ganz anderen Finanzierungssystem kamen, das mit dem der Banken in Westdeutschland gar nicht zu vergleichen war ‑ das Wirtschaftsleben Ostdeutschlands mit einer schweren Hypothek belastet. Ich sage noch mal, sozusagen im Namen von Wolfgang Nagel und all derer, die sich damit beschäftigen: Bleibt es bei den DDR‑Altschulden im Wohnungsbau, die heute mit zehn und mehr Prozent bedient werden müssen, dann gibt es keinen Wohnungsbau in Ostdeutschland!

(Beifall)

Und schließlich hat der Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ das Klima, das Einverständnis zwischen den Deutschen in Ost und West gründlich versaut.

(Vereinzelter Beifall)

Was sich da an finanziellen Lasten angehäuft hat, muss nun auf jeden Fall bezahlt werden. Ob wir, ob der Staat sich nun weiter verschulden und damit die Banken noch weiter und noch mehr mitverdienen lassen, ob der Staat seine Leistungen einschränkt und spart, ob er neue Steuern und Abgaben erhebt oder ob er die Inflation anheizt und das Geld der kleinen Sparer dahinschmelzen lässt ‑ auf jeden Fall muss bezahlt werden. Und höchstwahrscheinlich muss der Staat alles zugleich tun, das heißt, sich weiter verschulden und sparen und höhere Steuern kassieren und sich ein wenig von der Inflation helfen lassen. Dennoch kommt es bei der politischen Ausgestaltung sehr auf die Gewichte an. Denn wir, die Sozialdemokraten in Ostdeutschland, wollen erstens die Lasten der Einheit Deutschlands zwischen den sozialen Schichten gerecht verteilen, zweitens die Lasten in Deutschland gerecht verteilen und drittens im Umgang mit den Lasten in einer wirtschaftlichen Rezessionsphase so wenig ökonomischen Schaden wie möglich anrichten. Wir haben nämlich nicht mehr die deutsche Sonderkonjunktur von 1990 und 1991, in der nicht nur die Menschen bereit waren, mehr Steuern für die deutsche Einheit zu zahlen, sondern höhere Steuern auch noch ökonomisch vertretbar oder zumindest verkraftbar waren. Heute sind wir in einer Rezession. Manche raten uns, in dieser Situation überhaupt nicht an das Begleichen der Schulden zu denken, sondern im Gegenteil, die Verschuldung weiter auszuweiten.

Ich halte dies für falsch. Ich halte es ökonomisch für Deutschland für falsch, weil eine verschärfte Kreditnachfrage von Bund, Ländern und Gemeinden die Bundesbank postwendend zur Rückkehr zu den Zinssätzen veranlassen würde, die die Konjunktur gerade abgewürgt haben. Ich halte es für Berlin für falsch, weil wir uns mit großen Schritten jener Grenze nähern, an der die Bedienung der Schulden den politischen Gestaltungsraum eines Haushalts auf Null schrumpfen lässt. ‑ Auf die Berliner Situation werde ich später noch zurückkommen.

Wenn nach meiner Auffassung aber eine höhere Neuverschuldung die falsche Art der Finanzierung ist, was ist dann die richtige? ‑ Meine Antworten heißen: erstens Sparen und zweitens höhere Einnahmen.

Zum Sparen: Nach meiner Kenntnis der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden ist die deutsche Einheit bisher ‑ finanziell, ökonomisch ‑ in Westdeutschland überhaupt noch nicht angekommen. Ich muss mich korrigieren: Natürlich ist 1991 und 1992 in den Steuerkassen Westdeutschlands der warme Regen des Einheitsbooms angekommen,

(Vereinzelter Beifall)

aber ein Einschränken wegen der Lastenverteilung in Deutschland gab es bisher nicht. Wie wenig die Einheit in Westdeutschland angekommen ist, kann man vielleicht der kurzen Meldung, die ich in der „Berliner Zeitung“ von gestern gelesen habe, nachempfinden. Zurzeit bemüht man sich in Bonn, einen Weg aus der Krise zu finden. Diese Beratungen wurden von der Mittagszeit auf die Nachmittagszeit, auf 16 Uhr, am Freitag verschoben, weil der Ministerpräsident Bayerns die fünfte Jahreszeit in Bayern mit dem traditionellen Starkbieranstich um die Mittagszeit eröffnen musste und er zu dieser Zeit somit noch nicht zur Verfügung stand. ‑ Soviel zum Ankommen des Problems deutsche Einheit in Westdeutschland.

(Vereinzelter Beifall)

Wo hat denn der Bund bisher gespart? Im wesentlichen hat er bei der Bundeshilfe für den Berliner Haushalt gespart, bei der wirtschaftlichen Berlinförderung nach dem Berlin‑Förderungsgesetz und bei der Zonenrandförderung. Das waren die drei Sparbeiträge. Das macht gute 20 Milliarden DM ‑ und das ist erstaunlicherweise genau soviel, wie der Bund in den Einheitsfonds bar einzahlen wollte, nämlich 1990, als die Integration der DDR mit einmal 115 Milliarden DM abgehandelt werden sollte. Seitdem, seit dem Sommer 1990 wird bei allen notwendigen Aufstockungen und Sonderprogrammen gepumpt.

 

Wo gespart werden kann? Da ist den Sozialdemokraten eine ganze Menge eingefallen; das kann alles unter der Überschrift Subventionsabbau subsumiert werden. Ich meine übrigens einen wirklichen Subventionsabbau, nicht einen der Möllemannschen Art,

(Vereinzelter Beifall)

da blieben nachher nämlich nur die Berliner Einsparungen übrig. Das beginnt ‑ einige Fachausdrücke ‑ bei den versicherungstechnischen Rückstellungen, das geht über das sogenannte „Dienstmädchen‑Privileg“ und endet beim Vorsteuerabzug für den Betriebs‑Pkw noch lange nicht. Denn dann muss man sich wohl auch noch die Milliardengräber Steinkohle und Landwirtschaft vornehmen.

(Vereinzelter Beifall)

Wenn ich so etwas in einer Rezession sage, dann will ich nicht bestreiten, dass die Lage an Rhein und Ruhr wirklich schwierig ist. Aber man darf doch wohl fragen, ob es gerecht und ökonomisch sinnvoll ist, wenn in Westdeutschland ein paar todkranke Branchen ‑ und ich weiß, wovon ich rede: deutsche Steinkohle ist ohne Subventionen fünf‑ bis sechsmal so teuer wie Importkohle; überlegt euch mal, wenn ein DDR‑Betrieb gefordert hätte, er möchte weiter seine Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland behalten, obwohl er fünf‑ bis sechsmal so teuer wie auf dem Weltmarkt produziert ‑

(Beifall)

seit 20 bis 30 Jahren am Tropf gehalten werden, aber keine Mark der ostdeutschen Industrie gegeben werden soll.

Uns empfehlen sie, stattdessen die Zukunftsbranchen bei uns anzusiedeln. Wenn wir die hätten, und wenn es die so gäbe, dann wären sie schon lange dort angesiedelt, wo die Empfehlung herkommt.

(Vereinzelter Beifall)

Und sie empfehlen uns, die Ostmärkte zu pflegen. Die gibt es nur leider bekanntlich nicht mehr. ‑ Solche Politik hat wohl viel mit Lobby und mit geschickter Interessenvertretung zu tun, aber nichts mit Gerechtigkeit und schon gar nicht mit Solidarität.

 

Und selbst beim Stahl ‑ natürlich schneidet einem das Bild ins Herz, wenn man die Arbeiter von Rheinhausen jetzt wieder sieht; aber dort, in der westdeutschen Stahlindustrie, geht es um einen Abbau der Arbeitsplätze um ein Sechstel; in Ostdeutschland geht es darum, ob noch ein Sechstel der Arbeitsplätze überhaupt übrig bleibt oder ob alles plattgemacht wird.

(Beifall)

Wir sind immer noch beim Thema Sparen. Nennenswerte Einsparungen sind nach meiner Auffassung auch im Verteidigungshaushalt möglich.

(Vereinzelter Beifall)

Ich will hier nicht blind einem Stereotyp sozialdemokratischer Parteitage folgen, und mir ist auch keineswegs entgangen, dass die Auflösung der Blöcke auch militärische Risiken enthält. Aber ich habe nicht gemerkt, dass sich seit der Zeit, in der ich mich mit diesem Thema intensiver befabt hatte ‑ und das war vor 1989 ‑, eine wirklich neue Verteidigungskonzeption erarbeitet wurde, die eine neue Struktur der Bundeswehr und auch veränderte finanzielle Anforderungen begründen würde. Wir halten immer noch ein Abschreckungspotential für den Warschauer Pakt bereit. Verändert hat sich eigentlich nur, dass die Kosten für einige Rüstungsprojekte inzwischen weggelaufen sind. Da lässt sich doch wohl noch erheblich, und zwar durch Konzeptionen, sparen!

Sparen müssen auch die westdeutschen Länder. Das Angebot von sieben Milliarden DM Beitrag der westdeutschen Länder zum Finanzausgleich ist einfach unzureichend ‑ und ich persönlich finde es auch provozierend. Wie gesagt, die Einheit ist dort überhaupt noch nicht angekommen, wenn man sich im Finanzplanungsrat eben wegen der Finanzierung der Einheit eine Steigerungsrate der Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden von höchstens drei Prozent in die Hände verspricht und dann die bayerischen Kommunen von 1991 auf 1992 im Durchschnitt zehn Prozent mehr ausgeben und dann der Haushalt des Landes Bayern für 1993 eine Steigerungsrate von 6,7 % ausweist. Wo wird denn da gespart?

Das war nun ein CSU‑Beispiel; so etwas ist auf SPD‑Parteitagen immer tunlich. Aber SPD‑regierte Länder und Kommunen weisen ähnliche Steigerungen auf. Allerdings führen die Genossen neuerdings ein wirtschaftspolitisches Argument an: In der Rezession, in der wir uns derzeit befinden, so sagen sie, könne man nicht sparen, sonst würde man sich ja im keynesianschen Sinne prozyklisch verhalten und die Rezession verschärfen. ‑ Ich kann dieses Argument nicht gelten lassen. Es soll doch nicht im Sinn der Brüningschen Notverordnungen gespart werden oder deswegen gespart werden, um das Geld in den Juliusturm zu packen, sondern es soll eines der größten Investitionsvorhaben finanziert werden, das dieser Kontinent je gesehen hat. Post, Bahn, Tiefbau, Umweltsanierung in Ostdeutschland sollen damit bezahlt werden. Und hier ist es richtig ‑ übrigens auch von den ökonomischen Folgen her richtig ‑, das Geld da auszugeben, wo der ökonomische Grenznutzen in Deutschland am größten ist, nämlich eben hier in Ostdeutschland. Der Nutzeffekt könnte noch ein bisschen gröber sein, wenn ausreichend Geld für ein kommunales Investitionsprogramm vorhanden wäre. Das war der richtige Ansatz, der viel zu früh abgebrochen wurde.

(Beifall)

Wer heute in Westdeutschland nicht sparen will, der möchte den Menschen in seiner Region weiterhin die Wahrheit verschweigen, nämlich die Wahrheit, dass die Einheit kostet und Lebensstandard und öffentliches Angebot zunächst einmal nicht weiter steigen, sondern sinken werden.

Wer vom Sparen spricht, muss auch von den Grenzen des Sparens sprechen: Die Grenzen des Sparens ‑ das haben Ditmar und Christine schon klargemacht ‑ sind für Sozialdemokraten ebenfalls deutlich. Sie sind deutlich dort gezogen, wo Menschen in Not geraten oder wo Not durch staatliches Handeln noch vergröbert wird. Darum sind die Vorschläge der Bundesregierung auch für Sozialdemokraten insgesamt ‑ an welcher Stelle sie auch stehen, auch für einen Wirtschaftsminister ‑ nicht annehmbar. Das sind auch keine Schnitte ins soziale Netz. Wenn Beamte „soziales Netz“ hören, dann denken sie sowieso immer nur, es sei die Hängematte.

(Beifall)

Es ist schlicht unsozial, was hier passiert! Man kann nicht einen Regelsatz, eine Summe festlegen, die zur Lebenshaltung in unserer Gesellschaft unbedingt erforderlich ist, und dann diesen Satz aus finanziellen Gründen prozentual beliebig verändern. Das geht jedenfalls mit uns nicht!

Es ist unsozial, die Lohnersatzleistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz prozentual zu senken, vor allen Dingen dann, wenn sich die Lohnersatzleistungen auf die niedrigen Löhne in Ostdeutschland beziehen und sich danach berechnen. Und es ist unsozial, dass die Zahlungen für Lohnersatzleistungen manchmal niedriger als die Sozialhilfe sind und das dann zynischerweise als Argument für eine Absenkung der Sozialhilfe angeführt wird und nicht für eine höhere Arbeitslosenhilfe.

(Beifall)

Ingrid Stahmer hat übrigens gestern noch einmal sehr gut klargemacht, dass es nicht nur Leute gibt, die da betrügen, auch im Sozialbereich betrügen, sondern dass es viele gibt, vielleicht sogar noch mehr gibt, die aus Scham oder auch aus Angst vor der Behörde die Leistungen des Sozialamtes gar nicht in Anspruch nehmen.

(Vereinzelter Beifall)

Natürlich gibt es Betrugsfälle, und dieser Betrug muss auch bekämpft werden. Nur: Der Betrüger, der Schwarzarbeiter zum Beispiel, steckt die Kürzungen der Sozialhilfe locker weg ‑ der hat ja seinen Schwarzarbeiterlohn ‑, während die alleinerziehende Arbeitslose, die nicht betrügt, sich und ihrem Kind den Betrag vom Munde absparen muss. ‑ Mit uns läuft so etwas jedenfalls nicht!

(Beifall)

Es ist, nebenbei gesagt, demagogisch, wenn andere, finanziell weit schwerer wiegende Betrügereien von der Bundesregierung nicht einmal erwähnt werden: so zum Beispiel der Volkssport der oberen Zehntausend, Kapitalzinsen vor der Steuer zu verstecken ‑ zu hinterziehen, muss man da wohl sagen.

(Beifall)

Stellt euch einmal vor, was in diesem Land los wäre, wenn alle Zinsempfänger höhere Steuern zahlen sollten, weil etliche von ihnen Steuern hinterziehen.

Schließlich ist es unsozial und zeugt wohl ein bisschen von schlechtem Charakter, wenn der Regelsatz der Sozialhilfe für Asylbewerber um ein Viertel gesenkt werden soll ‑ für Asylbewerber, die ihre Leistungen ohnehin schon als Sachleistungen, also als Essen, Trinken, Kleidung, erhalten.

Eines muss klar sein: Mit uns kann man eine solche Politik nicht machen, und mit läuft auch kein Programm zur Vermehrung der Obdachlosigkeit, als das die geplanten Wohngeldkürzungen wirken würden.

(Beifall)

Damit wir uns recht verstehen: Ich rede von sozialer Not. Ich rede nicht von Besitzstandwahrung und schon gar nicht von der Befriedigung unserer Klientel ‑ wer oder was auch immer das sei. Seit der hessischen Wahl vom letzten Sonntag hat uns wieder ‑ und nach diesem Wahlergebnis auch zu recht ‑ Unruhe erfasst. Die Frage geistert herum, ob wir dort, wo wir Regierungsgewalt ausüben, unsere Wählerschicht gut genug behandeln. In dem Zusammenhang, in dem ich rede, halte ich davon nichts. Ich habe gelernt, dass Politik beginnt mit dem Aussprechen dessen, was ist.

(Vereinzelter Beifall)

Und Sache ist jetzt die Vereinigung Westdeutschlands mit einem Territorium, das die SED ‑ und nicht nur die SED, sondern auch ihre Mitreisenden ‑ haben verkommen lassen. Das kostet Geld. Geld, das mit Wohlstandseinbußen bezahlt wird ‑ jetzt oder etwas später. Und wenn später, dann wird es teurer. Sache ist auch, dass die Fehler der Bundesregierung von 1990 bis gestern Abend bezahlt werden müssen. Das heißt ‑ ich wiederhole ‑ erstens Sparen und zweitens Einnahmeverbesserungen.

Die Einnahmeverbesserungen, die Steuererhöhungen aber wollen wir so gestalten, dass die Schwachen wenig und die Starken mehr belastet werden. Der Parteivorstand der SPD hat am 15. Februar einen 20‑Punkte‑Katalog vorgelegt. Ich will auf diesen Vorschlag insgesamt hinweisen und nicht einzelne Ausführungen dazu machen.

Einen Gedanken daraus will ich besonders unterstreichen: Das ist der ökologische Ansatz der Steuerreform. Von Finanzpolitikern ist bei der Diskussion um unser Programm „Fortschritt ’90 ‑ erinnert ihr euch noch, darüber haben wir einmal intensiv diskutiert? ‑ den Ökologen immer vorgehalten worden, dass ökologische Abgaben kein sicheres Finanzierungsinstrument seien. Denn wenn die Abgabe auf den Ausstoß von SO2 oder CO2 oder NOx ökologisch wirkt, wenn also die Schadstoffe wirklich vermieden werden, dann wird auch die Einnahme wieder verringert, dann kommt kein Geld in die Kassen.

Eine erfolgreiche ökologische Steuerreform bringt zwar zunächst höhere Steuereinnahmen, aber mit dem Erreichen des Ziels werden die Steuereinnahmen niedriger. Aber genau so eine Steuerreform entspricht unseren heutigen finanziellen und ökonomischen Anforderungen. Denn wir sind gerade in einer finanzpolitischen Situation, in der ein Instrument angebracht ist, für einen vorübergehenden Zeitraum mit hohem Finanzbedarf Quellen sprudeln zu lassen, die im Laufe der Zeit dann spärlicher sprudeln dürfen. Eine ökologisch ausgerichtete Steuerpolitik erzielt heute hohe Steuereinnahmen und schafft Finanzierungsspielraum für die Kosten der Einheit. Sie bewirkt heute Investitionen in moderne Umwelttechnologien und schafft damit neue und zukunftsgerechte Arbeitsplätze. Sie leistet damit heute einen Beitrag zur Entlastung der Umwelt und sichert für morgen die Lebensgrundlagen. Und sie ist auch leistungsfreundlich, weil sie erfolgte Leistungen durch reduzierte Belastungen belohnt und langfristig den notwendigen Handlungsspielraum auch an die Privatwirtschaft wieder zurückgibt. Also ist gerade jetzt der Zeitpunkt richtig, um endlich den Einstieg in eine ökologische Steuerreform zu vollziehen!

(Beifall)

Nun zu den engeren Berliner Finanzen. Beide Teile Berlins waren in den Zeiten der Trennung finanziell stark abhängig von den jeweiligen Zentralregierungen der Bundesrepublik und der DDR. Beide Teilstädte hatten überörtliche Funktionen zugewiesen bekommen, und beide waren nicht in der Lage, ihre Wirtschaftskraft hinreichend zur Deckung ihrer Ausgaben zu entwickeln. Nach dem Fall der Mauer hat die Bundesregierung Kohl‑Waigel nicht nur den erforderlichen Zeitraum des wirtschaftlichen Aufbaus in Ostdeutschland zu gering eingeschätzt, sondern auch den Zeitraum, in dem eine seit 1948 geteilte und seit 1961 durch Mauern getrennte Stadt ihre wirtschaftliche Kraft voll zurückgewinnen kann. Auf der Basis dieser Fehleinschätzung baut die Bundesregierung seither ihre Finanzhilfe für den Berliner Haushalt jährlich in Zwei‑Milliarden‑Schritten ab. Gleichzeitig beeinträchtigt sie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Stadt durch einen viel zu schnellen Abbau der Berlinförderung, der von vielen Betrieben nicht durch Rationalisierung oder Produktivitätssteigerung ausgeglichen werden kann. Müssen Betriebe deshalb schließen, dann mindert das wieder die Steuereinnahmen Berlins.

Die Schere zwischen den Einnahmen und den Ausgaben Berlins öffnet sich in den Jahren 1993 bis 1996 immer weiter ‑ so weit gucken wir jetzt mit der Vorschau der mittelfristigen Finanzplanung. Wie grob der Ausgabenüberhang genau sein wird, hängt weitgehend von dem Ausgang der Gespräche ab, die derzeit in Bonn laufen. Er wird aber zwischen vier und acht Milliarden DM jährlich liegen ‑ je nach dem, wie das dort ausgeht; im besten Fall vier Milliarden, im ungünstigsten Fall acht Milliarden, und ich hoffe, dass das der ungünstigste Fall ist. Dieser wachsende Fehlbedarf kann und darf nicht mehr allein durch neue Verschuldung ausgeglichen werden. ‑ Jetzt, liebe Genossinnen und Genossen, hätte ich den Beifall auch mal gebraucht.

(Beifall)

Denn das sind die unangenehmen Tatsachen, die den Landesvorstand dazu veranlasst haben, mich, und zwar nicht in meiner Eigenschaft als Wirtschaftssenator, sondern weil ich vorher für die Finanzen wenn auch nur des Westteils zuständig war, heute in diese Debatte mit einzubeziehen.

Der Schuldendienst des Landes Berlin beträgt 1993 3,9 Milliarden DM. Das ist in etwa so viel, wie die sieben Senatsverwaltungen für Soziales, für Jugend und Familie, für Wirtschaft und Technologie, für Kulturelle Angelegenheiten, für Arbeit und Frauen, für Gesundheit und für Schule, Berufsausbildung und Sport zusammen ausgeben ‑ soviel der Schuldendienst des Landes heute.

Eine neue Kreditaufnahme von sechs Milliarden DM in einem Jahr ‑ also etwa im Jahr 1993 5,8 Milliarden DM sind, glaube ich, geplant ‑ führt zu Dauerbelastungen von jährlich 600 Millionen DM. Das entspricht der Höhe des Justizetats. Es kommt also jährlich soviel hinzu, wie nur die Verwaltung für Justiz jedes Jahr ausgibt. Ich spreche hier von Dauerbelastungen. Dauerbelastungen sind es, weil die Schulden Jahr um Jahr steigen und abgezahlte Kredite Jahr um Jahr durch neue ersetzt werden. Darum zählt ja auch die Politik nicht die Verschuldung, sondern die jährliche Netto‑Neuverschuldung obendrauf, weil sich das besser anhört. Wird die Verschuldung mehrere Jahre hintereinander in diesem Umfang erhöht, dann würde das den Haushalt des Landes Berlins erdrosseln. Es könnten nur noch gesetzliche Pflichtaufgaben des Landes finanziert werden. Politischer Gestaltungsraum wäre nicht mehr da. Es gäbe kein Geld für soziale und ökologische Programme und Projekte. Ein 300‑Millionen‑Programm für Jugendarbeit, wie es 1993 noch möglich war, ist dann einfach nicht mehr drin. Wir alle ‑ die Politik insgesamt ‑ könnten generell unsere Zukunft nicht mehr gestalten in dieser Stadt.

An dieser Finanzlage wird sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern. Das hat mit der Systematik des deutschen Finanzausgleichsystems zu tun. Der Finanzausgleich, um den jetzt gerungen wird, bezieht sich immer auf die Steuerkraft, die Finanzkraft eines Bundeslandes, also, was dort aufgebracht wird. Unterschiede in der Finanzkraft werden, jedenfalls annähernd, ausgeglichen. Dabei achten die finanzstarken Länder darauf, dass ihre Gesamteinnahmen pro Kopf der Bevölkerung nach dem Finanzausgleich nicht geringer sind als die von schwächeren Ländern, die im Finanzausgleich etwas dazubekommen. Berlin wird im Jahr 1995 ‑ nach den jetzigen Vorausschauen ‑ etwa 75 %, also drei Viertel, der durchschnittlichen Finanzkraft der deutschen Länder haben. Die anderen ostdeutschen Länder liegen darunter ‑ zum Teil erheblich darunter, um die 50 %. Durch den gesamtstaatlichen Finanzausgleich werden die ostdeutschen Länder einschließlich Berlins so gestellt, dass sie bei 95 % liegen. Das ist eine erhebliche Leistung.

Über die   Ausgaben   eines Landes sagt dieses Modell überhaupt nichts aus. Wenn nach dem Länderfinanzausgleich und nach den Bundesergänzungszuweisungen zwischen vier und acht Milliarden DM für die Ausgaben Berlins fehlen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als auch Ausgaben einzuschränken. Das geht uns so lange so, bis unsere Steuereinnahmen dermaßen steigen, dass wir aus eigener Kraft über die 95 % hinauskommen ‑ von den 75 %, die wir 1995 haben. Über 95 % ‑ das ist für die 90er Jahre bei realistischer Einschätzung nicht zu erwarten. Wir müssen also Ausgaben abbauen, wir müssen sparen. Die Grenzen der Sparsamkeit sind nur dort gesetzt ‑ darauf habe ich hingewiesen ‑, wo durch Verminderung von staatlichen Leistungen Mitmenschen in soziale Not gestürzt werden oder ‑ nachher soll noch eine Debatte über den Tunnel geführt werden, der dort gebaut wird und eine der Voraussetzungen dafür ist, dass der Umzug der Bundesregierung in diese Stadt so schnell erfolgt, dass er auch noch ökonomisch einen Sinn in Ostdeutschland ergibt ‑

(Vereinzelter Beifall)

wo die Wirtschaftskraft der Stadt insgesamt gemindert und damit ihre Steuereinnahmen verringert werden. Das ist sozusagen die andere Grenze bei den Einsparungen.

Sparen wir nicht, leihen wir uns das Geld bei den Banken, dann sind im Haushaltsjahr 1997 ‑ ich habe das jetzt selbst berechnet, andere mögen da genauer werden ‑ nach meiner Rechnung nicht nur 3,9 Milliarden DM wie dieses Jahr, sondern 9 Milliarden DM zu zahlen. Das ist dann schon der gesamte bewegliche Teil des Berliner Haushalts.

Haushaltseinsparungen bedingen Strukturentscheidungen bei der Aufgabenkritik. Strukturentscheidungen, also Entscheidungen darüber, auf welche Wahrnehmung welcher Aufgaben das Land Berlin in Zukunft verzichten will, solche Entscheidungen sind bisher nicht getroffen worden. Das muss aber geschehen, wenn nicht durch weiterhin prozentuales Sparen in allen Politikbereichen Senat und Bezirke außerstand gesetzt werden sollen, ihre Aufgaben zu erfüllen.

Wir haben Beispiele in Westdeutschland: Bremen und das Saarland sind derzeit verfassungswidrig überschuldet. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat beiden Ländern die Hilfe des Bundes zugesprochen. Es hat aber auch von beiden Ländern erhebliche eigene Sanierungsanstrengungen gefordert. Beide Länder mussten in ihren Sanierungsplänen solche Strukturentscheidungen, also, was sie in Zukunft nicht mehr staatlich bezahlen wollen, treffen. Die Lage Berlins ist nur unwesentlich besser als die Bremens und des Saarlandes. Auch wir werden um solche unangenehmen Entscheidungen nicht herumkommen.

Ich habe in den letzten drei Jahren intern und öffentlich einige Vorschläge für solche Aufgabenkritik gemacht. Sie sind in Partei, Fraktion und Senat nicht aufgegriffen worden. Vielleicht waren die Vorschläge einfach nicht gut genug, vielleicht war aber auch die Zeit einfach noch nicht reif genug dafür. In dem Jahr, in dem man hohe Kredite aufnimmt, lebt man ja auch immer noch ganz flott.

Aber es lag mir viel daran, bei euch die Einsicht dafür vertieft zu haben, dass diese Entscheidungen ‑ und es werden schmerzliche und ganz schwierige Entscheidungen sein ‑ lebensnotwendig für die Zukunft unserer Stadt sind. ‑ Ich danke euch für eure Geduld.

(Starker Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir kommen zu

Punkt 4 der Tagesordnung

Aussprache und Beratung zum Leitantrag

Klaus‑Uwe   B e n n e t e r   (Zehlendorf): Ich denke, das wird auch so eine Quote. Denn ich will die Gelegenheit nutzen, noch einmal deutlich zu machen, dass das, was Norbert Meisner hier mit ankündigte, etwas werden muss, was die gesamte Partei umtreibt, was also nicht nur im Senat oder in den Bezirksämtern im Zusammenhang mit dem nächsten Haushalt diskutiert wird, sondern dass sich die gesamte Partei mit diesen Fragen beschäftigen muss.

Wir haben den Versuch unternommen, in dem, was fälschlicherweise hier „Leitantrag“ genannt wird. Denn ihr wisst, normalerweise haben „Leitanträge“ die Aufgabe, das, was in der Basis vordiskutiert wurde in vielen Anträgen, dann zusammenzufassen und so zusammenzufassen, dass es für die Leitenden erträglich wird. Ein solcher Leitantrag ist dies nicht, sondern dieser Antrag soll dazu anleiten, die Diskussion aufzunehmen, damit ‑ wenn es darum geht, die schmerzlichen Entscheidungen zu treffen, von denen Norbert Meisner hier sprach ‑ diese schmerzlichen Entscheidungen dann nicht Ergebnisse auch in Berlin haben werden, wie wir sie am letzten Sonntag in Hessen konstatieren mussten. Dies heißt, dass wir Sozialdemokraten endlich die Herausforderung begreifen müssen, die Herausforderung, von der heute hier ganz eindringlich uns Horst Wagner berichtete, nämlich dass die gegenwärtige Situation dazu genutzt wird, auch gesellschaftspolitisch uns wieder in frühkapitalistische Verhältnisse zurückzustoßen.

(Vereinzelter Beifall)

Diese Herausforderung hat die Sozialdemokratische Partei offensichtlich noch nicht begriffen, noch nicht erfasst.

(Vereinzelter Beifall)

Was heißt es denn, wenn wir endlich wieder die Schutzmacht der kleinen Leute sein wollen, wenn wir diejenigen sein wollen, die in der Regierung, in den Bezirksämtern, im Senat darauf zu achten haben, dass es nicht ausschließlich die kleinen Leute sind, die das zu bezahlen haben, was an Infrastruktur, was an Aufbau im Osten notwendig ist?

 

Deshalb, denke ich, muss es gerade im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Lohn­- und Tarifauseinandersetzungen für uns klar sein ‑ wenn wir für den sogenannten zweiten Arbeitsmarkt Gelder brauchen, wenn wir Gelder für die Unterstützung von Arbeit in ABM‑Programmen brauchen ‑,  wo wir diese Gelder herholen. Wir müssen nach draußen und auch in der Regierung deutlich machen, dass wir hier nicht noch die schwachen Schultern weitern belasten können und wollen, sondern dass wir das unsere für diejenigen tun, für deren Interessen wir einzutreten haben.

(Vereinzelter Beifall)

Daran macht sich überhaupt die Existenzberechtigung der Sozialdemokratischen Partei aus.

Wenn wir uns die Wahlergebnisse vom letzten Sonntag wirklich kritisch vor Augen führen und bewerten wollen, dann ist damit deutlich geworden, dass wir glaubwürdig, verständlich und verlässlich endlich deutlich machen müssen, dass es nicht um irgendwelche persönlichen Eitelkeiten von Führungsfiguren geht, sondern dass das Programm der Sozialdemokraten ein Programm der sozialen Gerechtigkeit ist und dass deshalb der Aufbau im Osten von den Starken zu tragen ist und wir deshalb den wirtschaftlichen Aufbau auch nur dann werden bewältigen können, wenn wir in die Gewinne eingreifen, die viele beim Aufbau im Osten bisher gemacht haben.

(Beifall)

Es muss gelingen, diejenigen, die hier Gewinne machen, dazu zu bringen, diese dort wieder einzusetzen, dort zu reinvestieren, wo wir das Geld und die Infrastruktur brauchen. Es kann nicht angehen, dass wir nur über staatliche Haushalte, nur über öffentliche Haushalte, in den nächsten Jahren Hunderte von Milliarden aufzubringen haben, die im Ostteil des Landes gebraucht werden.

Ich will, um nicht zu lange zu reden, nur noch einen Punkt herausgreifen, um deutlich zu machen, dass wir speziell als Berliner Sozialdemokraten nicht gut daran tun, eine Diskussion zu fördern, die die Gräben zwischen Ost und West verstärkt. Ich halte nichts davon, nun mit dem Finger insbesondere auf unsere Genossinnen und Genossen in Westdeutschland zu zeigen, die es in ihren Ländern ebenfalls sehr schwer haben, ihre entsprechenden Wahlankündigungen einzuhalten. Ich denke, es ist notwendig, die Finanzströme in der Bundesrepublik vertikal umzulenken. Die Länder und Gemeinden müssen endlich an den aufkommensstarken Steuerarten beteiligt werden,

(Vereinzelter Beifall)

  1. B. an der Einkommensteuer. An der Mineralölsteuer sind die Länder überhaupt noch nicht beteiligt. Von diesen aufkommensstarken, einkommensstarken, ertragsstarken Steuerarten muss endlich ein Anteil an die Länder und Gemeinden abfließen. Das muss auch im Zusammenhang mit den jetzt anstehenden Strukturentscheidungen und dem Solidarpakt in Bonn so geschehen.

 

Dann denke ich: Nur wenn es uns gelingt, die Diskussion wieder aufzunehmen und nicht nur ohnmächtig und sprachlos davorzustehen, wie die ganzen Entwicklungen tatsächlich neben uns ablaufen, ohne dass sie von uns irgendwo politisch zu beeinflussen versucht werden, sondern ein Konzept zu entwickeln, wie wir die Gelder und Finanzströme umlenken und wie wir dort eingreifen wollen, dann wird es uns auch möglich sein, das, was jetzt nun ganz massiv, gezielt und bewusst versucht wird, nämlich Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Kinderreiche zu diffamieren ‑ das wird mit den Methoden der Familienministerin versucht und mit den Methoden des Arbeitsministers, wenn er genau in dieser Situation meint, nur auf den Missbrauch hinweisen zu müssen ‑ ‑ Wenn wir auf den tatsächlichen Missbrauch hinweisen, dann, denke ich, hätten wir sehr viele Einnahmemöglichkeiten mehr, und darauf hat auch Norbert Meisner hingewiesen. Wenn es uns gelänge, diejenigen dann auch dazu zu bringen, die Steuern zu zahlen, die ihnen im Hinblick auf ihre Gewinnmöglichkeiten und Einkommen möglich sind ‑ ‑

(Glocke des Präsidenten)

Ich denke, mir ist es gestattet worden, wenn ich ich das richtig sehe, noch einen Satz dazu zu sagen: Ich jedenfalls bin der Auffassung, dass es uns gelingen muss ‑ und zwar nicht nur auf diesem Landesparteitag, sondern in der Diskussion bis zum nächsten Landesparteitag ‑, deutlich zu machen, dass die Sozialdemokratische Partei als Schutzmacht der kleinen Leute wirklich noch ihre Existenzberechtigung hat.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat jetzt Renate Rennebach.

Renate   R e n n e b a c h   (Zehlendorf): Genossinnen und Genossen! Bevor ich heute morgen hierher fuhr, habe ich im B 2 einen Kommentar gehört von einem Menschen, dessen Namen ich nicht mitbekommen habe. Er hat gesagt: Da gibt es heute einen Landesparteitag der Berliner SPD, aber von dem ist ja nichts zu erwarten. Die Medien halten sich zurück, denn wir haben heute nichts Wichtiges zu bereden. Es wird niemand verhauen. Es wird eine kleine Personalentscheidung. Und ansonsten gibt es nichts Wichtiges.

Dass wir heute angetreten sind, drei Referate gehört haben und uns gegen den Abbau von Tarifrechten wehren, dass wir uns wehren gegen den Sozialabbau und dass wir eigentlich eine Botschaft an die Menschen in der Stadt haben, wofür die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eintreten, das hat dieser Mensch nicht gemerkt ‑ ich finde das sehr bedauerlich.

(Vereinzelter Beifall)

Es ist ja so einfach: Wenn wir uns nicht streiten, dann sind wir nicht gefragt.

 

Vor zwei Jahren, 1991, haben wir im Bundestag eine Debatte gehabt, dass wir Arbeitsmarktpolitik finanzieren müssen. Die Sozialdemokraten haben gesagt: Wir können das nicht beitragsfinanziert über die Bundesanstalt für Arbeit machen. ‑ Als Präsident der Bundesanstalt hat Franke die ganzen Jahre davor gewarnt, dass der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit und auch die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler nicht in der Lage sind, diese riesengrobe Aufgabe zu bewältigen. Die Bundesregierung wollte nicht hören, und heute behauptet sie, die Bundesanstalt für Arbeit sei ein schlechter Kassenwart und könne mit Geld nicht umgehen und schiebt der Bundesanstalt und deren Verwaltungsrat die komplette Schuld zu ‑ sie sei es nicht gewesen; die können nicht rechnen. Ich finde, ein schlimmeres Verdrehen von Worten kann es doch einfach gar nicht geben.

Sie haben vor vier Jahren, noch unter dem Wirtschaftsminister Bangemann, eine Deregulierungskommission auf den Weg gebracht. Sie haben sich vorgestellt, dass untertarifliche Bezahlung das ist, was die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland rettet. Sie haben den § 249 h im Arbeitsförderungsgesetz geschaffen, wo Menschen verkürzt arbeiten, ohne Lohnausgleich, und zehn Prozent unter Tarif eingesetzt werden können. Dies wollen sie heute den Metallerinnen und Metallern aufzwingen; denn, so habe ich bei der Treuhandanstalt erfahren ‑ die Treuhand, die offiziell nicht mit am Tarifverhandlungstisch sitzen darf, sondern nur einfach da hockt ‑, sie wollen von den Metallern einen Kompromiss haben, dass Teile der Lohnerhöhung, die nicht kommen sollen, in die Finanzierung des § 249 h, also in die untertarifliche Bezahlung für Menschen, die keinen festen Arbeitsplatz mehr haben, gehen. Das bedeutet: Sie wollen die Metallerinnen und Metaller zwingen, Ja zu sagen zu einer untertariflichen Bezahlung. Ich weiß nicht, ob ihr jetzt die Linie so richtig mitbekommen habt: Das heißt, hier soll ein wichtiger, ein ganz wesentlicher Punkt aufgegeben werden, dass wir nämlich sagen: hundertprozentige Bezahlung für hundertprozentige Arbeit!. Und die wollen uns aufdröseln, dass wir plötzlich unter Tarif arbeiten. Diese Erpressung soll laufen. Das läuft alles hinter den Kulissen, und das läuft alles nicht offiziell, aber ich finde, wir alle müssen darüber Bescheid wissen, welche Rolle die Treuhand in dieser Auseinandersetzung spielt. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir uns alle entschlossen haben, die Kolleginnen und Kollegen der IG Metall in ihrer Tarifauseinandersetzung zu unterstützen.

(Vereinzelter Beifall)

Noch einmal zu § 249 h: Auch der ABM‑Stopp bedeutet, dass sie wollen, dass die Maßnahme 249 h ‑ also untertarifliche Bezahlung, ich sage es noch einmal ‑ als einziges im Raum stehen bleibt und damit in Zukunft Arbeit in den neuen Bundesländern finanziert wird. Mit dem ABM‑Stopp verbinden sie auch den Druck auf die Menschen, diese Maßnahme durchzuführen. Denn die fünf neuen Länder haben zwar im Bundesrat für die AFG‑Novelle gestimmt und damit auch für § 249 h, aber sie haben nicht in einem einzigen Haushalt Geld dafür zur Verfügung gestellt und hoffen nun, auf diesem Weg die Maßnahme, der sie zugestimmt haben, finanzieren zu können. Hier wird der soziale Friede ‑ da hat Horst Wagner völlig recht ‑ total aufs Spiel gesetzt. Hier werden Arbeitsplatzbesitzende in ordentlichen Arbeitsverhältnissen gegen Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben und Arbeit zugewiesen bekommen, ausgespielt. Das ist der erste Schritt in die Sklaverei; das können wir uns nicht gefallen lassen, denke ich,

(Beifall)

zumal die Metallerinnen und Metaller jahrelang Lohnverzicht geübt haben, um Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen, und an dieses Instrument denkt in den neuen Ländern zurzeit überhaupt keiner mehr.

Noch einen Satz zur Standortdiskussion: Es wird soviel über den Standort geredet. Ich behaupte, der Standort Deutschland ist auch deshalb attraktiv, weil wir die Mitbestimmung haben und den sozialen Frieden ‑ oft ungeliebt in den Betrieben ‑ aber doch immer gehabt haben. Den sozialen Frieden aufs Spiel zu setzen, da sind die Unternehmer schlecht beraten, und wir sollten es ihnen laut und deutlich sagen.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Als nächster hat Hermann Borghorst das Wort. ‑ Vorab noch eine Mitteilung: Die Delegierten, die heute ihre Original‑Delegiertenkarte nicht mithaben, sondern einen orangene oder braune Karte gekriegt haben, müssten inzwischen eine Ersatzdelegiertenkarte in blau in der Hand haben, die uns nachher die Abstimmungen erleichtern soll. Wer noch nicht diese blaue Ersatzkarte hat, möge bitte ins Tagungsbüro gehen und seine alte Karte umtauschen. ‑ Das Wort hat Hermann Borghorst.

Hermann   B o r g h o r s t   (Neukölln): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich möchte gern zwei, drei Anmerkungen machen. Zunächst möchte ich auf das zurückkommen, was Horst Wagner gesagt hat. Ich teile seine Auffassung, dass das, was gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland geschieht, ein Generalangriff auf die Tarifautonomie ist.

(Vereinzelter Beifall)

Nicht nur die Metall ist davon betroffen, sondern auch in meiner Gewerkschaft gibt es kleinere Branchen, zum Beispiel die Papier‑ und die Glasindustrie, die in der gleichen Weise einen Stufenplan haben und der Erpressung der Arbeitgeber ausgesetzt sind. Deshalb kommt es darauf an, dass auch die Gewerkschaften innerhalb des DGB, aber auch die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie sich in dieser Frage nicht auseinanderdividieren lassen.

Ich will das noch mal unterstreichen, was Horst Wagner hier gesagt hat ‑ er hat die IG Chemie erwähnt ‑: Wir haben einen Abschluss mit 9 % Tariferhöhung bekommen. Dies war sicherlich kein besonders erfreuliches Ergebnis für die Arbeitnehmer. Aber in der Tat ist es so: Damit die Metallarbeiter überhaupt auf das Niveau der Chemiearbeiter kommen, brauchen sie nämlich zum 1. April 1993 die 26 %. Insofern ist es auch ein Schindluder, wenn hier die IG Chemie und die IG Metall in der Öffentlichkeit als Kontrahenten dargestellt werden und von der Arbeitgeberseite versucht wird, diese beiden Gewerkschaften auseinanderzudividieren. Dem müssen wir gemeinsam, auch mit Unterstützung der SPD, entgegentreten.

 

Es ist auch nicht so, dass 60 % der Tarifeinkommen schon das sind, was die Arbeitnehmer tatsächlich im Vergleich zu ihren westlichen Kollegen auf der Hand haben. Denn wir müssen deutlich unterscheiden zwischen dem Tarifeinkommen auf der einen Seite, was im Moment etwa 65 % umfasst, und dem tatsächlichen Effektiveinkommen, weil im Westen häufig über Tarif bezahlt wird. Das Effektiveinkommen im Osten liegt bei etwa 55 %. Daran könnt ihr ermessen, unter welchen Schwierigkeiten die Arbeitnehmer und ihre Familien bei diesen starken Kostensteigerungen im Osten sind. Deshalb sage ich sehr deutlich: Eine weitere Erpressung der Gewerkschaften und der Arbeitnehmer darf nicht stattfinden; denn wir haben sie schon im Arbeitsförderungsgesetz ab 1. Januar 1993 erlebt. Dort ist nämlich festgelegt, entweder die Arbeiter arbeiten 80 % der Arbeitszeit oder sie bekommen bei 100 % Arbeitszeit nur 90 % ihres Entgelts und ihrer Löhne und Gehälter. Dort sind die Gewerkschaften schon erpresst worden ‑ von der Bunderegierung. Hier darf es nicht ein zweites Mal geschehen. Die Tarifautonomie ist ein so grobes Gut, dass wir gemeinsam ‑ dazu fordere ich alle auf ‑ die Aktion des DGB auch hier in Berlin‑Brandenburg unterstützen sollten.

(Beifall)

Ich möchte zum zweiten Aspekt ‑ ABM ‑ kurz etwas sagen: Das ist ein sozialer und politischer Skandal. Ich habe es mehrfach in aller Öffentlichkeit deutlich gemacht, dass die Bonner Politiker, die so etwas entscheiden, wirklich nicht wissen, was sie tun. Ich bin als Gewerkschaftssekretär in etwa 15 solcher Arbeitsförderungsgesellschaften in den Gesellschafterversammlungen vertreten und weiss deshalb genau ‑ in Berlin, Brandenburg und Sachsen ‑, wovon ich rede. Hier ist grobe Verbitterung, und hier ist es erforderlich, dass wir den Massenprotest der Arbeitnehmer unterstützen. Ich glaube, alle, die heute Mahnwachen und auch Hungerstreiks beginnen, müssen unsere Solidarität haben.

(Beifall)

Ich kann das nur unterstreichen, was Richard von Weizsäcker gesagt hat und was heute in den Zeitungen steht: Die Ostdeutschen wollen kein Almosen, sie wollen arbeiten!

(Beifall)

Ich halte es auch wie Christine Bergmann für zynisch, wenn die CDU jetzt nur auf den ersten Arbeitsmarkt verweist, wo sie genau wissen müsste, dass alle, die sich um die Arbeitsförderungsgesellschaften kümmern, daran interessiert sind, dort Projekte zu machen, die strukturpolitisch sinnvoll sind und vor allem auch eine Zukunftsperspektive haben. Wir bemühen uns in diesen Arbeitsförderungsgesellschaften sehr intensiv, gerade solche Projekte zu entwickeln, die auch zu Existenzgründungen führen und damit auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Chance haben. Diese Überbrückungsfunktion der ABM, Fortbildung und Umschulung, und auch das Umweltprogramm Ost sind dringend erforderlich. Wir müssen von dieser Stelle fordern, dass die Mittel dafür deutlich aufgestockt werden.

(Vereinzelter Beifall)

Zum Solidarpakt will ich nur einen Aspekt herausgreifen, der mir besonders wichtig erscheint, und zwar den Erhalt und die Sanierung industrieller Kerne. Es ist nicht mehr so, dass die Hälfte der industriellen Arbeitsplätze noch vorhanden wäre. Im Gegenteil: In Ostdeutschland sind wir bereits in einer Situation, wo nur noch 20 bis 30 % der ehemaligen Arbeitsplätze in der Industrie vorhanden sind. Wir müssen davon ausgehen, dass in diesem Jahr weitere Arbeitsplätze in der Industrie abgebaut werden. Deshalb ist meiner Meinung nach dringend notwendig, den Sanierungsauftrag an die Treuhandanstalt zu geben. Es kommt darauf an, die bestehenden Kerne in Ostdeutschland zu erhalten, zu sanieren und ihnen eine Perspektive zu geben.

Vom heutigen Parteitag muss ein Zeichen für die Bürger in dieser Stadt und vor allen Dingen für die Arbeitnehmer ausgehen, damit deutlich wird, dass wir die Vertreter der Interessen der Arbeitnehmer und der kleinen Leute sind. Ich stimme Ditmar Staffelt zu: Wenn es im Rahmen des Solidarpakts zu Kürzungen der Sozialleistungen kommen sollte, dann darf das Land Berlin im Bundesrat dem nicht zustimmen, und dies ist für mich eine Koalitionsfrage.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Barbara Unger.

Barbara   U n g e r   (Lichtenberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Wir haben drei Beiträge gehört, die uns die Wahrheit, so, wie sie ist, darstellen. Sie haben also keine Panik verbreitet, sondern sie stellen die Situation, in der wir uns befinden, realistisch dar. Das ist meine Meinung, so schätze ich das auch ein. An dieser Stelle möchte ich speziell Christine Bergmann dafür danken, dass sie die Aktionstage durchgeführt hat und dass hier einmal die SPD gegen den Strom und gegen die Regierungskoalition geschwommen ist und ‑ ich sage es einmal berlinisch ‑ auf den Putz gehauen hat.

(Vereinzelter Beifall)

In dieser Situation lese ich am Donnerstag in einer namhaften Zeitung, die wohl die höchste Auflage in dieser Stadt hat:

Bundesbürger im Osten zunehmend zufrieden. Die Bürger im Ostteil Berlins sowie in den fünf neuen Bundesländern sind in steigender Zahl mit ihrer persönlichen wirtschaftlichen Situation zufrieden.

Ich frage mich: Was soll so etwas in dieser Situation, wo um einen „Solidarpakt“ gestritten wird ‑ ich möchte hier Solidarpakt in Anführungsstriche setzen ‑, wo es darum geht, im Länderfinanzausgleich höhere Summen in den Ostteil unseres Landes zu schicken und wo es darum geht, vielleicht auch irgendwo einmal etwas abzugeben?

Was soll denn ein Bürger denken, der nicht die Gelegenheit hat, tagtäglich in einer Stadt wie unserer zu leben, wo er ohne weiteres in den Ostteil der Stadt fahren und sich ansehen kann, was alles plattgemacht worden ist. Der denkt sich doch: Mein Gott, soundsoviele Arbeitslose mehr, und trotzdem sind sie zufrieden. ‑ Ja, man geht sogar davon aus, dass ungefähr zehn Prozent mehr zufriedener sind als im vorigen Jahr. Da sagt man sich doch: Die Arbeitslosenunterstützung und all das ist viel zu hoch, da können wir ruhig abbauen. Oder: Die sind zu faul, die wollen nicht arbeiten; wir ernähren sie noch gut, und sie können gut leben.

Liebe Genossinnen und Genossen! Ich arbeite in einem Arbeitsamt in Lichtenberg. Ich komme tagtäglich mit Menschen zusammen, die verzweifelt sind, weil sie keine Arbeit finden, die sich hundertmal und mehr erfolglos beworben haben. Das Arbeitsamt ist nicht in der Lage, Arbeitsstellen zu vermitteln; das einzige sind ABM‑Stellen, und die sollen jetzt auch noch gestoppt werden.

Auf der anderen Seite gibt es Arbeitnehmer in dieser Stadt, speziell auch im Osten, die länger als im Westteil der Stadt arbeiten müssen. Das heißt: Hier wird hochgradig ausgebeutet. Ich bin der Meinung, dass man sich einmal den Gedanken im Kopf herumgehen lassen sollte, hier die Arbeit gerechter zu verteilen. Es geht doch nicht an, dass im Osten noch 40 Stunden lang gearbeitet werden muss und dass durch eine Verkürzung der Arbeitszeit keine neuen Stellen geschaffen werden können.

(Beifall)

Aus diesem Grund möchte ich diesen Gedanken anregen und bitte, das als einen Spiegelstrich in den Leitantrag aufzunehmen. Und zwar hätte ich gern auf Seite 46 ‑ aktive Wirtschaftspolitik ‑ hinter dem Spiegelstrich 8 aufgenommen:

‑ gerechtere Aufteilung der Arbeit durch Verkürzung der   Arbeitszeit, zumindest Angleichung der Arbeitszeit im   Ostteil Berlins an das Westniveau als ersten Schritt bei   gleichzeitiger Schaffung von neuen Arbeitsplätzen

Ich bedanke mich.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat der Genosse Tannert.

Christof   T a n n e r t   (Lichtenberg): Genossinnen und Genossen! Dieser Antrag des Landesvorstands ist der energische Versuch eines sozialdemokratischen Krisenmanagements; denn die Krise ist da.

Er kann laut Statut kein Leitantrag sein, aber das ist berechtigterweise ein Antrag des Leidens; denn wenn sozialer Leidensdruck dadurch vergröbert würde, dass auch wir Sozialdemokraten keine Perspektiven aufzuzeigen in der Lage wären, hätten wir in dieser Krise elementar versagt. Wir hätten versagt bei der Aufgabe, konkrete Hoffnung gegen die zunehmende Entmutigung zu setzen und so der heute so realen Gefahr der kollektiven Angstneurose mit einigen schlimmen gesellschaftlichen Erscheinungen, die wir in Deutschland nur allzu gut kennengelernt haben, zu begegnen.

In diesem Antrag geht es nicht nur um Geld, sondern generell um Ermutigung. Es beschleicht mich das Gefühl, dass dieser Antrag hinter diesem generellen Anspruch zurückbleiben muss, wenn es uns nicht gelingt, ihn in die richtige programmatische und historische Dimension zu setzen.

Als jemand aus dem Osten darf ich daran erinnern: Die grobe Wende von 1989 wurde in der DDR von der übermächtig gewordenen Sehnsucht nach Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit, nach Gerechtigkeit und nicht zuletzt nach einer intakten Umwelt getragen. Diese Euphorie wurde gesamtdeutsch, sie wurde europäisch. Die Phase der sozialen Visionen allerdings war kurz, sie war zu kurz.

Mit der kleinen Wende von 1990 setzte die Ernüchterung ein. Zwar hat nun die kapitalistische Marktwirtschaft einen glänzenden Sieg über jenen verkommenen Verbalsozialismus mit seiner zentralistisch‑bürokratischen Anmaßung errungen, aber es beginnt, ein Pyrrhussieg zu werden; denn immer mehr erweist sich, dass die simple und totale Restauration von kapitalistischer Eigentumsordnung und der damit verbundenen Lebensweise in Ostdeutschland höchst problematisch ist ‑ und das nicht nur für Ostdeutschland.

(Vereinzelter Beifall)

Ich frage also: Müssen wir Sozialdemokraten uns nicht gerade jetzt mit aller Kraft den Versuchen widersetzen, die programmatische Vision von einem wirklich demokratischen Sozialismus, wie dies unser Parteiprogramm schließlich festhält, aufzugeben? Müssen wir, frage ich an einem Beispiel, nur weil das demagogisch so genannte Volkseigentum an Produktionsmitteln im Osten wirtschaftlich ruinös und privat demotivierend war, nun auch über die Abschaffung der gesellschaftlichen Errungenschaft der staatlichen Eigenbetriebe im Westen öffentlich nachdenken, über Eigenbetriebe des Landes Berlin etwa, von denen ich hoffe, dass sie Modelle sozial‑ und ökologieverträglichen Wirtschaftens bleiben oder werden, wie auch und vor allem direkte wirtschaftliche Interventionsgrößen des Staates?

 

Effizienzsteigerung durch Änderung der Landeshaushaltsordnung und des Eigenbetriebsgesetzes? Ja, sofort! Rechtsformänderung? Womöglich auch Ja. Aber Rechtsformänderung ohne begleitende satzungsrechtlich festgezurrte Abwehr einer von den konservativen und wirtschaftsliberalen Pragmatikern zugelassenen, ja womöglich angestrebten schleichenden Privatisierung? Nein, und nochmals nein!

(Vereinzelter Beifall)

Einen Satz zur tarifpolitischen Diskussion: Es ist meines Erachtens überflüssig, ja kontraproduktiv, wenn Sozialdemokraten über Öffnungsklauseln für die östlichen Tarifgebiete öffentlich räsonieren. Die Arbeitgeber haben auch ohne unsere Hilfe bereits zum Sturmangriff geblasen. Ich könnte hier über angebliche Zwänge zu restaurativem Verhalten in der Folge der deutschen Einigung und der wirtschaftlichen Rezession in fast allen Politikbereichen reden; ich muss das aus Zeitgründen lassen. Ich frage statt dessen: Müssen wir nicht gerade jetzt lauthals fordern, dass eine Grundvoraussetzung sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Vorsorge eine aktive staatliche Wirtschafts­- und Finanzpolitik sein muss, die dafür sorgt, dass die märchenhaften Gewinne der Privatwirtschaft ‑ im vergangenen Dezennium nochmals gesteigert um die Erträge durch die deutsche Vereinigung ‑ nicht in 675milliardenfacher Höhe festverzinst gebunkert werden, sondern als Investitionen dorthin zurückfließen, ja, zurückzufließen gezwungen werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden, nämlich nach Ostdeutschland ‑ Berlin inbegriffen ‑?

(Beifall)

Ich komme zum Schluss: Der Antrag ist sozialdemokratische Krisenintervention, ich unterstütze ihn! Aber der breite öffentliche Diskurs über unsere grundsätzlichen sozialen Visionen muss ihm auf dem Fuße folgen:

(Beifall)

der Diskurs über die Frage, wohin wir mit dieser Gesellschaft, mit diesem Land und mit dieser Welt wollen und wieviel ideelle und materielle Solidarität dazu konkret gebraucht werden. Es geht um die alte Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Wir müssen angesichts der weltweiten und nationalen Änderungen diese Frage der Verteilungsgerechtigkeit neu angehen, oder die Armen aller Länder werden sich vereinigen und uns hier das Laufen lehren.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Brigitte Mießner.

Brigitte   M i e ß n e r   (Schöneberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Auch ich möchte an das anknüpfen, was Horst Wagner gesagt hat, dass dieses Land sich verändert. Es verändert sich momentan nicht zum Guten. Es sieht so aus, als hätten die Metallarbeitgeber der neuen Bundesländer beschlossen, für die Bewohner der neuen Bundesländer so eine Art Crashkurs in Kapitalismuskunde durchzuführen. Viele Bewohner der neuen Bundesländer haben wohl gedacht, dass alles, was sie über den Kapitalismus gehört haben, eigentlich immer Propaganda von Honecker und ähnlichen Leuten gewesen sei. Sie stellen jetzt fest: Es ist offensichtlich vieles richtig. Es ist tatsächlich wahr, dass Unternehmer kühl lächelnd Verträge brechen, Gesetze brechen ‑ Schwarzarbeit ist angesprochen worden. Wenn man die Schwarzarbeit wirklich wegkriegen will, muss man die Unternehmer bestrafen, die die Leute beschäftigen und nicht die Leute bestrafen, dann kriegt man sie ganz schnell weg.

(Beifall)

Es stellt sich heraus, dass nach dieser bewährten Melodie „teile und herrsche“ gerade die Metallarbeitgeber es phantastisch gut verstehen, dieses Ost‑West‑Klavier zu spielen, die Standorte gegeneinander auszuspielen. Sie sind außerdem dabei, die IG Metall in eine mörderische Auseinandersetzung zu treiben. Die IG Metall wird einen unheimlichen Kraftakt vollbringen müssen, und möglicherweise wird am Schluss alles viel schlimmer sein als vorher; das hat Horst Wagner auch schon angedeutet. Es ist durchaus möglich, dass dieser Arbeitskampf, wenn er dann kommt, von den Arbeitgebern ganz bewusst herbeigeführt worden ist und benutzt werden wird, um den Stellenabbau erstens noch zu beschleunigen und zweitens quantitativ möglicherweise auszuweiten.

 

Es kann der SPD nicht egal sein, wenn die größte und wichtigste Industriegewerkschaft in der Bundesrepublik Deutschland und sogar in Europa ausgerechnet jetzt, zu diesem Zeitpunkt, von den Arbeitgebern praktisch enthauptet wird und wir zusehen. Es kann der SPD nicht egal sein, dass die Rechtsnormen, die Ergebnis jahrzentelanger, teilweise fast jahrhundertelanger Kämpfe der deutschen Arbeiterbewegung gewesen sind, sang‑ und klanglos in dem Strudel naturwüchsiger Brutalisierung, der jetzt in den fünf neuen Bundesländern abläuft, Brutalokapitalismus unglaublicher Art, dort einfach versinken.

 

Die Linke in der Bundesrepublik hat die Verrechtlichung der Arbeitskämpfe in dieser alten Bundesrepublik sehr häufig kritisiert und hat es gar nicht gut gefunden. Jetzt findet sie sich plötzlich in der Lage, Dinge an der Stelle zu verteidigen, an der das Kapital sehr wohl diese rechtlichen Schranken, die eine bestimmte Sicherheit für die Arbeitnehmer bedeutet haben, als Hindernisse betrachtet und in der ersten Möglichkeit, die sich ergibt, bereit ist, alles niederzuwalzen, die Gunst der Stunde zu nutzen, um das Tarifvertragssystem in der BRD insgesamt zu demontieren anzufangen. Der Begriff „soziale Marktwirtschaft“ ‑ das haben auch schon mehrere Vorredner gesagt ‑ ist dabei, demontiert zu werden; man nennt das Deregulierung. Wenn sich die SPD in dieser Situation nicht endlich eindeutig politisch positioniert, um dieses Wort zu nennen, dann wird es ziemlich finster aussehen. Wir stehen am Ende eines Jahrhunderts, an dessen Anfang das Recht auf Tarifverträge von der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung erkämpft wurde. Es kann nicht so sein, dass am Ende dieses Jahrhunderts alles das den Bach heruntergeht, sondern wir brauchen Handlungsfähigkeit und Antworten. Wir brauchen in dieser konkreten Auseinandersetzung im Metallbereich auch heute und hier noch einige Antworten, die über die allgemeinen Unterstützungsgeschichten hinausgehen. Was kann die SPD politisch wirklich tun, um die Gewerkschaften zu unterstützen und zu verhindern, dass dieser Arbeitskampf, wenn er dann entsteht, nur zurückschlägt und überall zu einer unglaublichen Entmutigung und Demotivierung führt?

(Beifall)

Die ABM‑Frage: Es ist hier häufig von Missbrauch geredet worden. Man hört aus Gewerkschaften mitunter auch die abenteuerlichsten Geschichten. Wenn es so ist, dass über ABM‑Gelder in gröberem Ausmaß industrielle Arbeitsplätze in Brandenburg finanziert werden, dann muss man das deutlich sagen. Es wäre auch keine Schande. Es wäre immer noch besser, Arbeit zu finanzieren anstatt Arbeitslosigkeit. Es würde nur vielleicht bei manchen Leuten die Illusion, die sie über die Initiative der Privatindustrie haben, etwas vermindern. Wenn das so ist, dann muss das auf den Tisch gebracht werden, dann muss man darüber reden.

Im Heimatland des Kapitalismus, in den Vereinigten Staaten, das muss man sich wirklich mal auf der Zunge zergehen lassen, werden jetzt genau diese Sachen diskutiert. Das, was wir ABM‑Stellen nennen, wird in nationalen Programmen ausgegeben, damit die Arbeitslosenquote sinkt, damit die Leute beschäftigt werden, damit sie nicht unter den sozialpsychologischen Folgen von Arbeitslosigkeit, Verelendungen aller Art, die wir alle kennen, leiden.

Die Frage ist nun: Was wird denn eigentlich wirklich getan werden? Wir hatten schon mal das Problem mit der Mehrwertsteuererhöhung. Es ist hier mehrfach von der Koalitionsfrage geredet worden.

(Glocke des Präsidiums)

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir in der Mehrwertsteuerfrage schon einmal das Problem hatten, dass unser Vorsitzender Staffelt völlig naiv von dem bösartigen Eberhard Diepgen überlistet wurde und dann plötzlich Berlin doch zustimmte. Wir müssen irgendwie sicherstellen, dass die markigen Worte, die hier gesprochen worden sind, realisiert werden.

(Beifall)

Sparen: Zu dem wunderbaren Antrag, zu dem man viel Positives sagen kann, fehlt die Prioritätensetzung vollkommen. Ich glaube auch, dass im Jahr 2030 der Regierungssitz in Berlin überhaupt keinen Sinn mehr hat, jedenfalls nicht für die neuen Bundesländer.

(Vereinzelter Beifall)

Man muss sich endlich entscheiden, was wir in Berlin wollen: Regierungssitz, Olympia oder Berlin‑Brandenburg? Alles gleichzeitig kann man nicht finanzieren. Da muss man Prioritäten setzen, und das ist noch nicht passiert.

(Beifall)

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Vielen Dank, Brigitte! ‑ Bevor Thomas Krüger das Wort ergreift, habe ich eine Ankündigung zu machen, und dann gibt es einen Antrag zur Geschäftsordnung.

 

Es sind hier Briefe einer Initiative des DGB, die auch zum Teil von anderen eingebracht worden ist, verteilt worden, nämlich an die Verfassungskommission des Bundestages zu schreiben, um die neue Verfassung zu stärken, um zu stärken, dass Frauenrechte in die Verfassung kommen. Wer von euch allen diesen Brief hier auf dem Tisch hat, den bitte ich, das zu unterschreiben und in die Kiste hier vorn hineinzulegen, damit nicht extra jeweils ein Briefumschlag und eine Briefmarke benötigt wird. ‑ Nun hat Frank Jendro das Wort zu einem Antrag zur Geschäftsordnung.

Frank   J e n d r o   (Wilmersdorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich finde es traurig, das machen zu müssen, aber ich denke, angesichts der fortgeschrittenen Zeit sollten wir eine Redezeitbegrenzung beantragen. Ich beantrage eine Redezeitbegrenzung auf drei Minuten.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Spricht jemand dagegen? Ja! Kurt Neumann als Vorsitzender der Antragskommission sagt, dass drei Minuten zu kurz sind, um den Anträgen gerecht zu werden. Ich lasse darüber abstimmen: Wer ist für eine weitere Redezeitbeschränkung auf drei Minuten? ‑ Wer ist dagegen? ‑ Das erste war die Mehrheit. Der Parteitag hat damit eine Redezeitbeschränkung von drei Minuten beschlossen, die nun bereits für Thomas Krüger gilt.

Thomas   K r ü g e r   (Lichtenberg): Genossinnen und Genossen! Ich war zwar schon aufgerufen und habe mich deshalb darauf vorbereitet, fünf Minuten zu reden, aber ich versuche, mich kurz zu fassen.

(Heiterkeit)

Zur Stunde gibt es die Verhandlungen zum Solidarpakt. Bei diesen Solidarpaktverhandlungen, das habt ihr alle mitbekommen, geht es darum, ob die Schwächsten die deutsche Einheit und die Umverteilung bezahlen sollen. So geht es nicht, darüber sind wir uns sicher alle einig.

Aber: Die SPD darf auch nicht zum Verhinderer der Politik werden, die sozusagen das Ärgste auf die Tagesordnung setzt, sondern sie muss in diesen Verhandlungen selbst sagen, was sie will. Das fehlte mir in den bisherigen Verhandlungen zu sehr. Wir müssen klar und konturenscharf sagen, um was es denn in Ostdeutschland geht und damit auch hier im Ostteil Berlins, nämlich um die Sanierung der industriellen Kerne. Die gibt es in zwei Jahren nicht mehr. Wenn man nicht jetzt die finanziellen Voraussetzungen für eine Industriestrukturpolitik schafft, dann gibt es keine industriellen Kerne mehr.

Zweitens: Die Forschungsstandorte in den neuen Bundesländern, die damit unmittelbar verquickt sind, müssen jetzt gesichert und dafür die Finanzen zur Verfügung gestellt werden.

(Beifall)

Wer nicht jetzt darüber redet, wie das Geld dafür zu beschaffen ist, der verhält sich nicht solidarisch im eigentlichen Begriff, sondern er vertritt Partikularinteressen ‑ ich komme gleich noch einmal darauf zurück.

Drittens: Es geht um ein Zukunftsinvestitionsprogramm. Die finanzielle Situation der Kommunen ist saumäßig. Öffentlichen Investitionen ‑ und ihr wisst alle, dass die öffentlichen Investitionen den Hauptanteil der Investitionen in den neuen Bundesländern ausmachen ‑ sind nicht möglich, weil die Finanzen nicht da sind. Deshalb muss geklärt werden, wie die Kommunen besser finanziert werden ‑ auch in Hinsicht auf eine ökologische Modernisierung der Infrastruktur in den neuen Bundesländern.

Viertens: Es geht um eine Arbeitsmarktpolitik. Auch hier gilt: Wer nicht sagt, wo das Geld dafür herkommt, und zwar noch in diesem Jahr, der macht keine solidarische Arbeitsmarktpolitik und der trägt nichts dazu bei, wie das Geld zusammenkommt. Ich bedauere sehr, dass der Begriff der Solidarität im Grunde genommen mit Füßen getreten wird, wenn Partikularinteressen ‑ und ich meine damit auch unsere Genossen Ministerpräsidenten ‑ hier zum Zuge kommen und jedes Westland sieht, wie es am besten aus diesen Solidarpaktverhandlungen herauskommt. Die ganze Debatte geht dann schließlich zu Lasten der neuen Bundesländer.

(Beifall)

Wir hatten das schon einmal, nämlich 1990 bei den Einigungsvertragsverhandlungen. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie die Kompromisse so geschlossen worden sind, dass letztendlich die neuen Bundesländer hinten und außen vor standen.

Die Körperschaftsteuersenkung 1990, wozu hat sie geführt? Doch nicht dazu, dass die Wirtschaftsunternehmen in die neuen Bundesländer gegangen sind und dort investiert haben. Sie hat dazu geführt, dass die industriellen Standorte im Westen abgesichert worden sind. Hier ist im Grunde mit einem wirtschaftspolitischen Mittel wenig konstruktiv zugunsten der neuen Bundesländer umgegangen worden. Es muss deshalb über ein Umlageverfahren bei der Körperschaftsteuer nachgedacht werden. Wie kriege ich es hin, dass es sich für Unternehmen rechnet, dass sie in den neuen Bundesländern investieren?

Schließlich zur Umverteilung in Berlin: Ich bin der Meinung, dass die Umverteilung, die in Berlin ansteht ‑ ich sage besser der Ausgleich, der in Berlin ansteht ‑, nicht zu Lasten derjenigen gehen soll, die sozial am Schwächsten sind. Das heißt aber bei dieser Umverteilungsdiskussion, dass man natürlich gucken muss: Wen belaste ich? ‑ Das geht eben nicht mehr am mittelständischen Bereich vorbei, und ich nenne ein Beispiel aus dem Tiefbau: Es finden zurzeit Tiefbaumabnahmen statt: Fahrradwege in Zehlendorf ‑ ich bin neulich durchgefahren ‑, die ausgebessert werden. Zweitens: eine Deckenerneuerung in der Podbielskieallee und in der Bismarckstraße. Drittens: Drei Millionen DM werden eingesetzt für einen Meter Verschwenkung am Südstern. Dieses sind Mittel, die zur Verschönerung im Westteil der Stadt ausgegeben werden, wobei jedem deutlich ist, dass es im Ostteil der Stadt noch an allen Ecken und Ende fehlt. Ich bin deshalb für die sofortige Sperrung aller Tiefbaumittel in den Westbezirken!

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Monika Buttgereit.

Monika   B u t t g e r e i t   (Schöneberg): Lieber Genosse Krüger, es gibt West‑Berliner Bezirke, die schon mit gutem Beispiel vorangehen. Zum Beispiel hat der Bezirk Kreuzberg genau dieses getan.

(Vereinzelter Beifall)

Der Genosse Borghorst hat vorhin gesagt, wir erlebten im Moment einen Angriff auf die Tarifautonomie. Ich denke, wir erleben sehr vielmehr mehr: Wir erleben einen Angriff auf den Sozialstaat insgesamt.

(Beifall)

Wir müssen leider zur Kenntnis nehmen, dass es nach dem Wegfall der Konkurrenz mit dem real existierenden Sozialismus, wie es früher immer so schön hieb, offensichtlich für viele in diesem Staat, in der Politik aber vor allem auch in der Unternehmerschaft völlig überflüssig geworden ist, sozialstaatliche Grundprinzipien, die bisher in dieser Republik unbestritten waren, weiter zu verfolgen. Viele haben den sozialstaatlichen Mantel, den sie sich in der Vergangenheit umgelegt hatten, jetzt weggeworfen. Und viele wollen die Einheit zum Anlass nehmen, einen völlig anderen Staat aus dieser Bundesrepublik Deutschland zu machen.

Das geht weit über die Kündigung der Tarifverträge im Metallbereich hinaus. Eine Diskussion über Karenztage, eine Diskussion über Abschaffung von Feiertagen, das wäre noch vor einigen Tagen in diesem Land so nicht möglich gewesen. Ich denke, das ist erst der Anfang von dem, was dort geplant ist: Viele wollen diesen Staat grundsätzlich verändern und damit die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land untergraben.

Was passiert währenddessen in Bonn? Da haben wir eine Wirtschaftspolitik, die nicht stattfindet. Der Bundeswirtschaftsminister muss nicht etwa deswegen gehen, weil er unfähig ist und weil er in Sachen Wirtschaftspolitik nichts begriffen hat und nichts unternommen hat, sondern er muss gehen, weil er einen falschen Briefbogen verwendet hat. Ich denke, das sagt sehr viel über den Zustand von Politik in unserem Land aus.

(Beifall)

Wenn der Bundeswirtschaftsminister Rexrodt, der es eigentlich aufgrund seiner Erfahrungen in Berlin und auch bei der Treuhand besser wissen müsste, meint, man könnte die Stahlkrise den Selbstheilungskräften des Marktes überlassen und es gäbe keinen Grund für staatliches Eingreifen, dann ist das ein weiterer Grund dafür, dass diese Bundesregierung endlich, und zwar schnellstens, nach Berlin kommen muss, damit sie begreift, was in den neuen Bundesländern los ist.

(Beifall)

Nun noch zur Finanzpolitik: Wir müssen uns in den nächsten Monaten verstärkt mit dem grundsätzlichen Problem jeder Finanzpolitik in jedem Bundesland beschäftigen. Wir stellen fest, dass auf der einen Seite privater Reichtum enorm anwächst und auf der anderen Seite der Staat immer ärmer wird. Da muss im Grundsatz herangegangen werden, weil es ansonsten in den nächsten Jahren völlig egal sein wird, wer irgendwelche Wahlen gewinnt, weil der staatliche Handlungsraum so eng wird, dass es überhaupt nicht mehr möglich ist, eine vernünftige Politik zu machen. Da müssen wir, denke ich, viel grundlegender diskutieren, als das in dem vorliegenden Antrag geschehen ist; darin sind nur erste Ansatzpunkte.

(Glocke des Präsidiums)

Aber wir müssen in Zukunft dafür sorgen, dass privater Reichtum und öffentliche Armut sich nicht mehr so gegenüberstehen, wie es im Moment ist, sondern dass der Spielraum für staatliches Handeln gestärkt wird.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Herzlichen Dank! ‑ Das Wort hat Kurt Neumann.

Kurt   N e u m a n n   (Steglitz): Liebe Genossinnen und Genossen! Thomas Krüger hat gefordert: Keine Tiefbaumabnahmen mehr im Westteil der Stadt! ‑ Ich weiß nicht, ob das undifferenziert richtig ist, aber für den Tunnel mag es stimmen. Ich freue mich über die Unterstützung des Genossen Krüger in diesem Bereich.

(Vereinzelter Beifall)

Genossinnen und Genossen! Monika Buttgereit hat wiederholt, was Horst Wagner gesagt hat: Es geht hier nicht nur um Sparpolitik oder nur um Sparpolitik im Land Berlin. Es geht darum, dass einige die Wiedervereinigung als Chance nutzen wollen, eine neue, eine andere, eine rechte Republik zu schaffen. Hier befinden wir uns in einem Abwehrkampf, bei dem ich nicht sicher bin, dass die Sozialdemokraten das Ausmaß der Probleme begriffen haben.

(Beifall)

Das beginnt mit der Sprache: Der Begriff des Solidarpakts ist ein sozialdemokratischer Begriff. Das, was jetzt diskutiert wird, ist kein Solidarpakt; das ist ein Haushaltskonsolidierungskonzept, was diskutiert wird, das nannte man früher auch so.

(Beifall)

Wir lassen uns darauf ein, das Solidarpakt zu nennen und sind damit schon zur Hälfte rübergezogen; wir befinden uns dann bei den schwierigsten Sauereien im Abwehrkampf.

 

Es geht im Augenblick nicht um den Solidarpakt. Das wäre etwas ganz anderes, das müsste auch ein Pakt sein. Das Schönste, was ich an Formulierungen dazu gehört habe, ist: Nun sollen auch die Beamten zum Solidarpakt herangezogen werden. ‑ Nun habe ich nichts dagegen, dass Beamte irgendwo herangezogen werden, aber zu einem Solidarpakt kann man doch wohl nicht herangezogen werden. Den muss man abschließen, gemeinsam, solidarisch. Das ist die Verfehltheit der politischen Debatte in diesem Land, der wir endlich etwas entgegensetzen müssen.

(Beifall)

Und dann müssen wir begreifen: Es geht im Augenblick um Verteilungsfragen. Verteilungsfragen sind Interessenfragen; Verteilungsfragen sind Machtfragen. Ich glaube, dass auf dieser Ebene uns der Antrag ein Stück weiterhilft. Zunächst war beabsichtigt, hier durch drei Genossen einen Antrag vorlegen zu lassen, wo wir dann unser Konzept fest beschließen ‑ das war illusorisch. Jetzt ist etwas vorgelegt worden, auf dessen Grundlage wir bis zum nächsten Parteitag etwas gemeinsam erarbeiten wollen. Wenn ich manche Debatte verfolge, wo ich höre, wir sollten nicht über Personalgeschichten reden, sondern über die Inhalte, vor allem über Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit, wenn ich dann hier das Interesse sehe, wenn ich zu diesem Punkt den Antrag auf drei Minuten Redezeitbegrenzung erlebe, dann frage ich mich, ob das alles noch stimmig ist.

(Beifall)

Ich denke, es geht um Verteilungspolitik auf drei Ebenen: erstens Verteilung von Arbeit. Dazu brauchen wir endlich eine wirksame Konjunkturpolitik und eine Strukturpolitik, damit wir nicht einerseits Forderungen nach Überstunden, nach Verlängerung der Arbeitszeit haben und andererseits wachsende Massenarbeitslosigkeit ‑ das stimmt in der Grundkonzeption nicht.

(Beifall)

Wir brauchen eine andere Verteilung der Wertschöpfung ‑ Monika Buttgereit hat darauf hingewiesen. Ich will das noch mit anderen Worten sagen, die früher bei uns Sozialdemokraten selbstverständlich waren: Nur die Reichen können sich einen armen Staat leisten, weil sie selbst genug haben. ‑ Wir brauchen ‑ das ist in diesem Antrag nicht mehr expressis verbis drin ‑ eine Erhöhung der Staatsquote, um die Probleme lösen zu können, die vor uns liegen, daran führt kein Weg vorbei.

(Beifall)

Es ist richtig, dass der Schuldendienst erheblich zu hoch ist. Nur, warum wenden wir die Kreativität nicht auch mal zum Nachdenken darüber an, ob es andere Formen von Kreditaufnahmen geben könnte? Wenn CDU‑Abgeordnete aus dem Osten eine sogenannte Zwangsanleihe fordern, warum sind es die Sozialdemokraten, die als erste Nein sagen? Lasst uns doch mal über ein solches Instrument nachdenken, damit nicht die Zinsen den Staat auffressen. Nicht die Schulden, die Zinsen fressen ihn auf!

(Glocke des Präsidiums)

Als letztes die Bund‑Länder‑Verteilung, die Verteilung zwischen den Ländern. Ich will dazu eine Bemerkung machen: Solidarität ist keine Einbahnstraße! Wer Solidarität von den Westländern, die sozialdemokratisch geführt sind, einfordert, tut schlecht daran, mit Häme über sie herzufallen und hinterher zu sagen, seid aber solidarisch mit uns. Da müssen einige von uns, glaube ich, noch ein bisschen dazulernen, wenn wir die Interessen des Landes Berlin erfolgreich vertreten wollen. ‑ Ich danke euch.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Ingrid Holzhüter.

Ingrid   H o l z h ü t e r   (Tempelhof): Genossinnen und Genossen! Ich war vor einer halben Woche zu einer arbeitsmarktpolitischen Konferenz der Frauen in Halle. Ich bin relativ erfüllt von den Ergebnissen dort, aber negativ.

Dort wurde unter großem Beifall gefordert, dass doch die SPD, die Genossinnen, die auch mit Politik manchmal ganz schön Geld verdienen, eine freiwillige Abgabe leisten und nicht erst auf Gesetze warten sollen. Vielleicht gucken wir immer zu viel nach denen da und zu wenig zu uns.

Es gibt das alte Märchen „Sterntaler“ ‑ ihr wisst, wie es ausgeht. Und vielleicht fällt uns heute das Abgeben so schwer, weil in unseren modernen Märchen über Computer nur der zählt, der am schnellsten möglichst viele abschiebt. Ich will hier keine Märchenstunde abhalten, das tun andere, und leider hören denen zunehmend mehr zu und uns immer weniger. Ich denke, wir müssen deutlich machen, dass unser Mitempfinden, unser Mitfühlen, unser Mit‑betroffen‑sein auch eine Basis ist, um den Menschen zu helfen, um ihnen zuzuhören und um sie nicht als die da draußen zu bezeichnen, sondern als die, die mit uns sind und für die wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eigentlich die Politik zu machen haben. Wir haben nicht immer Ausreden zu finden für alles das, was nicht geht, sondern wir müssen endlich wieder einmal lernen, uns kraftvoll dafür einzusetzen, dass etwas geht. Wenn wir dann alle mit einer Stimme reden, dann werden uns die Leute vielleicht auch wieder glauben und wieder zuhören.

Wenn ich höre, dass den Frauen in den neuen Bundesländern, die zu über 90 % berufstätig waren, geantwortet wird: Jetzt kommen wir zur Normalität zurück, nämlich die Normalität, die vielleicht in einigen Ländern so war, dass im Wesentlichen die Frauen zu Hause blieben ‑ immer dann, wenn Arbeitsplätze knapp waren und nur dann arbeiten gingen, wenn Arbeitsplätze mehr da waren als Menschen ‑, wenn wir dann darüber philosophieren, ob wir die Rahmenbedingungen im Schwangerenhilfegesetz, die da heißen, Recht auf Kita‑Platz, nicht finanzieren können, weil sowohl die Bundesrepublik als auch die Länder sich verweigern und Rommel vor das Verfassungsgericht gehen will, um dagegen zu klagen, dann, denke ich, ist das auch eine deutliche Aussage, wie wir zum Beispiel die Beteiligung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt betrachten.

(Glocke des Präsidiums)

Ich denke, wenn wir § 249 h AFG als das Trostpflaster aller Maßnahmen betrachten, dann sollten wir da mal Fragen stellen. Ich sage euch auch: Die ABM‑Projekte in dieser Stadt machen die Arbeit, die eigentlich der Staat machen müsste, und sie heilen die Wunden, die dieses Gemeinwesen schlägt. Darüber sollten wir vielleicht auch einmal nachdenken.

Wenn ich eine Rede in der CDU‑Fraktion höre, die ich nur als Oppositionsrede verstehe, dann müssen wir vielleicht auch an der Stelle mal ein bisschen lauter auftreten.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Walter Momper.

Walter   M o m p e r   (Kreuzberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich bin Norbert Meisner dankbar, dass er einige Eckdaten, die für uns im Land Berlin von Bedeutung sind, klargelegt hat.

Es geht nämlich nicht allein, aber auch darum, einen Abwehrkampf gegen Bundesregierung und Unternehmer zu führen. Es geht aber auch darum, im Land Berlin das zu gestalten, was wir gestalten können; denn wir sind schließlich auch Regierungspartei, und wir tragen auch eine Verantwortung dafür, dass der Solidarpakt unter uns im Land Berlin erfüllt wird ‑ bei den notwendigen Sparmaßnahmen, aber auch bei dem, was ökonomisch für diese Stadt erforderlich ist.

Es geht, wie Norbert Meisner dargelegt hat, bei sechs Millionen DM Netto‑Neuverschuldung und nur noch zwei Prozent Haushaltsanstieg in diesem Jahr darum, erstens zu sparen und zweitens alle Anstrengungen zu unternehmen, damit diese Stadt endlich ökonomisch auf eigenen Beinen stehen kann. Davon sind wir noch ziemlich weit entfernt.

Da geht es darum, dass eine Verwaltungsreform durchgeführt wird, die diesen Namen auch wirklich verdient.

(Beifall)

Mir muss mal einer erklären, wieso wirklich in jedem Bezirk drei Sozialdezernate erforderlich sind, obwohl in den 70er Jahren sozialdemokratische Verwaltungsreformvorstellungen schon gesagt haben: Eine Aufgabenerfüllung ist mit einem Sozialdezernat ‑ mit Gesundheit, Jugend und mit Sozialem ‑ viel besser und vor allen Dingen viel billiger möglich.

Mir muss mal einer erklären, wieso ein Bezirk mit 300 000 Einwohnern schlechter verwaltet wird als einer mit 60 000 Einwohnern. Jeder in dieser Stadt weiß doch ziemlich genau, dass die Zahl von 23 Bezirken inzwischen ein Luxus geworden ist, den sich diese Stadt so nicht mehr leisten kann, und es ist mit 14 oder 15 Bezirken genauso gut möglich.

(Beifall)

Wenn ich heute den Antrag zu den Eigenbetrieben sehe, dann kann ich doch nur sagen: Alle Experten ‑ und zu denen gehöre ich ja nicht unbedingt ‑ waren sich vorher darüber einig, dass die privaten Rechtsformen erforderlich sind, damit die öffentlichen Eigenbetriebe zu den Privaten konkurrenzfähig sind. Ich sage euch: Wenn die scharfe Durchrationalisierung in den Eigenbetrieben nicht kommt, dann werden wir das Rennen mit den Privaten verlieren, und dann wird das passieren, was in weiten Bereichen des Nahverkehrs und auch der Müllbeseitigung schon längst passiert: Die Privaten suchen sich die Rosinen aus dem Kuchen heraus, und BSR und BVG zahlen nur noch das öffentliche Defizit dazu.

(Vereinzelter Beifall)

Wenn wir ökonomisch auf eigenen Beinen stehen wollen, dann gehört nicht nur dazu, die Bundesregierung andauernd anzuklagen, dass sie sich mit dem Umzug nach Berlin schwertut, sondern dann sollten wir ‑ übrigens auch wir als Partei ‑ uns so hauptstadtgerecht verhalten, wie man es von einer wirklichen Hauptstadt und ihren Bewohnern und einer der tragenden Regierungsparteien auch erwartet.

(Vereinzelter Beifall ‑ Glocke des Präsidiums)

Dann sage ich: Zu den Standortbedingungen für eine Hauptstadt und auch dafür, dass grobe Konzerne in diese Stadt kommen, gehört auch, dass sie angemessene Bedingungen des Arbeitens und Lebens in dieser Stadt haben wollen, und zwar so, wie sie sie verstehen und nicht unbedingt, wie wir sie verstehen. Wer eine Diskussion um den Tiergartentunnel noch führt, der im Bewusstsein der Bevölkerung längst abgefrühstückt ist, der zeigt eigentlich nur, wie rückständig er im Denken ist, und wie rückständig er im Hauptstadtdenken ist.

(Glocke des Präsidiums ‑ Starker Beifall)

Dann sage ich: Dann ist es auch eine ökonomische Frage, ob man so etwas akzeptiert, auch wenn es einem nicht ganz in die eigene Theorie und das eigene Bild von der Entwicklung der Welt hineinpasst.

Wenn wir schon beim Sparen sind: Ich ärgere mich wirklich darüber, dass die Westbezirke überhaupt noch Tiefbaumittel haben. Der Umbau des Südsterns in Kreuzberg, die Herrichtung der Decke der Podbielskiallee oder die Erneuerung der Decke in der verlängerten Bismarckstraße ist die reine Luxusmodernisierung für Millionen von Mark!

(Beifall)

Am Südstern, vor meiner Haustür, wird die Fahrbahn um einen Meter nach links verschwenkt, das ist der ganze Sinn ‑ und dafür werden drei Millionen DM ausgegeben.

(Präs. Bernd Schimmler: Komme bitte zum Schluss, Walter!)

Die Decke der Bismarckstraße ‑ fast jeder von euch kennt sie ‑ ist genauso überflüssig. Und wenn wir schon sparen, dann würde ich dort sparen.

Wenn ich aber sehe, dass einzelne aus unserer Partei einen Beschluss des Abgeordnetenhauses wieder kippen wollen, der aus Sparnotwendigkeiten, nicht aus Jux und Dollerei oder aus Sozialfeindlichkeit gefasst ist, nämlich die Kita‑Kostenerhöhung, die aus finanziellen Gründen bitter notwendig ist, da kann ich nur sagen: Dann sollten wir doch gleich das Volk darüber abstimmen lassen, welche Abgabengesetze es denn gern hätte. Das ist doch nun wirklich Populismus in der plattesten Art! ‑ Schönen Dank.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Roswitha Schmidt.

Roswitha   S c h m i d t   (Wilmersdorf): Ich möchte euch darauf hinweisen, dass ihr Meldungen der Medien immer sehr genau betrachten solltet. Am Donnerstag las ich in der „Berliner Zeitung“, dass es im vergangenen Jahr 27 000 Fälle gab, die das Recht auf Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe missbrauchten. Es hat sicherlich diese 27 000 Fälle gegeben, aber deshalb ist es nicht immer gleich ein Missbrauch. Das Geld stecken sich die Leute auch nicht in die Tasche, sondern es wird zurückgefordert, und es fließt zurück. Ganz im Gegenteil: Meine tägliche Arbeit ist es, das Zurückfließen dieser Gelder zu kontrollieren. Ich muss euch sagen: Die Zahlungsmoral ist manchmal so, dass wir das Geld eher haben, als wir überhaupt wissen, dass die Leute es zurückzahlen müssen.

(Vereinzelter Beifall)

Viele Leute zahlen sogar mehr ein, als sie überhaupt zahlen müssen. Also bitte, betrachtet Meldungen aus der Presse über den Missbrauch von sozialen Leistungen wirklich immer sehr differenziert.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat der Genosse Burkhardt.

Manfred   B u r k h a r d t   (Treptow): Liebe Genossinnen und Genossen! In der Diskussion ergeben sich immer wieder neue Momente, und das ist auch gut so. Insofern wollte ich eigentlich nicht so sehr noch einmal ein Ost‑West‑Problem tangieren, aber ich werde es doch machen.

Hermann Borghorst hat schon darauf hingewiesen, dass es im Osten beim Abbau von Arbeitsplätzen um ganz andere Dimensionen geht. Es ist richtig, das hat mittlerweile ein Niveau angenommen, dass von den ehemaligen Arbeitsplätzen in der Industrie im Schnitt zwischen 20 und 30 % je nach Bundesland noch geblieben sind.

Der Präsident des DIW hat darauf verwiesen, dass, wenn man den Anteil der Industrieproduktion an der Gesamtproduktion in Ostdeutschland zur Grundlage nimmt, im Prinzip Ostdeutschland jetzt ein Niveau erreicht hat vergleichbar mit Tunesien, Honduras und Sri Lanka. Von dem, was wir uns eventuell bei der Wende noch selbst manchmal gedacht oder eingeredet haben, dass in Ostdeutschland das künftige Japan entsteht, von diesem Ziel sind wir natürlich noch weit entfernt. Insofern habe ich manchmal Bedenken, wenn dann Ost‑West‑Vergleiche unter dem Aspekt, wir sollten gleiche soziale Schicksale betrachten, etwas verniedlicht werden.

Das betrifft zum Beispiel die sogenannte Stahlkrise. Man kann das nicht identisch setzen, wenn es in der ostdeutschen Stahlindustrie um den Kampf geht, dass ein Sechstel der Arbeitsplätze erhalten werden sollen, während es in der westdeutschen Stahlindustrie um den Abbau von einem Sechstel der Arbeitsplätze geht.

Der zweite Aspekt ‑ hierauf haben Klaus‑Uwe Benneter und Kurt Neumann verwiesen ‑ ist der Länderfinanzausgleich. Im Prinzip ist es richtig: Wir müssen Solidarität üben. Wie sieht aber die reale Solidarität aus? ‑ Mit dem Einigungsvertrag wurden bezüglich des Länderfinanzausgleichs für die ostdeutschen Länder Sonderbedingungen geschaffen. Im Prinzip resultiert daraus für den Zeitraum von 1991 bis 1994 eine Ersparnis für die westdeutschen Länder von 81 Milliarden DM. Im Einigungsvertrag wurde damals auch festgelegt, dass die ostdeutschen Länder an der einkommensstarken Umsatzsteuer nicht im gleichen Maße beteiligt werden, wie das die Verfassung vorschreibt.

Einen Hinweis auf das Sofortprogramm: Im Punkt 17 ist festgelegt, dass die Reihenfolge der Finanzkraft vor und nach Länderfinanzausgleich sowohl horizontal als auch vertikal nicht verändert werden soll. Wir müssen uns hier die Frage stellen, wenn wir es politisch fordern, dass der Aufholprozess in Ostdeutschland eingeleitet werden soll, wie dieses zu geschehen hat.

Nun komme ich zu einigen Versuchen der Antwortgebung ‑ hier bin ich natürlich nicht mit dem identisch, was Christof Tannert u. a. gesagt haben. Christof, du hast davon gesprochen, dass in Ostdeutschland eine Restauration kapitalistischer Eigentumsstrukturen stattfinde. Ich muss dir sagen ‑ egal, was immer man darunter verstehen soll ‑, weil es gerade nicht der Fall ist, dass marktwirtschaftliche Eigentumsstrukturen in Ostdeutschland geschaffen werden, ist das Dilemma zur Zeit in den ostdeutschen Ländern so grob. Ein Beispiel, Vergleich mit Westdeutschland: Der Anteil der kleinen und mittelständischen Unternehmen beträgt 20 % des Westniveaus. Es ist allgemein bekannt, dass kleine und mittelständische Unternehmen sehr viele Arbeitsplätze schaffen und demzufolge Arbeitskräfte binden. Ich meine, unsere politische Forderung muss gerade umgedreht sein: Wir müssen für solche ordnungspolitischen Rahmenbedingungen eintreten, dass gerade eine funktionsfähige

(Glocke des Präsidiums)

soziale Marktwirtschaft auch in Ostdeutschland entsteht

(Vereinzelter Beifall)

und nicht umgedreht noch mehr Staatsinterventionismus. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass die richtigen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen. Der Staat hat aber nicht dafür zu sorgen,

(Glocke des Präsidiums)

dass er selbst wirtschaftliche Tätigkeit unmittelbar in verstärktem Maß ausführt. Ich denke, das sind bestimmte Grundsatzfragen, über die wir in der Folge weiter debattieren sollten.

Letzter Satz: Es geht meines Erachtens auch nicht nur um ein höheres Maß an Verteilungsgerechtigkeit. Wir müssen verstärkt darüber nachdenken, dass strukturelle Defizite der sozialen Marktwirtschaft beseitigt werden. Das heißt also auch, an die Dinge heranzugehen, wo Einkommen entsteht. Hier ist meines Erachtens mehr Pluralismus angesagt. Ein Beispiel ‑ wir haben das manchmal politisch gefordert, nur praktische Modelle haben wir nicht vorgelegt ‑

(Präs. Bernd Schimmler: Komme, bitte, zum Schluss!)

ist das Problem der Vermögensbeteiligung. Ich glaube, gerade dieses Problem spielt wiederum, um darauf zurückzukommen, für die Entwicklung eines kleinen und mittelständischen Unternehmertums und auch für Existenzgründer eine wesentliche Rolle, und das sollten wir hier nicht außer Betracht lassen. ‑ Danke schön.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Iris Hoppe.

Iris   H o p p e   (Wilmersdorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Ihr habt vorhin, als Horst Wagner gesprochen hat, einen frenetischen Beifall hervorgezaubert. Ich wünsche mir, dass, wenn die Metaller dazu gezwungen werden, wirklich in den Arbeitskampf gehen zu müssen, ich euch alle als Genossen und Gewerkschafter dann zur Unterstützung der IG Metall auf der Straße sehe!

(Beifall)

Ich habe mir die Mitgliederliste angeguckt: Ich bin nicht davon überzeugt, dass alle, die hier als Genossen sitzen, auch wirklich Gewerkschafter sind. Da habe ich doch zeitweise heute mittag gedacht, ich bin wirklich auf der falschen Veranstaltung; denn plötzlich kamen an mein Ohr so kämpferische Töne ‑ sehr kämpferische sogar. Ich hätte mir gewünscht, dass unser Fraktionsvorsitzender vielleicht mal diese kämpferische Rede schon im Abgeordnetenhaus gehalten hätte.

(Beifall)

Vielleicht wären dann auch unter Umständen Wahlergebnisse anders ausgefallen. Also, nur alle ein bisschen mehr Mut, dann wird es schon klappen.

Wenn ich mir dann allerdings vorstelle und in Erinnerung rufe, wie die von uns gewählten Bundesparteitagsdelegierten in der Frage des Asylkompromisses abgestimmt haben, dann sehe ich noch nicht den Aufbruch an neue Ufer aus Berlin in den Bundestag überschwappen.

(Vereinzelter Beifall)

Ich möchte in anderem Zusammenhang noch auf etwas zurückkommen, liebe Freunde. Ich will euch nur noch einmal daran erinnern ‑ die Genossin Bergmann hatte einige Zahlen genannt ‑, dass wir auch im öffentlichen Dienst einen Großteil von ABM‑Kräften beschäftigt wissen. Wenn dieses Programm gestoppt wird, dann bedeutet das auch den Rückgang von ABM‑Beschäftigungsverhältnissen im öffentlichen Dienst, und dann wird es vielleicht so kommen, wie Thomas Krüger gesagt hat, dass die Tiefbaumabnahmen nicht mehr durchgeführt werden können, weil die Planstellen für Vermesser so eng besetzt sind, dass die übrige Arbeit ohnehin schon mit ABM‑Kräften gemacht wird. Ich denke zum Beispiel auch an die Gartenbauämter, die nur mit einem groben Teil von ABM‑Kräften diese Arbeit auch in den vorangegangenen zehn Jahren noch haben aufrechterhalten können.

 

Ich hätte mich gefreut, wenn der Genosse Meisner nun mal zur Entlastung des Berliner Haushalts einen Satz gesagt hätte, wie denn die vielen gestundeten und erlassenen Steuerschulden von eigentlich doch zahlungskräftigen Menschen in dieser Stadt eingetrieben werden; es soll sich ja wohl auch um 500 Millionen DM handeln. Wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass hier eine Ausschreibung für ein Berlinsignet gemacht wird, und da kommt ein Lindenblatt zum Vorschein, dann frage ich mich: Wer bezahlt das? Doch eigentlich wir! Also, mir ist mein Berliner Bär noch immer sehr viel lieber,

(Beifall)

und diejenigen, die diese Ausschreibung gemacht haben, sollen das mal aus ihrer eigenen Tasche bezahlen; denn dann können 120 000 DM eingespart werden.

(Beifall)

Von diesen Beispielen könnte ich euch noch eine ganze Latte aufzählen. Aber da wir eine Redezeit von nur drei Minuten beschlossen haben, lasse ich es dabei bewenden. Jeder mag sich selbst noch einige Beispiele einfallen lassen.

Im Übrigen: Lasst uns gemeinsam die kommenden Zeiten durchstehen! Mit dem Ende des Realsozialismus wird der Frühkapitalismus eingeführt. Alle diejenigen, die auf der Ostseite Berlins oder in den neuen Bundesländern immer nur die Reklame im West‑Fernsehen gesehen haben, denen habe ich schon vor drei Jahren gesagt: Leute, da seid ihr an dieser Stelle einmal nicht beschummelt und belogen worden; es ist wirklich so! Es passiert der Angriff auch auf eure Arbeitsverhältnisse ‑ denkt daran, und denkt darüber nach! Ich habe in dieser Woche gerade ein solches Referat gehalten und freue mich, dass ich mit Horst Wagner übereinstimme. ‑ Danke.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Peter Strieder.

Peter   S t r i e d e r   (Kreuzberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Als Horst Wagner davon geredet hat, dass durch die Angriffe der Arbeitgeber eine Kampfsituation entstanden ist, hat dieser Parteitag heftig applaudiert ‑ und dann lehnt er sich zurück. Wo ist denn die kämpferische Antwort der Sozialdemokratie? Norbert Meisner rechnet uns vor, die Subventionierung von Steinkohle im Westen gegen die Braunkohle im Osten, er rechnet uns vor die Subventionierung dort des Stahls in Rheinhausen und dort des Stahls in Hennigsdorf. Genossinnen und Genossen, das ist Umverteilung innerhalb einer Klasse und nicht ein sozialdemokratisches Konzept!

(Beifall)

Wir müssen uns wenigstens fragen, was wir mit den 600 Milliarden DM abfließender Mittel Jahr für Jahr machen, die ins Ausland gehen und wie wir sie zum Aufbau der eigenen Industrie einsetzen können. Wenigstens die Frage muss man doch noch mal stellen dürfen! Da wird ausgespielt zwischen Ost und West, die Kumpels im Westen und die Kumpels im Osten, das sind angeblich die Gegner und ihre Gewerkschaftsfunktionäre. Nein, Genossinnen und Genossen, ich bin auch nicht bereit, die 22 % Arbeitslosen in Kreuzberg gegen die 16 % Arbeitslosen in Köpenick auszuspielen! So kommen wir nicht zu einer sozialdemokratischen Antwort, sondern wir müssen uns in der Tat überlegen, was sind die darüber hinausgreifenden Reformkonzepte der Sozialdemokratie, und dann müssen wir die Fragen stellen und müssen sie beantworten. Und wenn wir zu der Antwort gelangen: Wir haben keine Möglichkeiten, weil die das anders entscheiden ‑ nämlich die, die über das Geld verfügen ‑, dann können wir uns den anderen Fragen zuwenden ‑ aber wenigstens diese Frage müssen wir stellen.

Für Berlin bedeutet das, dass wir uns natürlich auch überlegen müssen: Von wem reden wir da, und von wem verlangen wir da Opfer? ‑ Das hat ja nun der Jugendsenator in den letzten Tagen faustdick um die Ohren gekriegt, als er sein Konzept zurückziehen musste ‑ ein fertiges Gesetz über die Kita‑Kostenbeteiligung ‑, weil man sich offensichtlich verrechnet hat, wer noch unter den Begriff der Besserverdienenden fällt. Mit 60 000 DM brutto im Jahr, da meinen wir unsere ureigene Klientel: die Facharbeiter bei Schering und Siemens, die Sachbearbeiterin mit studierendem Kind ‑ das sind unsere Leute! Das müssen wir anders definieren und nicht nur von den Besserverdienenden reden.

(Beifall)

Dann müssen wir den Senat fragen: Wo ist denn das finanzpolitische Konzept? Dann müssen wir fragen, ob wir denn mit pauschalen Minderausgaben richtig vorwärts gehen oder dass wir die Richtwertbereiche kürzen. Wo kürzen wir denn? Bei den Lehrmitteln in den Schulen, bei den Kitas kürzen wir, in den sozialen Betreuungsbereichen kürzen wir, weil es kein abgestimmtes Konzept der Leistungen gibt, die öffentlich angeboten werden, aber auf die man auch öffentlich verzichten kann. Das muss ein Gesamtkonzept sein und nicht ein beliebiges Herumstreichen.

Deswegen muss ich noch zu dem, was Walter gesagt hat, sagen: Ich glaube, Walter, du hast den Blick dafür verloren, was die Menschen in dieser Stadt wirklich interessiert! Das muss ich dir wirklich sagen, Walter.

(Beifall ‑ Zurufe: Bravo! Buh!)

Der Umbau des Südsterns ist unter Rot‑Grün beschlossen worden und nicht jetzt! Für dieses Haushaltsjahr 1994 haben wir soeben die Tiefbauunterhaltungsmittel um 70 % gekürzt. Ich bin der Auffassung, weder im Osten noch im Westen muss es Rennpisten geben, auch keine Tunnels ‑ wir haben soziale Projekte zu finanzieren!

(Beifall)

Dann müssen wir uns fragen: Was ist denn mit der Erhöhung der städtischen Gebühren? ‑ Es gibt ein Papier aus diesem Landesvorstand, worin steht: „Die städtischen Gebühren müssen sich der Preisentwicklung anpassen.“ Ja, wer muss denn die städtischen Gebühren zahlen? Die kleinen Leute, für die wir angeblich eintreten, über die wir hier die ganze Zeit reden. Das können wir doch nicht noch mit einer so lapidaren Forderung mit einsacken.

Nein, Genossinnen und Genossen, keine Differenzierung von Ost und West, sondern die Politik nach oben und unten! Das ist die Frage, auf die es ankommt.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Martina Sönnichsen.

Martina   S ö n n i c h s e n   (Charlottenburg): Genossinnen und Genossen! Eigentlich wollte ich mich ganz zufrieden zurücklehnen, als ich heute morgen hier die Redebeiträge gehört und mitbekommen habe, dass die SPD scheinbar wieder zu dem zurückgefunden hat, was sie mal war, nämlich eine Arbeiterpartei und eine Partei, die eine lange Tradition in einer Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften hatte, zu der sie jetzt scheinbar wieder gerade in Berlin zurückzufinden scheint. Das fand ich sehr gut, und ich habe mich sehr darüber gefreut, dass hier für Ziele und Forderungen eingetreten wurde, die auch die Gewerkschaften stellen; es fielen die Namen IG Metall, IG Chemie aber auch der der ÖTV. Es wurden relativ ähnliche, arbeitsmarktpolitische Ziele angesteuert. Das ging so weit, dass hier gefordert wurde, die Forderungen der Gewerkschaften zu unterstützen und sogar gemeinsam mit ihnen auf die Straße zu gehen, wenn sie zu einem Streik aufrufen ‑ das fand ich sehr gut.

Dann kam der Wortbeitrag von Walter Momper ‑ Peter Strieder hat das gerade angesprochen. Das hat mich in meiner Zufriedenheit aufschrecken lassen, und ich habe mich doch noch zu einer Wortmeldung durchgerungen. Der Beitrag von Walter Momper hat deutlich gemacht ‑ und das will ich besonders betonen ‑, dass sich Walter hier nicht mehr ganz zu Hause fühlt.

(Vereinzelter Beifall)

Ich glaube, Walter Momper hat gezeigt, wie weit er sich hier von den Landesparteitagsdelegierten entfernt hat, von dem, was wir als Partei und was wir als Basis in dieser Stadt wollen, nämlich die Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt zu unterstützen, und zwar diejenigen, die auch weniger verdienen, und nicht nur die Privatwirtschaft in dieser Stadt.

Walter hat gesagt, er fände es nicht gut, dass die SPD in ihrer Forderung nach der Privatisierung der Eigenbetriebe zurückgegangen ist. Ich bin sehr froh, dass diese Sache so gut wie vom Tisch ist, dass sich die SPD da zu einer anderen Meinung durchgerungen hat.

(Beifall)

Ich bin außerdem sehr froh, dass wir heute noch einmal über das Tunnelprojekt diskutieren werden, und kann Walter nicht verstehen, wenn er fordert, dass eine Sache, die einmal beschlossen oder angesprochen ist, in der Basis oder in einem Gremium wie dem Parteitag nicht mehr diskutiert werden soll. So etwas finde ich völlig unverständlich.

(Vereinzelter Beifall)

Ich finde es auch unverständlich, wie Walter Momper hier das Podium betreten und fordern kann, dass die Kita‑Beiträge noch mehr erhöht werden sollen und dass wir stillhalten und nicht mit den Füben und Händen scharren sollen, wenn Familien in der Stadt wieder dazu aufgerufen werden, noch mehr Geld dafür zu zahlen, dass ihre Kinder eine Kinderbetreuung bekommen und dafür, dass Frauen auch wieder arbeiten können. Das sind Dinge, die Walter schon einmal vor einigen Jahren mit seinem Karren in den Dreck gefahren hat. Dass so etwas heute hier wieder zur Sprache kommt, finde ich ganz schlimm. Ich hoffe, dass das nur ein Einzelbeitrag gewesen ist und dass hier zum Ausdruck kommt, dass wir als Basis einer ganz anderen Ansicht sind. ‑ Danke.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Als letzter in der Aussprache hat Hans Kremendahl das Wort.

Hans   K r e m e n d a h l   (Steglitz): Liebe Genossinnen und Genossen! Lasst mich eine aktuelle Bemerkung zu den beiden letzten Beiträgen vorwegschicken. In unserem Grundsatzprogramm steht: Wir sind die Partei der Freiheit des Geistes. Deshalb kommt es uns hier nicht darauf an und darf es uns nicht darauf ankommen, uns in einer scheinbaren Übereinstimmung, die in der Regel auch nur eine Übereinstimmung von Parolen ist, heimelig und geborgen zu fühlen, sondern es stünde unserem Parteitag gut an, auch einmal eine abweichende Meinung und auch ein paar unbequeme Wahrheiten zu ertragen.

(Beifall)

Ich will auch da ansetzen, wo Norbert Meisner eben in seinem Referat gesagt hat, „an der Stelle hätte ich den Beifall brauchen können“, nämlich als er von notwendigen Sparmaßnahmen im Land Berlin und von der Lage des Landeshaushalts gesprochen hat. Ich wiederhole die entscheidende Zahl ‑ je nachdem, was heute bei unseren Solidarpaktakrobaten herauskommt ‑: jährlicher Schuldendienst des Landes Berlin von vier bis acht Milliarden DM.

Nun haben hier viele darüber gesprochen, wo nicht gespart werden soll, nämlich bei den sozialen Leistungen und in der Arbeitsmarktpolitik. Ich teile diese Auffassung, dass dort nicht gespart werden soll. Ich will sogar einen zweiten Bereich hinzufügen, in dem um der Zukunft unserer Stadt Willen auch nicht gespart werden darf, und das sind die Investitionen, die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur vorwiegend in den östlichen Bezirken, die Investitionen in den Wohnungsbau und die Investitionen in die Schaffung der Industrie und der industriellen Arbeitsplätze einschließlich der Forschungs­- und Entwicklungskapazitäten von morgen;

(Vereinzelter Beifall)

denn nur, wenn die da sind, werden neue Steuereinnahmen entstehen. Nur wenn die da sind, kommt unsere Stadt finanziell auf die eigenen Beine.

Wir sollten uns aber nicht damit begnügen, Fragen zu stellen: Wer muss das bezahlen? Wir alle oder die kleinen Leute? Sondern wir sollten uns im klaren sein, dass, wenn wir diese beiden Bereiche als solche nehmen, in denen wir nicht sparen können und wollen, in allen anderen Bereichen keine Tabus bestehen dürfen. Ich gehe soweit zu sagen: Auch wichtige, in Zeiten gefüllter Haushaltskassen aufgeblähte öffentliche Institutionen ‑ und da kann sich kein Opernhaus und keine Universität ausnehmen ‑ müssen auf den Prüfstand, wo gespart werden kann. Ich möchte auch nicht erleben, dass wir Sozialdemokraten eine generelle Resolution, die sagt, Berlin muss sparen, mit großer Mehrheit verabschieden und dann bei jedem Einzelbereich, wenn darüber geredet wird, wo es konkret werden kann, sagen: hier aber nicht!

Ich will auch das Thema Privatisierung aufnehmen: Ich bin kein Privatheit‑Ideologe. Wenn wir aber wissen, dass eine Verwaltungsreform stattfinden muss, wenn wir wissen, dass das aus Haushaltsgründen auch heißt, dass in Zukunft nicht mehr unmittelbar 200 000 und mittelbar noch zusätzlich 150 000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst dieser Stadt sein können, dann müssen wir uns auch überlegen, wo bisher öffentlich erbrachte Dienstleistungen sinnvoller als private erbracht werden können. Das sagt jetzt nicht, dass ich nicht sehr einverstanden bin mit der Lösung, die sich die Fraktion zu den Eigenbetrieben erarbeitet hat, aber das heißt, dass in vielen Bereichen der Staat Dinge tut, die er nicht unbedingt tun muss.

(Glocke des Präsidiums)

Wenn uns konzeptionell nicht mehr einfällt, Kurt Neumann, als zu sagen, die Staatsquote muss erhöht werden, dann ist das nur die halbe Wahrheit; denn die Staatsquote erhöhen heißt wohl auch, die staatlichen Ausgaben zu erhöhen.

(Glocke des Präsidiums)

Das ist eine sehr klassische SPD‑Antwort, aber das kann nicht die Lösungsformel für die Zukunft sein.

Insofern sage ich zum Leitantrag: Darin steht eine Menge, was wir heute sagen können. Wir wissen auch, dass einiges, was wir heute beschließen, morgen in der Presse sich in den realen Dimensionen ganz anders ausnimmt, je nachdem, wie das in Bonn endgültig mit den komischen Solidarpaktverhandlungen zu Ende geht. Aber darin steht vor allen Dingen, dass wir an der Entwicklung eines finanz- ­und wirtschaftspolitischen Konzepts für Berlin weiterarbeiten müssen. Ich glaube, dieser letzte Absatz des Antrags ist das, was uns eigentlich weiterführt. ‑ Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Schlusswort hat Norbert Meisner.

Norbert   M e i s n e r   : Liebe Genossinnen und Genossen! Mir geht es wie manchem in dieser Debatte: Ich hatte mir überlegt, auf das Schlusswort zu verzichten, aber dann kamen doch noch Beiträge, auf die es sich einzugehen lohnt.

Eines möchte ich aber zu Anfang sagen: Walter Momper hat in der ihm eigenen Art einige Dinge ausgesprochen, die er für Wahrheiten hält. Ich stimme ihm da übrigens meistens zu.

(Vereinzelter Beifall)

Walter Momper war derjenige, der wegen dieser Art, Dinge direkt, gerade, ungeschminkt auszusprechen, von dieser Partei zum Spitzenkandidaten nominiert wurde und Regierender Bürgermeister in der schwierigsten Zeit war, die diese Stadt hat. Es gehört sich einfach nicht ‑ ‑ Ich sage es noch einmal: Ich finde, es ist einfach schlechtes Benehmen, wenn man diesen Mann, nachdem er nicht mehr Landesvorsitzender ist, nachdem er nach einem Knatsch mit uns aus diesem Amt geschieden ist, hinterher noch mit Dreck beschmeisst ‑ ich lasse es nicht zu!

(Starker, anhaltender Beifall ‑ Zurufe: Bravo!)

Iris Hoppe hat zwei Vorschläge gemacht. Ich glaube, sie hat die Vorschläge an mich gerichtet, aber ich muss es noch einmal sagen: Ich bin nicht mehr Finanzsenator; ich bin jetzt Wirtschaftssenator. Sie hat vorgeschlagen, bei den Steuerstundungen und sogar Steuerverzichten nicht so grobzügig zu sein. Darauf darf ich euch antworten: Ich halte von diesen Vorschlägen ‑ die übrigens Vorschläge sind, die immer von Gewerkschaften kommen, nämlich, wir könnten zum Beispiel mehr Steuern einnehmen, wenn wir für relativ viel Geld auch mehr Steuereinnehmer beschäftigen würden, wobei es sich wirklich nur um das Vor‑uns‑herschieben einer Steuerwelle handelt, die Jahr für Jahr in der gleichen Größenordnung bleibt, die wir vielleicht mal ein bisschen abbauen können und dann wieder etwas zurückfallen. Das bringt nicht das Geld in die Kassen!

Zweitens: Bei den Steuerverzichten muss genau das gleiche gelten, was ich von der Treuhand bei den Vertragsstrafen fordere. Wenn sie eine Vertragsstrafe in einem Ost‑Berliner Betrieb will und sagt, nun rückt mal raus, ihr habt nicht soundso viel Arbeitnehmer beschäftigt, sondern ihr habt 100 weniger als die 600, die ihr zugesagt habt, nun zahlt mal das Geld, dass, wenn die Firma darlegen kann, dass sie, wenn sie dieses Strafgeld zahlt, dann zumachen muss, Konkurs anmelden muss, dann bin ich dafür, dass die Treuhand nicht diese Vertragsstrafe einkassiert.

 

Das gleiche fordere ich auch bei dem Eintreiben von Steuerschulden im Westteil der Stadt. Wenn ich Betriebe, die noch eine Zukunft haben, damit gleich kaputtmachen würde, dann sage ich: Bitte, wartet lieber noch ein Jahr und gebt ihnen noch einen Steuerzahlungsaufschub, damit es möglich ist, diesen Betrieb vielleicht noch über eine Rezession hinweg zu retten.

Auch Peter Strieder hatte nur drei Minuten Redezeit, und darum ist bei ihm vieles zu kurz gekommen. Er hat darauf hingewiesen, dass er nicht die pauschalen Minderausgaben haben möchte, sondern dass er gern die strukturellen Sparvorschläge dafür sehen möchte. Und ausgerechnet da waren die drei Minuten zu Ende, und er konnte sie uns nicht nennen.

(Beifall ‑ Gelächter)

Ich sage euch: Darum geht es eigentlich in der Finanzpolitik der Stadt. Es geht darum, dass man die Bereiche benennt, in denen man sparen will.

Nun verderbe ich es mir wieder mit meinem früheren Kreisvorsitzenden Niko Sander aus Zehlendorf. Ich sage euch: Die Tatsache, dass Hamburg drei staatsfinanzierte Theater hat und Berlin 16 hat nicht nur damit etwas zu tun, dass die Hamburger alle Kulturmuffel sind und die Berliner das Gegenteil, sondern es hat vielleicht auch ein bisschen damit zu tun, dass in der einen Stadt die Ausgaben nach den Einnahmen bemessen werden und in der anderen eben nicht. Und wir müssen leider, fürchte ich, dazu kommen.

(Vereinzelter Beifall)

Mit einem hat er aber recht, und ich habe einen Vorwurf bekommen. Ich habe den Vorwurf bekommen, von den Genossinnen und Genossen in Westdeutschland, die in einer anderen Situation sind, Solidarität zu verlangen und das vielleicht ein bisschen zu übertreiben. Da bin ich geschädigt, muss ich sagen. Ich habe in einer Situation, in der die deutsche Einheit gerade hergestellt wurde und es ostdeutsche Länder noch nicht gab, schon in der gemeinsamen Landesregierung unter Tino Schwierzina und Walter Momper gesessen und gewusst, was mit dem Ostteil der Stadt und in Ostdeutschland insgesamt auf uns zukommt. Ich habe in der Zeit bei den Finanzministern in Westdeutschland die Vorbereitung des Einigungsvertrages erlebt. Sehenden Auges wurde dort zwar den ostdeutschen Menschen, was in der Verfassung ja steht, der Umsatzsteueranteil zugesprochen, aber nur zu 50 %. Das ist dann rechtzeitig vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden. Aber das dort sehenden Auges zu machen, dabei kam ich mir immer vor, als ob ich versehentlich vor einem groben Fußballmatch ‑ und das Match wird gerade ausgetragen ‑ als Spieler der einen Seite versehentlich in die Mannschaftsvorbesprechung der anderen Seite hineingekommen bin.

(Beifall)

Das lief und läuft bei der Hauptstadtdebatte, und das läuft bei etlichen Sachen immer noch. Da hilft es nichts, zu bitten. Da hilft es eben auch, solche Töne, wie ich sie hier von mir gegeben habe, öffentlich zu erheben, damit man sieht, wo Lobbyismus sein Recht hat und wo er aufhört und wo die Solidarität in einem Volk beginnen muss.

 

Mein Schlusssatz: Ich hoffe, dass einiges von dem, was ich vorgetragen habe, dazu führt, dass wir anschließend in der gesamten Partei zu dem notwendigen strukturellen Sparen fähig sind. ‑ Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir kommen jetzt zur Beschlussfassung über den Antrag 1. Das Wort hat Kurt Neumann.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Liebe Genossinnen und Genossen! Lasst mich einige Vorbemerkungen machen, die generell für die Antragsberatung auf diesem Parteitag gelten sollen. Wir haben angesichts der Situation, dass wir noch mehr Anträge haben als das letzte Mal und dass wir die Anträge auch nicht grenzenlos schieben können, einen Verfahrensvorschlag unterbreitet, nämlich einen Grobteil der Anträge in eine Konsensliste aufzunehmen und diese pauschal so abzustimmen, dass die Empfehlungen der Antragskommission vom Landesparteitag beschlossen werden. Dies geht natürlich nur, wenn Konsens ist, deswegen heißt das auch Konsensliste.

Ich bitte euch aber, möglichst nicht damit zu beginnen, diese Liste aufzuschnüren. Denn wenn sie an einer Stelle aufgeschnürt wird, dann ist das wie bei einem Pullover: dann rebbeln wir das Ganze auf, und dann kommen wir heute nicht zu Ende. Selbst wenn wir einen weiteren Tag anhängen könnten, würden wir auch nicht zu Ende kommen. Deswegen: Lasst es dabei möglichst bewenden, wenn nicht irgendwo ganz gravierende Probleme hier der Diskussion bedürfen.

Zur Konsensliste bezüglich des Punktes 4 der Tagesordnung, also zu dem Antrag Nr. 1 und den zum gleichen Problembereich eingebrachten Anträgen, will ich eines noch zur Erläuterung sagen: Antrag 1 richtet sich nicht an einen konkreten Adressaten, weil er für uns selbst einen Arbeitsauftrag beschreibt, was auch dringend erforderlich ist. Aber wir können und werden die inhaltlichen Positionen und damit diesen Antrag schon jetzt vorab an die Bundestagsfraktion schicken zur Beachtung. Ich glaube, damit erledigen sich manche Bedenken, ob ihre Anträge durch den Antrag 1 erledigt seien. Ich glaube, das kann ich zusagen, dass das sofort auch an die Bundestagsfraktion geschickt wird. Nach dieser Bemerkung bitte ich, dass wir zunächst die Konsensliste abstimmen, dass also der Parteitag der Konsensliste insofern zustimmt, dass die Empfehlungen insgesamt zu den dort aufgeführten Anträgen angenommen sind.

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Präsidium hört keinen Widerspruch zu diesem Verfahren.

(Zuruf: Doch!)

‑ Lore, das war jetzt zu den Einzelpunkten der hinteren Konsensliste bei den hinteren Themen; jetzt sind wir erst beim Leitantrag 1. Wir kommen jeweils zu den einzelnen Konsenspunkten noch mal bei den Einzelpunkten. Einverstanden?

Vom Grundsatz her höre ich keinen Widerspruch.

Jetzt stimmen wir über die Konsensliste zu Punkt 4 der Tagesordnung ab. Wer dem seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Bei einer Stimmenthaltung so beschlossen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Damit kommen wir zum Antrag 1/I/93 selbst. Dort hat die Antragskommission nur redaktionelle Veränderungen vorgenommen, wenn wir euch Annahme der Fassung der Antragskommission vorschlagen.

Es gibt einen Änderungsantrag, beantragt von Barbara Unger. Auf Seite 46 möchte Barbara an den 8. Spiegelstrich einen weiteren Spiegelstrich angefügt wissen; ich habe das schriftlich vorliegen und lese es euch vor:

‑ gerechtere Aufteilung der Arbeit durch Verkürzung der Arbeitzeit, zumindest Angleichung der Arbeitszeit im Ostteil Berlins an das Westniveau als ersten Schritt bei gleichzeitiger Schaffung von neuen Arbeitsplätzen.

Die Antragskommission hat darüber naturgemäß nicht beraten können. Ich denke aber, dass wir nichts dagegen gehabt hätten, diesen Änderungsvorschlag aufzunehmen und bitte deshalb persönlich um Annahme.

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Dann stimmen wir zunächst über diesen Änderungsantrag ab. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Bei einer Stimmenthaltung so beschlossen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Weitere Änderungsanträge liegen nicht vor; dann bitte ich, über den Antrag insgesamt abstimmen zu lassen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wer dem Antrag 1 in der Fassung der Antragkommission seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Bei einigen Gegenstimmen und Stimmenthaltungen so beschlossen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Damit sind die Anträge, die hier im einzelnen aufgeführt sind, erledigt.

Zusätzlich erledigt ist nach Meinung der Antragskommission, die vorhin darüber beraten hat, Initiativantrag 2 auf gelbem Papier, den wir als dringlich zur Zulassung empfehlen. Aber wir empfehlen zugleich, ihn für erledigt zu erklären durch Annahme des Antrags 1.

Präs. Michael   E l z e   : Folgt der Parteitag dem Votum? Gut, kein Widerspruch.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen dann zum Antrag 28/I/93 (Abt. 2/Prenzlauer Berg) auf Seite 58. Hier schlägt die Antragskommission Überweisung an den Landesvorstand vor, damit die einzusetzende Arbeitsgruppe diesen Antrag mit verwerten und in die Vorlage für den nächsten Parteitag mit einarbeiten kann. Zu Antrag 28/I/93 liegt ein Änderungs‑, ein Ergänzungsantrag vor, der die Frage der Flugbenzinsteuer anspricht. Wir bitten, auch diesen Änderungsantrag zusätzlich zu überweisen, damit dieses mit behandelt werden kann. In dieser Form bitte ich dann um Annahme hinsichtlich der Erledigungserklärung.

Präs. Michael   E l z e   : Folgt der Parteitag diesem Votum? ‑ Okay.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann haben wir zu diesem Themenkomplex noch den Initiativantrag 3 (Friedrichshain, Abtlg. 1, 4 und 5) auf blauem Papier; da geht es um ein Notkonzept angesichts der Einstellung von AB‑Maßnahmen. Die Antragskommission empfiehlt die Überweisung an die Fraktion und an den Fachausschub 10, der für Wirtschafts‑ und Arbeitsmarktpolitik zuständig ist.

Präs. Michael   E l z e   : Gibt es hier Widerspruch? ‑ Das ist nicht der Fall.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Damit haben wir die Anträge zu Punkt 4 der Tagesordnung behandelt.

Präs. Michael   E l z e   : Dann kommen wir zu

Punkt 5 der Tagesordnung

Beratung der Anträge

Zuerst hat wieder der Vorsitzende der Antragskommission das Wort.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Der Vorschlag beinhaltet auch eine Behandlung in der konkreten Reihenfolge. Ich denke, dass wir zunächst darüber abstimmen oder es zur Kenntnis nehmen sollten, dass wir in dieser Reihenfolge die Antragskomplexe behandeln.

Präs. Michael   E l z e   : Dann schlage bitte vor.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann ist das so gebilligt, und wir kommen zunächst zu den Organisationsanträgen. Hier hat der Landesausschub am Mittwoch einen Beschluss gefasst, der noch einmal bekräftigt, die ganzen Statutenänderungsanträge und andere Vorschläge zur Parteireform zunächst in der Statutenkommission als einer Arbeitsgruppe, die konkrete, sachgerechte Vorschläge zu erarbeiten und nicht politisch zu werten und politisch vorzustrukturieren hat, sondern einfach Satzungsänderungsanträge zu formulieren hat, bearbeiten zu lassen und dann im Landesvorstand und Landesausschub zu beraten.

Ich kann berichten, da ich auch Mitglied der Statutenkommission bin, dass etwa für die Zusammensetzung des Landesparteitags konkrete Arbeitsaufträge für die verschiedenen Varianten bearbeitet werden. Dies ist auf dem Weg. Wir haben aber zu vielen Bereichen heute auf diesem Landesparteitag noch keine ordnungsgemäßen statutenändernden Anträge.

Da auf der anderen Seite die Sache nicht eilbedürftig ist ‑ denn es wird erst zur nächsten Legislaturperiode wirksam und aktuell, gerade was die Zusammensetzung des Landesparteitags angeht ‑ und wir dies im Gesamtkomplex auf dem ordentlichen Parteitag im September, dem Jahresparteitag, behandeln sollten, hat die Antragskommission einmütig vorgeschlagen, dass die Anträge, die auf der Konsensliste ausgewiesen sind, an die Kommissionen, also insbesondere die Statutenkommission und in zwei Fällen auch an die Organisations‑ und Finanzkommission überwiesen werden. Ich bitte euch, diesem Votum zu folgen. Gerade diejenigen, die grobes Interesse daran haben, das sachgerecht diskutiert zu wissen, können sich von einer heutigen Diskussion, die zu keinem Ergebnis führen kann, eigentlich nichts versprechen. Deshalb denke ich, sollten wir einvernehmlich dieser Empfehlung folgen, was die Konsensliste zu Organisationsfragen angeht.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Michael   E l z e   : Folgt der Parteitag diesem Vorschlag, dass wir das auf den nächsten Parteitag verschieben? ‑ Gut! ‑ Dann kommen wir aber zu den Einzelberatungen von drei Anträgen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann kommen wir zunächst zum Antrag 94/I/93 (Kreuzberg). Dazu liegt mir ein Änderungsantrag vor, den ich selbst geschrieben habe. Da geht es darum, dass der Landesvorstand beauftragt wird, im Jahr 1993 noch zwei weitere Parteitage einzuberufen. Wer die Last dieses Parteitags sieht, kann sich dem, glaube ich, nur anschließen. Ich frage, ob die Antragsteller aus Kreuzberg diesen Änderungsantrag übernehmen. Er wird übernommen, dann kann dem Parteitag Annahme in dieser Form empfohlen werden.

Präs. Michael   E l z e   : Wer für die Annahme des Antrags 94/I/93 ist, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Danke schön. Die Gegenprobe! ‑ Das erste war eindeutig die Mehrheit.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen dann zum Antrag 109/I/93 (Zehlendorf); das ist der Antrag, der in der Presse die meiste und auch gebührende Aufmerksamkeit gefunden hat. Die Antragskommission empfiehlt einstimmig Annahme.

(Beifall)

Präs. Michael   E l z e   : Von der Antragskommission ist einstimmig Annahme empfohlen worden. Folgt dem der Parteitag? Wer ist dafür? ‑ Wer ist dagegen? ‑ Bei wenigen Gegenstimmen ist dieser Antrag so angenommen.

(Beifall)

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen zum Antrag 115/I/93 (Charlottenburg); dort geht es um das Vermögen ‑ auch das frühere ‑ der Partei. Hier schlagen wir vor, den Antrag in der Fassung der Antragskommission anzunehmen.

 

Präs. Michael   E l z e   : Wer ist für den Antrag in der Fassung der Antragskommission? ‑ Danke. Die Gegenprobe! ‑ Wieder bei einer Gegenstimme angenommen. Kurt, hast du noch weitere Anträge zur Organisation?

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir haben zur Organisation keine weiteren Anträge, wenn wir nicht einen übersehen haben, was ihr uns nachsehen müsstet wegen der gedrängten Zeit und der Fülle der Anträge.

Wir kommen damit zum Komplex „Eigenbetriebe“. Wir haben die Anträge deshalb nicht auf die Konsensliste gesetzt, weil wir nicht der Auffassung sind, dass hier breiter Dissens vorhanden ist ‑ es gab vorhin eine Gegenstimme ‑, sondern weil wir der Auffassung sind, dass dies hier noch einmal gebührend diskutiert und in den Vordergrund gestellt werden muss. Deshalb haben wir zu diesem Bereich Einzelberatung vorgeschlagen, und ich bitte das Präsidium, entsprechend zu verfahren.

Präs. Michael   E l z e   : Wir werden entsprechend verfahren; es liegen auch Wortmeldungen vor. Als erster hat sich der Genosse Ditmar Staffelt gemeldet. Ditmar, du hast das Wort.

Ditmar   S t a f f e l t   : Liebe Genossinnen und Genossen! Lasst mich kurz Stellung nehmen zu den Beschlüssen der Fraktion, die, wie ich hoffe, heute auch von diesem Landesparteitag bestätigt werden.

Wir haben ja etliche Monate eine sehr kontroverse Diskussion innerhalb der Sozialdemokratischen Partei hinter uns, wie es mit den Berliner Eigenbetrieben weitergehen kann. Ich knüpfe ganz ausdrücklich an das an, was Walter Momper vorhin gesagt hat: Wir haben einen dringenden Modernisierungsbedarf bei den öffentlichen Betrieben des Landes Berlin!

(Beifall)

Diese Betriebe sind kein Selbstzweck, sondern sie sind Dienstleistungsunternehmen für die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt. Sie sind Betriebe, die für die Zukunft der Lebensgrundlagen in unserer Stadt Vorsorge treffen sollen. Aus diesem Grund müssen wir auch danach schauen, dass sie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt werden. Daran führt kein Weg vorbei.

Auch wenn das unbequem ist: Es wird notwendig sein, innerhalb dieser Betriebe ein hohes Maß an Rationalisierung an den Tag zu legen. Wasserköpfe, wie wir sie in den Verwaltungen haben, finden wir natürlich auch in diesen Eigenbetrieben. Und, Walter hat darauf hingewiesen, die private Konkurrenz drängt immer stärker auf den Markt.

Meine Behauptung ist und bleibt die: Wenn wir z. B. aus den Berliner Stadtreinigungs‑Betrieben kein modernes Unternehmen machen, dann wird die BSR eines Tages zur Restmüllabfuhr und Reststraßenreinigung degenerieren, und wir werden die Zeche dafür finanziell zu zahlen haben. Das darf es nicht geben!

(Beifall)

Das Ringen, das innerhalb der Partei stattgefunden hat, bezog sich auf die Frage: Wie können wir diese Unternehmen konkurrenzfähiger, wie können wir sie kundenorientierter strukturieren?

Ich denke, dass mit dem Kompromiss, den wir gefunden haben, sie in Anstalten des öffentlichen Rechts umzuwandeln, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung gegangen wurde.

Ich erwarte, dass es nicht etwa dabei bleibt, dass die Sozialdemokratische Partei eine Rechtsformänderung beschließt und daraus folgert, nun kann alles so bleiben, wie es war, sondern dass diese Rechtsformänderung sowohl in Bezug auf die Managementqualitäten als auch in Bezug auf die Strukturen als auch in Bezug auf die Kundenorientierung manches in diesen Unternehmen ändert. Ich hoffe, dass diese Rechtsformänderung dazu führen wird, dass auch innerhalb der Belegschaften eine zusätzliche Motivation im Sinne einer Zukunftssicherung dieser Betriebe entstehen wird.

Macht euch nichts vor: Wir müssen insbesondere dafür Sorge tragen, dass diese Unternehmen auch neue Aufgaben übernehmen können ‑ neue Aufgaben innerhalb Berlins und neue Aufgaben auch außerhalb der Stadtgrenze. Nur so können wir sie ökonomisch solide finanzieren, und nur so sind sie in der Lage, auch wirklich die Modernisierungsprozesse durchzuführen, die erforderlich sind, um privater Konkurrenz Einhalt zu gebieten.

Vor diesem Hintergrund möchte ich euch bitten, diesem Beschluss der Fraktion die Zustimmung zu geben und als Parteitag der Berliner SPD dieser Rechtsformänderung zuzustimmen. ‑ Schönen Dank.

(Beifall)

Präs. Michael   E l z e   : Danke schön, Ditmar! ‑ Nun haben sich in der Zwischenzeit zwei weitere Genossen gemeldet. Ich glaube, der Parteitag ist damit einverstanden, dass der Genosse Lange erst nach diesen beiden Rednern das Wort ergreift. ‑ Zuerst hat Kurt Neumann das Wort.

Kurt   N e u m a n n   (Steglitz): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich denke, dass wir hier etwas mehr machen, als den Beschluss der Abgeordnetenhausfraktion nachvollziehen.

Wir haben ja gesagt, politisch kommt es darauf an, wie denn konkret die Anstalten des öffentlichen Rechts ausgestaltet werden, wenn sie gebildet werden. Deshalb liegt dem Parteitag als Fassung der Antragskommission ein Kriterienkatalog aus acht Punkten vor, die nicht unwichtig sind; denn wir stimmen, glaube ich, alle damit überein, dass einerseits ein Höchstmaß an Wirtschaftlichkeit auch in diesem Bereich notwendig ist, dass dort auch vieles modernisiert werden muß. Aber wir sind auch der Auffassung, dass aus volkswirtschaftlichen Überlegungen, die manchmal andere Gesichtspunkte beinhalten als betriebswirtschaftliche, bestimmte Pflöcke gesetzt werden müssen. Wir sind der Auffassung, dass in die Unternehmensziele auch die ökologischen und sozialen Zielsetzungen eingearbeitet werden müssen. Wenn das der Fall ist, dann muss auch hinsichtlich sozialer Belastungen dieser Unternehmen und Betriebe ein Ausgleich durch die öffentliche Hand stattfinden ‑ etwa im Bereich des Nahverkehrsunternehmens BVG. Dies alles, glaube ich, muss klargezogen und festgezogen werden, dann kommen wir von dieser dämlichen Privatisierungsdebatte weg. Dann haben wir die Verantwortung weiter bei der öffentlichen Hand; dann haben wir weiter die demokratische Kontrolle über diese Unternehmen und können gleichzeitig ein Mehr an Wirtschaftlichkeit durchsetzen über diese Unternehmensform.

Ich will euch nicht verhehlen, dass betreffend Punkt 7 in der Antragskommission ein Dissens bzw. eine leichte Meinungsverschiedenheit war. Hier war zunächst vorgeschlagen worden, dass wir unmittelbar schon bestimmte Beiräte fordern, die beratend tätig werden sollen. Dies ist jetzt ein Prüfauftrag; damit kann auch ich leben. Ich will aber darauf hinweisen, dass hier ein wichtiger Vorschlag ist, dass wir teilweise über die Instrumente der klassischen paritätischen Mitbestimmung hinausdenken müssen. Wir müssen auch das, was an Bürgerinteressen, an Ökologieinteressen, an Verkehrsverbraucherinteressen vorhanden ist, in die Beratungsgremien dieser Eigenbetriebe oder dieser neuen öffentlichen Betriebe mit hineinnehmen. Dies sollten wir sehr ernsthaft machen, nicht nur, weil es richtig ist, sondern weil es auch in unserem Berliner Grundsatzprogramm steht. Wenn wir unsere Programme mal anwenden können, sollten wir nicht vermeiden, das zu tun.

Insgesamt kann es uns mit diesem Beschluss gelingen, dass wir eine Diskussion, die stark ideologisch besetzt geführt wurde, so abschließen, dass beide Ziele gleichzeitig erreicht werden: mehr Wirtschaftlichkeit in den Eigenbetrieben, aber Aufrechterhaltung von volkswirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Zielsetzungen. ‑ Danke sehr.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Michael   E l z e   : Danke!. ‑ Jetzt hat der Genosse Kriebel das Wort.

Jürgen   K r i e b e l   (Neukölln): Liebe Genossinnen und Genossen! Wenn wir heute über den Antrag in der Fassung der Antragskommission befinden, dann hoffe ich, sind wir am Ende eines langen Weges auf der Suche nach der richtigen Rechtsform für unsere Eigenbetriebe. Wenn wir die Aufgaben der Zukunft in der Verkehrs‑, Energie‑, Abfall‑ und Umweltpolitik richtig verstehen, müssen wir die Instrumentarien den Betrieben geben, die sie brauchen. Da ‑ sage ich nur ‑ ist die Rechtsform des Eigenbetriebs in der derzeitigen Fassung die schlechteste aller Rechtsformen. Ich habe nie die Sinnhaftigkeit verstanden, wie diese Unternehmen ‑ denn diese Unternehmen sind auch zugleich Wirtschaftsunternehmen ‑ mit der Enge des Verwaltungskorsetts der Verwaltung, die letztendlich über die Geschicke auch der wirtschaftlichen Abläufe mit den Betrieben zu tun hatten, wirtschaften konnten. Ich glaube, unsere Betriebe haben die Aufgabe, auch für den Bürger attraktiv zu sein und entsprechend zeitnah und flexibel für ihn tätig zu sein. Dieses war in vielen Fällen nicht der Fall, und ich hoffe, dass dieses mit der Veränderung der Rechtsform in eine Anstalt des öffentlichen Rechts machbar ist.

Wichtig ist für mich, dass hier auch ein Konsens mit den dort Beschäftigten gefunden ist und darüber hinaus auch mit den Gewerkschaften. Wir haben darauf zu achten, dass die Rechte der Arbeitnehmer in den Betrieben erhalten bleiben und dass das, was wir letztendlich einmal an Rechten eingeführt haben, nicht durch die Rechtformänderung verändert wird. Ich sage auch: Wir haben die einmalige Chance, visionär für die Unternehmen, für die Betriebe Dinge zu tun, die in der Form, die wir bisher hatten, leider nicht möglich und nicht machbar waren. Ich stelle nur wiederum fest, dass über Jahre schon wichtige Marktsegmente der Betriebe, die ihre originären Aufgaben waren, weggefallen sind. Um dieses zu bremsen, müssen wir eine Veränderung vornehmen. Ich glaube, die Änderung in der Fassung der Antragskommission und darüber hinaus dessen, was die Fraktion auf ihrer Klausurtagung beschlossen hat, ist ein richtiger Weg, und ich bitte deshalb um die Zustimmung zu dem Antrag. ‑ Danke.

(Beifall)

Präs. Michael   E l z e   : Nunmehr hat der ÖTV‑Vorsitzende von Berlin, Genosse Kurt Lange, das Wort.

(Beifall)

Kurt   L a n g e   (ÖTV, Landesverband Berlin): Liebe Genossinnen und Genossen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst und als allererstes möchte ich mich bei den Genossinnen und Genossen bedanken, die in den Abteilungen ganz konkret über die Frage der Privatisierung mit den Gewerkschaftern aus den Betrieben diskutiert haben. Das war eine nützliche und für uns alle lehrreiche Diskussion ‑ herzlichen Dank!

(Beifall)

Zweiter Punkt: Es ist noch nicht lange her, da standen meine Kolleginnen und Kollegen aus den Eigenbetrieben vor der Tür des ICC und haben protestiert. Diese Proteste haben schließlich dazu geführt, dass Monika Buttgereit beispielsweise sich vehement dafür eingesetzt hat, das Eigenbetriebsgesetz zu modernisieren und nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten und gleich in die Privatisierung zu marschieren. Heute sind wir in der gemeinsamen Diskussion an einem Punkt angelangt, bei der wir alle, die wir einen Handlungsbedarf gesehen haben, einen Handlungsbedarf nämlich in Richtung der Flexibilisierung und der Wirtschaftlichkeit dieser Betriebe, einen Weg gefunden haben, den wir, denke ich, gemeinsam gehen können. Zur Wirtschaftlichkeit nur soviel: Seid sicher, die Menschen, die in diesen Betrieben arbeiten, würden gern ihren ganzen Elan einbringen, um das zu tun, wofür sie da sind, nämlich Daseinsvorsorge für die Bürger zu treffen, wären da nicht immer Verwaltung und unsinnige politische Beschlüsse, die sie hindern. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.

(Beifall)

Der Antrag enthält wesentliche Grundsätze, die eingehalten werden müssen, wenn wir gemeinsam in eine Richtung gehen wollen. Erstens: Wir wollen erreichen ‑ und das, denke ich, haben auch die betroffenen Kollegen immer gesagt ‑ mehr unternehmerische Flexibilität und mehr wirtschaftliches Handeln aber dabei berücksichtigen, dass diese Betriebe der politischen Steuerung, der politischen Richtungsvorgabe unterliegen sollen. Mit der Anstaltslösung können wir das erreichen.

Das zweite war: Wer glaubt, dass allein mit einer Rechtsformumwandlung in Richtung der Privatisierung die Wirtschaftlichkeit und Flexibilität und damit die Wettbewerbsfähigkeit schon gegeben sei, der irrt. In westdeutschen Kommunen ist die Rechtsform der Aktiengesellschaft oder der GmbH längst kritisch diskutiert worden, kritisch diskutiert worden in eine andere Richtung, als wir es hier noch tun.

Für den Bürger ist entscheidend, dass die Leistung dieser Betriebe mit einer Änderung ihrer Rechtsform in Richtung Anstalt erhalten bleibt, ohne dass sie deshalb teurer wird. Auch das kann gewährleistet werden, während es bei der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft oder GmbH eben zu Preiserhöhungen schon allein wegen der steuerlichen Mehrbelastung gekommen wäre. Die Arbeitnehmerrechte, die gewahrt werden müssen, sind in diesem Antrag ausreichend berücksichtigt. Ich denke, deshalb wäre es richtig, diesen Antrag anzunehmen, selbst wenn wir als ÖTV, als Vertreter der Beschäftigten dort, eine Modernisierung des Eigenbetriebsgesetzes als solches nach wie vor für den richtigen Weg halten.

Genossen und Genossen, lasst mich noch etwas sagen: Es hat zwischen der ÖTV und der SPD in der Vergangenheit sehr ernstzunehmende Konflikte gegeben. Die sind entstanden ‑ das ist meine Wahrnehmung und die Wahrnehmung vieler, die ich zu vertreten habe ‑, weil es im entscheidenden Moment nicht gelungen ist, einen Kompromiss zu finden, an den sich dann beide Seiten auch halten. Jetzt sage ich etwas, was jene überraschen wird, die die Auseinandersetzungen, die in zwei Jahren in zahllosen Personalversammlungen, ÖTV‑Versammlungen, SPD‑Versammlungen zwischen mir und Ditmar Staffelt abgelaufen sind, wahrgenommen haben: Ich sage hier: Ditmar Staffelt hat gesagt, er macht nichts gegen die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften. Er hat Wort gehalten und einen Konflikt vermieden, der zwischen der Partei und der ÖTV einen noch größeren Riss gebracht hätte als das, was wir im Kita‑Konflikt erlebt haben. Dafür herzlichen Dank. Ich denke, das muss man hier auch sagen.

(Beifall)

Die letzte Bemerkung: Mit der Rechtsformumwandlung in eine Anstalt wird einhergehen ein weiterer Diskussionsprozess zwischen den Betroffenen auf der einen Seite und den politisch Verantwortlichen auf der anderen Seite. Ich erwarte, dass die SPD‑Fraktion hier den Mittler zwischen jenen spielt, die unverbesserlich an einer privatrechtlichen Rechtsform festhalten und denen, die die Interessen der Beschäftigten und der wohlverstandenen Interessen der Bürger vertreten. Dafür erhoffe ich mir eine solidarische Unterstützung. ‑ Schönen Dank.

(Beifall)

Präs. Michael   E l z e   : Schönen Dank. Ich glaube, das war auch in eurem Sinn, dass wir die Redezeit beim Genossen Lange nicht so ernstgenommen haben mit den drei Minuten.

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen zum Komplex Eigenbetriebe vor, so dass ‑ bezogen auf die Antragslage ‑ jetzt Kurt wieder an der Reihe ist. Doch noch eine Wortmeldung ‑ Genosse Niko Sander hat das Wort.

Niko   S a n d e r   (Zehlendorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Aus Zehlendorf liegt euch ein Antrag vor mit dem Ziel, in Berlin so etwas zu gründen, wie das in vielen westdeutschen, sozialdemokratischen Kommunen auch existiert: eine sogenannte Stadtwerke AG. Wir möchten damit gern erneut eine Diskussion anfangen, warum eigentlich die lukrativen Teile der öffentlichen Grundversorgung, wie Strom‑ und Gasversorgung, diejenigen Teile, die Profit einbringen, warum sich diese zum groben Teil in Privathand befinden und warum die defizitären Teile der öffentlichen Grundversorgung sich in der öffentlichen Hand befinden.

Unsere Überlegung ist die, dass wir sagen: Eine Stadtwerke AG, die zu 100 % im Eigentum des Landes Berlin sein soll, wäre in der Lage, die Gewinne, die z. B. bei Bewag und GASAG erwirtschaftet werden, etwa in die BVG reinzustecken, damit ein innerbetrieblicher Ausgleich erfolgen kann und die Defizite und Staatsausgaben für die andere öffentliche Grundversorgung reduziert werden können. Da das in vielen westdeutschen, sozialdemokratischen Kommunen so ist, frage ich mich: Warum ist das in Berlin eigentlich nicht so?

Präs. Michael   E l z e   : Nun liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Bitte, Kurt!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Es ist unschwer erkennbar, dass der Antrag 2 und der Antrag 7 (Zehlendorf), den Niko Sander eben erläutert hat, alternativ sind. Wir können nur entweder eine Anstalt des öffentlichen Rechts bilden in diesem Bereich oder eine Aktiengesellschaft Stadtwerke. Die Antragskommission hat dies erörtert und hat sich mit großer Mehrheit für die erste Lösung entschieden. Ich will nur ein Stichwort nennen: Das Köln‑Buch von Scheuch und die Bewag‑Aktien, die notwendigerweise beizuziehen sind, wie man das denn machen will.

Auf dieser Grundlage lautet unsere Empfehlung: Annahme des Antrags 2/I/93 in der Fassung der Antragskommission.

Präs. Michael   E l z e   : Die Antragskommission empfiehlt, den Antrag 2/I/93 anzunehmen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Wer ist dagegen? ‑ Gegen eine Gegenstimme somit angenommen. Ich glaube, damit ist der Antrag 7/I/93 auch erledigt; denn es ist ein Alternativantrag. Oder müssen wir darüber noch abstimmen?

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Erst einmal müssen wir feststellen, dass die Anträge, die dort im einzelnen aufgeführt sind, erledigt sind. Die Antragskommission war der Auffassung, dass dies gesondert abgestimmt werden sollte. Man kann es anders sehen; aber wir haben uns mehrheitlich verständigt, das gesondert abstimmen zu lassen und Ablehnung zu empfehlen.

Präs. Michael   E l z e   : Also zuerst: Stimmt der Parteitag dem zu, dass alle anderen Anträge mit Ausnahme des Antrags 7/I/93 erledigt sind? Das ist der Fall.

Dann können wir zum Antrag 7/I/93 (Zehlendorf) kommen. Wer für die Antragskommission stimmt, dass dieser Antrag abgelehnt wird, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Danke! Gegenprobe! ‑ Gegen einige Stimmen ist der Antrag abgelehnt.

Dann kommen wir zum nächsten Komplex: Asyl, Flüchtlinge, Menschenrechte, Zuwanderung. ‑ Das Wort hat Kurt Neumann.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Ich möchte einen kurzen Gesamtbericht geben. Zunächst einmal: Wir haben keine Konsensliste, weil es sich hier nicht ergab. Wir hatten keinen Konsens in der Antragskommission, was den Antrag 56 und vergleichbare Anträge angeht. Hier ist es so, dass die Mehrheit der Mitglieder der Antragskommission die Kritik an dem Asylkompromiss oder an dem, was Asylkompromiss genannt wird, herausgestrichen hat und den Antrag im Übrigen hinsichtlich der Maßnahmen, die jetzt zu gehen sind, angenommen hat. Es liegt euch ein Änderungsantrag auf grünem Papier vor. Dieser Antrag hat sinngemäß und auch in den wesentlichen Formulierungen bereits in der Antragskommissionssitzung vorgelegen. Er wurde mit Mehrheit abgelehnt. Er ist hier erneut gestellt worden; die Empfehlung der Antragskommission ist aber Ablehnung.

Bei der Befassung mit dem Antrag 56 ‑ in welcher Fassung auch immer ‑ erledigen sich die aufgeführten Anträge. Ich will etwas sagen zu den Anträgen, wo wir Nichtbefassung vorgeschlagen haben: Dies sind Anträge, die empfehlen, sich dem Dortmunder Appell anzuschließen oder jedenfalls den Rücktritt von Björn Engholm und Hans‑Ulrich Klose zu fordern. Die Mitglieder der Antragskommission waren mit großer Mehrheit der Auffassung, dass wir uns damit nicht befassen sollten, weil wir uns erstens, von Ausnahmen abgesehen, nicht den Voten anderer anschließen, sondern selbst etwas formulieren sollten und zweitens, dass die sachliche Kritik hier notwendig und geboten sein kann, wenn es denn der Parteitag so sieht, dass es aber wenig hilfreich ist, eine Personaldebatte auf dem Berliner Landesparteitag vom Zaun zu brechen. Und um allen ein Votum ‑ dafür oder dagegen ‑ zu ersparen, schlagen wir Nichtbefassung vor.

Beim dritten Komplex handelt es sich um eine Vielzahl von Einzelanträgen, die sich mit der Stellung von Flüchtlingen und deren Verbesserung beschäftigen, auch insbesondere zu Jugoslawien, während der Antrag 99/I/93 die Kritik am Verhalten eines Teils der Bundesparteitagsdelegierten oder an allen Bundesparteitagsdelegierten auf dem Sonderparteitag behandelt ‑ also alles Einzelanträge, die einzeln abgestimmt werden sollen und die gegebenenfalls auch diskussionswürdig sind.

Präs. Michael   E l z e   : Es liegen jetzt drei Wortmeldungen vor. Ich schlage vor, dass wir uns hinsichtlich der Wortmeldungen zuerst mit dem Antrag 56 befassen; hier hat der Genosse Niedermeyer um das Wort gebeten.

Karl‑Heinz   N i e d e r m e y e r   (Schöneberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich möchte zum Antrag 56/I/93 (Schöneberg) Stellung nehmen, gleichzeitig aber auch zu den Empfehlungen der Antragskommission und zu dem Ergänzungsantrag, den Kurt Neumann hier vorgelegt hat.

Zunächst freue ich mich, dass die Antragskommission diese vier konkreten Vorschläge, die auf meinen Antrag zurückgehen, hier angenommen und empfohlen hat, weil ich das von der Seite nicht so gewohnt bin; denn in der Antragskommission hat zur Zeit eine Gruppierung die Mehrheit, bei der bisherige Anträge von meiner Seite zu diesem Thema keine Chance hatten.

Sie haben allerdings den wichtigsten Satz weggelassen, nämlich den ersten, der sich mit der Aufforderung an die Bundestagsfraktion beschäftigt, den sogenannten Asylkompromiss abzulehnen.

Zu den vier konkreten Forderungen möchte ich nur sagen, dass ich sie deshalb für wichtig halte, weil sie keine bloßen moralischen Appelle sind, sondern sehr konkrete Vorschläge unterbreiten, an denen wir dann auch gemessen werden können. Insofern sehe ich das Votum der Antragskommission sehr positiv. Ich finde aber, dass die Kritik, die hier unterschlagen werden soll, genauso wichtig ist, und zwar nicht einfach deshalb, weil ich daran interessiert bin, weiter Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Ich bin wirklich daran interessiert, dass die Bundestagsfraktion diesen Asylkompromiss ablehnt, ohne in ihrer bisherigen Haltung total unglaubwürdig zu werden. Dass sie bisher aus meiner und der Sicht vieler Genossinnen und Genossen versagt hat, kann ich, glaube ich, annehmen.

Aber sie hat sich ein Hintertürchen offengelassen: Es müssen erst Verträge vorliegen mit den Nachbarstaaten, die eine Asylgewährung und eine entsprechende Behandlung für Flüchtlinge ermöglichen. Das ist derzeit nach der Situation in Polen und in der tschechischen Republik nicht zu erwarten. Das, was die Bundesregierung bisher ausgehandelt hat, läbt nicht erwarten, dass die Anforderungen, die der Parteitag, aber auch der Asylkompromiss selbst gestellt hat, erfüllt werden. Insofern ist das eine echte Forderung, keine rhetorische. Ich bitte euch daher ‑ auch diejenigen, die die Kritik an der Haltung der Bundestagsfraktion nicht mittragen wollen ‑, diesen ersten Satz mit abzustimmen.

Im Übrigen übernehme ich für Schöneberg den Ergänzungsantrag von Kurt Neumann.

(Vereinzelter Beifall)

Ich möchte wenigstens auf die Punkte hinweisen; die Kritik ist bei Kurt ausführlich begründet, ich muss sie nicht wiederholen. Was mich besonders empört, ist diese Kennzeichnung von Polen und der Tschechischen Republik als Drittstaaten, die angeblich für die Einhaltung der Genfer Konvention sorgen können. Das ist völlig unrealistisch. Man muss sagen, dass jetzt die Rechtsprechung gezwungen wird, praktisch auf lügenhaften, unwahren Tatsachen aufzubauen. Dass nämlich

(Präs. Ingrid Stahmer: Genosse Niedermeyer! Ich bitte, endgültig zum Ende zu kommen!)

das Asylrecht weiterhin im Kern garantiert wird, ist nicht der Fall, im Gegenteil ‑ den Punkt möchte ich vielleicht noch ausführen, dann möchte ich Schluss machen ‑, nicht einmal Deutschland selbst erfüllt diese Anforderungen an einen Drittstaat. Kein Nachbarstaat kann sich im Augenblick eigentlich noch erlauben, Flüchtlinge an die Bundesrepublik auszuliefern, weil nicht die Gewähr gegeben ist, dass sie nicht in einen Verfolgerstaat abgeschoben werden. Dass das bei Polen und bei der Tschechischen Republik und in anderen Nachbarstaaten nicht der Fall ist, ist völlig klar.

Ich finde es auch ganz schlimm, dass wir mit diesem sogenannten Asylkompromiss auch zur Verschärfung nationaler Gegensätze in Ost‑ und Südosteuropa beitragen.

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Lieber Genosse Niedermeyer! Du hast jetzt schon für ganz viele mitgeredet. Wir haben eine Drei‑Minuten‑Begrenzung für die Redebeiträge, und wir sind jetzt schon sehr grobherzig verfahren, aber nun ist das mit dem groben Herzen vorbei.

(Vereinzelter Beifall)

Karl‑Heinz   N i e d e r m e y e r   (Schöneberg): Ich bitte, den Antrag in der Form von Kurt Neumann anzunehmen.

Präs. Michael   E l z e   : Nunmehr spricht die Genossin Monika Buttgereit.

Monika   B u t t g e r e i t   (Schöneberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich kann in dieser Frage die Antragskommission leider nicht loben, weil es mir völlig unverständlich ist, dass wir hier heute einen Antrag zum Thema Asyl beschließen wollen, der nicht eine deutliche Kritik am Verhalten der Bundestagsfraktion enthält. Ich denke, das ist ein Minimum dessen,

(Beifall)

was wir uns und unserem Parteitagsbeschluss vom 30. Oktober 1992 schuldig sind.

(Beifall)

Nun ist in den letzten Monaten auch viel über innerparteiliche Demokratie diskutiert worden. Ich denke, das, was uns in den letzten Monaten in Bonn von unserer eigenen Partei vorgeführt worden ist, das ist etwas, was mit innerparteilicher Demokratie nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.

(Beifall)

Das fing an mit dem Zustandekommen der Petersberger Beschlüsse, wurde fortgesetzt mit dem außerordentlichen Bundesparteitag, der nur auf Druck der Basis zustande gekommen ist, der abschloss mit einem Kompromiss, mit dem wir, denke ich, gerade noch so leben können. Und bereits kurz nach diesem Bundesparteitag stellte sich dann der Bundestagsfraktionsvorsitzende Klose hin und distanzierte sich von dem Bundesparteitagsbeschluss. Das war die Ausgangssituation für die Verhandlungen, die dann von der SPD‑Fraktion mit der CDU geführt worden sind. Und genau diese Haltung, die Klose bereits kurz nach dem Bundesparteitag deutlich gemacht hat, schlägt sich auch in dem Ergebnis der Verhandlungen nieder. Ich denke, wir müssen heute hier ganz deutlich machen, dass wir mit diesem inhaltlichen Ergebnis als Berliner Sozialdemokratie nicht leben können!

(Beifall)

Deshalb finde ich es richtig, dass wir die inhaltlichen Punkte, die nachgebessert werden müssen, aufgeführt haben und aufführen ‑ das ist hier, glaube ich, auch unstrittig ‑, aber ich denke, wir können es uns als Partei auch nicht länger gefallen lassen, dass so mit uns umgegangen wird. Und deshalb gehört eine deutliche Kritik an der Bundestagsfraktion an dieser Stelle unbedingt mit in den Antrag. ‑ Danke schön.

(Beifall)

Präs. Michael   E l z e   : Nunmehr hat Andreas Wehr das Wort.

Andreas   W e h r   (Reinickendorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich möchte euch bitten, dieses Votum der Antragskommission abzulehnen. Ich habe selten erlebt, dass ein Antrag ‑ und das ist der Antrag Schöneberg ‑ in so eindeutiger und klarer Form formuliert wurde und die Antragskommission an den Anfang einen Satz gesetzt hat, der diesen Antrag total verfälscht. Dies muss hier korrigiert werden,

(Beifall)

damit auch tatsächlich eine Übereinstimmung besteht zwischen dem, was der Parteitag im Herbst gesagt hat, und dem, was wir heute sagen.

Das, was der Bundesparteitag beschlossen hat ‑ und ich habe dem zugestimmt ‑, hat mit dem, was jetzt verhandelt wird beziehungsweise was die Bundestagsfraktion als Kompromiss eingebracht hat, nichts, aber auch gar nichts zu tun. Dies muss der Berliner Landesparteitag deutlich machen!

(Beifall)

Wir haben zum einen die Abwälzung der Lasten auf Polen und die Tschechische Republik. Das war übrigens der entscheidende Grund, warum Günter Grass aus dieser Partei ausgetreten ist, als einer derjenigen, der immer für den Zusammenhalt und für die Zusammenarbeit mit diesem Land eingetreten ist. Wir haben kein Einwanderungsgesetz, nicht einmal als Prüfauftrag bzw. als Aufforderung ist das vorgesehen.

Wir haben auch keine Aussage zur doppelten Staatsangehörigkeit. Wir laufen jetzt rum und sammeln Unterschriften. Dies hätte in diesen Kompromiss hineingehört, Genossinnen und Genossen. Deshalb haben die Berliner Genossen wenigstens zum Teil diesem zugestimmt.

 

Wir haben eine grobe Debatte noch in den nächsten Monaten vor uns: über die Frage der innerparteilichen Demokratie. Ich muss sagen, ich habe in den Jahren, seit ich SPD‑Mitglied bin, selten erlebt, wie wenig Rücksicht genommen wurde auf das, was Meinungsbildung, Votenbildung innerhalb der Partei war. Wir haben in vielen Ortsvereinen, wir haben in der überwiegenden Zahl von Unterbezirken, Kreisverbänden, fast in allen Landesverbänden Beschlüsse gefasst. Wir haben einen außerordentlichen Parteitag gehabt, und wir mussten feststellen, dass die Bundestagsfraktion sich darum nicht gekümmert hat. Dies muss korrigiert werden, und dies wird eine der wichtigsten Aufgaben in der innerparteilichen Demokratie sein, wieder zu geordneten Verhältnissen zurückzukommen.

 

Ich möchte euch auffordern, dem Antrag auf grünem Papier hier zuzustimmen ‑ auch deshalb, weil der Kampf um die Beibehaltung des Asylrechts noch lange nicht beendet ist. Wir haben noch die Abstimmung im Bundestag, und wir haben auch eine Abstimmung im Berliner Abgeordnetenhaus. Und ich möchte die Abgeordneten auffordern, diesem sogenannten Kompromiss nicht die Zustimmung zu geben. ‑ Vielen Dank.

(Beifall)

 

Präs. Michael   E l z e   : Das Wort hat Andreas Knuth, Neukölln.

Andreas   K n u t h   (Neukölln): Genossinnen und Genossen! Ich plädiere dafür, die Fassung der Antragskommission, das heißt also, den Antrag, Unterstreichung der Empfehlung an die Bundestagsabgeordneten, anzunehmen.

Mein Argument dafür ist, dass wir in einer Situation, wo im Bundestag um die Umsetzung dieses Asylkompromisses gerungen wird, wo das Gesetz, das das neue Verfahren regeln soll und die Einzelheiten der Asylanerkennungsbestimmungen, gerade man in I. Lesung im Bundestag eingebracht ist, wo die Ausschubberatung stattfindet, gerade erst eine Anhörung gewesen ist, es von uns vermessen wäre, unsere Abgeordneten, die am Ende sowieso nach ihrem Gewissen und jeder für sich ihre Entscheidung treffen wollen, heute schon zu präjudizieren.

Ich finde auch, dass es ganz entscheidend darauf ankommt, was mit Polen und der Tschechischen Republik vereinbart wird ‑ etwas, was wir im Moment noch nicht definitiv wissen. Natürlich kann eine Zustimmung zu diesem Asylkompromiss nur erfolgen, wenn die Umsetzung der Flüchtlingskonvention in diesen beiden Staaten nicht nur auf dem Papier, sondern durch Verfahrensregelungen, die rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechen, und durch entsprechende materielle Absicherung, zu denen die Bundesrepublik Beitrag leisten will, gewährleitet sind. Aber ich meine, wir sollten die Chance, die jetzt gegeben ist, eine europäische Lösung im Asylbereich zu finden, nicht vertun. Ich will einfach einmal darauf hinweisen, dass es in der Bundesrepublik Deutschland ‑ und wir hören das ja von den bezirklichen Politikern, schlimmer noch, vielfach von den Landräten in Brandenburg und sonst in den Flächenstaaten ‑ erhebliche Probleme mit der Unterbringung der Asylsuchenden gibt. Allein Deutschland hat im vorigen Jahr eine Zahl von 440 000 Asylsuchenden aufgenommen, und in diesem Jahr sind in den ersten Monaten auch jeweils 38 000 Asylsuchende hierher gekommen. Das heißt: Es ist dringend erforderlich, hier einen europäischen Ausgleich zu finden. Und ich finde, so lange die Verhandlungen mit unseren Nachbarn in Polen und der Tschechischen Republik noch nicht abgeschlossen sind und ein solcher Ausgleich deshalb nicht als gescheitert anzusehen ist ‑ insofern kann ich mich meinen Vorrednern nicht anschließen ‑, müssen wir der Bundestagsfraktion den Weg offen lassen, dem Asylkompromiss zuzustimmen, sofern mit den Nachbarstaaten geeignete Verfahrensregelungen getroffen werden.

 

Ich will zu Einzelheiten des Gesetzentwurfs, über den sich vieles sagen liebe, jetzt nichts sagen. Ich finde aber, dass wir grundsätzlich diesen Weg nicht verbauen sollten. Im Übrigen: Die Punkte, die bei dem Parteienkompromiss keine Berücksichtigung gefunden haben ‑ das sind all die Punkte, die in dem Antrag enthalten und zur Annahme empfohlen sind ‑, sind in unserer politischen Arbeit und Aktivität in den Vordergrund zu stellen und auch weiterhin zu beschließen. Deshalb hat die Antragskommission eine sehr differenzierte Formulierung gefunden.

 

Letzte Bemerkung: Ich finde auch, dass wir diese Frage nur an dem Bundesparteitagsbeschluss messen können. Denn es gelten ja wohl nicht die Landesparteitagsbeschlüsse, sondern maßgeblich ist sicherlich der Bundesparteitagsbeschluss bei dieser Frage in der Intention, nämlich eine europäische Lösung, einen europäischen Ausgleich zu finden, der sich in dem gefundenen Asylkompromiss wiederfindet. Und ‑ wie immer in einem Kompromiss zwischen verschiedenen Parteien ‑ natürlich nicht so, wie wir es uns als optimale sozialdemokratische Linie vorgestellt hätten.

Deshalb mein Appell an euch, der Formulierung der Antragskommission zuzustimmen.

(Beifall ‑ Zuruf: Bravo!)

Präs. Michael   E l z e   : Es folgt der Landesvorsitzende der Jungsozialisten aus Marzahn, der Genosse Martin Krug.

(Beifall)

Martin   K r u g   (Juso AG): Liebe Genossinnen und Genossen! Vielen Dank für die Lorbeeren im Voraus, für euren Applaus. ‑ Eine Woche ist es nun her: Wir hatten die Hessenwahlen; die SPD hatte Einbußen von 10 % erlebt. Nicht zuletzt lag das wohl auch an dem Hickhack um diese Scheib‑Asyldiskussion, die die ganze Zeit in dieser Partei läuft.

Die SPD hat damit bewiesen: Die Asyländerung bringt nicht unbedingt die Fähigkeit, uns als regierungsfähig darzustellen, sondern die Asyldiskussion zeigt uns: Wir entscheiden über Schicksale, über Individuen, einfach über Menschenleben und vergessen dabei auch die sozialen Probleme der Leute in Rheinhausen und vergessen dabei die sozialen Probleme der Leute im Osten dieser Republik. Ich denke, deshalb sollten wir diese Diskussion endlich verlassen und uns wieder den wirklich anstehenden Themen zuwenden.

Weshalb wir Jusos die Grundgesetzänderung ablehnen ‑ ich denke, das wurde hinreichend diskutiert. Gerade der Einschub im Antrag, keine Änderung, keine Einfügung eines Artikels 16 a in die Verfassung, ist schon zu unterstützen. Denn was steht in unserer Verfassung? Darin steht: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht ‑ und nichts anderes wollen wir auch. Ich denke, wir führen da ein Stück weit eine sehr unehrliche Diskussion. Denn jeder, der eine Ergänzung dieses Artikels will, will faktisch dieses Asylrecht abschaffen.

(Beifall)

Auf nichts anderes läuft auch dieser Beschluss der SPD‑Bundestagsfraktion hinaus. Ich frage mich: Wo stehen wir als Sozialdemokraten? Wie werden wir unserem Namen überhaupt noch gerecht? ‑ Sozial heißt für mich immer irgendwo die Ableitung eines fernen Ziels, was wir doch noch im Berliner Programm zu stehen haben, auch wenn es keiner mehr hören soll, des demokratischen Sozialismus. Und das heißt für mich, dass wir Solidarität nicht nur mit den Leuten im eigenen Land bekunden, sondern auch mit Leuten, denen es dreckig geht in anderen Ländern. Deshalb, denke ich, sollten wir uns schon auf dieses „S“ in der SPD etwas mehr zurückbesinnen.

Um zum zweiten Punkt zu kommen: Die Demokratie innerhalb der Partei lässt doch sehr zu wünschen übrig. Die Bundestagsfraktion entscheidet über Parteitagsbeschlüsse hinaus. Ich weiß nicht, ob das so der richtige Weg ist. Wir reden viel von Politikverdrossenheit, Parteienverdrossenheit. Wir fördern sie in unseren eigenen Kreisen. Deshalb geht auch unsere Aufforderung an die Senatsmitglieder dieser Partei und auch an die Abgeordnetenhausfraktion, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass Berlin diesem Asylkompromiss nicht zustimmen wird, eine klare Konfrontationslinie zur CDU zu fahren und im Notfall auch mal wieder die Koalitionsfrage zu stellen; denn irgendwo scheint es auch in Berlin so zu sein, dass sich die Berliner SPD gegenüber der CDU kaum noch profilieren kann. ‑ Danke.

(Beifall)

 

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Das Wort hat Bettina Michalski.

Bettina   M i c h a l s k i   (Kreuzberg): Genossinnen und Genossen! Ich bin erstaunt, wie schnell dieser Parteitag bereit ist, das Kämpfen aufzugeben. Der Vorredner hat dazu einiges schon gesagt, wie schnell man sagt: Nun gut, der Parteitag hat dazu diskutiert; die Fraktion ist offenbar nicht gewillt, sich daran zu halten, aber gut, jetzt haben wir darüber diskutiert, und noch einmal müssen wir uns dazu nicht äußern. Ich bin im Gegenteil der Meinung, wir sollten uns noch einmal in aller Deutlichkeit dazu äußern, wo wir meinen, wo das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Und ich meine, es ist in der Frage des Asyls schon lange erreicht.

Wir sollten der Fraktion ganz deutlich sagen, dass wir dieses Mitstricken an der Asyllüge nicht länger mitmachen, wenn zum Beispiel auch hier wieder nur gesagt wird, wieviel Hunderttausende im Jahr kommen und nicht ‑ nur um ein Beispiel zu nennen ‑ erwähnt wird, wieviel Hunderttausende dieses Land jährlich wieder verlassen. Zum Beispiel sind im Jahr 1989 800 000 gekommen ‑ das wird auch immer gesagt. Es wird nicht gesagt, dass im gleichen Jahr die Hälfte das Land verlassen haben. 1990 sind 600 000 in dieses Land gekommen, 550 000 haben das Land verlassen; das heißt, es bleiben noch 50 000 übrig. Und so kann man das weitermachen. ‑ Also, man sollte mit Zahlen ein bisschen seriöser umgehen, als es auch in dieser Debatte wieder gemacht wird; denn sonst machen wir uns dieser Asyllüge mitschuldig. Wir machen uns mitschuldig des menschenunwürdigen Behandelns von Menschen, nur weil sie nicht Deutsche sind. Genossinnen und Genossen, ich bin nicht bereit, das mitzumachen! Darum fordere ich euch auf: Stimmt dem Schöneberger Antrag und der vollständigen Fassung zu; lehnt die Empfehlung der Antragskommission ab, und zwar bitte deutlich!

(Beifall)

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Klaus Hirschfeld!

Klaus   H i r s c h f e l d   (Charlottenburg): Genossinnen und Genossen! Mich verwundert diese Diskussion ein bisschen, wenn ich mir das so anhöre. Es gibt da eine ganz eindeutige Beschlusslage des Landesparteitages ‑ Kurt Neumann hat darauf schon hingewiesen,

(Beifall)

nämlich vom 30. Oktober ‑ wenn ich mich recht erinnere.

Zweitens: Eines können wir ja wohl sagen: Das, was die Bundestagsfraktion bzw. diese Verhandlungskommission mit der CDU ausgehandelt hat, entspricht weder dem, was der Bundesparteitag beschlossen hat und schon überhaupt nicht dem, was der Berliner Landesparteitag beschlossen hat. Und da ist es doch eigentlich nur recht und billig, wenn wir unsere Abgeordneten, die eigentlich den Willen von uns allen in die Parlamente hineinbringen sollen, auffordern, das zu tun, wofür wir sie gewählt haben. Ich meine, dass es darauf ankommt, das zu beschließen, was auf diesem grünen Papier veröffentlicht ist. Ich bitte euch, dafür mit derselben Mehrheit zu stimmen, wie wir das auf dem Landesparteitag im vorigen Jahr gemacht haben. ‑ Schönen Dank.

(Beifall)

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Eckhard Barthel!

Eckhard   B a r t h e l   (Schöneberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich bin erst einmal dem Martin Krug dankbar, dass er als einziger hier ausgedrückt hat, dass er eigentlich für diesen Kompromiss ist, wohl wissend, dass es viele im Raum auch sind, aber sich alle hier nicht melden. Und das macht die Diskussion schwer;

(Beifall)

denn wir wollen uns auseinandersetzen und nicht nur irgendwelche Glaubensbekenntnisse abgeben. Ich sage auch: Ich hätte es gut gefunden, wenn Gert Wartenberg, der wesentlich an diesem Ding mitgestrickt hat, hierzu einmal Stellung genommen hätte ‑ nach den Beschlüssen, die hier und in Bonn gefallen sind!

(Beifall)

Das hätte ich gut gefunden, dass man sich damit auch einmal inhaltlich hätte auseinandersetzen können. Ich plädiere auch immer dafür, die Probleme in diesem Bereich auch zu benennen: Das sind die Zahlen. Das sind die Probleme der Kommunen. Und wer in den letzten Tagen gesehen oder gelesen hat, wie viele Menschen gerade in Mecklenburg‑Vorpommern angekommen und welche Probleme dort vorhanden sind, der sieht, dass das hier nicht nur etwas ist, was man im Überbau entscheiden kann, sondern dass man hier real die Probleme für die einzelnen Kommunen mit andiskutieren muss.

 

Das haben wir in der Tat auch das letzte Mal bereits getan, als wir zu dieser Frage hier eine breitere Diskussion hatten. Ich fand es auch richtig, dass zum Beispiel in der SPD‑Fraktion im Abgeordnetenhaus in dieser Frage ‑ obwohl wir natürlich nur nach unserem Gewissen abstimmen ‑ ganz bewusst gesagt wird: Hier gibt es keinen Zwang oder keinen Versuch, die Geschlossenheit der Fraktion zu finden, sondern hier geht es in der Tat um eine Gewissensfrage. Ich glaube, wenn es überhaupt Gewissensfragen in der Politik gibt, dann ist dieses eine ‑ sowohl auf der Seite der Probleme als auf der Seite der Konsequenzen.

 

Weshalb ich meine, warum wir diesen sogenannten Kompromiss nicht annehmen können, möchte ich an einem einzigen Punkt deutlich machen: Alle Parteien, natürlich auch wir, sagen immer wieder, sogenannte wirklich politisch Verfolgte sollen in diesem, unseren Land auch weiter Asyl bekommen. Das haben wir immer wieder gesagt. Und was jetzt an Kompromissherausgekommen ist, ist, dass danach überhaupt nicht mehr gefragt wird, ob jemand wirklich oder nicht verfolgt ist, sondern dass allein das Territorialprinzip kommt, ob die über Polen einreisen oder nicht. Und darin sehe ich einen so groben Bruch ‑ unabhängig von unseren Parteitagsbeschlüssen ‑ von unserem Wertebekenntnis, wirklich politisch Verfolgte sollen weiterhin Asylrecht bei uns bekommen. Dieses wird faktisch außer Kraft gesetzt. Wer dem zustimmt, der gibt meines Erachtens einen der Grundwerte nicht nur der Sozialdemokratie, sondern auch unserer Verfassung auf, und das muss er sich mit seinem Gewissen wirklich überlegen.

(Beifall)

Deshalb bitte ich, gerade aus diesem einzelnen Beispiel heraus, diese Frage sehr ernst zu nehmen und gegen diesen sogenannten Kompromiss zu stimmen. ‑ Ich danke euch.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Zur Entspannung will ich uns alle veranlassen, Steffen Reiche zu begrüßen, den Landesvorsitzenden der SPD‑Brandenburg, der zu uns gekommen ist.

(Beifall)

Herzlich willkommen, Steffen!

Dann geht es weiter im Text mit Konrad Elmer.

Konrad   E l m e r   (Hohenschönhausen): Liebe Genossinnen und Genossen! Ihr hattet das letzte Mal einen klaren Beschluss gefasst, und ich habe nicht nur wegen dieses Beschlusses, sondern weil es meine eigene, innere Überzeugung ist, in der Fraktion gegen diesen Asylkompromiss gestimmt.

(Beifall)

Mein Hauptgrund dafür ist bis heute nicht ausgeräumt. Deshalb bitte ich euch, den Druck auf die Verhandlungsführung nicht zu beenden, indem hier die grobe Wende eingeläutet wird ‑ es wird ja immer noch verhandelt. Mein Hauptproblem ist folgendes: Es müsste doch wenigstens jeder ehemalige DDR‑Bürger verstehen, wenn wir allein, ohne westliche Hilfe, unseren Rechtsstaat hier aufbauen müssten, wo wir da heute stünden und was passieren würde, wenn uns in dieser Aufbauphase dieses Problem von unserem westlichen Nachbarland rübergekippt würde ‑ und genau das wird mit Polen und mit der Tschechoslowakei passieren.

(Beifall)

Deshalb vermag ich erst über eine andere Haltung zu diesem Asylkompromiss nachzudenken, wenn es mit Polen und der Tschechoslowakei ausgehandelte, fertige Verträge gibt, in denen wir auch einen Teil dieser Last weiterhin übernehmen. Da das bis zu einer Abstimmung höchstwahrscheinlich nicht passieren wird, kann ich nur empfehlen, den Vertrag zu ändern und zu sagen: Asylbewerber können nur dann zurückgeschickt werden, wenn es mit dem entsprechenden Land einen entsprechenden Vertrag gibt. Dann könnten wir in Zukunft Asylbewerber aus Frankreich, Italien und der Schweiz zurückschicken ‑ dagegen hätte ich nichts, das ist zu verantworten, aber nicht in solchen Mengen unseren östlichen Nachbarn vor die Tür kippen, die das einfach nicht bewältigen können. Deshalb meine Bitte: Lasst den Druck auf der Verhandlungsposition, vielleicht lässt sich doch noch etwas verbessern, oder lasst wenigstens unseren Antrag auf doppelte Staatsbürgerschaft, den wir jetzt eingebracht haben, dass dort die Konservativen doch noch zustimmen müssen. ‑ Vielen Dank.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Hermann Borghorst!

 

Hermann   B o r g h o r s t   (Neukölln): Liebe Genossinnen und Genossen! Wir wissen, dass dieses ein sehr schwieriges Thema ist und dass dies natürlich für uns alle sicherlich eine schwierige moralische Frage auch ist. Nur, wie hier miteinander umgegangen wird ‑ jedenfalls von Teilen dieser Partei ‑, wenn hier ein Flugblatt verteilt wird, dann muss ich sagen, ist das nicht der richtige Stil! Hier steht: „Die Demokratie stirbt, Mord für Mord, Grundgesetzänderung für Grundgesetzänderung, Schweigen für Schweigen“. Dies ist nicht der Stil, der für Sozialdemokraten angemessen ist.

(Beifall)

Dies ist nicht der Stil, den wir hier unter uns üben sollten.

 

Ich will mit aller Klarheit deutlich machen, weil das an einigen Stellen durchleuchtete, weil es so aussah, als wenn wir nicht in der Antragskommission fair miteinander diskutiert hätten, als wenn dort Manipulationen stattgefunden hätten: Wir haben eine faire, offene, direkte Diskussion geführt, und diejenigen, die in der Antragskommission in der Minderheit waren, sollten dies dann auch so akzeptieren, finde ich.

 

Ich bin der Auffassung, dass die Bundestagsfraktion in eine schwierige Verhandlung geht, sicherlich mit einem Kompromiss, wo das eine oder andere noch verbessert werden kann. Ich habe das auch so verstanden, dass die Verhandlungen mit Polen und mit der CSSR hier zu einem Ergebnis kommen müssen, bevor die SPD‑Bundestagsfraktion einer Änderung des Grundgesetzes in der vorliegenden Fassung überhaupt zustimmt, dass es da auch noch manche Positionen gibt, die auch im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses verhandlungsfähig sind.

 

Ich sage: Wir haben eindeutige Beschlüsse der Landespartei, und wir haben eindeutige Beschlüsse der Bundespartei, und ich bin nicht der Auffassung, dass man die ständig wiederholen muss und damit zum Teil die Möglichkeiten, die die Bundestagsfraktion im Bundestag hat, konterkarieren sollte. Ich plädiere deshalb mit Vehemenz dafür, dass wir die Empfehlung der Antragskommission hier heute so verabschieden; denn da sind auch noch einmal klare Punkte gesetzt worden für die deutliche Aufstockung der Stellen im Bundesamt zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ‑ ein altes Problem, wo die Bundesregierung deutlich versagt hat ‑, wo wir in der Öffentlichkeit klare Bekenntnisse ablegen und die Forderung für eine doppelte Staatsbürgerschaft noch einmal deutlich machen sollten, für die Anerkennung des Status der Kriegs‑ und Bürgerkriegsflüchtlinge und die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Ex‑Jugoslawien. Hier sind noch einmal deutliche Positionen von der Mehrheit, ich glaube sogar einstimmig von der Antragskommission festgelegt worden. Deshalb bitte ich euch sehr herzlich, dieser Beschlussfassung der Antragskommission zuzustimmen.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Ingeborg Junge‑Reyer!

 

Ingeborg   J u n g e ‑ R e y e r   (Kreuzberg): Genossinnen und Genossen! Wir haben die Diskussion zum Inhalt fachlich und politisch hier geführt, wir sollten sie heute nicht hier wiederholen. Aber die Diskussion um den Asylkompromiss ist für mich auch ein Beispiel für die innerparteiliche Willensbildung und dafür, wie wir mit ihr umgehen bzw. was, wenn sie stattgefunden hat, damit gemacht wird. Ich hatte auf dem Bundesparteitag durchaus wenigstens Verständnis für die Genossinnen und Genossen, die darauf vertrauten, dass Parteiführung und Fraktion dem, was als Kompromiss ausgehandelt wurde, folgen würden und dass sie alles daransetzen würden, den Willen des Bundesparteitags, so, wie er gefunden wurde, umzusetzen. Sie sind in den darauffolgenden Wochen getäuscht worden.

(Beifall)

In einer solchen Situation muss man sich wehren. Deshalb habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, was der Genosse aus Neukölln vorhin sagte. Gerade wenn im Moment verhandelt wird, wenn im Bundestag diskutiert wird, dann muss unsere Position, die wir hier gefunden haben, wiederholt werden; sie muss noch einmal klargemacht werden, wenn sie offensichtlich nicht umgesetzt werden soll. Wir sind es uns aus Selbstachtung vor unseren eigenen Beschlüssen und wohl offensichtlich vor unserer politischen Meinung dann doch immer einmal schuldig, sie zu wiederholen, wenn es nicht ausreicht, sie einmal zu sagen. Ich bitte euch deshalb um Unterstützung dafür, was die Schöneberger hier tun, nämlich noch einmal klar Position zu beziehen.

(Beifall)

 

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Matthias Linnekugel!

Matthias   L i n n e k u g e l   (Wilmersdorf): Genossinnen und Genossen! Manche halten das, was sich gerade abspielt, für Nachhutgefechte. Das kann man auch verstehen; wir haben das ja alles schon einmal diskutiert. Ich glaube, wir erleben hier keine Nachhutgefechte, und zwar aus zweierlei Hinsicht ‑ ‑

(Zuruf einer weibl. Delegierten)

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Es tut mir leid! Wenn ich das Wort erteilt habe, kann ich den nicht mehr berücksichtigen. Ich entschuldige mich, dass ich dich nicht gesehen habe, aber danach bist du gleich dran.

Matthias   L i n n e k u g e l   (Wilmersdorf): Ich freue mich, dass ich dann doch noch zu Ende reden kann.

In zweierlei Hinsicht sehe ich hier keine Nachhutgefechte, und zwar einerseits in der Hinsicht, dass das Problem noch nicht gelöst ist, durch diesen Kompromiss nicht. Der sogenannte Kompromiss ist in Wahrheit eine Kapitulation durch das, was der Bundesparteitag beschlossen hat. Dieses Problem wird weiter auf uns zukommen. Wir werden auf Jahre hinaus Illegale haben, und ich möchte sehen, wie diese Partei reagiert, wenn die ersten vollgepackten Züge gen Osten düsen. So etwas haben wir schon einmal erlebt; ich möchte das nicht sehen.

Deshalb komme ich gleich zum zweiten Problem: Das Problem ist diese Partei! Das Problem ist insbesondere die innerparteiliche Willensbildung. Ich möchte euch deshalb bitten, dem Schöneberger Antrag in der ursprünglichen Form, und wie ihn Schöneberg auch vertritt, hier zuzustimmen, weil dieser Landesparteitag und auch der Bundesparteitag sich endlich wieder einmal eine Stimme verschaffen müssen. Es ist nämlich nicht so, wie Genosse Borghorst gesagt hat, dass wir Verhandlungspositionen der Bundestagsfraktion schwächen würden. Wo nicht verhandelt wird, gibt es auch nichts zu schwächen!

(Beifall)

Und so, wie diese Bundestagsfraktion nach Hause geschlichen ist, mit nichts, aber mit auch wirklich gar nichts in den Taschen, das ist schäbig! Wäre sie nach Hause gekommen und hätte gesagt: Ja, wir ändern Artikel 16; das und das haben wir hereingebracht. ‑ Ich hätte es schmerzhaft empfunden, ich hätte auch dagegen gekämpft. Aber ich hätte gesagt: Es ist ein Kompromiss, der gehört zum politischen Geschäft, und damit muss ich leben. Aber nach Hause zu kommen, sich verprügeln, ohrfeigen, bespucken zu lassen und dann zu sagen, wir haben ein tolles Verhandlungsergebnis, ist einfach doof!

(Vereinzelter Beifall)

Deshalb sollten wir dagegen Position beziehen und sollten sagen: Mit dieser SPD so nicht; wir geben unsere Grundwerte so leichtfertig nicht auf! Für einen Bundesvorsitzenden, der anscheinend nicht in der Lage ist, diese Partei zu führen, geben wir kein Menschenrecht und kein Grundrecht auf.

Wir sind auch nicht bereit dazu, wegen irgendwelcher brüllenden, Steine schmeissenden Horden das bisschen an Demokratie, das wir haben, aufzugeben. Und wir sind nicht bereit, über 125 Jahre alte sozialdemokratische Traditionen aufzugeben, weil ein paar Leute und Enkel gerade in dieser Partei an der Macht sind, die nicht wissen, welche Verantwortung sie tragen beziehungsweise nicht damit umgehen können.

(Vereinzelter Beifall)

Ich fordere euch deshalb auch noch dazu auf, am Trauermarsch der Berliner Jusos teilzunehmen. Ich denke, noch ist es nicht zu spät, noch gibt es etwas zu retten, aber ein bisschen Trauerarbeit müssen wir leider schon leisten. Kommt, bitte, alle am 25. zum Trauermarsch der Berliner Jusos für die Grundwerte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

(Beifall)

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Jetzt gab es einen Antrag zur Geschäftsordnung.

 

  1. N. : Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass wir noch neue Argumente hören werden. Ich denke, wir haben diese Debatte zum Asylkompromiss doch wirklich weit geführt, so dass wir deshalb die weitere Diskussion beenden können.

(Beifall)

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Wenn ich das richtig verstanden habe, dann war das ein Antrag auf Schluss der Debatte. Dazu müsste ich euch mitteilen, wer noch auf der Redeliste steht: Irmi Meier‑Nieraad, Gerd Wartenberg, Renate Rennebach, Willy‑Fred Boheim, Ditmar Staffelt, Georg Dübe und Martin Krug. ‑ Und nun ist die Frage: Spricht jemand gegen diesen Antrag auf Schluss der Debatte?

(Zuruf)

Es ist dagegen gesprochen worden! Wir kommen zur Abstimmung. Wer dafür ist, dass wir die Debatte hier abschließen, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke! Wer ist dagegen? ‑ Das ist die Minderheit. Damit ist die Debatte zu diesem Punkt hiermit geschlossen.

Über die Antragslage unterrichtet uns noch einmal Kurt Neumann.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir haben eine leichte Veränderung der Antragssituation insofern, als der antragstellende Kreis Schöneberg den Änderungsantrag auf grünem Papier übernommen hat. Dies ist also jetzt der Antrag Schöneberg. Die Antragskommission hat mit Mehrheit empfohlen, den Antrag in anderer Abfassung, den sie abgedruckt hat, hier zu beschließen. Es ist also abzustimmen, ob dem Votum der Antragskommission gefolgt wird oder nicht. Wenn das abgelehnt wird, wird über den ursprünglichen Schöneberger Antrag mit der Ergänzung abgestimmt.

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Dann bitte ich diejenigen, die dem Antrag in der Fassung der Antragskommission zustimmen, um das Kartenzeichen. ‑ Danke! Wer ist dagegen? ‑ Es gibt die mehrheitliche Feststellung zum Zählen.

(Kurt Neumann: Eindeutig! Eindeutig das zweite!)

Es tut mir leid, das Präsidium ist auch eine demokratische Einrichtung; es waren hier mehrere, die gesagt hatten, wir müssen nachzählen ‑ also tun wir das jetzt.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Vielleicht noch ein Hinweis, weil Unklarheiten sind: Der grüne Antrag ist von Schöneberg übernommen worden!

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Ich frage noch einmal: Wer stimmt dem Antrag 56/I/93 in der Fassung der Antragskommission zu?

Wer gegen den Antrag in der Fassung der Antragskommission ist, den bitten wir nun um das Kartenzeichen.

(Auszählung der Stimmen)

Für die Fassung der Antragskommission stimmten 91 Delegierte und dagegen 162.

(Starker Beifall)

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Für die Anträge 52, 53 und 54 hat die Antragskommission mit großer Mehrheit Nichtbefassung empfohlen. Ich bitte auch diejenigen, die hier in der Mehrheit geblieben sind, auch bei diesen Anträgen jetzt die Mitbefassung ‑ ‑ Nein, entschuldigt, ich bin zu schnell.

Wir kommen erst zur Abstimmung über den Antrag Schöneberg, mit der grünen Fassung zusammen.

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Wir hatten das immerhin im Auge, aber wir dachten, wenn du so schön im Galopp bist, dann kannst du das andere erst mal erledigen. Aber wir kommen eben tatsächlich zu dem Antrag 56/I/93 in der Fassung grün. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke! ‑ Wer dem nicht zustimmt, wer dagegen ist, den bitte ich jetzt um das Kartenzeichen. ‑ Das ist die Minderheit. Damit ist der Antrag in dieser Fassung angenommen.

(Beifall)

Und jetzt kann Kurt noch einmal mit der Nichtbefassung loslegen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Ich will mich nicht wiederholen. Lasst uns diese Anträge mit den Personalquerelen nicht befassen, stimmt hier der Empfehlung der Antragskommission zu.

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist das so beschlossen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Wir kommen nun zu verschiedenen Einzelanträgen, zunächst zum Antrag 45/I/93 (Reinickendorf) auf Seite 66. Hier empfiehlt die Antragskommission Annahme. Es geht um die Bleiberechtsregelung für jugoslawische Kriegsflüchtlinge.

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Wer diesem Vorschlag der Antragskommission zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. ‑ Danke! Wer ist dagegen? ‑ Wer enthält sich der Stimme? ‑ Das ist einstimmig angenommen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen zum Antrag i 16/II/92 auf Seite 31, einem Initiativantrag vom vorigen Parteitag. Die Antragskommission empfiehlt ebenfalls Annahme.

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Wer ist dagegen? ‑ Wer enthält sich? ‑ Eine Enthaltung! Damit ist der Antrag angenommen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Als nächstes Antrag i 35/II/92 auf Seite 35 ‑ hier geht es um Unterstützung für Kinder, Frauen, alte und kranke Menschen aus Bosnien‑Herzegowina. Die Antragskommission empfiehlt Annahme.

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Wer dieser Empfehlung zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke. Gegenstimmen? ‑ Enthaltungen? ‑ Einstimmig angenommen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 114/I/93 auf Seite 93 ‑ hier geht es um Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien, Vergewaltigungen, Asyl. Die Antragskommission empfiehlt Annahme.

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke. Gegenstimmen? ‑ Eine! Enthaltungen? ‑ Eine! Damit ist der Antrag angenommen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 116/I/93 auf Seite 94 ‑ hier geht es darum, dass sich der Landesparteitag der Erklärung der Internationalen Frauensolidarität Zagreb anschließen soll. Ich hatte vorhin gesagt, wir sollten uns normalerweise keinen Erklärungen anderer anschließen. Ich denke, hier ist eine Ausnahmesituation, hier sollten wir uns anschließen.

(Vereinzelter Beifall)

Die Antragskommission empfiehlt Annahme.

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Barbara Unger hatte dazu um das Wort gebeten.

Barbara   U n g e r   (Lichtenberg): Ich will euch nicht aufhalten, aber ich war selbst für die ASF Berlin dort in Zagreb. Wir haben dort die Forderung gestellt. Es gilt, sie durchzusetzen. Es geht uns um die Vergewaltigungen nicht nur von serbischer Seite an Frauen, sondern um die Vergewaltigungen an Frauen in Ex‑Jugoslawien, egal, welche Seite sie begeht. Ihr wibt, Forderungen stellen, sie durchsetzen, das ist eine Sache, aber die Opfer brauchen Hilfe, und diese Hilfe ist an finanzielle Mittel gebunden. Deshalb gebe ich jetzt einmal eine Büchse herum, sie kommt von der ASF Berlin, und ich bitte euch, hier etwas hineinzutun. Das Geld geht an den Südosteuropa‑Kultur e.V., das ist ein Verein, wo wir alle sicher sein können, dass das Geld in die richtigen Hände kommt und das bezahlt wird, was notwendig ist. ‑ Ich danke euch!

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Danke, Barbara! ‑ Wer nun dem Antrag 116, für den die Antragskommission Annahme empfiehlt, zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Die Gegenprobe! ‑ Enthaltungen? ‑ Einstimmig angenommen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Als nächstes Antrag 117/I/93, unten auf derselben Seite. Wir haben den verselbständigt ‑ ich denke, das kann man auch gut machen ‑ und empfehlen Annahme. Es geht darum, dass das Asylrecht eindeutig auf Verfolgung wegen des Geschlechts und wegen sexueller Orientierung ausgedehnt wird ‑ eine Forderung, die wir immer gestellt haben und die wir angesichts der aktuellen Situation noch einmal bekräftigen.

(Beifall)

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Die Antragskommission empfiehlt Annahme. Wer dafür ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Die Gegenprobe! ‑ Enthaltungen? ‑ Bei zwei Gegenstimmen angenommen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 120/I/93 fordert den Senat auf, Hilfe zu leisten im Hinblick auf die Verhältnisse im früheren Jugoslawien ‑ also ein Antrag aus derselben Richtung. Auch hier hat die Antragskommission Annahme empfohlen.

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Die Gegenprobe! ‑ Enthaltungen? ‑ Bei einer Gegenstimme angenommen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 37/I/93 auf Seite 61: Hier geht es darum, dass die Initiative „doppelte Staatsbürgerschaft“ in geeigneter Form unterstützt werden soll. Die Antragskommission empfiehlt Annahme.

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Wer dem zustimmen will, wie die Antragskommission es empfiehlt, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke. Die Gegenprobe! ‑ Zwei Gegenstimmen. Enthaltungen? ‑ Einige. Damit ist der Antrag angenommen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Der letzte Antrag, der in diesen Bereich fällt, ist Antrag 99/I/93 auf Seite 89; er ist aus gutem Grund unter „Organisation“ abgedruckt, aber er passt wegen des Verlaufs des Parteitags jetzt besser hierher: Kritik am Verhalten aller Bundesparteitagsdelegierter auf dem außerordentlichen Bundesparteitag in Bonn. Die Antragskommission hat hier Ablehnung empfohlen.

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Die Antragskommission empfiehlt Ablehnung. Wer das auch so sieht, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke. Wer dem Antrag lieber zustimmen möchte ‑ befindet sich in der Minderheit, wenn mich nicht alles täuscht.

(Zurufe: Auszählen!)

‑ Nein! Also dieses Mal gibt es eine eindeutige Meinung im Präsidium: Das zweite war die Minderheit; der Antrag ist abgelehnt.

(Vereinzelter Beifall)

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen zum Bereich Freiwillige Polizei‑Reserve, den wir wegen der besonderen Aufmerksamkeit, die dieses Thema gefunden hat, aus dem Bereich Inneres und Recht ausgegliedert haben. Wir schlagen euch vor, Antrag 36/I/93 auf Seite 60 in einer von der Antragskommission formulierten, veränderten Fassung hier zu beschließen. Ich denke, dass da Diskussionsbedarf ist.

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Wir haben keine Wortmeldungen und können den Antrag zur Abstimmung stellen. Wer für die Annahme des Antrags in der Fassung der Antragskommission ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke. Wer ist dagegen? ‑ Das sind wenige Stimmen. Wer enthält sich? ‑ Das sind zwei. Damit ist der Antrag in der Fassung der Antragskommission angenommen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Danach werden nach Vorschlag der Antragskommission die aufgeführten Anträge 42, 48 und 27 für erledigt erklärt.

Präs. Ingrid   S t a h m e r   : Ich höre keinen Widerspruch und erkläre damit, dass dem, was Kurt vorgeschlagen hat, zugestimmt ist.

Als nächstes kommt die Verwaltungsreform, und Kurt hat schon wieder das Wort.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir haben zwei Anträge auf die Konsensliste gesetzt: den Antrag 33/I/93 auf Seite 60 und den Antrag 40/II/92 auf Seite 38.

Lasst mich dazu etwas sagen: Wir haben Anträge von zwei verschiedenen Parteitagen, wobei es vom einen Parteitag ordentliche und Initiativanträge waren. Auch sonst ist die Zuordnung nicht immer einfach zu treffen, deshalb müssen wir ein bisschen hin‑ und herspringen, wenn wir das hier systematisch behandeln wollen. Aber wenn wir längere Antragsfristen haben, können wir das alles noch viel schöner aufbereiten, als dies auf dem blauen Zettel bereits geschehen ist. ‑ Also, Konsensliste: 33/I/93 auf Seite 60 und 40/II/92 auf Seite 38.

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir hören keinen Widerspruch. Wer dem Vorschlag der Antragskommission zustimmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Bei einer Gegenstimme so beschlossen. ‑ Kurt!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Zum Komplex Einzelberatung, Bereich Verwaltungsreform gibt es drei Anträge, zu denen teilweise Änderungsanträge vorliegen. Das ist nicht der Fall bei Antrag 38/I/93 (Kreuzberg) auf Seite 61. Dort gibt es, soweit ich das sehe, keinen Änderungsantrag, so dass dieser als erster behandelt werden könnte. Bei Antrag 41/I/93 gilt es, mehrere Veränderungen bekanntzugeben. Der Antrag 21/I/93 hat, glaube ich, eine Änderung. Aber vielleicht sollte man erst den gesamten Komplex diskutieren und dann in die Einzelberatung einsteigen.

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Zunächst gibt es eine Wortmeldung zu Antrag 38/I/93.

Christian   K i n d   (Lichtenberg): Genossinnen und Genossen! Ihr könnt aus den Papieren ersehen, dass die Anträge 38, 39, 40, 41 auf den Seiten 61 bis 65 zusammengehören. Das Problem, das ich habe, ist, dass ich nur in dem Antrag von Friedrichshain noch einmal explizit finde ‑ auf Seite 65, letzter Satz ‑ das politisch gewollte Bezirksamt. Nun ist allen klar, dass das schon oft diskutiert wurde; es ist auch 1983 beschlossen worden. Aber nur, weil die CDU in Berlin sich weiterhin weigert, in diesem Punkt gesprächsbereit zu sein, müssen wir doch nicht bereit sein, das extra nicht zu dieser Zeit, hier auf diesem Parteitag, nun wenigstens in einem Satz hervorzuheben.

Es ist doch klar, dass wir bei Wahlen nicht die Möglichkeit haben, den Bürgern zu erklären, wie es im Bezirksamt vor sich geht. Sie glauben, sie haben eine politische Wahl und haben dann von den Bezirksverordneten oder den späteren Bezirksamtsmitgliedern immer zu hören bekommen ‑ und werden das dann auch weiter zu hören bekommen ‑, dass der Senat da und dort davor und dass das Bezirksamt nicht politisch sei.

Ich glaube auch, dass es ganz wichtig ist, dass sich die Bürger weiter mit ihren Bezirken identifizieren. Ich glaube weiter, dass der föderative Gedanke, der in aller Welt ‑ wenn man auf Deutschland schaut ‑ als etwas Positives angesehen wird, auch im politischen Bezirksamt drinsteckt.

Wir wollen auch nicht die Partei der Nichtwähler weiter vergröbern. Alle diese Argumente sind bekannt, und deshalb schlage ich vor ‑ obwohl es schon klar und auch in den anderen Anträgen impliziert ist ‑, trotzdem es wörtlich mit hineinzunehmen. Mein Änderungsantrag lautet für Antrag 41/I/93, auf Seite 64 im zweiten Absatz, letzter Satz einzufügen:

Diese Forderungen … einschließlich der des politischen Bezirksamtes

‑ dann geht es weiter:

hat sich der Landesparteitag … usw.

Ich bitte, dieses kleine Sätzchen dort einzufügen oder aber vorsorglich, wenn es dann um Antrag 38/I/93 auf Seite 61 geht, dann unter 2. am Ende des Satzes ‑ „… gesetzt werden.“ ‑ zu schreiben:

Das heißt auch weiterhin das politische Bezirksamt.

Ich biete also zwei Varianten an: die 38 oder die 41, je nachdem, und möchte das gern hineinhaben und die Genossen aus Friedrichshain unterstützen. Ich glaube auch, dass in der gegenwärtigen Situation viele andere das mit unterstützen werden. ‑ Schönen Dank.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Herzlichen Dank! Der Genosse Kind hat mehrere Anträge, die eng miteinander zusammenhängen, bei seiner Wortmeldung zusammengefasst. Bei den nächsten Wortbeiträgen haben wir von den Rednern auch erfahren, dass dies der Fall ist, so dass man das insgesamt vielleicht in der Debatte zusammenfassen könnte. ‑ Als nächster hat der Genosse Brückner das Wort.

Michael   B r ü c k n e r   (Treptow): Liebe Genossinnen und Genossen! Verwaltungsreform, wird mir immer wieder gesagt, damit beschäftigen wir uns schon seit 30 Jahren ‑ wenn ich mit Leuten aus der Verwaltung spreche ‑ oder ‑ wenn ich mit Leuten von der SPD spreche ‑ noch viel länger. Wir sind erst seit drei Jahren dabei, und ich bin immer noch optimistisch, dass doch irgendetwas herauskommt.

Aber ich befürchte ‑ und so sieht es im Moment aus, bei dem Wissensstand, den die Bevölkerung hat, wenn ich einmal herumfrage ‑, dass sich die Verwaltungsreform auf drei populistische Aussagen reduziert: Wir wollen weniger Senatoren, wir wollen weniger Bezirksamtsmitglieder, und wir wollen weniger Bezirke. ‑ Das ist das, was die Bevölkerung von der Verwaltungsreform erfährt. Dabei bin ich der Meinung, dass das eigentlich nur die Dinge sind, die am Rande dabei mit herauskommen könnten.

Wichtig ist in der Verwaltungsreform, dass wir dagegen vorgehen, dass sich die Verwaltung mit der Verwaltung beschäftigt.

(Vereinzelter Beifall)

Wichtig ist es, dass wir die Aufgaben zwischen den Bezirken und den Hauptverwaltungen neu zuteilen. Und wichtig ist es, dass wir die Finanzzuständigkeiten der Bezirke neu festlegen. Wenn wir das schaffen ‑ und da gab es 1984 durch die Enquete‑Kommission schon einen ziemlich guten Ansatz, den man eigentlich zur Grundlage nehmen sollte, und der, ich weiß nicht warum, wahrscheinlich nie eingeführt worden ist ‑, dann erübrigen sich die anderen Fragen von selbst: auch die Fragen nach der Anzahl der Bezirksamtsmitglieder, der Senatoren und auch der Bezirke. Diese Diskussion sollte man an den Schluss stellen, wenn wir uns darüber klar sind, wie die Aufgaben und die Finanzen neu zu verteilen sind. Dann ergibt sich auch die Frage ‑ und ich bin nicht dagegen, was Christian eben vorgeschlagen hat ‑, ob wir ein politisches Bezirksamt bekommen. Denn mit mehr Verantwortung in den Bezirken brauchen wir ein politisches Bezirksamt. Aber darüber gibt es schon eine Beschlusslage des Parteitages.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Peter Strieder.

Peter   S t r i e d e r   (Kreuzberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Der letzte Parteitag hat sich mit dieser Frage intensiv beschäftigt, hat wichtige Beschlüsse gefasst, und drei Tage später haben die Senatorinnen und Senatoren die eigene Beschlusslage nicht mehr gekannt und haben dann im Senat den verschiedensten Prüfaufträgen zugestimmt, zum Beispiel den Landesämtern, die der Landesparteitag schon ausgeschlossen hatte.

Wenn wir hier eine Debatte über die Verwaltungsreform machen und zu einer Beschlussfassung kommen, dann ist das nicht etwas, was nur die Basis binden kann, sondern das bindet dann alle Mandatsträger dieser Partei!

(Beifall)

Das „Projekt Verwaltungsreform“ ist nach meiner Auffassung das wesentlichste Projekt, das diese grobe Koalition noch zu einem glücklichen Ende bringen kann und das überhaupt noch die grobe Koalition legitimiert ‑ nur das noch!

(Beifall)

Wir müssen dabei ‑ und das hat der Kollege Brückner gerade angesprochen ‑ differenzieren zwischen einer Gebietsreform ‑ von der einige meinen, das sei einfacher, populärer und könne man schnell mal durchsetzen ‑ und der Verwaltungsreform. Es geht zunächst und in erster Linie ‑ auch für diejenigen, die hier nach Sparvorschlägen fragen ‑ darum, Doppelzuständigkeiten abzubauen, Wasserköpfe loszuwerden und ineffektive Verwaltungsmechanismen durch effiziente Managementmethoden zu ersetzen.

(Beifall)

Das ist Verwaltungsreform und nicht die Zusammenlegung von 23 Bezirken zu 15 Bezirken! Da bildet sich so mancher ein, damit könne man alles regeln. ‑ Nein, Genossinnen und Genossen, das ist dann so, dass zum Beispiel in der Senatsverwaltung für Bau‑ und Wohnungswesen die Abteilung Elektronische Datenverarbeitung aus 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besteht und in den Bezirksämtern zwischen 1 und 3 Mitarbeiterinnen dafür zuständig sind; das ist der Wasserkopf Hauptverwaltung. Oder es ist so, dass uns die Mittel, die Personalmittel, gekürzt werden für die Unterbringung von Jugendlichen in Jugendheimen, in Jugendeinrichtungen. Diese Mitarbeiter haben zwei Möglichkeiten: entweder sie bringen die Jugendlichen in Heimen unter, dann fallen täglich hohe Kosten an, oder sie bringen sie in Familien unter, dann ist das ein hoher Personalaufwand, diese Familien zu finden, aber die anfallenden Kosten für die Unterbringung sind sehr viel geringer.

Wenn nun den Jugendämtern die Personalmittel gekürzt werden, greift man zu der einfachsten Methode, indem man sich wehrt und sagt: Ich mache mir die Arbeit leicht ‑ die Jugendlichen kommen in die Heime. Man spart dabei aber nichts, weil die Heimunterbringung ein Vielfaches der Familienunterbringung kostet. Wir müssen da zu Methoden kommen, wie in kleinen Betrieben, die für eine bestimmte Aufgabe eine bestimmte Menge Geld zur Verfügung gestellt bekommen, und mit diesem Geld müssen sie eine bestimmte Aufgabe erledigen. Und es ist Sache der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, zu entscheiden, ob das Personalmittel sind, ob das Sachmittel sind, und wie man so etwas einsetzt. Wenn wir wollen, dass der öffentliche Dienst mehr Akzeptanz und mehr Effizienz hat, dann müssen wir auch den Kolleginnen und Kollegen gestatten, ihre Qualifikation voll zum Durchschlagen zu bringen.

(Beifall)

Ich bin auch nicht dagegen, darüber nachzudenken, ob es eine Gebietsreform gibt. Eine Gebietsreform ist dann sinnvoll, wenn einmal nur ‑ einmal nur! ‑ ein seriöses Gutachten darüber bestünde, dass es synergetische Effekte hätte, dass die Zusammenlegung von Bezirken tatsächlich Einsparungen brächte. Denn was wir bei der Gebietsreform nicht wollen, ist ein Abbau von notwendiger sozialer Betreuung und ein Abbau von demokratischen Rechten. Das ist keine Verwaltungsreform; das ist Bürokratismus, wie wir ihn nicht wollen.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat H.‑G. Lorenz.

Hans‑Georg   L o r e n z   (Spandau): Liebe Genossinnen und Genossen! Es ist schön, dass Peter Strieder schon das gesagt hat, was ich mir jetzt ersparen kann. Denn es ist ganz gut, dass man auf etwas aufbauen kann, wenn nur fünf Minuten Zeit da sind.

(Zurufe: Drei, drei!)

‑ Oder drei! Ich mache es auch in drei Minuten. ‑ Das Problem, das wir haben, ist, dass wir auf dieser Grundlage, die wir nun häufig festgestellt haben, auch praktische Politik machen. Ich muss sagen, dass ich den Glauben daran verloren habe, dass der Senat mit dieser Aufgabe selbst fertig wird.

(Vereinzelter Beifall)

Dieser Glaube wird auch nicht dadurch gestärkt, dass die Senatsverwaltung für Inneres Aufträge an die Hauptverwaltung gibt, selbst Vorschläge zu machen, die wahrscheinlich dann dürftig genug ausfallen, und selbst überhaupt keine Anstrengungen unternimmt, um wenigstens einmal als   d i e   Senatsverwaltung, die diese Verwaltungsreform tragen, die sie voranbringen mub, bei sich zu demonstrieren, wie man so etwas macht. Die SPD‑Fraktion wird nunmehr zu den Mitteln greifen müssen, die diesem Parlament noch zur Verfügung stehen, und wenigstens an einer oder zwei Senatsverwaltungen deutlich machen müssen, wie sie sich diese Verwaltungsreform in ihrer umfassenden Art und so, wie sie Peter Strieder hier gekennzeichnet hat, vorstellt. Es muss auch der Wille da sein, dass der Hauptausschub des Abgeordnetenhauses dann auch sagt: Mehr Geld geben wir nicht! Und wenn ihr es nicht macht, streichen wir euch die Stellen weg. Dieser Wille muss vorhanden sein, und ich hoffe, dass er dann auch vorhanden ist und dass der Senat und das Abgeordnetenhaus diese Kraft besitzen ‑ wobei es natürlich auch davon abhängt, ob die CDU‑Fraktion ‑ ich sage nicht, der Senat ‑ ihren guten Willen behält und bereit ist, mit uns ‑ wie in der Enquete‑Kommission ‑ diese Dinge durchzusetzen.

 

Lasst mich zum Schluss etwas zu einem konkreten Antrag sagen: Den Änderungsantrag zum Antrag 41/I/93, den die Kommission zur Ablehnung empfohlen hat, den möchte ich euch trotzdem ans Herz legen. Es geht hier nicht darum, etwas, was diese Partei möchte, dass zunächst einmal in den Senatsverwaltungen gespart wird und dann in den Bezirksverwaltungen, umzukehren. Worum es hier geht, ist, dass wir jetzt bestimmte gesetzliche Voraussetzungen schaffen müssen. Wenn wir jetzt nicht beschließen, dass es nur zehn Senatsverwaltungen geben wird, dann wird dieser Beschluss, selbst wenn er kommt, im Jahr 1995 zu spät kommen, um im Jahr 1998 realisiert zu werden. Nur wer jetzt beschließt, es wird nur zehn Senatsverwaltungen geben,

(Beifall)

nur wer jetzt beschließt, dass es auch im Bezirksamt nur fünf Abteilungen geben wird, der kann erwarten, dass die notwendigen Vorarbeiten geleistet werden und diese Vorarbeiten dann auch bedeuten, dass wir im Jahr 1995 vielleicht einmal mit der Verwaltungsreform und mit dem Sparen anfangen.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Jörg‑Otto Spiller.

Jörg‑Otto   S p i l l e r   (Wedding): Genossinnen und Genossen! Ohne Mut gibt es keine Reform. Das, was ich vermisse ‑ und ich glaube, das geht vielen von uns so ‑, ist ein von innerer Überzeugung und von Tatkraft getragenes Herangehen an das Thema „Reform der Berliner Verwaltung“. Es wirkt auf viele Außenstehende zunächst einmal trocken, aber es ist nicht trocken. Wenn wir so weitermachen wie bisher, ist ganz eindeutig erkennbar: Die Stadt wird zunehmend unbeweglich. Und das, was im ersten Teil des Parteitages zum Thema Finanzen und Wirtschaft von Norbert Meisner auch angesprochen worden ist, die Haushaltslage, die zunehmende Unbeweglichkeit erwarten lässt, wird noch viel schwieriger, wenn wir dabei bleiben: Das Geld wird ausgegeben in Bürokratien.

Noch schlimmer ist, dass nicht nur Geld ausgegeben, sondern dass mit diesen unklaren Regelungen auch unendlich viel Zeit vertan wird. Wir haben draußen die Büchergilde Gutenberg, die verkauft auch Bücher von Franz Kafka. Das ist die Berliner Verwaltung, aber das darf sie nicht bleiben. Wir müssen wirklich straffen, und wir müssen Mut haben. Der Mut ist nicht überall da, beispielsweise auch nicht in der Abgeordnetenhausfraktion. Ich nehme zwei Punkte heraus, die bestimmt umstritten sind, aber einer ist eindeutig im Dissens mit den Bezirken. Ich nehme den Dissenspunkt: In der Klausurtagung in Königslutter hat die Abgeordnetenhausfraktion nach offenbar längerer Debatte beschlossen, dass sie ablehnen wird, den Bezirken das Recht zu geben, Bebauungspläne zu beschließen. Zur Begründung kam immer, das sei angeblich erstens juristisch notwendig ‑ was nicht zutrifft ‑ und zweitens sei es ein so wichtiges Instrument von Stadtplanung, dass auch das Parlament diesen Beschluss selbst fassen müsse.

 

Die Praxis ist, dass natürlich kein einziger Bebauungsplan ernsthaft im Parlament beraten wird, wenn nicht etwas ganz Herausragendes Gegenstand dieses Bebauungsplanes ist. Da bitte ich auch: Habt Mut, auch auf der Ebene der Abgeordnetenhausfraktion, zu Reformen.

(Beifall)

Das gleiche trifft für den Haushalt zu. Nach der derzeitigen Rechtslage ist es so, dass jeder Bezirkshaushalt vom Abgeordnetenhaus selbst verabschiedet werden muss. Der Hauptausschub wird zugeschüttet mit Papieren, und er kann natürlich nur bruchstückhaft das eine oder andere wirklich prüfen und darüber beraten. Der Vorschlag, dass das Abgeordnetenhaus künftig, ähnlich wie bei den Universitäten, eine Summe pro Bezirk beschließt und der Bezirk in eigener Verantwortung ‑ die Bezirksverordnetenversammlungen haben übrigens die gleiche Legitimation wie das Abgeordnetenhaus: gewählt von der Bevölkerung ‑ den Haushalt beschließt, das erfordert ein Stück Mut. Aber warum diesen Mut nicht haben?

(Vereinzelter Beifall)

Dann kommt das nächste hinzu: Das jetzige System auch bei den Finanzen ist die organisierte Unverantwortlichkeit.

(Vereinzelter Beifall)

Es ist geradezu so, dass bestraft wird, wer sein Geld nicht ausgibt. Wir haben ein so kompliziertes System und einen solchen Zwang, das Geld notfalls auch unsinnig auszugeben, dass es genau dem System der staatlichen Plankommission und dem Verhältnis von staatlicher Plankommission, Kombinaten und VEBs ähnelt.

(Beifall)

Das Ergebnis in diesem Bereich ist allen bekannt. Aber es kann doch jetzt nicht sein, dass wir beispielsweise die 11 östlichen Bezirke in Berlin dazu zwingen, diesen Quatsch nun auch noch als Ergebnis der Wiedervereinigung für die kommunale Verwaltung zu loben ‑ das kann doch nicht sein. Wir müssen mehr Freiheit haben!

Es darf sich nicht nur beschränken auf die Neuregelung von Verantwortung: Bezirke und Hauptverwaltung. Es muss auch innerhalb der Hauptverwaltung eine halbwegs an betriebswirtschaftlichen Überlegungen organisierte Arbeitsweise möglich werden; denn wir haben auch da immer wieder eine unsinnige, lähmende Struktur und auch beim Umgang mit den Finanzen eher den Anreiz, das Geld unsinnig auszugeben. ‑ Ich bitte um Mut zur Reform!

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Ingrid Stahmer.

Ingrid   S t a h m e r   (Charlottenburg): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich bin nicht, wie mancher denken mag, sozusagen Zentralist durch meinen jetzigen Job, sondern ich bin eine engagierte Frau in der Verwaltungsreform seit 28 Jahren, seit ich nämlich in der Berliner Verwaltung bin. 14 Jahre davon habe ich in Bezirksverwaltungen zugebracht und 14 Jahre in Hauptverwaltungen, und zwar jeweils sowohl in Mitarbeiterpositionen als auch in Leitungspositionen. Ich habe einiges von dem, was hier gesagt worden ist ‑ wie sehr man daran leiden kann in solchen Verwaltungen, dass Verantwortung nicht ausreichend organisiert ist, dass man nicht genug Bewegungsspielraum hat, dass man nicht das Vernünftige wirklich tun kann ‑ wirklich am eigenen Leib gespürt, und zwar sowohl in der Bezirks‑ als auch in der Hauptverwaltung.

Ich finde es ein bisschen traurig, dass unsere Debatte in der Partei zur Zeit von einem Gegeneinander der Zentralisten und derer, die im Bezirk sind, geprägt ist. Ich räume zwar ein, dass ich die Sachen im Baubereich nicht ausreichend überblicken kann, wo sich einige der Bis‑aufs‑Blut‑Kämpfe vor allen Dingen abzuspielen scheinen. Ich muss aber sagen, dass für die Bereiche, die ich überblicken kann ‑ und das sind die Bereiche Jugend, Gesundheit und Soziales und die anderen Verwaltungen immer nur aus der Zusammenarbeit ‑, wir in den beiden Anträgen die Schwierigkeiten des Gegeneinanders haben: der Aussage aus dem Antrag 38, dass eine durchgreifende Reform erhebliche Personaleinsparungen ergibt, und aus dem Antrag 41, dass eine nachhaltige Stärkung der bezirklichen Selbstverwaltung nötig ist.

Wir haben nämlich gerade in Ausführung der Enquete‑Kommission von 1984, in den Versuchen, die wir insbesondere mit Erich Pätzold in der rot‑grünen Zeit unternommen haben, diese Enquete‑Kommission durchzuführen, leider feststellen müssen, dass zum Beispiel in den Bereichen der Sozialverwaltung und der Arbeitsschutzverwaltung wir wesentlich mehr Personal brauchen, wenn wir den Bezirken mehr eigene Macht, mehr eigene Möglichkeiten geben.

Das gleiche läuft zur Zeit bei der Kriegsopferversorgung, die wir um mindestens 15 Stellen verringern könnten, wenn wir sie zentral im LaSoz machen, was wir nicht können, wenn 23 Bezirke sie machen und jeweils eine halbe Person damit beschäftigen, die die ganze Fachkunde nicht haben kann.

Ich bitte euch also, von der Ideologisierung in dieser Sache wegzukommen und Sachfragen auch als solche zu besprechen. Denn dann kann man feststellen, dass bestimmte Dinge tatsächlich besser, auch für die Bürgerinnen und Bürger besser, von einer zentralen Fachstelle gemacht werden können, die auch ausreichend etwas davon versteht.

Unser Gesamtproblem, an dem wir kranken, ist meiner Ansicht nach, dass die flachen Hierarchien, die die moderne Organisation braucht, in Verwaltungshierarchien so gut wie nicht herstellbar sind. Denn sie sind einfach zu tief gestaffelt. Außerdem gibt es noch das Parlament, und außerdem gibt es noch den Parteitag, der auch noch an der Verantwortung mittragen will und zu möglichst jeder einzelnen Angelegenheit auch noch mindestens sagen können muss, dass das alles falsch war, was dann getan worden ist. Das ist mit einer modernen Organisation nicht zu vereinbaren. Wir müssten uns dann auch darauf einigen, wirklich nur noch Veranlassungsverantwortung zu haben ‑ das heißt, Aufträge zu geben, sie zu kontrollieren aber nicht im einzelnen die ganze Durchführung kontrollieren zu wollen durch Spitzen von Verwaltungen oder durch Parlamente.

Peter Strieder, ich muss noch einen halben Satz zu dir sagen: Du meinst, es sei im Senat vergessen worden, dass dieser Parteitag beschlossen hatte, keine neuen Landesämter zu bilden.

(Glocke des Präsidiums)

Nun muss man dazu sagen, dass leider nicht jedes Wort jedes Parteitags in einer Koalitionsregierung, in der wir die Minderheit sind, durchgesetzt und umgesetzt werden kann. Wir fanden uns schon sehr tapfer, dass wir diesen festen Beschluss, der uns dort vorlag, nämlich solche Landesämter zu machen, in einen Prüfauftrag verwandelt haben. Ich bitte euch, mal selbst über die verschiedenen Kompromisse nachzudenken, die man irgendwo schließen muss, wie stolz und froh man ist, wenn man eine Angelegenheit in einen Prüfauftrag verwandelt konnte. Es gab nämlich hier auch sehr klare Aussagen dazu, was inhaltlich zum Beispiel davon gehalten wird.

(Präs. Bernd Schimmler: Ingrid, bitte komme zum Schluss!)

Wolfgang Nagel war ebenfalls absolut gegen ein Landesamt in seinem Bereich.

Ich bitte euch zu versuchen, hier sachlich zu diskutieren und euch nicht von den Emotionen wegtreiben zu lassen; denn das dient einer sachgerechten Verwaltung ganz bestimmt nicht.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Detlef Dzembritzki.

Detlef   D z e m b r i t z k i   (Reinickendorf): Genossinnen und Genossen! Wenn man die Debatte der letzten drei Jahrzehnte zurückverfolgt, dann hat man zumindest die Chance, diesmal Optimismus dahin gehend pflegen zu können, dass wir noch nie so weit in der Zuspitzung notwendiger Entscheidungen waren, wie das im Augenblick der Fall ist. Ich denke, dass die Enquete‑Kommission von 1984 und die dann auch eingesetzte Parteikommission, die in den letzten Monaten hier sehr intensiv gearbeitet hat, durchaus einiges erreicht haben, was als Grundlage zur Entscheidung ausreicht.

Das Problem ist nur, dass ich manchmal den Eindruck habe, dass hier bestimmte Genossinnen und Genossen in die Rolle eines Don Quichotte gezwungen werden und die Windmühlen munter im Lande weiter mahlen. Von entscheidender Bedeutung ist doch, dass wir zu strukturellen Veränderungen kommen, das, was Ingrid zum Schluss ausgeführt hat, dass wir Verantwortungsebenen schaffen, ob vor Ort oder im Lande, wo sofort Umsetzungen stattfinden können und nicht langwierige Entscheidungsprozesse notwendig sind. Ich denke, dass dieses Stärken der Verantwortung eine ganz entscheidende Bedeutung für die Verwaltungsreform hat, weil dadurch mit Sicherheit auch Leerlauf und Reibungsverluste abgebaut werden können.

Wir haben in der Klausursitzung in Königslutter ‑ sehr vehement durch H.‑G. Lorenz vorgetragen ‑ die Unterschiede zwischen Effektivität und Effizienz deutlich gemacht. Es mag wohl so sein, dass nach wie vor an vielen Stellen Leute sehr effektiv arbeiten. Nur, ob diese Effektivität zur Effizienz führt, das ist doch die entscheidende Frage.

Wenn man sich die Mitzeichnungslisten ansieht, die zum Beispiel in Senatsverwaltungen vorhanden sind, bis der Senator die Entscheidung getroffen hat: Das muss man einmal zurückverfolgen, um nur an einem solchen Beispiel das Problem mit deutlich zu machen. Niemand von den Bezirken hat der Landesebene bestritten, dass dort die Grundsatzentscheidungen getroffen werden müssen, dass dort die ministerielle Verantwortung liegen soll; aber seit Dezember versucht der Rat der Bürgermeister, vom Senat eine Übersicht zu bekommen, um überhaupt tatsächlich mitdiskutieren zu können, wie hoch zum Beispiel die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hauptverwaltung ist, die den einzelnen Senatsverwaltungen, den dortigen Abteilungen und Referaten zugeordnet sind, um einmal eine Relation zu bekommen. Bis heute liegen diese Zahlen nicht vor! Ich frage mich, wie dieser Innensenator und wie dieser Senat ohne solche Materialien überhaupt vernünftige Entscheidungen treffen will; das ist mir unerklärlich.

Wir haben jetzt im Februar noch einmal die Organigramme der Senatsverwaltungen bekommen ‑ zum Teil auf einem Stand von 1991; ich will das im Augenblick nicht strapazieren. Und ich sage das noch mal zum Walter: Wenn man sich allein die Abteilungen und die Referate anguckt und Landesämter und nachgeordnete Dienstbehörden weglässt, die alle dabei sind, dann kommen wir heute auf einen Stand von 92 Abteilungen und 406 Referaten! Man muss sich fragen: 406 Referate für die Verwaltung in Berlin? Ich denke, dass da nun wirklich die Einschnitte mitgemacht werden müssen.

 

Ich will mal als Posse am Rande noch zwei Punkte nennen. Einmal: Wie kommt der Innensenator dazu, Ausschreibungen zu machen, dass er zum Beispiel nun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sucht ‑ hochbezahlt ‑, um die Verwaltungsreform umzusetzen, obwohl wir 80 000 Mitarbeiter haben? Man muss sich das einmal vorstellen.

Die andere Posse: Wie kommt der Innensenator dazu, im Augenblick in Ost‑ und West‑Berlin zu suchen, wo er demnächst die 15 Senatsverwaltungen unterbringen kann, wo alle wissen, dass wir mit dieser Zahl nicht operieren wollen? ‑ Kernfrage: Nimmt der Senat Koalitionsbeschlüsse, nimmt der Senat Parteitagsbeschlüsse, nimmt der Senat die Verwaltungsreform überhaupt ernst? Ich bezweifele dies!

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Erich Pätzold.

Erich   P ä t z o l d   (Wedding): Genossinnen und Genossen! Ich muss mich wie das letzte Mal ein wenig mit Ingrid Stahmer auseinandersetzen ‑ mehr ist in drei Minuten Diskussionsbeitrag nicht drin.

Ingrid, ich muss dir ausdrücklich bestätigen, dass, als du noch im Bezirk arbeitetest, du in der gemeinsamen Parteikommission dich engagiert auch für den Ausbau der bezirklichen Selbstverwaltung eingesetzt hast. Deshalb gefallen mir die Töne weniger gut, wenn jemand darauf hinweist, dass er sowohl in den Bezirken als auch in Senatsverwaltungen Erfahrungen gemacht hat. Jetzt bin ich einmal ganz eitel und sage: Der einzige, der daraus die gegenläufige Schlussfolgerung gezogen hat, nämlich, dass man massiv dezentralisieren muss, bin wohl ich selbst.

(Beifall)

Und ich würde auch von euch erbitten, dass ihr das nun auch endlich einmal begreift.

(Beifall)

Ingrid, vielleicht warst du zu wenig lange in der Hauptverwaltung. Ich war viel länger in der Hauptverwaltung als in den Bezirken und hatte deshalb Gelegenheit, sehr viel länger zu lernen, mit wieviel Unsinn die Bezirke da massiv bevormundet werden.

(Beifall)

Dann einmal etwas zum Umgang mit Parteitagsbeschlüssen: Wenn in der Koalitionsvereinbarung steht ‑ von beiden Koalitionsparteien unterschrieben ‑, dass die bezirkliche Selbstverwaltung massiv zu stärken und die Hauptverwaltung grundsätzlich auf Führungsaufgaben zu beschränken ist, wenn wir drei Tage vor eurer Senatssitzung beschlossen haben, es gibt keine Landesämter: Wieso kommt ihr euch eigentlich besonders mutig vor, wenn ihr das dann wenigstens nur in einen Prüfauftrag umgewandelt habt? Ihr brauchtet nur auf die Koalitionsvereinbarung zu verweisen, die keinerlei Bildung von Landesämtern zulässt!

(Beifall ‑ Zuruf: Bravo!)

Und ihr brauchtet nur darauf zu verweisen, dass euer Parteitag drei Tage vorher noch einmal bekräftigt hatte, dass es keine Landesämter geben wird ‑ ihr hattet keinen Handlungsspielraum!

 

Ein Koalitionspartner, der von euch etwas verlangt, bei dem er selbst die Koalitionsvereinbarung verletzt und euch dazu auffordert, sie auch zu verletzen, der ist doch kein Koalitionspartner, dem ihr noch entgegenkommen müsst!

(Beifall)

Im übrigen ist es doch so, dass die Verwaltung total unglaubwürdig wird, wenn sie einerseits vor allem massives Sparen verlangt, aber selbst eine grobe Koalition mit zwei zusätzlichen Senatoren und mit sieben zusätzlichen Staatssekretären beginnt

(Beifall ‑ Zuruf: Das ist es, genau!)

und dann darüber hinaus noch Zeit, Geld, Verwaltungskapazität bei den vielen, drängenden Problemen, die gelöst werden müssen, hat, um nun unsinnige Prüfaufträge zu erledigen. Und was meinst du, wieviel Hauptverwaltungskapazität da hineingesteckt wird, diese albernen Vorlagen zu erarbeiten.

(Beifall)

Also, ein bisschen mehr Mut!

Und im übrigen: Nachdem der Parteitag in allen Fragen der Verwaltungsreform so viel mehr Weisheit in Sachen vernünftiger künftiger Lösungen gezeigt hat, braucht ihr euch doch nur an die Parteitagsbeschlüsse zu halten und weniger an euren Koalitionspartner.

(Beifall ‑ Zuruf: Bravo!)

Dann mache ich noch eine Schlussbemerkung, weil man, wie gesagt, das ganze Problem nicht in so kurzer Zeit abhandeln kann. Ich muss zu Norbert Meisners Referat sagen: Es ist richtig, dass wir massiv sparen müssen, aber ich höre schon heraus, dass wir uns eher bei den Leistungen für die Bürger kaputtsparen werden, als nun endlich einmal diese riesigen Überbürokratien in den Senatsverwaltungen abzubauen. Das aber müssen wir tun!

(Starker, anhaltender Beifall ‑ Zurufe: Jawohl!)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Klaus‑Uwe Benneter.

Klaus‑Uwe   B e n n e t e r   :(Zehlendorf): Genossinnen und Genossen! Ich denke, dass wir mit unserem Beifall unserem groben Mentor in Sachen Verwaltungsreform Tribut gezollt haben. Ich denke auch, dass wir wahrscheinlich Erich Pätzold einen noch gröberen Gefallen tun können, als hier Beifall zu klatschen, wenn wir auf diesem Parteitag auch gegenüber unseren Senatorinnen und Senatoren und gegenüber unseren Mitgliedern im Abgeordnetenhaus klarmachen, dass es hier kein Zurück mehr geben kann und dass wir nun endlich auch sehen wollen, dass das, was wir hier schon in den verschiedensten Anträgen verabschiedet haben, endlich umgesetzt wird.

(Vereinzelter Beifall)

Die Spandauer haben dankenswerterweise im rosafarbenen Änderungsantrag ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir hier jetzt Pflöcke setzen müssen. Deshalb meine Bitte: Folgt hier nicht dem Votum der Antragskommission, sondern stimmt diesem Änderungsantrag zu, damit die Senatorinnen und Senatoren wissen: Wir hier im Landesparteitag meinen es ernst mit der Verwaltungsreform!

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Silke Fischer.

Silke   F i s c h e r   (Kreuzberg): Ich kann das letztendlich alles nur bekräftigen, möchte aber noch einmal einen Punkt besonders hervorheben: Im Moment läuft teilweise schon eine Umsetzung der Verwaltungsreform vor dem Hintergrund der zukünftigen Haushaltslage des Landes Berlin. Wie sie läuft, will ich kurz an einem Beispiel aus Ost‑Berliner Bezirken verdeutlichen: Die kriegen eine pauschale Stellenkürzung ‑ das nennt sich dann kw‑Vermerke. Das bedeutet aber, dass diese versorgungsintensiven, dienstleistungsintensiven Bereiche überhaupt nicht mehr qualifiziert besetzt werden können, weil sie Leute nicht neu einstellen können ‑ sie müssen erst den Personalüberhang abbauen. Das bedeutet, dass diese ganzen, tragenden Personalstellen letztendlich dableiben, unabhängig, ob sie die Qualifikation haben, ob sie überhaupt motiviert sind oder sonst irgend etwas. Sie können nicht entlassen werden, also werden sie auf Stellen gesetzt, bis irgendwann soviele kw‑Vermerke abgebaut werden, dass überhaupt Leute neu eingestellt werden. Wir brauchen endlich diese Verwaltungsreform mit einer qualitativen Aufgabenkritik der Stellen, die auch unter sozialdemokratischen Gesichtspunkten in Zukunft in diesem Staat zu leisten sind, und keine quantitativen Minderausgaben, Stellenkürzungen mit kw‑Vermerken usw.; denn die wirken sich jetzt schon kontraproduktiv für die Bevölkerung aus.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das war die letzte Wortmeldung in der Debatte. ‑ Das Wort hat jetzt Kurt Neumann zur weiteren Beschlußfassung über die Anträge.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Ich schlage vor, dass wir vor dem Antrag 38 wegen der Lage bei den Änderungsanträgen zunächst den Antrag 41/I/93 auf Seite 64 behandeln. Dazu bitte ich euch, das rosa Papier zur Hand zu nehmen. ‑ Bevor wir aber zum rosa Zettel kommen, bitte ich, auf Seite 64 den Änderungsantrag des Genossen Kind aus Lichtenberg zu berücksichtigen. Er hat vorgeschlagen, im letzten Satz des zweiten Absatzes einen Einschub zu machen:

Diese Forderungen einschließlich der Forderung nach einem politischen Bezirksamt

‑ so würde ich das mal kurz umformulieren ‑

hat sich der Landesparteitag mit seinen Beschlüssen ausdrücklich zu eigen gemacht.

Trifft es das, Genosse Kind? ‑ Da gibt es natürlich keine Empfehlung der Antragskommission, aber ich denke, dass die Klarstellung, dass wir ein politisches Bezirksamt schaffen wollen, in dieser Situation nicht überflüssig ist. Ich bitte deshalb, diese Änderung anzunehmen.

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Dann stimmen wir zunächst über diese Änderung ab. Wer dieser Einfügung zustimmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Dann ist dieses so eingefügt.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Ich bitte, den rosafarbenen Zettel zur Hand zu nehmen, und zwar zunächst die Vorderseite ‑ obendrüber steht „Anmerkungen zum Antrag 41/I/93“. Das sind im Grunde genommen keine Änderungsanträge, sondern wir hatten Schwierigkeiten, das Ergebnis der Beratungen der Antragskommission festzuhalten, weil das etwas kompliziert war, und wir auch sehr unter Zeitdruck standen. Es geht zunächst um Seite 65, Absatz 2; dort haben wir auf der rechten Seite, wo wir eine Anfügung machen wollten, versehentlich zuviel anfügen wollen, nämlich das, was ohnehin schon dasteht: „Wenn Parteitag wie Abgeordnetenhaus …“ bis „… unverzüglich umzusetzen …“ zu streichen; das ist aber nur eine Klarstellung. Wer das im Augenblick nicht mitverfolgt, hat auch nichts versäumt.

 

In Absatz 3 ist im letzten Satz auch ein redaktioneller Fehler. Dort muss es heiben ‑ in der vorletzten Zeile, übergehend auf die letzte Zeile ‑: „… der Verwaltungsrechtsweg zu eröffnen“, nicht „… der Verwaltungsweg zu den Oberverwaltungsgerichten …“. Die drei Wörter, „zu dem Oberverwaltungsgericht“ sind zu streichen ‑ rechts, vorletzter Absatz, vorletzte und letzte Zeile.

 

Es kommt dann ganz am Ende eine Ergänzung, an den Antrag anzufügen aus dem Antrag 46/I/93 die Formulierung, die ihr auf rosa Papier habt:

 

Die Verwaltungsreform ist eine der Aufgaben mit höchster Priorität in dieser Legislaturperiode. Alle sozialdemokratischen Mandatsträger werden aufgefordert, sie nicht der Verwaltung und schon gar nicht der Hauptverwaltung zu überlassen, sondern ihre politische Steuerungs‑ und Handlungsmöglichkeit gegenüber der zum Teil übermächtigen Bürokratie zu überweisen.

 

Da diese drei Änderungen nicht im Antragspaket standen, bitte ich, zunächst einmal festzustellen, dass der Parteitag dies als Richtigstellung akzeptiert.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Akzeptiert das der Parteitag?

(Zurufe: Ja, ja!)

Ich höre keinen Widerspruch, dann wird so verfahren.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Gut! ‑ Dann soll, wo auf der Vorderseite in der letzten Änderung vier Sternchen getippt sind, nach Intention der Antragsteller, des Kreises Spandau, der auf der Rückseite befindliche Änderungs‑ oder Ergänzungsantrag eingeschoben werden. H.‑G. Lorenz hat den erläutert. Die Antragskommission hat vorhin mit Mehrheit beschlossen, hier Ablehnung zu empfehlen. H.‑G. Lorenz u. a. ‑ Klaus‑Uwe Benneter war das, glaube ich ‑ haben empfohlen, den anzunehmen. Die Antragskommission jedenfalls empfiehlt Ablehnung.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Hier liegt ein Änderungsantrag aus Spandau vor; hierzu hat die Antragskommission gesagt, sie empfiehlt Ablehnung. Wer dem Vorschlag der Antragskommission folgen will, dies abzulehnen, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe: Wer ist für die Aufnahme? ‑ Das ist die Mehrheit. Damit ist der Änderungsantrag aufgenommen.

(Vereinzelter Beifall)

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Die Hilfsalternative des Genossen Kind ist damit erledigt für den Antrag 48, und wir können über den Antrag 41 in der jetzt beschlossenen Fassung abstimmen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Dann kommen wir zur Abstimmung. ‑ Es gibt eine Wortmeldung ‑ Otto Edel!

 

Otto   E d e l   (Schöneberg): Es tut mir leid, Genossinnen und Genossen, dass ich die Abstimmung etwas verzögern mub. Aber auf Seite 65 hättet ihr jetzt gerade über eine Passage abgestimmt, die sich mit dem sogenannten Hauptstadtgesetz beschäftigt, und ihr stellt dort Forderungen an die Formulierung im Hauptstadtgesetz. Dieses Hauptstadtgesetz hat aber das Abgeordnetenhaus am Donnerstag bereits beschlossen. Wenn ihr wollt, können wir gern darüber diskutieren, und ich stehe euch Rede und Antwort. Aber dieses hier noch einmal zu beschlieben, hat wenig Sinn. ‑ Vielen Dank.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Kurt Neumann.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Ich wollte eigentlich nichts sagen. ‑ Ich meine, das Problem ist möglicherweise bei denjenigen, die wubten, dass der Landesparteitag sich damit beschäftigt, und dann im Abgeordnetenhaus Beschlüsse herbeiführen. Aber wir haben hier einen Antrag ‑ es gibt keinen Änderungsantrag, keinen Streichungsantrag ‑, dann müssen wir den verabschieden.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es gibt keine weiteren Wortmeldungen, keine Änderungs ‑ ‑

(Kurt Neumann: Ihr hattet Zeit genug, den Antrag zu stellen!)

 

Otto   E d e l   (Schöneberg): Ich bin ja nur Teilnehmer dieses Gremiums, aber ich sage euch und rate euch: Beschliebt nicht Dinge, die vorbei sind! Man kann das ja kritisch diskutieren, und ich habe euch angeboten, Rede und Antwort zu stehen. Aber zu sagen, in dem Hauptstadtvertrag ist folgendes zu regeln ‑ und es ist bereits geregelt, aber anders, als ihr es hier aufschreibt ‑, hat keinen Sinn. Deshalb erlaube ich mir als Teilnehmer des Landesparteitages, die Streichung dieser Passage zu beantragen. ‑ Das steht auf Seite 65, der vorletzte Absatz.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Als nächster hat Klaus‑Uwe Benneter das Wort.

 

Klaus‑Uwe   B e n n e t e r   (Zehlendorf): Also, Otto, lieb dir das noch einmal genau durch; das steht eben gerade nicht drin. Vom Hauptstadtvertragsgesetz ist da überhaupt keine Rede. Ich denke schon, dass wir unsere Hauptverwaltung zwingen und von ihr verlangen können, dass sie die Mitwirkung der Bezirke berücksichtigt, auch wenn sie sich gegenüber dem Bund anders verpflichtet hat.

(Beifall)

Lediglich darum geht es hier. Und darin steht nicht, dass wir den Hauptstadtvertrag ändern sollen; das steht hier überhaupt nicht drin.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Jetzt gibt es wirklich keine weiteren Wortmeldungen mehr. Änderungsanträge sind offiziell hier nicht gestellt worden. Dann kommen wir jetzt endgültig zu der Abstimmung über den Antrag 41 in der jetzt vorliegenden Fassung mit den vorhin beschlossenen Ergänzungen. Wer diesem Antrag in der Fassung, die jetzt gekommen ist, die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Gegen einige Gegenstimmen, bei Stimmenthaltungen so beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Ich schlage vor, dass wir zum Antrag 38/I/93 auf Seite 61 kommen. Wenn ich nichts übersehen haben, liegen hier Änderungsanträge nach Tagung der Antragskommission nicht vor. Die Antragskommission empfiehlt Annahme in der geänderten Fassung. Die Änderungen sind jeweils auf der rechten Spalte abgedruckt. Annahme in der Fassung der Antragskommission.

 

Präs. Bernd   S c h i mk m l e r   : Gibt es hierzu Wortmeldungen? ‑ Nein! Dann können wir darüber abstimmen. Wer dem Antrag 38/I/93 in der Fassung der Antragskommission seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Bei einer Gegenstimme und einigen Stimmenthaltungen so beschlossen. ‑ Kurt Neumann!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Zu Antrag 21/I/93 auf Seite 55 liegt mir ein Änderungs‑ bzw. Ergänzungsantrag vor. Dort ist ein Einschub formuliert worden.

 

Ich denke, vernünftigerweise wäre folgende Formulierung an den Antrag anzuhängen ‑ ich bitte um Aufmerksamkeit, weil das nur einmal hier vorliegt ‑:

 

Der Bausenator wird aufgefordert, bei gröberen Bauvorhaben auch von überbezirklicher Bedeutung die jeweiligen Baustadträte, ‑stadträtinnen als Interessenvertreter der bezirklichen Belange von Anfang an bei der Entscheidungsfindung und bei allen Abstimmungsgesprächen zu beteiligen sowie den Bezirken die ihnen zustehenden Prüfaufgaben bei Baugenehmigungsverfahren zu belassen.

 

Es folgt eine Begründung, die nicht Gegenstand der Antragsberatung ist.

 

Es wäre zunächst einmal zu klären, ob der Antragsteller ‑ das ist der Kreis Schöneberg ‑ diesen Ergänzungsantrag übernimmt.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Übernimmt Schöneberg?

(Zurufe: Ja, ja!)

Wenn Schöneberg übernimmt, dann können wir jetzt in der so gefundenen Fassung abstimmen. Wer dem Antrag 21/I/93 auf Seite 55 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Gegen einige Gegenstimmen, bei Stimmenthaltungen so beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen dann zu den Erledigungen. Durch die Annahme des Antrags 41 sind die Anträge 39 und 46 erledigt. Durch 41 und 21 ist Antrag 40 erledigt. Ich bitte den Parteitag, dieses festzustellen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Gibt es gegen diese Feststellung der Antragskommission Widerspruch? ‑ Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Nun wird es etwas schwierig. Wir haben zunächst beim Bereich „Verkehr“ eine Konsensliste, die zwei Tippfehler enthält. Einmal, wenn ihr die zweite Zeile der Konsensliste nehmt: Antrag 65/II/92, der auf Seite 17 steht, soll erledigt sein durch den Initiativantrag 43/II/92 auf Seite 37. Darin geht es um die S‑Bahngeschichten. Es war so, dass zunächst der Antrag „Spandauer S‑Bahn,“ ‑ so nenne ich das mal ‑ „raus nach Staaken“ gemacht werden sollte. Dann gab es den Antrag i 43 auf dem vorigen Landesparteitag, der sowohl die Kremmener Bahn unterstützt als auch die Teltower Bahn und die Westbahn. Dieser Antrag konnte vom Landesparteitag nicht mehr behandelt werden. Er ist nach dem Parteitag vom Landesausschub ‑ nach meiner Erinnerung, ohne dass sich darüber ein Protokollvermerk gefunden hat ‑ beschlossen worden.

 

Danach hat die Abgeordnetenhausfraktion zusammen mit der CDU‑Fraktion am 3. März, wenn ich richtig unterrichtet bin, jeweils Anträge für die jeweilige S‑Bahn eingebracht, so dass man auf jeden Fall richtig beraten ist, wenn man sagt, dieses ist erledigt ‑ und zwar sowohl der Antrag i 43 als auch der Ausgangsantrag 65/II/92.

 

Das zweite ist der Antrag 75, der hier erwähnt ist. Er muss Antrag 75/I/93 genannt werden, weil er so heibt, und nicht 75/II/92. ‑ Es kommt bei solchen Listen vor, dass Tippfehler entstehen.

 

Zur weiteren Liste der Erledigungen: Antrag 78/I/93 und Antrag 89/I/93 sind Anträge zu den Wasserstraben. Dort hatten wir, wie wir das eigentlich immer aber wohl nicht richtig machen, hinsichtlich des ersten Antrags die Überweisung an den Fachausschub und an die Fraktion empfohlen. Bei Antrag 89 hatten wir gesagt, er ist durch das eben genannte Votum erledigt. Das hat in Reinickendorf keine Gegenliebe gefunden; deshalb haben wir vorhin in der Sitzung der Antragskommission unser Votum geändert und haben gesagt: auch diesen Antrag überweisen.

 

Nun wird es noch komplizierter: Nun haben die Charlottenburger, die den 78er Antrag gestellt haben, gesagt, der soll hier in Einzelabstimmung gemacht werden. Ich weib nicht, ob es hilfreich ist, uns hier mit dieser Einzelheit zu beschäftigen, aber das entscheiden die Genossen, das entscheidet dann der Parteitag. ‑ Dies vorab die Berichtigungen bzw. Anmerkungen zur Konsensliste.

 

Es wäre jetzt zu fragen, ob die Charlottenburger darauf bestehen, dass Antrag 78 in die Einzelabstimmung kommt.

(Zuruf: Nein!)

‑ Nein, dann können wir die Konsensliste in der so erläuterten Form beschlieben.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Gibt es hierzu noch Wortmeldungen? ‑ Detlef Dzembritzki!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Detlef, noch mal kurz für dich: Zu Antrag 89 haben wir uns verständigt mit dem Genossen Pohland aus deinem Bezirk, dass er wie Antrag 78 überwiesen und nicht für erledigt erklärt wird. Ich glaube, damit ist dein Petitum erledigt.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Dann hat der Genosse Porath das Wort.

 

Horst   P o r a t h   (Tiergarten): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich möchte gern, dass Antrag 77 ebenfalls noch beraten wird. Aus meiner Sicht besteht dort noch Diskussionsbedarf.

(Zuruf: Seite?)

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 77 ist auf Seite 81 ‑ das ist das Eisenbahnnetz, Pilzkonzept ‑, dort haben wir Annahme empfohlen.

 

Dann müssen wir Antrag 77 herausnehmen und können die Konsensliste im übrigen beschlieben, wenn da keine ‑ ‑ Peter Meyer hat noch etwas; das Präsidium sieht ihn nicht.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Als letzter hatte sich Peter Meyer gemeldet.

 

Peter   M e y e r   (Wilmersdorf): Möglicherweise habe ich im Augenblick nicht gut genug oder schnell genug aufgepabt. Es geht jetzt immer noch um die drei Wasserstraben‑Anträge alle zu einem Thema ‑ nicht eine Kleinigkeit, lieber Kurt, es geht um 4 Milliarden DM und um erhebliche Eingriffe in den Naturhaushalt unserer Stadt!

(Vereinzelter Beifall)

Ich will dennoch gar nicht in das Inhaltliche sonderlich einsteigen, sondern nur einen Vorschlag machen. Die Sache ist so wichtig, dass wir denjenigen der drei Anträge hier verabschieden sollten ‑ und zwar positiv, worum ich euch bitte ‑, der von der rechtlichen Seite die Realitäten am präzisesten darstellt, und das ist Reinickendorfer Antrag 89/I/93.

 

Wir würden dann dem Vorschlag der Antragskommission folgen und den Charlottenburger Antrag als Material mit überweisen, weil er von seinen Begründungen her noch eine gute Handreichung für die Gremien im Abgeordnetenhaus darstellt. Es geziemt sich mir durchaus, zu sagen, dass der Wilmersdorfer Antrag, das ist 60/II/93, dann erledigt wäre. ‑ Soviel zum Formalen.

 

Ich möchte nur noch zwei, drei Worte zur Begründung sagen: Vom Naturhaushalt her gibt es eine solche Vielfalt von Gründen, die es eigentlich als selbstverständlich erscheinen lassen, dass so etwas hier nicht vorgenommen wird.

 

Nur eines: Man weib nicht einmal, ob das Wasser ausreicht! Man hat also nicht einmal genug Wasser, um es in die Wasserstraben reinzulassen, damit diese Riesendinger da auch schwimmen können. Das muss noch geprüft werden. Ich weib nicht, ob wir warten wollen, bis uns das Wasser bis zum Halse steht, bis wir in solchen Dingen endlich einmal klar sehen.

 

Dann möchte ich noch ein ganz anderes, ein absolut wirtschaftliches Argument anführen und damit auch schon zum Ende kommen: Wir wollen in den nächsten Jahren in Berlin eine Hauptstadt bauen. Und in allen Plänen ‑ soweit ich das durchschaue ‑, die sich konkret mit diesem Bauen einer Hauptstadt befassen, spielt es eine ganz grobe Rolle, dass die Wasserstraben Berlins in der Lage sind, einen Grobteil des Schmutzes aus der Stadt zu schaffen. Wenn wir diesem Projekt 17 jetzt zustimmen würden, dann würden ‑ darüber scheint wohl Einigkeit zu bestehen ‑ die Wasserstraben zunächst einmal zehn Jahre überhaupt nicht mehr zur Verfügung stehen ‑ das nur einmal als Argument aus einer ganz anderen Richtung.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Kurt Neumann!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Damit steht fest, dass der Antrag 78/I/93 von der Konsensliste runterkommt in die Einzelberatung, die Konsensliste im übrigen unverändert bestehen bleibt ‑ auch mit Antrag 89, der an die Fraktion und den Fachausschub überwiesen wird und mit Antrag 60, der erledigt ist.

(Unruhe ‑ Zurufe)

‑ Und mit 78, der überwiesen wird, und 89/I/93, der hier als letzter Verkehrsantrag behandelt wird.

 

Dann können wir jetzt aber über die Konsensliste abstimmen, sonst bringt sie keine Vorteile mehr.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Zu den Vorschlägen, die jetzt gemacht sind, und der Herausnahme der genannten Anträge frage ich: Wer stimmt der Konsensliste ansonsten zu und gibt damit die Zustimmung zu den dortigen Empfehlungen? ‑ Danke! Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Bei einer Stimmenthaltung und einer Gegenstimme so beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Gut, dann kommen wir zu Antrag 61/II/92 (Tempelhof) auf Seite 16. Es geht um das Brandenburger Tor ‑ ein beliebtes Thema dieser Partei. Die Antragskommission empfiehlt Annahme.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir haben keine Wortmeldungen. Wer dem Vorschlag der Antragskommission folgen will, Annahme in der Fassung der Antragskommission, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Gegenprobe! ‑ Dann ist so beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 63/II/92 (Tempelhof), ebenfalls auf Seite 16: Es geht um Schienennetze von Bundesbahn und nicht bundeseigenen Eisenbahnen. Hier empfiehlt die Antragskommission ebenfalls Annahme.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir haben keine Wortmeldungen. Wer dem Vorschlag der Antragskommission folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Bei Stimmenthaltungen so beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Jetzt kommen wir zu inhaltlich schwierigeren Punkten: Antrag 66/II/92 ist ohne Empfehlung der Antragskommission geblieben, weil es Stimmengleichheit gab.

 

Dann gibt es zwischen den Anträgen 84/I/93 und 76/I/93 ein Alternativverhältnis. Die Mehrheit der Antragskommission hat sich für die Annahme des Antrags 84/I/93 auf Seite 84 in einer stark veränderten Fassung ausgesprochen.

 

Eine Minderheit der Antragskommission, die so gewichtig war, dass wir gesagt haben, Mehrheits‑ und Minderheitsvotum abdrucken, hat beschlossen, den Antrag 76/I/93 vorzuschlagen ‑ wiederum mit verschiedenen Änderungen. Ihr findet das auf Seite 79.

 

Diese drei Anträge, 66, 84 und 76, müssen zusammen diskutiert werden, weil sie dasselbe Thema behandeln.

(Zurufe)

‑ Ja, Genossinnen und Genossen, ich mache die Anträge nicht. Mit anderen zusammen versuche ich, sachgerechte Möglichkeiten der Bewältigung zu schaffen, und das ist schwer genug.

(Zurufe)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir diskutieren jetzt ‑ das ist der Vorschlag der Antragskommission ‑, soweit Diskussionsbedarf da ist, den Antrag 66/II/92 auf Seite 18 und alternativ ‑ jeweils zueinander jetzt ‑ die Anträge 84 und 76/I/93 auf den Seiten 84 und 79. Gibt es hierzu Wortmeldungen? ‑ Zu Antrag 84 hat sich Christian Gaebler gemeldet.

 

Christian   G a e b l e r   (Wilmersdorf): Ich will jetzt gar nicht besonders tief in die offensichtlich alle sehr bewegende Tunneldebatte einsteigen; die Argumente sind nämlich hinreichend bekannt oder stehen in den Anträgen ausreichend drin.

 

Ich möchte nur zwei Sachen sagen: Zum einen finde ich das, was die Antragskommission mit Antrag 84 gemacht hat, unmöglich. Dieser Antrag ist völlig verdreht worden. Es sind Sachen gestrichen worden, die meiner Meinung nach Selbstverständlichkeiten sind. Ich weise nur auf die Sache mit dem Bundesimmissionsschutzgesetz hin, dass man das einfach herausstreicht. Ich verstehe nicht, woher das kommt.

 

Dann sind Formulierungen darin, die sich in keinem anderen vorliegenden Antrag wiederfinden, sondern offensichtlich eigene Formulierungen einer Mehrheit der Antragskommission sind. Dazu muss ich aber sagen: Die Antragskommission soll versuchen, Kompromibvorschläge aus den vorliegenden Anträgen zu erarbeiten und nicht eigene, weitergehende Sachen hier hereinbringen. Dann stellt doch gefälligst eigene Anträge und versucht nicht, das über die Antragskommission zu machen!

(Beifall)

Ich habe dem ursprünglichen Antrag 84 im Fachausschub zugestimmt. Den könnte ich auch so tragen, muss ich sagen, weil ich ein gewisses Verständnis für Argumente habe, die für den Tunnel sprechen, auch wenn ich bei Abwägung der Argumente selbst dagegen bin. Diese Bedingungen, die hier für den Tunnel gesetzt werden, halte ich für sinnvoll und finde richtig, dass man gleich sagt, dass man sich schon Alternativlösungen ausdenkt, damit man nachher nicht unter Sachzwänge gestellt wird. In der ursprünglichen Fassung ist Antrag 84 also für mich tragbar.

 

Ansonsten würde ich euch vorschlagen, den Antrag 76 zur Grundlage zu nehmen. In jedem Fall denke ich, dass diese Vorfinanzierung, die die Abgeordnetenhausfraktion beschlossen hat, ein Unding ist. Wenn der Genosse Meisner vorhin noch erzählt, wie uns die Netto‑Kreditaufnahme und die Schuldenlast im Jahr 1997 die Handlungsfreiheit einschränken und dass sie jetzt die Netto‑Kreditaufnahme noch erhöhen für so einen Tunnel, wo wir eigentlich sagen, den wollen wir gar nicht finanzieren, sondern den soll Bonn finanzieren, das ist für mich nicht nachvollziehbar. Das sollen mir die Leute, die das hier geändert haben, auch noch einmal erklären.

(Beifall)

Ich möchte damit lieber mehr Kita‑Plätze bauen oder zum Beispiel den Leuten, die jetzt durch die ABM‑Streichung betroffen sind, Unterstützung leisten und nicht irgendwelche Sachen in Tiergarten verbuddeln. ‑ Danke.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Peter Strieder.

 

Peter   S t r i e d e r   (Kreuzberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Die Frage ist nicht, ob die Entlastungsstrabe überirdisch oder unterirdisch geführt wird, sondern die Frage ist, ob wir Lobbyist für einzelne sein wollen oder ob wir eine moderne Grobstadtpartei werden wollen. Das ist die Frage bei dieser Entscheidung; denn es geht nicht um den Tunnel, es geht um die Verkehrskonzeption der Innenstadt. Wollen wir endlich dazu kommen, dem, was in unserem Grundsatzprogramm steht, nachzukommen, nämlich Politik für die Menschen machen, oder wollen wir eine Politik machen, die dem Auto in der Innenstadt Vorrang gibt und Familien, Kinder und Alte aus der Innenstadt vertreibt? Wollen wir die Chancen nutzen, die Berlin hat in diesem Prozeb der Neugestaltung seiner Mitte? Oder wollen wir auch diese Mitte ‑ wie in so vielen anderen Städten ‑ dem ungezügelten Verkehr opfern?

 

Es ist menschengefährdend und körperverletzend, was der Autoverkehr hier macht. Es geht dabei nicht um die Frage, wie wir im Jahr 1994 den Verkehr führen, sondern es geht darum, ob wir es schaffen, ein modernes Berlin zu bauen für die Jahre 2000 ff. Dann mübten wir die Frage beantworten, ob wir es verantwortungsvoll hinnehmen können, dass weiterhin mehr als 200 Tonnen Gifte täglich ausgekippt werden, dass in der Innenstadt von Berlin bei den Kindern jetzt schon erhöhte Benzolkonzentrationen im Blut feststellbar sind. Wir müssen als Partei und als Politiker die Frage beantworten, ob wir die Zunahme von Krebserkrankungen in Grobstädten weiter fördern oder da endlich gegensteuern wollen.

(Beifall)

Und das hängt mit unserem Menschenbild zusammen. Das ist eine Frage der Grundwerte dieser Partei.

 

Die Verkehrspolitik entscheidet sich nur insoweit am Tunnel oder an der Oberbaumbrücke, als sie Bestandteil eines Versuchs sind, einen Strabenring, einen Stadtring wie zum Beispiel in München, zu schaffen, der nichts anderes bewirken wird, als ein zusätzliches Anziehen von Verkehr. Das ist die Konzeption.

(Vereinzelter Beifall)

Es gibt nicht die Konzeption, die uns von der Fraktion versprochen worden ist, dass es eine effektive Steuerung gäbe, 20 % Individualverkehr und 80 % öffentlichen Verkehr zu machen. Dafür gibt es überhaupt keine Vorbereitungen.

 

Es gibt auch gar keine Möglichkeiten zu verhindern, dass diejenigen, die auf dem Strabenring fahren, in die Innenstadt hineinfahren werden. Als Bezirkbürgermeister von Kreuzberg trage ich einen Teil der Verantwortung dafür, das ist auch ein Teil meines Eides, den Menschen zu dienen und Schaden abzuwenden. Wenn ich zustimmen würde, diesen Verkehr durch Kreuzberg zu führen, würde ich gegen diese Amtspflicht verstoben, so, wie alle, die an diesem Tunnelprojekt festhalten, gegen die Grundsätze unserer Partei verstoben.

 

Wir müssen sagen, was ist: Es wird nicht so sein, dass der Verkehr im Jahr 2000 oder 2010 in Berlin beherrschbar ist ‑ auch nicht mit Stadtautobahnen. Sondern wir werden im Interesse der Lebenfähigkeit der Stadt dazu kommen müssen, den Warenverkehr zu sichern und den Individualverkehr herauszunehmen. Es kommt darauf an, die Lebensfähigkeit der Stadt und nicht die Bequemlichkeit einzelner Autofahrer zu sichern. Deshalb: Schöne breite und neue Straben kann es in Berlin nicht geben, weder im Westen noch im Osten!

(Beifall)

Ich kann euch nur sagen: Auch das, was am Potsdamer Platz für die Zeit des Baues geplant wird, ist völlig verrückt. Der Versuch, eine grobe Brücke über den Potsdamer Platz zu planen, um den Innenstadtverkehr während der Bauzeit da herauszuholen, ist zum Scheitern verurteilt. Ich will denjenigen, die sagen, Berlin muss angesichts der vorhin von Norbert Meisner beschworenen Finanzlage 200 Millionen DM zunächst einmal als erste Rate vorfinanzieren, einen Brief des Senators für Finanzen an das Bezirksamt Kreuzberg vorlesen:

 

Wie Sie dem Aufstellungsrundschreiben entnehmen können, dürfen im übrigen Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen für neue Mabnahmen ohnehin erst für das Planungsjahr 1997 angemeldet werden und auch nur, sofern sie für zwingend notwendige Kapazitätserweiterungen einschlieblich der infrastrukturellen Mabnahmen aus Anlab von neuen Grobsiedlungen, sicherheitsbedingte Vorhaben sowie bauliche Mabnahmen für Olympia 2000 und die Hauptstadtfunktion vorgesehen werden.

 

Das müssen wir den Wählerinnen und Wählern erklären, die uns 1995 wählen sollen, dass wir dafür die Gelder ausgeben, vorfinanzieren, aber Kitas, Schulen und Sozialeinrichtungen nicht mehr finanzieren können.

(Beifall)

 

Präs. Silvia   P i c k e r t   : Es folgt Peter Schuster.

 

Peter   S c h u s t e r   (Tiergarten): Genossinnen und Genossen! Die heutige Sachentscheidung zum Verkehrskonzept in der Innenstadt liegt dem Parteitag so spät vor, dass Sachargumente überlagert werden durch die Argumente der Hauptstadtverhinderung und einen durch den Planungsablauf entstandenen Sachzwang. Allerdings wurde dem Sachzwang in den letzten Tagen von Herrn Diepgen, aber auch vom Genossen Bausenator kräftig nachgeholfen.

 

Ein Sachargument gegen den Tunnel will ich trotzdem nennen, und ich schliebe mich an meinen Vorredner an. Es ist ein Argument gegen die Folgen des Tunnels, als da sind der Autostrabenring um die City‑Ost, die unterschiedliche verkehrspolitische Behandlung der City‑Ost und der übrigen Gebiete im inneren S‑Bahnring. Ich meine genau wie Peter Strieder die Belastungen, die sich für die Menschen in der Stadt aus den Lärmemissionen, den Abgasemissionen und den Verkehrsunfällen ergeben. Die im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz erstellte Studie hat ergeben, dass die Grenzwerte bereits jetzt zum Teil drastisch überschritten werden und ‑ so die Schlubfolgerung ‑ im Hauptverkehrsstrabennetz der Berliner Innenstadt umgehend Mabnahmen zum Schutz der Umwelt und der Gesundheit der Anwohner erforderlich sind.

 

Die Gesamtstudie ist immer noch nicht veröffentlicht. Sie soll aber angeblich die Aussage enthalten, dass eine Verringerung des innerstädtischen Kraftfahrzeugverkehrs um 25 bis 30 % gegenüber 1991 als notwendig angesehen wird.

 

Wenn wir schon ständig mit Sachzwängen konfrontiert werden, dann frage ich mich: Warum haben wir als SPD Berlin die Bonner Forderung auf Verzicht des Durchgangsverkehrs im Regierungs‑ und Parlamentsviertel und später die Finanzierungsfrage nicht als Sachzwang begriffen, um an dieser Stelle einen Beitrag zur Reduzierung des Kraftfahrzeugverkehrs zu leisten und dadurch auch eine öffentliche Diskussion über unser Verkehrskonzept zu beginnen?

 

Lasst mich kurz den Inhalt des Tiergartener Antrags Nr. 76 skizzieren: Nach der Einleitung, die im wesentlichen die Philosophie des Verkehrskonzepts der Fraktion vom Herbst 1991 wiedergibt, schlieben sich Handlungsaufforderungen an die Fraktion an, insbesondere die Aufforderung, Alternativen zum Tunnel und seinen Konsequenzen überhaupt einmal zu prüfen und in die öffentliche Diskussion zu gehen. Und in die Prüfung dieser Alternativen muss auch die Umwelt‑ und Stadtverträglichkeit einbezogen werden; zweitens die Aufforderung, den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs als Voraussetzung für den Hauptstadtumzug vorrangig voranzutreiben. Hier hätten wir nichts gegen eine Vorfinanzierung des ÖPNV.

(Vereinzelter Beifall)

Schlieblich ‑ drittens ‑ soll die SPD, aber auch der Senat, einen öffentlichen Dialog über Verkehrsplanung mit der Bevölkerung führen. Nur wer mit den Menschen redet, kann sie bei schwierigen politischen Entscheidungen mitnehmen und ihre Bedürfnisse einbeziehen.

(Vereinzelter Beifall)

Auf dem innerparteilichen Verkehrsforum der Innenstadtbezirke vor einer Woche erklärte der Experte Professor Kutter vom DIW, ob der Tunnel gebaut wird oder nicht, dies ändere nichts an den eigentlichen Verkehrsproblemen der Stadt. Wenn das so ist: Warum müssen wir ihn dann bauen? Warum müssen wir ihn vorfinanzieren? Und wer garantiert uns, dass Berlin nicht auf den gesamten Baukosten des Tunnels sitzen bleibt?

(Beifall)

Heute sagt man uns, er soll 600 Millionen DM kosten, und alle Erfahrung zeigt, dass daraus schnell eine Milliarde DM wird. Wir können wir das vor den Menschen unserer Stadt verantworten,

(Präs. Silvia Pickert: Komme bitte zum Schlub!)

wenn ihnen gleichzeitig erhebliche Einschnitte im Bildungs‑, Jugend‑ und Sozialbereich zugemutet werden?

 

Ich komme zu meinen zwei letzten Sätzen.

(Unruhe ‑ Präs. Silvia Pickert: Also, wir haben eine dreiminütige Redezeit, die hast du schon lange überschritten!)

Ich komme dann zum Schlub, wobei ich meine Enttäuschung nicht verbergen kann, dass der Parteitag solche wichtigen Diskussionen mit einer Drei‑Minuten‑Frist belegt, die keine Zeit läbt, die Dinge so auszudiskutieren, wie sie ausdiskutiert werden mübten. Die Diskussionskultur geht auch in unserer Partei den Bach runter!

(Unruhe)

An der heutigen Diskussion ist zum einen wichtig, wie entschieden wird, aber es ist auch genauso wichtig, dass der Landesparteitag überhaupt in dieser Frage entscheidet! Deshalb muss ‑ unabhängig davon, wie heute entschieden wird ‑ die Botschaft auch sein, dass in Zukunft der Parteitag   v o r   solchen Entscheidungen zu hören ist.

(Beifall)

Ich bitte euch um Zustimmung für den Tiergartener Antrag!

 

Präs. Silvia   P i c k e r t   : Ich finde das nicht okay, wie du hier mit dem Präsidium umgehst.

(Beifall)

 

Peter   S c h u s t e r   (Tiergarten): Ich muss dazu sagen: Dies ist ein Tiergartener Antrag. Ich hatte darum gebeten, die Begründung für diesen Antrag abgeben zu dürfen. Normalerweise gibt es hierfür keine Redezeitbegrenzung.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Silvia   P i c k e r t   : Monika Buttgereit!

 

Monika   B u t t g e r e i t   (Schöneberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Wir hatten vor einigen Tagen eine Veranstaltung zur Verkehrspolitik in Berlin, die von den Innenstadtbezirken veranstaltet wurde. Dabei zeigte sich sehr deutlich, dass wir uns, was die groben Leitlinien angeht, alle in dieser Partei einig sind. Das heibt, es wird niemand mehr dagegen reden, dass der öffentliche Personennahverkehr vor dem Pkw‑Verkehr Vorrang haben mub.

 

Wenn es aber darum geht, diese Leitlinien in praktische Politik umzusetzen, dann vermisse ich das Engagement vieler Genossinnen und Genossen, das, was wir uns in der Theorie alle deutlich gemacht haben, was wir auch in Parteitagsbeschlüssen beschlieben, auch in der öffentlichen Diskussion durchzustehen und da dann auch zu unseren Leitlinien zu stehen. Immer, wenn es konkret wird, dann gehen einige von der Stange. Da unterschätzen sie die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, die in der verkehrspolitischen Diskussion schon viel weiter sind als Teile in der Berliner SPD.

(Beifall)

Wenn ich heutzutage lese, dass die Oberbaumbrücke zunächst für den Personenkraftverkehr geöffnet wird und irgendwann 1995 dann vielleicht die Strabenbahn dort mal fahren soll, dann finde ich das einen Skandal, dass unsere sozialdemokratischen Senatorinnen und Senatoren bei einem solchen Beschlub mitmachen. Genau die umgekehrte Reihenfolge muss es doch sein,

(Beifall)

es sei denn, wir nehmen alles das, was wir verkehrspolitisch als Leitlinien beschlossen haben, überhaupt nicht ernst.

 

Nun zu dem Argument: Wenn wir den Tunnel nicht bauen, dann kommt die Hauptstadt nicht. ‑ Ich muss euch ganz ehrlich sagen: Ich finde dieses Argument absolut lächerlich,

(Vereinzelter Beifall)

dass irgend jemand meint, die Leute in Bonn, die nicht nach Berlin kommen, würden sich dadurch erpressen lassen oder dadurch genötigt fühlen, nach Berlin zu kommen, dass wir Hunderte von Millionen DM in einen Tunnel pressen. Das glaubt doch wohl niemand angesichts der Initiativen, die jetzt auch gerade wieder in Bonn laufen ‑ von Abgeordneten, von CDU‑Seite, die in Bonn bleiben wollen und die gegen Berlin Stimmung machen. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendeiner von denen davon überzeugt worden ist, dass wir bereit sind, einen Tunnel vorzufinanzieren. Bei dieser Vorfinanzierung wird es denn wohl bleiben, weil Bonn natürlich keine müde Mark in diesen Tunnel stecken wird, wenn Berlin denn von sich aus schon bereit ist, ihn zu finanzieren.

 

Ich weib nicht, ob Wolfgang Nagel noch da ist ‑ er ist wohl weg. Eberhard Diepgen hat am Anfang dieser Woche eine Presseerklärung gegeben, in der er gesagt hat, dass der Tunnel finanziert werden soll, und zwar nicht durch Aufnahme von Krediten, wie es vorher immer hieb, sondern dadurch, dass Mittel aus dem Haushalt des Genossen Nagel, also aus dem Bauhaushalt, zur Verfügung gestellt werden sollen, und zwar von Investitionsmitteln. Und das, liebe Genossinnen und Genossen, heibt: Es steht hier der Tunnelbau gegen den Bau von Sozialbauwohnungen.

(Beifall)

Und selbst wenn wir dafür Kredite aufnehmen sollten oder könnten, dann muss ich mich wirklich fragen: Bei allen Projekten, die wir hier diskutiert haben ‑ wir haben vorhin über Sparpolitik diskutiert ‑, da heißt es immer, wir haben kein Geld, wir müssen sparen und sparen, aber für einen Tunnel ist es offensichtlich überhaupt kein Problem, Hunderte von Millionen an Mark aufzunehmen, um ihn zu finanzieren. Ich fordere, wenn wir das Geld dann aufnehmen, dass wir es in den öffentlichen Personennahverkehr stecken.

(Beifall)

Es ist doch ein Skandal, dass auf der einen Seite ein Tunnel finanziert wird, und auf der anderen Seite werden diejenigen, die die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, damit konfrontiert, dass Taktzeiten verlängert werden, dass Züge ausfallen,

(Präs. Silvia Pickert: Monika, bitte komme zum Schlub!)

dass Busse ausfallen, dass Linien eingestellt werden. Das ist eine Konterkarierung dessen, was wir an verkehrpolitischen Leitlinien beschlossen haben.

(Beifall)

 

Präs. Silvia   P i c k e r t   : Vielen Dank, Monika! ‑ Ich möchte mitteilen: Dieses war die einzige weibliche Wortmeldung zu diesem Superthema; also des Mannes liebstes Spielzeug kommt dann noch zwanzigmal heute abend.

(Vereinzelter Beifall)

Es folgt Horst Porath.

 

Horst   P o r a t h   (Tiergarten): Liebe Genossinnen und Genossen, lasst mich aus meiner Sicht ‑ als Baustadtrat in Tiergarten ‑ auch ein paar Takte dazu sagen: Auch ich habe, wie Peter Strieder, eine gewisse Verantwortung in diesem Bereich, was die Verkehrssituation anbelangt. Wir haben in dem gesamten Innenstadtbereich ‑ das haben die ersten Messungen ergeben und bewiesen ‑ eine erhöhte Schadstoffkonzentration, die sich immer weiter und weiter ausdehnt. Normalerweise, wenn man die eigenen Messungen ernst nimmt, mübten einige Straben schon längst für den Fahrzeugverkehr gesperrt werden.

 

Das, was wir heute diskutieren, ist doch nur ein Teil einer Situation, die uns seit dem Beginn der groben Koalition bewegt. Diese grobe Koalition ist nicht in der Lage gewesen, ein schlüssiges Verkehrskonzept für den Berliner Raum herzustellen. Hier wird nur rumgewerkelt; hier wird nur an einzelnen Punkten versucht, eine Lösung zu finden, wie diese rund zwei km Tunnelsituation durch den Groben Tiergarten.

 

Die Argumente, dass der Bund den Tunnel braucht, sind doch auch durch die Schriftstücke widerlegt. Der Bund sagt ausdrücklich, er will keinen Durchgangsverkehr in diesem Bereich haben. Diese Situation ist von Verkehrssenator Haase dazu umgemünzt worden, zu sagen, jetzt muss der Tunnel her. Dazu vermisse ich allerdings ein klares Wort unserer Fraktion und die Einforderung eines Verkehrskonzepts für den gesamten Innenstadtbereich. Da helfen auch nicht die Beschlüsse, dass ein 80:20‑Modell im sogenannten „kleinen Hundekopf“ herbeigeführt werde. Es muss ein 80:20‑Modell im gesamten Bereich der Innenstadt ‑ sprich: alles, was innerhalb des S‑Bahnrings liegt ‑ geschaffen werden!

(Vereinzelter Beifall)

Wer glaubt, dass mit der Tunnelsituation nur eine Frage des Verkehrs gelöst werden wird, der irrt sich! Seht euch doch an, wo die sogenannten Tunnelmünder entstehen, wo sie herauskommen, wo sie hineingehen. Was, glaubt ihr denn, was im Bezirk Mitte und im Bezirk Wedding passieren wird, wenn sich über die Heidestrabe hin zur Haberlandstrabe oder über die Heidestrabe in den Bezirk Wedding hinein dann dieser Autoflub ergiebt? Und in der südlichen Situation ist es genau dasselbe. Seht euch das doch einmal völlig vorurteilsfrei an, und dann werdet ihr sehen, dass das absolut keine Lösung ist.

 

Ich vermisse noch etwas: Wenn man an diesen Tunnel rangeht, dann sollte man vorher eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchführen und nicht begleitend, dann anschliebend, wenn eine angebliche Entscheidung fallen wird. Ich kann euch sagen: Die ersten Informationen, die über die Umweltverträglichkeitsprüfung vorliegen, sagen, dass es verdammte Schwierigkeiten geben wird ‑ nicht nur mit der Grundwasserabsenkung, sondern auch mit der Entlüftungssituation im Groben Tiergarten. Diese Schornsteine müssen nämlich über die jetzt bestehenden und zukünftigen Bauten im Regierungsbezirk herbeigeführt werden. Ich kann euch an dieser Stelle nur raten, die Situation herbeizuführen, dass wir als Landesparteitag hier noch einmal einen Punkt sagen: Nehmt bitte nicht die Verkehrssituation der 60er und 70er Jahre, verfahrt nach neuen Erkenntnissen, die wir in diesem Bereich haben, und fallt nicht in die Verkehrspolitik der 70er Jahre zurück!

(Beifall)

 

Präs. Silvia   P i c k e r t   : Rudi Kujath!

 

Rudi   K u j a t h   (Charlottenburg): Genossinnen und Genossen! Als der Bundestag im Sommer 1991 die Entscheidung getroffen hat, Berlin wird Hauptstadt der neuen Bundesrepublik Deutschland, ist allen von uns ein riesiger Stein vom Herzen gefallen. Wir haben alle gejubelt, denn wir alle hatten vorher noch Ängste gehabt, dass ein gegenteiliger Beschlub herauskommt. Wir wollten nicht Hauptstadt der Hauptstadt wegen werden, sondern weil Hauptstadt heibt, dass die Stadt ein wirtschaftliches Fundament bekommt, das sie bitter nötig hat.

(Vereinzelter Beifall)

West‑Berlin hängt nicht mehr am Tropf des Bundes. Wir müssen uns auf eigene Beine stellen. Und jeder von uns weib, wie es im Ostteil der Stadt aussieht, wie hoch das Steueraufkommen dort ist, wie grob die Probleme sind, und was es kostet.

 

Wer die wirtschaftliche Perspektive Berlins sicherstellen will, muss sicherstellen, dass wir nicht nur auf dem Papier Hauptstadt sind, sondern dass der Umzug so schnell wie möglich kommt. Es ist gerade eine Sache der SPD ‑ nach dem Hin‑ und Hertaktieren beim Hauptstadtbeschlub, bei der Peinlichkeit mit der Verlagerung der Parteizentrale von Bonn nach Berlin ‑, dass gerade Sozialdemokraten bei dem Punkt zeigen, dass wir die Hauptstadt wirklich wollen.

(Vereinzelter Beifall9

Dazu gehört natürlich auch, dass man Konsequenzen zieht. Hauptstadt gibt es nicht für Null ouvert. Wer Hauptstadt will, muss dafür auch etwas bringen.

 

Nun wollen wir nicht irgendeine Hauptstadt sein, sondern ‑ da stimme ich den Kritikern zu ‑ Mitte, der Teil Spreebogen, der Teil Spreeinsel, dort, wo sich die Hauptstadt konzentrieren wird, müssen vom Durchgangsverkehr entlastet werden. Doch das geht nur, wenn das Ringkonzept kommt. Wie denn sonst? Ihr selbst habt gerade eben noch, die Kritiker mit dem Antrag vorher, dem Pilzkonzept für die Eisenbahn zugestimmt. Hier war ein einmütiger Beschlub. Damit haben wir hier gemeinsam beschlossen, dass Tunnel gebaut werden.

(Beifall)

Der ICE wird im Tunnel geführt. Die Regionalbahn kommt im Tunnel. Ich habe noch keinen Tiergartener gehört, der gesagt hat, die U‑Bahn wird als Hochbahn durch den Tiergarten geführt.

(Beifall)

Im Gegenteil! Die Debatte, die hier geführt wird, ist doch keine, bei der es um die Tunnel geht. Da gibt es einige, die sagen, die Tieferlegung der Entlastungsstrabe wollen wir nicht; denn darum geht es. Es geht nicht darum, dass die Westtangente kommt. Seht euch den neuen FNP an; seht euch die Vereinbarung an. Es gibt keinen in Fraktion und Senat ‑ nicht einmal Wolfgang Nagel; schade, wenn er nicht mehr hier ist ‑, der ernsthaft will, dass irgendwo Weichen gestellt werden zugunsten eines Wiederauflebens „Planung Westtangente“.

 

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Nur dann, wenn die Tieferlegung der Entlastungsstrabe kommt, gibt es die Chance, im neuen FNP endlich festzuzurren, dass die Westtangente endgültig weg ist. Mir soll einmal einer nachweisen, was dies mit mehr Verkehr zu tun hat. Das sind doch Schimären, die dort diskutiert werden; das ist völlig weltfremd. Dadurch wird nicht mehr Verkehr in die Innenstadt gezogen, sondern, umgekehrt, abgeleitet. Wie denn sonst soll die Innenstadt überhaupt verkraften, was dort an Investitionsvorhaben läuft? Denkt doch einmal an die Grobbauvorhaben der Friedrichstrabe. Denkt an das, was am Potsdamer/Leipziger Platz geschehen wird. Denkt an die Baulücken im Bezirk Mitte ‑ die werden natürlich und Gott sei Dank bebaut. Es wäre doch aberwitzig, deshalb jetzt davon auszugehen, ein Strabentunnel wäre in der Lage, dies nachher mit dem Individualverkehr zu bedienen. Wer so argumentiert, sieht nicht, was für eine Bruttogeschobfläche hier entsteht, wie viele Arbeitsplätze und wieviel Wohnraum. Deshalb sollten diejenigen, die Kritiker des Tunnelkonzepts sind, ihre Fragestellung wirklich präzisieren, damit die Debatte sachlich wird.

 

Noch einen ‑ wegen der Zeit ‑ letzten Hinweis: Die meisten von euch wissen, dass ich mit Harry Ristock politisch grob geworden bin. Eines der zentralen Anliegen von Harry Ristock war es, die Entlastungsstrabe als Tunnel zu führen. Wer es nicht glaubt, kann es gern nachlesen in dem, was er insgesamt produziert hat; ich habe es mitgebracht.

(Beifall)

 

Präs. Silvia   P i c k e r t   : Georg Dybe!

 

Georg   D y b e   (Wilmersdorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Kennt ihr diesen Aufkleber noch? „Berlin die Hauptstadt“ steht darauf, und er zeigt das Brandenburger Tor, umgeben von schönen grünen Bäumen und ein paar Punkten, die offensichtlich Leute darstellen sollen. Die Leute haben wir mittlerweile vor dem Brandenburger Tor schon durch Autos ersetzt, und es ist gar nicht so lange hin, bis wir auch noch die Bäume, die im Tiergarten stehen, wegkriegen. Wunderbar, Punkt 2 des Plans auch noch erfüllt!

 

Doch jetzt zum Tunnel, und da kriegen einige immer ganz, ganz schnell den Tunnelblick: Natürlich bezahlt das alles Bonn, und natürlich stirbt kein einziger Baum, und natürlich werden auch alle Verkehrsströme gelenkt, das ist doch völlig klar, und natürlich werdet ihr auch einen Experten finden, der euch das genau bestätigt. Nur, wir alle wissen doch, selbst diese sogenannten Expertenmeinungen sind letzten Endes doch nur politisch gelenkt, und auch eine Expertenmeinung ist politisch bedingt.

(Vereinzelter Beifall)

Deshalb denke ich, auf diese Diskussion braucht man sich nicht einzulassen; hier ist eine politische Entscheidung zu fällen.

 

Noch ein Stichwort zur Vorfinanzierung: Als jemand, der auch gerade in studentischen Vollversammlungen immer dafür eingetreten ist, zu sagen: keine zu unrealistischen Vorstellungen, die Finanzlage in Berlin ist schlecht, fühlte ich mich ganz schlecht, als im Kreisvorstand Wilmersdorf auf die Frage: Ja, wie soll das denn mit der Vorfinanzierung eigentlich laufen? gesagt wurde: Ja, dann nehmen wir halt Kredite auf! In diesem Moment wäre ich wirklich am liebsten im Erdboden versunken. Als jemand, der sich in studentischen Vollversammlungen dafür ausbuhen lieb, mubte ich mir dann so etwas anhören. Das war wirklich bitter.

 

Keinen Steinwurf von hier entfernt, im Strabenzug Hans‑Beimler‑Strabe/Grunerstrabe, erleben wir einen Autotunnel sehr viel moderater als der durch den Tiergarten. Bar aller ökologischen Vorstellung, allein vom ästhetischen her, ist dieser Autotunnel wohl mit das Furchtbarste, was man dieser Gegend um den Alexanderplatz überhaupt nur dazudichten konnte.

(Vereinzelter Beifall)

Wie froh sind die Zehlendorfer ‑ um nur ein fiktives Beispiel zu nehmen ‑, dass es durch ihren Ortskern keine Strabenunterführung führt. Wie froh wären Wilmersdorfer und Steglitzer, wenn am Breitenbachplatz nicht eine häbliche Autobahnbrücke den gesamten Platz verschandeln würde, der vorher zu den schönsten Plätzen in Berlin gezählt hat!

(Beifall)

Wie froh wären die Charlottenburger, wenn der Ernst‑Reuter‑Platz nicht nach jener automobilen Ideologie nur für den Autoverkehr und mit möglichst drei bis vier Spuren ausgebaut worden wäre.

 

Das waren sozialdemokratische Projekte der Vergangenheit, es wurde gesagt, der 60er und 70er Jahre. Das waren Projekte von gestern. Vermeiden wir heute die Fehler von morgen ‑ deshalb: Nein zum Tunnel ‑ und lasst mich das auch noch anfügen ‑ und Nein zum Hundekopf! ‑ Ich danke euch.

(Beifall)

 

Präs. Silvia   P i c k e r t   : Heike Liebfeld!

 

Heike   L i e b f e l d   (Spandau): Man soll Harry nicht zu häufig und nicht für seine eigenen Zwecke zitieren ‑ Rudi hat damit angefangen. Harry hat damals eine UVP durchführen lassen. Er hat auch in der Fraktion, als im November 1991 die Tunneldebatte anstand, die Ergebnisse dieser UVP noch gekannt, dass die Tunnellösung nämlich sehr viel günstiger gewesen wäre als die Entlastungsstrabe.

 

Nun bin ich etwas irritiert über den Antrag des Fachausschusses, die Nummer 84. Ich frage mich als nicht Verkehrsexperte: Warum wird eigentlich für den Strabentummel eine UVP gefordert und die anderen Tunnel ‑ es ist schon mehrfach darauf hingewiesen ‑, die zum Teil sehr viel tiefer liegen, die das Grundwasser nach meiner bescheidenen Kenntnis sehr viel stärker beinflussen mübten, stehen auber Frage? Ich frage mich dann allerdings auch, wenn wir weiterhin von einem Nord‑Süd‑Verkehr, auch Individual‑ oder Lieferverkehr ausgehen ‑ und ich glaube, dieses werden wir tun müssen ‑, wo denn dann der Verkehr, der bisher in der Entlastungsstrabe gelaufen ist, langgehen wird.

 

Da wundere ich mich etwas über die Tiergartener, dass sie nicht sehen, dass der Nord‑Süd‑Verkehr in diesem Bereich sich dann natürlich andere Wege auch durch den Bezirk Tiergarten suchen wird. Ich bin eigentlich immer davon ausgegangen, dass hinter dem Schlob Bellevue auch noch ein Stück Wohnbebauung kommt. Oder auf der anderen Seite wird sich der Verkehr doch mal durch die Friedrichstrabe drängen; er wird sich durch die Toleranzstrabe drängen und alles, was da ist.

 

Also, ich hätte von den Gegnern des Tunnels dann auch mal praktische Informationen zur Führung des Ziel‑ und Quellverkehrs in Nord‑Süd‑Richtung als nur immer die hehren Worte, denen ich zustimmen kann. Aber sich nur auf diese hehren Worte zu berufen, ist für meine Begriffe auch nicht die Alternative in der Situation, in der wir sind. ‑ Danke.

(Beifall)

 

Präs. Silvia   P i c k e r t   : Ditmar Staffelt!

 

Ditmar   S t a f f e l t   : Liebe Genossinnen und Genossen! Ich habe mich schon öffentlich dazu geäubert, dass ich es für wenig sinnvoll halte, aus der Tunnelfrage eine Glaubensfrage zu machen. Ich denke, dass wir ganz praktisch und auf der Grundlage unserer verkehrspolitischen Philosophie an den Bau dieser Hauptstadt Berlin herangehen müssen. Das bedeutet für mich ‑ erstens ‑ Priorität für den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs,

(Zuruf)

dort ökologischer Umbau wo es nur irgend geht. Und wenn hier irgendwer dazwischenruft, dann tut es doch. Wir tun es, Tag für Tag, indem Mittel für den ÖPNV in Investitionsform in den Berliner Haushalt in dem Mabe eingestellt worden sind wie in der gesamten Geschichte dieses Landes Berlin nach dem Kriege nicht mehr! Das bitte ich, doch einmal zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall)

Wir haben allein 1992 mehr als 700 Millionen DM in S‑Bahn‑ und U‑Bahnausbau investiert. Wir haben ein Strabenbahnkonzept inzwischen verabschiedet. Und, Genossinnen und Genossen, Koalition hin, Koalition her: Dieser Parteitag hat eine Koalitionsvereinbarung beschlossen, danach wären die Busspuren fast auf Null zurückgefahren worden. Wir haben in den Verhandlungen erreicht, dass 280 km Busspur und Busbeschleunigung bis Ende 1993 realisiert werden. Ist das keine fortschrittliche Verkehrspolitik für diese Stadt?

(Beifall)

Wer hat denn die Idee über Parkraumbewirtschaftung in dieser Stadt in die öffentliche Debatte gebracht? Die sozialdemokratische Fraktion beziehungsweise die Sozialdemokratische Partei! Und wir werden in den Innenstadtbereichen modellhaft Parkraumbewirtschaftung praktizieren, um eben Verkehr aus den Innenstädten herauszunehmen. Das alles ist unser verkehrspolitisches Bestreben in vielen, mühsamen Schritten.

 

Aber ich weise darauf hin, dass wir, nur wenn wir die groben Bereiche „kleiner Hundekopf“ oder auch „West‑City“ in vernünftiger Weise mit dem Individualverkehr umfahren können, überhaupt die Beruhigungsmabnahmen bei gleichzeitigem gutem Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs erreichen können. Dass das heute noch nicht sichtbar ist, will ich gern zugeben, denn das ist ein Prozeb. Die Stadt wird nicht in zwei Jahren gebaut, sie wird in zehn, fünfzehn, in zwanzig Jahren gebaut. Heute legen wir die Fundamente dafür.

 

Aber, sich an einem Tunnel festzuhalten, der im übrigen zur Folge hat, dass der Tiergarten geschlossen wird, was ich für einen groben Fortschritt halte,

(Beifall)

einen Tunnel, der dazu führt, dass der gesamte Verkehr von Süd nach Nord eben nicht mehr in Form von Quell‑ und Zielverkehr rings um den Tiergarten über das Brandenburger Tor in den östlichen Teil der Stadt hineinflieben kann, das ist meiner Ansicht nach eine sinnvolle Entscheidung. Und man darf sich nicht in eine Position hineinmanövrieren, wo der Eindruck entsteht, man hätte sozusagen eine Ablehnung gegen alles, was Tunnel heibt. Tunnel machen wir nur dann, wenn es auch sinnvoll ist.

 

Und noch eines: Die Bundesregierung wollte, dass in diesem Bereich endlich eine Entlastung des Gebietes stattfindet. Das haben wir aufgenommen.

(Glocke des Präsidiums)

‑ Zwei Sätze noch. ‑ Ich weise darauf hin: Dies ist aus meiner Sicht für den Bau des Parlaments‑ und Regierungssitzes erforderlich.

 

Wenn hier von 200 Millionen DM Vorfinanzierung geredet wird, dann sage ich nur eines: Wer eine Rechnung aufmacht, jede Mark in den konsumtiven Teil stecken zu wollen und nicht mehr an Investitionen zu denken, der hat im übrigen auch eine falsche Politik im Blickwinkel!

(Beifall)

Denn es ist zentral für uns, dass Bundesregierung und Bundestag, Sony und Daimler‑Benz sich nicht länger herausreden können, mit ihren Investitionen in der Stadt zu beginnen, weil der Tunnel nicht entschieden und finanziert ist.

(Beifall)

Deshalb mein allerletzter Satz: Ich denke, anderthalb Jahre nach der Entscheidung,

(Präs. Silvia Pickert: Komme bitte zum Schlub, Ditmar!)

wo alle, die geplant und diskutiert haben, sich darauf eingestellt haben, dies wäre eine Entscheidung, die die SPD nicht nach vorn führt, sondern die sie zurückführt. Das möchte ich nicht, und deshalb bitte ich um Ablehnung dieses Antrags.

(Beifall)

 

Präs. Silvia   P i c k e r t   : Ein Antrag zur Geschäftsordnung.

 

  1. N. : Liebe Genossinnen und Genossen! Deutschland hatte 40 Jahre lang eine provisorische Hauptstadt. Berlin muss eine Hauptstadt werden, die weltstädtischen Charakter hat. Und deshalb ‑ die Argumente wurden ausgetauscht; wir haben nicht das erste Mal über den Tunnel geredet: in allen Bezirken wurde darüber gesprochen, auf zwei Landesparteitagen wurde darüber gesprochen ‑: Ich bitte, jetzt zur Abstimmung zu kommen!

 

Präs. Silvia   P i c k e r t   : Spricht jemand gegen diesen Antrag?

(Zurufe: Ja, ja!)

Okay, es ist dagegen gesprochen. Dann stelle ich jetzt diesen Geschäftsordnungsantrag zur Abstimmung.

 

Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke. Die Gegenstimmen! ‑ Das erste war eindeutig die Mehrheit. Damit ist das Ende der Debatte beschlossen.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Kurt Neumann!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Das erfordert von uns ein erhöhtes Mab an Aufmerksamkeit. Zunächst muss ich aber eines klarstellen: Die Antragskommission hat angesichts der unterschiedlichen Anträge versucht, eine Entscheidungsalternative herbeizuführen, und da haben jeweils zwei Genossen Anträge überarbeitet: Hermann Borghorst hinsichtlich des Antrags 84 und Peter Schuster hinsichtlich des Antrags 76. Ich halte das für sachgerecht und für den Parteitag förderlich. Ich denke nicht, dass da irgend jemand durch eine Veränderung der Anträge manipuliert hat, um hier eine klare Entscheidungssituation herbeizuführen.

 

Wir sollten uns jetzt den Anträgen 84 und 76 zuwenden und zunächst feststellen, welcher dieser Anträge zur Grundlage gemacht wird. Die Antragskommission in ihrer Mehrheit empfiehlt ‑ ‑

(Zuruf von Hermann Borghorst)

‑ Der Parteitag ist souverän, das zu entscheiden. Hermann, ich bin in der Lage, Empfehlungen der Antragskommission hier zu übermitteln. Ich bitte dich wirklich, das zu unterlassen; das muss ich nun doch öffentlich machen. ‑ Es geht darum, ob Antrag 84 oder 76 Grundlage ist, weil Änderungsanträge bei dieser Gemengelage wohl möglich sein müssen. Die Empfehlung der Antragskommission ist, Antrag 84 zur Grundlage zu machen. Darüber sollte zunächst abgestimmt werden. Und dann muss die Frage gestellt werden, ob Änderungsanträge da sind. Wir können doch die Geschäftsordnung nicht auber Kraft setzen, nur weil einige bei diesem Punkt etwas unruhig werden. Die Antragskommission empfiehlt, nicht Antrag 76, sondern Antrag 84 zur Grundlage zu machen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es liegt euch auf blauem Papier vor, dass Antrag 84 in der Fassung der Antragskommission angenommen werden soll. Und es gibt ein Minderheitsvotum, Antrag 76 in der Fassung der Antragskommission anzunehmen. Hierzu ist jetzt von dem Leiter der Antragskommission vorgetragen worden, zunächst die Entscheidung darüber zu treffen, ob Antrag 84 zur Grundlage gemacht werden soll. Nach der Geschäftsordnung mübten wir beide Anträge sowieso miteinander abstimmen ‑ entweder 84 und 76.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Lasst uns es noch einmal erläutern: Es gibt immer die Möglichkeit, dass Antrag 84 zur Grundlage gemacht wird und einzelne Änderungen noch beantragt werden; dies muss möglich sein. Deshalb ist zunächst zu entscheiden, was Grundlage ist. Und aus der Empfehlung der Antragskommission folgt, dass Antrag 84 Grundlage ist. Wenn Änderungsanträge gemacht werden, dass Antrag 76 inhaltlich reinformuliert werden soll, dann ist es das Votum der Antragskommission, dieses abzulehnen. Aber es muss doch möglich sein, weil es ja nicht nur zwei Möglichkeiten gibt. Es gibt theoretisch die Möglichkeit, dass beide abgelehnt werden. Deshalb ist zunächst darüber abzustimmen, was Grundlage ist. Das ist, glaube ich, auch nicht geheimnisvoll, und da muss sich nun niemand manipuliert fühlen.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Präsidium ist sich einig. Dann lasse ich erst einmal darüber abstimmen, ob Antrag 84 die Grundlage ist. Ich bitte um das Kartenzeichen, wer dafür ist, dass Antrag 84 die Grundlage ist. ‑ Danke. Gegenstimmen? ‑ Das erste war gegen wenige Gegenstimmen eindeutig die Mehrheit. Damit machen wir Antrag 84 zur Grundlage.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Gut, Genossinnen und Genossen! Dann müssen wir jetzt sehen, ob Änderungsanträge vorlagen. Es gab einen Antrag aus Wilmersdorf, ist mir signalisiert worden.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Christian Gaebler, bitte!

 

Christian   G a e b l e r   (Wilmersdorf): Ich hatte es schon vorhin gesagt: Ich bin dafür, dass Antrag 84 in der alten Fassung angenommen wird und nicht in der Fassung der Antragskommission.

(Vereinzelter Beifall)

Insofern beantrage ich, dass die Änderungen der Antragskommission rückgängig gemacht werden.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Die Antragslage ist einfach. Die Antragskommission empfiehlt Annahme in der Fassung der Antragskommission. Wenn dies angenommen ist, erübrigt sich dieser Änderungsantrag. Wenn das abgelehnt wird, müssen wir darüber abstimmen, ob dieser Änderungsantrag zum Zuge kommt. So ist die Verfahrenslage.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Dann stimmen wir jetzt zunächst über den zur Grundlage gemachten Antrag 84 in der Fassung der Antragskommission ab. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Die Gegenprobe! ‑ Das erste war die Mehrheit ‑ eindeutige Meinung im Präsidium.

(Beifall)

Kurt, du hast das Wort.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Mit diesem Votum ist dann der Antrag 66, bei dem es kein Votum der Antragskommission gab, erledigt, weil Antrag 66 inhaltlich dem Antrag 84 widersprechen würde. Ich bitte, dieses festzustellen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Ist hiermit Einverständnis? ‑ Ich höre keinen Widerspruch, dann wird so verfahren.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann verbleibt für uns Antrag 89/I/93, der von der Konsensliste in die Einzelberatung gekommen ist. Dazu hat in der Sache vorhin schon Peter Meyer etwas gesagt, aber vielleicht gibt es weitere Meinungsäuberungen dazu.

 

Martin   K r u g   (Juso AG ‑ mit einem Spaten in der Hand): Liebe Genossinnen und Genossen! Ihr habt uns jetzt ein bibchen die Show gestohlen, indem ihr die Redeliste einfach abgesetzt habt. Wir wollten eigentlich ‑ denn wir sind davon ausgegangen, dass sich der Parteitag in irgendeiner Art und Weise für den Tunnel entscheiden wird ‑ dem Genossen Wolfgang Nagel unseren ganz persönlichen Dank für sein persönliches Engagement bei diesem Vorhaben aussprechen und ihm hier ‑ er ist ja noch Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, habe ich gehört ‑ auf diesem Parteitag den goldenen Spaten überreichen. Stellvertretend würde ich nun gern Ditmar Staffelt den goldenen Spaten zum Anstich des Tunnels überreichen.

(Beifall)

 

Ditmar   S t a f f e l t   : Genossinnen und Genossen! Ich weib zwar nicht, wie weit ich damit komme, aber im Zweifelsfall würde ich mich auch bereit erklären, mit dir gemeinsam einmal einen Spielplatz umzugraben, damit dort den Kindern bessere Möglichkeiten zum Spielen eingeräumt sind.

(Beifall)

Sag einmal: Darf ich den behalten, oder muss ich den den Jusos nachher wieder zurückgeben?

(Heiterkeit)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es hatte sich vorhin zu Antrag 89/I/93 noch Heidrun Meibner gemeldet. ‑ Weil Wolfgang Nagel mehrmals angesprochen wurde, wollte ich nur sagen: Wolfgang Nagel hatte, bevor der Parteitag auf diesen Termin umgelegt wurde, einen Termin auberhalb Berlins angenommen und ist heute am frühen Nachmittag dann zu diesem Termin gefahren.

 

Heidrun   M e i b n e r   (Treptow): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich möchte zu Antrag 89/I/93 aus Reinickendorf sprechen und gleichzeitig zu Antrag 78/I/93.

 

Das Verkehrssystem Binnenschiffahrt und Wasserstrabe soll der Volkswirtschaft seinen möglichst zweckmäbigsten Beitrag bei der Verkehrsleistung bringen. Dieser wird nur dann gesteigert werden können, wenn in sämtlichen Teilbereichen des Systems der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit vorrangig angewandt wird. Für das Projekt 17 wurde aufgrund von Kosten/Nutzen‑Untersuchungen ein Nutzen/Kosten‑Faktor von 6,3 ermittelt. Auf den ostdeutschen Wasserstraben soll ein grober Teil der erforderlichen Massenguttransporte abgewickelt werden, und das wurde vorhin hier auch so gesagt. Hinzu kommt, dass für die Wasserstrabe auch der Containerverkehr attraktiv werden soll ‑ vor allem für Güter, bei denen der Zeitfaktor keine grobe Rolle spielt. Ich gebe zu bedenken, weil hier vor allem auf die Wasserwirtschaft und Landeskultur abgehoben wird, dass unsere Flub‑ und Kanallandschaft das Werk von Menschen ist. Wir haben es hier mit Stauhaltungen zu tun und insofern ‑ ‑

(Anhaltende Unruhe)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Liebe Genossinnen und Genossen! Jetzt ist zwar der Tunnel so ein bibchen aus der Diskussion, aber es gibt auch noch andere wichtige Themen. Wir wären dankbar, wenn allen Rednern die notwendige Aufmerksamkeit gezollt würde.

(Beifall)

 

Heidrun   M e i b n e r   (Treptow): Wir haben es hier mit Stauhaltungen zu tun, und ich kann überhaupt keinen Zusammenhang zwischen einer bestimmten Schiffsgröbe und dem fehlenden Wasser in einem Kanal oder in einem Flub sehen. Dieser Wassermangel, der hier heraufbeschworen wird ‑ einerseits Wassermangel, andererseits soll uns das Wasser bis zum Hals stehen ‑, hat ganz andere Gründe; denn die liegen in dem Braunkohlerevier in Spremberg. Darüber wird jetzt nachgedacht und eine Gesamtstudie erarbeitet, wie Berlin auch weiterhin sein Wasser bekommt.

 

Die Flüsse und Kanäle wurden auch schon in der Vergangenheit immer wieder den Erfordernissen des Schiffsverkehrs angepabt. An den Wasserstraben ist die Besonderheit, dass das, was dort einmal ausgebaut oder verbreitert wird, sehr schnell wieder zuwächst und wieder phantastische Landschaften entstehen. Dafür ist u. a. der Havel‑Kanal, der vor 35 Jahren gebaut wurde, ein gutes Beispiel.

 

Wir können die Ausbaugröben der Wasserstraben bestimmen. Durch ihre Auswirkungen auf verkehrliche und betriebliche Komponenten der Schiffahrt entscheiden sie die Wirtschaftlichkeit des Transportsystems mit. Wenn wir uns also jetzt dazu bekennen, nichts an den Wasserstraben zu tun, werden wir das erleben, was jetzt schon passiert, dass die Schiffahrt verdrängt wird und das vor allem zugunsten der Strabe.

 

Wesentlich ist auf die Wirtschaftlichkeit ‑ ‑

(Glocke des Präsidiums)

Gut, es wurde geläutet. ‑ Ich schliebe ab: Ich bitte, den Antrag in den Fachausschub für Verkehr zu überweisen, damit sich der Ausschub noch einmal sachkundig machen kann, was überhaupt geplant ist.

 

Ein letztes Wort: Es wird immer von 4 Milliarden DM gesprochen, die dieser Ausbau kostet. Das ist ein Ausbau von der Landesgrenze zu Niedersachsen mit der Kanalbrücke, mit vielen Schleusen, die erneuert oder erweitert werden, bis hinein nach Berlin. Und dann seht euch einmal das gelbe Heftchen an, was nur dieser kleine innerstädtische Verkehrsbereich kostet, nämlich 4,2 Milliarden DM. ‑ Danke.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Kurt Neumann.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Die Antragskommission hat zu Antrag 89 empfohlen, ihn zu überweisen, und zwar einerseits an die Abgeordnetenhausfraktion und andererseits an den zuständigen Fachausschub. Peter Meyer hat dafür plädiert, ihn hier direkt anzunehmen. Wer diesem Votum folgen würde, mübte das Votum der Antragskommission ablehnen. Die Antragskommission empfiehlt Überweisung an Fraktion und Fachausschub.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es gibt noch eine Wortmeldung.

 

Detlef   D z e m b r i t z k i   (Reinickendorf): Genossinnen und Genossen! Wenn jetzt hier nicht direkt über diesen Antrag abgestimmt werden soll, dann bitte ich, dass auf jeden Fall nicht nur der Fachausschub Verkehr, sondern auch der Fachausschub Umwelt sich damit beschäftigt; denn es ist mehr als eine Verkehrsfrage,

(Beifall)

und das ist das, was wir mit diesem Antrag deutlich machen wollten und warum wir auch erreichen wollten ‑ und wir sind dankbar, dass der Parteitag es so sieht, aus Reinickendorfer Sicht jetzt ‑, dass dieser Antrag weiterhin auf der Tagesordnung bleibt. Also, dann nicht nur Verkehr, sondern auch Umwelt.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommisson): Ich denke, ohne den Willen der Antragskommission zu manipulieren, dass die Antragskommission das übernehmen kann.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Noch eine Wortmeldung ‑ bitte!

 

Wolfgang   B e h r e n d t   (Spandau): Genossinnen und Genossen! Ich möchte mich noch einmal sehr nachdrücklich dafür einsetzen, dass wir über diesen Antrag direkt abstimmen.

(Beifall)

Es ist nicht so, dass dies ein Antrag ist, der nun von einem Kreis hier eingebracht worden ist, ohne dass es darüber schon eine Diskussion gegeben hätte. Sowohl die „Umwelt‑Fraktion“ als auch der Fachausschub Umwelt haben sich mit dieser Materie intensiv beschäftigt und einen entsprechenden Antrag formuliert, der nur aufgrund einer Verfahrenspanne hier nicht zur Abstimmung steht. Deshalb halte ich es für völlig überflüssig, diesen Antrag noch einmal an den Fachausschub Umwelt zu überweisen, sondern bin dafür, ihn heute abzustimmen und entsprechend dem Votum des Kreises Reinickendorf zu verfahren.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat der Genosse Scheffler.

 

Siegfried   S c h e f f l e r   (Treptow): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich kann den Antrag von Wolfgang Behrendt nur unterstützen. Ihr wibt, dass ich für die SPD‑Fraktion im Deutschen Bundestag für den Bundesverkehrswegeplan für die fünfeinhalb neuen Bundesländer verantwortlich bin. Ich habe in dieser Woche mit der SPD‑Fraktion erreicht, dass zum Bundesverkehrswegeplan ‑ wo in enger Abstimmung mit den Fachausschüssen hier mein Votum erfolgt ‑ für Brandenburg und Berlin ‑ wo diese Woche abgestimmt werden sollte ‑ das Votum ausgesetzt wird, weil ich diesen Parteitag abwarten wollte ‑ übrigens auch, was den Tiergarten‑Tunnel betrifft.

(Vereinzelter Beifall)

Wir haben in Abstimmung mit dem Fachausschub Verkehr ‑ ‑ Und ich sage euch meine Meinung: Für den Berliner Teil ‑ obwohl ich auch für Brandenburg und Sachsen‑Anhalt verantwortlich bin ‑ stimme ich natürlich für das Wasserstrabenprojekt „Deutsche Einheit, Ausbau für 185 m Schubeinheiten“, stimme ich nicht zu,

(Beifall)

so dass wir heute hier auch darüber abstimmen sollten, damit ich auch dieses Votum des Parteitages habe.

 

Auberdem ist das, was hier drinsteht und gefordert wird, die Aufnahme und die Abstimmung mit den Landesregierungen Brandenburg und Sachsen‑Anhalt. Sowohl die Landesregierungen beider Länder als auch die SPD‑Fraktion haben sich ganz eindeutig für den Ausbau der Wasserstraben ausgesprochen, so dass ich also hier das Berliner Votum von euch weitertragen kann. ‑ Danke.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Als nächster hat Hermann Borghorst das Wort.

 

Hermann   B o r g h o r s t   (Neukölln): Ich kann es relativ kurz machen. Wir haben in der Antragskommission diskutiert und nicht gewubt, dass die Fachausschüsse schon dazu beraten haben. Deshalb schlage ich vor ‑ und empfehle das auch der Antragskommission ‑, dass wir heute abstimmen und den Antrag annehmen.

(Vereinzelter Beifall)

 

Kurt   N e u m a n n n   (Antragskommission): Wenn sich die anderen Mitglieder der Antragskommission nicht manipuliert fühlen, könnten wir das als Empfehlung der Antragskommission sehen; denn ich habe sicherlich nichts dagegen, dass wir so entscheiden.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Präsidium hört von Mitgliedern der Antragskommission keinen Widerspruch.

 

Dann schlage ich vor, dass wir nach diesem neuen Votum der Antragskommission nunmehr über den Antrag 89 direkt entscheiden. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Damit bei einer Gegenstimme einstimmig angenommen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Doch noch ein Antrag aus dem Bereich Verkehr. Der Genosse Porath hatte gebeten, den Antrag 77/I/93 auf Seite 81 aus der Konsenliste herauszunehmen. Der muss jetzt hier noch behandelt und gegebenenfalls auch kurz diskutiert werden.

(Zuruf)

‑ 78 nicht! Der ist nicht rausgenommen. Wir hatten uns darauf verständigt, dass 89 herausgenommen wird.

 

Präs. Bernd   S c h iu m m l e r   : Vorhin wurden nur die Anträge 77 und 89 herausgenommen, das ist deutlich gesagt worden. Jetzt sind wir bei Antrag 77; hierzu hat sich der Genosse Porath gemeldet.

 

Horst   P o r a t h   (Tiergarten): Genossinnen und Genossen! Ich möchte euch auf einen Satz aufmerksam machen, der mich zumindest sehr nachdenklich macht. Ich weib nicht, wie es anderen Bezirken geht, die ähnliche Situationen haben. Der letzte Satz im ersten Absatz lautet, „Es müssen daher insbesondere Erweiterungsmöglichkeiten der Bahnhöfe schon heute geplant und die entsprechenden Flächen freigehalten werden.“ Dahinter muss ich aus meiner Tiergartener Sicht ein grobes Fragezeichen machen. Denn diese Freihaltepolitik der Deutschen Reichsbahn ‑ sprich Bundesbahn ‑ ist für uns nicht kontrollierbar. Wenn wir als Landesparteitag dort einen Freibrief geben, kann es uns passieren, dass wertvolle Flächen weiterhin in der Planungshoheit der Bahn verbleiben und wir als Gemeinde ‑ sprich Berlin ‑ nicht in der Lage sind, dort eigene Vorstellungen zu entwickeln.

 

Wenn ich mir den Bereich Lehrter Bahnhof ansehe, kann ich mir zum Beispiel überhaupt nicht vorstellen, was nach dem Entwurf von Gerkan denn anschliebend noch an Erweiterungsmöglichkeiten da sein soll. Das kann ja wohl nicht wahr sein, dass in dem Hinterhof eines solchen Bahnhofs dann auf unbestimmte Zeit weitere Erweiterungsflächen freigehalten werden. Ich glaube, das Land Berlin und somit wir alle sind gut beraten, wenn wir der Bahn abverlangen, ein klares Konzept für ihre Nutzung zu entwickeln. Denn ich darf euch auch noch einmal darauf hinweisen, dass gerade im Bereich Lehrter Bahnhof der geringste Teil des Bauwerks für Bahnzwecke benötigt wird, sondern dass die Bahn mit ihren Dienstleistungszentren dann auch die nötigen Investitionen herbeiführen will. Und da müssen wir nach meiner Ansicht sehr stark aufpassen.

 

Aus meiner Sicht ist das nicht akzeptabel, es sei denn ‑ und jetzt spreche ich in der Tat als Tiergartener ‑, dass zumindest der Bereich des Lehrter Bahnhofs herausgenommen wird; denn wenn wir diese Flächen so freihalten, bleibt die jetzige Situation auf Dauer. Seht euch die Flächen in der Nähe der Bahnhöfe an: Ich glaube nicht, dass dies im Sinne einer vernünftigen Stadtentwicklung gerade auch in dem Gebiet sein wird.

 

Deshalb hätte ich gern eine Erklärung vom Fachausschub 8, wie dieser Satz zu verstehen ist. Vielleicht gibt es dadurch eine Klarstellung, die mir eine Zustimmung zu diesem Antrag ermöglicht.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Gibt es weitere Wortmeldungen? Das ist nicht der Fall. ‑ Doch, noch einmal Horst.

 

Horst   P o r a t h   (Tiergarten): Genossinnen und Genossen, ich weib nicht, was los ist. Ich habe eine Frage an den Antragsteller gerichtet. Es wird doch wohl möglich sein, dass ich die hier beantwortet bekomme. Oder was soll das hier?

(Vereinzelter Beifall)

Wenn wir schon den Fachausschüssen völlig berechtigterweise die Antragstellung eingeräumt haben, dann mübten doch diese Anträge hier vertreten werden ‑ das ist doch wohl eine Selbstverständlichkeit!

 

Jetzt noch einmal ganz konkret dazu: Ich fordere ‑ und bringe das als Antrag ein ‑, dass hinter dem Wort „Bahnhöfe“ in einem Klammervermerk mit eingefügt wird:

 

(mit Ausnahme des Lehrter Bahnhofs),

 

und das wäre für mich die Situation aus Tiergartener Sicht. Ich fordere die Bezirke noch mal auf, darüber nachzudenken, ob es in ihrem Bezirk ähnliche Positionen gibt und dass darüber wirklich noch einmal nachgedacht wird.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Für den Fachausschub Verkehr der Vorsitzende Wolfgang Schwenk.

 

Wolfgang   S c h w e n k   (Fachausschub Verkehr): Liebe Genossinnen und Genossen! Zunächst einmal darf ich, glaube ich, im Namen aller Fachausschüsse Dank sagen, dass ihr auf dem letzten Landesparteitag die Möglichkeit eingeräumt habt, dass wir als Fachausschubvorsitzende Stellung beziehen können. Ich will das auch gern tun.

 

Der Antrag des Fachausschusses beinhaltet eigentlich nur folgenden Umstand: Prognose, hat mal einer so schön formuliert, ist die Methode, sich zu kratzen, ohne zu wissen, wo es jucken wird. Wir haben im Eisenbahnverkehr Berlins hoffentlich groben Zuwachs in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Dieser Antrag soll letztendlich sagen, dass wir uns Flächen zur Erweiterung der Bahnhöfe freihalten müssen, um eventuell gestiegenen Kapazitäten Rechnung zu tragen. Ich kann die Befürchtungen von Horst Porath aus Tiergarten nicht teilen, dass solche Erweiterungen mit den Erfahrungen, die Tiergarten in der Lehrter Strabe gemacht hat ‑ wo jahrzehntelang die Westtangente gebaut werden sollte und hier bewubt Investitionen zurückgehalten wurden und Modernisierungsrückstände entstanden ‑, hier vergleichbar sind. Ich denke, wir können den Antrag so, wie er hier eingebracht ist, zur Abstimmung bringen.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Kurt Neumann.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Horst Porath hat zu Antrag 77 auf Seite 81, letzter Absatz, vorletzte Zeile, einen Änderungsantrag gestellt, hinter das Wort „Bahnhöfe“ einzuschieben: „mit Ausnahme des Lehrter Bahnhofs“. Es heißt also dann:

 

Es müssen daher insbesondere Erweiterungsmöglichkeiten der Bahnhöfe mit Ausnahme des Lehrter Bahnhofs schon heute geplant und die entsprechenden Flächen freigehalten werden.

 

Ich verstehe es immer noch nicht ganz und kann deshalb auch nicht denken, dass die Antragskommission Annahme empfehlen würde. Ich bitte also, diesen Änderungsantrag abzulehnen und dann den Antrag insgesamt anzunehmen ‑ nein, über die Empfehlung der Antragskommission, Annahme, abzustimmen; das ist einfacher.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es ist erst einmal ein Änderungsantrag, Kurt, wir müssen dann bei dem System bleiben. Wer diesem Änderungsantrag ‑ zunächst einmal die Aufnahme der Änderung ‑ zustimmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Das ist die Mehrheit. Damit ist die Änderung abgelehnt.

 

Wir kommen nunmehr zur Abstimmung des Antrags 77/I/93 auf Seite 81. Wer der Empfehlung der Antragskommission auf Annahme des Antrags folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Das ist mit grober Mehrheit so angenommen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Bevor wir zum nächsten Komplex kommen, mübten wir noch etwas nachtragen. Ich habe vergessen zu sagen, dass die Anträge 76, 85, 86, 88 und 90 durch Annahme des Antrags 84 erledigt sind. Ich bitte, dieses festzustellen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Gibt es hierzu Widerspruch? ‑ Das ist nicht der Fall. Dann ist das so festgestellt.

 

Wir kommen nunmehr zu einem Geschäftsordnungsantrag hinsichtlich der weiteren Reihenfolge der Anträge. ‑ Vorab will ich schon mal zum Tagungspräsidium sagen, dass wir nach dem Geschäftsordnungsantrag und dessen Abstimmung gegebenenfalls in den Wahlgang für den Beisitzer zur Landesschiedskommission treten werden.

 

Matthias   L i n n e k u g e l   (Wilmersdorf): Ich beantrage, dass wir jetzt noch ‑ zugehörig zum Bereich Verkehr, weil es nämlich materiell dazugehört ‑ den Antrag 68/I/93 behandeln. Dieser Antrag wurde unter „Sport“ sortiert. Ich denke, da leider Olympia nicht nur etwas mit Sport, sondern auch etwas mit Stadtplanung und Verkehr und der Gestaltung unseres Lebensraums zu tun hat, gehört es materiell in diesen Bereich hinein, und ich bitte euch deshalb um Zustimmung für diesen Antrag.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wird dem Geschäftsordnungsantrag auf Vorziehen dieses Olympia‑Antrags widersprochen?

(Zurufe: Ja, ja!)

Ja, es wird widersprochen. ‑ Detlef Dzembritzki!

 

Detlef   D z e m b r i t z k i   (Reinickendorf): Ich empfehle, dass wir in der Reihenfolge vorgehen. Es würde doch höchstens Sinn ergeben, wenn wir jetzt alle Konsensanträge vorziehen. Da ist aber Kurt Neumann zu Recht der Meinung, wir sollten beim Inhalt bleiben. Bauen hängt mit den Fragen, die diskutiert wurden, ebenfalls zusammen. Wir sollten also jetzt hier in der Linie fortfahren und versuchen, möglichst zügig das zu bearbeiten, damit wir auch sehr schnell zum Sport kommen.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir kommen zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag. Wer dem Geschäftsordnungsantrag auf Vorziehen von Olympia zustimmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Das letzte war die Mehrheit. Damit ist der Geschäftsordnungsantrag abgelehnt.

 

Kurt, bevor wir jetzt fortfahren, schlage ich vor, dass wir, damit zwischenzeitlich auch die Wahlkommission arbeiten kann,

 

Punkt 6 der Tagesordnung

 

Wahl einer Beisitzerin/eines Beisitzers für die

Landesschiedskommission

 

dazwischenschieben. Besteht darüber Einverständnis? ‑ Ich höre keinen Widerspruch, dann können wir so verfahren. Dem Präsidium liegt ein Vorschlag für den Beisitzer vor, nämlich Günther König, Kreuzberg. Gibt es weitere Vorschläge? ‑ Das ist nicht der Fall. Dann könnten wir einen orangefarbenen Stimmzettel für eine Einzelwahl verteilen.

(Zurufe)

‑ Nein, es muss gewählt werden! Deshalb machen wir das immer zwischendurch. Das geht leider nicht anders bei der Landesschiedskommission, es steht so drin.

 

Ich bitte, die Stimmzettel auszuteilen. Jeder Delegierte mit einer blauen Delegiertenkarte oder einer blauen Ersatzdelegiertenkarte bekommt einen Stimmzettel.

(Verteilen der Stimmzettel)

Hat jeder Delegierte einen Stimmzettel? Ihr könnt dann mit dem Ausfüllen des Stimmzettels beginnen. Wer Günther König als Beisitzer für die Landesschiedskommission wählen will, stimmt mit Ja, wer nicht, mit Nein; wer nichts macht, enthält sich. Der Wahlgang ist eröffnet.

(Ausfüllen und Einsammeln der Stimmzettel)

Ich erinnere die Wahlkommission 2 daran, sich bereitzuhalten. Die Mandatsprüfungskommission bitte ich gegebenenfalls, falls inzwischen Änderungen eingetreten sind ‑ durch Weggang zum Beispiel ‑, diese dann auch rechtzeitig mitzuteilen.

 

Hat jeder seinen Stimmzettel abgegeben? Dann ist der Wahlgang geschlossen.

 

Wir kommen zurück zu

 

Punkt 5 der Tagesordnung

 

Beratung der Anträge

 

Das Wort hat Kurt Neumann zum nächsten Komplex ‑ „Umwelt und Energie“.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Als Konsensliste sind vorgeschlagen Antrag 70/I/93 (Pankow) zur Müllbeseitigung ‑ da haben wir vorgeschlagen Überweisung an Umwelt und Abgeordnetenhausfraktion ‑, Antrag 71/I/93 (Wilmersdorf), Veränderung des Energiewirtschaftsgesetzes ‑ da haben wir Annahme empfohlen ‑ und Antrag 72/I/93 (Reinickendorf) zu den Berliner Wasser‑Betrieben ‑ dort ist Überweisung an die Abgeordnetenhausfraktion vorgeschlagen worden. Alle drei Anträge findet ihr auf Seite 78. Es ist zunächst zu klären, ob die Konsensliste so nachvollzogen wird und die Anträge entsprechend behandelt werden.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Gibt es Widerspruch zur Feststellung der Konsensliste? ‑ Das ist nicht der Fall. Dann können wir über diese abstimmen. Wer dieser zustimmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Es ist tatsächlich Konsens. Danke sehr, wir können fortfahren.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann liegt uns der Antrag 69/I/93 auf einem nicht numerierten Extrablatt vor; er ist untergegangen. Lasst mich an dieser Stelle noch einmal die Bemerkung machen: Das, was ihr der Mitarbeiterin in dem Haus durch die Anträge, die teilweise auch in nicht sehr guter Form hereinkommen, zumutet, ist schon auberordentlich. Wie sie das bewältigt, auch wenn ein Antrag mal nicht ins Antragspaket kommt, ist auch schon bemerkenswert. Ich bitte deshalb, hier nicht unduldsam zu sein.

(Beifall)

Also dieser Antrag hat uns nicht vorgelegen, und wir haben auch keine Empfehlung abgegeben. Die wird mündlich vorgetragen; das haben wir aber heute mittag auch versäumt. Wir sind in der guten Tradition von Verfahrensweisen bei etwas komplizierteren Einzelanträgen ‑ und um einen solchen handelt es sich ‑, Überweisung an die Abgeordnetenhausfraktion zu empfehlen. Ich denke, das könnte auch der Antragsteller akzeptieren. ‑ Ich sehe, der Antragsteller akzeptiert. Dann sollten wir so verfahren.

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Gut, dann ist mit Antrag 69 auch so verfahren, und er ist an die Abgeordnetenhausfraktion überwiesen.

 

Kurt, damit bist du bei dem nächsten Komplex.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Jetzt sind wir beim Komplex „Bau/Wohnen“. Dort ist gebeten worden, den Antrag 48/II/92 aus der Konsensliste herauszunehmen. Dies hat die Antragskommission auch schon für sich gemacht und hat Überweisung an den zuständigen Fachausschub empfohlen. Auf der Konsensliste bleiben dann die Anträge 47 sowie 49 bis 58/II/92 auf den Seiten 11 bis 14.

 

Hinsichtlich des Antrags i 9/II/93 auf Seite 27 ‑ es geht um die Vergabe von landeseigenen Grundstücken ‑ hat die Antragskommission ein Geburtstagsgeschenk gemacht. Wir haben dem Genossen Wüst einen Wunsch erfüllt, nämlich nicht nur an die Fraktion zu überweisen, sondern zur besseren Kontrolle der Handhabung auch an den Landesausschub. Wir empfehlen also Überweisung an die Fraktion und an den Landesausschub, bitten aber, das in der Konsensliste zu lassen. Auch Ernst ist trotz seines Geburtstags damit einverstanden. Ich bitte dann in dieser Form zunächst die Konsensliste zu billigen.

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Wer stimmt der Konsensliste so zu, mit dem Geburtstagsgeschenk für den Genossen Wüst? ‑ Gibt es Gegenstimmen? ‑ Enthaltungen? ‑ Das ist einstimmig so beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen dann zunächst zum Antrag 48/II/92 (Prenzlauer Berg). Wir hatten die Überweisung an den Fachausschub VIII vorgeschlagen. Nun ist gewünscht, dass das als Einzelvorgang behandelt wird; dementsprechend mübten eigentlich Wortmeldungen dazu sein.

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Es gibt eine Wortmeldung des Genossen Dennert ‑ du hast das Wort.

 

Manfred   D e n n e r t   (Prenzlauer Berg): Genossinnen und Genossen! Ich kann das nicht ganz verstehen: Der Antrag, der bereits im Oktober vergangenen Jahres auf der Tagesordnung stand ‑ der dort nicht behandelt werden konnte, weil wir mit den sogenannten Initiativanträgen doch Mibbrauch getrieben haben ‑, hätte meines Erachtens längst in dem entsprechenden Fachausschub diskutiert werden können.

 

Es geht hier um die Umwandlung von Mietwohnungen in Altbauten in Eigentumswohnungen. Wir hätten gern, dass die bisherige gesetzliche Regelung, die hier bestand, doch wieder herbeigeführt wird, und das ist der Inhalt dieses Antrags. Er ist für die Altbaubezirke Berlins von Interesse ‑ nicht nur für die der Ost‑Berliner, sondern auch für die der West‑Berliner. Meines Wissens kommt hier eine Lawine auf uns zu, wenn nicht schleunigst Änderungen herbeigeführt werden. Insofern bin ich also nicht ganz damit zufrieden, dass das in den Fachausschub gehen und dort weiterschmoren soll. Denn das einzige Anliegen ist, dass hier gesetzliche Regelungen herbeigeführt werden, die den ursprünglichen Zustand wiederherstellen, den wir vor der Einigung hatten. Es gab hier eine Lücke im Einigungsvertrag, und die war praktisch Anlab dann für eine Klage, die leider so entschieden worden ist.

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Kurt!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Die Antragskommission wollte dem berechtigten Votum der Antragsteller nicht entgegentreten, aber wir haben die Sache als kompliziert angesehen und waren nicht in der Lage, eine Fassung zu basteln, die vollkommen sachgerecht wird.

 

Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, gab es eine verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hinsichtlich der Abgeschlossenheitsbescheinigung für die Eigentumswohnungen im Altbau, die aus meiner Sicht vernünftigerweise den Wortlaut der Gesetze sehr gut gefabt hat ‑ sagen wir es einmal so. Der Bundesgerichtshof war anderer Auffassung. Und wie das so ist, bei solchen Fällen, ist ein gemeinsamer Senat einberufen worden, und der hat dann für beide Gerichtszweige verbindlich entschieden, dass die BGH‑Rechtsprechung die zutreffende ist und nicht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

 

Man mübte hier nicht auf Landesebene irgend etwas ändern, weil das Bundesgesetzgebung ist. Man mübte den Bundesgesetzgeber bitten, etwas zu ändern. Aber was genau wie geändert werden sollte, konnte die Antragskommission jedenfalls nicht in der Kürze der Zeit formulieren. Ich denke, dazu haben wir Fachausschüsse, dies zu beraten und dann wegen der Dringlichkeit möglicherweise schon vorab der Fraktion zu überstellen. Auch daran sollte man einmal gelegentlich denken. Auch sollten Abteilungen vielleicht einmal daran denken, ihre Abgeordneten direkt anzusprechen und nicht erst über den Parteitag; das würde beschleunigen. Aber ich denke, bei dieser komplizierten rechtlichen Materie müssen wir das an den Fachausschub überweisen, damit eine Entscheidungsvorlage vorbereitet wird, der wir dann zustimmen können. So können wir nicht zustimmen, und ablehnen wollen wir das auf gar keinen Fall, weil die Intention korrekt ist.

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Ich sehe bei den Antragstellern aus Prenzlauer Berg zumindest nachdenkliche Gesichter. Seid ihr mit der Überweisung an den Fachausschub einverstanden? Nein! Dann müssen wir abstimmen.

 

Das Votum der Antragskommission war Überweisung an den Fachausschub und an die Abgeordnetenhausfraktion. Wer stimmt diesem Votum der Antragskommission zu? ‑ Danke! Gegenstimmen! ‑ Enthaltungen? ‑ Dem Votum der Antragskommission ist so entsprochen ‑ vielen Dank!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Das nächste wäre dann der Antrag 59/II/92 auf Seite 15. Dort gibt es eine Fassung der Antragskommission, die auch schon dem vorigen Parteitag vorlag. Wir empfehlen Annahme in dieser Fassung.

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Wer stimmt dem Votum der Antragskommission zu? ‑ Gegenstimmen! ‑ Enthaltungen? ‑ Das ist so beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen dann zum Antrag 22/I/93 auf Seite 56. Politische Vorgaben haben wir durch die Beschlubfassung über Antrag 21 schon gemacht. Hier sind viele Einzelheiten angesprochen, die auf der Grundlage des 21 zu regeln sein werden, aber wohl nicht vom Parteitag. Deshalb hat die Antragskommission die Überweisung an die Fraktion empfohlen.

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Wer stimmt dem Votum der Antragskommission zu? ‑ Gegenstimmen! ‑ Enthaltungen? ‑ Das ist so beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Als letztes zu diesem Bereich Antrag 47/I/93 auf Seite 68. Hier haben wir wegen Stimmengleichheit keine Empfehlung abgeben können; mag das Präsidium sich damit erfreuen.

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Vielen Dank! ‑ Gibt es von Schöneberg dazu eine Wortmeldung? Otto!

 

Otto   E d e l   (Schöneberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Das sogenannte Wohnbaulandgesetz, das im Vermittlungsausschub des Bundesrats noch beredet werden soll, hat eine ganze Menge fast undurchschaubare Regelungsbereiche. Ein kleiner Teil davon soll bewirken, dass die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger bei der Bauleitplanung in ihren Fristen verkürzt werden. Der Antrag aus Schöneberg empfiehlt euch, diese Verkürzung der Beteiligungsfristen ‑ sprich: von einem Monat auf 14 Tage ‑ abzulehnen. Es ist schlichtweg, wenn man sich das Bebauungsplanverfahren ansieht, nicht sachgerecht, zu glauben, bei einem Verfahren, das in Berlin sich manchmal über mehrere Jahre hinzieht, eine grobartige Beschleunigung würde allein dadurch erreicht, dass man die vorgezogene Bürgerbeteiligung ganz ausschliebt oder die öffentliche Auslegung von einem Monat auf 14 Tage verkürzt. Das ist nicht nur eine so minimale Verfahrensbeschleunigung, dass sie wertlos wird, das ist vor allen Dingen eine Verkürzung der Planungsdemokratie, und deshalb bitten wir euch um Zustimmung zu diesem Antrag.

(Beifall)

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Matthias Linnekugel!

 

Matthias   L i n n e k u g e l   (Wilmersdorf): Genossinnen und Genossen! Ich glaube, ich kann diejenigen, die dagegen sein werden, diesen Antrag zu verabschieden, einigermaben verstehen. Es geht darum, Bauprojekte, die durchgezogen werden müssen oder die entstehen müssen, einigermaben schnell abzuwickeln. Das erreicht man aber nicht dadurch, dass man vorhandene Konflikte wegdrückt. Es muss darum gehen, Konflikte im Vorfeld zu klären, zum Beispiel durch eine verstärkte, vorgelagerte Bürgerbeteiligung, und nicht darum, Konflikte wegzudrücken und damit den Prozeb der Entdemokratisierung dieser Bundesrepublik noch weiter voranzutreiben. Es gilt, den Aufbau dieses Landes mit einer wirklich demokratischen Bau‑ und Strabenplanung zu machen. Und dann sollten wir, wenn wir sehen, dass dieses Planungsrecht reformbedüftig ist, das in einem sozialdemokratischen ‑ das heißt vor allem auch demokratischen ‑ Sinne lösen und nicht mit den Rezepten der 50er Jahre.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Vielen Dank, Matthias! ‑ Hermann Borghorst!

 

Hermann   B o r g h o r s t   (Neukölln): Wie Otto Edel schon darauf hingewiesen hat, ist dieses Gesetz gegenwärtig im Vermittlungsausschub. Die Länder ‑ auch die SPD‑geführten Länder ‑ haben hier Änderungsvorschläge eingebracht. Ich glaube, dass es sinnvoll wäre, diesen Antrag an die Fraktion im Abgeordnetenhaus zu überweisen, damit dort noch einmal im einzelnen diese Frage geprüft werden kann; denn es geht in der Tat darum, dass Investitionen insgesamt beschleunigt werden. Ich bin der Auffassung, dass dieses ‑ jedenfalls vom Grundanliegen her ‑ eine sehr vernünftige Sache ist, gerade auch für die neuen Bundesländer und den Ostteil unserer Stadt. Wir hängen nämlich mit vielen Investitionen durch, und davon hängen Tausende von Arbeitsplätzen ab. Ich finde, wir haben ein solches Gesetz durchaus nötig, und wir sollten in der Bauausschubfraktion des Abgeordnetenhauses noch im einzelnen darüber beraten und dieses dann unserem Bausenator bzw. unseren Mitgliedern im Senat mit auf den Weg geben.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Vielen Dank, Hermann! ‑ Horst Porath!

 

Horst   P o r a t h   (Tiergarten): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich möchte dem vehement widersprechen. Wenn nicht der Landesparteitag, wer soll sich denn sonst darüber Gedanken machen, wie mit solchen Situationen umzugehen ist?

(Beifall)

Es ist doch nicht so, wie es Otto sagte, dass die Frage der vorgezogenen Bürgerbeteiligung, Auszählung oder sonst etwas die Hemmschuhe sind, sondern die Hemmschuhe liegen doch ganz woanders ‑ das wissen wir doch alle, die wir im Geschäft drin sind, und Hermann, du auch.

 

Deshalb kann ich den Antrag von Schöneberg nur unterstützen und euch im Abgeordnetenhaus schlicht und einfach auffordern, Verwaltungshemmnisse abzubauen, damit Genehmigungsverfahren, die ansonsten laufen, besser gehen, aber nicht daranzugehen, Bürgerbeteiligungen, an welcher Stelle auch immer, zu hintergehen bzw. aufzuheben. Dem darf die SPD in Berlin nicht zustimmen, und ich glaube, dass der Landesparteitag hier ein klares Votum für die Beibehaltung ‑ und in Teilbereichen sogar für den Ausbau ‑ von Bürgerbeteiligungen beschlieben sollte.

(Beifall)

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Es folgt Gisela Seels.

 

Gisela   S e e l s   (Charlottenburg): Genossinnen und Genossen! Gerade die Bürgerbeteiligung ist in allen Bereichen, vor allen Dingen bei Investitionen, so wichtig, dass wir dieses Mittel nicht auber Kraft setzen sollten. Ich muss ganz ehrlich sagen: Aus den Erfahrungen der letzten Zeit traue ich der Abgeordnetenhausfraktion nicht zu, dass sie sich dem Senator gegenüber ausreichend durchsetzt. Deshalb möchte ich bitten, es hier abzustimmen.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Vielen Dank, Gisela! ‑ Peter Meyer!

 

Peter   M e y e r   (Wilmersdorf): Genossinnen und Genossen! Zunächst eine grundsätzliche Bemerkung: Die Umweltkatastrophe werden wir nur wenden können, wenn wir sie alle gemeinsam angehen, also auf demokratischem Wege ‑ das vorab. Ich bitte auch herzlich, die Richtigkeit dieses Satzes, wenn ihr sie denn seht, in euren Herzen zu bewegen.

 

In diesem Investitionserleichterungs‑ und Wohnbaulandgesetz ist in einer wirklich ungewöhnlichen Schnelligkeit etwas über die Bühne gegangen, was den gesamten Umweltschutz in der Bundesrepublik vor Entsetzen und Entrüstung hat Kopf stehen lassen. Das ist vorbei!

 

Dieser Antrag greift noch einmal einen kleinen Punkt auf, der jetzt im Vermittlungsausschub zur Debatte steht. Wir haben jetzt hier Gelegenheit, uns zu diesem Punkt zu äubern. Ich spreche mich also dafür aus, dass wir diesem Antrag von Schöneberg zustimmen. Mir ist völlig klar, dass diese Schnelligkeit unter Zustimmung ‑ wenn der Staatssekretär für Stadtentwicklung und Umweltschutz ‑ Professor Wicke, CDU ‑ richtige Informationen hat ‑ sämtlicher sozialdemokratischer Ministerpräsidenten erfolgt ist. Das ist eine breite Unterstützung in unserem Land, und es ist klar, dass der Umweltschutz im Moment sehr billig gehandelt wird. Die Bürger haben andere Probleme. Aber wir werden irgendwann nicht herumkommen, uns in einem sehr schwierigen, harten demokratischen Prozeb mit den Notwendigkeiten des Umweltschutzes auseinanderzusetzen. In dem einen Punkt, wo diese Grundsätzlichkeiten nun wirklich nicht mehr zur Debatte stehen ‑ denn man hat da einen groben Teil der Bürgerbeteiligung im Natur‑ und Umweltschutz einfach gestrichen ‑, wenn wir da nicht an dieser einen Stelle noch versuchen, mal Flagge zu zeigen als ein breites Gremium, als das Gremium unserer Berliner Partei, dann fände ich das sehr bedauerlich. Ich bitte um Zustimmung zum Antrag aus Schöneberg.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Vielen Dank, Peter! ‑ Margarete Becker!

 

Margarete   B e c k e r   (Schöneberg): Überweisung an die Fraktion ist oftmals eine Beerdigung 1. Klasse, und das können wir uns nicht leisten; denn der Abbau von Bürgerrechten bedeutet auch einen Abbau von Demokratie. Wir müssen hier entscheiden!

(Beifall)

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Nunmehr Otto Edel.

 

Otto   E d e l   (Schöneberg): Liebe Margarete, als Mitglied der Fraktion muss ich mich dagegen verwahren, dass eine Überweisung irgendeines Antrags an das Abgeordnetenhaus, an die Fraktion, eine Beerdigung 1. Klasse wäre.

(Vereinzelter Beifall ‑ Zuruf)

‑ Ja, Gisela, ich weib, dass du kein Vertrauen zu uns hast. Dass wir manchmal unterschiedlicher Meinung sein werden, ist wohl möglich, und das fighten wir dann auch aus, wenn es sein mub.

 

Aber ich wollte noch einen Aspekt aufgreifen, den Hermann Borghorst angesprochen hat. Hermann hat gesagt, wenn man Investitionen nicht verhindern oder in die Zukunft drücken will, müssen wir die Bürgerbeteiligung verkürzen. Ich spreche deshalb dagegen, weil es nicht nur eine Beschleunigung um 14 Tage wäre ‑ das könnte manchmal sogar sinnvoll sein ‑, sondern ihr solltet erkennen, dass eine Bürgerbeteiligung eine Informationsfrist von 14 Tagen ‑ ‑ In einer Informationsgesellschaft, in einer Mediengesellschaft, in der wir gerade in der Grobstadt eine Überflutung von täglichen Informationen erleben, wo die Bürgerinnen und Bürger gar nicht mehr mitkriegen, was in ihrem Kiez alles passiert ‑ denn man weib eben nicht, was im Rathaus geredet wird ‑, muss man eine Vorwarnung haben; dann kann man sich als Normalbürger darauf einstellen und sich fragen: Will ich dazu eine Meinung äubern oder nicht? Da werden 14 Tage schlichtweg zu kurz sein. Viele werden überhaupt nicht mehr die Chance erhalten, von einem Problem zu erfahren, was sie selbst als Problem erkennen werden. Da ist eine monatliche Auslegung fast das Minimum, und deshalb sollten wir sie nicht noch verkürzen. Und diese Entscheidung zu treffen, das könnte der Parteitag wirklich sofort tun, darum bitte ich euch.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Als letzter Redner Genosse Boheim.

 

Willi Fred   B o h e i m   (Treptow): Liebe Genossinnen und Genossen! Es ist natürlich schwer zu argumentieren, weil die Gegenposition dann schnell heibt, man sei gegen Bürgerbeteiligungen ‑ das bin ich überhaupt nicht. Wenn uns der Grundsatz, Rückgabe vor Entschädigung, um Jahre in der Bauplanung zurückwirft, dann wird dieser Grundsatz, der hier formuliert werden soll, alles bleibt beim alten, uns um weitere Jahre zurückwerfen. Und Bauen findet nicht statt, das muss man bei dieser Entscheidung wissen. Uns geht es auch um Bürgerbeteiligung; und es geht darum, dass überhaupt die Planungen im Osten nachgeholt werden müssen. Eigentlich, denke ich, geht es um einen Übergangszeitraum, um das aufzuholen. Und deshalb bitte ich, nichts zu unternehmen, was gegen die Beschleunigung der Bauplanung im Osten spricht; wir haben schon jetzt teilweise vier Jahre Rückstand.

(Zuruf: 40!)

Eigentlich mübte man ‑ 40 ist auch richtig ‑ den Antrag ablehnen, aber ich glaube, die Überweisung an die Fraktion ist der richtige Kompromib, deshalb bitte ich euch darum.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Wir haben jetzt zwei Vorschläge: einmal die direkte Annahme von den Antragstellern aus Schöneberg, einmal die Überweisung an die Abgeordnetenhausfraktion. Weitergehender Antrag ist die direkte Annahme. Deshalb stimmen wir zuerst über die direkte Annahme des Antrags 47 aus Schöneberg ab. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenstimmen? ‑ Das ist mit grober Mehrheit beschlossen, dieser Antrag ist direkt angenommen.

(Beifall)

Kurt, du hast das Wort zum nächsten Komplex. ‑ Entschuldigung, Kurt! Zuvor noch ein Wahlergebnis.

 

Wir kommen zu

 

Punkt 6 der Tagesordnung

 

Wahl einer Beisitzerin/eines Beisitzers für die

Landesschiedskommission

 

Michael Ulex hat das Wort.

 

Michael   U l e x   (Wahlkommission): Liebe Genossinnen und Genossen! Einziger Kandidat im ersten Wahlgang war Günter König. Abgegebene Stimmen: 187, davon waren gültig 186. Zur absoluten Mehrheit sind demnach 94 Stimmen erforderlich gewesen.

 

Von den gültigen Stimmen haben mit Ja gestimmt 169; mit Nein gestimmt haben 9, und enthalten haben sich 8.

(Beifall)

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Vielen Dank, Michael! ‑ Wir gratulieren Günter König.

 

Jetzt wieder zurück zu

 

Punkt 5 der Tagesordnung

 

Beratung der Anträge

 

Kurt, du hast das Wort zum nächsten Komplex „Bildung, Schule, Jugend, Kultur und Medien“.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Es ist relativ viel zusammengefabt, aber das mubte auch mal sein, damit wir ein bibchen vorankommen. Es gibt zunächst eine Korrektur: Der dritte Antrag ist der Antrag 35/II/92 auf Seite 5. Es ist gewünscht worden, dass der Initiativantrag 15/II/92, der vom zweiten Parteitag 1992 ist, in die Einzelberatung übernommen wird. So wird dann auch verfahren. Er wird ganz am Schlub behandelt. Direkt vor ihm wird behandelt Antrag i 1 von diesem Parteitag zur Berufsakademie, der euch auf orangenem Papier vorliegt. Das heibt: Antrag i 15 ist raus aus der Konsensliste, der Antrag 35 ist in der Namensgebung berichtigt, und ansonsten bitte ich, die Konsensliste so zu bestätigen.

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : In der von Kurt Neumann vorgetragenen Form bitte ich euch, die Konsensliste zu bestätigen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenstimmen? ­Enthaltungen? ‑ Die Konsensliste ist so beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann kommen wir zu Antrag 32/II/92 auf Seite 3. Es geht hier um das „Schnelläufer‑Abitur“, wie es so schön heibt, oder „Exprebfahrt zum Abitur“. Hierzu liegen zwei Änderungs‑ oder Ergänzungsanträge vor: einmal von der Genossin Miebner aus Schöneberg und dann vom Genossen Härtel aus Steglitz. Ich vermute, sie werden dazu kurz das Wort nehmen wollen und das begründen.

 

Präs. Dagmar   R o t h ‑ B e h r e n d t   : Zur Begründung ‑ Thomas Härtel!

 

Thomas   H ä r t e l   (Steglitz): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich will den Änderungsantrag kurz vorlesen, und zwar soll an den Absatz mit dem Antrag angefügt werden:

 

Der Landesvorstand wird aufgefordert, bis zum nächsten Landesparteitag ein bildungspolitisches Konzept vorzulegen, das Wege für ein zukunftsweisendes, die Lebenschancen der nachwachsenden Generation sicherndes Schulsystem aufzeigt. Die Berliner Schule muss den Wünschen von Eltern und Schülern nach möglichst guten Schulabschlüssen, die die gleichberechtigte Teilnahme am beruflichen, kulturellen und politischen Leben sichern, Rechnung tragen. Bei aller Vielfalt sollen die Durchlässigkeit der Schulstrukturen und die Chancen zum Nachholen von Schulabschlüssen erhöht werden.

 

Warum noch diese Sätze an diesen Antrag? ‑ Wir spüren in der groben Koalition ‑ ich muss es so sagen ‑ eine scheibchenweise konservative Wende in der Bildungspolitik.

(Beifall)

Hier müssen wir Sozialdemokraten ganz deutlich Flagge zeigen, und zwar nicht an einzelnen Diskussionsthemen wie beispielsweise jetzt die „Schnelläufer‑Züge“, sondern grundsätzlich unsere sozialdemokratische Auffassung von Bildungspolitik in der Stadt einmal zusammenfassen und auch wieder in die Öffentlichkeit tragen. Deshalb bin ich der Meinung, dass ein solcher Auftrag an den Landesvorstand gerichtet werden sollte und wir uns auf dem nächsten Landesparteitag auch mit bildungspolitischen Fragen in unserer Stadt beschäftigen sollten.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Als nächste hat Brigitte Miebner das Wort.

 

Brigitte   M i e b n e r   (Schöneberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich kann mich dem nur anschlieben, was Genosse Härtel gerade gesagt hat. Auch die Ansicht in Schöneberg ist, darauf hinzuwirken, dass wir einmal so etwas wie einen bildungspolitischen Parteitag machen sollten, auf dem in breiter Weise und unter grober Beteiligung dieses Thema, was eigentlich im 21. Jahrhundert Bildungspolitik in sozialdemokratischer Vorstellung sein kann, debattiert wird. Es wäre sicher wichtig.

 

Wir haben vielleicht alle gehofft, dass diese ganze Bildungsdebatte etwas entideologisiert werden könnte; sie ist Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre zum Teil ungeheuer verhärtet gelaufen.

 

Allerdings stellt sich heraus, dass die Konservativen auf dieselbe altmodische Weise wieder ihre alten Elitevorstellungen, ihre alten dreigliederigen Vorstellungen durch die Hintertür hereinbringen. Deshalb ist die Frage, dass es jetzt diese drei Schnelläufer‑Gymnasien gibt, leider nicht so einfach abzutun. Mein Änderungsantrag lautet ‑ auch einfach anfügen, wobei ich denke, vor dieser allgemeinen Formel anfügen, die ich auch als sehr sinnvoll empfinde:

 

Die SPD lehnt auch den auf drei Gymnasien begrenzten Schulversuch mit dem Schnelläufer‑Abitur ab, da dieser Versuch von konservativer Seite als erster Sieg in der Auseinandersetzung mit dem Ziel der Zerstörung der sechsjährigen Grundschule in Berlin gewertet wird.

(Beifall)

Die SPD bedauert,

 

‑ und darüber müssen wir vielleicht noch reden ‑

 

dass die Abgeordnetenhausfraktion die Tragweite dieses „Kompromisses“ offenbar unterschätzt hat.

 

Es ist wirklich bedauerlich, aber es ist von der rechten Seite wieder auf die alte Weise passiert, und deshalb muss man mit der Heuchelei wirklich aufhören und muss es auch deutlich sagen.

 

Wichtig wäre ein bildungspolitischer Parteitag, und wenn die Unterstützung breit ist, dann soll uns das nur alle freuen.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Christian Kind.

 

Christian   K i n d   (Lichtenberg): Genossinnen und Genossen! Der Lichtenberger Antrag 32/II/92 soll ganz kurz begründet werden. Uns ist auch nicht bange, dass hier nicht positiv abgestimmt wird, aber die letzten Aktivitäten insbesondere der CDU zeigen, dass wir schon auf diesem Parteitag, also auch vor einem solchen Konzept, Flagge zeigen sollten.

 

Es gibt drei Aspekte. Erst einmal: Ich war in Lichtenberg Schüler. Ich war in Lichtenberg Lehrer und habe natürlich unter dem mittlerweile auch bei euch bekannten DDR‑Schulsystem unterrichtet. Zumindest theoretisch hat es ja den bildungsspezifischen Ansatz gehabt, Schüler gleich zu fördern ‑ bei all dem, was wir über die politischen Ausgrenzungen wissen.

 

Aber dieses System hat es geschafft, hervorragende Facharbeiter, Lehrer, Künstler, Wissenschaftler und u. a. auch ein paar neue Politiker nach der Wende hervorzubringen ‑ und das alles, ohne eine Eliteausbildung.

 

Der zweite Aspekt: Wir Sozialdemokraten haben bei unserer Forderung, mindestens die sechsjährige gemeinsame Grundschule zu verlangen, selbstverständlich auch ein paar natürliche Gegner, und dabei sollte auch bei dieser Konzeption daran gedacht werden; denn diese natürlichen Gegner sind die Elternliebe, der persönliche Ehrgeiz der Erziehenden und nicht zuletzt die menschliche Eitelkeit, die dann glaubt, dem eigenen Kind das Beste angedeihen zu lassen. Da fällt auch schnell mal ein Sozialdemokrat um und wünscht sich eine Eliteschule.

 

Drittens und letztens: Uns Sozialdemokraten geht es in erster Linie um die Schwachen und Unterprivilegierten, das ist klar. Mit einer Änderung des Schulgesetzes würden mittel‑ und langfristig die gleichen Chancen entzogen werden, oder sagen wir es einmal salopp anders: Geben wir doch dem Kind eines Rechtsanwalts mit gutgehender Kanzlei auch weiterhin die Chance, den Gesamtüberblick über die Gesellschaft, in der es lebt, wenigstens in den ersten sechs Schuljahren haben zu können.

(Glocke des Präsidiums)

Ich bitte um eure Zustimmung. Lichtenberg ist auch mit beiden Änderungsanträgen einverstanden. ‑ Schönen Dank.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Petra Merkel.

 

Petra   M e r k e l   (Charlottenburg): Genossinnen und Genossen! Ich denke, es ist jetzt an der Zeit, dass ich für die Fraktion den Kompromib, den wir eingehen mubten, etwas begründe.

 

Als erstes möchte ich mich sehr herzlich bei all den Kreisen und Abteilungen bedanken, die sehr intensiv darüber beraten haben, wie es zu verhindern ist, dieses Exprebabitur einzuführen, und vehement und eindringlich zur sechsjährigen Grundschule in Berlin Stellung genommen haben ‑ ohne Wenn und Aber, ohne Zucken und ohne dass sich diese Partei hat auseinanderdividieren lassen. Das war für uns in der Fraktion eigentlich die stärkste Rückenstärkung, die wir erfahren konnten. Das hat diese Partei geleistet, und dafür möchte ich mich bedanken.

 

Dass es natürlich dazu kommen mub, dass man nicht immer auf einen groben Klotz ‑ Klemann ‑ einen groben Keil ‑ SPD‑Fraktion ‑ setzen kann, hat manchmal die Grenzen darin, dass er uns eben nicht beteiligen mub, wenn er Verwaltungsverfahren einführt. Dies ist unsere grobe Schwierigkeit. Wir haben uns immer auf die Position bezogen, die wir in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben haben, einen einheitlichen Weg zum Abitur zu führen ‑ nach Abstimmung mit der KMK. Und er kam in die letzte Verhandlungsrunde rein und sagte: Im übrigen darf ich Ihnen mitteilen, die KMK hat gestern zugestimmt. Wir können das Exprebabitur in Berlin einführen. ‑ Damit war uns eigentlich die Grundlage entzogen, auf die wir uns bis zum Schlub festgelegt hatten, dass wir das nicht mitspielen.

 

Wir hatten dann zwei Möglichkeiten: einmal, die wahre Lehre durchzuziehen und zu sagen, wir treiben es weiter: Nicht mit Ihnen, Herr Klemann; wir stimmen im Abgeordnetenhaus gegen Sie! Allerdings hatten wir alle im Hinterkopf ‑ und das, denke ich, muss man auch ehrlich sagen ‑, dass dann, wenn ein Mibtrauensantrag gegen Klemann gestellt wird, die SPD‑Fraktion natürlich nicht daran denkt, die Koalition dadurch platzen zu lassen. So, das war unsere Alternative.

 

Wir haben dann in den Verhandllungen gesehen, was wir denn wirklich für die SPD‑Bildungspolitik herausholen können. Und ich denke, das haben wir relativ gut hingekriegt. Einmal haben wir es begrenzt, und ich möchte da auch Brigitte Miebner um eine klare Definition bitten. Es gibt nicht drei Gymnasien mit Exprebabitur, sondern es gibt drei einzelne Züge in drei Gymnasien ‑ das ist erheblich weniger. Wir haben es nämlich geschafft, dadurch, dass das einzügig fährt in den drei Gymnasien, es innerhalb der Schulen wahrscheinlich sehr stark beäugt und sehr kritisch begleitet werden wird. Das ist auch eine Möglichkeit, etwas nicht gerade zum Erfolg zu verhelfen.

 

Ihr kennt dieses Ergebnis, was wir gehabt haben: Weiterführung der Integration in die Oberschule hinein. Wir haben es geschafft, dass die zweisprachige Alphabetisierung, die sich schon wieder als Konflikt am Horizont abspielte, weitergeführt wird. Und wir haben es auch geschafft, dass Zehlendorf nach 20 Jahren hartem Kampf endlich eine Gesamtschule kriegt. Auch das, finde ich, ist ein Erfolg.

 

Wir haben darüber hinaus versucht, dieses Elitezeichen von diesem einen Zug an der Schule dadurch wegzukriegen, dass wir gesagt haben, es muss ein offener Zugang sein. Es darf kein Numerus clausus‑Notendurchschnitt einzige Möglichkeit sein, in diesen Zug aufgenommen zu werden. Und es ist von unserer Seite hineingebracht worden, dass das Schliemann‑Gymnasium im ehemaligen Ost‑Berlin ein altsprachiges grundständiges Gymnasium wird. Insgesamt ist das ein Paket, was nach meinem Dafürhalten auch sozialdemokratische Politik sehr gut deutlich macht.

 

Wir haben es auch sofort umgesetzt, dass der Landes‑ und Fraktionsvorsitzende Ditmar Staffelt angefordert hat, dass das, was wir verhandelt haben, auch zügig umgesetzt wird; denn Herr Klemann ist mit manchen Rundschreiben sehr schnell bei der Hand. Bei diesem, wo er etwas zurücknehmen mub, da läbt er sich etwas mehr Zeit. Also, wir werden darauf dringen. Ich bitte euch, auch in den Bezirken sehr stark darauf zu achten, dass das, was wir als Verhandlungsergebnis haben, umgesetzt wird. Wir werden von unserer Ebene dafür sorgen.

 

Aus diesem Grund möchte ich euch bitten, dem Änderungsantrag von Brigitte Miebner nicht zuzustimmen;

(Glocke des Präsidiums)

denn es stimmt, was in Antrag 32/II/92 aufgeführt ist: Wir müssen beteiligt werden, wenn in jedem Bezirk ein Schnelläufer‑Gymnasiume eingeführt wird. Wir haben es für diese Legislaturperiode ausgeschaltet, und ich denke, das ist ein gerader Zug.

 

Zum Schlub möchte ich noch sagen, dass wir für das Frühjahr dieses Jahres vorhaben, einen schulpolitischen Kongreb zu gestalten, und das ist ein guter Vorlauf für einen im Herbst stattfindenden Landesparteitag mit bildungspolitischen Inhalten. ‑ Ich danke euch.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Burkhard Zimmermann.

 

Burkhard   Z i m m e r m a n n   (Zehlendorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Es ist wahrscheinlich kein Wunder, dass ich mich natürlich für den Antrag von Brigitte Miebner einsetzen möchte, weil ich in der Tat nicht weib, ob ich dem reinen Antrag aus Lichtenberg zustimmen könnte; denn da heißt es nämlich, das, was die Fraktion macht, akzeptieren wir: dass das Schnelläufer‑Abitur nun in drei Bezirken anläuft, und das finde ich einfach problematisch.

 

Ich komme aus Zehlendorf, und einige haben sich über die Gesamtschule sehr gefreut. Da sind auch schon konkrete Plätze in der Überlegung, zum Beispiel die American‑Highschool. Nun wissen wir mittlerweile, dass sich mit hoher Wahrscheinlichkeit herauskristallisiert, dass sie gar nicht frei, sondern als Botschaftsschule bleiben wird. Jetzt bin einmal gespannt, liebe Petra Merkel, wie ihr in der Fraktion im nächsten Jahr in Anbetracht der Sparpolitik die neue Gesamtschule bauen wollt ‑ das ist die Frage. Ich garantiere, dass ihr alle umfallen werdet, weil ihr sagt: Die Kosten, die können wir doch im nächsten Jahr nicht mehr verantworten, und da eine Schule für teures Geld, und: Das haben wir ja alles nicht gewubt. ‑ Wir wissen es: An dem Tag, wo euer Kompromib herausgekommen ist, war schon klar, dass es mit der Highschool problematisch wird, und ich sage einmal: Da hat euch jemand mustergültig gelinkt!

 

Damit bin ich am entscheidenden Punkt ‑ zunächst werdet ihr sagen: Was hat das damit zu tun? ‑: Ich bin der leidgeplagte Abteilungsvorsitzende, aus dessen Abteilung Karl‑Heinz Evers ausgetreten ist. Wir haben vier Monate mit Kalle Evers diskutiert, und wenn ihr seinen Brief gelesen habt, ist euch vieles klar. Nun werdet ihr fragen: Was hat das hiermit zu tun? ‑ Wenn ihr den Brief richtig gelesen habt, will ich deutlich sagen: Karl‑Heinz Evers ist nicht zu diesem Zeitpunkt ausgetreten wegen der Asylpolitik ‑ das hätte gedauert. Er hat nämlich noch auf die Bundestagsfraktion gehofft. Karl‑Heinz Evers ist ausgetreten, liebe Petra Merkel, liebe Ursula Leyk, wegen eures Schulkompromisses! Das ist der Grund, warum er ausgetreten ist, das muss man einmal deutlich sagen.

 

Wenn man hier Pakete schnürt, dann lest euch einmal den Absatz in seinem Brief durch, wo er nämlich deutlich sagt ‑ er war ja einmal Senator in einer groben Koalition, da wäre dieses nicht möglich gewesen ‑ ‑ Er war einmal Senator im SPD/FDP‑Senat; auch dort war es nicht so.

 

Und wenn man Pakete schnürt, dann muss sich das auch genau ansehen. Ich sage, stimmt für den Antrag von Brigitte Miebner nicht nur aus dem Grund Karl‑Heinz Evers; aber ich glaube, wir machen uns etwas vor, wenn wir Scheibchen für Scheibchen sozialdemokratische Inhalte deformieren, wenn es nicht mehr wiederkommt. Und ich möchte wirklich sehen, wie konsequent ihr bereit seid, das Geld für einen Gesamtschulbau in Zehlendorf im nächsten Jahr zu finanzieren. ‑ Vielen Dank.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Silvia Freimuth.

 

Silvia   F r e i m u t h   (Zehlendorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich möchte euch etwas über die Stimmung in dem Bezirk berichten, der von der Entscheidung, dem Kompromib des Abgeordnetenhauses, betroffen ist. Zum einen haben wir einen Schnelläuferzug an der Zehlendorfer Werner von Siemens‑Schule bekommen, zum anderen sind wir sehr froh über die Entscheidung für eine Gesamtschule.

 

Nun zu der Umsetzung: Petra Merkel hat eben gesagt, der Bezirk muss wachsam sein und schauen. Ich kann nur sagen, wir sind seit mehreren Jahren, wenn nicht schon Jahrzehnten, dabei vorzubereiten, eine Gesamtschule als Regelschule für Zehlendorf einzuführen. Die Umsetzung indes gestaltet sich schwierig, fast unmöglich, weil wir eine Mehrheit der CDU haben, die der Beton‑Fraktion zuzurechnen ist, die sich über diesen Kompromib einfach lustig macht. Sie sagt: Wir haben kein neues Schulgebäude, und es kommt überhaupt nicht in Frage, an einer bestehenden Schule eine Gesamtschule einzurichten.

 

Insofern müssen wir bildungspolitisch am Ball bleiben und müssen, wenn dieser Kompromib jetzt so zustande gekommen ist, auch für die Umsetzung auf allen Ebenen sorgen. Da ist sicher ein Bezirk wie Zehlendorf nur eine Stelle, wo das geschehen kann; und da sind wir sicher am Ball. Es muss auch auf Abgeordnetenhausebene umgesetzt werden, sonst machen wir uns lächerlich.

 

Zu der Frage eines bildungspolitischen Parteitages kann ich nur bekräftigen: Es sind nicht nur die eigenen Genossinnen und Genossen, die jetzt in der Schulpolitik wieder aktiv sind und das Thema für sich entdeckt haben. Es sind auch unheimlich viele Gremien, die das einfordern. Landesschulbeirat und Bezirkselternausschub, Landeselternausschub haben ein grobes Intereresse daran, auch bildungspolitische Signale von der Sozialdemokratie zu empfangen.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Monika Buttgereit.

 

Monika   B u t t g e r e i t   (Schöneberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich kann es überhaupt nicht verstehen, dass Petra Merkel diesen Kompromib mit der CDU als Erfolg feiert;

(Beifall)

denn ich denke, es gab für diesen Kompromib überhaupt keinen Anlab. Wir haben schlieblich als Sozialdemokratische Partei ein Koalitionsabkommen mit der CDU geschlossen. Darin steht nichts, dass die sechsjährige Grundschule in irgeneiner Form angetastet wird, und darin steht auch nichts vom Exprebabitur. Deshalb gab es für diese Verhandlungen überhaupt keinen Anlab. Ich finde, wir müssen endlich davon wegkommen, dass der CDU‑Senator einfach entgegen dem Koalitionsabkommen mit irgendwelchen Vorschlägen in die Öffentlichkeit geht, diese nach vorne bringt, die SPD hechelt hinterher, läbt sich auf Verhandlungen überhaupt ein, und hinterher wird dann noch als Erfolg gefeiert, dass ja der CDU‑Senator nicht alles durchbekommen hat, sondern nur die Hälfte. Es gab dafür überhaupt keinen Anlab; denn wir haben unser Koalitionsabkommen. Und das, was vom CDU‑Senator vorgeschlagen worden ist, war eindeutig gegen das Koalitionsabkommen.

 

Ein inhaltlicher Punkt noch: Da wird gesagt, es gibt keinen Numerus clausus, jeder kann zu diesem Exprebabitur zugelassen werden. ‑ Das mag für die erste Phase, also Beginn 5. Klasse, zutreffen, dass jeder dorthin gehen kann. Ich denke, die meisten werden es gar nicht erst versuchen, wenn sie nicht entsprechende Noten haben. Aber wenn sie es versuchen, dann ist natürlich spätestens nach dem Probehalbjahr oder am Ende der 5. Klasse Sense; denn sie werden den Leistungsanforderungen und dem Leistungsdruck, der dort herrschen wird, nicht gewachsen sein, und dann kommt man natürlich wieder auf den Numerus clausus. Das heibt: Das, was hier mit diesem Exprebabitur stattfindet, ist eindeutig eine Elitebildung, eine soziale Auslese, und das widerspricht all dem, was wir an bildungspolitischen Leitsätzen in den letzten Jahrzehnten formuliert haben.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat jetzt ‑ quotiert ‑ Wolfgang Schimmang.

 

Wolfgang   S c h i m m a n g   (Neukölln): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich freue mich, auch einmal die Quotenregelung in Anspruch nehmen zu können. In Neukölln war das noch nicht so notwendig, aber ich bin sehr dankbar dafür. Insofern muss ich nachträglich sagen: Dank der Quotenregelung!

 

Als Neuköllner Volksbildungsstadtrat möchte ich die eine oder andere Sache hier klarstellen: Zwei Formulierungen, die Genosse Zimmermann ‑ dessen Beiträge ich immer sehr schätze ‑ vorgetragen hat, finde ich bemerkenswert. Erstens: Petra Merkel, ihr seid „gelinkt“ worden. Zweitens: Petra Merkel, wegen deiner, eurer Schulpolitik ist Karl‑Heinz Evers ausgetreten. ‑ Ich weib nicht, ob man sich das manchmal nicht zu leicht macht mit der Genossenschelte und indem über andere herfällt. So geht es, denke ich, nicht!

(Beifall)

Ich beziehe da ausdrücklich andere Diskussionsbeiträge mit ein. Es ist schon bemerkenswert festzustellen ‑ vielleicht stimmt das teilweise, aber zumindest nicht gänzlich ‑, dass wir nur von dummen SPD‑Senatoren, von einer dämlichen Fraktion und auch von Teilen der Landesparteitagsdelegierten ein merkwürdiges oder dämliches Abstimmungsverhalten haben. Das Abstimmungsverhalten ist immer nur dann in Ordnung, wenn es der eigenen Sache nutzt; ansonsten ist man von Dämels umgeben. Ich sage das als Beitrag zum pfleglichen Umgang miteinander.

 

Zur Sache selbst folgende Bemerkung: Erstens ‑ und das hat auch Thomas Härtel grobe Schwierigkeiten gemacht ‑ sind die Anträge zum Glück nicht aus Neukölln, sondern aus den Schulen selbst gekommen. Da beginnen schon die Schwierigkeiten, erst einmal Mehrheiten zu gewinnen, dass die Schulkonferenz solche Anträge nicht formuliert. Geht hin, und stellt euch der Diskussion ‑ gerade die, die von Basis sprechen.

 

Zweitens: Ich sage, die Volksbildungsstadträte der SPD und die Genossen des Schulausschusses haben sich sehr intensiv darum bemüht ‑ auch im Rahmen eines Hearings ‑, hier zu verhindern, dass an der bewährten Berliner Grundschule geknabbert wird. Dieser Standpunkt bleibt unverrückbar, aber wir müssen nun einmal erkennen, dass wir bedauerlicherweise ‑ aus vielfältigen Gründen, und die Ursachen liegen in den Jahren zurück ‑ den Schulsenator nicht stellen. Insofern sollten wir uns lieber bemühen, gemeinsam bestimmte Dinge zu bewegen, damit wir wieder in der Lage sind, auch den Schulsenator zu stellen. Dann könnte man da auch manches ändern.

 

Insofern ‑ ich fasse zusammen ‑ sind die pauschalen Vorwürfe gegen die Mitglieder des Schulausschusses an diesem Punkt nicht berechtigt, und ich würde bitten, sich darüber erst einmal sachkundiger zu machen. ‑ Herzlichen Dank.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Petra Merkel.

 

Petra   M e r k e l   (Charlottenburg): Genossinnen und Genossen! Liebe Monika! Ich denke, ich habe hier nicht einen Erfolg gefeiert; dazu sind diese  Kompromisse ‑ und die Leute, die unsere Arbeit im Bildungsbereich im Abgeordnetenhaus kennen, wissen, wie schwer uns das gefallen ist ‑ viel zu bitter erstritten.

 

Aber ich muss auch deutlich machen, dass das, was dann im Endeffekt an Kompromib herauskommt, keine Grundlage ist, die unsere sozialdemokratische Bildungspolitk verletzt. Ich lasse es mir auch nicht in die Schuhe schieben, dass wegen dieser Bildungspolitik Karl‑Heinz Evers austritt.

(Vereinzelter Beifall)

Ich denke, das war sicher auch ein Teil seiner Beweggründe, aber eben auch nur ein Teil. Es gab auch genug andere Teile: Dieser Artikel und der Brief an Burkhardt Zimmermann sprichen auch dafür, dass es genug andere Positionen der SPD waren, die sich eben geändert haben, die verschiedene Standpunkte jetzt viel stärker hinterfragt als es früher jemals üblich gewesen ist. Ich bedauere es wirklich auberordentlich, dass Karl‑Heinz Evers ausgetreten ist, und das kann jeder nachvollziehen, der lange mit ihm Bildungspolitik in Berlin gemacht hat.

 

Es finde es auch nicht redlich von Burkhardt Zimmermann zu sagen, wir seien gelinkt worden. Wir haben nicht festgeschrieben, dass die Schulstandorte, die die Amerikaner aufgegeben haben oder in Zukunft aufgeben werden, ausschlieblich für eine Gesamtschule in Zehlendorf in Frage kommen, sondern es ist gesagt und vereinbart worden, dass eine Gesamtschule in Zehlendorf installiert werden soll. Natürlich setzen wir uns im Abgeordnetenhaus bei unserem politischen Partner dafür ein, dass das, was verhandelt worden ist, auch umgesetzt wird in Zehlendorf, und das muss er mit seinen Leuten dann eben in Zehlendorf klären. Euch in Zehlendorf bitte ich, wirklich hart zu bleiben und nicht von vornherein zu resignieren und zu sagen: Das geht sowieso nicht alles, denn ihr habt das nicht ordentlich verhandelt. Sondern tragt, bitte, auch ihr genauso, wie es die schulpolitische Sprecherin der BVV hier vorgetragen hat, euren Teil dazu bei.

 

Ich möchte zum Schlub kommen und bestätigen, was mein Vorredner, Kollege Schimmang gesagt hat: Wenn es man so gewesen wäre, dass in den Gesamtkonferenzen der Schulen, zum Beispiel auch in Charlottenburg und in den anderen Bezirken, die dieses Modell Exprebabitur so gern gehabt hätten, wenn es mal so gewesen wäre, wenn es nicht mit groben Mehrheiten abgestimmt worden wäre! Wo SPD‑Genossen drin sind, wo GEW‑Genossen drin sind, da ist es eben nicht so gelaufen, dass man an einem sicheren Arbeitsplatz eigentlich hätte die sozialdemokratische Politik umgesetzt, sondern da hat man sich dann auch lieber darauf gestürzt zu sagen, wir profilieren uns mal auf leichte Weise ‑ das muss dann hier auch gesagt werden.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Thomas Härtel.

 

Thomas   H ä r t e l   (Steglitz): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich will es kurz machen. Das, was Monika Buttgereit ausgeführt hat, kann ich eigentlich vom Grundsatz her voll unterstützen, weil wir eben gegen die Einführung solcher Schnelläufer‑Züge sind.

 

Das Dilemma ist aber ‑ und das wollte ich mit meinem Ergänzungsantrag zum Ausdruck bringen ‑, dass wir auf Probleme, die uns auch Eltern herantragen, nicht vernünftig reagieren mit einer bildungspolitischen Konzeption. Warum haben denn manche Eltern den Wunsch, dass ihr Kind in der Schule ‑ sei es auch schon in der Grundschule oder auch in Gymnasien ‑ möglicherweise schneller gefördert wird? Da wollen wir entgegensetzen, dass wir gegen eine Auslese sind. Das ist richtig! Wir sollten aber auch überlegen, wie sich die Gymnasien entwickeln können, dass sie differenzierte Bildungsangebote unterbreiten können, ohne dass es zu solchen Schnelläuferzügen kommt. Wir haben nichts entgegenzusetzen gehabt ‑ das ist das Problem, und zwar nicht nur der Abgeordneten, sondern auch von uns allen, weil wir uns mit diesem Problem nicht beschäftigt haben, und dann kommt man in eine solche, schwierige Situation.

 

Einen zweiten Punkt, den ich kurz nennen will, ist der ‑ das darf nicht vergessen werden, und ich bin dafür ausgesprochen dankbar, Petra und Ursel, dass ihr dafür gekämpft habt ‑: Wir haben im Bezirk Steglitz Modellversuche zur Integration behinderter Kinder im SEK I‑Bereich; in Schöneberg läuft das auch. Die Fortführung dieser Schulversuche, die sehr wichtig sind, waren gefährdet. Ihr habt es zumindest geschafft, dass sie jetzt gesichert sind. Wir werden alles tun, dass auch die Integration im SEK I‑Bereich fortgeführt wird.

 

Man muss eben manchmal auch Kompromisse eingehen, und wir sollten an dieser Stelle nicht zu sehr auf unsere Abgeordneten schimpfen, auch wenn ich mit den Exprebzügen nicht zufrieden bin.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Kurt Neumann für die Antragskommission zu Antrag 32 und den jeweiligen Änderungs‑ oder Ergänzungsanträgen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir können nur formale Hinweise geben, weil wir uns damit nicht beschäftigt haben. Ich denke, von der Systematik her wäre erst über den Antrag Miebner abzustimmen, weil er sich direkt anschliebt und als nächstes, wenn er angenommen oder abgelehnt wird, über den Antrag Härtel, wobei ich für den Landesvorstand, nicht für die Antragskommission interpretiere, dass nächster Landesparteitag einer der beiden Landesparteitage im Jahr 1993 ist, es kann auch der übernächste sein. Denn wenn der nächste der Jahresparteitag ist, vor dem Bundesparteitag kann es der November‑Parteitag sein, wenn wir vor der Sommerpause noch etwas machen ‑ wobei ich das als Selbstverpflichtung für die ganze Partei auch begreifen will, da etwas zu machen, nicht nur für den Landesvorstand.

 

Ansonsten haben wir keine Empfehlungen der Antragskommission, weil wir das noch nicht beraten haben. Ich schlage aber vor, erst über den Antrag von Brigitte Miebner abzustimmen und dann über den Antrag von Thomas Härtel.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Dann stimmen wir zunächst über den Ergäzungsantrag zum Antrag 32 ab, den Brigitte Miebner vorgelegt hat. Wer diese Ergänzung aufnehmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Das erstere war die Mehrheit.

(Vereinzelter Beifall)

Im Präsidium gibt es unterschiedliche Auffassungen.

(Unruhe)

Die Abstimmung wird wiederholt. Wer möchte den Antrag Brigitte Miebner aufnehmen? ‑ Danke sehr! Wer ist gegen die Aufnahme dieses Antrags? ‑ Eindeutig, das erste war die Mehrheit.

(Vereinzelter Beifall)

Damit ist dieser Zusatz aufgenommen.

 

Wir kommen damit zum zweiten Zusatz, den Thomas Härtel vorgeschlagen hat. Wer diesen aufnehmen möchte, den bitte ich ebenfalls um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Gegenprobe! ‑ Bei einigen, wenigen Gegenstimmen so angenommen.

 

Dann kommen wir jetzt zur Gesamtabstimmung dieses nunmehr mit zwei Anfügungen versehenen Antrags 32/II/92. Wer dem Antrag insgesamt seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Gegenprobe! ‑ Bei einigen Gegenstimmen so mit grober Mehrheit beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Damit sind nach Auffassung der Antragskommission die Anträge 33/II/92, i 39/II/92, 25/I/93 und 26/I/93 erledigt. Ich bitte, dieses festzustellen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Präsidium hört keinen Widerspruch, dann ist dies festgestellt.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen damit zu Antrag 42/II/92 (Kreis Charlottenburg) auf Seite 8, einem Antrag zum Bereich Kita‑Gesetz. Die Antragskommission empfiehlt Annahme in ihrer Fassung ‑ rechts abgedruckt; zusätzlich liegt euch ein Änderungsantrag auf blauem Papier vor, der ‑ Punkte 5 und 6 ‑ noch eine Ergänzung zu dieser Fassung der Antragskommission enthält. Dieser Antrag lag der Antragskommission bei ihrer Beratung nicht vor, obwohl er rechtzeitig eingegangen war. Dort können wir keine Empfehlung abgeben. Darüber mübte hier beraten und ein Beschlub gefabt werden.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Zu diesem Punkt gibt es bereits Wortmeldungen ‑ als erster der Genosse Nolte.

 

Karl‑Heinz   N o l t e   (Treptow): Genossinnen und Genossen! Ich begrübe diesen Antrag, der aus Charlottenburg vorgelegt worden ist, weil er im Grunde die Position, die die Fraktion hat, auch unterstützt und da hilfreich ist.

 

Ich möchte aber doch zur Kita‑Kostenbeteiligung ein paar Dinge sagen, die mir in der öffentlichen Debatte unterzugehen drohen. Es ist für die Fraktion wichtig gewesen, sich dafür einzusetzen, dass die Gruppengröbe in den Kindertagesstätten, so, wie sie in Berlin ist, nämlich 15 Kinder je Gruppe, erhalten bleibt.

 

Zweite Randbedingung in Berlin: Wir haben etwa 1 500 Erzieherinnen im Überhang, und die Position ist, dass wir hier keine Kündigung vornehmen.

 

Dritter Punkt: In der Kita‑Kostenbeteiligungsregelung ‑ so, wie wir sie im Abgeordnetenhaus im Dezember beschlossen haben ‑ gibt es mehrere Reduzierungen. So ist zum Beispiel in den Horten der Kindertagesstätten der Beitrag auf drei Viertel reduziert worden. Weiterhin ist die Mehr‑Kinder‑Regelung in einer Richtung verbessert worden, nämlich dass die Eltern, die mehrere Kinder in einer Kindertagesstätte haben, eine stärkere Ermäbigung kriegen, als es in der Vergangenheit üblich war, nämlich muss für das zweite Kind drei Viertel des Beitrags gezahlt werden, für das dritte und weitere Kinder die Hälfte. Das ist eine Verbesserung gegenüber früher.

 

Nun hat die Sache allerdings, wenn man die Berliner Kindertagesstättenpolitik vergleicht ‑ was man machen muss mit den anderen, alten und neuen Bundesländern ‑, auch einen Haken. Der ist, dass die Kita‑Kostenbeteiligung, wo die Elternbeiträge in Berlin bisher 8 % der laufenden Kosten ausmachen, gesteigert werden mub. Da haben wir gesagt, das muss von 8 auf 12 % erhöht werden. Hier bitte ich, dass wir Sozialdemokraten ehrlich sind. Wir verlangen immer von der Bundesregierung, dass sie die Karten auf den Tisch legt, Kassensturz macht, sagt, was alles kostet, wo bestimmte Dinge erhöht werden mubten. Das müssen wir in Berlin auch durchhalten, um glaubwürdig zu sein. Das erfordert in dieser Frage, wenn man sagt, von 8 auf 12 %, nämlich quasi durchschnittlich den Beitrag um 50 % zu erhöhen, Mut und Kraft. Ich denke, dass wir das machen sollten, um die anderen Bedingungen, die wir auch wollen ‑ niedrigste Gruppengröbe in ganz Deutschland, keine KÜndigung von Erziehern ‑, weiterhin halten zu können.

 

Diese Kita‑Kostenbeteiligung ist so gestaltet, dass die Familieneinkommen bis 66 000 DM entlastet werden. Allerdings werden sie entlastet zu Lasten der Familieneinkommen oberhalb von 66 000 DM. Man muss sich vor Augen halten: Es gibt im Grunde in den Kindertagesstätten keine Besserverdienenden, Einkommen über 120 000 DM sind relativ gering, sehr gering vertreten. Wenn man Entlastungen für die untere Einkommensgruppe erreichen will, gehen die zu Lasten mittlerer Einkommen. Wenn man die Sparquote, die der Senat vorgegeben hat, erhalten will, muss man die Kita‑Kostenregelung so beibehalten, wie sie ist. Sie ist nicht sozial ungerecht, verglichen mit dem, was sich sonst in Deutschland auf diesem Gebiet tut.

 

Nun will die CDU mit uns über die Mehr‑Kinder‑Regelung reden. Diese Mehr‑Kinder‑Regelung, so, wie sie ist, ist von der CDU eingebracht worden. Die CDU kippt um; wir haben keinen Grund, uns zu verweigern, mit der CDU Gespräche zu führen. Allerdings wollen wir dann auch den Bereich ‑ und das zeigen die Streiks der letzten Tage auch ‑ der mittleren Einkommen entlasten.

 

Allerdings hat dieses für uns eine Rahmenbedingung. Wir sagen, die Entlastung mittlerer Einkommen in den Kindertagesstätten muss durch zusätzliche Haushaltsmittel des Finanzsenators ausgeglichen werden. Wir knüpfen die Bedingung, dass nicht die mittleren Einkommen zugunsten des Etats aus Jugend und Familie, beim Senat oder in den Bezirken, entlastet werden. Dies ist eine wichtige Bedingung, die wir allerdings gegenüber der CDU durchsetzen wollen. Wenn sie mit uns reden will, reden wir auch, aber wir sagen dann auch, was wir wollen.

 

Des weiteren wollen wir im Bereich der Vorschulgruppen eine Reduzierung des jetzigen Beitrags. Die Verhandlungen mit der CDU werden in der nächsten Woche stattfinden, dazu ist auch in der Ergänzung des Antrags einiges gesagt worden. Wir werden uns so, wie ich es hier sage, in den Verhandlungen einsetzen.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat der Genosse Borchardt.

 

Helmut   B o r c h a r d t   (Kreuzberg): Genossinnen und Genossen! Ich bin auch für eine Veränderung dieser Kita‑Kostengebühren, wie es in Punkt 5 vermerkt ist. Ich muss aber feststellen, dass die Ursache, dass wir in der Situation sind, jetzt noch einmal nachbessern zu müssen, sich darin begründet, dass wir hier eine Situation haben, die wir bereits heute mittag erörtert haben, nämlich dass es ein unstrukturiertes Sparen in Berlin gibt. Das führt dazu, dass zum Beispiel im Kindertagesstättenbereich sehr beliebig zugegriffen wird und dann plötzlich irgendwann einmal die Eltern kommen und sagen: Leute, so geht das nicht; ihr zieht uns in einer Art und Weise das Geld aus der Tasche, dass das für uns nicht mehr tragbar ist und wir unsere Kinder aus den Kindertagesstätten abmelden müssen.

 

Der Hintergrund für dieses Kita‑Kostengesetz war der, dass im Senat beschlossen wurde, dass 65 Millionen DM zusätzlich eingespielt werden müssen über diese Kostenerhöhung. Dann hat man angefangen, die Werte neu zu berechnen, um auf diese 65 Millionen DM zu kommen. Man hat aber dabei vergessen, erst einmal zu überprüfen, ob das wirklich sozialverträglich und akzeptabel ist, was da passiert. Jetzt ist das Geschrei grob, und wir sind in der Situation, der CDU hinterherrennen zu müssen, die anfängt, uns links zu überholen. Das ist eine Situation, die man wirklich nicht ertragen kann, und die es einem schwermacht, in den Bezirken mit den Eltern und mit den Erzieherinnen und Erziehern zu reden und hier noch eine Senatslinie oder die Linie, die das Abgeordnetenhaus fährt, zu vertreten. Deshalb wäre es besser, vorher darüber nachzudenken, was passiert, wenn man etwas macht, als wenn man das hinterher tut.

 

Leider ist der Genosse Meisner nicht mehr anwesend; ich wollte ihm nämlich zum Ausgleich einen strukturellen Sparvorschlag machen. Ich wäre dafür, dass wir die Gebühren senken ‑ das würde vielleicht einen Betrag von um die 5 Millionen DM ausmachen ‑, und dann könnten wir folgendes machen: Wir könnten z. B. in der Senatshauptverwaltung Jugend die Kita‑Aufsicht auflösen. Die machen nämlich genau das, was wir schon in den Bezirken machen.

(Vereinzelter Beifall)

Weiterhin könnten wir das Kita‑Baureferat auflösen; das, das sie machen,  machen wir nämlich in den Bezirken auch schon. Und wir könnten dann auch weiter zugreifen beim Finanzsenator, beim Bausenator und bei StadtUm, weil dort ebenfalls noch Oberbeamte sitzen, die noch einmal das zum vierten, fünften Mal machen, was wir bereits in den Bezirken gemacht haben. Wenn die alle verschwänden, und die Bezirke hätten die Kompetenzen,

(Beifall)

dann könnten wir eine vernünftige Kita‑Politik machen, dann könnten wir den Eltern auch ins Gesicht sehen und könnten offensiv unsere soziale Politik vertreten. ‑ Danke schön.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Herzlichen Dank! ‑ Das Wort hat Kirstin Fussan‑Freese.

 

Kirstin   F u s s a n ‑ F r e e s e   (Pankow): Liebe Genossinnen und Genossen! Lieber Helmut, ich danke dir für deinen Beitrag; du hast mir vieles aus dem Mund genommen, hast vieles gesagt, was ich ebenfalls sagen wollte. Aber: Ich hätte gern zu diesem Antrag eine Ergänzung, und zwar zu dem Antrag in der Fassung der Antragskommission zu Punkt 2. Dort steht:

 

der Entwurf eines Kita‑Gesetzes ist einzubringen, der unter anderem auch die Gruppengröben festschreibt

 

Ich würde hier gern drin haben:

 

und die Verhinderung des Abbaus von Plätzen.

 

Folgendes: Ich hatte im vergangenen Jahr ‑ ich bin Jugendstadträtin in Pankow ‑ den Rechnungshof bei uns im Bezirk, der sich gerade in dem Bereich der Kita umtat und dieses sehr gründlich. In der Auswertung des Rechnungshofsberichts ‑ der Arbeitsgruppe, die bei uns war ‑ wurde festgestellt:

 

Der Bezirk wird aufgefordert, nur die Platzzahl anzubieten, die im Westteil üblich ist.

 

Ich habe bei mir im Bezirk 77 Kindereinrichtungen mit über 5 000 Plätzen. Ich habe ein 100prozentiges Kita‑Angebot. Ich denke, wir sollten davon nicht abgehen. Wir sollten besser erreichen, dass auch im Westteil ein 100prozentiges Angebot sichergestellt wird

(Beifall)

und nicht, dass wir abbauen müssen.

 

Ich habe diese Aufforderung vom Rechnungshof bekommen. Wir haben natürlich dementsprechend erwidert. Ich bin nicht bereit, auf die 70 bzw. 40 % herunterzugehen, wie es der Rechnungshof beschlossen hat. Ich bitte deshalb, dass diese Ergänzung als Antrag mit aufgenommen wird.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Ingrid Holzhüter.

 

Ingrid   H o l z h ü t e r   (Tempelhof): Bei der letzten Änderung hätte ich noch einen Wunsch ‑ vielleicht könntest du mit dem Formulieren eine Sekunde aufhören und das noch mit einbeziehen, wenn es dir recht ist. Wir haben alle im Bundesgebiet beschlossen, dass es ein sogenanntes Schwangerenhilfegesetz gibt. In diesem Gesetz steht als Rahmen ‑ und das ist nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ‑: Jedes Kind hat Recht auf einen Kinderbetreuungsplatz. ‑ Vielleicht kannst du das noch einfügen; denn die Finanzierung solcher Dinge erfordert natürlich das Sparen an einer anderen Stelle. Aber so ein Bundesgesetz ist für alle bindend, und da muss die Bundesregierung auch ran und die 20 Millionen DM zugeben, die sie in den Vorgesprächen sozusagen in Aussicht gestellt hat. Vielleicht kannst du das noch mit einfordern; denn ich denke, die Kommunen brauchen die Unterstützung sehr dringlich, und davor können die sich auch nicht drücken. Sie haben es nämlich alle nur so lange gewollt, wie sie dachten, die andere Partei lehnt es ab; da können wir ja vollmundig zustimmen. Nun haben wir das Ding, und nun stehen wir da. Nun geht der Herr Rommel herum und sagt, er geht jetzt zum Verfassungsgericht und wird dagegen Klage einreichen. Ich denke, dazu sollte die SPD auch ein Wort sagen.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Kurt Neumann für die Antragskommission.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Es ist zu Punkt 3 beantragt worden zu ergänzen, dass dadurch ein Beitrag zum Abbau der Warteliste geleistet wird und das Recht festgeschrieben wird, jedem Kind einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen.

(Zuruf)

‑ Das Problem ist, der Änderungsantrag ist so, wie er ist. Es könnte ein Änderungsantrag zum Änderungsantrag gemacht werden. Aber seht es mir nach: Ich bin nicht in der Lage, das zu tun.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es kommt ein Zusatz: „… jedes Kind von 3 bis 6 …“.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Jedem Kind von 3 bis 6 Jahren?

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : So steht es jedenfalls in dem jeweiligen Bundesgesetz drin.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Übernimmst du das, von 3 bis 6 Jahren? Ja. „… jedem Kind von 3 bis 6 Jahren einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen“, heißt dann dieser Änderungsantrag.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Damit wir weiterkommen: Es gibt einen entsprechenden Änderungsantrag zu Punkt 3. ‑ Detlef Dzembritzki!

 

Detlef   D z e m b r i t z k i   (Reinickendorf): Genossinnen und Genossen! Ich bitte um Verständnis, jetzt doch noch einmal kurz zu verzögern. Ich habe den Hinweis hier so verstanden, dass das eine Information war, dass das Gesetz hier 3 bis 6 Jahre festschreibt. Wir wären aber mit dem Klammerbeutel gepudert ‑ Entschuldigung, wenn ich das so sage ‑, wenn wir das in unseren Antrag nehmen. Das konterkariert ja geradezu die Bedarfsdeckung für die anderen Altersstufen. Aus diesem Grund bitte ich um Ablehnung dieses Zusatzes.

(Beifall)

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Gut! Wird die Ergänzung ‑ 3 bis 6 ‑ vielleicht wieder zurückgenommen?

(Zuruf)

Ja, wird zurückgenommen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es bleibt bei der ursprünglichen Fassung. Dann stimmen wir zunächst über die Ergänzung des Antrags 42 in der Fassung der Antragskommission durch den eben zitierten Satz ab. Wer diesem Satz zustimmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Bei zwei Gegenstimmen ‑ ‑

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann kommen wir zu den Ergänzungen, Ziffern 5 und 6 in dem blauen Antrag, den als 14. der Genosse Borchardt unterschrieben hat.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Hier gibt es keine weiteren Wortmeldungen. Dann stimmen wir darüber ab. Wer diese Ergänzungen im Änderungsantrag auf blauem Papier hier an den Antrag in der Fassung der Antragskommission anfügen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Dann ist so beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann, glaube ich, haben wir wieder etwas vergessen: beim Antrag 32 die erledigten Anträge festzustellen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Jetzt müssen wir erst einmal, damit wir in der Reihenfolge bleiben, über Antrag 42 insgesamt abstimmen. Kurt, wenn sonst nichts weiter ist, dann stimmen wir über diesen neu formulierten, ergänzten Antrag 42 in der Fassung der Antragskommission ab. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr, so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Jetzt bitte ich, die Anträge 33, i 39, 25 und 26 für erledigt zu erklären.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wird dem widersprochen? Das ist nicht der Fall, dann ist das so festgestellt.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann kommen wir zu Antrag i 38 auf Seite 36 des Antragsbuchs. Es handelt sich um einen etwas „betagten“ Antrag, der bestimmte schulische Mabnahmen zurückgenommen wissen will, die schon etwas lange her sind. Wir hatte damals zum Parteitag im Oktober vorigen Jahres Ablehnung beschlossen. Ich glaube, dass auch hier die Antragskommission zustimmen würde, wenn wir jetzt sagen: Nichtbefassung. Auch wegen Zeitablaufs macht es keinen Sinn, sich mit einem so alten Antrag zu befassen, obwohl natürlich da einige bildungspolitische Wunden geschlagen sind und es auch Ärgernisse gibt. Jetzt etwas zurückzunehmen, was irgndwann in der ersten Hälfte 1992 geschehen ist, scheint mir nicht sehr plausibel zu sein.

(Zuruf von Präs. Bernd Schimmler)

‑ Das ist ein genialer Vorschlag: an den Landesvorstand zur Berücksichtigung bei der Erarbeitung eines bildungspolitischen Konzepts. Das ist sicherlich ein sinnvoller Vorschlag, weil die Gedanken, die darin stecken, auch wenn die konkreten Mabnahmen nicht aktuell rückgängig zu machen sind, sinnvoll sind.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wer diesem Vorschlag folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Das ist die Mehrheit, dann ist so beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann kommen wir zum Antrag 24/I/93 auf Seite 57. Es geht um Integration, dass § 10 a erhalten bleiben mub. Die Antragskommission empfiehlt Annahme.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Präsidium sieht keine Wortmeldungen. Wer dem Vorschlag der Antragskommission folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Dann ist so beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann kommen wir zu Antrag 60/I/93 auf Seite 74. Dort hat die Antragskommission Annahme empfohlen. Der Genosse Härtel hat aber schon einen Änderungsantrag angekündigt, und ich glaube, er wird das Wort dazu nehmen wollen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Thomas Härtel.

 

Thomas   H ä r t e l   (Steglitz): Liebe Genossinnen und Genossen! Hintergrund dieses Antrags ist die beabsichtigte Streichung von 300 Stellen im Berliner Bibliotheksbereich bzw. die entsprechende aufgabenkritische Überlegung durch die Senatsinnenverwaltung.

 

Ich habe jetzt folgenden Ergänzungsantrag zu formulieren und eine kleine Änderung zu dieser Formulierung, die ich euch gleich überreiche, weil dieser Satz hier so ganz nicht stimmt. Es geht im wesentlichen darum, und zwar nicht Stadtbüchereien, sondern Stadtteil‑, Schul‑ und Kinderbüchereien zu schlieben. Also, es kann nicht nur „Stadtbüchereien“ heiben, sondern „Stadtteilbüchereien“. Und auberdem ‑ und darauf muss ich hinweisen ‑ sind sich alle Volksbildungsstadträte einig, dass nicht alle Stadtteilbüchereien erhalten bleiben können. Es gibt in unserer Stadt ein sehr kleinteiliges Bibliothekswesen. Wir haben zum Teil Bibliotheken mit weniger als 150 qm. Es gibt zur Zeit ein Gutachten. Ich bin der Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Bibliotheksentwicklungsplanung“ in Berlin. Wir legen jetzt dem Abgeordnetenhaus einen umfangreichen Bericht vor und sind zu der Auffassung gelangt, dass etwa 10 bis 15 Stadtteilbibliotheken in Berlin geschlossen werden müssen, aber ohne Personaleinsparungen. Das macht auch Sinn, weil man nur so vernünftig und modern ein Bibliotheksangebot sicherstellen kann. Ich schlage deshalb folgende Änderung vor: Der Satz, wie er hier steht, soll jetzt wie folgt lauten:

 

… wird aufgefordert, den Erhalt möglichst vieler Stadtteil‑, Schul‑ und Kinderbüchereien für die breite Öffentlichkeit zu sichern und bei den gegenwärtigen Bedingungen des Berliner Bibliothekswesens die Einsparung von 300 Stellen abzulehnen.

 

Dazu sollten wir eine ganz klare Aussage machen; denn wenn diese Einsparung kommt, dann ist das öffentliche Bibliothekswesen kaputt. ‑ Vielen Dank.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Kurt Neumann.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Ich sehe da ein Problem, dass das zu Mibverständnissen führen kann. Ich sehe das ein hinsichtlich der Stadtteilgeschichte, das könnten wir vielleicht übernehmen. Vielleicht sollte man das so formulieren, Thomas: „möglichst vieler Stadtteil‑ sowie aller Schul‑ und Kinderbüchereien“.

(Thomas Härtel: Ja, okay!)

Dass da nicht etwas herausgenommen wird, was gar nicht herausgenommen werden soll. In dieser Form, denke ich, kann die Antragskommission den Änderungsantrag des Genossen Härtel mit in die Empfehlung aufnehmen. Sie empfiehlt dann Annahme in dieser Fassung.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Dann stelle ich diesen Antrag in der neuen Fassung der Antragskommission zur Abstimmung. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Gegen eine Stimme so beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dadurch sind die Anträge1 61 und 63/I/93 auf derselben Seite erledigt.

 

Dann kommen wir zu Antrag i 15 auf Seite 29, den wir aus der Konsensliste herausgenommen haben, zum Medienrat. Dort hat die Genossin Hüser gesagt, dass er diskutiert werden soll; deshalb vermute ich, dass sie sich zu Wort melden wird.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Sie hat! ‑ Die Genossin Hüser hat das Wort.

 

Lore   H ü s e r   (Schöneberg): Die Antragskommission hat vorgeschlagen, diesen Antrag zu überweisen. Dagegen spreche ich. Ich möchte mit einem Zitat aus dem „Berliner Programm“ beginnen, nämlich:

 

In allen Gremien sollen Frauen und Männer je zur Hälfte vertreten sein.

 

Dieser Grundsatz muss natürlich auch für den Medienbereich gelten. Auch dort wollen wir die Hälfte der Plätze mit Frauen besetzt haben.

 

Die Medien haben in unserer Gesellschaft eine derartige Machtstellung, dass die Männer diese begehrten Posten offenbar am liebsten unter sich aufteilen. Beispiel: Der ZDF‑Fernsehrat wurde zunächst nur mit Männern bestückt. Nur Männer wurden vorgeschlagen ‑ nicht nur 3, nicht nur 7 oder 20 ‑: 77 ‑ nur Männer!

 

Die Frauenministerin von Nordrhein‑Westfalen, Ilse Ridder, hat daraufhin die Frauenquote in den Entwurf des Landesrundfunkgesetzes eingebracht. Das heibt, erstens, die hälftige Besetzung der Posten mit Frauen. Zweitens: Wer dieses Mal einen Mann schickt, muss das nächste Mal eine Frau entsenden. Beim Nationalen Rundfunkrat hat das so nicht geklappt. Da wurde auf die generelle hälftige Beteiligung von Frauen verzichtet. Hier soll nur der zweite Teil gelten, das heibt: Bei der Abberufung eines Rundfunkratmitglieds muss der Verband das jeweils andere Geschlecht schicken. Und da wir wissen, welches Sitzfleisch die Männer haben, können wir uns ausrechnen, wie lange das dauert, bis da die Quotierung erreicht ist.

 

Wie sieht es nun in Berlin aus? Da haben wir erst einmal den SFB, er ist das Positive. Im Gesetzentwurf über die Errichtung einer Rundfunkanstalt ist die Besetzung der Gremien, das heibt: Direktorium und Rundfunkrat, zur Hälfte mit Frauen vorgesehen. Das ist schön so, aber wir wollen mehr. Wenn ihr den Antrag gelesen habt: Es geht uns nicht nur um die hälftige Besetzung bei den Personen, sondern es soll auch inhaltlich Frauenpolitik vertreten sein. Und da sieht der Gesetzentwurf unter 20 ordentlichen Mitgliedern und deren Stellvertretern eine einzige Frauenorganisation vor, dagegen aber zwei Kirchenorganisationen. Das als Beispiel.

 

Ganz konkret, der Medienrat ‑ deshalb war das damals erst als Initiativantrag eingebracht worden ‑ Berlin‑Brandenburg: Sieben Mitglieder waren von den Parteien zu bestimmen. Zwar ist auf Betreiben der SPD mit der CDU zusammen wenigstens eine Frau in den Medienrat gekommen, aber, die SPD hat ihr eigenes Vorschlagsrecht dafür verwandt, jeweils ‑ und zwar sowohl für die SPD‑Berlin als auch für die SPD‑Brandenburg ‑ einen Mann in den Medienrat zu schicken. Die Appelle der ASF ‑ auch an den Medienfachausschub übrigens ‑, eine Frau auf das SPD‑Ticket zu heben, blieben erfolglos. Es reichen eben keine Appelle. Wir brauchen gesetzliche Regelungen zur Beteiligung von Frauen.

 

Hätte der Frauenausschub Medieninteresse an einer rechtlichen Regelung gehabt, hätte er längst Vorschläge erarbeiten können; denn dieser Antrag liegt ihm ja schon seit Wochen vor. Er kann das auch immer noch tun.

 

Wir jedenfalls wollen eine Demokratisierung des Medienbereichs; darüber soll heute diskutiert werden.

 

Jetzt zum Antrag selbst: Der zweite Teil muss gestrichen werden, er ist nicht mehr aktuell ‑ da ging es um den Medienrat Berlin. Teil 1 bleibt mit der Ergänzung, dass auch der Bundesparteitag beschlieben möge.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Anna Damrat.

 

Anna   D a m r a t   (Wilmersdorf): Ich möchte das, was Lore gesagt hat, durch folgendes mit unterstützen: Im NDR wäre die Zusammensetzung, die jetzt dort ist, nie zustande gekommen, hätten die Hamburger und Hamburgerinnen nicht beschlossen, das zu verändern. Da wir bisher immer davon ausgehen können, dass das Gremium ansonsten immer sehr stabil männlich bleibt, bitte ich euch in diesem Sinne sehr, dies so zu beschlieben, damit es sich auch wirklich endlich einmal ändert. Ihr wibt alle, dass diese Mediengeschichten sehr stark, eben fast ausschlieblich von Männern besetzt sind. Solche Klagen kommen uns von allen Seiten, von den Medienfrauen. Wenn wir da nicht aufpassen, kippen die Frauen ganz schnell hinten runter. Ihr kennt vielleicht die Geschichten, die jedesmal anstehen, wenn mal wieder eine Frauensendung gestrichen, gekürzt oder abgesetzt werden soll. Deshalb bitte ich euch sehr, so zu verfahren. Wir haben das aktuelle Ding heraus, er ist ja nun besetzt. Aber für die Zukunft müssen da wirklich Vorsorgemabnahmen getroffen werden, sonst bleibt alles, wie es ist, und das sollte eigentlich nicht im sozialdemokratischen Sinne sein. ‑ Danke schön.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Kurt Neumann.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Die Antragskommission hat Überweisung an den Fachausschub empfohlen. Wer die direkte Abstimmung und den Antrag hier beschlieben will, der mübte das Votum der Antragskommission ablehnen. Die Antragskommission jedenfalls schlägt Überweisung vor.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir stimmen immer zunächst über die Vorschläge der Antragskommission ab, soweit sie vorliegen. In diesem Fall ist der Vorschlag, Überweisung an den Fachausschub. Wer diesem Vorschlag der Antragskommission zustimmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Die Gegenprobe! ‑ Das erstere war die Mehrheit. ‑ Kurt Neumann!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen zum Initiativantrag 1 dieses Landesparteitages auf orangenem Papier ‑ Berufsakademie. Die Antragskommission hat Überweisung an die Abgeordnetenhausfraktion vorgeschlagen. Ich habe den Eindruck, dass es dazu Wortmeldungen gibt.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es liegt eine Wortmeldung von Jürgen Wagner vor ‑ du hast das Wort.

 

Jürgen   W a g n e r   (Tempelhof): Liebe Genossinnen und Genossen! Um in der Politik glaubwürdig bleiben und innerparteilicher Demokratie einen Sinn geben zu können, möchte ich euch bitten, der Empfehlung der Antragskommission nicht zuzustimmen, sondern hier darüber abzustimmen.

 

Der Fachausschub, der diesen Initiativantrag hier eingebracht hat, hat sich im vergangenen Jahr über dieses Problem unterhalten und war einstimmig der Meinung, in Berlin ist eine Berufsakademie aus verschiedenen Gründen nicht notwendig. Aber da Herr Wissenschaftssenator Ehrhardt auch ein Lieblingskind hat, was er aus Baden‑Württemberg mitgebracht hat, wollte er dieses nun hier durchsetzen.

 

Die Genossinnen und Genossen aus der Fraktion, die dem Fachausschub angehörten, haben dieses auch in der Fraktion durchgebracht, und die Fraktion hat sich zweimal einstimmig gegen eine Berufsakademie ausgesprochen. Es wäre also hirnrissig, jetzt diesen Antrag noch einmal der Fraktion zuzusenden. Wie politikunglaubwürdig es ist, das sieht man an zwei Artikeln im „Tagesspiegel“. Am 18. Februar: „SPD lehnt Berufsakademie ab!“, und am 19. Februar: „Expressabitur und Berufsakademie für Berlin ‑ CDU und SPD“. Aus diesem Grund bitte ich euch, hier darüber abzustimmen und dies nicht wieder als Material an die Fraktion zu senden.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es gibt noch eine Wortmeldung ‑ Regine Haage!

 

Regine   H a a g e   (Spandau): Ich, als ein Mensch, der ursprünglich aus Baden‑Württemberg kommt, möchte auch von der Berufsakademie abraten. Alle meine Klassenkameraden, die dort waren, haben hinterher nichts bekommen, da die Firmen entweder Leute aus der Fachhochschule oder aus der Hochschule möchten oder solche, die eine Lehre absolviert haben. Aber die Firmen, die selbst Leute aus der BA ausgebildet haben, übernehmen diese Leute nicht. Ich glaube, ihr tut euren zukünftigen Menschen nichts Gutes. Ich kann euch nur empfehlen, es abzulehnen.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Kurt!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Die Antragskommission hat vorhin Überweisung an die Abgeordnetenhausfraktion empfohlen. Dies ist so, dies muss ich hier vortragen. Wer das nicht so sieht, kann durch sein Abstimmungsverhalten anders votieren. Aber die Antragskommission votiert für eine Überweisung an die Abgeordnetenhausfraktion.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wie auch im vorigen Fall stimmen wir zunächst über den Vorschlag der Antragskommission ab. Wer dem Vorschlag der Antragskommission folgen will, das an die Abgeordnetenhausfraktion zu überweisen, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Die Gegenprobe! ‑ Das ist die eindeutige Mehrheit. Die Mehrheit lehnt also den Vorschlag der Antragskommission ab.

(Vereinzelter Beifall)

Damit kommen wir zur Abstimmung über den Initiativantrag 1 insgesamt. Wer dem Initiativantrag 1 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Die Gegenprobe! ‑ Das erste war eindeutig die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen zum Bereich „Gesundheit und Soziales“. Hier sind alle vorliegenden und noch nicht woanders behandelten Anträge auf der Konsensliste. Mir ist nicht signalisiert worden, dass irgend jemand möchte, dass einer der Anträge nicht auf der Konsensliste behandelt wird. Ich denke, wir können dementsprechend sofort darüber abstimmen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Dann kommen wir insgesamt bei „Gesundheit und Soziales“ zur Abstimmung über die Konsensliste. Wer dieser seine Zustimmung geben will und damit den dortigen Empfehlungen, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ So beschlossen, danke sehr!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Auch dem Bereich „Inneres und Recht“ haben wir eine Konsensliste vorangestellt.

 

Ich will etwas zu Antrag 7/II/92 auf Seite 1 sagen, weil sich vielleicht einige wundern, warum wir Vertagung und nicht Beschlubfassung wollen. Wir sind dabei, den Bundesparteitag am Ende dieses Jahres in Wiesbaden vorzubereiten. Dort soll über eine sicherheitspolitische Gesamtkonzeption diskutiert werden. Unser Fachausschub I ist entsprechend tätig. Wir hielten es insgesamt nicht für sehr sinnvoll, jetzt über Wehrpflicht zu diskutieren ‑ möglicherweise kontrovers zu diskutieren ‑, ohne eine Gesamtkonzeption zu haben. Deshalb: Vertagung auf den Parteitag, auf dem diese Fragestellungen behandelt werden sollen. Dies, denke ich, geht auch im Bereich des Konsensverfahrens. Einzelberatungen sind dann die anderen Anträge. ‑ Ich bitte also, zunächst die Konsensliste festzustellen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir haben keine weiteren Wortmeldungen. Dann bitte ich um das Kartenzeichen, wer der Konsensliste und den dortigen Empfehlungen seine Zustimmung gibt. ‑ Danke sehr. Die Gegenprobe! ‑ Das ist so beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 16/II/92 auf Seite 1: Es geht um uneingeschränktes Eherecht für gleichgeschlechtliche Paare. Das haben wir noch vor dem Parteitag im Oktober vorigen Jahres behandelt. Es gab den Antrag auf Überweisung an den Fachausschub „Inneres und Recht“. Das ist mit Mehrheit ‑ gegen einige, nicht wenige Stimmen ‑ so beschlossen worden.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Hierzu gibt es eine Wortmeldung. Das Wort hat Lore Hüser.

 

Lore   H ü s e r   (Schöneberg): Die Antragskommission empfiehlt auch hier die Überweisung an den Fachausschub. Der Fachausschub sollte sich sicherlich mit dem Eherecht beschäftigen, der Landesparteitag muss es aber auch tun, weil diese Entscheidung nun wirklich eine politische ist. Ihr habt es sicherlich auch in der Zeitschrift verfolgt: Die Richterinnen und Richter haben zum Teil nicht die Möglichkeit, anders zu entscheiden, als wie sie denn meinen, dass es vorgegeben ist. Es gab schon eine Richterin, die gesagt hat: Natürlich, warum sollen wir nicht entscheiden. Hier muss ein ganz deutliches Signal von den politischen Parteien als politische Willensäuberung kommen.

 

Es hat in der Vergangenheit viele Eheverbote gegeben, und nur darum geht es. Es geht nicht darum, ob wir die Ehe gut finden oder ob wir sie abschaffen wollen oder sonst etwas. Es geht darum, dass einer bestimmten Gruppe von Menschen die Ehe nicht erlaubt ist. Früher mubte man ein bestimmtes Vermögen haben, unter dem durfte man nicht heiraten. Knechte und Mägde mubten ihre Herren fragen, sonst durften sie nicht heiraten. Schwarze durften keine Weibe heiraten; da haben alle und zu Recht protestiert. Und unsere unselige Vergangenheit: Arier durften keine Juden heiraten; das ist vielleicht hier noch besser in Erinnerung. Das war doch ein Skandal. ‑ Genauso geht es auch den Homosexuellen! Wenn sie heiraten wollen, sollen sie auch heiraten dürfen. Denn diese Verbote wurden im Laufe der Zeit beseitigt. Um das Recht, eine Ehe eingehen zu können, und zwar mit einer selbstgewählten Partnerin, nur darum geht es. Das gilt heute als Bestandteil der Grund‑ und Menschenrechte. Und dieses Grundrecht soll auch homosexuellen Menschen gewährt werden.

 

Es reicht nicht, dass die Homosexuellen den Partnerschaften angeglichen werden, die nicht ehelich sind; denn das ist ja gerade der Unterschied bei den Nichtehelichen: Sie können sich jederzeit entscheiden: Nein, jetzt haben sich die Verhältnisse verändert, es ist doch besser, dass wir heiraten, weil die Ehe auch grobe Schutzgebiete liefert und bestimmte rechtliche Regelungen. Jederzeit können sie das ändern; nur den Homosexuellen ist es verwehrt.

 

Ich sage es noch einmal: Es geht nicht darum, wie wir zur Ehe stehen. Das steht hier nicht zur Debatte. Aber wir haben auch nicht das Recht, den Leuten vorzuschreiben, ob nun eine Ehe gut ist oder nicht. Das sollen sie für sich allein beurteilen. Das beurteilt ihr ja selber auch.

 

Wir haben auch die Verfassungsdiskussion. Da gibt es einen Punkt, den Artikel 3 Absatz 3: das Diskriminierungsverbot von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität. Das soll verboten werden, da soll Gleichbehandlung sein, und um diesen Punkt geht es hier. Es geht um das uneingeschränkte Eherecht für alle, eben halt auch für Lesben und für Schwule.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Edwin Hoffmann.

 

Edwin   H o f f m a n n   (Neukölln): Genossinnen und Genossen! Für die antragstellende Abteilung möchte ich mich dagegen aussprechen, diesen Antrag in den Fachausschub zu überweisen. Der Sachverhalt liegt klar auf der Hand, er ist einfach. Hier wird ein politischer Wille formuliert. Dazu braucht man keine juristischen und sonstigen Sachverstände. Das können wir heute hier beschlieben.

(Beifall)

Im übrigen hatten wir etwa sechs Monate lang Zeit, noch einmal über dieses Thema nachzudenken; denn so lange ist der Antrag den Landesdelegierten bekannt. Ich weib auch, dass einige Abteilungen ‑ ich weib nicht, ob auch Kreisverbände ‑ die Gelegenheit genutzt haben, um sich inhaltlich mit diesem Thema noch einmal auseinanderzusetzen. Es hat also zu diesem Thema eine Vertiefung gegeben.

 

Bei der Diskussion, die im letzten Jahr stattfand, als Senator Thomas Krüger diese Forderung erhoben hat, ist ihm vorgeworfen worden: Lieber Thomas, das ist unbedingt ungeschickt, das kurz vor der Wahl zu machen!, weil man gemeint hat, man könnte damit vielleicht einige Wähler von der SPD abschrecken. Dieses Argument besteht heute überhaupt nicht, so dass ich davon ausgehe, dass dieser Antrag breite Zustimmung findet.

 

Ich möchte eine Erweiterung noch vorschlagen. Ich bin darauf hingewiesen worden, dass das eine bundesgesetzliche Sache ist; wir mübten also kompletterweise formulieren:

 

Der Landesparteitag möge beschlieben:

 

‑ und zweitens: ‑

 

Der Bundesparteitag möge beschlieben:

 

und dann kann dieser Antrag, denke ich, abgestimmt und ihm zugestimmt werden.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Kurt Neumann.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Die Anregung mit dem Einschub ist natürlich korrekt, wenn das ein Antrag von hier aus sein soll. Die Antragskommission war ja noch die vorige Antragskommission, die das beschlossen hat. Hermann Borghorst und ich haben uns verständigt, dass wir jedenfalls dem Antrag zustimmen können, obwohl das keinerlei konkrete Absichten dokumentieren soll.

(Heiterkeit)

Wir persönlich würden also Annahme dieses Antrags empfehlen.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Ich höre keinen Widerspruch von Mitgliedern der Antragskommission, so dass ich das als Empfehlung der Antragskommission nehme.

(Unruhe und Widerspruch)

‑ Gut, es ist widersprochen worden. Dann stimmen wir zunächst über den alten Vorschlag der Antragskommission ‑ Überweisung an den Fachausschub ‑ ab. Wer diesem zustimmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Wer ist dagegen? ‑ Das ist die Mehrheit, danke sehr.

 

Damit kommen wir zur Abstimmung über den Antrag 16/II/92. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Gegenprobe! ‑ Das erstere war die Mehrheit. Damit ist der Antrag angenommen.

(Vereinzelter Beifall)

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Damit ist der Antrag 17/II/92 erledigt, und wir können zu Antrag 18/II/92 kommen. Hier empfiehlt die Antragskommission Annahme in der Fassung der Antragskommission.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Auch hierzu gibt es eine Wortmeldung.

 

Edwin   H o f f m a n n   (Neukölln): Genossinnen und Genossen! Vom Verfahren geht es hier im Grunde genommen um einen gleichen Sachverhalt. Was der Antrag vorschlägt, ist eine ganz simple, einfache und eindeutige politische Willensäuberung, wozu wir die Beratung in den Ausschüssen nicht benötigen.

 

Worum geht es? Wir möchten vorschlagen, dass ein wesentlicher Teil ‑ zugegeben: ein wesentlicher Teil ‑ der Parteienfinanzierung, nämlich der Teil der Wahlkampfkostenerstattung, nicht mehr wie bisher völlig unabhängig von der Beteiligung der Menschen an den Wahlen an die Parteien gezahlt wird. Wir sind der Auffassung, dass diese Verfahrensweise einen Beitrag dazu leistet, dass in der Bevölkerung Verdrossenheit an der Politik besteht, Verdrossenheit an uns besteht. Wir müssen aufhören darüber zu rechten und darüber zu klagen, dass die Bevölkerung vielleicht manches nicht so gut versteht wie wir und deshalb gar keinen Grund hätte, verdrossen zu sein. Ich finde, es gibt jede Menge Grund, verdrossen zu sein. Und wir haben jede Menge Grund dafür zu sorgen, diesen Verdrub abzubauen, und das können wir nur tun, indem wir, wie heute morgen die Karten verteilt worden sind, etwas ändern.

 

Es ist überhaupt nicht akzeptabel, dass die Parteien bezahlt, belohnt werden für nichts! Die Bevölkerung hat eine Möglichkeit, durch die Wahlbeteiligung zu signalisieren, ob sie zufrieden ist mit der Politik oder ob sie es nicht ist. Und wir merken gerade: sie ist es nicht! Deshalb schlagen wir vor, dass der Teil der Parteienfinanzierung per Wahlkampfkostenerstattung von der Höhe der Wahlbeteiligung abhängig gemacht wird. Es glaubt doch drauben keiner, dass wir uns ernsthaft darum bemühen, dass möglichst viele Leute zur Wahl gehen, wenn es uns finanziell völlig gleichgültig sein kann. Irgend etwas pabt da nicht zusammen.

 

Im übrigen sind wir in dieser Frage einig mit der Kommission des Bundespräsidenten, die inzwischen zu diesem Thema gearbeitet hat. Unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundesverwaltungsgerichtspräsidenten Sendler ist von dieser Kommission ‑ siebenköpfig ‑ genau dieser Vorschlag unterbreitet worden. Und ich denke, es stünde uns gut zu Gesicht, das politisch ebenfalls zu fordern. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Andreas Knuth.

 

Andreas   K n u t h   (Neukölln): Ich bin dafür, dass wir bei der Empfehlung der Antragskommission bleiben. Der Antrag war übrigens auch in Neukölln auf der Kreisdelegiertenversammlung. Wir haben ihn nicht beschlossen; das ist ein Antrag einer einzelnen Abteilung.

 

Es ist richtig, dass inzwischen ‑ insofern ist die Empfehlung redaktionell zu ändern ‑ der Bericht der Bundespräsidentenkommission vorliegt. Er enthält eine Vielzahl von Empfehlungen zur Parteifinanzierung, die vor einer Umsetzung sorgfältig geprüft werden sollen. Da ist die Frage, ob man die Wahlkampfkostenerstattung an der Zahl der abgegebenen Stimmen festmacht oder, wie bisher, sozusagen von der Gesamtzahl der Wähler ausgeht, nur ein Aspekt neben vielen anderen. Dieser Punkt ist sicherlich sinnvoll, aber andere Punkte sind im Zusammenhang zu sehen. Insofern finde ich es richtig, dass sich erst einmal die Experten auch der Partei auf dieser finanziellen Ebene damit beschäftigen, bevor wir vielleicht etwas leichtfertig über Dinge, die für die Arbeit der Partei ‑ und wir haben ja gesehen, wie schwierig das in der Partei ist, wesentliche Personalstellen zu halten, für wichtige Aktivitäten Geld zu haben ‑ ‑, bevor wir also leichtfertig uns hier an einer Stelle festlegen, ohne den Gesamtkomplex der Neuordnung der Parteifinanzierung geregelt zu haben. Deshalb bitte ich darum, bei der Empfehlung der Antragskommission zu bleiben.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Kurt Neumann.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Das, was Andreas Knuth eben gesagt hat, war das, was wesentlich in der Antragskommission diskutiert wurde. Ich meine, dass der Satz noch einmal überlegt werden mübte, wie realistisch er ist, dass die Parteien in finanzieller Hinsicht vom Staat unabhängig sein sollen, soll heiben, keine Finanzierung bekommen und trotzdem unabhängig sein; dafür bin ich auch. Das würde für diesen Landesverband bedeuten, wenn es z. B. keine Wahlkampfkostenerstattung gäbe, dass wir diese Partei auflösen können ‑ das ist ganz einfach; davon sind wir sowieso nicht fürchterlich weit entfernt. Das heibt: Das, was notwendig ist und wo Mibstände entstanden sind, wo das vom Bundesverfassungsgericht gerügt wird und wo jetzt Vorschläge vorliegen, muss man sehr sorgfältig in ein Konzept gieben. Wir sollten bei dieser Diskussion aber auch beachten, dass die Partei finanziell handlungsfähig bleiben mub. Dies gewährleistet die Fassung der Antragskommission. Deshalb bitten wir noch einmal nachdrücklich um Zustimmung.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Dann stimmen wir jetzt über diesen Vorschlag, Annahme in der Fassung der Antragskommission, ab. Wer seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Gegenprobe! ‑ Das erstere war die grobe Mehrheit, dann ist so beschlossen.

 

Bevor Kurt Neumann weitermacht, hat das Präsidium etwas gutzumachen. Wir haben nämlich etwas vergessen: Die Genossin Barbara Unger aus Lichtenberg hat vorhin gesammelt und wollte euch eigentlich schon längst mitteilen, wie das Sammlungsergebnis gewesen ist. Wir dürfen mit einer groben Entschuldigung, dass wir sie vergessen haben, Barbara bitten, doch hier das Ergebnis mitzuteilen.

 

Barbara   U n g e r   (Lichtenberg): Genossinnen und Genossen! Die Sammlung hat 1 518,09 DM erbracht sowie fünf österreichische Schilling.

(Beifall)

Ich bedanke mich recht herzlich. Wir werden das dem Verein, den ich genannt hatte, im Namen dieses Parteitages zur Verfügung stellen. ‑ Danke.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat jetzt wieder Kurt Neumann.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 107/II/92 auf Seite 26: Die Antragskommission empfiehlt Annahme. Ich glaube, das brauchen wir nicht zu diskutieren, das können wir so sofort abstimmen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es gibt doch eine Wortmeldung ‑ Gerlinde Bernsdorff.

 

Gerlinde   B e r n s d o r f f   (Zehlendorf): Genossinnen und Genossen! Ich denke, wir sind uns einig, dass diesem Antrag zugestimmt werden mub. Ich plädiere hier auch nur für eine Erweiterung. Es geht nämlich inzwischen nicht nur um Überfälle auf Asylbewerber, sondern um Überfälle auf Menschen anderer Herkunft, auf Andersaussehende, um Überfälle auf Menschen, die z. B. behindert sind. Es ist nicht mehr so eng eingegrenzt.

 

Ich würde deshalb vorschlagen, dass der Antrag etwas erweitert wird:

 

Die SPD verurteilt entschieden die Überfälle vor allem rechtsradikaler Gruppierungen

 

‑ auch diese kleine Erweiterung hätte ich gern drin ‑

 

auf Menschen anderer Herkunft, anderen Aussehens, anderer Meinung oder anderen Verhaltens.

 

In dieser Fassung würde ich diesem Antrag gern zustimmen wollen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Klaus Böger.

 

Klaus   B ö g e r   (Steglitz): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich bin selbstverständlich für diesen Antrag. Aber ich finde es fast unter der Würde eines Landesparteitages der SPD, dass solche Anträge überhaupt gestellt und behandelt werden dürfen, weil es vollkommen klar, logisch und explizit unsere Politik ist, dass wir diese Dinge verurteilen!

(Beifall)

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Die Antragskommission hat gedacht, dies soll abgestimmt werden, wenn es denn beantragt worden ist. Es soll nicht auf die Konsensliste, das soll ausdrücklich hier dokumentiert werden. Ich persönlich will mal sagen: Ich halte nichts von der Änderung der Genossin Bernsdorff. Es geht hier um klare Fakten, zu denen klar Stellung genommen wird; das relativiert das Ganze. Dann mübte man andere Anträge machen, zu anderen Problemen; aber hier geht es um die Überfälle Rechtsradikaler auf Asylbewerber, dazu soll klar Stellung genommen werden. Es tut mir leid, dass das nicht auf dem vorigen Parteitag war, wo es aktueller war. Wir bemühen uns aber, das alles noch zeitnäher zu gestalten. Ich bitte, da jetzt zuzustimmen und keine Debatte darüber zu führen. Damit würden wir dem Problem zu dieser Zeit nicht mehr gerecht werden.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Gerlinde, bist du mit diesem Vorschlag einverstanden? ‑ Dann stimmen wir zunächst über den Änderungsantrag ab. Wer ist für die Aufnahme dieser Änderung? ‑ Danke sehr. Wer ist dagegen? ‑ Danke. Das war die Mehrheit.

 

Dann stimmen wir über den Antrag insgesamt ab. Wer diesem Antrag in der bisherigen Fassung seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Die Gegenprobe! ‑ Dann ist das so beschlossen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Zum Antrag i 31/II/92 auf Seite 33 empfiehlt die Antragskommission Überweisung an die Abgeordnetenhausfraktion. Da dies aber möglicherweise der Diskussion bedarf, haben wir es nicht auf die Konsensliste genommen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es gibt auch eine Wortmeldung ‑ Bettina Michalski.

 

Bettina   M i c h a l s k i   (Kreuzberg): Die Empfehlungen der Antragskommissionen waren heute schon häufiger Gegenstand von Debatten. In dem Fall, muss ich sagen, hat die Antragskommission doch einen gewissen Witz bewiesen.

 

Es geht hier um den Sachverhalt, dass Abgeordnete zum Teil auch Senatorinnen und Senatoren sind, und das ist schon etwas drollig, weil sie sich selbst kontrollieren sollen. Und diesen Mibstand möchte der Antrag beenden bzw. er möchte, dass die Fraktion die Initiative ergreift. Und genau dieser Antrag wird jetzt an die Fraktion überwiesen. Das finde ich drollig, wenn die Gruppe, die davon betroffen ist, jetzt erst einmal darüber selbst beschlieben soll, ob sie das denn gut findet oder nicht. Ich finde es schon richtig, dass der Parteitag sagt, was er dazu meint.

(Beifall)

Ich kann mir vorstellen ‑ der Antrag besteht ja aus drei Sätzen ‑, dass der zweite Satz dazu geführt hat, dass man gesagt hat, man könne das so nicht beschlieben. Also im ersten Satz steht, beendet mal diesen Zustand, macht auch einen möglichen Vorschlag, nämlich die Änderung des Landeswahlgesetzes, das wäre nämlich eine der möglichen Regelungen. Der zweite Satz sagt dann, dass sich die Senatorinnen und Senatoren bis zu einer solchen Regelung die Abgeordnetenbezüge auf ihr Gehalt anrechnen lassen sollen. Es kann sein, dass man sagt: Na ja, das geht aber nicht, ihr könnt nicht über deren Gehalt beschließen. ‑ Der Antragsteller wäre bereit, diesen zweiten Satz zu streichen damit eine Annahme damit erleichtert würde. Wir sind allerdings weiterhin der Meinung, dass der Parteitag durchaus seine nicht schlecht verdienenden Mandatsinhaberinnen und ‑inhaber dazu auffordern kann, die entsprechenden Beträge solange an soziale oder kulturelle Einrichtungen ihrer Wahl zu überweisen. Wir möchten darum bitten, dass ihr das in der dann so geänderten Fassung beschließt und dann natürlich, dass ihr das auch annehmt.

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Ditmar Staffelt.

Ditmar   S t a f f e l t   : Liebe Genossinnen und Genossen! Die Frage, ob Senatsmitglieder gleichzeitig Abgeordnete sein können, haben wir bisher aus gutem Grunde jedem Kreisverband selbst überlassen. Das war ein Teil der dezentralen Entscheidungen. In Zehlendorf beispielsweise hat man immer gesagt: Dies kann nicht sein. Deshalb haben dort ansässige Senatorinnen und Senatoren ihr Mandat zurückgegeben. Für Charlottenburg gilt das ebenso. Andere Bezirksverbände, wie beispielsweise Wedding, haben das anders gesehen.

Wir kriegen nur dann eine Regelung hin, wenn wir dies verfassungsrechtlich klären. Deshalb gehört das in die Verfassungs‑Enquete‑Kommission; dort wird es übrigens sorgfältigst behandelt.

Ich muss an der Stelle noch einmal ganz ausdrücklich darauf hinweisen, weil der Anschein erweckt wurde, man könne nicht diejenigen damit befassen, die selbst betroffen sind: Wie ihr wisst, ist die grobe Mehrheit der Abgeordneten nicht gleichzeitig Senatsmitglied, folglich auch nicht betroffen. Das heißt, es wird hier eine ganz klare, objektive, politische und rechtlich sichere Abklärung über die Verfassungs‑Enquete‑Kommission geben. Und ich weise darauf hin, dass wir für die Änderungen in der Verfassung auch eine Zweidrittelmehrheit im Berliner Parlament brauchen. Und ob einzelnen Senatsmitgliedern ein Betrag abgezogen wird, dies möchte ich nun wirklich den Kreisverbänden überlassen, die ihre Senatsmitglieder gleichzeitig noch mit einem Abgeordnetenhausmandat ausgestattet haben. Das hielte ich für eine faire Regelung, und ich weiß, dass diejenigen, die ein solches Mandat haben, auch in bezug auf ihre Abgaben ‑ für welche Zwecke auch immer; übrigens: häufig auch für Parteizwecke ‑ außerordentlich grobzügig sind. Insofern bitte ich euch, daran festzuhalten, dass dieser Antrag an die Fraktion und über die Fraktion an die Verfassungs‑Enquete‑Kommission übertragen wird.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Kurt Neumann!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir müssen abstimmen ‑ so ist es.

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Der Vorschlag der Antragskommission, der wie immer zuerst abgestimmt wird, heißt Überweisung an die Abgeordnetenhausfraktion. Wer diesem Vorschlag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Die Gegenprobe! ‑ Das ist diesmal schwer.

Also, wir wiederholen es noch einmal; wir sind uns hier nicht einig. Wer der Überweisung an die Abgeordnetenhausfraktion ‑ das ist der Vorschlag der Antragskommission ‑ seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr; ich habe das Gefühl, jetzt sind einige wach geworden. Die Gegenprobe, bitte! ‑ Nunmehr war ersteres mit Sicherheit die Mehrheit.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen zum Antrag 111/I/93 auf Seite 93. Es geht um Abgeordnetendiäten und um den Stopp aller Baumabnahmen in Bonn. Die Antragskommission schlägt Ablehnung vor.

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Eine Wortmeldung von Ditmar Staffelt.

Ditmar   S t a f f e l t   : Bei der Behandlung dieser Frage bitte ich diesen Parteitag, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Fraktion des Abgeordnetenhauses über drei Jahre hinweg keiner Diätenerhöhung zugestimmt hat. Ich denke, dass muss man hier auch einmal begrüben.

(Vereinzelter Beifall)

Vielleicht wäre es gut gewesen ‑ wenn ich das an der Stelle einmal bemerken darf ‑, unsere Genossinnen und Genossen im Deutschen Bundestag darauf aufmerksam zu machen, dass es unerträglich ist, Jahr für Jahr in Hunderten von Mark die Diäten anzuheben. Darüber hat übrigens niemand in der Vergangenheit diskutiert.

Wir müssen allerdings auch eines berücksichtigen: Es muss in der Zwischenzeit auch eine bescheidene Erhöhung für die Diäten erfolgen. Wir haben viele Kolleginnen und Kollegen, die allein von den Diätenzuwendungen leben; die Kosten für übrigens auch die öffentlichen Aktivitäten, die darüber finanziert werden, steigen. Meine Meinung ist: Dies muss abgelehnt werden! Ich sage euch aber in meiner Funktion als Landes‑ und Fraktionsvorsitzender zu: Sollte es beim nächsten Mal eine Anhebung geben, wird sie angemessen und bescheiden sein, und sie wird in keinem Fall die üblichen Tarifanhebungen, die wir in dieser Zeit kennen, überschreiten. Ich rede in diesem Zusammenhang nicht von der Forderung der IG Metall, die Löhne und Gehälter um 26 % anzuheben, sondern ich dachte mehr an die Tarifabschlüsse, wie sie der öffentliche Dienst getätigt hat. ‑ Schönen Dank.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Eine weitere Wortmeldung ‑ bitte!

  1. N. : Liebe Genossinnen und Genossen! Lieber Ditmar Staffelt! Es geht nicht um 26 % Lohnerhöhung für die Kolleginnen und Kollegen in der ostdeutschen Metallindustrie, sondern es geht darum, dass sie endlich mindestens 80 % des Tariflohns bekommen ‑ darum geht es, das solltest du dir einmal merken!

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir kommen jetzt trotzdem zur Abstimmung über den Antrag. Hier schlägt die Antragskommission Ablehnung vor. Wer dem Vorschlag der Antragskommission folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Die Gegenprobe! ‑ Das erstere war die Mehrheit. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Wir kommen zum Bereich „Sport“.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Als konsensualen Antrag haben wir Antrag 80/II/92 auf Seite 23 zum Sportforum Hohenschönhausen auf der Liste. Die Antragskommission empfiehlt Annahme in der Fassung, die sie selbst auf Seite 23 auf der rechten Spalte hat abdrucken lassen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wer dem Vorschlag der Antragskommission zustimmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Die Gegenprobe! ‑ Das erstere ist eindeutig die Mehrheit ‑ einstimmig sogar!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen dann zum Antrag 79/II/92 auf Seite 23 des Antragsbuchs. Hier empfehlen wir Annahme in der Fassung der Antragskommission, wobei wir den letzten Teil zu streichen bitten. Ich weiß nicht, ob dazu das Wort gewünscht wird.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Nein, wir sehen keine Wortmeldung; dann können wir darüber abstimmen. Wer dem Vorschlag der Antragskommission zustimmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Die Gegenprobe! ‑ Gegen einige Stimmenthaltungen so beschlossen.

Nunmehr kommen wir zum Antrag 68/I/93.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dort beschlieft die Antragskommission mit doch recht grober Mehrheit Ablehnung. Ich bin aber sicher, dass das nicht ohne Diskussion bleiben wird.

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Hierzu gibt es eine Wortmeldung ‑ Holger Thärichen, Zehlendorf, für die Jusos.

Holger   T h ä r i c h e n   (Zehlendorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Wir hatten eigentlich den Antrag gestellt, diesen Antrag zu Olympia vorzuziehen, weil es für uns nicht nur um ein Sportereignis geht, sondern Olympia ist auch ein Ereignis, was viel zu tun hat mit der Stadtentwicklung, viel zu tun hat mit der Verkehrsentwicklung, mit Mieten, mit Wohnen; deshalb hätten wir den Antrag gern früher diskutiert. Aber gut, nun machen wir es an dieser Stelle.

(Jusos hängen an das Rednerpult ein Plakat mit der Aufschrift „Volkssport statt Olympia“. ‑ Daneben nimmt ein Fackelträger Aufstellung.)

(Beifall)

‑ Ich denke, dass wir hier ein bisschen versucht haben zu beweisen, dass man auch kritisch gegenüber Olympia eingestellt sein kann, ohne dass man damit gleich Unsportlichkeit oder so etwas darstellen muss.

Ich will konkret zu dem kommen, was wir mit diesem Antrag fordern: Es gibt eine ganze Reihe von Argumenten pro Olympia, und es gibt eine ganze Reihe von Argumenten contra. Von den Befürwortern wird ins Feld geführt, mit Olympia sei ein Entwicklungsschub für die Infrastruktur der Stadt gegeben: man könne das Kapital privater Investoren auch für die Stadtentwicklung mobilisieren, man könne den Wohnungsbau anschieben und Arbeitsplätze schaffen.

Von den Gegnern der Olympischen Spiele wird gesagt, dass angesichts von Regierungsumzug und Vereinigung der beiden Stadthälften die Stadt mit einem zusätzlichen Projekt in der Dimension von Olympia überfordert ist. Außerdem wird gefragt: Ist Olympia finanziell für die Stadt verkraftbar? Wir haben heute schon genug darüber gehört, wie die Haushaltssituation Berlins aussieht. Ob angesichts dieser Situation ein weiteres Projekt in einer Größenordnung von 10 Milliarden DM vernünftig ist, wird hier bestritten. Und schließlich wird gesagt, dass mit Olympia eben nicht die richtigen Antworten gegeben werden auf die drängenden Fragen der Stadt ‑ sei es die Wohnungsnot, seien es die Verkehrsprobleme ‑ und deshalb die Prioritäten in die falsche Richtung geschoben werden.

Wir haben als Jusos dazu diskutiert. Wir haben auch eine Position dazu: Wir lehnen die Olympischen Spiele ab.

(Vereinzelter Beifall)

Aber es geht jetzt hier gar nicht darum, das inhaltlich noch einmal auseinanderzuklamüsern, sondern ich will darstellen, warum wir meinen, dass zu dieser Frage auch die Berlinerinnen und Berliner gehört werden sollen: Ein Projekt wie Olympia 2000 kann nicht gegen oder ohne den mehrheitlichen Willen der Bevölkerung durchgesetzt werden, weil es die Stadtentwicklung über Jahre hinaus bestimmt und weil es auch finanzielle Mittel in einer hohen Größenordnung ‑ genannt sind 10 Milliarden DM ‑ bindet. Wir denken, dass mit einem Referendum zu Olympia konkret auch Demokratie praktiziert werden kann und nicht in irgendwelche Verfassungskommissionen abgeschoben werden muss.

(Vereinzelter Beifall)

Unser Vorbild bei dieser Forderung ist Hannover. Hannover hat zur Weltausstellung „Expo 2000“ eine Volksbefragung durchgeführt, eben mit dem Argument, das sei zu wichtig, als dass man das allein irgendwo administrativ entscheiden könne. Und nebenbei: Sie haben das gemacht, obwohl auch in der niedersächsischen Gemeindeordnung dieses Instrument der unmittelbaren Beteiligung der Bevölkerung nicht vorgesehen ist.

Ich denke: Eine Volksbefragung kann auch für uns eine sinnvolle Sache sein, die wirklich nur konsultativen Charakter hat und deshalb auch nicht verfassungsrechtlich bedenklich ist. Natürlich kommt das jetzt ein bisschen spät, das ist richtig. Wir haben bei den Jusos auch eine längere Zeit dazu gebraucht, um das zu diskutieren. Ich sage aber auch: Wir haben bereits im Januar einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Grüne im Abgeordnetenhaus zu dieser Frage unterstützt, haben also schon zu diesem Zeitpunkt auch eine Position dazu gehabt.

(Glocke des Präsidiums)

Ein letzter Punkt: Wenn wir uns heute dazu entscheiden würden, dieses Referendum durchzuführen, hätten wir ein halbes Jahr bis zur Entscheidung im September, um darüber wirklich mal eine sachliche Diskussion zu führen. Es gäbe die Chance, dass wirklich alle Seiten zu einer sachlichen Diskussion gezwungen sind. Das gilt sowohl für die Befürworter, die da nicht mehr nur mit gelben Werbebroschüren arbeiten würden, als auch für die Gegner, die sich dann auch auf eine sachliche Diskussion einlassen müssten.

Meine Schlussbemerkung: Vielfach ist das Thema Olympia mit der Gewaltfrage verbunden worden. Ich denke, die Gefahr der Entstehung von Gewalt ist immer dann besonders grob, wenn Menschen das Gefühl haben müssen, von politischen Entscheidungen ausgeschlossen zu werden und dass politische Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg gefällt werden. An dieser Frage kann man deutlich machen, dass wir das nicht wollen und dass wir die Bevölkerung Berlins in diese Entscheidung auch einbeziehen wollen. ‑ Ich danke euch!

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Ich wollte nur darauf hinweisen: Das Klingeln läutet nicht olympisch die letzte Runde ein, sondern den Schluss. ‑ Als nächster Georg Dybe.

Georg   D y b e   (Wilmersdorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Den Dagebliebenen noch ein kleiner Hinweis, wie es auf der KDV‑Wilmersdorf abgegangen ist und wie es hier jetzt nicht abgehen muss: Olympiabefürworter und Olympiagegner argumentierten in Wilmersdorf sehr einheitlich, man müsse jetzt die organisatorischen Schwierigkeiten sehen, die Kurzfristigkeit der Zeit und all die kleinen Detailfragen, die man hervorragend vorschieben kann, wenn man eine Sache nicht will. Doch wie bei so vielen anderen Punkten auch gilt auch hier und gerade hier: es ist eine Frage des politischen Willens. Man könnte ein Referendum innerhalb eines Monats abhalten, wenn es denn wirklich gewollt ist. Ein halbes Jahr muss sehr wohl ausreichen.

Insofern bitte ich euch: Zeigt die gewisse Souveränität, auch die Berlinerinnen und Berliner zu fragen, zeigt die Souveränität, dass ihr nicht das allerhöchste Gremium seid ‑ nachdem ihr heute schon entschieden habt, dass ihr den Tiergarten mit einem wunderschönen Tunnel zerstören wollt ‑, fragt wenigstens bei Olympia einmal die Berlinerinnen und Berliner. ‑ Herzlichen Dank!

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Als nächster hat Klaus Böger das Wort.

Klaus   B ö g e r   (Steglitz): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich will als erstes darauf hinweisen, dass der Parteitag in seiner Souveränität ‑ vor diesem Antrag, den wir jetzt beraten ‑ gerade beschlossen hat, dass Olympische Spiele 2000 in Berlin stattfinden sollen ‑ der Antrag Zehlendorf.

(Vereinzelter Beifall)

Ich meine, da ich Parteitagsbeschlüsse ernst nehme, sollte man nicht direkt danach sofort einen gegenteiligen Beschluss fassen.

Allerdings gebe ich zu: Ich habe mich auch mit den Jusos damit an anderer Stelle schon auseinandergesetzt, dass im eigentlichen Antrag der Jusos aufgerufen wird zu einem Referendum. Ich bin ein Anhänger von Plebisziten und Referenden und übrigens auch von Urabstimmungen in der Partei ‑ da werden wir uns an anderer Stelle unterhalten. Aber gerade weil ich für Plebiszite und Referenden bin, bin ich auch dafür, dort sorgsam und solide mit umzugehen. Wenn man so etwas plant, dann muss man auch die entsprechenden Gesetzesvorhaben auf den Weg bringen und kann nicht mit der Idee kommen, wenn die Bewerbung bereits abgegeben wurde und am 23. September das IOC entscheidet. Die Sache ist schlicht und ergreifend einfach zu spät! Ansonsten habe ich nichts gegen Referenden. Ich bin auch sehr zuversichtlich, dass die Bevölkerung Berlins ein eindeutiges Votum für eine Bewerbung abgeben würde ‑ übrigens eindeutiger als das in Hannover bei der „Expo“ geschehen ist.

Nun möchte ich gern noch etwas zur Sache sagen: Der Antrag der Jusos gibt in seiner Begründung eigentlich nur Argumente ‑ die nach meiner Auffassung sachlich falsch sind ‑ gegen Olympia. Ich möchte euch auf eine Geheimschrift hinweisen; diese Geheimschrift hat den Titel „Klarheit für Berlin, mit uns gelingt’s ‑ SPD Berlin“. Das ist das Wahlkampfprogramm unserer Partei; ich habe daran mitgewirkt. Viele von euch haben abgestimmt; da lese ich ‑ ich darf zitieren, es steht gleich im Vorwort ‑:

Berlin hat eine gute Chance, im Jahr 2000 Olympiastadt zu werden. Die Olympischen Spiele werden ein grober Impuls für die Modernisierung der Stadt sein. Das ist die Chance zur Erneuerung der öffentlichen Infrastruktur, der Sportanlagen und für den Wohnungsbau sowie für den ökologischen Stadtumbau.

Genau dies sind auch die zentralen Argumente für unsere Partei, dass wir für die Olympischen Spiele, für die Bewerbung um die Olympischen Spiele im Jahr 2000 sind!

(Vereinzelter Beifall)

Lasst mich noch eines sagen: Wir sollten uns in der Partei abgewöhnen, wenn wir gegen eine bestimmte Durchführung sind ‑ bei der Olympia GmbH und bei der Marketing GmbH; dagegen bin ich auch ‑, dürfen wir nicht gegen die Projekte insgesamt sein, sondern wir müssen uns einbringen und Vorschläge machen, wie man mit 1936 umgeht, wie man die Bevölkerung gewinnt, wie man Bürgerbeteiligung macht, und dazu rufe ich die Partei auf. Um dort glaubwürdig zu sein, muss dieser Antrag abgelehnt werden.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Monika Höppner.

Monika   H ö p p n e r   : Genossinnen und Genossen! Im Prinzip bin ich auch für die Bürgerbefragung und ein Plebiszit. Aber wie Klaus Böger schon sagte, haben wir im Vorfeld zur Parteireform auch über Mitgliederbefragung gesprochen, und da war die Äußerung ganz anders.

Bei Olympia 2000 fehlt ganz einfach, um eine Bürgerbefragung zu machen, noch sehr viel an Information: Was bringt es wirklich für Einschränkungen? Was bringt es für Höhepunkte im sportlichen wie im gesellschaftlichen Leben? Vor allen direkt in den Bezirken: Welche Trainingsstätten werden saniert? ‑ Und das ist der Punkt, der, glaube ich, vor allen Dingen im Ostteil eine Rolle spielt. Wenn wir die Trainingsstätten oder die Sportstätten im Ostteil sehen: Sie sind alle sanierungsbedürftig bis auf die Grundmauern. Ohne Olympia werden wir im Ostteil der Stadt noch sehr lange auf diese Sanierung warten müssen. Und ich glaube, das können wir unseren Bewohnern auch nicht antun.

Ich habe Angst: Wenn wir jetzt wieder mit diesen Themen anfangen, die wir schon einmal beschlossen haben ‑ so wie beim Tunnel ‑, laufen wir Gefahr, an der Bevölkerung vorbeizureden ‑ und das können wir uns in dieser Zeit nicht erlauben!

Ich empfehle den Genossen, die gegen Olympia sind, unsere Sportstätten und die Rummelsburger Bucht zu besuchen. Dann kann man sehen, was dort los ist und was gemacht werden muss und ob nicht Olympia doch eine sehr starke infrastrukturelle Hilfe und einen sehr starken Investitionsschub gibt. Ich bitte euch, diesen Antrag abzulehnen.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat jetzt Thomas Gaudszun.

Thomas   G a u d s z u n   (Reinickendorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Die Idee der Jungsozialisten, die Frage „Olympia“ mit einem Plebiszit in der Bevölkerung besser zu verankern, ist zunächst durchaus zu begrüben. Nur, und das müssen wir vielleicht auch als Sozialdemokraten selbstkritisch sagen, die, die damals an den grundsätzlichen Weichenstellungen mitgewirkt haben, wir haben das nicht getan. Wir können da jetzt selbstkritisch sein, aber wir haben es schlichtweg nicht getan.

Wenn das so ist, dann muss man damit auch umgehen, und man muss überlegen, wozu jetzt ein Plebiszit eigentlich im Ergebnis führen soll und führen kann. In dem Antrag selbst steht, dass es so eine Art beratende Funktion haben soll. Dann fragt man sich, worin diese Funktion liegen soll. Die Entscheidungen sind schlichtweg gefallen, Klaus Böger hat darauf hingewiesen. Und das geltende Wahlprogramm für die Abgeordnetenhausfraktion in der Wahlperiode 1990 bis 1995 hat er hier vorgelegt. Dies ist geltende Beschlusslage der Partei, und aufgrund dieser Beschlusslage sind die entsprechenden Entscheidungen gefallen. Sie sind Ende 1990 im Landesvorstand gefallen. Sie sind Ende 1990 in der Abgeordnetenhausfraktion gefallen. Sie sind etwas später im Senat gefallen. Und sie sind im Prinzip auch hier auf dem Landesparteitag gefallen; denn wer einmal richtig nachdenkt, kann sich an viele Redebeiträge insbesondere des damaligen Landesvorsitzenden Walter Momper erinnern, der in fast jedem seiner Grundsatzreferate auf diese Frage Olympia positiv eingegangen ist; und in diesem Gremium ist dem nie widersprochen worden! Deshalb denke ich, ist ein solches Nachzugsgefecht ‑ wenn man an den entscheidenden Stellen in der Zeit die Beschlüsse des Parteitags nicht hat herbeiführen wollen oder können ‑ an dieser Stelle abzulehnen.

Ich muss schlichtweg einmal sagen: Wer Olympia mit einem Beschluss der SPD hätte verhindern wollen, der hätte sich die Mühe vor zweieinhalb Jahren machen müssen. Und wer dies nicht getan hat, der kann dies jetzt nicht nachholen.

(Beifall)

So ist das manchmal: Wer zu spät kommt, den bestraft eben manchmal irgend etwas. Und das ist hier im Fall Olympia für die Gegner auch innerhalb unserer Partei nun einmal der Fall. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen und diesen Antrag deshalb abzulehnen.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Die Antragslage ist klar. Die Antragkommission schlägt die Ablehnung vor. Wer dem Votum der Antragskommission seine Zustimmung geben will, nämlich Ablehnung, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Die Gegenprobe! ‑ Bei zahlreichen Gegenstimmen ist der Antragskommission gefolgt; damit ist der Antrag abgelehnt. Danke sehr!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen zum letzten Punkt „Verschiedenes“. Auch hier liegt eine Konsensliste vor. An mich sind keine Wünsche herangetragen worden, irgend etwas aus dieser Konsensliste in die Einzelberatung hineinzunehmen. Deshalb bitte ich, zunächst über die Konsensliste abzustimmen.

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Uns liegen auch keine Wortmeldungen vor. Dann lasse ich über den Vorschlag der Antragskommission, die Konsensliste anzunehmen, abstimmen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Die Gegenprobe! ‑ Dann ist so beschlossen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen zum Antrag 107/I/93. Dort geht es um Solidarität mit den Anwohnern des Militärgeländes Wittstocker Heide. Hier empfiehlt die Antragskommission Annahme.

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir sehen keine Wortmeldungen. Wer dem Votum der Antragskommission folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Die Gegenprobe! ‑ Das erstere war eindeutig die Mehrheit ‑ das ist sogar einstimmig, sagt das Präsidium. Dann ist so beschlossen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Der letzte Antrag ist Antrag 113/I/93 auf Seite 93. Die Antragskommission empfiehlt Annahme unter Streichung eines Wortes. Es geht darum, dass die Bezirke vor Koalitionskompromissen gehört werden vor einer Dezentralisierung der Demokratie dieser Partei. Die Antragskommission empfiehlt Annahme.

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir sehen keine Wortmeldungen. Wer dem Votum der Antragskommission folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr. Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Ist so beschlossen!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Gut, Genossinnen und Genossen! Wir nehmen die Verfahrensweise heute, die mit über 200 Anträgen fertig geworden ist, als Hinweis darauf, dass wir unter besseren zeitlichen Bedingungen, nämlich fünf Wochen Antragsfrist, wieder mit Konsenslisten beim nächsten Parteitag arbeiten sollten.

(Beifall)

Das kann besser überprüft werden; wir kommen so besser zu Rande. ‑ Ich danke euch.

(Beifall)

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Präsidium bedankt sich bei der Antragskommission und freut sich, euch mitteilen zu können, dass wir die Drohung von Monika Höppner am Eingang, dass wir bis null Uhr machen, um drei Stunden unterschritten haben.

Wir kommen zu

Punkt 7 der Tagesordnung

Schlusswort

Ditmar Staffelt hat das Wort.

Ditmar   S t a f f e l t   : Liebe Genossinnen und Genossen! Ich denke, wir haben einen guten Parteitag hinter uns. Wir haben kontrovers diskutiert, aber wir haben eine Reihe wichtiger Fragen heute klären können. Ich glaube, wenn die Partei sich klar darüber ist, dass wir für die existenziellen Probleme der Menschen und die Lösung der Probleme unsere Rezepte anbieten, werden wir einen ganzen Schritt weiterkommen. Das gilt übrigens auch für die Stadtentwicklung.

Ich möchte mich sehr herzlich bei euch bedanken, möchte mich sehr herzlich bedanken beim Präsidium.

(Beifall)

Ich möchte von dieser Stelle aus Kurt Neumann und der Antragskommission auch noch einmal sehr herzlich danken.

(Starker Beifall)

Wann, so frage ich, ist es je gelungen, alle auf einem Parteitag eingebrachten Anträge tatsächlich auch zu Ende zu bringen? Ich denke, das ist eine tolle Leistung; auf dem Wege müssen wir weitergehen!

Ich bedanke mich sehr herzlich bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

(Beifall)

Schließlich gestattet mir die Bemerkung: Auch wenn es manchmal ein bisschen dicke war, hier in der Halle, aber atmosphärisch fand ich es viel besser als im ICC.

(Beifall)

Im übrigen ist es auch erheblich billiger, und ich denke, wir können hier wieder hergehen.

(Beifall)

In diesem Sinne: Schönen Heimweg! Und bis zum nächsten Parteitag ‑ tschüs!

Schluss: 20.55 Uhr

 

 

 

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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