SPD-Landesparteitag vom 16. März 1991: Protokoll

Landesparteitag der SPD, Landesverband Berlin,

am Sonnabend, dem 16. März 1991, Halle 15.2, Messegelände

Beginn: 9.50 Uhr

Präs. Siegrun   K l e m m e r   : Liebe Genossinnen und Genossen! Ich darf euch das erste Mal ‑ das wird ja nicht das letzte Mal sein ‑ sachte und vorsichtig bitten, so langsam die Gespräche einzustellen und die Plätze einzunehmen, damit wir in angemessener Verspätung mit der Eröffnung unseres Parteitags beginnen können.

Bitte, nehmt eure Plätze ein; wir wollen beginnen.

Punkt 1 der Tagesordnung

Eröffnung und Begrüßung

Monika Buttgereit

Monika   B u t t g e r e i t   : Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen! Mein erster Gruß gilt den zahlreichen Freunden und Gästen aus unserer Stadt und aus Brandenburg.

(Beifall)

Mein weiterer Gruß gilt unseren Ehrengästen sowie Seniorinnen und Senioren; besonders möchte ich folgende begrüßen:

die Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften,

(Beifall)

des Hauptpersonalrats von Berlin sowie des Deutschen Beamtenbundes,

(Beifall)

die Vertreterinnen und Vertreter des VdK, des Bundes Deutscher Kriegsopfer, Körperbehinderter und Sozialrentner, des Zentralverbandes der Mittel‑ und Ostdeutschen, der Arbeiterwohlfahrt, des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, des Deutschen Freidenker Verbandes sowie der Friedrich‑Ebert‑Stiftung, der Falken und des Landeselternausschusses.

(Beifall)

Ferner begrüße ich die Vertreterinnen und Vertreter der Botschaften Amerikas, Großbritanniens, Italiens, Polens und der Sowjetunion.

(Beifall)

Aus kirchlichen Kreisen begrüßen wir die Vertreter des Bistums Berlin sowie des Diözesanrates der Katholiken im Bistum Berlin.

(Beifall)

Außerdem begrüße ich die Vertreterinnen und Vertreter des Landesarbeitsamtes Berlin, der Arbeitsgemeinschaft privater Berliner Verkehrsverbände sowie des Landessportbundes Berlin.

(Beifall)

Mein Gruß gilt auch den Vertreterinnen und Vertretern der Presse, des Funks und des Fernsehens.

(Beifall)

Besonders herzlich begrüße ich natürlich alle Delegierten und Teilnehmerinnen und Teilnehmer unseres Parteitages.

Wir haben zwei Geburtstagskinder unter uns, und zwar eine Delegierte aus Pankow, die Genossin Oja Leiterer,

(Beifall)

und einen Delegierten aus Wilmersdorf, den Genossen Heinz Löffler. ‑ Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall)

Es ist uns eine besondere Ehre, dass ihr euren Geburtstag heute mit uns zusammen auf dem Parteitag feiert.

(Beifall)

Wir sind aber nicht nur zum Feiern zusammengekommen, sondern auch zum Arbeiten. Schwerpunkt unseres heutigen Parteitags ist die Finanz‑ und Wirtschaftsentwicklung in den sechs neuen Bundesländern. Zu diesem Thema begrüße ich ganz besonders herzlich unsere Referentin und unseren Referenten, den Fraktionsvorsitzenden und stellvertretenden Landesvorsitzenden der SPD Sachsen, den Genossen Karl‑Heinz Kunckel ‑ herzlich willkommen!

(Beifall)

Es ist mir eine besondere Freude, die neue Berliner DGB‑Vorsitzende Christiane Bretz bei uns zu begrüßen.

(Starker Beifall)

Liebe Christiane, wir gratulieren dir mit etwas Verspätung auch noch ganz besonders herzlich zu deiner neuen Funktion als DGB‑Vorsitzende. Dir ist es als erster Frau in Berlin gelungen, dieses Amt wahrzunehmen. Darüber freuen wir als Sozialdemokratinnen uns ganz besonders, und wir wünschen dir viel Erfolg in deiner Arbeit.

(Beifall)

Ich denke, der vor uns liegende Leitantrag des Landesausschusses ist eine gute Grundlage für unsere Diskussion und für die Umsetzung in praktische Politik.

Gerade in den letzten Wochen und Monaten hat sich wieder einmal bewiesen, dass Politik, die in Bonn gemacht wird ‑ fernab vom Schuss ‑, mit den wirtschaftlichen und sozialen Realitäten in den sechs neuen Bundesländern nichts zu tun hat. Sie kann keine befriedigenden Antworten auf die soziale Not in diesen Ländern geben. Diese wird dort überhaupt nicht wahrgenommen. In Bonn lebt man weiter wie bisher, und man macht leider auch Politik wie bisher.

Unsere Forderung, dass Berlin Hauptstadt und Regierungssitz sein muss, gilt es also auch heute wieder zu bekräftigen. Wir müssen die Solidarität der alten Bundesländer mit den neuen Bundesländern einfordern, auch bei unseren eigenen Genossinnen und Genossen.

(Beifall)

Wir als Berliner Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sollten uns am 1. Mai in großer Zahl an der Demonstration des DGB beteiligen. Der Geschäftsführende Landesvorstand fordert alle Genossinnen und Genossen auf, sich dieses Jahr am Zug, der vom DGB‑Haus in der Ost‑Berliner Wallstraße losgeht, zu beteiligen. So können wir unsere besondere Solidarität mit den Menschen im Ostteil unserer Stadt beweisen und gleichzeitig verhindern, dass sich die PDS als alleinige Interessenwalterin dieser Menschen darstellt.

(Vereinzelter Beifall)

Dazu müssen wir allerdings viele sein.

Der zweite Teil unseres Parteitags wird sich mit dem Frieden im Nahen Osten beschäftigen. Die Kampfhandlungen am Golf sind eingestellt, doch der Frieden in der Region ist durch diesen Krieg kein Stück näher gerückt. Kein Problem ist gelöst worden. Über die Zahl der Opfer, die dieser Krieg in der Zivilbevölkerung gekostet hat, wird nach wie vor geschwiegen. Die verheerenden ökologischen Folgen der brennenden Ölfelder können noch gar nicht abgeschätzt werden. Trotzdem dient für viele der Golfkrieg als Beweis dafür, dass Kriege wieder führbar und zu gewinnen sind. Doch die SPD muss gerade heute ihre Position aus dem Berliner Grundsatzprogramm bekräftigen: Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein.

(Beifall)

Der Geschäftsführende Landesvorstand fordert daher alle Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auf, sich gerade dieses Jahr zahlreich am Friedensmarsch zu Ostern zu beteiligen. Die Berliner SPD wird diesen Ostermarsch mit einem eigenen Aufruf unterstützen, der euch nachher bei der Antragsberatung vorliegen und diskutiert werden wird.

Zur finanziellen Unterstützung der Friedenskoordination hat der Landesverband 1 000 Buttons gekauft, die ihr heute hier für 1 DM erstehen könnt. Kauft nicht nur für euch selbst einen, sondern auch für eure Nachbarn und Nachbarinnen, Freundinnen und Freunde und für alle die, die ihr dazu motivieren könnt, am Ostermarsch teilzunehmen. Und wir freuen uns auch über Spenden, mit denen wir die Friedensbewegung in dieser Stadt, die heute wichtiger ist denn je, unterstützen können. ‑ Ich erkläre den Parteitag für eröffnet!

(Beifall)

Präs. Siegrun   K l e m m e r   : Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, die ‑ wie immer ‑ notwendigen Vorbemerkungen. Die auf dem Jahresparteitag gewählten Kommissionen sind im Amt. Wir wollen an dieser Stelle schon einen Hinweis für die Mitglieder der Wahlkommission geben. Wir wollen sie darauf aufmerksam machen, dass für die Wahl der Bundesparteitagsdelegierten § 8 der neuen Wahlordnung im Statut, Fassung September 1990, gültig ist. Nicht, dass es da zu Entscheidungen nach dem alten Statut kommt. Deshalb schon an dieser Stelle der Hinweis auf den neuen § 8.

Die Kommissionen treffen sich ‑ gegenüber von uns ‑ in Halle 14.2.

Wir schlagen vor, die Redezeit auf fünf Minuten zu begrenzen.

Wir schlagen euch vor, dass die Frist für die Einbringung von Initiativanträgen auf 10.30 Uhr festgelegt wird. Wir schlagen euch ferner vor, die Frist für die Einbringung personeller Vorschläge auf 12.00 Uhr zu begrenzen.

Kinderbetreuung ist in Raum 51.

Noch einen Hinweis zur Wahl der Bundesparteitagsdelegierten: Wir haben 15 Delegierte zu wählen.

Dann noch mal die Bitte an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Parteitags: Beteiligt euch ganz besonders in diesem Jahr an der Demonstration zum 1. Mai. Dazu liegt noch ein Antrag vor mit dem Vorschlag, nach Bonn zu gehen. Sollte das hier nicht verabschiedet werden, dann unsere dringende Bitte: Nehmt an den Veranstaltungen der Gewerkschaften in Berlin teil.

Dann ‑ wie jedes Mal ‑ eine Bitte des Protokollführers: Bitte, schreibt auf eure Zettel, die ihr hier als Wortmeldungen abgebt, unbedingt euren Kreis rauf. Das erleichtert uns den Aufruf und dem Protokoll die Zuordnung der Redenden. Wir werden das von hier aus immer wieder anmahnen, aber, bitte, denkt doch selbst schon mal daran.

Dann kommen wir zu

Punkt 2 a) der Tagesordnung

Finanz‑ und Wirtschaftssituation der sechs neuen

Bundesländer

Dr. Karl‑Heinz Kunckel, Fraktionsvorsitzender und

stellv. Landesvorsitzender, Landesverband Sachsen

Herzlich willkommen ‑ du hast das Wort!

(Beifall)

Karl‑Heinz   K u n c k e l   : Liebe Genossinnen und Genossen, ein Sachse grüßt alle Berlinerinnen und Berliner.

(Beifall)

Ein Sachse grüßt ganz besonders alle Genossinnen und Genossen und alle Anwesenden auf dem hiesigen Parteitag.

Woran erkennt man einen Sachsen?

(Heiterkeit)

Man erkennt einen Sachsen daran, dass er etwa so spricht wie ich, obwohl ich aus Thüringen komme; aber das wird nicht so genau differenziert. Und ein Sachse kommt immer aus einer ökologisch unheimlich belasteten Gegend, nämlich eben aus Sachsen. Ein Sachse ist verpflichtet ‑ und nun kommen wir schon zur Politik ‑, Wasser zu trinken, das mit Schwermetallen und mit Nitratverbindungen angereichert ist. Ich darf einmal etwas salopp sagen: Man kann, wenn das so weitergeht, in einiger Zeit einen Sachsen vielleicht daran erkennen, dass er im Finsteren leuchtet. Deshalb müssen wir dringend anmahnen ‑ vor allen Dingen im Hinblick auf unsere Politik in Sachsen, und das sage ich ganz bewusst auch an unseren Umweltminister ‑, dass hier Sofortmaßnahmen geschaffen werden müssen.

Wenn man über die Innenpolitik in Deutschland redet, denke ich, dass man um vier Probleme nicht herumkommt: erstens die Lösung des Finanzproblems, zweitens die Lösung des Verwaltungsproblems, drittens die Lösung des Problems der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes und schließlich, viertens, die Überwindung des Einkommensgefälles zwischen den ostdeutschen Ländern und den Ländern im Westen.

(Beifall)

Das alles, liebe Genossinnen und Genossen, wird durch einen Strukturwandel im Bewusstsein begleitet. Dazu ist sowohl für uns Bürger in den ostdeutschen als auch für die Bürger in den westdeutschen Ländern Zeit erforderlich. Diejenige Partei, die als erstes dieses Problem meistert, gemeinsam zu denken, wird auch tragfähige Mehrheiten auf sich vereinigen können.

Ich komme zu meinem ersten Thema, zum Finanzproblem. Bereits vor der Wahl war offensichtlich, dass allein für die Anpassung im Infrastrukturbereich der neuen Bundesländer an das Niveau der alten Bundesländer Milliarden an Aufholinvestitionen notwendig sind. Ich nenne Wohnungen, Straßen, Telekommunikation, öffentliche Versorgungsnetze, Eisenbahn und Umwelt. Nach seriösen Schätzungen ist das ein Umfang von etwa 500 bis 600 Milliarden DM.

Weiter war offensichtlich, dass mit der Einführung der DM weit mehr als die Hälfte der ostdeutschen Unternehmen in akute Liquiditätsprobleme kommen würde.

Bereits im Jahr 1990 war für uns Sozialdemokraten klar: Wenn hier nicht rasch staatliche Hilfe einsetzt, wird es zu einem massenhaften Abbau von Arbeitsplätzen in noch nicht bekanntem Ausmaß kommen.

Die damalige Bundesregierung hat unsere Befürchtungen als Schwarzmalerei bezeichnet. Nun, die Bundestagswahl ist erst seit einigen Wochen vorbei, da liegen die Fakten knallhart auf dem Tisch. Keinem wird es schlechter gehen im Osten ‑ dieser Satz ist bekannt: Nun ist es bereits heute so, dass es real 40 % der Menschen in den ostdeutschen Ländern materiell schlechter geht als vor der Vereinigung.

Unsere Schätzungen hinsichtlich der Arbeitslosenzahl in den neuen Ländern belaufen sich auf etwa vier Millionen. Das ist eine Quote von etwa 50 %. Das heißt für Sachsen ‑ bei einer Bevölkerung von etwa fünf Millionen Menschen ‑: 1,3 Millionen Arbeitslose, mit denen wir am Jahresende oder spätestens im Frühjahr nächsten Jahres zu rechnen haben.

Geht man davon aus, dass für Arbeitslosenunterstützungen, für AB‑Maßnahmen, für Sozialhilfen, für Wohngeld etwa pro Arbeitslosem 1 000 DM zur Verfügung stehen müssen, und geht man davon aus ‑ und dazu werde ich später noch etwas sagen ‑, dass wir jetzt mit vier Millionen im Osten in diese Situation einsteigen und vielleicht nach zehn Jahren mit zwei Millionen aussteigen, dann bedeutet das eine durchschnittliche Arbeitslosenquote von drei Millionen. Das würde bedeuten, dass pro Jahr wieder etwa 30 bis 40 Milliarden DM für die Finanzierung von Arbeitslosigkeit oder die Finanzierung von AB‑Maßnahmen und für Sozialhilfe aus den öffentlichen Kassen bereitstehen müssten. Das bedeutet, dass allein für den Bereich der öffentlichen Hand die deutsche Einheit eine Billion DM kostet.

Wir haben als Sozialdemokraten im Wahljahr 1990 darauf hingewiesen, dass das nur zu bewältigen ist, wenn die Einnahmenseite des Staates erhöht wird. Die SPD war die einzige Partei, die das offen und ehrlich ihren Wählern gesagt hat. Die Gestaltung der deutschen Einheit, also das, was im Anschluss an den politischen Akt der Herstellung der deutschen Einheit notwendig wird, ist nicht zum Nulltarif zu bekommen.

Oskar Lafontaine hat im letzten Jahr die Finanzhilfen auf 100 Milliarden DM pro Jahr beziffert. Davon müssten nach unseren Schätzungen 30 Milliarden DM zur Stützung der Länderhaushalte im Osten bereitstehen.

Ich darf euch einen ganz kurzen Einblick in den gegenwärtigen sächsischen Haushalt geben. Wir haben eine Einnahmenseite von etwa 15 Milliarden DM. Das sind im wesentlichen „Fonds deutsche Einheit“ und Steuereinnahmen, das sind Umschichtungen aus dem Bund. Wir haben, nur bei Fortschreibung der Zahlen aus den ehemaligen Bezirkshaushalten, einen Bedarf von 20 Milliarden DM. Das sind die Zahlen, die in einem Vorschalthaushalt im September durch den Sächsischen Landtag gegangen sind. Es war damals also klar, dass wir eine Netto‑Kreditaufnahme von fünf Milliarden DM zu bewerkstelligen hätten.

Hinzu kommt ‑ nach den Koalitionsbeschlüssen der Bonner Regierung, Absatz 2, Finanzwesen ‑ eine Umlage der Subventionen auf die Länder. Der Bund war nicht mehr bereit, die Subventionen zu zahlen. Das würde für Sachsen weitere zehn Milliarden DM bedeuten. Das hieße, eine Kreditfinanzierungsquote des sächsischen Haushalts von 50 %. Dieses nimmt auch einer zukünftigen sozialdemokratischen Regierung in Sachsen dann jeglichen Verhandlungsspielraum. Aus diesem Grund ist es unsere wichtigste Aufgabe gewesen, ständig auf dieses finanzielle Problem hinzuweisen.

Die Bundesregierung hat aus wahltaktischen Gründen die Wahrheit im letzten Jahr verschwiegen und lauthals verkündet: „Es wird zur Finanzierung der deutschen Einheit keine Steuererhöhung geben.“

Nun, Genossinnen und Genossen, es gibt inzwischen einen Spruch in Deutschland, der heißt: „Der Kanzler hat sein letztes Wort noch nicht gebrochen.“ ‑ Dieses hat er gebrochen!

(Heiterkeit und Beifall)

Damit hat die alte Bundesregierung die Menschen in den neuen Bundesländern über die Größe der zu bewältigenden Aufgaben getäuscht. Dieses, so sagte Oskar Lafontaine ‑ und ich kann mich da nur anschließen ‑, ist ein Anschlag auf die Glaubwürdigkeit der Demokratie.

(Beifall)

Dieser Anschlag hatte zwei Folgen, nämlich einmal, dass die Bereitschaft, die im letzten Jahr bei den Menschen in der alten Bundesrepublik deutlich war, sich an dem finanziellen Aufbau im Osten zu beteiligen, deutlich zurückgegangen ist, und zweitens, dass die ostdeutschen Länder in eine Liquiditätskrise besonders der Städte und Gemeinden hineingesteuert sind.

(Anhaltende Unruhe)

„Ich habe mich getäuscht“, war die Entschuldigung. Eine dürre Entschuldigung, wie ich meine. Man hat dann ein finanzpolitisches Konzept nachgeschoben, das folgendermaßen gestaltet ist: sozial undifferenzierte Erhöhung der Einkommen- ­und Lohnsteuer, Erhöhung der Mineralölsteuer, Abschaffung der Gewerbekapital- ­und Vermögensteuern. Diese Steuerpläne sind nicht nur höchst unsozial, sondern sie sind auch ökonomisch unsinnig. Denn mit der Abschaffung der Gewerbekapital‑ und Vermögensteuern werden den Ländern und Gemeinden dringend notwendige Steuereinnahmen entzogen. Das muss auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen!

Wir fordern deshalb Einsparungen im Bundeshaushalt, besonders im Wehretat, den Verzicht auf die Abschaffung der Gewerbekapital‑ und Vermögensteuern, sozial verträglich gestaltete Steuererhöhungen nach dem Breitschulterprinzip, und dazu gehört die von uns schon lange geforderte Ergänzungsabgabe für Besserverdienende

(Beifall)

sowie eine Arbeitsmarktabgabe für Selbständige und Beamte.

(Beifall)

Präs. Siegrun   K l e m m e r   : Entschuldigung! Genossinnen und Genossen, es herrscht, von hier oben jedenfalls merkbar, eine ganz extreme Unruhe, und ich bitte euch doch herzlich: Stellt doch die Gespräche ein oder führt sie draußen und widmet dem Vortragenden hier ein bisschen mehr Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Karl‑Heinz   K u n c k e l   : Es ist denkbar, dass das alles vielleicht nicht ausreicht, um die Finanzierungsprobleme zu lösen, deshalb haben wir in Sachsen auch über Mineralölsteuer und Mehrwertsteuer nachgedacht, aber nicht, um Steuergeschenke zu finanzieren, sondern um den Aufbau im Osten voranzutreiben. Unsere Gedanken dabei waren, dass die undifferenzierte Erhöhung der Einkommensteuer nach unserer Meinung investitionshemmend ist und dass im Zusammenhang mit dem Aufbau des europäischen Binnenmarktes ohnehin über die Erhöhung der Mehrwertsteuer nachgedacht wird.

Wir fordern aus unserer Sicht, generell über eine neue Finanzverfassung zur Bewältigung der Aufgaben im Osten nachzudenken und das möglicherweise im Grundgesetz in einem Artikel „Teilungsfolgelasten“ festzuschreiben.

Zu meinem zweiten Thema, zum Verwaltungsproblem: Die Gestaltung der deutschen Einheit ist wahrlich nicht nur ein Finanzproblem. Das Geld, das zur Verfügung gestellt wird, muss dann auch dorthin fließen, wo es gebraucht wird. Dazu ist eine vernünftige und effiziente Verwaltung erforderlich. Im Moment sind die Verwaltungen in den Kommunen ‑ vor allen Dingen in den kleineren ‑ in Ostdeutschland dazu nicht in der Lage. Das liegt nicht daran, dass die Leute dort etwa dümmer wären, sondern das liegt daran, dass ihnen die Informationen über das neue Rechts‑ und Verwaltungssystem einfach noch nicht gängig sind, einfach noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen sind. Es entsteht etwas, was ich einen Trichtereffekt nennen möchte: Das Geld, das bereitgestellt wird, ist in einem Trichter mit einer kleinen kapillaren Röhre unten dran und kann dadurch nicht abfließen. Den Banken wird das sicherlich nicht unrecht sein; sie machen auf dieser Basis doch erhebliche Gewinne.

(Vereinzelter Beifall)

Wir fordern aus diesem Grund, dass schnellstens ein Personaltransfer in die Wege geleitet wird, ein Personaltransfer aus den westlichen Ländern in die ostdeutschen Verwaltungen, und gleichzeitig eine massive Qualifikation von Leuten der neuen Bundesländer in den Verwaltungen der westlichen Bundesländer. Ich weiß, dass das oft problematisch gesehen wird, wenn Beamte aus dem Westen in unsere Verwaltungen kommen. Es wird dann oft gesagt, sie nehmen uns noch die Arbeitsstellen weg. Oft ist es auch so, dass sie dann dort auftreten und kraft ihres Wissens ‑ nun ja ‑ zeigen, dass sie eben besser sind als die anderen, die dort gelebt haben.

Aber, liebe Genossinnen und Genossen, stellt euch einmal vor, ihr hättet 40 Jahre unter einem solchen System gearbeitet, gelebt und hättet das verinnerlicht. Wäret ihr in der Lage, das alte Denken so schnell zu vergessen? Ihr müsst uns dazu auch etwas Zeit lassen.

(Beifall)

Ich befürworte, dass man eine Regelung findet, dass beispielsweise die Karriere eines Beamten heute über die ostdeutschen Länder zu erfolgen hat. Vielleicht ergibt sich dann auch der Fall, dass diese Leute im Osten bleiben. Dann wäre auch nichts dagegen zu sagen, dass junge Menschen, die von uns jetzt in strukturstarke Gebiete des Westens abwandern, dort bleiben. Das würde sich dann ausgleichen. Das wollen wir ja, wir wollen uns ja annähern. Nicht gefallen würde mir ‑ das muss ich auch dazu sagen ‑ eine Dienstverpflichtung, weil wir Leute brauchen mit einer unheimlich hohen Motivation, die mit Problemen fertigwerden müssen, die sie sich hier, im Westen, nicht vorstellen können. Das geht damit los, dass unsere Beamten oft nicht in der Lage sind, ein neues Formular auszufüllen, um beispielsweise einen Kredit zu beantragen. Das sind einfache Dinge, aber dort muss eben eine Schulung erfolgen. Die Leute, die dann zu uns kommen, müssen mit solchen Schwierigkeiten rechnen, und sie dürfen dann nicht verzagen. Das ist nur mit Motivation möglich und nicht mit einer Abordnung per Dekret.

Zu meinem dritten Thema, „Wirtschaft und Arbeitsmarkt“, insbesondere einige Bemerkungen zur Treuhandanstalt: Als am 17. Juni 1990 die Abgeordneten der Volkskammer der DDR das „Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens“, das Treuhandgesetz, verabschiedeten, haben sie mit diesem Papier die wirtschaftliche Entwicklung und das Schicksal von vier Millionen Arbeitsplätzen, indirekt wohl von sechs Millionen Arbeitsplätzen, in den neuen Ländern einer handverlesenen Crew von Managern anvertraut. Dies ist ein bislang wohl einmaliger Vorgang auf der Welt. Das Treuhandgesetz legt zwar nicht im Detail, so doch aber prinzipiell die Aufgaben der Treuhandanstalt fest.

Ausgehend davon hat sich die Treuhandanstalt Leitlinien ihrer Geschäftspolitik gegeben; sie lauten:

‑ rasche und umfassende Privatisierung dessen, was sofort verkaufsfähig ist,

‑ Sanierung von Unternehmen durch wirtschaftlich vertretbare Maßnahmen und   anschließende Privatisierung,

‑ Stillegung von Betrieben, die nicht zu wettbewerbsfähigen Unternehmen   umgebaut werden können, und schließlich

‑ Bereitstellung von Grund und Boden für wirtschaftliche Zwecke.

Wie sieht das Ergebnis der Arbeit aus? Mir liegen hier die Zahlen vom 31. Januar vor. Die Zentrale in Berlin verwaltet 2 000 Betriebe ‑ das sind die mit mehr als 1 500 Beschäftigten ‑ und hat 278 Firmen verkauft ‑ das betrifft etwa 250 000 Arbeitsplätze ‑, und zwar mit einem Gesamterlös von 4,7 Milliarden DM. Hinzu kommen Verkäufe von 250 Betrieben durch die Niederlassungen für insgesamt 250 Millionen DM. In diesen Zahlen sind nicht enthalten die Verkäufe von Ladengeschäften, Gaststätten und Hotels. Hier ist davon auszugehen, dass man zu passablen Abschlüssen kommt.

Im Einvernehmen mit der Bundesregierung ‑ hier tut sich aber inzwischen etwas ‑ ist für die Treuhand der sofortige Privatisierungsauftrag prioritär. Man hat das sogar so interpretiert: Ein Betrieb, der nicht sofort verkäuflich ist, ist auch nicht sanierungsfähig. Das ist ein schwerer Fehler, ich möchte darauf aufmerksam machen.

(Beifall)

Bislang ging das Verständnis dahin, dem Verkauf eine nur kurze Sanierungsphase in einzelnen Fällen vorzuschalten. Voraussetzung für eine solche Sanierung war, dass ein von Wirtschaftsberatern vorgelegtes Sanierungskonzept vorliegt, dass auf der Basis dieses Unternehmenskonzepts dann die Treuhand Liquiditätshilfen und Sanierungskredite ausreichen, Bürgschaften erteilen und die Stundung oder den Erlass von Altschulden veranlassen kann, wenn damit die Insolvenzantragspflicht des Betreibers abgewendet werden kann.

Bis Ende 1990 wurden 59 Betriebe mit 88 000 Beschäftigten stillgelegt. Das Problem besteht gegenwärtig darin, dass viele Unternehmen zum einen ihre DM‑Eröffnungsbilanz noch immer nicht vorgelegt haben und zum anderen eine Vielzahl von Sanierungskonzepten von der Treuhand zur Überarbeitung zurückgewiesen wurde, so dass wir davon ausgehen können, wenn sich das Verständnis über die Politik der Treuhand nicht ändert, dass die große Zahl der Stilllegungen im Sommer und Herbst dieses Jahres stattfinden wird. Auch hier ist es unsere Pflicht, dem entgegenzuwirken; denn prinzipiell ist jeder Betrieb sanierbar.

(Beifall)

Sind wir in dieser Situation noch zu retten? Um die Frage vorab zu beantworten: Ja! Allerdings ist dafür eine andere Interpretation des Treuhandauftrags notwendig und auch möglich. Das Ergebnis der Arbeit der Treuhandanstalt beweist: Eine schnelle Privatisierung von ganzen Betrieben geht nicht auf. Die Anzahl der Verkäufe liegt nach den ersten Monaten der Geschäftstätigkeit weit unter den Erwartungen. Fragt man nach den Gründen, dann wird immer folgendes genannt:

Der Verkauf muss durch Auslobung erfolgen. Sanierungs‑ und Finanzierungsvorstellungen müssen vorgelegt werden, eine Prüfung durch die Banken erfolgen. Das kostet Zeit. ‑ Richtig!

Es besteht Rechtsunsicherheit. Der Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ favorisiert die Reprivatisierungsforderungen durch Alteigentümer bzw. blockiert die Freigabe. ‑ Hier tut sich im Moment etwas. ‑ Ausländische Interessenten können oft mit der „Konstruktion Treuhand“ nichts anfangen. ‑ Versucht mal, einem japanischen Banker klarzumachen, was das ist. Es ist schier unmöglich, das zu bewerkstelligen.

(Vereinzelter Beifall)

Im Umfeld privatwirtschaftlicher Tätigkeit fehlt die Infrastruktur. Schnelle Abhilfe ist kaum zu erwarten. Die Länder haben wenig Geld, oder das Geld fließt nicht schnell genug ab.

Die Kosten für die Sanierung und eventuelle Sozialpläne sowie für die Bewältigung der ökologischen Altlasten sind hoch bzw. schwer abschätzbar.

Das ist alles richtig, aber nur die halbe Wahrheit; denn das erste Interesse der Wirtschaft im Westen gilt dem Markt und nicht unserer Produktion!

(Beifall)

Das ist leicht zu belegen. Dort, wo Ostdeutschland und seine Bewohner der Markt sind, funktionieren Verkaufs‑ und Investitionstätigkeiten aus dem Westen, nämlich bei den Banken, bei den Versicherungen, bei den Zeitungen, beim Handel und bei der Energie. Das ist schneller gegangen, als wir es seinerzeit in der Volkskammer vermutet hatten. Die Versicherungen haben fusioniert ‑ das haben wir gar nicht gemerkt. Und auch beim Stromvertrag sind wir erst relativ spät eingeschaltet worden. Dort, wo Ostdeutschland aber als Markt für Erweiterungsinvestitionen zu klein ist, ist das Interesse sehr gedämpft. Das gilt vor allem für die Investitionsgüterindustrie, die chemische Industrie, aber auch für große Teile der Konsumgüterindustrie. Eine gedämpfte makroökonomische Konjunkturlage tut ein übriges. Wir müssen erkennen: Das neue, größere Deutschland produziert auf einem kleiner gewordenen Markt. Dass die Ostmärkte nämlich wegbrechen, war uns mit Einführung der Wirtschafts‑, Währungs‑ und Sozialunion klar.

Deshalb ist aus unserer Sicht in Sachsen folgendes anzustreben:

  1. Änderung der Verkaufsstrategie der Treuhandanstalt weg vom alleinigen Verkauf kompletter Betriebe, hin zu Teilverkäufen und zum „Dauerparken“ von Anteilen bei der Treuhandanstalt. Zudem müssen bei der Veräußerung der Betriebe den Belegschaften wie dem Management, die ein Interesse an einer Betriebsübernahme bekunden, faire Chancen eingeräumt werden. Hier könnten beispielsweise auch die großen Privatbanken mal einen Investmentfonds gründen und das unterstützen.

(Beifall)

  1. Sanierung von mittelfristig ‑ zwei bis vier Jahre, würde ich sagen ‑ sanie­rungsfähigen Betrieben, und zwar durch Eigenkapitalzuführung ‑ die meisten Be­triebe im Osten sind unterkapitalisiert ‑ durch den Staat und Subventionen für investive Maßnahmen, Erhöhung des Kreditvolumens der Treuhandanstalt.
  2. Öffnung des Westmarktes für ostdeutsche Unternehmen und Stabilisierung der Ostmärkte durch großzügige Bundeskredite und Hermesbürgschaften.

(Beifall)

  1. In § 1 des Treuhandgesetzes wird eingeräumt, dass durch Gesetzesinitiative ein großer Teil von Betrieben ‑ ich würde sagen, etwa 2 000 ‑, der vorwiegend kommunalen Aufgaben dient, auch an die Kommunen zurückgegeben werden kann. Und muss ‑ das ist unsere Forderung ‑ und muss!

(Beifall)

Leider gibt es in dieser Hinsicht keinerlei Initiativen. Im Gegenteil, es wird bewusst blockiert.

Diese vier Elemente könnten Teil einer aktiven Industriepolitik im Osten sein, bei der freilich die Treuhandanstalt nicht allein wirksam wird, sondern hier sind vor allen Dingen auch die Bundesregierung und die Länderregierungen gefragt. Entscheidender Vorteil neben der Erhaltung der Industriestandorte in Ostdeutschland ist die beschäftigungspolitische Auswirkung. Flankiert durch die Schaffung großer Beschäftigungsträger kann damit der Massenarbeitslosigkeit ‑ ich sage noch einmal: 50 %! ‑ und der Abwanderung von Arbeitskräften in strukturstarke Gebiete entgegengewirkt werden. Ich darf euch mitteilen, aus Sachen gehen monatlich 10 000 junge Leute in Richtung westliche Länder weg. Dem muss Einhalt geboten werden, wenn wir im Osten eine faire und echte Chance für unsere Wirtschaft bekommen sollen.

Wir haben in Sachsen zur Zeit 200 000 Arbeitslose und 600 000 Kurzarbeiter. Ich lasse mir von den zehn Arbeitsämtern monatlich die Statistik zuschicken und bei den Kurzarbeitern aufsplitten, wie viele bis 25 %, bis 50 %, bis 75 % Ausfall haben. Wenn man das einmal so umrechnet, dass ein Teil der Kurzarbeiter ganz, ein anderer Teil nicht arbeitet, kommen praktisch noch mal mehr als 300 000 Arbeitslose dazu. Das heißt für Sachsen im Moment: 500 000 Arbeitslose; das sind schon über 20 %!

Es wäre auch zu überlegen, ob bei Betriebsstillegungen nicht diese Betriebe komplett in eine Beschäftigungsgesellschaft überführt werden können und dann beispielsweise mit der Sanierung der ökologischen Altlasten in diesem Gebiet begonnen werden könnte.

(Beifall)

Zu meinem vierten Thema, zum Ausgleich der Einkommen: Wenn die Lasten für die Menschen in den neuen Bundesländern steigen ‑ und das ist unvermeidbar ‑, müssen auch deren Einkommen steigen. Es kann nicht sein, dass die Preise für Energie, Wasser, Gas, Mieten hochgezogen werden und das Einkommen in den Ostländern langsamer nachwächst. Bereits jetzt schon sind die Preise im Konsumtionsbereich genauso hoch, teilweise sogar höher als in der alten Bundesrepublik, und die Leute verdienen im Durchschnitt weniger als 50 % bzw. sind arbeitslos oder Kurzarbeiter.

Ein Wort zu den Mieten: Ich will das an einem eigenen Beispiel sagen. In meinem Haus sind zwei Wohnungen. Diese Wohnungen sind sehr groß, 150 qm, und kosten nach dem alten DDR‑Standard zur Zeit 100 DM. Das ist der Standard der alten DDR. Wenn ich jetzt in diesem Jahr die Betriebskosten auf die Miete umlege, dann sind das 2 500 DM mit den neuen Tarifen. Das heißt, es werden 200 DM pro Monat umgelegt werden müssen, und die Miete einer Wohnung steigt um 100 %. Kommt für die Kaltmiete ‑ und das ist diskutiert worden ‑ eine weitere DM pro Quadratmeter hinzu, sind das 350 DM. Und baue ich dann in dieses Haus noch eine Heizung ein, wofür ich zehn Prozent der Investitionskosten auch auf die Mieten umlegen kann, dann kommen wir in einen Bereich, der für die Leute, die dort wohnen ‑ zwei Rentner, ein Ehepaar, davon einer arbeitslos, der andere mit 1 200 oder 1 300 DM Gehalt ‑, nicht mehr finanzierbar ist. Darüber muss man einmal nachdenken. Das heißt, wir müssen dort zu Lösungen kommen, die den sozialen Sprengstoff dieser Frage wirklich herausnehmen.

(Beifall)

Wir meinen deshalb, dass es relativ rasch zu einem Einkommensangleich kommen muss. Wir unterstützen in dieser Beziehung alle Bemühungen der Gewerkschaften. Und wenn ich sage, rascher Angleich, dann heißt das für mich konkret: Allerhöchstens in drei Jahren muss das Einkommensniveau in den beiden Teilen dieses Deutschlands gleich sein. Ansonsten entstehen solche gewaltigen sozialen Spannungen, die im Zusammenhang mit der Arbeitslosenquote dann wahrscheinlich ‑ ich kann mir das jedenfalls nicht vorstellen ‑ politisch nicht mehr beherrschbar sind.

(Vereinzelter Beifall)

Am 16. September letzten Jahres, im Landtagswahlkampf, hat der Bundeskanzler in Dresden gesagt: „Sachsen wird in kurzer Zeit ein blühendes Land sein. Es ist mir eine Freude, Ihnen zu helfen.“ Ich würde gern sehen, wenn Herr Kohl jetzt noch mal käme

(Beifall)

und diese Rede ‑ vielleicht mit dem gleichen Wortlaut; man sollte ja bei einem Politiker auch eine gewisse Kontinuität wahren ‑ vor den Dresdnern noch mal halten würde. Ich wäre dann sicherlich dabei ‑ ich gehe sonst nicht zu solchen Kundgebungen, aber das würde mich wirklich interessieren, was die Leute dann sagen.

Nun, viele CDU‑Wähler ‑ das beweisen die letzten Umfragen ‑ haben das Vertrauen in diese Partei verloren. Die SPD dagegen verzeichnet Gewinne. Das ist ‑ so sehen wir das ‑ eine Bestätigung für die Klarheit und die Zielsetzung unserer Politik.

(Vereinzelter Beifall)

Doch sollten wir uns auf diesen Gewinnen nicht ausruhen; denn es besteht die Gefahr, dass die Machenschaften der Bonner Koalition ‑ zumindest in Ostdeutschland ‑ zu einem generellen Vertrauensschwund in den Parlamentarismus führen. Den gilt es aufzuhalten.

(Beifall)

Die SPD mit ihren alternativen und sozial gerechteren Ansätzen und Lösungen ist deshalb gefordert. ‑ Ein letzter Gedanke: Wir brauchen im Osten die Solidarität der Sozialdemokraten im Westen. Solidarität besonders gegenüber denjenigen ‑ und vielleicht könnt ihr das verstehen ‑, die dort in den Potemkinschen Dörfern sitzen! ‑ Danke schön!

(Starker, anhaltender Beifall)

Präs. Siegrun   K l e m m e r   : Schönen Dank dem Genossen Karl‑Heinz Kunckel. Ich denke, wir alle hoffen mit ihm bzw. euch in Sachsen gemeinsam, dass wir bald wieder von dem roten Sachsen sprechen können. Ich denke, du wirst ein ordentliches Stück dazu mithelfen.

Bevor Christiane Bretz jetzt das Wort bekommt, möchte ich nicht versäumen, ganz herzlich, in alter, treuer Verbundenheit, unseren Genossen Richard Löwenthal zu begrüßen, den wir herzlich willkommen heißen.

(Beifall)

Dann möchte ich euch wenigstens zur Kenntnis geben, dass der Landesvorstand der AWO den Parteitag grüßt, uns alles Gute und gute Beschlüsse wünscht, dass die Senatoren für Kulturelle Angelegenheiten und für Wirtschaft den Parteitag auch grüßen und sich entschuldigen lassen. Wir nehmen die Entschuldigungen zur Kenntnis.

Ich rufe auf

Punkt 2 b) der Tagesordnung

Die wirtschaftliche Situation der

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Berlin

Christiane Bretz, Berliner DGB‑Vorsitzende

 

Christiane, du hast das Wort.

Christiane   B r e t z   : Liebe Genossinnen und Genossen! Ich freue mich, dass ich Gelegenheit habe, heute anlässlich des Parteitags zu sprechen, nachdem ich vor einigen Monaten in das Amt der Vorsitzenden des DGB, Landesbezirk Berlin, und als Beauftragte für Brandenburg gewählt wurde. Der „Landesbezirk Berlin“ heißt nicht mehr so, sondern seit dem 6. März 1991 „Landesbezirk Berlin‑Brandenburg“.

(Beifall)

Natürlich war mir bei der Übernahme dieses Amts die damit verbundene Arbeit von vornherein klar, und sie ist sicher auch nicht leicht. Aber darüber wollte ich nicht reden, und ihr habt mich auch nicht gebeten, jetzt darüber zu reden, sondern es geht um die Lage sowohl in Ost‑Berlin als auch in den fünf neuen Bundesländern. Man muss sie zusammen betrachten, ja, man sollte vielleicht sogar sagen, es sind sechs neue Bundesländer.

(Vereinzelter Beifall)

Täglich treffen Hiobsbotschaften über Firmen‑ und Betriebsschließungen ein, und die Arbeitslosigkeit steigt. Die derzeitige Lage im Ostteil Berlins und in den fünf neuen Ländern bietet ein deprimierendes Bild. Die Stimmungslage bei den noch Beschäftigten und den Arbeitslosen ist auf dem Nullpunkt. Zum einen macht sich in erschreckender Weise Fatalismus breit, zum anderen schöpfen aber etliche noch Hoffnung aus unserem demokratischen Gemeinwesen.

Hoffnungsträger in dieser sozialen ‑ man möchte fast sagen ‑ Unordnung sind ja auch die Gewerkschaften. Die soziale und politische Gestaltung Deutschlands bestimmen wir mit. Zur Wahrung des sozialen Friedens haben wir über Jahrzehnte einen entscheidenden Beitrag geleistet. Doch das Gesicht der Marktwirtschaft prägen wir nicht allein. Wir können und wollen keine Nebenregierung sein. Wir haben dafür gekämpft, dass unser Wirtschaftssystem das Etikett „sozial“ erhalten hat, doch das müssen wir immer und jeden Tag verteidigen.

(Vereinzelter Beifall)

Ich sehe große Gefahren für den sozialen Frieden in unserem Land. Die Lage spitzt sich dramatisch zu. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht weitere Betriebe von Massenentlassungen betroffen sind. Gestern war es Stern‑Radio, heute ist es Interflug und morgen der nächste Betrieb.

Der Arbeitsmarkt in und um Berlin ist tief gespalten. Die Statistiken des Landesarbeitsamtes geben nur ein ungefähres Bild wieder. Sie beschönigen zwar nicht, aber sie können auch nicht alle Seiten dieses Arbeitsmarktes ausleuchten. 93 000 Arbeitslose im Westteil der Stadt ‑ das dürfen wir nicht vergessen ‑ und 74 000 registrierte Arbeitslose im Ostteil der Stadt, dazu kommen 85 000 auf Kurzarbeit bis Null, deuten die soziale Dimension an und vermitteln, welcher Zündstoff sich hier zusammenbraut. Trotz Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, trotz zusätzlicher AB‑Maßnahmen: Dies alles reicht nicht aus und ist noch keine Arbeitsmarktpolitik.

Ein erster praktischer Schritt ist es, dass jetzt ein gemeinsames Arbeitsamt für Berlin und Brandenburg errichtet wurde. Die rd. 60 000 Pendler, die alltäglich nach Berlin kommen, belegen, dass wir hier nur die aktuelle Entwicklung nachvollziehen. Wir können nicht mehr in einfachen Stadtkategorien denken.

Besonders leidtragend in diesem Prozess der sich verschärfenden Arbeitslosigkeit sind die Frauen. Wer Kinder hat, wem die Kita geschlossen wird und zudem ‑ vor allem die Alleinerziehenden ‑ noch arbeitslos wird, der befindet sich unaufhaltsam auf dem sozialen Abstieg. Zu 97 % waren die Frauen in der ehemaligen DDR erwerbstätig, nun werden sie und sind sie die ersten Opfer der harten Sanierung in den Betrieben.

Die Qualifizierungs‑ und Umschulungsangebote von freien Trägern, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden sind sicher eine große Hilfe, doch sie müssen noch verstärkt und stärker genutzt werden. Dazu fordern wir jedoch, dass Qualifizierungsmaßnahmen so gestaltet sind, dass sie eine Perspektive bieten. Qualifizierung, die um ihrer selbst willen angeboten wird, motiviert die Menschen nicht.

(Vereinzelter Beifall)

Der DGB begrüßt in diesem Zusammenhang auch die Aufstockung der Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, mit denen 25 000 Stellen im Ostteil der Stadt für einige Zeit geschaffen werden sollen. Auch das ökologische Sofortprogramm der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz und der Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen begrüßen wir. Es ist hier nicht nur arbeitsmarktpolitisch sinnvoll, sondern leistet auch einen bedeutenden Beitrag zum Umweltschutz. So sehr wir AB‑Maßnahmen in dieser angespannten Situation schätzen: Sie können nur eine Übergangslösung darstellen.

(Beifall)

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind kein Allheilmittel; denn langfristig müssen stabile Arbeitsplätze geschaffen werden. Es kann nicht darum gehen, von einer Projektförderung in die nächste zu springen. Das kann für einen Familienvater oder eine im Berufsleben stehende Frau keine Perspektive sein. Wir brauchen Arbeitsmarkt‑ und Wirtschaftsprogramme, die die Zukunftsaussichten verbessern.

In dieser Situation rächt es sich auch, dass sich die Gewerkschaften in den vergangenen Jahrzehnten mit ihren Forderungen nach umfassender Novellierung des Berlinförderungsgesetzes nicht durchsetzen konnten. Der Westteil der Stadt ist über die Jahrzehnte ökonomisch reduziert und wurde zur verlängerten Werkbank. Jetzt müssen wir in einen doppelten Wettkampf eintreten. Wir müssen eine Berlinförderung verteidigen, die wir eigentlich anders wollten. Und wir müssen in dieser sehr prekären Lage darum ringen, damit Weichen für eine zukunftsweisende Industriepolitik in Gesamtberlin gestellt werden.

(Beifall)

Die Startbedingungen sind für uns wirklich ungünstig. Natürlich brauchen die Betriebe im Westteil der Stadt Vertrauensschutz, denn jahrelang haben sie mit den Vergünstigungen der Berlinförderung gelebt und müssen sich auch für einen Übergangszeitraum darauf verlassen können. Mit der anvisierten Abschaffung der Berlinförderung kann nicht das letzte Wort gesprochen sein. Wir brauchen eine Umwidmung der Mittel zugunsten einer regionalen Wirtschaftsförderung für den Großraum Berlin und Brandenburg.

(Beifall)

Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich mit dem Streichen oder Sparen von Milliarden die Wirtschafts‑ und Strukturpolitik der Bundesregierung zu erschöpfen droht. Ein paar Subventionen streichen sie scheinbar dort und ein paar Milliarden hier: Das ist keine in sich schlüssige Wirtschaftspolitik, sondern kommt einem wirtschaftspolitischen Offenbarungseid nahe.

(Vereinzelter Beifall)

Das „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost“ ‑ was der Kanzler ja in der vorigen und in dieser Woche so sehr anpries ‑ hat zwar richtige Ansätze, aber es kann nur Teil einer umfassenden Wirtschaftsstrategie sein. Beispielsweise das Stichwort „Altlasten und Umweltschutz“: Die ökologischen Altlasten verhindern Investitionen. Die Bundesregierung gewährt hier nur 400 Millionen DM für 1991 zur Sanierung, während das DIW allein für die Trinkwassersanierung 17 Milliarden DM für die fünf neuen Länder bis zum Jahr 2000 errechnete.

Die Berlinerinnen und Berliner sehen sich in der misslichen Lage, nun doppelt die Zeche zahlen zu müssen für die deutsche Vereinigung. Wir haben nicht nur ausgeharrt in Zeiten des Kalten Krieges und der Trennung und somit unseren Beitrag zur deutschen Einheit geleistet. Wir sollen jetzt auch noch mehrfach zur Kasse gebeten werden. Nichts gegen die Solidarität, die wir auch begrüßen, doch uns dürfen in der Stadt ‑ im Westteil der Stadt besonders ‑ keine größeren Finanzopfer abverlangt werden als einem Frankfurter am Main oder einem Münchener.

(Beifall)

Wenn uns jetzt Herr Waigel zur Kasse bittet über Steuererhöhungen, höhere Beiträge zur Sozialversicherung und zudem noch ganz schnell die Berlin‑Zulage für die Arbeitnehmer der Stadt zusammenstreicht, dann bekommt das Ganze den Beigeschmack eines Racheaktes an der Stadt Berlin,

(Beifall)

die weichgekocht werden soll in der Hauptstadtfrage mit Regierungssitz.

Die Verhältnisse normalisieren sich in der Stadt nicht von heute auf morgen. Wir wollen keine Schonfrist, sondern wir wollen eine faire Chance zu einer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der gesamten Stadt.

(Beifall)

Die geographische Lage muss stärker hervorgehoben werden. Der Berliner Senat, die Parteien und alle wichtigen Verbände in der Stadt müssen deutlich machen, dass Berlin der Schlüssel zu den östlichen Nachbarstaaten ist. Düsseldorf oder Frankfurt am Main bieten diese günstige Lage nicht ‑ von Bonn will ich gar nicht erst reden. Hier sei nur aus dem Memorandum des Bundespräsidenten zitiert:

Bisher liegen die großen Metropolen der Gemeinschaft im Westen. Damit wird Europa in zwanzig Jahren aber nicht auskommen. Die sich in die Mitte des Kontinents ausweitende EG wird für ihr langfristiges Zusammenwachsen mit seinen neuen Linien und zentralen Bereichen auf Berlin überhaupt nicht verzichten können. Für seine kommunikative Aufgabe gibt es weit und breit keinen Ersatz.

(Beifall)

Die Schlüsselrolle für die ökonomische Entwicklung in den fünf neuen Ländern spielt die Treuhandstelle ‑ mein Vorredner ist schon darauf eingegangen ‑, doch sie läuft inzwischen Gefahr, zu einem Überministerium zu werden. Man hat den Eindruck, dass hier des öfteren der Zentralismus der alten DDR hervorblitzt. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch in Erinnerung rufen, dass es, bevor das Gesetz im Juni verabschiedet wurde, der ehemalige DDR‑Ministerpräsident gewesen ist, der vor einem Jahr die „Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“ ins Leben gerufen hat. Das Volkseigentum sollte nach den Vorstellungen der damaligen Regierung ja bewahrt werden. Das heißt: Auch da war schon eine Tendenz zu einem Zentralismus. Es bestand unter der Regierung Modrow nicht die Absicht, zu privatisieren, sondern nur eine andere Form der Planwirtschaft mit einem marktwirtschaftlichen Etikett zu versehen.

Mit dieser historischen Erblast muss sich die Treuhand über Monate schon hinschleppen, und daher hat sie sich natürlich auch, als sie mit ihrer Arbeit endlich anfing, einer Überforderung gegenübergesehen. Ich will einfach nicht, dass man nur auf die Treuhand schimpft. Deren Verhalten ist sicher nicht immer richtig und könnte anders sein. Nur, das Gesetz, wenn man es sich ansieht, bietet da nicht viel mehr Möglichkeiten. Darum ist es fairer, das Gesetz und die Prioritäten zu verändern und damit die Debatte um „Sanierung vor Privatisierung“ zu verdeutlichen. Ich denke, dass in Bonn dazu auch schon entsprechende Ergebnisse vorliegen.

Die Arbeit der Treuhand war bisher sehr auf betriebswirtschaftliche Fragen geprägt. Die Frage der Erhaltung von Industriestandorten wurde nicht beachtet. Man machte sich in der Treuhand kaum darüber Gedanken, was es heißt, wenn monostrukturierte Regionen ihre einzige Produktionsstätte verlieren. Wenn die Werft dicht macht, dann hat dies Auswirkungen für ganze Landstriche. Hier heißt es also, behutsame Strukturpolitik zu betreiben. Betriebe schließen und die Belegschaften zum Arbeitsamt zu schicken, das darf nicht der Weisheit letzter Schluss sein! Wir haben es hier mit Menschen zu tun,

(Beifall)

die nach 40 oder 60 Jahren Diktatur ihre ersten Erfahrungen in einer sozialen Marktwirtschaft machen. Ihre ersten Erfahrungen dürfen nicht Arbeitslosigkeit oder soziale Not sein, zumal sie sich neben den Sorgen um ihren Arbeitsplatz auf ein völlig neues Rechtssystem in allen Lebensbereichen einstellen müssen. Wenn sich das jeder von uns im Westen mal vor Augen führt, so wird das Verständnis gegenüber den Fragen, die die Menschen an uns haben, auch größer.

Wir müssen ‑ und sind auch als DGB dazu bereit ‑ ihnen Perspektiven zeigen und solidarisch den Rücken stärken. Es darf nicht immer um Geld diskutiert werden als es gehe es nur um die Alimentierung der Bürgerinnen und Bürger, die wir übrigens 40 Jahre lang als unsere Schwestern und Brüder bezeichnet haben.

Wir müssen bereit sein zur praktischen Hilfe. Solidarität darf auch nicht davor zurückschrecken, unkonventionelle Mittel einzusetzen. Wir haben nichts gegen den Solidarbeitrag, den wir jetzt leisten sollen, wenn die Kosten auch gleichmäßig auf alle Schultern verteilt werden.

(Vereinzelter Beifall)

Es ist also nicht einsichtig, wenn Steuererhöhungen querbeet für alle Beschäftigten verkündet werden, während die Unternehmen bei der Vermögenssteuer beschenkt werden sollen!

(Beifall ‑ Allgemeine anhaltende Unruhe)

Auf ihren Solidarbeitrag zugunsten der fünf neuen Länder warten wir immer noch!

Ich möchte noch kurz etwas zum wirtschafts‑ und beschäftigungspolitischen Sofortprogramm, das der DGB‑Bundesvorstand für die neuen Bundesländer vorgelegt hat, sagen. Wir wissen alle, dass Bonn mit der Einschätzung gescheitert ist, die soziale Marktwirtschaft werde es schon richten. Dem ist nicht so. Und deshalb ist es auch mehr als naiv, wenn der Bundeskanzler am 28. Februar diesen Jahres noch erklärte: „Niemand konnte damit rechnen, dass es nahezu zum völligen Zusammenbruch des RGW‑Handels kommen würde. Was dies konkret heißt, zeigt zum Beispiel die Tatsache, dass die fünf größten Werften in Mecklenburg‑Vorpommern zu über 60 % von sowjetischen Aufträgen abhängen. Damit sind ca. 30 000 Arbeitsplätze verbunden.“ Wer Zeitungen las, konnte bereits im letzten Jahr erfahren ‑ und übrigens schon die Jahre vorher, als die Ungarn sich einem Extraweg näherten, auch da konnte man es schon verfolgen ‑, dass der RGW sich auflöst, die Märkte im Osten wegbrechen. Der wusste auch, dass die Rostocker Werften vornehmlich in die Sowjetunion liefern.

Jetzt so zu tun, als sei er von der Entwicklung überrollt worden, ist entweder naiv oder zeugt von Dummheit oder Inkompetenz. Es gab genügend Experten, die auf diese Umstände hingewiesen haben: Wirtschaftsinstitute, Gewerkschaften usw. Doch die Bundesregierung hat sich nicht bewegt über die Monate und wertvolle Zeit verstreichen lassen; denn die Maßnahmen, die sie jetzt zur Treuhand getroffen hat, hätten schon mindestens vor einem Jahr ins Auge gefasst werden müssen, nämlich Sanierung vor Privatisierung.

(Beifall)

 

Präs. Siegrun   K l e m m e r   : Entschuldigung, Christiane! ‑ Genossinnen und Genossen, wir sind mehrfach darum gebeten worden, darauf hinzuweisen, dass ein unerträglicher Lärmpegel in diesem so ungünstig geschnittenen Raum vorhanden ist. Wir müssen euch deshalb noch einmal ganz herzlich bitten: Stellt doch die Gespräche ein oder führt sie draußen.

Christiane   B r e t z   : Es ist doch demütigend, wenn die Ministerpräsi­denten der neuen Länder wie Bittsteller nach Bonn ziehen müssen, um Gelder für ihre notwendigsten kommunalen Aufgaben zu erhalten. So kann man doch unser Ge­meinwesen nicht interpretieren, dass die einen auf dem Geld sitzen und die an­deren betteln gehen müssen.

(Beifall)

Es liegt doch zwingend auf der Hand ‑ und auch der DGB hat darauf hingewiesen ‑, dass wir jetzt vor allen Dingen ein Infrastrukturprogramm benötigen. Vom Aufbau der Kommunikationswege, von neuen Verkehrssystemen und einem Aufbruch im Bauwesen sind doch bereits nach 1949 für die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik die wesentlichen Impulse ausgegangen. Warum lernt man nicht aus diesen Erfahrungen? Jede Investition im Bereich der Infrastruktur schafft Nachfolgeinvestitionen und erzeugt gerade im Mittelstand und im Handwerk Beschäftigungsimpulse. Von der umweltschutztechnischen Nachrüstung aller Energiebetriebe, insbesondere der Kraftwerke, profitieren nicht nur die Anwohner, sondern wir alle profitieren davon. Rationelle Energieverwendung ist ein Beitrag zum konkreten Umweltschutz. Hier brauchen wir mehr als Verkündigungen aus Bonn. Damit Unternehmen in den fünf neuen Ländern ihre Wettbewerbsfähigkeit erreichen können, müssen sie stabilisiert werden. Ihnen darf nicht die Pistole auf die Brust gesetzt werden, sondern sie brauchen Zeit, neue Märkte zu erschließen, bessere Produkte herzustellen und rationeller zu produzieren. Über öffentliche Aufträge, Marketinghilfen und finanzielle Absicherung vertraglich festgelegter Lieferverpflichtungen in die früheren RGW‑Länder kann Hilfestellung geleistet werden.

Der DGB plädiert für eine schnelle Reform der gesetzlichen Grundlage der Treuhandanstalt, denn sie hat eine Schlüsselstellung. Die Schaffung und Sicherung dauerhafter Arbeitsplätze durch Sanierung und sozialverträgliche Privatisierung von Unternehmen muss als strukturpolitischer Auftrag und sozialstaatliche Zielsetzung der Treuhand konkretisiert werden. In einem neuen Treuhandgesetz müssen folgende Eckwerte festgeschrieben werden: Die Mitwirkung des DGB und seiner Gewerkschaften bei der

‑ Festlegung der Geschäftsgrundsätze und Geschäftspolitik der   Treuhandzentrale, der Vorbereitung und Umsetzung von Entscheidungen der   Treuhand für regionale Arbeitsmarktlagen,

‑ Einrichtung regionaler Beiräte bei den Treuhandaußenstellen, die mit   Vertretern aller Verbände und Institutionen besetzt sein sollten, die   regional‑ und beschäftigungspolitische Verantwortung tragen.

Diese Beiräte sollten folgende Aufgaben haben:

‑ Unterstützung der Treuhandzentrale bei Entscheidungen über Sanierung,   Privatisierung, Fortführung oder Stilllegung von Unternehmen,

‑ Förderung der Zusammenarbeit zwischen Kommunen, Treuhandanstalt und   Unternehmen bei der Verzahnung von Infrastruktur und   Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, insbesondere im Zusammenhang mit   Qualifikations‑ und Beschäftigungsgesellschaften,

‑ Beratung der Unternehmen bei der Umsetzung von Umstrukturierungskonzepten   und deren Einbettung in regionalpolitische Planungen.

Das größte Investitionshemmnis in den neuen Ländern ist nach wie vor die Frage des Eigentums: Rückgabe vor Entschädigung. Eine Million Rückgabeanträge warten auf ihre Bearbeitung und blockieren Behörden, Investoren und Gerichte. Dieser Grundsatz muss geändert werden.

Der DGB hat mit seinem erst in der vergangenen Woche vorgelegten Infrastrukturprogramm ferner deutlich gemacht, dass mit einer Investitionssumme von 61 Milliarden DM unmittelbar 200 000 Arbeitsplätze in Ostdeutschland und 50 000 zusätzliche Arbeitsplätze in Westdeutschland geschaffen werden könnten. Dabei sind die Effekte des Programms auf die private Investitionsbereitschaft noch nicht berücksichtigt.

Dieser Arbeitsmarkteffekt würde sich allerdings nur einstellen, wenn das Programm über Kredite finanziert würde. Daher gibt der DGB grundsätzlich einer Kreditfinanzierung Vorrang, zumal das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung mit einer Selbstfinanzierungsquote von 50 % rechnet. Wir brauchen jetzt Programme, die greifen und keine leeren Worte.

(Beifall)

Die massiven Steuererhöhungen zum 1. Juli diesen Jahres werden natürlich auch im Westen der Bundesrepublik möglicherweise die Kaufkraft schwächen, deshalb ist es um so notwendiger, die gesamte wirtschaftliche Situation in den neuen Bundesländern auch wirklich zu verbessern.

Liebe Genossinnen und Genossen! Soweit die Vorstellungen des DGB zur Wirtschaftspolitik bzw. zu dem, was in den neuen Bundesländern notwendig ist.

Jetzt möchte ich aber noch die Gelegenheit ergreifen, kurz etwas zum Thema SPD und DGB im Landesbezirk Berlin zu sagen: Ein „Liebesverhältnis“ ist es zwischen dem DGB und der SPD sicher nicht. Der DGB und seine Gewerkschaften haben die Interessen seiner Mitglieder und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unabhängig von einer Parteizugehörigkeit zu vertreten.

(Vereinzelter Beifall)

Dieses sind Interessen, die sich auch gegen eine Regierung richten können,

(Vereinzelter Beifall)

unabhängig von der Frage, welche Partei an der Regierung ist.

(Beifall)

Ein Konflikt wie der Kita‑Streik ist Ausdruck der Interessen der in den Gewerkschaften organisierten Erzieherinnen und Erzieher gewesen,

(Beifall)

die lange geduldig waren, um nicht zu sagen, 100 Jahre soziale Berufe ausgeübt haben unter dem Motto: Die sozialen Berufe sind so großartig, dass man dafür auch nicht genügend Geld zu geben braucht; die Ehre reicht aus. Die SPD‑AL‑Koalition hat darauf reagiert, als ob es nicht hinnehmbar ist, dass zu ihrer Regierungszeit Streiks stattfinden dürfen. Ein Meinungsaustausch zwischen SPD und Gewerkschaften und die Bereitschaft, die Forderungen der Erzieherinnen und Erzieher ernst zu nehmen, hätte vielleicht einen Kompromiss für die Tarifpartner ergeben können.

(Beifall)

Der Eindruck, dass die SPD die Regierung und die Regierung die SPD ist, hat eine Verschärfung gebracht, die nur noch in gegenseitigen Vorwürfen steckenblieb.

Die Landesregierungen und die Bundesregierung ‑ das muss ich hier eindeutig noch einmal erwähnen ‑ sind Tarifpartner der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, und zwar aller. So hat es das Tarifgesetz 1953 festgelegt. Die Forderungen der Gewerkschaften richten sich also an die Regierung, nicht an eine Partei! Ich hoffe, dass ich jetzt nicht allzu viel Missverständnisse erzeugt habe, ich will sagen, dass man nicht ‑ auch nicht als SPD ‑ von den Gewerkschaften verlangen kann, dass dann, wenn die SPD an der Regierung ist, die Gewerkschaften stillhalten.

(Beifall)

Dieses möchte ich einfach noch einmal sagen. Das ist keine Drohung, sondern nur eine ganz sachliche Feststellung. Ein Streik und eine Auseinandersetzung im Postbereich ‑ das wisst ihr alle aus der Vergangenheit ‑ richtete sich dann natürlich auch gegen den Postminister. Es war in dem Fall dann an sich egal, ob CDU oder nicht. Nun kann man natürlich noch streiten, ob es ein Unterschied ist. Natürlich ist es ein Unterschied, ob CDU oder SPD dran sind,

(Vereinzelter Beifall)

aber ihr müßt auch akzeptieren, dass die Gewerkschaften natürlich auch die Interessen ihrer Organisierten und die der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertreten müssen. Das muss einfach auch von euch akzeptiert werden.

Vielleicht kann man dieses Verhältnis ‑ das ich ja auch nicht als „Liebesverhältnis“ beschrieben habe ‑ dadurch ein wenig verbessern, wenn beide bereit sind, einen regelmäßigen Dialog zu führen.

(Vereinzelter Beifall)

Ich habe schon einmal in der „Berliner Stimme“ ‑ vor einigen Monaten, glaube ich, oder vor einem Jahr ‑ gesagt, dass es aus diesem Grund ‑ das ist aber meine persönliche Meinung ‑ nicht schlecht wäre, dass dann, wenn die SPD an der Regierung ist, der Regierungschef nicht gleichzeitig Vorsitzender der Partei ist. Das macht die Dinge sehr schwierig, eben auch für die gesellschaftlichen Gruppen.

(Vereinzelter Beifall)

Ein weiteres Beispiel möchte ich ansprechen ‑ das soll jetzt keine Kritik sein, sondern eine Bitte ‑, um die Gelegenheit wahrzunehmen, diesen Dialog gleich zu führen. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit geht die Auflösung des Berufsamtes vor sich. Dabei geht es um eine außerbetriebliche Ausbildungsstätte mit 1 300 Ausbildungsplätzen. Die ÖTV hat diese Einrichtung immer betreut und das nicht nur, weil die dort Beschäftigten in der ÖTV sind. Auch der DGB hat die Ergänzung dieses Angebots an Ausbildungsplätzen stets begrüßt in Zeiten, als es zu wenig Ausbildungsplätze auch in West‑Berlin gab ‑ ich darf sicher noch mal daran erinnern. Aber wenn zur Zeit im Berufsamt 600 Ausbildungsplätze nicht besetzt sind, muss ich allerdings fragen: Warum werden sie nicht schleunigst mit Bewerberinnen und Bewerbern aus dem Ostteil der Stadt besetzt?

(Beifall)

Es gibt viele Jugendliche ‑ und darüber gibt es mehrere Berichte in der Zeitung und in anderen Medien ‑, die drüben keinen Ausbildungsplatz finden. Es ist geradezu Verpflichtung, ihnen diese Ausbildungsplätze anzubieten, denn sie sind in der Tat auch gut. Ich bitte euch, liebe Genossinnen und Genossen, mitzuhelfen, diese Einrichtung bestehen zu lassen, sie kann den ausbildungsplatzsuchenden Jugendlichen eine Chance sein! Die praktischen Schritte sind es, die die Menschen brauchen. ‑ Ich danke euch für die Aufmerksamkeit!

(Starker Beifall)

Präs. Siegrun   K l e m m e r   : Vielen Dank, Christiane! Wir bedanken uns bei dir, und es gibt Blumen.

(Walter Momper überreicht Christiane Bretz einen Blumenstrauß. ‑ Beifall)

Die Zeit zur Einbringung von Initiativanträgen ist abgelaufen. Die Mandatsprüfungskommission, das als Hinweis, trifft sich um 11.30 Uhr in Halle 14.2. Das ist, wenn ihr die Treppe heraufkommt, auf der linken Seite, vis‑a‑vis von hier also.

Wir fahren fort mit

Punkt 2 c) der Tagesordnung

Beratung eines Antrags zur Finanz‑ und Wirtschafts‑

entwicklung in den sechs neuen Bundesländern

in Verbindung mit

Punkt 3 der Tagesordnung

Aussprache

Das heißt, wir treten jetzt ein in die Aussprache über beide Referate und den vorliegenden Antrag zur Finanz‑ und Wirtschaftsentwicklung in den sechs neuen Bundesländern. ‑ Das Wort hat Walter Momper.

Walter   M o m p e r   : Liebe Genossinnen und Genossen! Liebe Freundinnen und Freunde! Ich möchte mich bei den Delegierten entschuldigen, deren intensive Gespräche hier durch den Einbruch von Politik gestört worden sind.

(Beifall)

Ich muss euch sagen: Es mag vielen hier so vorkommen, dass die Probleme, die Karl‑Heinz Kunckel so eindrucksvoll geschildert hat und Christiane Bretz für den Bereich Berlin ‑ ihr müsst wissen, in Christianes Vortrag ging es um Berlin, unsere Stadt hier! ‑  ‑ ‑ Und wer im Westen noch glaubt, er sei nicht betroffen, dem kann ich nur sagen, er irrt, und zwar gründlich!

Ich sage das auch für die, die im öffentlichen Dienst oder in anderen Berufen des Dienstleistungssektors sind und vielleicht glauben, dass alles das, was im industriellen Sektor an Niedergang da sei, sie nicht betreffen möge. Da sage ich: auch derjenige oder diejenige irren sich!

Ich möchte noch einmal auf den Grundtatbestand hinweisen ‑ trotz aller Bonner Taschenspielertricks mit Milliarden und Millionen, und für Berlin sind ja auch 380 Millionen DM davon abgefallen; das ist mehr Geld als manch einer auf dem Konto hat ‑, dass alle ostdeutschen Länder und auch Berlin unverändert riesige Haushaltsdefizite in Milliardenhöhe haben. Auch für das Land Berlin gilt ‑ und zwar für West wie Ost gleichermaßen ‑, dass wir immer noch ein Haushaltsdefizit von rd. sechs Milliarden DM haben, die noch nicht gedeckt sind. Das mag für die meisten von euch eine unvorstellbare Summe sein; ich will aber auch nur sagen: Auch dieses wird, wenn es eingespart werden muss, ein so unvorstellbar tiefer Einschnitt in die Lebensbereiche der meisten von uns sein ‑ in Kita, in Schule, in Hochschule, in soziale Leistungen ‑, wie es im Moment noch nicht vorstellbar ist. Deshalb wäre ich daran interessiert gewesen, wenn die Aufmerksamkeit und ‑ ich sage mal ‑ auch die Achtung für die, die versuchen, euch die Probleme nahezubringen, bitte schön, ein wenig größer gewesen wäre, als das eben der Fall war.

(Beifall)

Ich möchte euch zu bedenken geben, was es für unsere Stadt heißt, wenn die Arbeitslosenzahl ‑ einschließlich Kurzarbeit null ‑ nicht mehr bei 230 000 wie im Moment liegt, sondern um den Sommer herum auf eine halbe Million angestiegen sein wird. Ich weiß nicht, ob ihr euch einigermaßen vorstellen könnt, was es bedeutet, wenn in dieser hoch verdichteten Stadt eine halbe Million Menschen ohne Arbeit sind? Einem älteren Genossen habe ich das neulich mal erzählt, und er sagte zu mir: Das ist ja wie in den 30er Jahren! Da kann man nur sagen: Ja, die Ausgangslage, der soziale Wohlstand, vieles ist anders, aber natürlich sind die Arbeitslosenzahlen in kurzer Zeit denen der 30er Jahre vergleichbar. Das gilt für Sachsen genauso wie für Berlin.

Ich möchte euch auch darauf aufmerksam machen, dass wir im Moment ‑ genauere Zahlen haben wir nicht ‑ zwischen 60 000 und 100 000 Ost‑Berlinerinnen und Ost‑Berliner, Brandenburgerinnen und Brandenburger haben, die in West‑Berlin arbeiten. Zwischen 60 000 und 100 000 ‑ das zeigt, welche eminent bedeutende Rolle diese Stadt Berlin für das Umland spielen kann, wenn es darum geht, den wirtschaftlichen Zug anzukurbeln. Das heißt aber auch zugleich, dass die Pendlerströme in unsere Stadt hinein und damit auch die Konkurrenz am Arbeitsmarkt von Tag zu Tag härter werden. Das ist in den gewerblichen Berufen, das ist in der Industrie schon längst klar für die, die dort arbeiten. Aber, ich glaube, eines ist uns allen noch nicht so klar: Das bedeutet eine höhere Belastung für die Stadt, aber es bedeutet auch, dass im Laufe diesen Jahres der Verdrängungseffekt für die, die hier Arbeitssuchende sind oder bisher Arbeit hatten, kommen wird. Bei dem, was wir dann an sozialen Konflikten auch und gerade in dieser Stadt vor uns haben, werden wir uns an vielen Punkten noch sehr warm anziehen müssen, und dann, sage ich, wird auch die Sozialdemokratische Partei manches davon abbekommen. Das wird eine andere Qualität sein als die sozialen Konflikte, die wir bisher hinter uns gehabt haben, von denen manche auch schon hart genug erschienen.

(Beifall)

Bitte, denkt daran und versteht ‑ und deshalb bin ich auch Karl‑Heinz Kunckel dankbar, dass er sich bereit erklärt hat, zu uns zu kommen und zu uns zu sprechen ‑, dass wir prinzipiell in keiner anderen Lage sind als die anderen ostdeutschen Länder und ‑ das sage ich nun auch bezogen auf die Sozialdemokratische Partei ‑ wir Solidarität von denen bekommen können und auch Solidarität mit denen beweisen müssen, die prinzipiell in keiner anderen Lage sind: Das sind die ostdeutschen Länder, das sind auch innerhalb unserer Partei die Landesverbände der Sozialdemokraten in Ostdeutschland. Dort können wir Verbündete für unser Anliegen finden, und dort müssen wir Solidarität beweisen, wenn es um deren Anliegen geht, und die Situation für Sachsen hat Karl‑Heinz Kunckel hier verdeutlicht.

(Beifall)

Und deshalb entspricht der euch vorgelegte Leitantrag auch dem, was bei den Treffen der Fraktionsvorsitzenden und der Landesvorsitzenden der ostdeutschen Länder be‑ und abgesprochen worden ist, dem, was hier in der Prioritätenfolge zu öffentlichen Investitionsprogrammen gesagt worden ist ‑ öffentliche Investitionsprogramme, die dringend erforderlich sind ‑, dem, was hier zum Wirtschaftsförderungsgesetz und vor allen Dingen zum Vorrang von Investitionen vor alten Eigentumsansprüchen gesagt worden ist.

Liebe Genossinnen und Genossen! Als am 15. Juni 1990 die Bundesregierung den Grundsatz niedergelegt hat, alte Eigentumsansprüche hätten Vorrang vor der Erstattung von Eigentumswert in Geld, ist das ein Kardinalfehler gewesen.

(Vereinzelter Beifall)

Ich kann euch sagen: Es gibt keinen anderen Bereich, für den die Vorsitzenden der Partei, auch die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, in den Einheitsverhandlungen mehr Zeit aufgewendet haben, als bei der CDU darum zu werben, dass man diesen Grundsatz umkehrt, dass nämlich der Grundsatz gilt: Es bleibt erst mal alles so, wie es ist. Es kann auf Grundstücken investiert, es können darauf Arbeitsplätze eingerichtet werden, und später mal wird man die, die ja auch legitime Eigentumsansprüche haben, dann in Geld entschädigen können für Grundstücke, die anders genutzt worden sind. Aus ihren ideologischen Gründen wollte die Bundesregierung und wollten CDU, CSU und FDP da nicht ran, und jetzt haben sie den Kladderadatsch. Es ist doch ein Unding, dass wir über alles mögliche auch in bezug auf Ostdeutschland reden, aber dass in ganz Ostdeutschland, von agrarisch genutzten Flächen abgesehen, es bisher noch in keiner Stadt gelungen ist ‑ nicht in Berlin, nicht in Leipzig und auch nicht in Dresden, Rostock und Stralsund ‑, auch nur ein einziges Grundstück flottzumachen für eine neue Investition und für Arbeitsplätze, wenn alte Eigentumsansprüche darauf lasten.

Wir in Berlin erleben noch einen verrückteren Vorgang, dass nämlich Häuser, die städtischen Wohnungsbaugesellschaften gehören und auf denen sie Bauten herrichten wollen, wo die Gerüste bereits stehen, wo das Geld zur Verfügung steht, um alte, leere Häuser wieder flott zu machen, dass da Leute mit alten Eigentumsansprüchen ankommen und dann zum Landgericht gehen und eine einstweilige Verfügung erwirken, weil das über die Notverwaltung von Häusern hinausgeht, was die städtischen Wohnungsbaugesellschaften machen wollen. Das heißt: Selbst dort, wo das Geld zur Verfügung steht, kann es nicht investiert, können keine Arbeitsplätze und keine Wohnungen geschaffen werden.

Ich kann nur noch mal sagen: Solange der bisherige Grundsatz nicht dahin gehend umgekehrt wird, dass Erstattung in Geld vor Rückgabe eines Grundstücks geht, solange wird man private Investitionen im Osten nicht flottbekommen. Das ist die Kern‑ und Angelfrage. Es ist richtig, dass sich Möllemann inzwischen schon dazu bekennt, aber die CDU und die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit werden es auch noch müssen.

(Beifall)

Über die Treuhand ist viel gesagt worden, ich will mir weiteres ersparen. Karl‑Heinz Kunckel hat das so unemotional hier gesagt. Man kann ja, wenn man über die Treuhand redet, in soviel Wehklagen ausbrechen, dass einem fast die Tränen kommen. Ich will mal einen Skandal aufzeigen: Wenn gegenüber einer Firma vier verschiedene Verhandlungsführer im Ablauf von vier Monaten von der Treuhand benannt werden: Wie soll denn da etwas flott kommen? Wenn man an Bergmann‑Borsig denkt: Sie haben bis hin zum Sozialplan über die Zukunft ihres Betriebs alles klar. Sie haben einen potenten Käufer, der auch aus Markt‑ und Konkurrenzgründen dort vernünftig investieren will. Sie sind sich mit dem Betriebsrat darüber einig. Nur, sie warten auf die Treuhand, die sich nicht entscheiden kann, die das Monate um Monate hinschleppt. Sie kommen nicht klar, auch nicht mit ihren Kurzarbeitern null, es geht überhaupt gar nichts voran. Das ist deshalb so sträflich, weil Bergmann‑Borsig ein benachbartes, leeres Gewerbegrundstück hat. Auf diesem Gewerbegrundstück könnten sich andere ansiedeln, die dringend Grundstücke suchen. Aber weil die Treuhand sich nicht bewegt, kommt da nichts voran.

Ich will aber noch eines sagen: Bevor man diese vielen Klagen über die Treuhand anstimmt, möchte ich noch mal auf den Punkt aufmerksam machen, dass die Treuhand keine Institution ist, die von höheren Mächten oder vom lieben Gott kontrolliert wird, sondern das ist eine nachgeordnete Anstalt im Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers der Finanzen. Die politische Verantwortung für diesen Skandal „Treuhand“ und auch für einen Teilskandal „Investitionen in Ostdeutschland“ trägt der Bundesfinanzminister Waigel und die Bundesregierung und sonst keiner!

(Starker Beifall)

Wir haben bald einen Bundesparteitag. Da wir Sozialdemokraten immer vorbildlich sein wollen ‑ und auch sein sollten bei dem, was sich in Bezug auf Ostdeutschland ergibt ‑, wollen wir nicht nur die Frage der Hauptstadt, die ja auch in dem Antrag enthalten ist, dort zur Entscheidung bringen und dort darüber diskutieren, sondern, ich glaube, dem Gedanken, dass die Sozialdemokratische Partei einen Teil des Erich‑Ollenhauer‑Hauses an den Sitz des Parteivorstands, an den zweiten Sitz Berlin verlegen könnte, dem sollte doch die Partei wirklich mal nahetreten.

(Beifall)

Ich meine, es wäre doch ein ganz praktisches Zeichen der Solidarität mit Berlin aber auch mit Ostdeutschland, wenn man über die Hauptstadtfrage nicht nur debattiert, sondern wenn man durch die praktische Verlegung eines, meinetwegen, Verwaltungsteils des Erich‑Ollenhauer‑Hauses ein deutliches Zeichen in Richtung Osten setzt. Das, was wir in allen Bereichen fordern, Zeichen der Hoffnung, der Zuversicht und der Perspektive in Richtung Osten zu setzen, stünde uns Sozialdemokraten auch gut an. Der Sitz des Parteivorstandes ist nicht nur Bonn allein, sondern Berlin auch ‑ lösen wir es doch ein!

(Starker Beifall)

Präs. Siegrun   K l e m m e r   : Elga Kampfhenkel!

Elga   K a m p f h e n k e l   (Kreuzberg): Genossinnen und Genossen! Ich denke, der Leitantrag macht sehr gut deutlich, dass wir letztendlich, wenn wir über Wirtschaftspolitik debattieren, Arbeitsmarkt‑ und Strukturpolitik mit in diesen Begriff hineinnehmen, dass wir also die Ganzheitlichkeit sehen müssen. Ich bin glücklich, dass es da noch einige Veränderungen gegeben hat, die dieses auch noch deutlicher machen.

Wir haben hier sehr dezidiert über die Rolle der Treuhand gesprochen. Was mir dabei etwas zu kurz gekommen ist, ist die Rolle der Arbeitsämter. Ich denke mir: Wenn wir noch so viele Maßnahmen ins Auge fassen, dann müssen die Arbeitsämter in allen Städten, in allen Stadtteilen auf Berlin bezogen, anders arbeiten als bisher.

(Vereinzelter Beifall)

Das heißt, wir müssen dem Herrn Bundesarbeitsminister klar machen, dass die Ausstattung in den Arbeitsämtern so nicht bleiben kann. Sie machen im Augenblick nichts anderes, als Anträge entgegenzunehmen. Ihre Aufgabe ist es aber auch, zum Beispiel Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu prüfen und zu genehmigen. Dazu werden sie bei dieser personellen Ausstattung keineswegs kommen. Das bedeutet: Wenn wir Beschäftigungs‑ und Qualifizierungsgesellschaften in den Betrieben einsetzen wollen, wenn wir die Umwandlung von Betrieben in Beschäftigungs‑ und Qualifizierungsgesellschaften ernsthaft wollen, dann ist ein neues Konzept für die Arbeitsämter eine wesentliche Voraussetzung, und zwar ‑ auf Berlin bezogen ‑ in West‑ und Ost‑Berlin.

Die Bearbeitungsdauer allein bei Auszahlungen beläuft sich auf insgesamt fünf bis sechs Wochen. Wer weiß, wie viele finanzielle Mittel der einzelne Arbeitnehmer und die Arbeitnehmerin in der Hand haben, kann sich denken, was das für ein soziales Loch in den Kassen des einzelnen aufreißt.

Ich denke: Wenn wir über Wirtschafts‑, Arbeitsmarkt‑ und Strukturpolitik diskutieren, dann sind uns die Arbeitgeberverbände, die Kammern und die Gewerkschaften mit gutem Beispiel vorangegangen. Sie arbeiten sehr eng mit Berlin und mit Brandenburg zusammen. Wenn wir von Berlin aus diskutieren, müssen wir sehen, dass wir hier Brandenburg nicht außen vor lassen, und Brandenburg muss sehen, dass wir auch eng miteinander zusammenarbeiten müssen.

(Vereinzelter Beifall)

Ich denke, dass wir dazu kommen müssen, auch auf politischer Ebene enger miteinander zusammenzuarbeiten. Ich denke auch, dass wir dafür sorgen müssen, dass wir zukünftig auf Partei‑ und Fraktionsebenen miteinander reden und Strukturprogramme entwickeln.

(Anhaltende Unruhe)

Wer die Wirtschaft kennt, weiß, dass sie nur dann in die Gebiete kommen wird, wenn sie eine anständige Infrastruktur vorfindet. Die alten Bundesländer haben das über Jahre so praktiziert. Das heißt: Im Grunde genommen stehen jetzt die öffentlichen Aufgaben vorne an: Dekontaminierung des Bodens, Aufbau der Telefonkommunikation ‑ es ist wirklich ein bißchen schwierig; ich schreie mal einfach lauter, vielleicht setze ich mich dann mehr durch ‑,

(Vereinzelter Beifall)

Verkehrsanbindungen müssen Voraussetzung sein. Das heißt: Sozialdemokraten haben jetzt die Möglichkeit, deutlich zu machen, dass Verkehrsanbindung an Industriebereiche nicht nur die Straße ist, sondern auch die Schiene. Sackweise kostet das Investitionen. Viele, viele Arbeitskräfte können wir damit beschäftigen.

Aber insofern müssen wir auch den Bundesarbeitsminister ansprechen und ihm das deutlich machen. Allein in den neuen Bundesländern wird es vier Millionen Arbeitslose geben. Wenn wir mit den arbeitsmarktpolitischen Sprechern zusammensitzen, ist es keine Schwierigkeit, diese vier Millionen zusammenzubekommen: Sachsen allein 1,1 Million, Berlin 500 000 ‑ nur diese beiden Länder machen das schon deutlich.

Dann, Genossinnen und Genossen, ist es doch auch ein Hohn, von Bonn aus für 273 000 ABM‑Kräfte finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Das heißt, wir müssen auch hier finanzielle Forderungen in größerem Maße an Bonn stellen. Ich denke, es muss so laufen: Diejenigen, die nachweisen können, dass sie ihre Firmen umstrukturieren, dass sie Beschäftigungs‑ und Qualifizierungsgesellschaften einrichten wollen, müssen auch die Zahl der AB‑Maßnahmen, die dann in diesem Betrieb angesiedelt werden, in großer Zahl bekommen, damit die Bundesregierung sieht ‑ ‑

(Präs. Siegrun Klemmer: Elga, kommst du zum Schluss, bitte?)

‑ Ja!

Was ich noch kurz ansprechen möchte: Es geht nicht nur um Beschäftigungs‑ und Qualifizierungsgesellschaften. Ich denke, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sollten dafür Sorge tragen, dass Beschäftigungs‑ und Beteiligungsmodelle in Arbeitnehmerhand eines der zukunftsträchtigen alternativen Wirtschaftsmodelle werden. Dieses wünsche ich mir, und hier haben wir auch einen echten sozialdemokratischen Ansatz ‑ aus unserer bisherigen Vergangenheit her.

(Beifall)

Präs. Siegrun   K l e m m e r   : Genossinnen und Genossen! Auch wenn es uns, dem Präsidium, schwerfällt, euch immer wieder zu erinnern, bleibt uns nichts anderes übrig, als euch nochmals zu bitten, ein bisschen mehr Disziplin zu wahren! Dieser Raum verführt vielleicht auch dazu, Gespräche hier und nicht draußen zu führen. Wir bitten euch: Schenkt den Rednern, die hier am Pult stehen, eure Aufmerksamkeit, führt eure Gespräche außerhalb!

Dann noch einen Hinweis: Bitte, werft einen Blick auf eure Tagesordnung: Unter Punkt 5, Wahl von Bundesparteitagsdelegierten, hat der Computer beim Ausdrucken folgende Weiterführung verschluckt: „und Nominierungen für den Bundesvorstand“. Das ist insofern unerheblich, als sie hier durch Zuruf erfolgen können; das muss nicht vorher beschlossen werden. Wir bitten euch, das im Kopf zu haben, dass das unter Punkt 5 noch zu ergänzen und nachher vorzunehmen ist. ‑ Jetzt hat das Wort Peter Strieder.

Peter   S t r i e d e r   (Kreuzberg): Genossinnen und Genossen! Ich habe den Eindruck, dass die Unruhe, die hier im Saal herrscht, auch damit zusammenhängt, dass viele noch gar nicht wissen, worüber wir reden. Wir reden hier nämlich nicht nur über Zahlen ‑ 500 000 Arbeitslose ‑, sondern hinter jeder einzelnen dieser Zahlen steht ein ganz konkret betroffener Mensch.

(Beifall)

Wie ihr wisst, bin ich Arbeitsrichter, in diesem Beruf zur Zeit emotional etwas sehr belastet, und davon möchte ich euch gern berichten. Nur als Eingangszahl: Bisher gab es beim Arbeitsgericht 23 000 Klagen im Jahr. Nach dem, was wir aus den ersten beiden Monaten wissen, werden es 1991 48 000 sein. Was da mehr als verdoppelt ist, sind nicht irgendwelche Zahlungsklagen oder Abmahnungen, sondern das ist eine Kündigung nach der anderen!

Am Donnerstag, in meiner letzten Verhandlung ‑ nur ein Beispiel, das mir von vielen einfällt ‑, hatte ich einen Kraftfahrer. Er ist 59 Jahre alt, war 38 Jahre in der gleichen Firma tätig und ist jetzt gekündigt worden. Er geht mit 686 DM Arbeitslosengeld nach Hause und 3 500 DM Abfindung. ‑ Das ist nicht nur einer, sondern es sind Tausende in Berlin, die in dieser Situation sind.

In Teltow ‑ vergangene Woche, Sozialplanverhandlungen ‑ ist ein Teil der Elektroindustrie der alten DDR versammelt gewesen. Alle drei Betriebe, die es dort gibt, sind weg, 13 000 Arbeitsplätze gestrichen. Die Hoffnung dort ist, dass man 1 000 neue Arbeitsplätze in einer kommunalen Entwicklungsgesellschaft mit Qualifizierungs‑ und Beschäftigungsmaßnahmen neu schaffen kann. 13 000 Arbeitsplätze weg und 1 000 neue zu schaffen!

Da sind, wenn wir die Familienangehörigen mitrechnen, allein in diesem Industriestandort Teltow 50 000 Menschen ganz konkret betroffen, wo die Männer arbeitslos geworden sind, die Frauen, die Söhne ‑ in welchem Verwandschaftsverhältnis auch immer, dieses setzt sich fort in den Familien.

Der Sozialplan ‑ und da hat Wolfgang Thierse vorhin per Zwischenruf nach Beispielen der Arbeit der Treuhand gefragt ‑ hängt mit dem absurden Wirtschaftssystem der DDR zusammen. Es war so, dass die Unternehmen, die gut verdient haben ‑ und dazu gehörten die in Teltow ‑, gezwungen wurden, ihre Investitionen über Kredite von der Staatsbank der DDR zu finanzieren. Diejenigen, die nichts hatten, bekamen staatliche Gelder zugewiesen, und es herrschte ja die absolute Gewinnabführung. Das bedeutet, dass die Unternehmen, die gut verdient haben, jetzt ganz hohe Schulden haben ‑ also in diesem Betrieb 89 Millionen DM ‑, und die maroden Unternehmen der alten DDR sind schuldenfrei, weil sie nicht über Kredite finanziert wurden, sondern über Zuschüsse.

Die Konsequenz für die Arbeitnehmer in Teltow ist: Ihr Grundstück ist 50 bis 60 Millionen DM wert. Die Deutsche Bank hat die Staatsbank der DDR aufgekauft und hat nun eine Forderung in Höhe von 89 Millionen DM an diesen Betrieb. Das heißt, das Unternehmen ist längst konkursreif, und es gibt keine müde Mark für einen Sozialplan, wenn nicht die Treuhand sich bereit erklärt, diesen Sozialplan zu finanzieren. Aber ob sie das macht, dazu erklärt sie sich nicht. Sie äußert sich nicht in diesen Sozialplanverhandlungen, so dass wir einfach in die Welt hinein 20 Millionen DM festgesetzt haben, das sind achteinhalbtausend DM pro Arbeitnehmer, die wir da als Sozialplan ausgeben.

Aber, Genossinnen und Genossen, da sind auch noch die Vorruheständler dabei, die diese wunderbare sozialpolitische Errungenschaft in Anspruch nehmen. Sie gehen mit 400 DM ‑ nach einem ganzen Arbeitsleben mit 400 DM! ‑ in den Vorruhestand, und für die restlichen 95 DM bis zum Sozialhilfeobersatz müssen sie sich beim Sozialamt anstellen.

Das, Genossinnen und Genossen, ist Deutschland 1991! Und da kann ich es nicht akzeptieren, dass hier gequatscht wird und eine Betroffenheit überhaupt nicht rüberkommt!

(Starker Beifall)

Ich will noch eines dazu sagen: Es ist nicht nur die materielle Not, um die es dabei geht, sondern da geht der Sohn nach 20 Jahren Arbeit aus der Firma zusammen mit seinem Vater, der 40 Jahre in der Firma war, und sie sagen: Alles ist platt, es ist weg! Und: Unser Leben, unser Arbeitsleben, nichts davon ist übrig geblieben! ‑ Das ist auch eine kulturelle Zerstörung. Da fehlt ein Zuhause, da fehlt eine Identität, die nicht allein in Geld aufzuwiegen ist. Da passiert etwas in unserem Land, wo die Politik, verdammt noch mal, verpflichtet ist; denn sonst kommen die Vereinfacher und die mit den großen Sprüchen wieder, und dann Gnade uns Gott!

(Starker Beifall)

Ich will jetzt nicht noch mal die Vorschläge im einzelnen wiederholen, was zur Veränderung, für eine Industrie‑ und Strukturpolitik in und um Berlin getan werden kann. Treuhand ist gesagt worden, Qualifizierung, Beschäftigung. Das ist alles richtig. Genossinnen und Genossen, wir müssen, so schwer die Situation ist, dabei aber reell bleiben. Wir dürfen den Menschen keine falschen Hoffnungen machen. Wir dürfen nicht so tun, als würde mit einer Änderung der Treuhandpolitik jedes Problem beseitigt werden. Man könnte viele Probleme lindern, aber es würden noch Probleme bleiben. Und deswegen hat die Partei, hat die SPD eine Aufgabe, nämlich deutlich zu machen, dass sie das Problem kennt, dass sie mit den Menschen solidarisch ist, dass wir nicht die Partei der sozialen Kälte sein wollen, dass wir für Verständnis werben in diesem Deutschland und dass wir unsere eigene Überheblichkeit, verdammt noch mal, ablegen! ‑ Danke schön!

(Starker Beifall)

Präs. Siegrun   K l e m m e r   : Genossinnen und Genossen! Ein Hinweis: Die Frist zur Einbringung personeller Vorschläge läuft um 12.00 Uhr ab. Wir machen den Vorschlag, den Parteitag um 12.00 Uhr für eine halbe Stunde zu unterbrechen, damit GLV und Kreisvorsitzende noch mal Gelegenheit haben, sich ins Benehmen zu setzen ‑ das wird dort drüben, auf der anderen Seite stattfinden ‑. Also, eine Unterbrechung für eine halbe Stunde von 12.00 Uhr bis 12.30 Uhr. ‑ Das Wort hat jetzt Brigitte Mießner.

Brigitte   M i e ß n e r   (Schöneberg): Liebe Genossinnen und Genossen, ich glaube nicht, dass das, was Walter gesagt hat, dass uns die Phantasie fehlt, der Grund dafür ist, dass hier soviel geredet wird. Es ist ja eben gerade noch mal überdeutlich geschildert worden, wie die Probleme sind und dass viele, die hier im Raum sind, auch beruflich mit diesen Problemen jeden Tag zu tun haben. Nur, wir sind keine Oppositionspartei, das scheint ihr vergessen zu haben. Hier wird geredet, als wären wir eine Oppositionspartei, dass da irgendwelche anderen Leute sind, die hier in Berlin irgendetwas mit uns machen etc. Das aber ist nicht wahr.

Ich habe eine ganz andere Vorstellung gehabt von der Diskussion. Ich habe von den Genossinnen und Genossen in der Regierung erwartet, dass nach 50 Tagen Regierung jetzt mal gesagt wird, was hier getan wird.

(Beifall)

„Einheit meistern“ ‑ reden wir doch nicht über das, was wir sowieso schon alle wissen, was gestern abend wieder dick in einer Talkshow überall drin war. Reden wir mal über unsere ganz konkreten Geschichten in Berlin. Um einige Beispiele zu nennen: Diese leidige Frage der Gewerbemieten ‑ es gibt ja einige kleinere Anträge zu dem Problem.

Ich will auch auf die Elterninitiativ‑Kita‑Frage, auf diese Elterninitiativ‑Kindergärten, die zum Beispiel in Schöneberg und in vielen Bezirken massiv bedroht sind ‑ die versucht haben, das in die Öffentlichkeit reinzubringen ‑, kommen. Das ist ein soziales Problem. Das wird sich aber nur ändern lassen, wenn man wirklich Eigentum zur Verpflichtung macht und wenn es in der katastrophalen Lage von West‑Berlin so sein wird, dass für fünf Jahre eben die Gewerbemieten nicht steigen dürfen bei solchen Einrichtungen, die soziale Aufgaben erfüllen. Wer, wenn nicht eine schwarz‑rote Stadtregierung, sollte denn so etwas durchsetzen können?

(Beifall)

Zweiter Punkt: Wohnungsbau. Wo sind denn nun die großen Konzepte für Wohnungsbau in Gesamtberlin, die anknüpfen würden an die positiven Beispiele aus der Weimarer Republik, als sozialdemokratische Kommunalpolitiker hier vorbildliche Siedlungen gebaut haben? Wo ist das denn? Nirgendwo ist es!

(Vereinzelter Beifall)

Gestern hat der Bausenator wieder nichts Besseres zu tun gehabt, als an diesen alten Plänen festzuhalten, die aus der Zeit stammen, als man noch dachte, es wäre alles ganz eng und man müsste alles übereinander stapeln. Es scheint so zu sein, dass es gar keine kreativen, neuen, zukunftszugewandten Vorstellungen gibt, sondern dass, wenn überhaupt gedacht wird, nur an dieses Glitzer‑Flitterding „Olympia“ gedacht wird. Und dafür ist auch genügend Geld da; da purzeln dann gleich wieder Milliarden von sonstwo her für merkwürdige Infrastrukturmaßnahmen, mit denen man hinterher überhaupt nichts mehr anfangen kann.

Arbeit und Frauen ‑ ‑

(Zuruf von Walter Momper)

‑ Das tut mir leid, ich lese das, was von den sozialdemokratischen Regierungsgenossen in der Zeitung steht. Da kommt wenig; und das, was kommt, ist häufig enttäuschend.

 

Arbeit und Frauen, das ist ja unser Ressort. Also, reden wir doch nicht darüber, wie hier irgendwie alles vernichtet wird, sondern sagt uns doch mal das, was ihr konkret plant, wo nicht vernichtet, wo aufgebaut, wo zukunftsgewandt etwas Neues kommt. Wo ist denn dieser große Plan für Berlin? Ihr fordert hier einen neuen nationalen Aufbauplan. Wo hat denn diese Regierung jetzt ihren großen Plan, und zwar wirklich konkretisiert, vorgelegt? Davon habe ich noch nichts gelesen.

Noch eine kleine Seitenbemerkung zu Arbeit und Frauen: Wir haben dieses Landesantidiskriminierungsgesetz nun sogar in diese große Koalition reingekriegt. Die wenigsten von euch wissen wahrscheinlich, dass in dem Gesetz drinsteht, dass im Mai diese Frauenvertreterinnen gewählt werden sollten. Ich möchte gern auch mal hören, wo denn die Ausführungsbestimmungen sind. Seltsamerweise hat die Federführung zu dieser Frage der Innensenator bekommen und nicht die Senatorin für Arbeit und Frauen, wie man hätte erwarten müssen.

Dann noch etwas zur Wahrheit. Es steht hier wieder drin: „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“. Ich weiß nicht, ob wir alle vergessen haben, wie lange es gedauert hat, bis der Stand, der heute bundesrepublikanische Normalität ist, erreicht war, dass es Jahrzehnte gedauert hat. Stahlindustrie, Eisenindustrie, Schwerindustrie, Werftindustrie ‑ überall hat es diese Strukturprobleme mit den Zusammenbrüchen in der Bundesrepublik gegeben, und die Leute haben schwer darunter gelitten. Das Problem, das jetzt da ist,

(Präs. Siegrun Klemmer: Brigitte, komme, bitte, zum Schluss!)

kann man nicht mit diesem Begriff der Einheitlichkeit wegreden. Wir müssen den Leuten endlich die Wahrheit sagen. Löhne und Gehälter können vielleicht angeglichen werden, aber die Herstellung der wirklichen Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse wird noch sehr lange dauern. Alles andere ist eine Lüge.

(Beifall)

Präs. Siegrun   K l e m m e r   : Noch ein Hinweis zu den Nominierungen für den Bundesparteitag, die bis 12.00 Uhr hier bekannt sein müssen: Es ist keine Unterschriftenliste dazu nötig. Das kann einfach durch Meldung geschehen. Also nicht, dass ihr meint, ihr müsstet jetzt noch ausreichende Unterschriften sammeln und dadurch die Frist möglicherweise nicht einhalten könnt. ‑ Das Wort hat Klaus‑Uwe Benneter.

Klaus‑Uwe   B e n n e t e r   (Zehlendorf): Genossinnen und Genossen! Genossin Mießner, ich würde dich schon bitten, doch ein bisschen fairer mit unseren Genossinnen und Genossen im Senat umzugehen.

(Vereinzelter Beifall)

Abgesehen davon, dass es üblich ist, dass man 100 Tage gibt, bevor man mit der Kritik loslegt, denke ich, dass man doch auch zur Kenntnis nehmen sollte, dass beispielsweise die Genossin Bergmann bereits ein ökologisches Arbeitsbeschaffungsprogramm auf den Weg gebracht hat. Das muss man dann einfach auch mal zur Kenntnis nehmen. Ich meine, auch da sollten wir doch nicht so tun, als würden wir den Staat in der Lage sehen, die ganzen Beschäftigungsprobleme durch staatliche Arbeitsbeschaffungsprogramme lösen zu können. Wir lesen doch tagtäglich, dass 40 000 Arbeitsplätze wegfallen und durch mühsame staatliche Beschäftigungsprogramme gerade 4 000 irgendwo wieder geschaffen werden können. Das ist viel, 4 000, aber wir können dann auch nicht so tun, als wäre das unseren sozialdemokratischen Genossinnen und Genossen im Senat anzulasten. Auch da bitte ich um etwas mehr Fairness in der Diskussion.

Dann möchte ich auf noch etwas anderes kommen, und zwar ansetzend an dem, was Peter Strieder gesagt hat. Peter Strieder hat darauf hingewiesen, dass es hier um menschliche Schicksale, um menschliche Probleme geht, dass hinter jeder Kündigung wirklich die Sorgen von Familien stehen. Wenn die Familienväter, Söhne, Mütter und Töchter dann gekündigt nach Hause kommen, können sie sich, wenn sie sich ein Eigenheim geschaffen haben, dessen heute auch nicht mehr sicher sein. Deshalb wäre mein Anspruch ‑ und insofern auch an den Leitantrag, weil das nämlich ganz immens etwas mit Wirtschaftsentwicklung zu tun hat ‑, dass wir den Grundsatz vertreten, dass ‑ auch dort, wo es um selbstgenutztes Eigentum, um privates Eigentum, also nicht nur Eigentum an Gewerbe‑ und Betriebsgrundstücken geht, sondern generell, wo es eben um den Grund und Boden geht ‑ wir dort den Anspruch und den Grundsatz vertreten, dass Entschädigung vor Rückgabe stehen muss,

(Beifall)

dass wir nicht die Verfechter dafür sein können, Spekulationsgewinne für westliche Alteigentümer im Osten zuzulassen.

(Vereinzelter Beifall)

Denn das ist doch derzeit ein irrsinniges Hemmnis für die weitere Wirtschaftsentwicklung. Wenn wir heute die Phase hätten, dass sämtliche privaten Nutzer ‑ neue Besitzer nenne ich sie mal ‑ im Osten in der Lage wären, nun ‑ wo endlich das Baumaterial einfacher zu bekommen ist, als das in den Jahrzehnten vorher der Fall war ‑ loslegen könnten, gäbe das einen derartigen Investitionsboom, würde es derartige Beschäftigungsimpulse gerade für kleine und mittlere Handwerksbetriebe ergeben, dass ich denke, dass wir hier auch wieder daran denken müssen, worauf uns Christiane Bretz hingewiesen hat: Das waren die Impulse 1949, die dann den Aufbau dieses Landes gebracht haben.

(Vereinzelter Beifall)

Insofern, denke ich, sollten wir in unseren Leitantrag auch reinschreiben, dass wir nicht nur in den Fällen, in denen sofort irgendwelche Arbeitsplätze direkt mit verbunden sind, den Grundsatz vertreten, dass Entschädigung vor Wiedereinsetzung des Alteigentums gilt,

(Glocke des Präsidiums)

sondern dass dieses unser genereller Grundsatz ist. Das kann nicht heißen, dass Herr Diestel da auf seinem Schmuckstück bleibt. Das muss aber heißen, dass diejenigen, die 20, 25, 30 Jahre

(Präs. Siegrun Klemmer: Klaus‑Uwe, kommst du, bitte, zum Schluss!)

in der früheren DDR dafür geschuftet, jedes Brett geschrubbt und einfach dafür gesorgt haben, dass da etwas entstanden ist, dass da nun nicht heute einfach die alten Westeigentümer kommen und an diesen Grundstücken ihre Spekulationsgewinne vornehmen können. ‑ Danke!

(Beifall)

Präs. Siegrun   K l e m m e r   : Ika Klar!

Erika   K l a r   (Wilmersdorf): Genossinnen und Genossen! Ich möchte zu dem Thema Frauen und Arbeit, dem Ressort unserer Regierung, grundsätzlich vorausschicken: Ich halte es für eine Katastrophe und für einen Skandal, dass die Senatorin mit ihrer Verwaltung auf sieben Plätze in der Stadt verteilt wurde. Das ist ungeheuerlich. Wie da eine Verwaltung überhaupt effektiv arbeiten soll, ist mir ein Rätsel. Ich bitte alle, die dafür verantwortlich sind, mitzuhelfen, dass dieser Missstand so schnell wie möglich abgestellt wird. Diese Senatsverwaltung muss unter ein Dach kommen!

(Beifall)

Grundsätzlich hatte ich aber vor, etwas anderes anzusprechen, nämlich, dass das Menschliche offensichtlich vielfach auf der Strecke bleibt bei diesem großen und gewaltsamen Reinigungsprozess. ‑ Ich habe unglaublich viele Kontakte zu jungen und mitteljungen Menschen in der ehemaligen DDR, im Ostteil der Stadt und kann deshalb dazu etwas sagen. ‑ Unter anderem will ich zum dortigen Problem „Arbeitsamt“ eines sagen: Die Arbeitsamtberaterinnen und ‑berater sind zu kurz geschult. Sie haben selbst oft überhaupt keine Ahnung. Es gibt Fälle, da muss ein Ratsuchender oder eine Ratsuchende den Arbeitsamtberater oder die Arbeitsamtberaterin überhaupt erst einmal trösten, dass der oder die wieder zu sich kommen, um überhaupt weiterarbeiten zu können, weil ihm oder ihr alles über den Kopf wächst. Ich glaube, sie sind acht Tage ‑ oder nur ganz wenige Tage ‑ geschult worden; sie haben keine Ahnung. Der einzige Auftrag, den man ihnen manchmal ablesen kann, ist, dass sie dafür Sorge tragen müssen, dass die Arbeitslosen von der Straße kommen und irgendwo untergebracht werden. Aber wo sie dann untergebracht werden, das ist mitunter auch wieder skandalös, weil es nämlich Unternehmen sind, die den Auszubildenden oder den Teilnehmern überhaupt nichts bieten. Da gibt es Beispiele von Schulgründungen, die nichts sind, sondern die einfach Verführung bieten, für ein halbes Jahr belehrt zu werden oder wie man das nennen will, unterrichtet. Hinterher bekommen sie überhaupt kein Dokument, haben nichts.

 

Das zweite ist: Es gibt eine Reihe von Leuten, die jetzt ‑ sagen wir mal ‑ zum Beispiel eine Arbeitsplatzbeschreibung machen müssen, aber keine Ahnung haben, wie sie das leisten sollen. Es hat im Westen dazu schon bei ArbeitnehmerInnen Schwierigkeiten gegeben, aber im Osten ist es sehr stark. Es gibt für mich Informationen aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Da sind jetzt auch Beamte eingefahren und haben die Leitung übernommen. Selbst die haben keine Ahnung, den hilflosen Arbeitnehmern aus dem Ostteil der Stadt behilflich zu sein, wie so ein Ding aussehen soll.

 

Meine zweite Frage ist ‑ es gibt doch jetzt die Strukturierung in Arbeiter, Angestellte, Beamte ‑: Warum kann eine Frau ab 30 ‑ wenn wir das überhaupt befürworten; offensichtlich geht es nicht anders ‑ nicht mehr Beamtin werden? Das ist doch ein altes Problem, das wir von den Feministinnen kennen, das muss irgendwie geklärt werden.

 

Ich stelle aber insgesamt fest, dass mit dem Einzug von ‑ ich sage mal ‑ Wessis in die Ostverwaltungen oder in die Ostbetriebe die Hierarchie mit eingezogen ist auf eine Weise, die wir als Sozialdemokraten überhaupt nicht gutheißen können. Der menschliche Umgang ist unmöglich. Die Ostbewohner warten auf Menschlichkeit, auf Hilfe und Solidarität ‑ das muss praktisch geleistet werden. Ich denke, hier tritt mitunter Überheblichkeit statt Hilfe auf. Manchmal hat man das Gefühl, die Überheblichkeit verdeckt vorhandene Unkenntnis. ‑ Ich danke euch, mehr wollte ich nicht sagen.

(Beifall)

 

Präs. Siegrun   K l e m m e r   : Das Wort hat Kurt Neumann.

 

Kurt   N e u m a n n   (Steglitz): Genossinnen und Genossen! Ich denke, es ist schlecht, dass nicht genügend Aufmerksamkeit besteht, nicht nur wegen der Betroffenheit, die herrschen müsste, sondern auch deswegen, weil wir den ersten inhaltlichen Parteitag nach der gravierenden Wahlniederlage machen. Es geht darum, Kompetenz zu entwickeln, Kompetenz der Sozialdemokratischen Partei darzustellen.

 

Wir hatten, über alle Grenzen in der Partei hinaus, festgestellt, dass wir auch deswegen die Wahlen verloren haben, weil unser Konzept zur Einigung Deutschlands und zur wirtschaftspolitischen Entwicklung nicht klar geworden ist. Viele von denjenigen, die dieses abstrakt vor sich herbeten, entziehen sich der Diskussion. Sie hören weder zu noch tragen sie bei. Das halte ich nicht für gut, und ich denke, wenn wir als Partei insgesamt vorankommen wollen, müssen wir uns der Mühe unterziehen, inhaltlich auf die verschiedenen Fragen und Ebenen einzugehen. Dabei sollten wir uns keine Illusionen machen.

 

Unsere Senatoren und Senatorinnen könnten noch besser sein, als sie es jetzt sind. Wenn die Rahmenbedingungen nicht funktionieren, wenn die Wirtschaft in Berlin nicht besser in Gang kommt, und wenn die finanzielle Ausstattung durch den Bund nicht besser sein wird, können sie so gut sein, wie sie wollen, sie werden die Probleme in dieser Stadt nicht regeln können, zumindest nicht so, wie die Genossin Mießner das verlangt hat. Sie werden Kürzungen hinnehmen müssen. Sie werden Kürzungen durchsetzen müssen. Sie werden dann fragen müssen: Wie kann man das einigermaßen sozial gestalten? ‑ Das wird die Aufgabe sein, vor der wir in der Stadt stehen. Deswegen ist es in unserem eigenen Interesse, wenn wir die grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Fragen des Landes aufwerfen. Und da halte ich von einem Grundsatz eine ganze Menge: Ausgangspunkt jeder richtigen Politik ist die Einsicht in die Realitäten und in die Entwicklungen, die zu erwarten sind. Vor allen Dingen ist Voraussetzung, dass wir sagen, was ist. ‑ Wenn dieser Grundsatz richtig ist, dann sollten wir mehr mit der Situation arbeiten, sollten wir mehr darauf hinweisen, dass wir zumindest vor den Wahlen gesagt haben, was ist und was sein wird.

 

Ich verstehe nicht, warum auf diesem Landesparteitag nicht deutlich gesagt wird: Unser Spitzenkandidat, unser stellvertretender Parteivorsitzender Oskar Lafontaine, hat viele der Probleme, die heute entstanden sind und weiter entstehen werden, vorausgesagt, er hat gewarnt vor dieser schlechten Einigungspolitik der Bundesregierung. ‑ Es zeigt sich in Meinungsumfragen heute schon, dass die SPD an Zustimmung gerade im Ostteil unseres Landes gewonnen hat. Das sollten wir als Ausgangspunkt festhalten. Wir sollten nichts davon verstecken, was damals Richtiges gesagt wurde.

(Beifall)

Die Lügen oder die Inkompetenz der CDU ‑ man kann sich das ja aussuchen, ob sie es nur nicht besser gewusst oder ob sie es gewusst und die Unwahrheit gesagt haben ‑ allein reichen allerdings nicht aus, um die Sozialdemokratie im Bewusstsein der Menschen zur wirtschaftspolitisch kompetenteren Kraft werden zu lassen, sondern wir müssen beginnen ‑ und da ist dieser Leitantrag ein wesentlicher Anstoß ‑, deutlich zu machen, was wir wirtschaftspolitisch wollen.

 

Dabei ist für mich eines sehr wichtig: Wir brauchen auf absehbare Zeit ein Förderungsinstrument für die sechs neuen Länder im Osten Deutschlands. Denn wir haben in Westeuropa Erfahrungen, was in Ländern passiert, in denen bestimmte Regionen ungleichgewichtig, unterentwickelt sind. Wir haben die Erfahrung Italiens, wir haben die Erfahrung auch Großbritanniens, bei denen der Süden bzw. der Norden nicht nur etwa zu Beginn der Entwicklung in der Europäischen Gemeinschaft rückständig war, sondern wir haben feststellen müssen, dass sich der Rückstand immer weiter vergrößert hat, weil eine vernünftige Struktur‑ und Regionalpolitik nicht gemacht wurde. Erste Voraussetzung ist deshalb, das Förderungsinstrumentarium hier zu verbessern.

 

Ein zweiter Punkt, den ich, ergänzend zu dem, was andere gesagt haben, ansprechen möchte, ist die Frage des Eigentums. Ich will eine Frage aufwerfen: Warum haben eigentlich diejenigen, die früher Grund und Boden gehabt haben, der ihnen weggenommen worden ist, mehr Anspruch auf Entschädigung oder auf Wiedergutmachung als diejenigen, denen eine Berufskarriere versaut worden ist, die ihren Beruf nicht haben abschließen können oder ihren Arbeitsplatz verloren haben? All diese bekommen keine Entschädigung. Es macht sich nur fest am Eigentum. Ich halte das für eine falsche Grundsatzentscheidung.

(Beifall)

Der Genosse Benneter hat in diesem Zusammenhang auf ein besonderes Problem hingewiesen, und da ergibt sich der wirklich freundliche und fröhliche Zufall, dass der Kreis Treptow genau in dieser Richtung einen Änderungsantrag gestellt hat, den die Antragskommission berücksichtigen konnte. Man sieht also: Hier wächst zusammen, was zusammengehört. Die Ideen des einen und die Anträge des anderen passen hier zusammen, und die Antragskommission hat das an dem Punkt dann gebündelt.

 

Zur Treuhand will ich auf einen Punkt gesondert hinweisen, obwohl er schon im Leitantrag steht. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Rettung von Betrieben, dass Rettung von Arbeitsplätzen nicht immer in Einklang steht mit Privatisierung, sondern dass das durchaus bedeuten kann, bestimmte Unternehmen in Staatshand zu belassen und Förderung dieser Unternehmen, damit sie wieder effektiv arbeiten und Arbeitsplätze sichern können. Die Erfahrung in der DDR, das Scheitern des dortigen sozialistischen Modells, darf nicht dazu führen, dass wir das Kind mit dem Bade ausschütten. Privatisieren, um in die Pleite zu entlassen und Arbeitsplätze zu zerstören, das kann nicht die Perspektive sein.

(Beifall)

Ich möchte einige kurze Schlussbemerkungen machen, eine zur Hauptstadt. Ich habe heute gelesen, dass wir das jetzt moderater machen als bisher. Das halte ich für gut.

(Glocke des Präsidiums)

Aber ich will auch eines sagen: Moderat konnte man es erst machen, nachdem andere das drastisch gemacht haben; und das war bitter notwendig, damit wir überhaupt in die Puschen kommen.

 

Letzte Bemerkung: Dass heute hier der Fraktionsvorsitzende des sächsischen Landesparlaments spricht, der zugleich stellvertretender Landesvorsitzender ist, ist für mich wichtig, aber es darf nur ein Anfang sein. Wir müssen mit dazu beitragen, dass die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in den sechs neuen Ländern verstärkt zusammenarbeiten. Ich will eines sagen: Die Vorbereitung des Bremer Parteitags wird eine Nagelprobe sein. Wir müssen sehen, dass sich unsere Delegationen aus den östlichen Ländern abstimmen, sich zu Vorbereitungstreffen koordinieren, damit wir auf dem Parteitag mit dem Gewicht der Stimmen dieses Bereichs unseres Landes wirksam werden können. ‑ Ich danke euch!

(Beifall)

 

Präs. Siegrun   K l e m m e r   : Ein Hinweis an die Mitglieder der Antragskommission. Die Antragskommission trifft sich, bitte, jetzt sofort in Raum 14.2. ‑ Das Wort hat jetzt Hermann Borghorst. Dann wird wahrscheinlich Zeit sein, den Parteitag für eine halbe Stunde zu unterbrechen. Wir werden euch dann die bei uns eingegangen Vorschläge für Bundesparteitagsdelegierte noch vortragen.

 

Hermann   B o r g h o r s t   (Neukölln): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich möchte mich an dieser Stelle einer weiteren Analyse enthalten und vor allen Dingen auf vier konkrete Punkte in Ergänzung zu dem Leitantrag eingehen.

 

Aber eine Vorbemerkung möchte ich gern machen. Mir geht es ähnlich wie Peter Strieder. Er ist nämlich Arbeitsrichter, und ich bin Gewerkschaftssekretär in Berlin‑Brandenburg. Wir haben tagtäglich mit diesen Problemen zu tun, mit den Entlassungen und Kündigungen in den Betrieben. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was das für soziale, psychische und finanzielle Probleme für die Menschen und ihre Familien bedeutet. Ich finde, wir sollten das hier zur Kenntnis nehmen, und ich würde jeden bitten, zumindest den, der hinten noch Gespräche führt, diesen Saal zu verlassen, damit diejenigen, die zuhören wollen, das auch wirklich verstehen können.

(Beifall)

Wir haben als Berliner SPD die Chance, eine gestaltende Kraft in diesem Einigungsprozess zu werden, weil wir hier genau an der Schnittstelle zwischen Ost und West liegen und die Probleme auf beiden Seiten mitbekommen.

 

Ich möchte zu dem Antrag folgende vier Punkte vorschlagen, dass wir diesem Antrag eine Überschrift geben, und zwar „Nationaler Aufbauplan als Solidarpakt zwischen neuen und alten Bundesländern“; denn ich glaube, es muss deutlich werden, dass hier eine Solidarität zwischen den Menschen im Westen und im Osten dringend notwendig ist. Wir ‑ auch als Partei ‑ müssen eine große Überzeugungsarbeit im Westen, im ehemaligen Bundesgebiet, in Westdeutschland, für diese Probleme leisten. Denn wir stellen fest, dass viele Bundes‑ und Landespolitiker die Probleme in den neuen Bundesländern immer noch nicht begriffen haben. Je weiter man nach Westen fährt, desto weniger verstehen und begreifen sie diese Probleme.

(Beifall)

Ein zweiter Punkt: Mir kommt die Arbeitmarktpolitik in diesem Leitantrag zu kurz. Deshalb schlage ich vor, dass man hier einen Punkt aufnimmt. Und zwar ist es so, dass in dem veränderten Antrag unter Punkt 2 ein „öffentliches Investitionsprogramm“ aufgenommen ist, dann unter Punkt 3 ein „Wirtschaftsförderungsgesetz“, also die Wirtschaftsförderung. Ich glaube, daran würde sich gut anschließen ein Punkt „Arbeitsmarktpolitik“, und ich lese mal meinen Antrag vor, den ich nachher dem Präsidium gebe; er würde folgendermaßen heißen:

 

Ein Programm der aktiven Arbeitsmarkt‑ und Beschäftigungspolitik durch eine deutliche Aufstockung der Finanzmittel für Fortbildung und Umschulung, für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und für regionale Strukturentwicklung ist erforderlich. Dazu gehört auch eine öffentliche Förderung von lokalen und regionalen Qualifizierungs‑ und Beschäftigungsgesellschaften, an denen sich Unternehmen, Treuhandanstalt, das jeweilige Bundesland, Kommunen und Gewerkschaften beteiligen.

 

Ich glaube, es ist dringend erforderlich, dass auf diesem Gebiet sehr schnell gehandelt wird. Es gibt genug Konzepte, die auf dem Tisch liegen. Es muss umgesetzt werden, das ist der entscheidende Punkt. Es müssen die notwendigen Finanzierungs‑ und Personalmittel zur Verfügung stehen, damit gehandelt werden kann.

(Vereinzelter Beifall)

Dritter Punkt ‑ zur Treuhandanstalt: Ich möchte gern, dass hier deutlich wird, dass bei Fragen der Sanierung, Privatisierung und Stillegung ‑ und so würde auch meine Formulierung lauten ‑ der Betriebsrat und die jeweils zuständige Gewerkschaft sowie bei größeren Betrieben die Landesregierung, der Landkreis und die Kommunen zu beteiligen sind. Dies gilt vor allen Dingen auch für die Fläche. Dies geschieht gegenwärtig nicht in ausreichendem Maß. Nur ganz mühsam haben wir die Treuhand dahin bekommen, die Genannten an einen Tisch zu bringen. Das ist nach unserer Auffassung dringend erforderlich, um gerade regionale strukturpolitische Elemente in eine Sanierung mit hineinzubringen.

(Vereinzelter Beifall)

Vorletzter Punkt: Mir fehlt bei der Finanzierung ein Hinweis auf die Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge und der Arbeitsmarktabgabe für Beamte, freie Berufe und Gewerbetreibende. Ich empfehle deshalb

(Vereinzelter Beifall)

‑ das kann nämlich nicht angehen, dass das außen vor gelassen wird ‑, eine Formulierung aufzunehmen, die auch bereits von der SPD‑Bundestagsfraktion so verabschiedet wurde ‑ ich lese mal kurz vor; und das gilt dann unter Punkt 9:

 

Statt der Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge ist eine allgemeine Arbeitsmarktabgabe zum Aufbau der neuen Länder und gegen die Arbeitslosigkeit notwendig, in die auch Beamte, freie Berufe, Gewerbetreibende, Minister und Abgeordnete einbezogen werden.

 

(Beifall)

 

Ich glaube, Genossinnen und Genossen, dies ist ein wichtiger Punkt, der auch in diesen Leitantrag mit aufgenommen werden muss.

 

Letzter Punkt: Meine herzliche Bitte an alle Genossinnen und Genossen, die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben, bei denen sie eine Chance sehen, zu unterstützen, vor allen Dingen auch, sich an den Großkundgebungen und Demonstrationen aller Gewerkschaften intensiv zu beteiligen. ‑ Herzlichen Dank!

(Beifall)

 

Präs. Siegrun   K l e m m e r   : Da häufiger Nachfragen gekommen sind, weshalb gerade der Senator für Wirtschaft und Technologie heute an diesem Parteitag nicht teilnimmt, zur Erklärung für alle die, die es nicht wissen: Er ist als Senator ‑ eben in dieser Funktion ‑ zur Eröffnung der Leipziger Frühjahrsmesse gefahren und wird dort unter anderem mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Biedenkopf und anderen Politikern aus den neuen Ländern genau über dieses Thema sprechen. ‑ Und gleich auch die Erklärung, weshalb Christine Bergmann nicht hier ist: Christine Bergmann ist beim Bundeskongress der AGS, der an zwei Tagen ‑ heute und morgen ‑ in Berlin stattfindet, um da auch jedes Missverständnis auszuschalten.

 

Dann lesen wir euch die Namen derjenigen vor, die als Delegierte für den Bundesparteitag nominiert, vorgeschlagen sind: Wolfgang Behrendt, Spandau, Klaus‑Uwe Benneter, Zehlendorf, Gerlinde Bernsdorff, Zehlendorf, Willi‑Fred Boheim, Treptow, Manfred Breitenkamp, Charlottenburg, Monika Buttgereit, Schöneberg, Anna Damrat, Schöneberg, Manfred Dennert, Prenzlauer Berg, Frank‑Axel Dietrich, Charlottenburg, der aber nicht kandidieren wird, Christina Eisner, Friedrichshain, Konrad Elmer, Pankow, Ingrid Holzhüter, Tempelhof, Harald Lüderitz, Pankow, Jürgen Lüdtke, Wedding, Dagmar Luuk, Wedding, die aber auch, wenn die Information richtig ist, nicht kandidiert, Irmi Meier‑Nieraad, Schöneberg, Doris Schneider, Reinickendorf, Thomas Schulz‑Spiron, Zehlendorf, Dietrich Stobbe, Reinickendorf, Christine Bergmann, Hellersdorf, Monika Kitzing, Köpenick, Marlitt Köhnke, Hellersdorf, Christine Luft, Marzahn, Karl‑Georg Maucher, Köpenick, Helios Mendiburu, Friedrichshain, Monica Schümer‑Strucksberg, Wilmersdorf, Marianne Brinckmeier, Neukölln, Ursula Leyk, Steglitz, Eckart Baum, Hohenschönhausen, Gerhard Keil, Mitte, Kurt Neumann, Steglitz, Anne‑Kathrin Pauk, Marzahn, Mechthild Rawert, Schöneberg, Elga Kampfhenkel, Kreuzberg und Thomas Krüger.

 

Als Nennungen für den Bundesvorstand: Angelika Barbe und Konrad Elmer. ‑ Konrad, stimmt das? ‑ Konrad Elmer wird als Delegierter für den Bundesparteitag gestrichen, kandidiert aber für den Bundesvorstand. ‑ Natürlich kandidiert der Berliner Landesvorsitzende Walter Momper auch für den Bundesvorstand, also, das versteht sich ja eigentlich von selbst.

 

Dann unterbrechen wir den Parteitag für eine halbe Stunde; der GLV und die Kreisvorsitzenden treffen sich.

 

(Unterbrechung von 12.01 bis 13.05 Uhr)

 

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Genossinnen und Genossen! Wir bitten, langsam wieder im Saal Platz zu nehmen ‑ das gilt auch für das Präsidium.

 

Der Parteitag ist wieder eröffnet. Bevor wir mit der Aussprache und in der Beratung des Leitantrags „Finanz‑ und Wirtschaftsentwicklung in den sechs neuen Bundesländern“ fortfahren, fragen wir jetzt mal alle die bisher bekannten Kandidaten für ein Bundesparteitagsdelegiertenmandat ab, ob sie noch kandidieren, damit die Stimmzettel hergestellt werden können. Wolfgang Behrendt? Klaus‑Uwe Benneter? Gerlinde Bernsdorff, nicht. Willi‑Fred Boheim? Manfred Breitenkamp? Monika Buttgereit, nein. Anna Damrat? Manfred Dennert? Christina Eisner? Konrad Elmer hat gesagt, er kandidiert nicht. Ingrid Holzhüter? Harald Lüderitz? Jürgen Lüdtke kandidiert auch? Irmi Meier‑Nieraad? Doris Schneider, ja. Thomas Schulz‑Spiron kandidiert nicht, wurde mitgeteilt. Dietrich Stobbe? Christine Bergmann? Monika Kitzing? Ja oder Nein? Marlitt Köhnke soll nicht kandidieren, wurde gesagt. Marlitt Köhnke kandidiert nicht! Christine Luft? Nein! Karl‑Georg Maucher? Nein! Helios Mendiburu? Ja? Gut! Monica Schümer‑Strucksberg? Ja! Marianne Brinckmeier? Ja! Ursula Leyk? Ja! Eckart Baum? Ja! Gerhard Keil? Nein! Kurt Neumann? Thomas Krüger? Anne‑Kathrin Pauk? Mechthild Rawert? Nein! Elga Kampfhenkel? Ja!

(Anhaltende starke Unruhe)

Dann lese ich noch mal alle die vor, die jetzt auf der Liste stehen. Ich wäre trotzdem für Aufmerksamkeit dankbar, da manche Nein‑ oder Ja‑Rufe hier schlichtweg wegen des Lärmpegels überhaupt gar nicht ankommen. Wir lesen deshalb noch mal diejenigen vor, die auf der Liste stehen. ‑ Nicht genannt wurden eben Utta Stötzer und Peter Seitz, die noch kandidieren. ‑ Es kandidieren: Wolfgang Behrendt, Klaus‑Uwe Benneter, Willi‑Fred Boheim, Manfred Breitenkamp, Manfred Dennert, Christina Eisner, Ingrid Holzhüter, Harald Lüderitz, Jürgen Lüdtke, Irmi Meier‑Nieraad, Doris Schneider, Dietrich Stobbe, Christine Bergmann, Monika Kitzing, Helios Mendiburu, Monica Schümer‑Strucksberg, Marianne Brinckmeier, Ursula Leyk, Eckart Baum, Kurt Neumann, Thomas Krüger, Anne‑Kathrin Pauk, Elga Kampfhenkel ist zu streichen, sagt sie gerade, Utta Stötzer und Peter Seitz. Das sind bis jetzt hier die Kandidaten. ‑ Nun hat sich hierzu der Landesvorsitzende zu Wort gemeldet.

 

Walter   M o m p e r   : Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen! Ich bitte um Nachsicht, wenn ich euch noch mal stören muss mit einigen Punkten, die vielleicht doch von Bedeutung sind.

 

Die Kreisvorsitzenden haben sich eben getroffen und haben darüber gesprochen, wie man die Wahl ein bißchen so strukturiert, dass nicht einige wenige, die es eigentlich nicht verdient haben, mit ganz wenig Stimmen vom Platz gehen. Ich sage das deshalb ‑ und ich muss sagen, ich ärgere mich eigentlich über die Liste, die jetzt hier zustande gekommen ist ‑, weil etwas anderes besprochen war. Ich sage das deshalb, weil ich eine Fürsorgepflicht auch für einige Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hier im Saal habe, die sehr gute, hochverdiente und hoch anerkannte Kommunalpolitiker oder sonstige Politiker sind. Es könnte aber ‑ weil wir nur 15 Mandate zum Bundesparteitag zu vergeben haben und deshalb jeder einzelne Delegierte auch maximal 15 Stimmen abgeben kann ‑ eine so breite Streuung der Stimmen eintreten, dass einige, die es gar nicht verdient haben, mit 13, 17 oder 64 Stimmen vom Platz gehen.

 

Weil ich finde, dass das denen nicht angemessen ist ‑ von ihrer politischen Arbeit her, von ihrer Parteiarbeit her ‑, haben die Kreisvorsitzenden geguckt, ob man nicht vorher z. B. dem einen sagen kann: Pass mal auf, dieses Mal kandidierst du nicht, aber beim nächsten Mal kandidierst du oder beim übernächsten Mal. Es ist dieses nicht der letzte und auch nicht der erste Parteitag in der deutschen Sozialdemokratie. Deshalb gab es unter den Kreisvorsitzenden eine sehr starke Tendenz, dass gesagt wurde: Bergmann und Krüger sollen kandidieren, Boheim und Seitz sollten unbedingt kandidieren, Eisner und Stötzer sollten kandidieren, einige meinten auch, Anne‑Kathrin Pauk sollte kandidieren. Aber einigen wurde der gute Rat gegeben, bitte nicht zu kandidieren.

 

Ich kann deshalb nur noch mal sagen und bitte, noch mal zu überlegen, ob wir so viele Kandidatinnen und Kandidaten haben wollen, so dass nachher einige zwangsläufig mit Brüschen, weil nicht gewählt, vom Platz gehen müssen. Ich bitte, auch die Kreisvorsitzenden dann zu fragen und bitte, eben doch noch mal zu überlegen, ob die eine oder andere Kandidatur wirklich aussichtsreich ist. Mehr kann ich dazu auch nicht sagen, um das hier so deutlich wie möglich auszusprechen, worum es geht.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Nach diesem Appell des Landesvorsitzenden noch mal die Frage des Präsidiums, ob jetzt von denen, die als Kandidaten genannt wurden, jemand zurückgezogen wird. Eckart Baum wird gestrichen. Gibt es weitere, die jetzt auf der Liste stehen, die nicht kandidieren? ‑ Ich frage noch mal alle durch.

(Zurufe: Nein! Nein!)

Eigentlich müssten die Kreise es ja wissen. Und wozu hat eigentlich das Gremium da draußen eine Stunde lang getagt?

 

Das Präsidium ist sich einig: Entweder melden sich jetzt noch Kreise und sagen, ihre Kandidaten kandidieren nicht, oder so wird die Liste gemacht.

(Vereinzelter Beifall)

Dann bitte ich, diesen Stimmzettel mit 23 Kandidaten für 15 Plätze auszufüllen.

 

Wir kommen jetzt zurück zu

 

Punkt 3 der Tagesordnung

Aussprache

 

Als erste hat Ingrid Stahmer das Wort.

 

Ingrid   S t a h m e r   (Charlottenburg): Liebe Genossinnen und Genossen! Es ist nicht so ganz einfach, von Personalangelegenheiten zu solchen Anträgen zurückzukommen. Mir ist aber bei der Antragsdebatte und auch bei der Lektüre des Antrags noch mal aufgefallen, dass wir zwar viele Worte dazu sagen, wie es mit der Angleichung der Lebensverhältnisse sein muss, es aber häufig in der Praxis Klippen und Ecken gibt, die alle unsere schönen Beschlüsse in den Schatten stellen.

 

Wenn ich euch zum Beispiel berichte, welche enormen Schwierigkeiten ich mit der Bundesfamilienministerin bekommen habe, weil ich für Berlin durchgesetzt habe, dass wir die Sozialhilferegelsätze gleichgemacht haben für Ost‑ und West‑Berlin, dann können wir alle diese Leute in Bonn und auch zum Teil hier wirklich mal schütteln und fragen, ob sie es denn nun wirklich ernst meinen mit der Gleichheit der Lebensverhältnisse.

(Beifall)

Ich bitte euch, an jeder Stelle, überall, wo ihr seid, wirklich darauf hinzuwirken, dass auch in der Praxis diese wunderbaren Absichten, die überall gemeinsam gefasst werden, auch durchgeführt werden.

 

An einem anderen Punkt in diesem Antrag wird mir noch mal offenbar, dass wir manchmal bei diesen Dingen vergessen, dass auch die Lebensverhältnisse in den alten Bundesländern nicht für alle Menschen Gold sind

(Beifall)

und dass deshalb zum Beispiel für meine Begriffe beim Leitantrag auf Seite 3 im III. Abschnitt ein Satz fehlt, wenn dort nur gesagt wird, es müssen die gleichen Bedingungen für alle sein, und zwar angepasst an das westliche Niveau. Wir haben in einem Bereich zurzeit sogar von den Strukturen her eine günstigere Situation für sozial Benachteiligte, nämlich bei der sozialen Grundsicherung. Wir müssen es meiner Ansicht nach erreichen, bei dem, was jetzt politisch nötig ist, dass die soziale Grundsicherung für alle Bundesländer zur Geltung kommt, damit nicht nach dem Auslaufen der Einigungsvertragsregelungen alle Alten, Arbeitslosen und Behinderten in der ganzen Bundesrepublik gleich behandelt werden, und zwar gleich schlecht behandelt werden. Wir brauchen eine soziale Grundsicherung auch für diejenigen, die hier zur Zeit der Sozialhilfe anheim fallen, wenn sie alt, behindert oder arbeitslos sind, ebenso, wie das zur Zeit im wachsenden Maße in den neuen Bundesländern und in Ost‑Berlin schon geschieht, weil die Regelungen der Mindestversorgung in den alten Ländern nicht hoch genug sind.

 

Ich möchte euch deshalb einen Änderungsantrag zu dem Leitantrag vorschlagen, der da lauten soll:

 

Im Bereich der sozialen Grundsicherung ist eine Anpassung der alten Bundesländer an die Bedingungen der neuen Länder auf höherem Niveau erforderlich, damit Alte, Arbeitslose und Behinderte in ganz Deutschland nicht nach Auslaufen der Einigungsvertragsregelung gleich schlecht behandelt werden.

 

Ich bitte euch um Zustimmung zu diesem Änderungsantrag.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Als nächster in der Redeliste wäre Klaus‑Peter Kisker dran. Wir haben aber als Präsidium dem Wunsch des Landesvorstands Folge geleistet, hier den Kollegen Holger Kaselow, dem Betriebsratsvorsitzenden des Werks für Fernsehelektronik im Ostteil der Stadt, zu Wort kommen zu lassen, der mal aus der derzeitigen Praxis berichten kann.

(Beifall)

 

Holger   K a s e l o w   : Guten Tag, werte Delegierte des SPD‑Parteitags hier in Berlin. Dass ich hier stehe, ist eigentlich eine ad‑hoc‑Aktion. Ich hatte heute eine Verabredung, um betriebliche Probleme hier kurz zu besprechen. Aber, wenn Walter es wünscht, werde ich mal kurz die Situation in der Praxis schildern. Ich bin Betriebsratsvorsitzender in dem größten Werk im Industriestandort Schöneweide ‑ und hier muss man eigentlich fast sagen: ehemals größten ‑, und zwar im Werk für Fernsehelektronik Berlin. Wir liegen dort in Schöneweide direkt an der Spree, haben zwei große Zweigstellen in Pankow und Lichtenberg und hatten mal, im Januar 1990, 9 400 Mitarbeiter. Von diesen 9 400 sind jetzt noch 7 200 übrig.

 

Die Differenz ergibt sich aus Auszubildenden, die wir noch haben ‑ 350 von ehemals 550 ‑, und 1 600 Kollegen, die ausgeschieden sind ‑ 400, die die Altersruhestandsregelung nutzen konnten oder nutzen mussten, und 1 200, die hier, wo wir heute stehen, im Westteil der Stadt arbeiten, natürlich zu Westbedingungen.

 

Ich wurde gebeten, hier zu sprechen, um am Beispiel eines Ost‑Berliner Großbetriebes auf die konkrete Situation in der Praxis zu verweisen, die hier auf uns zukommt. Von diesen 7 200 Mitarbeitern haben nämlich vor fünf Tagen etwa 4 600 ihre Kündigung zum 1. 7. erhalten. Das Problem ist bekannt. Wir hatten gestern auch vor der Treuhand die Veranstaltung, auf der wir darauf hingewiesen haben. Es ist eine Situation, die sehr viele Konflikte heraufbeschwört, die sehr schwer beherrschbar ist. Es ist eine Situation, in der parteiübergreifende Entscheidungen fallen müssen in Berlin, in den neuen Bundesländern, und diese Entscheidungen sind dann auch umzusetzen. Deshalb auch noch mal vor diesem Landesparteitag der SPD die Forderung, die auch schon bekannt ist: Hier muss Einfluss auf die Unternehmensphilosophie der Treuhand genommen werden.

 

Ich komme zu den Beispielen: Treuhand, Bereich Elektrotechnik, Elektronik der neuen Bundesländer. Wir haben im August 1990 eine Unternehmensberatung aufgedrückt bekommen, die uns eine viertel Million gekostet hat. Sie hat ein Sanierungskonzept gemacht mit einer Überlebensstrategie. ‑ Gut und schön! In die Treuhand rein, Wechsel der Leute in der Treuhand, damit ‑ und ich sage das ganz deutlich ‑ auch ein Wechsel in der Lobby in der Treuhand. Das heißt: neue Unternehmensberatung, neue Kosten, neues Projekt, nur noch ein Hauptproduktionsträger wird erhalten, die Farbbildröhre. Dafür haben wir auch gekämpft ‑ auch wir als Belegschaft ‑, damit wir wenigstens den großen Hauptproduktionsträger erhalten. Dieses ist geschehen.

 

Ein großer japanischer Konzern, dessen Lizenz wir ja schon haben, hat sich auch erklärt, hat Investitionen bereitgestellt, um neue Produktlinien einzuführen. Was ist im Januar passiert? Wieder neue Besetzung in der Treuhand, wieder neue Lobby, wieder neue Unternehmensberatung, und schon wieder ist die nächste Frage da. Erst hieß sie Arthur (the) Little, dann hieß sie high engineering, jetzt heißt sie eben Mc Kinsey, und schon ist das nächste Ding in Frage gestellt. Da fragen wir uns natürlich: Warum ist das denn ständig so?

(Beifall)

Das liegt nicht daran, dass wir nicht in der Lage sind, zu überleben. Das liegt an ganz anderen Entscheidungen.

 

Hier sind mehrere Fragen zu stellen. Erstens ‑ und das ist die bekannte ‑: Werden wir mit Absicht runtergewirtschaftet, um bestimmten Herren als Konkursmasse billig zur Verfügung zu stehen?

(Beifall)

Denn die wirtschaftliche Bewertung ist nicht unbedingt so, dass wir nicht mehr produzieren können. Dazu wären wir durchaus mit den Maßnahmen, die zu treffen sind, selbst in der Lage. Wenn wir sozial flankiert werden, wenn die Treuhand nicht mehr nur betriebswirtschaftlich entscheidet, wenn dieser riesige Staatskonzern endlich auch seine sozialpolitische Verpflichtung, die ein Staat hat, wahrnimmt, dann muss das nicht so kommen.

(Beifall)

Dann müssen nicht die Hauptproduktionsträger plattgemacht werden, dann müssen auch nicht im Juli 4 600 Leute konkret auf die Straße. Dann kann man nämlich über bestimmte Fördermaßnahmen ‑ und ich komme mal mit dieser gewerkschaftlichen Forderung: Beschäftigungsgesellschaften; sie müssen ja nicht so heißen, aber der Inhalt kann ähnlich sein ‑ die Kollegen auffangen.

 

Man kann ja durchaus der Privatisierungslinie ‑ und das möchte ich auch ganz deutlich sagen ‑ der Treuhandanstalt folgen und sagen: Wir sind ja ein Konsumgüterproduzent, der kann auf die Dauer nicht staatlich subventioniert werden und kann auch nicht unter staatlicher Regie bleiben. Dieser Kern muss natürlich auch privatisiert werden, und das darf man nicht erschweren. Hier muss man zwar darauf achten, und das in jedem Fall, dass über § 613 a BGB der Betriebsübergang gewährleistet ist. Aber man kann einem privaten Eigner nicht die Altlasten aufbürden ‑ weder die, die durch die verfehlte Investitionspolitik der ehemaligen DDR‑Regierung auf den Unternehmen liegen, noch die Personalüberhänge, die daraus entstanden sind. Hierzu sind Entscheidungen notwendig, die müssen auch politisch befördert werden, auch von der SPD.

(Beifall)

Konkret kann das heißen ‑ und wer Herrn Koch gestern im 3. Programm gesehen hat, hat gehört, dass er gesagt hat, er appelliert an die Geschäftsführer und Vorstände der Treuhandunternehmen mit dem Hinweis, dass die Kurzarbeiterregelung da sei ‑: Nicht entlassen bis 31. 12.! ‑ Auf der Schiene kann er aber nicht privatisieren; denn dann kauft wieder keiner. Das heißt, es muss getrennt werden. Es muss eindeutig getrennt werden: privatisierungsfähiger Teil mit einem Betriebsübergang über § 613 a, um es ganz konkret zu sagen, und es muss getrennt werden unter Treuhandregie, das heißt unter der sozialpolitischen Aufgabe des Staates und dessen größten Konzerns, der Treuhandanstalt, die Schiene, die uns Arbeitsplätze erhält, die uns Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten lässt, die Innovationen zulässt und Entwicklungen, damit wir auch nicht personell ausbluten.

 

Wenn ich bei dem personellen Ausbluten bin, dann muss ich auf diesem Parteitag auch etwas zum letzten Tarifvertrag der IG‑Metall sagen. Hier hat ‑ davon gehe ich mal aus ‑ auch die SPD auf der Unternehmerseite bestimmte Einflüsse. Was brocken wir uns denn da schon wieder ein als Sozialdemokraten und auch als Gewerkschafter? Einen Tarifvertrag, der für die nächsten Jahre geringe prozentuale Steigerungen vorsieht, aber, wenn der Wahlkampf beginnt, 1994 auf 100 % geht. Das wird doch genauso ein Flop wie der letzte Tarifvertrag mit den 90 % kurz vor der Wahl. Auf so etwas muss im Vorfeld Einfluss genommen werden. Sie werden es vielleicht auch mitgekriegt haben, wie viele Proteste es auch von den anderen Betriebsräten in Ost‑Berlin im Nachfeld dieses Tarifvertrags gab. Ich will nur sagen, hier muss man aufpassen, und hier ist auch parteipolitische Einflussnahme wichtig. Das können die Gewerkschaften auch nicht alleine.

 

Hier kommt der nächste Punkt: Die SPD sollte wirklich dazu zurückfinden, ganz eng mit unseren Arbeitnehmerorganisationen zusammenzuarbeiten. Ich sehe da so manchmal Probleme.

(Beifall)

Ich möchte zum Abschluss noch sagen: Das, was sich im Werk für Fernsehelektronik abspielt als einem Großbetrieb der ehemaligen Mikroelektronikbranche in der Jetzt‑nicht‑mehr‑DDR, spielt sich natürlich mit anderen auch ab im Halbleiterwerk Frankfurt/Oder ‑ ich nehme mal nur unseren Bereich ‑, im Funkwerk Erfurt, also der Konzern, der jetzt unter PTC läuft, im Dresdener Werk. Gucken wir uns Carl Zeiss an, gucken wir uns die anderen Unternehmen an, mit denen passiert Ähnliches. Es sind also Grundsatzentscheidungen notwendig ‑ aus meiner Sicht wurden die Anfänge in Bonn gemacht ‑. Sie wurden gemacht; jetzt fängt man nach Monaten langsam an, nachzudenken, vielleicht langsam mitzukriegen, dass man eine Planwirtschaft nicht ad hoc in einem Jahr in eine Marktwirtschaft überführen kann, dass die Menschen überhaupt nicht in der Lage sind, das auch psychologisch zu verkraften, was hier mit ihnen passiert. Hier muss man etwas mehr Zeit einräumen, hier muss sozial flankiert werden.

 

Ich appelliere auch als Mann, der hier aus der Praxis kommt, auch noch mal an die SPD‑Mitglieder, dieses mit zu befördern. ‑ Schönen Dank!

(Starker Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir danken Holger Kaselow für seinen Beitrag. ‑ Als nächste hat Christine Bergmann das Wort.

 

Christine   B e r g m a n n   (Hellersdorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich bin immer wieder froh, dass wir eine Quotierung haben. In dem Fall ermöglicht mir das wenigstens, gleich an das Thema anzuschließen, was gerade angeschnitten wurde. Ich möchte nämlich noch einige Dinge zur Arbeitsmarktpolitik sagen. Wir haben ja gerade gehört, wie die Situation in den Betrieben ist. Wir kennen die Zahlen, die auf Berlin herniedergehen bzw. wie sie jetzt sind: 95 000 Arbeitslose im Westen, 75 000 im Ostteil der Stadt, dazu 85 000 Kurzarbeiter ‑ Kurzarbeiter zur Hälfte schon mit Kurzarbeit null. Wir wissen, dass Ende März und Ende Juni die Menschen aus den Warteschleifen kommen. Und wir wissen, was sich in den zentralen wissenschaftlichen Einrichtungen abspielt. Das ist eine Last, die wir hier als Land tragen müssen, auch wenn es zum Teil noch Altlasten sind ‑ wenn wir an die ministeriellen Angestellten denken, die sich zum Beispiel jetzt in der Warteschleife befinden. Da sind natürlich die Erwartungen an die Arbeitsmarktpolitik unwahrscheinlich hoch, und ich habe so das Gefühl, auch die Nervosität steigt ‑ auch bei uns ‑, was denn nun eigentlich passiert, um alles das in gewisser Weise abzufangen.

 

Nun muss ich sagen: Wir können leider die 300 000 oder 400 000 Arbeitsplätze nicht schaffen, die wir jetzt dringend brauchten. Was wir können, ist, diesen Prozess zu flankieren, über eine bestimmte Weile Beschäftigung für möglichst viele Menschen zu schaffen und darüber hinaus auch Qualifizierungen in Gang zu bringen, die den Menschen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt einräumen. Das sind unsere Aufgaben dabei, und sie sind schwierig genug. Wir haben ein Instrumentarium zur Verfügung, das für diese Dimensionen nicht mehr ausreicht. Das muss ich hier noch mal deutlich sagen: Deswegen brauchen wir natürlich auch ein bisschen Zeit. Wir haben jetzt viele Ankündigungen gehört, auch aus Bonn, welche ABM‑Plätze geschaffen werden, wie viele Mittel zur Verfügung stehen. Was wir hier machen müssen, ist, natürlich mit diesen Mitteln und Plätzen vernünftig umzugehen. Das müssen wir organisatorisch bewältigen, und dafür brauchen wir auch neue Instrumentarien.

 

Wir haben eines gerade schon angesprochen im Zusammenhang mit der Treuhand, das ist das Instrumentarium der Beschäftigungs‑ und Qualifizierungsgesellschaften. Wir werden dazu im April noch ein Konzept vorlegen, was wir dezentral in den Betrieben ‑ mit einigen sind wir schon im Gespräch ‑ beginnen werden.

 

Wir sind auch mit der Treuhand im Gespräch. Übrigens sagte uns die Treuhand bei einem Gespräch, sie täte dies ja alles bereits, also sie mache ihre Dinge unter arbeitsmarktpolitischen Aspekten usw. ‑ Wir sind noch nicht ganz davon überzeugt; sie haben das zumindest immer sehr geschickt an uns vorbei gemacht.

 

Wir versuchen jetzt auch, die Treuhand dazu zu bringen, dass sie uns bei den Vorhaben, die sie angeht, frühzeitig informiert, damit wir nämlich mit unserem Instrumentarium uns auch beizeiten einschalten können, nicht erst, wenn die Sache schon abgeschlossen ist, sondern frühzeitig überlegen: Wo können Beschäftigungs‑ und Qualifizierungsgesellschaften gebildet werden? Welche Betriebsakademien müssen erhalten bleiben, die ja noch zum großen Teil da sind, damit wir Möglichkeiten der Qualifizierung haben?

 

Wir haben jetzt mit allen Partnern ‑ Verträge, kann ich nicht sagen ‑ Absprachen getroffen, um gemeinsam an dieser Aufgabe zu arbeiten, und das sind sehr viele, also alle Möglichkeiten, die es hier in der Stadt gibt: Arbeitnehmerverbände, Arbeitgeber‑ und freie Wohlfahrtsverbände und was sonst alles als Träger fungieren kann und natürlich die Kommunen.

 

Wir müssen aber unser Instrumentarium erweitern. Wir planen jetzt Service‑Gesellschaften, die in den Bezirken installiert werden können, damit das überhaupt alles zusammengebracht werden kann; denn wir haben ja wirklich viele Partner, zum Beispiel auch die Arbeitsämter, die uns aber überhaupt nicht unterstehen. Also, dieses Zusammenbringen aller Kräfte ist nicht so ganz ohne. Deshalb bitte ich euch, uns an allen Ecken und Enden bei dieser Aufgabe immer zu unterstützen.

 

Wir haben auf der Arbeits‑ und Sozialministerkonferenz, die wir vorige Woche in Berlin hatten, auch einige Regelungen getroffen, wie wir zum Beispiel mit den Menschen, die sich jetzt in der Warteschleife befinden, umgehen können. Wir haben die Zusage bekommen, dass wir sie unter Anrechnung bestimmter finanzieller Mittel in AB‑Maßnahmen nehmen können, damit wir hier einige Härten abfangen können.

 

Wir haben uns auch mit der Frage der Kurzarbeiter auseinandergesetzt. Unser Bestreben geht dahin, auch die Kurzarbeiterregelung hinauszuzögern, noch über den 31. 12. hinweg, sie aber zu verbinden mit einer vernünftigen Qualifizierung. Hier muss man, denke ich, sehr genau nachdenken, was hier vernünftig ist, nicht einfach etwas weiterzufinanzieren, ohne damit Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten. Darüber gibt es im Moment sehr intensive Verhandlungen auch mit dem Bundesarbeitsminister, was man an dieser Stelle tun kann, aber eben, wie gesagt, immer unter dem Aspekt auch der Qualifikation.

 

Ein Projekt möchte ich euch mal vorstellen,

(Glocke des Präsidiums)

mit dem wir schon an die Öffentlichkeit gegangen sind, damit ihr seht, in welche Richtung die Entwicklung geht. Wir haben dieses ökologische Sofortprogramm vorgestellt. Wir wollen mit diesen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auch gleichzeitig die Infrastruktur verbessern, die Stadt sanieren. Das ist so ein Konzept, mit dem wir sehr viele Beschäftigungsplätze schaffen ‑ 12 000 innerhalb diesen und des nächsten Jahres ‑, gleichzeitig Qualifizierung leisten können ‑ einen bestimmten Anteil Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt ‑ und die Stadt dabei sanieren. ‑ In diese Richtung gehen jetzt unsere Konzepte.

 

Das sind noch keine fertigen Programme, da brauchen wir noch ein bisschen Zeit, weil dieses, wie gesagt, alles vernünftig umgesetzt werden muss. Ich möchte, dass wir dann mit wirklich realistischen Konzepten in die Öffentlichkeit gehen, nicht mit irgendwelchen Ideen ‑ davon haben wir genug. Da bitte ich euch auch an allen Ecken und Enden mit um Unterstützung; denn wir brauchen ja auch viele Träger, und das, was wir gedacht haben, ist da noch lange nicht an der richtigen Stelle. ‑ Danke!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Klaus‑Peter Kisker.

 

Klaus‑Peter   K i s k e r   (Zehlendorf): Genossinnen und Genossen! Ich kann das, was der Betriebsratskollege hier gesagt hat, nur voll unterstützen. Wir werfen Kohl und Konsorten Täuschung, Betrug vor, aber, was wir betreiben, ist auch Selbsttäuschung, Verdrängung von Problemen.

 

Wenn ich mir den Antrag zur Wirtschafts‑ und Finanzpolitik und den Verlauf dieses Parteitags angucke, und wenn ich mir angucke ‑ was ich als einen gelinden Skandal empfinde ‑, dass ‑ trotz Leipziger Messe ‑ der Wirtschaftssenator hier nicht anwesend ist,

(Vereinzelter Beifall)

dann, meine ich, sind wir entweder nicht willens oder nicht in der Lage, die Dimension des gegenwärtigen ökonomischen und sozialen Problems wirklich zu erkennen.

 

Das Motto „Augen zu und durch“ ist auch für die SPD, ist für die Opposition in Bonn oder für die mitregierende Partei in Berlin kein Erfolgsrezept. Wir müssen uns darüber im klaren sein: Wir befinden uns nicht im Jahr 1949 oder in den 50er Jahren. Wir befinden uns ‑ Ingrid Stahmer hat darauf hingewiesen ‑ in einer sich in den kapitalistischen Ländern dramatisch zuspitzenden ökonomischen Situation, und zwar von der Elbe bis an den Pazifik wächst die Massenarbeitslosigkeit, wachsen die Konkurse etc., um hier nur einige schlimme Dinge zu nennen.

 

Viele fassen dieses als ernste Krise in der Entwicklung des kapitalistischen Systems auf. Ich bin der Meinung: Wir befinden uns in einer langfristig sehr ernst zu nehmenden strukturellen Krise. Ein Beispiel dafür: Das IfU‑Institut, jeglicher antikapitalistischer Tendenzen wirklich unverdächtig, hat vor vier Jahren in einer Unternehmensbefragung festgestellt, dass die Unternehmen versuchen, Kapazitäten zu begrenzen und nicht mehr auszubauen. Dasselbe IfU‑Institut hat in einer weitgehend nicht zur Kenntnis genommenen Analyse ‑ Befragung der Unternehmen, warum sie nicht im Osten, in den fünf neuen Ländern mehr investieren ‑ festgestellt: Mit überwältigenden Anteilen wurde dort zur Antwort gegeben, es bestehe kein Bedarf an neuen Kapazitäten.

 

Die rechtlichen, die Infrastrukturprobleme liefen dabei unter ferner liefen. Das ist die Situation, unter der die ökonomische Integration stattfindet.

 

Diese Integration wird zu einem Nullsummenspiel! Das heißt: Soweit wir es schaffen, im Osten zusätzliche private Investitionen zu stimulieren, geht dieses zu Lasten von Investitionen in den alten Bundesländern. Das ist die Situation, mit der wir leben und rechnen müssen.

(Glocke des Präsidiums)

Ich glaube, es gehört zur Redlichkeit und zur Politikfähigkeit der SPD, hier von klaren Fakten, von ökonomisch harten Tatsachen auszugehen und sich nicht etwas in die Tasche zu lügen.

(Glocke des Präsidiums)

Doch gestattet mir noch zwei Sätze: Wenn ich mir vor diesem Hintergrund angucke, dass der Antrag die Herstellerpräferenz, die wir seit 20 Jahren bekämpfen, als ein Mittel propagiert, finde ich das traurig. Wenn ich mir angucke, was hier zur Treuhand gesagt wird, finde ich das einfach zu wenig. Wenn ich mir angucke, was hier zum Zukunftsprogramm gesagt wird, dann ist das zu sehr Wischiwaschi, nicht ausgerechnet, nicht genug.

 

Genossinnen und Genossen, mit diesem Antrag, mit dieser Diskussion auch weitgehend, werden wir nicht dem Motto gerecht, die Zukunft zu gewinnen. So leid es mir tut,

(Glocke des Präsidiums)

dieser Antrag muss zurückgezogen, er muss überarbeitet und konkretisiert werden.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das waren schon sieben Sätze! ‑ Das Wort hat Erhard Ott. Danach treten wir in die Beratung des Leitantrags ein, wozu dann Kurt Neumann das Wort hat.

 

Erhard   O t t   (Schöneberg): Liebe Genossinnen und Genossen! Die SPD entdeckt die Arbeitnehmer: Die DGB‑Vorsitzende spricht hier auf dem Landesparteitag. Ich kann bisher allerdings nicht feststellen, dass der Ruck durch die Partei geht, sich ernsthaft Arbeitnehmerinteressen zuzuwenden vor dem Hintergrund des sozialen Sprengstoffs, der sich hier in der Stadt insgesamt ansammelt. Jedenfalls stellt mich in diesem Zusammenhang der bisherige Verlauf des Parteitags nicht sonderlich zufrieden.

 

Christiane Bretz hat am Ende ihrer Ausführungen ‑ und dazu möchte ich ein Beispiel konkreter Politik benennen ‑ etwas zu dem Skandal gesagt, dass in einer öffentlichen Ausbildungseinrichtung, nämlich dem Berufsamt Berlin, 600 Ausbildungsplätze zur Zeit frei sind, nicht genutzt werden. Ich sage noch mal: Das ist eine öffentliche Ausbildungsstätte, die dem Land Berlin und da zur Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport gehört. Es ist nicht nur ein Skandal, dass dort 600 qualifizierte Ausbildungsplätze frei sind, sondern der Skandal ist, dass hier beabsichtigt wird, diese Ausbildungsstätte zu privatisieren, in private Trägerschaft zu überführen ‑ an einen sogenannten freien Träger, dessen Mietvertrag von der Siemens AG gekündigt wurde ‑ und damit keine zusätzlichen Ausbildungskapazitäten geschaffen werden, sondern einem sogenannten freien Träger Unterschlupf in einer bisher öffentlichen Ausbildungsstätte gewährt werden soll. Ich denke, dass es notwendig ist, hier die Aufgaben des Landes Berlin ernst zu nehmen, auch qualitativ und quantitativ Ausbildungsangebote zu machen und öffentliche Ausbildungseinrichtungen zu unterhalten ‑ gerade vor dem Hintergrund, dass wir für den Ostteil der Stadt einen immensen Ausbildungsplatzbedarf haben.

 

Ich will aber zum Schluss eine Anmerkung dazu machen, weil ich denke, dass das auch hier auf dem Landesparteitag wichtig ist, es zu wissen. Es ist zwar so, dass die Senatsverwaltung für Schule derzeit von der CDU geführt wird, aber ich stelle fest, dass es Genossen von uns sind, die diese Privatisierung dieser staatlichen Ausbildungseinrichtung eingefädelt haben und betreiben. Ich denke, dass das eine Sache ist, die hier in der Partei auch diskutiert werden muss und dass die Fraktion und die SPD‑Mitglieder im Senat gefordert sind, für die Erhaltung dieser Ausbildungsstätte in öffentlicher Regie einzutreten und dafür zu sorgen, dass das Berufsamt beibehalten wird. ‑ Vielen Dank!

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Damit ist die Aussprache zu Punkt 3 der Tagesordnung abgeschlossen, und wir kommen nun wieder zu

 

Punkt 2 c) der Tagesordnung

Beratung eines Antrags zur Finanz‑ und

Wirtschaftsentwicklung in den sechs neuen

Bundesländern

 

Zum Leitantrag des Landesausschusses und zu den dazu eingegangenen Anträgen hat die Antragskommission vertreten durch Kurt Neumann das Wort.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Liebe Genossinnen und Genossen! Euch liegen die Empfehlungen der Antragskommission vor. Es ist uns angesichts der Kürze der Zeit technisch nicht gelungen, noch mal die Anträge selbst mit einzuarbeiten. Ihr müsst also jeweils zur Hand nehmen sowohl das ursprünglich versandte Antragsbuch als auch die Empfehlungen, die heute hier auf den Tisch gelegt wurden. Das ist aber alles nicht so kompliziert, wie das scheinen mag. Wir haben eine Vielzahl der verschiedenen Anträge aus den Kreisen hier einarbeiten können. Ich denke, dass der Antrag dadurch gewonnen hat. Man kann Klaus‑Peter Kisker natürlich recht geben, dass der Antrag noch besser sein könnte. Aber ich möchte denjenigen danken, die dazu beigetragen haben, dass er besser geworden ist und würde auch denen danken, die noch sagen, er könnte noch besser sein, die aber noch nicht dazu beigetragen haben, dass wir bessere Anträge haben. Dies sei mir vielleicht auch mal als Bemerkung gestattet.

 

Dadurch, dass wir viele Anträge einarbeiten konnten, ist es dazu gekommen, dass viele der einzelnen Anträge für erledigt erklärt werden sollen. Nun haben uns heute noch zusätzliche Änderungsanträge erreicht, die wir auf einer Extraseite eingearbeitet haben als Vorschlag zur Änderung unserer eigenen Empfehlung. Es gab zunächst ein rosa Papier; dieses ist aber überarbeitet worden und hinfällig. Jetzt gibt es ein weißes Papier, überschrieben „LPT 16. 3. 91, Änderungen der Antragskommission zum Leitantrag …“. Dort haben wir verschiedene Dinge mit berücksichtigen können.

 

Den mündlich gestellten und mir hier schriftlich vorliegenden Änderungsantrag zum Abschnitt III von der Genossin Stahmer werden wir dann auch an der entsprechenden Stelle berücksichtigen können.

 

Insgesamt denke ich, dass dieses das Verfahren relativ einfach gestalten lässt. Ich würde von der Antragskommission aus dem Präsidium vorschlagen, dass wir abschnittsweise vorgehen, ich dann sage, welche Änderungen die Antragskommission insgesamt vorschlägt ‑ und weitere Änderungsanträge dann hier gestellt werden können, wenn etwa noch vorhanden ‑, dass wir dann in die Schlussabstimmung eintreten können und danach die anderen Anträge behandelt werden soweit sie zu diesem Gebiet gehören.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir im Präsidium folgen dem Vorschlag der Antragskommission und schlagen euch vor, dass wir im Leitantrag des Landesausschusses abschnittsweise vorgehen.

 

Wir rufen zunächst Abschnitt I auf ‑ das ist der weiße Antrag, der sich in dem Paket „Empfehlungen der Antragskommission“ befindet ‑ und dabei zunächst mal die Seite 1. Gibt es hierzu noch Änderungen, Wortmeldungen? Sonst erst einmal die Antragskommission.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Wir haben auf dem weißen Blatt zunächst den Vorschlag des Genossen Borghorst aufgenommen, den Titel zu ändern. Es soll jetzt heißen: „Nationaler Aufbauplan als Solidarpakt zwischen neuen und alten Bundesländern“. Dieses ist deswegen zweckmäßig, weil nach den Informationen, die wir haben, dieses der Titel auf dem Bundesparteitag sein wird. Da wir entsprechend dazu unseren Antrag verstehen wollen, ist es zweckmäßig, auch bei uns die Überschrift zu harmonisieren. Das ist das, was auf Seite 1 zu verändern ist.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Hierzu gibt es keine Wortmeldungen, dann kommen wir gleich zur Seite 2.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Auf Seite 2 gibt es eine weitere Änderung zu Nummer 4 ‑ ich hatte vorhin dazu gesprochen. Aufgrund eines Treptower Antrags haben wir ergänzt: „Die Schaffung von Arbeitsplätzen ‑ und jetzt neu ‑ ‚und Wohnraum‘ durch Investitionen muss eindeutig Vorrang …“ bekommen. Ich glaube, dass sich das auch aus der Diskussion ergeben hat, dass diese Änderung notwendig und richtig ist.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Hierzu gibt es eine Wortmeldung des Genossen Borghorst.

 

Hermann   B o r g h o r s t   (Neukölln): Ich habe vorhin den Antrag gestellt, dass zur Arbeitsmarkt‑ und Beschäftigungspolitik noch ein Punkt extra aufgenommen wird. Die Antragskommission hat das hier nicht übernommen; ich möchte das deshalb noch mal kurz vortragen, und zwar eingefügt als Nummer 4. Das hier mit aufzunehmen, scheint mir deshalb sinnvoll, weil wir in Nummer 2 von einem öffentlichen Investitionsprogramm sprechen, in Nummer 3 von der Wirtschaftsförderung, und ich meine, in Nummer 4 wäre es dann angebracht, noch mal gezielt die Arbeitsmarkt‑ und Beschäftigungspolitik zu erwähnen. Mein Antrag hat folgenden Wortlaut:

 

4.Ein Programm der aktiven Arbeitsmarkt‑ und Beschäftigungspolitik durch eine deutliche Aufstockung der Finanzmittel für Fortbildung und Umschulung, für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und für regionale Strukturentwicklung.

 

(Vereinzelter Beifall)

 

Dazu gehört auch eine öffentliche Förderung von lokalen und regionalen

 

‑ denn wir reden hier über die neuen Bundesländer insgesamt ‑

 

Qualifizierungs‑ und Beschäftigungsgesellschaften, an denen sich die Unternehmen, Treuhandanstalt, Bundesland, Kommunen und Gewerkschaften beteiligen.

 

Ich möchte auch gerade unter diesem Aspekt noch mal ausdrücklich die Treuhandanstalt erwähnen. Wir haben das vorhin von Christine Bergmann gehört, dass man da zwar mit der Treuhandanstalt gesprochen hat, aber unsere Erfahrung ist, dass das, was an Philosophie verkündet wird, oftmals in großer Diskrepanz zu dem steht, was tatsächlich geschieht. Also, sie müssen auf lokaler und regionaler Ebene in die Verantwortung mit einbezogen werden und auch die Kommunen und die Bundesländer; denn aus Beispielen wissen wir, dass es bei einigen auch ganz gut läuft. Es gibt bereits Beschäftigungs‑ und Förderungsgesellschaften, die müssen in allen Bundesländern jetzt nur endlich in die Gänge kommen und deshalb auch von der SPD in diesem Antrag noch mal dieser Vorschlag.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Ist dies als Ersatz für Nummer 4 oder zusätzlich gedacht?

 

Hermann   B o r g h o r s t   (Neukölln): Nein, ergänzend! Die Antragskommission hat den Text.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Hierzu noch mal die Antragskommission?

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Ich glaube, da gibt es zwischen uns ein Missverständnis, weil das als (neu) 4. formuliert war, so, wie es die Antragskommission erreicht hatte, das heißt, als Ersetzung von Nummer 4, und das konnte keinen Sinn machen. Wenn dies als zwischen 3. und 4. eingeschoben gilt, dann muss man das überlegen, dann ist das teilweise allerdings schon in Nummer 8 enthalten.

 

Nun mache ich mal freihändig einen Vorschlag, wie man da verfahren kann. Ich denke, man sollte die Anregung von Hermann aufnehmen und bei Nummer 8 den letzten Satz streichen, „Insbesondere sind …“, dass man da die Beschäftigungsgesellschaften rausnimmt, damit wir das nicht doppelt drin haben. Hermann stimmt zu! Ich denke, dass das im Sinn des Parteitags ist, dass wir das so harmonisieren, nachdem klargestellt ist, dass das dazwischen und nicht Nummer 4 ersetzen soll.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wird das vom Parteitag so gesehen? ‑ Ich sehe keinen Widerspruch, dann können wir so verfahren. Kurt Neumann, dann zu Nummer 5.

(Klaus‑Peter Kisker: Das geht zu schnell!)

Wir sind manchmal ein bisschen schnell.

 

Klaus‑Peter   K i s k e r   (Zehlendorf): Ich möchte zu Nummer 3 noch mal sagen, wir sollten diesen gesetzlichen Anspruch auf die Investitionszulagen streichen. Das ist ‑ wie wir aus der Geschichte der Berlinförderung wissen ‑ eine sinnlose Verplemperung von Steuer‑ oder von öffentlichen Mitteln, wenn jeder Puff diese Investitionszulage beanspruchen kann. Viel interessanter ist ‑ das haben wir jahrelang auch hier diskutiert ‑ eine Antragsförderung. Da wird entschieden, dass sinnvolle Investitionen wirklich massiv gefördert werden, aber sinnlose Investitionen eben nicht.

 

Deshalb würde ich den gesetzlichen Anspruch und die 25 % hier herausnehmen. Damit machen wir dieselben Fehler, die wir im alten Berlinförderungsgesetz haben. Und auch die Herstellerpräferenz ist einfach ein untaugliches Instrument. Guckt euch doch mal die Unterlagen vom DIW dazu an, die mit Hohn und Spott diese teure und ineffiziente Herstellerpräferenz nun jahrelang wirklich analysiert und bewiesen haben.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hierzu ‑ Wolf Schulgen, danach Walter Momper.

 

Wolf   S c h u l g e n   (Neukölln): Genossinnen und Genossen! Ich glaube, es ist mittlerweile unbestritten, dass die Investitionszulage als Anspruchsförderung eines der am unbürokratischsten und am wirksamsten Mittel ist, die in der gegenwärtigen Situation helfen können.

(Beifall)

Wir sind deshalb auch der Meinung, dass dieser Teil der Anspruchsförderung Bestand haben müsste. Das ist mittlerweile ja auch in dem Sinn anerkannt, dass selbst die Bundesregierung sagt: mindestens diese 12 % auch weiter und daneben eben Steuerabschreibungen.

 

Aber wir sind der Meinung, dass dieses nicht ausreicht. Die Antragsförderung, das komplizierte Verfahren der Regionalförderung haben wir ja darüber hinaus für den Ostteil der Stadt schon. Aber das macht soviel Schwierigkeiten, dass das gerade in der jetzigen Situation nicht das Instrumentarium ist, das einen schnellen und wirksamen Aufschwung bringen kann.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Da Wolf Schulgen das gesagt hat, was Walter Momper auch sagen wollte, zieht er seine Wortmeldung zurück. ‑ Das Wort hat jetzt Kurt Neumann für die Antragskommission.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Wir haben das ausdrücklich natürlich nicht beraten können, aber ich weise doch noch auf eines hin, Pit: Der Unterschied zur Berlinförderung ist doch der, dass hier ein neues Gebiet insgesamt aufgebaut werden muss. Wir sagen doch nicht, dass dieses die Förderungsinstrumentarien sein werden, die auf Dauer hier greifen müssen. Weitere Förderungsinstrumentarien, auch eine Veränderung, sind möglich, aber in dieser Phase sind dies als Anstoßförderungsmaßnahmen die richtigen und notwendig zu beschließenden. Ich bitte also, der Empfehlung der Antragskommission insofern zu folgen und diesen Änderungsantrag nicht aufzunehmen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Die Antragskommission schlägt vor, den Änderungsantrag von Klaus‑Peter Kisker nicht aufzunehmen. Wer der Antragskommission folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Dann ist der Antragskommission so gefolgt. ‑ Kurt Neumann zu Nummer 5.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Zu Nummer 5 ergänzen wir „… und  Länder …“. Es ist klar, wenn man die sozialen Aspekte berücksichtigen will, muss man auch die Interessen aller Gebietskörperschaften berücksichtigen. Außerdem soll zwischen Absatz 2 und 3 eine Formulierung eingeschoben werden, die die Entscheidungsfindung bei der Sanierung, Privatisierung, Stilllegung beinhaltet. Ihr habt dies wieder auf dem weißen Blatt, allerdings mit einem kleinen, aber nicht unwesentlichen Tippfehler. Dort steht, „… sind der Betriebswirt und die jeweils zuständige Gewerkschaft …“. Es ist natürlich der „Betriebsrat“ gemeint, aber in der Eile der Zeit kann das schon mal passieren. Wenn keine weiteren Änderungen sind, bitten wir um Annahme der Nummer 5 in dieser Form.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wird das vom Parteitag so gesehen? Wir sehen keinen Widerspruch, dann ist das so. ‑ Die Antragskommission zu Nummer 6.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag Nr. 6 ist noch einmal kurz überformuliert worden. Klarstellend ist noch reingeschrieben worden, dass natürlich neue Bundesländer und Gemeinden einschließlich Berlin hier gemeint sind, damit die Missverständnisse nicht auftreten können, Berlin sei kein neues Bundesland. Dann ist noch ein Satz zur Solidarität der alten Bundesländer aufgenommen worden ‑ insgesamt eine Abrundung dieses Abschnitts.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Gibt es hierzu Widerspruch aus dem Parteitag? ‑ Das ist nicht der Fall. Dann verweise ich darauf, dass mit der vorhin gefassten Fassung der zusätzlichen Nummer 4 oder 3 a ‑ wie immer man sie zur Zeit nennen will ‑ der letzte Satz von Nummer 8 gestrichen worden ist. ‑ Dann käme jetzt die Antragskommission zu Nummer 9.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Nummer 9 ist aufgenommen worden aufgrund einer Änderungsanregung von Treptow, die die Verwaltungsvorgänge beschleunigt wissen will. Wir haben das aufgenommen. Wir haben auch zusätzlich etwas aufgenommen, was unser Referent am heutigen Vormittag gesagt hat, dass hierzu auch massiver Personaltransfer aus den alten Bundesländern erforderlich ist.

 

Aber die Antragskommission hat einen Punkt hinzugesetzt, den ich für wichtig und politisch unterstreichenswert halte und deshalb hervorhebe:

 

Alle Beschleunigungs‑ und Straffungsvorgänge dürfen nicht dazu führen, dass die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger und dass Umweltschutz und Gesundheitsschutz zurückgestellt werden.

 

Das muss bei aller notwendigen Straffheit aufrechterhalten bleiben.

(Vereinzelter Beifall)

In dieser Form empfehlen wir Annahme.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Gibt es hierzu Widerspruch, Wortmeldungen aus dem Parteitag? ‑ Das ist nicht der Fall.

 

Wir kommen dann zur Seite 3 ‑ immer noch Abschnitt I ‑, hier soll ein neuer Punkt 10 eingefügt werden ‑ laut Antragskommission auf Seite 2 des weißen Papiers.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir wollen an den letzten Absatz anfügen die Formulierung, die von Hermann Borghorst stammt, und zwar vor dem letzten Absatz ‑ es geht jetzt um den (neu) 10. ‑ die Formulierung, „dass anstelle der Erhöhung der Arbeitslosenbeiträge eine allgemeine Arbeitsmarktabgabe gemacht wird.“. Das ist eine alte Forderung, die in dieser Situation wiederum berechtigt ist. Ich bitte, dies entsprechend so verändert aufzunehmen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Dann lasse ich zunächst den Abschnitt I abstimmen. Wer diesem in der jetzt gefundenen Fassung seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ­Stimmenthaltungen? ‑ Dann ist der Abschnitt I so beschlossen.

 

Dann kommen wir zum Abschnitt II.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Vielleicht darf ich das noch erläutern, falls einige das ungewöhnlich finden ‑ insbesondere das mit diesem Ausschuss. Verschiedenste Abteilungen, Kreise der Bezirke Mitte u. a. haben einen Gleichstellungsausschuss für die Ossis, um das mal lax zu sagen, gefordert. Wir in der Antragskommission haben uns überlegt, was soll das eigentlich, was kann das ausrichten und wussten erst nicht, ob wir dem zustimmen. Dann haben wir uns überlegt, es muss wohl so etwas geben, denn die Petitionsausschüsse sowohl hier in Berlin als auch auf Bundesebene werden durch die vielen Probleme, die an sie herangetragen werden, überlastet, so dass es sinnvoll erscheint, hier Sonderausschüsse einzurichten, die dann aber Rechte entsprechend den Petitionsausschüssen haben. Ich glaube, dass das in einer Übergangsphase sehr wichtig ist, und so haben wir das dann in diesen Abschnitt II eingearbeitet.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Gibt es hierzu Wortmeldungen? ‑ Das ist nicht der Fall, dann lasse ich auch über Abschnitt II abstimmen. Wer diesem seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Auch so beschlossen!

 

Dann kommen wir zum Abschnitt III.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Abschnitt III besteht auch aus zwei Gedanken, die in verschiedensten Anträgen enthalten waren. Punkt 1, Angleichung der Lebensverhältnisse, was die Einkommensseite angeht. Hierzu hat Ingrid Stahmer einen Änderungsantrag gestellt, den die Antragskommission sicherlich übernehmen würde, wenn sie noch tagte. Ich lese ihn noch mal kurz vor ‑ ergänzend an Absatz 1 ‑:

 

Im Bereich der sozialen Grundsicherung ist eine Anpassung der alten Bundesländer an die Bedingungen der neuen Länder auf höherem Niveau erforderlich, damit Alte, Arbeitslose und Behinderte in ganz Deutschland nicht nach Auslaufen der Einigungsvertragsregelungen gleich schlecht behandelt werden.

 

Dieses sollten wir so aufnehmen.

 

Der zweite Absatz beinhaltet auch vielfältige Anregungen, eine Aktion zu machen. Häufig war gefordert worden ein Sternmarsch auf Bonn am 1. Mai. Wir hatten gedacht, der 1. Mai ist nicht so besonders geeignet, weil regional die Veranstaltungen Tradition haben und durchgeführt werden, das müsste ein anderer Tag sein. Wir kamen dann auf den 16. Juni, weil das ein arbeitsfreier Tag ist, an dem viele Leute hinkommen können, und als Vorabend des 17. Juni ist es möglich; es könnte aber auch ein beliebiger anderer Tag sein. Wir waren in der Diskussion dann zusätzlich der Auffassung, dass dieses in Berlin und nicht in Bonn stattfinden müsste. Auch wenn man sagen könnte, wir wollen die Regierenden mal besuchen, wird das in Berlin sicher eindrucksvoller zu gestalten sein als in Bonn, wobei klarstellend gesagt werden soll: Das ist ein Antrag an den Bundesparteitag. Das soll nicht der Landesverband Berlin, sondern das soll der Parteivorstand mit Hilfe des Landesverbands Berlin und anderer Landesverbände organisieren. Das ist die Stoßrichtung dieses Änderungsantrags.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Gibt es hierzu Wortmeldungen? ‑ Das ist nicht der Fall, dann lasse ich diesen Abschnitt abstimmen. Wer diesem Abschnitt eine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ­Gegenstimmen? ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Dann auch so beschlossen!

 

Wir kommen zur Gesamtabstimmung dieses Leitantrags mit der neuen Überschrift. Ich bitte alle diejenigen, die diesem Leitantrag ihre Zustimmung geben wollen, um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Bei wenigen Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen so beschlossen ‑ herzlichen Dank!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Aus dem Bereich der Änderungsanträge zum Leitantrag ist etwas von Treptow übriggeblieben. Die Nummer 4.1 von Treptow ist gesondert abgedruckt worden; dort geht es um eine intensive und wirtschaftlich vernünftige Flächennutzung. Das geht sehr in Einzelheiten hier. Ich denke, der Landesparteitag sollte ‑ das werde ich bei vielen anderen Anträgen auch noch sagen ‑ dieses hier nicht im Einzelnen zu beraten und zu beschließen versuchen, sondern diesen Antrag der Abgeordnetenhausfraktion zur weiteren Bearbeitung überweisen. Das ist der Vorschlag der Antragskommission hierzu.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Gibt es hierzu Wortmeldungen? ‑ Das ist nicht der Fall. Wird dem Vorschlag der Antragskommission gefolgt? ‑ Ich sehe keinen Widerspruch, dann wird so verfahren!

 

Kurt   N e u m a n n   : Wir haben dann noch einen Änderungsantrag des Kreises Tiergarten zum Leitantrag Wirtschaft, so ist das jedenfalls überschrieben. Es handelt sich darum, dass auch Berlin zum neuen Bundesland werden soll. Ich denke, dass die Gedanken, die hierdrin stecken, durch den Leitantrag voll abgedeckt sind. Die Antragskommission empfiehlt dementsprechend, Erledigung zu erklären.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Gibt es hierzu Wortmeldungen? ‑ Das ist nicht der Fall. Wer dem Votum der Antragskommission folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Gegenstimmen! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Dann wird so verfahren!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Nun bitte ich euch, die Seite 9 des Empfehlungshefts der Antragskommission aufzuschlagen; dort sind die weiteren Anträge zum Bereich Wirtschafts‑ und Finanzpolitik, die parallel zum Leitantrag eingegangen sind, aufgeführt.

 

Zu Antrag 10/II/91 (Abt. 5, Köpenick), Antragsbuch Seite 13, empfehlen wir Erledigungserklärung wegen Annahme des Leitantrags.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wir sehen keine Wortmeldungen. ‑ Wer dem Vorschlag der Antragskommission folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Dann wird so verfahren!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Das gleiche gilt für Antrag 11/II/91 (Abt. 8, Reinickendorf), Antragsbuch Seite 8, wobei ich ausdrücklich darauf hinweisen möchte, dass viele der Veränderungen des Leitantrags aus diesem Antrag genommen sind, so dass man sagen muss: Hier war eine gute Vorarbeit für diesen Parteitag vorhanden, die sehr nützlich war. Aber trotzdem, weil alles übernommen worden ist, was nicht im Leitantrag drin war, empfehlen wir Erledigungserklärung nach Annahme des veränderten Leitantrags.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Ich sehe hierzu keine Wortmeldungen. ‑ Wer dem Votum der Antragskommission auch hier folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Gegenstimmen? ‑ Stimmenthaltungen sind nicht der Fall, dann können wir so verfahren!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 18/II/91 (Lichtenberg), Antragsbuch Seite 11 ‑ ebenfalls erledigt durch Leitantrag.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wer dem Votum der Antragskommission auch hier folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Mit großer Mehrheit so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Das gleiche gilt für Antrag 22/II/91 (Charlottenburg), Antragsbuch Seite 11.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Auch hier die Frage, ob dem Votum der Antragskommission gefolgt wird. Wer dem folgt, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Mit großer Mehrheit so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Das Präsidium regt an: Wenn das gewünscht wird und bei den einzelnen Antragstellern nicht auf Ablehnung stößt, könnten wir natürlich die ganzen Erledigungen auch auf einmal machen.

(Zurufe: Ja, ja!)

Aber es könnte ja sein, dass der eine oder andere Antragsteller das nicht so sieht, dann muss er ausdrücklich widersprechen.

 

Also, auch Erledigung hinsichtlich der Anträge 30/II/91 bis 45/II/91 sowie des Antrags 49/II/91, ihr habt ja die Liste vor euch liegen. Wer meint, etwas sei nicht erledigt, soll widersprechen.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Präsidium sieht hierzu keine Wortmeldung. Dann lasse ich insgesamt über die Erledigung der Anträge 30, 31, 44, 45 und 49 abstimmen. Wer es so sieht, wie die Antragskommission, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Das war mit großer Mehrheit so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Beim Antrag 46/II/91 (Abt. 4, Mitte), Antragsbuch Seite 16, handelt es sich nur um eine Richtigstellung eines offensichtlichen Schreibfehlers. Im Übrigen ist der Antrag auch erledigt.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Wenn dies so gesehen wird, bitte ich auch in diesem Fall um das zustimmende Votum zur Empfehlung der Antragskommission. ‑ Das ist mit großer Mehrheit so geschehen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 54 (/II/91 (Abt. 2, Mitte), Antragsbuch Seite 17: Dort wird auch dieser Ausschuß gefordert für die Bundes­wie für die Landesebene. Da wir die Forderung für die Bundesebene im Leitantrag haben, ist der Antrag insoweit erledigt. Nicht erledigt ist er hinsichtlich der Landesebene, deshalb haben wir im Antrag formuliert, dass ein entsprechender Ausschuss auch vom Abgeordnetenhaus eingerichtet werden soll. Das ist die Empfehlung der Antragskommission, der ihr, bitte, zustimmen wollt.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Auch hierzu sehe ich keine Wortmeldungen. Wer dem Vorschlag der Antragskommission zustimmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Danke sehr! Die Gegenprobe! ‑ Stimmenthaltungen? ‑ Dann ist das mit großer Mehrheit so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Auch hinsichtlich des Antrags 55/II/91 (Abt. 1, Mitte), Antragsbuch Seite 17, empfehlen wir Erledigungserklärung aufgrund der Annahme des Leitantrags.

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Auch hier sieht das Präsidium keine Wortmeldung. Wer dem Votum der Antragskommission folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Das ist mit großer Mehrheit so beschlossen!

 

Damit haben wir alle Anträge zum Komplex Finanz‑ und Wirtschaftsentwicklung in den sechs neuen Bundesländern abgehandelt.

 

Wir würden jetzt, falls die Stimmzettel fertig sind, den Wahlgang zu

 

Punkt 5 der Tagesordnung

Wahl von Bundesparteitagsdelegierten

und Nominierungen für den Bundesvorstand

 

vorziehen wollen und bitten zunächst um den Bericht der Mandatsprüfungskommission.

 

Jürgen   K o p s c h i n s k i   (Mandatsprüfungskommission): Liebe Genossinnen und Genossen! Die Mandatsprüfungskommission hat folgende Feststellung getroffen: Von 316 gewählten Delegierten waren 236 anwesend, sechs haben nach unseren Unterlagen inzwischen den Parteitag unter Mitnahme des Mitgliedsbuchs wieder verlassen. Es liegen 63 Entschuldigungen vor, und zum jetzigen Zeitpunkt gibt es 17 Delegierte, die nicht entschuldigt sind. Ich werde das mal kreisweise verlesen, damit die Kreise überprüfen können, ob diese Zahlen, die wir hier festgestellt haben, stimmen; denn wir haben doch festgestellt, dass wieder der eine oder die andere sich weder am Empfangsschalter noch, wenn er/sie später gekommen sind, im Tagungsbüro angemeldet haben. Also, vielleicht überprüft ihr das noch mal. Ich möchte vermeiden, hier alle Namen vorzulesen; denn sonst fühlt sich wieder jemand zu Unrecht beschuldigt. Bitte, überprüft das! ‑ Ich fange mal an:

 

Kreis Mitte:     Gesamtzahl  4, anwesend  2, entschuldigt 1, unentschuldigt 1,

Tiergarten:       “         10,  “        8,  “           2,

Wedding:          “         18,  “       14,  “           4,

Friedrichshain:   “          4,  “        4

Prenzlauer Berg:  “          6,  “        5,  “           1,

Kreuzberg:       Gesamtzahl 13, anwesend  8, entschuldigt 4, unentschuldigt 1,

Charlottenburg:   “         21,  “       20,                  “             1,

Spandau:          “         25,  “       20,  “           5,

Wilmersdorf:      “         18,  “        9,  “           7,  “             2,

Zehlendorf:       “         16,  “       11,  “           2,  “             2,?

Schöneberg:       “         17,  “       12,  “           3,  “             2,

Steglitz:         “         23,  “       18   “           4,  “             1,

Tempelhof:        “         20,  “       14,  “           5,  “             1,

Neukölln:         “         33,  “       19,  “          13,  “             1,

Treptow:          “          8,  “        6,  “           2,

Köpenick:         “          7,  “        7,

Lichtenberg:      “          7,  “        6,  “           1,

Weißensee:        “          5,  “        5,

Pankow:           “          9,  “        9,

Reinickendorf:    “         38,  “       27,  “           8,  “             3,

Hohenschönhausen: “          4,  “        3,                  “             1,

Hellerdorf:       “          4,  “        4,

Marzahn:          “          6,  “        5,  “           1.

 

Noch einmal die Gesamtzahlen: Von 316 Delegierten waren 236 anwesend, 63 entschuldigt, nach unseren Unterlagen 17 unentschuldigt, sechs der Anwesenden sind allerdings inzwischen wieder gegangen, so dass 230 stimmberechtigt sein müssten.

 

Es gab 16 Genossinnen und Genossen ohne Mitgliedsbuch, aber wir konnten feststellen, dass sie alle am Einzugsverfahren teilnehmen, so dass wir davon ausgehen, dass die Mandate anzuerkennen sind. ‑ Danke schön!

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Vielen Dank! ‑ Liebe Genossinnen und Genossen! Die Stimmzettel liegen inzwischen vor. Durch eine Änderung der Wahlordnung vom September 1990 werdet ihr dieses Mal keine getrennten Stimmzettel, sondern einen Gesamtstimmzettel, nicht quotiert aufgeschrieben nach Geschlechtern, vorfinden. Insofern wird das Auszählen etwas länger dauern.

 

Wir bitten alle drei Wahlkommissionen, dann nachher zur Auszählung zu gehen, weil das doch etwas länger dauern kann. Ich lese vorsorglich vor, wer in den Wahlkommissionen drin ist. Wahlkommission I: Gerlinde Bernsdorff, Jutta Dietrich, Walter Förster, Andrea Kühnemann, Ingrid Moebius, Manfred Neumann, Manfred Otto und Gerhard Winkler. In der Wahlkommission II: Anja Cent, Harald Chartron, Peter Haase, Sibylle Heberle, Daniel Krüger, Sigrid Knaak, Mechthild Rawert und Gunar Wolff. In der Wahlkommission III: Lutz Außerfeld, Werner Mallon, Manfred Neuhaus, Hannelore Rath‑Kohl, Constanze Röder, Horst Schier und Joachim Schulz.

 

Wir bitten die Kreise gegebenenfalls, falls angesichts der hohen Fehlzahl der eine oder andere nicht da ist, dann einen entsprechenden Vertreter in die Wahlkommissionen zu entsenden.

 

Wir haben insgesamt 23 Kandidaten. Wir sind uns im Präsidium einig, dass diese Kandidaten aus den vorangegangenen zahlreichen Wahlgängen auf den letzten Parteitagen in der Regel alle bekannt sein müssten. Wird dennoch die Personalvorstellung und auch Aussprache zur Person gewünscht?

(Zurufe: Nein, nein!)

Das ist nicht der Fall; dann bitte ich, die Stimmzettel zu verteilen. Noch nicht ausfüllen, ich sage gleich etwas dazu.

(Austeilen der Stimmzettel)

Während die Stimmzettel noch ausgeteilt werden, bittet Walter Momper um das Wort.

 

Walter   M o m p e r   : Liebe Genossinnen und Genossen! Ich will hier niemand schelten, aber es ist wohl eben durch die Unaufmerksamkeit, und zwar die allgemeine im Saal gekommen, dass es keine Vorstellung der Kandidaten gibt. Ich kann nur sagen, ich kenne die allermeisten, aber ich glaube nicht, dass jeder im Saal sie kennt. Ich habe auch das Gefühl, dass wir noch ein bißchen Bedarf an gegenseitigem Kennenlernen haben.

(Vereinzelter Beifall)

Deshalb bitte ich darum, dass die Kandidaten, und zwar alle, sich doch vorstellen. Ich glaube, das nutzt uns.

(Zurufe: Nein, nein!)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Präsidium ist sich einig. Wir hatten hier beschlossen ‑ bitte, da müssen auch alle aufmerksam sein ‑, dass es keine Vorstellung und keine Aussprache gibt.

(Vereinzelter Beifall)

Augenblick! ‑ Wir haben aber, um beidem gerecht zu werden, gesagt, okay, wenn es an der einen oder anderen Stelle den einen oder anderen gibt, der jemand nicht kennt, dann erlauben wir hier eine kurze Aussprache. Jeder stellt sich aber nur ganz kurz vor.

(Zurufe: Nein, nein!)

Das Präsidium ist sich insoweit einig! Wir wollen ja auch keinem Kandidaten ein Unrecht antun, dass er möglicherweise dadurch, dass er nicht bekannt ist, nicht gewählt wird.

 

Wir fangen an: Als erster stellt sich Wolfgang Behrendt vor.

 

Wolfgang   B e h r e n d t   (Spandau): Genossinnen und Genossen! Ich bin Vorsitzender des Kreises Spandau, bin seit 1959 Mitglied der Partei in den verschiedensten Funktionen, bin im Abgeordnetenhaus in den Bereichen Bau‑ und Wohnungswesen und Umweltschutz tätig, Sprecher der Fraktion für den Umweltbereich. Mir liegt besonders daran, dass wir uns bei der Umstrukturierung in den neuen Bundesländern auch dafür einsetzen, dass der Umweltschutz nicht unter die Räder kommt und dass wir insbesondere auch im Bereich des Umweltschutzes neue Arbeitsplätze schaffen. ‑ Danke schön!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Als nächster stellt sich Klaus‑Uwe Benneter vor.

 

Klaus‑Uwe   B e n n e t e r   (Zehlendorf): Ich bin 44 Jahre alt und von Beruf Rechtsanwalt und Notar. Diese Tätigkeit ruht derzeit, weil ich Bezirksstadtrat für Gesundheit und Umweltschutz in Zehlendorf bin. Ich wohne in Steinstücken; meine Grundstücksgrenze ist gleichzeitig die Grenze zwischen Berlin und Brandenburg, und ich sage meinen Nachbarn sowohl in Brandenburg als auch in Zehlendorf bei den vielen Schwierigkeiten, die wir hier sehen, immer wieder, dass wir darüber nicht den Mut verlieren sollten, dass alles zu einer sozial gerechten Sache tatsächlich zusammenwachsen kann. ‑ Danke schön!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Als nächste ‑ Christine Bergmann. Gleichzeitig möchte ich noch mal an das Rauchverbot in diesem Raum erinnern!

(Beifall)

 

Christine   B e r g m a n n   (Hellersdorf): Ich bin 51 Jahre, verheiratet, habe zwei erwachsene Kinder. Ich komme aus Hellersdorf, bin seit Ende 1989 in der SPD. Im Mai wurde ich in die Stadtverordnetenversammlung gewählt, war da erst Vorsteherin, dann, als wir die Verfassung hatten, Präsidentin und bin seit Ende Januar Bürgermeisterin und Senatorin für Arbeit und Frauen. Ich freue mich über dieses Ressort, weil es uns ermöglicht, Frauenpolitik wirklich als Querschnittspolitik zu begreifen und auch in enger Verzahnung mit der Arbeitmarktpolitik zu sehen.

 

Ich habe noch etwas vergessen: Ich war heute früh bei der Bundeskonferenz der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger. Sie haben mich gebeten, euch herzlich zu grüßen.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Willi‑Fred Boheim.

 

Willi‑Fred   B o h e i m   (Treptow): Ich bin 49 Jahre, verheiratet, habe drei Kinder, seit Dezember 1989 in der SPD, bis September Kreisvorsitzender in Treptow, jetzt stellvertretender Kreisvorsitzender.

 

Ich bin in der Ost‑Berliner Industrie tätig und dort Ingenieur.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Manfred Breitenkamp.

 

Manfred   B r e i t e n k a m p   (Charlottenburg): Ich bin seit 20 Jahren Mitglied der Charlottenburger SPD. Die Charlottenburger haben mich nominiert, weil sie der Auffassung sind, dass ich in den Fragen Energiepolitik, Verkehr, Umweltschutz aufgrund meiner jahrelangen Tätigkeit als Vorsitzender des Arbeitskreises Umweltschutz und aufgrund meiner 15jährigen beruflichen Tätigkeit im Umweltbereich etwas einbringen kann; ich sehe das auch so.

 

Darüber hinaus denke ich, dass ich zu denjenigen gehöre, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit seit fast zwei Jahren, durch tägliche Arbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Ostteil und dem Westteil der Stadt, eine gewisse Lebenserfahrung in diesem Bereich aufweisen können, was sicherlich auch für eine politische Beratung von Bedeutung sein kann. Deshalb bitte ich um euer Vertrauen. ‑ Danke schön!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Marianne Brinckmeier.

 

Marianne   B r i n c k m e i e r   (Neukölln): Ich bin 50 Jahre alt. Ich hatte bereits das Vergnügen, mich diesem Parteitag vorzustellen, als ihr mich zur stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt habt. Insofern wisst ihr: Das eine Standbein von mir ist der Landesverband, und das andere Standbein mit Regionalbezug ist die stellvertretende Kreisvorsitzende von Neukölln. Beruflich bin ich Abgeordnete und stellvertretende Präsidentin des Abgeordnetenhauses.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Manfred Dennert.

 

Manfred   D e n n e r t   (Prenzlauer Berg): Ich bin 51 Jahre alt, von Beruf Mathematik‑ und Physiklehrer, verheiratet, habe eine 24jährige Tochter.

 

Ich bin seit Juni vergangenen Jahres Bürgermeister des Stadtbezirks Prenzlauer Berg, habe vorher 20 Jahre an der Humboldt‑Universität Mathematiklehrer ausgebildet, dort auch eine mathematische Promotion geschrieben, bin seit 1960, also schon vor dem Mauerbau, SPD‑Mitglied gewesen und hoffe, dass ich ‑ speziell auf dem Gebiet der Kommunalpolitik, wenn ihr mich wählen würdet ‑ dort auf dem Bundesparteitag fundiert insbesondere die Probleme der Ost‑Berliner Stadtbezirke einbringen könnte.

 

Walter Momper hat uns vorhin gefragt, ob wir nicht eventuell die Bewerbung hier zurückziehen. Ich fühle mich insofern in der Pflicht, als mich die Genossen des Prenzlauer Bergs auf der Delegiertenkonferenz für diese Kandidatur hier benannt haben. ‑ Danke schön!

(Beifall)

 

Christina   E i s n e r   (Friedrichshain): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich bin eine geborene Berlinerin und komme aus dem Stadtbezirk Friedrichshain. Ich habe von Oktober 89 an in der SDP gearbeitet, wollte nicht in eine Partei eintreten; im Dezember 1989 bin ich doch in die SPD eingetreten. Aufgrund der äußeren Bedingungen blieb einem eigentlich nichts weiter übrig, als sich zu bekennen. Seit Januar 1990 bin ich im Kreisvorstand der SPD Friedrichshain und bin seit Dezember 1990 die Kreisvorsitzende.

 

Ich fühle mich dafür verantwortlich, dass wir uns gegenseitig akzeptieren lernen ‑ West und Ost. Alte SPD‑Genossen, die nach 1961 bei uns wohnen geblieben sind, sind zum Glück noch da; denn auch sie sind meine Stützen, mit denen ich sehr gern zusammenarbeite und auf ihren Erfahrungen aufbaue. Wir brauchen aber im Kreis einen arbeitsfähigen Kreisverband. Deshalb bitte ich euch, mir eure Stimme zu geben, so, wie unserer Gerlinde Schermer, die sich bei euch auch das erste Mal vorgestellt hatte und in den Landesvorstand gewählt wurde. Ich also bin Christina Eisner aus dem Stadtbezirk Friedrichshain und möchte gern mit der Basis zusammenarbeiten, nicht nur in Friedrichshain, sondern in allen Berliner Stadtbezirken.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Ingrid Holzhüter.

 

Ingrid   H o l z h ü t e r   (Tempelhof): Ich denke, die meisten werden mich kennen, deshalb kann ich es auch kurzhalten. Ich bin 1936 geboren, arbeite im Einzelhandel, bin Mitglied im Abgeordnetenhaus und im Landesvorstand, bin frauenpolitische Sprecherin und Leiterin der Gleichstellungsstelle der SPD‑Fraktion im Abgeordnetenhaus. Ich arbeite auch im Hauptausschuss mit.

 

Mein Schwerpunkt sind die Frauen, und die Frauen sind in allen Bereichen betroffen. Um deren Sicht auch deutlich zu machen und zu verbreitern und mich für sie als Sprachrohr zu betätigen, bitte ich euch, mich zu wählen.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Monika Kitzing, Köpenick.

 

Monika   K i t z i n g   (Köpenick): Ich bin 50 Jahre alt, politisch seit einem Jahr aktiv, aber sehr unbequem; deshalb möchte ich eigentlich an dieser Stelle einmal etwas sagen. Diese Ungleichheit, die wir überall zu verzeichnen haben, möchte ich insofern mal kommentieren, dass von Köpenick sich ja zwei um diese Kandidatur beworben hatten. Da es so aussieht, dass wir sowieso keine Chance haben, muss ich gerechterweise sagen: Ich bin Vorsitzende im Gleichstellungsausschuss. Und da ich das hier einmal ganz klar darstellen möchte, möchte ich von meiner Kandidatur zurücktreten; denn, wenn ein Herr Maucher keine Chance hat, warum soll ich als Frau mich in den Vordergrund drängen? Das sind wir vorher nicht gewöhnt gewesen, und ich sehe es weiter so.

(Vereinzelter Beifall ‑ Zurufe: Buh, buh!)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Thomas Krüger.

 

Thomas   K r ü g e r   (Lichtenberg): Ich bin 31 Jahre alt. Ich habe mich schon mal vor den Wahlen zum stellenvertretenden Landesvorsitzenden vorgestellt; ein solcher bin ich seit September letzten Jahres. Derzeit bin ich Senator für Jugend und Familie.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Ursula Leyk.

 

Ursula   L e y k   (Steglitz): Ich bin seit 1989 im Abgeordnetenhaus, bin Mitglied des Präsidiums des Abgeordnetenhauses, außerdem im Schulabschluss und habe in den letzten anderthalb, zwei Jahren sehr viel mehr im Ostteil unserer Stadt und in der Umgebung gearbeitet als im Westteil, weil es da viel nötiger ist. Ich denke, dass dieser Bereich auch auf dem Bundesparteitag entsprechend mit repräsentiert werden sollte. Ich bin Mitglied des Landesvorstands. Familiär: 48 Jahre alt, drei Kinder, verheiratet; Mitglied der SPD seit 1961.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Harald Lüderitz.

 

Harald   L ü d e r i t z   (Pankow): Ich bin 47 Jahre alt, verheiratet, habe zwei Kinder. Ich bin Diplom‑Ingenieur für Fördertechnik und Stahlbau, bin im Dezember 1989 der SPD beigetreten, war vorher in keiner anderen Partei, bin als Spitzenkandidat der Pankower SPD zum Bürgermeisterkandidaten nominiert und am 31. Mai vergangenen Jahres zum Bezirksbürgermeister von Pankow gewählt worden.

 

Ich bin im Rat der Bürgermeister im Olympiaausschuss und im Ausschuss für Jugend und Sport und engagiere mich damit nicht nur für die Probleme des Ostteils Berlins, sondern für ganz Berlin. Ich möchte ihnen noch sagen, dass ich im Lenkungsausschuss zur Vereinheitlichung der Verwaltung Gesamtberlins eine aktive Arbeit aufgenommen habe, um damit der gesamten Stadt zu dienen.

 

Ich möchte von einer letzten Sache berichten: Ich möchte die Kollegen ‑ und da hat sich ja heute der Vorsitzende des Präsidiums des Landtages von Sachsen gemeldet, unser Genosse Kunckel ‑ aus Sachsen zu uns einladen, die im kommunalpolitischen Bereich von uns aus dem Ost‑ und Westteil Hilfe brauchen. Ich glaube, dass wir ‑ im Sinne der Hauptstadt‑ und Regierungsfunktion Berlins, die wir anstreben ‑ damit auch einen Beitrag für die Stadt Berlin, für den Ostteil Deutschlands und für unsere Region leisten können. ‑ Ich bitte um euer Votum.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Der nächste Kandidat ist Jürgen Lüdtke, der aus beruflichen Gründen nicht in Berlin weilt. Er war jahrelang Baustadtrat im Wedding, ist Mitglied des Abgeordnetenhauses und dort im Hauptausschuss tätig. ‑ Es folgt Irmi Meier‑Nieraad.

 

Irmi   M e i e r ‑ N i e r a a d   (Schöneberg): Ich bin seit 14 Jahren Mitglied der Schöneberger SPD und seit einem knappen Jahr dort Kreisvorsitzende.

 

Mein Schwerpunkt liegt im Bereich der Wirtschafts‑ und Sozialpolitik. Ich versuche zum Beispiel zur Zeit in Schöneberg, mehr Interesse für die Situation der behinderten Menschen in dieser Stadt zu wecken. Das ist einer meiner Schwerpunkte. Ich halte das für besonders wichtig gerade jetzt in der augenblicklichen Situation, in der die Kosten der Vereinigung doch sehr stark auf die schwachen Schultern abgewälzt werden.

 

Ich bin außerdem Mitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte und der GEW, bin dort auch, soweit es meine Zeit noch zuläßt, aktiv.

 

Beruflich ist zu sagen, dass ich seit September bei der LAB beschäftigt bin. Und zu meinen Familienverhältnissen: Ich habe eine sehr große Familie mit drei schon relativ erwachsenen Kindern.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Der nächste ist Helios Mendiburu. Hier ist uns mitgeteilt worden, dass der Genosse Mendiburu ‑ er ist der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain ‑ vorhin wegen seiner starken Erkältung von seinen Genossen nach Hause geschickt wurde. Wir bitten, dies entsprechend zu berücksichtigen. ‑ Als nächster, Kurt Neumann.

 

Kurt   N e u m a n n   (Steglitz): Ich bin 45 Jahre alt, verheiratet, habe eine Tochter, bin seit 25 Jahren Mitglied der Steglitzer SPD, bin im Landesvorstand, und ich möchte, wenn ihr mich zum Bundesparteitagsdelegierten wählt, gern in der Antragskommission auf Bundesebene mitarbeiten. Das wird bitter nötig sein und ist nicht ganz einfach, wenn Johannes Rau wieder den Vorsitz führt.

(Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Anne‑Kathrin Pauk.

 

Anne‑Kathrin   P a u k   (Marzahn): Ich bin 24 Jahre alt. Ich bin Mitglied des Landesvorstands in der Berliner SPD, und ich muss etwas sagen, das mir etwas bitter aufgestoßen ist, was im Vorfeld dieser Kandidaturen heute passiert ist. Ich habe mich sehr geärgert, dass sogar aus meinem eigenen Kreis solche Anwürfe gekommen sind, dass ich mich dort nicht ausreichend engagiere. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall ‑ deshalb kränkt mich dieser Vorwurf auch nicht ‑, das können auch eine ganze Reihe von Leuten dort bestätigen. Aber ich kann sagen, dass ich mich über die mangelnde Offenheit, die solchen Anwürfen zugrunde liegt, so geärgert habe, dass ich meine Kandidatur nun nicht zurückziehe.

(Heiterkeit und Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Doris Schneider.

 

  1. N. (Reinickendorf): Ich bin nicht Doris Schneider, aber da sie heute erkrankt ist, spreche ich für sie. Doris Schneider ist seit 20 Jahren Mitglied der SPD, seit zehn Jahren stellvertretende Kreisvorsitzende im größten Kreis, in Reinickendorf. Nach der üblichen Zeit in der BVV wurde sie 1985 in das Abgeordnetenhaus gewählt und ist dort schulpolitische Sprecherin. Ich bitte euch sehr herzlich, Doris Schneider eure Stimme zu geben. ‑ Danke!

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Monica Schümer‑Strucksberg.

 

Monica   S c h ü m e r ‑ S t r u c k s b e r g   (Wilmersdorf): Ich bin 51 Jahre alt, seit 25 Jahren in dieser Partei, seit fünf Jahren erst so richtig aktiv; davor war ich berufstätig und habe drei Kinder großgezogen, die nun groß genug sind.

(Vereinzelter Beifall)

Ich bin Vorsitzende in Wilmersdorf. Beruflich bin ich Stadtbezirksbeauftragte von Wolfgang Nagel, um die Kooperation zwischen der Hauptverwaltung und den Ostbezirken im Bereich Bauwesen etwas voranzutreiben; wir haben da ja eine Menge nachzuholen. ‑ Danke schön!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Peter Seitz.

 

Peter   S e i t z   (Pankow): Ich bin seit einem Jahr in der Partei. Ich habe da den klassischen Weg durchlaufen: Ich war Abteilungsvorsitzender in Buch, bin dann später stellvertretender und jetzt Kreisvorsitzender in Pankow. Ich bin im Abgeordnetenhaus; dort bin ich in den Ausschüssen Wissenschaft und Gesundheit, im Gesundheitsausschuss bin ich der Vorsitzende.

 

Als ‑ ich glaube es war im Mai vorigen Jahres ‑ die Ost‑Berliner Partei tagte, habe ich mich für die Einheit der Partei eingesetzt. Wenn ich auch mit dem Ergebnis, was sich heute eingestellt hat, nicht ganz zufrieden sein kann, so bin ich doch der Meinung, dass politische Probleme, die wir innerparteilich oder in der Öffentlichkeit haben, gemeinsam in einer Partei bewegt und gelöst werden müssen und dass wir uns nicht ständig in Ost‑ und West‑Fraktionen zerteilen dürfen. Diesen Standpunkt vertrete ich auch in der Fraktion.

 

Sollte ich Delegierter zum Bundesparteitag werden, dann würde ich mich dort auch gern für Berlin einsetzen. Es gilt, auch einige Werbung für Berlin zu betreiben. ‑ Schönen Dank!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Dietrich Stobbe.

 

Dietrich   S t o b b e   (Reinickendorf): Ich bin 52 Jahre alt, seit 1960 in der SPD und für die Berliner SPD in verschiedenen Funktionen tätig. Zuletzt war ich Bundestagsabgeordneter und habe mich damals hier auch bereits vorgestellt.

 

Ich möchte Bundesparteitagsdelegierter werden ‑ erstens ‑ , weil ich glaube, dass die SPD in Bremen das Jahr 1990 noch einmal aufarbeiten muss. Es ist einiges schiefgegangen in den Grundaussagen der Partei, wie ich meine. Wir werden die Zukunft nur meistern können, wenn wir uns darüber im Klaren sind, wie wir die ganze Sache grundsätzlich sehen. Die Diskussion ist noch fällig. Es kann nicht dabei bleiben, wie Willy Brandt und Oskar Lafontaine die Grundzüge ‑ etwas unterschiedlicher Art ‑ damals auf dem Berliner Parteitag hier im ICC skizziert hatten.

 

Zweitens möchte ich gern nach Bremen, weil ich glaube, dass wir über den Begriff der Solidarität auch noch einmal nachdenken müssen. Die Vereinigung der Deutschen begann mit großen Worten über die Hilfe. Heute wissen wir, dass soziale Gerechtigkeit in Deutschland erkämpft werden muss. Ich glaube, dass der Berliner Landesverband dabei im Zusammenwirken mit den Landesverbänden der anderen Bundesländer wirklich eine Vorreiterrolle übernehmen muss. Und, ich will es hier auch offen sagen, ich glaube, dass dabei auch eine Auseinandersetzung mit Teilen der eigenen Partei in Westdeutschland geführt werden muss.

(Vereinzelter Beifall)

Zum dritten glaube ich, dass dies besonders deutlich gemacht werden kann an der Diskussion über den Parlaments‑ und Regierungssitz. Ich ziehe es nach wie vor vor, zunächst das Parlament zu nennen und dann die Regierung. Dabei glaube ich, dass Berlin verweisen muss auf die Entwicklung, die die deutsche Demokratie nehmen soll, auf die gesamteuropäischen Aufgaben, die Deutschland wahrnehmen muss und dass wir auch Berlin als Beispiel für eine positive Aufarbeitung der deutschen Geschichte nehmen müssen. Es kann nicht angehen, dass sich die Berliner ‑ und auch nicht die Berliner Sozialdemokraten ‑ eine Diskussion gefallen lassen, bei der Berlin letzten Endes als das Übel in der deutschen Geschichte dargestellt wird, während der Kampf um die Demokratie, den es in Berlin auch gegeben hat, einfach unter den Tisch gekehrt wird.

(Beifall)

Insofern glaube ich, dass die Berliner Sozialdemokraten ‑ und ich möchte meinen Beitrag dazu leisten ‑ einiges mit der Gesamtpartei auf diesem Bremer Parteitag zu besprechen haben. ‑ Danke!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Das Wort hat Utta Stötzer.

 

Utta   S t ö t z e r   (Hohenschönhausen): Ich bin 51 Jahre alt, verheiratet, habe zwei Kinder. Ich bin seit 1989 Mitglied der Partei, stellvertretende Kreisvorsitzende in Hohenschönhausen. Ich war Mitglied der Stadtverordnetenversammlung, bin jetzt Mitglied des Abgeordnetenhauses, arbeite dort im Hauptausschuss, im Ausschuss für Bau‑ und Wohnungswesen, bin Mitglied des Fraktionvorstands, und ich will mich besonders einsetzen für die Probleme im zusammenwachsenden Berlin und ganz besondere Probleme ‑ Bauen, Wohnen, Mieten, was auch mein Spezialgebiet ist. ‑ Danke!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Die Kandidatin Monika Kitzing, Köpenick, hat ihre Kandidatur zurückgezogen.

 

Die Köpenicker haben dem Präsidium mitgeteilt, dass sie, als wir aufgerufen haben, gesagt hätten und auch der Kandidat Karl‑Georg Maucher es gesagt hätte, dass er kandidiert. Hier im Präsidium ist es gegenteilig angekommen, und zwar bei allen, die mitgeschrieben haben.

 

Wir sind uns allerdings im Präsidium durchaus bewusst, dass ‑ bei dieser Unruhe und bei der teilweise auch undisziplinierten Art, wie dann zwischendurch mal Ja und Nein, auch von unterschiedlichen Seiten, wo die Delegierten der jeweiligen Kreise gar nicht saßen, gerufen wurde ‑ dies durchaus ein Fehler gewesen sein kann.

 

Wir schlagen euch daher vor ‑ ‑

(Unruhe ‑ Zuruf)

‑ Das kann man leider nicht sagen, da von allen Seiten unterschiedlich mal Ja und Nein gesagt wurde. ‑ Wir schlagen euch daher nach Beratung im Präsidium vor, dass wir den Namen Kitzing streichen und dass wir auf den Stimmzettel handschriftlich Karl‑Georg Maucher raufschreiben. Ob wir ihn ganz nach unten oder dazwischen setzen, ist in der Tat ganz egal, er muss aber draufstehen.

(Widerspruch und Unruhe)

Wenn wir uns darüber einig sind, dass wir das nicht als einen Verstoß im Alphabet ansehen, dann können wir ihn, bitte sehr, auch runtersetzen; nur, er muss auf dem Stimmzettel draufstehen! Wir müssen uns das Leben ja nicht noch schwerer machen, wenn hier schon ansonsten alles heute nicht so besonders gut organisiert abläuft. Ich bitte daher, auf den Stimmzettel zu schreiben, unten runter oder, wer es mit guter Schrift dazwischen kriegt, auch dazwischen ‑ ‑

(Widerspruch und Unruhe)

Also: einheitlich unten runter! Das ist nachher auch für die Wahlkommission leichter zu zählen ‑ danke, Mechthild.

(Heiterkeit und Beifall)

Karl‑Georg Maucher, Köpenick ‑ und jetzt kann er sich auch noch vorstellen.

 

Karl‑Georg   M a u c h e r   (Köpenick): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich möchte das nicht verlängern. Ich möchte mich kurz vorstellen: Ich komme aus Köpenick, ich bin 1989 in die SDP eingetreten, gehöre ab 1990 dem Kreisvorstand Köpenick an und vertrete diesen im Landesausschuss.

 

Ich möchte, wenn ich von euch das Vertrauen erhalte, mich vor allen Dingen dafür einsetzen, dass die Probleme des Ostens auf wirtschaftlicher Seite, auf seiten der Fragen der Behandlung der Treuhand auch auf diesem Parteitag durchgesetzt werden.

 

Ich fühle mich dort als Sozialdemokrat und nicht nur als Vertreter Köpenicks, sondern als Vertreter Berlins. ‑ Danke!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Dann gibt es, nachdem die Vorstellung erfolgt ist, eine Wortmeldung zur Aussprache ‑ Michael Frank, Steglitz.

 

Michael   F r a n k   (Steglitz): Genossinnen und Genossen! Ich habe mich zur Aussprache gemeldet, weil mich ein Vorfall innerlich so erregt hat, dass ich es für nötig erachte, es hier auch mitzuteilen. Ich werde aus dem Nähkästchen plaudern

(Zurufe: Oh, oh! ‑ Heiterkeit ‑ Vereinzelter Beifall)

und dieses mit einem Appell verbinden.

 

Ich habe vorhin an der Sitzung des Geschäftsführenden Landesvorstands mit den Kreisvorsitzenden teilgenommen ‑ wir haben euch immerhin eine Stunde eurer kostbaren Zeit geraubt ‑. Walter hat sich dort bemüht, die Zahl der Kandidaten so zu reduzieren, dass wir hier zum einen einen verkürzten Wahlvorgang haben und zum anderen aber auch vor allen Dingen niemand beschädigt wird. Ich habe das auch so verstanden.

 

Dann hieß es, es soll bei den 15 eine Aufteilung geben: 11 für den Westen, vier für den Osten. Auch das habe ich verstanden. Das kann man kritisieren, aber man muss ja irgendwo etwas klarmachen ‑ habe ich verstanden.

 

Es gibt im Westbereich ‑ für diese 11 Posten, da war, glaube ich, Einigkeit ‑ sieben Linke und fünf Rechte ‑ das ist auch klar ‑, macht 12, bleibt einer übrig. Das ist eine Kampfabstimmung, das müssen wir ausfechten.

 

Aber es ist nicht gelungen, was Walter versucht hat, für die vier ‑ sozusagen reservierten ‑ Ostplätze auch nur vier oder fünf Kandidaten zu finden. Es gibt nun mittlerweile 11, glaube ich. Das ist nicht Walter anzulasten, das haben wir vorhin gehört.

 

Eines finde ich ganz schlimm, und das ist unehrlich. Wenn wir sagen, wir möchten keinen beschädigen ‑ und das war, glaube ich, Konsens in der Runde ‑, dann kann ich nicht verstehen, dass hier auf dem Parteitag Zettel mit Listen kursieren ‑ das haben wir immer schon gehabt. Eine Delegierte bringt einen Zettel von Charlottenburg nach Tempelhof, um zu zeigen, wo es langgeht. Das haben wir immer gehabt, das kritisiere ich nicht, man muss ja manchmal auch nachhelfen. Der Zettel besagt: Sieben Plätze für links ‑ das ist auch klar, das sollen sie machen, ich würde auch erst mal meine fünf Freunde wählen ‑, aber dann kommen nur noch zwei Namen von Ostdelegierten, nämlich Pauk und Krüger. Ich halte das für eine Unehrlichkeit, zu sagen, wir wollen niemand beschädigen und dann nur zwei Namen aufzuschreiben     (Starker Beifall)

und damit klarzumachen, dass man nicht bereit ist, wenigstens die vier Genossinnen und Genossen im ersten Wahlgang durchzubringen und niemand zu beschädigen. Das ist unehrlich, und ich fordere hiermit alle Tempelhofer auf, diesen Rat aus Charlottenburg nicht anzunehmen und eure Stimmenzahl auszukosten, damit wenigstens die Ostler hier nicht beschädigt werden. ‑ Ich danke euch!

(Starker Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es liegt eine weitere Wortmeldung vor ­Ingrid Holzhüter, Tempelhof.

 

Ingrid   H o l z h ü t e r   (Tempelhof): Genossinnen und Genossen! Ich muss euch wirklich sagen, jetzt reicht es mir nämlich langsam selbst, und ihr werdet mich jetzt wahrscheinlich so erleben, wie ihr mich heute den ganzen Tag schon vermisst habt.

(Beifall)

Also, wenn hier mit solchen Dingen umgegangen wird, dann nennt man entweder überhaupt keine Bezirke oder man macht sich richtig kundig. Dass ich ein Tempelhofer bin, weiß ich seit meinem 11. Lebensjahr, aber ich habe keinen Zettel gesehen, um das mal sehr, sehr deutlich hier zu sagen. Wenn man das jetzt an einem Bezirk abstimmig macht, dann ist das wirklich eine Ehrabschneidung und die möchte ich zurückweisen.

 

Wir in Tempelhof bemühen uns in Gänze, den Ostkolleginnen und ‑kollegen wirklich gerecht zu werden. Uns hier zu unterstellen, dass wir diese Absprache insoweit unterlaufen, das finde ich unerhört, und das weise ich zurück!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Bernd   S c h i m m l e r   : Es liegen keine weiteren Wortmeldungen zur Aussprache vor. ‑ Ich darf jetzt um Aufmerksamkeit bitten für den Eintritt in den Wahlgang. Liebe Genossinnen und Genossen, ich darf darum bitten, jetzt mal aufmerksam zu sein, damit wir nicht in endlose Wahlgänge eintreten müssen. Euch liegt ein Stimmzettel mit den Namen aller Kandidaten vor. ‑ Darf ich mal jetzt um Ruhe bitten, auch den Fraktionsvorsitzenden, damit alle hier in Ruhe zuhören können. ‑ Ich darf weiterhin um Aufmerksamkeit bitten. Wir hatten in letzter Zeit immer getrennte Stimmzettel. Wir hatten inzwischen eine Änderung des § 8 der Wahlordnung. Nunmehr können wir ‑ und das verlagert die Arbeit vom Delegierten zunächst mal auf die Wahlkommissionen ‑ mit einem Stimmzettel arbeiten. Das ändert nichts daran, dass die Grundlagen des Status und der Wahlordnung aufrechterhalten bleiben, die die Quotierung betreffen.

 

Das heißt: Euch liegt ein Stimmzettel mit 23 Namen vor. 15 Bundesparteitagsdelegierte können gewählt werden. Das heißt, ihr dürft höchstens 15 ankreuzen. Das Präsidium weist aber darauf hin, dass ‑ da die Statutenregelung über die Quotierung weiterhin in Kraft ist ‑ es sinnvoll und richtig wäre, wenn auch bei der einzelnen Stimmabgabe sozusagen die alten Stimmzettelverhältnisse im Kopf sind und jeder bei seiner Stimmabgabe mit an die Quotierung denkt, da nachher bei der Auszählung ‑ bei der Berechnung der einzelnen dann zu benennenden Bundesparteitagsdelegierten ‑ auch eine Rolle spielt, welches der Geschlechter dann schon die entsprechende Anzahl der Stimmen erreicht hat.

 

Ich bitte also, auch bei der Abstimmung jetzt sicherzustellen, dass jeder daran denkt, wie er früher mit unterschiedlichen Stimmzetteln abgestimmt hat ‑ da, wo es darum ging, zunächst die Frauen, dann die Männer auf einem extra Stimmzettel zu wählen ‑ und hier bei seiner Stimmabgabe ‑ er darf höchstens 15 ankreuzen ‑ auch an die Quotierung zu denken.

(Unruhe ‑ Zuruf)

Ich will es noch mal konkret sagen: Es müssen mindestens 40 % von jedem Geschlecht angekreuzt sein ‑ so, wie es früher auch war ‑ , und der Rest würde dann ‑ so, wie es früher auch war ‑ sozusagen in freier Wildbahn erfolgen. Das bitte ich, auch bei der jeweiligen Stimmabgabe zu berücksichtigen. 40 % wären immer sechs ‑ um das an der Stelle mal zu sagen ‑, die in jedem Fall gewählt werden müssen, höchstens 15. Es müssen nach den Regeln für die Listenwahl mindestens acht auf dem Stimmzettel angekreuzt sein. Also, noch mal zusammengefasst: mindestens acht ankreuzen, höchstens 15, und dabei die Quotierung bedenken, das heißt, nachher bei der Auszählung müssen es mindestens 40 % sein. Wenn wir das zufälligerweise erreichen können, würden wir die Anzahl der weiteren Wahlgänge erheblich reduzieren. Ich bitte, nunmehr mit dem Ausfüllen zu beginnen.

 

Ich bitte, dann schon langsam mit dem Einsammeln zu beginnen.

(Einsammeln der Stimmzettel)

Die Wahlkommissionen I bis III treffen sich dann in dem gegenüberliegenden Saal, in dem vorhin der GLV und der Landesausschuss tagten.

 

Sind alle Stimmzettel eingesammelt? Dann ist der Wahlgang geschlossen! Ich bitte, die Wahlurnen zur Wahlkommission zu bringen und mit dem Auszählen zu beginnen.

 

Wir kommen dann zu

 

Punkt 4 a) der Tagesordnung

Beratung eines Antrags über Grundzüge einer neuen

Friedensordnung im Nahen Osten

 

Das Wort hat Kurt Neumann.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich denke, das Thema betrifft uns zwar nicht so unmittelbar wie das, was wir vorher diskutiert haben, aber mittelbar und insgesamt ist es von ungeheurer Bedeutung, was wir hier zu diskutieren und worüber wir uns eine Meinung zu bilden haben.

 

In der Vorbereitung dieses Parteitags haben diejenigen, die aufgrund des Auftrags des Landesausschusses diesen Antrag zu machen hatten, Schwierigkeiten, überhaupt einen Antrag zu formulieren. Zunächst herrschte eine gewisse Sprachlosigkeit, weil zum Zeitpunkt, als wir uns an die Arbeit machten, die Waffen noch nicht schwiegen, noch gekämpft wurde, noch Menschen durch Bomben und andere gewaltsame Auseinandersetzungen getötet, noch Häuser und Infrastruktureinrichtungen zerstört wurden.

 

In dieser Situation einen politischen Antrag zu schreiben, ist schwierig. Aber wir dachten, die Sozialdemokratie muss zu diesem Thema etwas zu sagen haben, sie darf nicht in den Chor derer einfallen, die sagen, wir müssen nur mit Militär dorthin gehen, sonst können wir nicht mitreden. Nein, wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten müssen mitreden, über unsere Partei und über die Sozialistische Internationale, damit die Waffen schweigen. Das ist der Ausgangspunkt.

(Vereinzelter Beifall)

Das zweite: Wenn wir über Frieden am Golf zu diskutieren haben, wissen wir natürlich, dass wir nicht bevormunden dürfen. Dennoch geht es nicht an, dass wir zu bestimmten Problemen nichts sagen, sondern wir müssen uns unsere Meinung bilden. Es reicht nicht aus, zu sagen, dass der Irak aus Kuwait abziehen muss ‑ was richtig und notwendig ist ‑, weil das eine UNO‑Resolution ist und anderen UNO‑Resolutionen, die im Bereich von Nahost Geltung haben, nicht Realität verschaffen zu wollen. Darüber hinaus: Wir sind mittelbar betroffen ‑  ökologisch, finanziell und wirtschaftlich und auch durch die Anforderung, dass von seiten der Bundeswehr Kräfte zur Verfügung gestellt werden, für welchen Einsatz auch immer. Deshalb können wir uns nicht um die Fragestellung herumdrücken, deshalb müssen wir politische Aussagen treffen.

 

Dabei ‑ angesichts derer, die nicht hier sind, fällt das sehr schwer, die Anwesenden will ich ja nicht beschimpfen ‑ haben wir uns bemüht, die politischen Probleme so anzugehen und den Antrag so zu formulieren, dass die Partei möglichst einheitlich eine Position tragen kann. Das heißt, in den Formulierungen haben wir nicht immer die schärfste Zuspitzung gewählt, sondern wir haben versucht, eine breite Basis von Kompromissen zu finden, ohne beliebig, ohne schwammig werden, ohne Allerweltskompromisse zu machen. Auf dieser Grundlage bitte ich, den Leitantrag zu sehen, wie er vom Landesausschuss gebilligt und später von der Antragskommission weiterentwickelt wurde.

 

Laßt mich zu den einzelnen Abschnitten einige Worte sagen. Ich denke, dass wir zur Frage der Entwicklung am Golf klare Aussagen dahin gehend machen müssen, dass die Unverletzlichkeit der faktisch bestehenden Grenzen und das Selbstbestimmungsrecht der dort lebenden Völker gewährleistet werden müssen. Wie das im einzelnen auszugestalten sein wird, wird insbesondere von den Verhandlungen der Betroffenen abhängen. Auf einen schwierigen Punkt will ich vorab hinweisen, das ist die Frage Jerusalems. Wir hatten ja die Grundsatzaussage getroffen, dass, den Resolutionen der UNO folgend, die besetzten Gebiete durch Israel herauszugeben seien. Wir dachten, dass aber hinsichtlich Israels möglicherweise durch Verhandlungen der Betroffenen eine andere Regelung möglich sein müsse und haben dann geschrieben, wir könnten uns vorstellen, dass das eine offene Friedensstadt wird. Das ist in der Antragskommission mehrheitlich verändert worden. Dort ist gesagt worden, es soll eine israelische Stadt sein, die offen ist für Diskussion und Dialog über die Religionsgrenzen hinweg.

 

Wir haben dann deutlich gemacht, dass die Waffen abzurüsten sind, dass die fremden Truppen aus dem arabischen Bereich herauszugehen haben. Mit Deutlichkeit haben wir gesagt: Die Abrüstung muss mit dem Punkt beginnen, dass die Mittelstreckenraketen Iraks wegkommen. Das muss der allererste Punkt sein. Im Übrigen aber kann es nicht Ziel sein, Sicherheit dort dadurch zu schaffen, dass die Anti‑Irak‑Koalition die Länder im einzelnen aufrüstet. Syrien, Ägypten, auch Israel und Saudi Arabien haben jetzt schon eine Waffenanhäufung, die nur vergleichbar ist mit der in Europa. Hier muss insgesamt abgerüstet werden, und zwar ganz intensiv im Sinn einer strukturellen Angriffsunfähigkeit, wenn Frieden geschaffen werden soll.

 

Wir brauchen darüber hinaus, auch aufgrund der Erfahrungen in Europa, so etwas wie Absprachen zur Sicherheit und Zusammenarbeit ‑ mit kulturellem Austausch, mit der Sicherung der Menschenrechte und mit wirtschaftlichen Aufbauplänen. Und hierbei muss die EG, muss die Bundesrepublik Deutschland entscheidend ‑ auch wirtschaftlich ‑ mithelfen. Was wir ablehnen, ist die Scheck‑Diplomatie eines Herrn Genscher, der rumfährt, um etwa Assad aus Syrien, der sich auch nur durch Brutalität und Aggressivität ausgezeichnet hat, noch mit großen Summen zu bedenken.

(Vereinzelter Beifall)

Die Konflikte im Bereich Nahost sind keine hausgemachten, jedenfalls nicht nur. Viel hängt von der Weltsituation ab, viel hängt auch von der NATO und den Interessen der Westmächte ab. Deshalb haben wir gefordert, dass angesichts der Erfahrungen, die wir gemacht haben, innerhalb der UNO Veränderungen notwendig sind ‑ Demokratisierungsprozesse können wir das nennen ‑, dass im Sicherheitsrat die Gewichte anders verteilt werden müssen, dass die Länder des Südens dort größeren Einfluss bekommen ‑ nicht nur durch mehr Stimmen, sondern auch durch eine Neuverteilung des Vetos. Auf dieser Grundlage kann dann die UNO stärker als bisher eine friedensstiftende Rolle spielen.

 

Aber wir haben auch gemerkt ‑ durch die Verlagerung von Bundeswehrtruppen in die Türkei, durch die Diskussion über den Bündnisfall ‑, dass hier etwas Entscheidendes geändert werden muss. Es ist doch ein Aberwitz, dass die Organisation der Warschauer Vertragsstaaten aufgelöst wird, und wir denken nicht darüber nach, wie wir die NATO überflüssig machen.

(Vereinzelter Beifall)

Unser Grundsatzprogramm fordert Sicherheit in Europa, Überflüssigmachung der Bündnissysteme, das heißt auch, Überflüssigmachung der NATO. Jetzt, wo die NATO ihre Funktion in Europa verloren hat, kann es doch wohl nicht wahr sein, dass die NATO Hilfssheriff bei Einsätzen in Nord‑Süd‑Richtung wird. Das kann nicht Perspektive einer NATO sein, in der wir Mitglied sein wollen.

(Vereinzelter Beifall)

Zum Schluss: Wir müssen für uns persönlich Konsequenzen ziehen. Einmal müssen wir die Konsequenz ziehen, dass wir Nein sagen zu Kriegssteuern. Ich finde es unerhört, dass für die deutsche Einheit keine Gelder vorhanden waren, dass dort Steuererhöhungen überhaupt nicht in Betracht kamen, aber der Krieg im Golf macht es möglich, dass wir finanziell stärker belastet werden sollen. Ich halte das für untragbar; hierzu müssen wir klar unsere Meinung sagen!

(Beifall)

Der Punkt, der am ‑ ‑

 

Präs. Ursula   L e y k   : Kurt, ich bitte dich, zum Schluss zu kommen. Wir haben dir, weil du anfangs Antragskommissionsbericht gemacht hast, jetzt schon vier Minuten zugegeben.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Ich komme zu Schluss. ‑ Das erleichtert dann den Bericht der Antragskommission. ‑ Wir haben hineingeschrieben ‑ sehr vorsichtig formuliert, und ich bitte, darüber noch mal nachzudenken ‑, dass wir Einsätze der nationalen Streitmacht Bundeswehr ablehnen, dass wir uns aber vorstellen können, dass Teile der Bundeswehr aus der nationalen Verfügungshoheit herausgelöst und der UNO unterstellt werden und dann Einsätze auch in anderen Ländern stattfinden können. Hierzu bedarf es nach meiner Auffassung überhaupt keiner Änderung des Grundgesetzes, das ist durch Artikel 24 des Grundgesetzes voll abgedeckt. Das ist die Forderung. Wer verhindern will, dass nationale Armeen mit oder ohne Segen der UNO tätig werden wie jetzt im Irak und Kuwait, der muss dafür sorgen, dass die UNO Weltinnenpolitik machen kann, der muss dafür sorgen, dass die UNO eigene Streitkräfte, eigene Möglichkeiten der Intervention hat, wo es denn mit friedlichen Mitteln nicht mehr geht. Über diesen Punkt werden wir streiten!

 

Der letzte Abschnitt in diesem Leitantrag bezieht sich auch auf die Friedensbewegung. Ich denke, dass wir mit diesem Leitantrag und den Änderungen, die wir heute noch zu beraten haben, eine Aussage machen, mit der wir uns in der Friedensbewegung dieser Stadt und in der Bevölkerung insgesamt sehen lassen können, eine Aussage auch, mit der wir auf dem Bundesparteitag bestehen und einen gewichtigen Beitrag zur Diskussion der Bundespartei leisten können. ‑ Ich danke euch!

(Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Als nächste hat Dagmar Luuk das Wort. Ich bitte, daran zu denken, dass die Redezeit fünf Minuten beträgt. Ich habe dem Kurt lediglich mehr Redezeit gegeben, weil der Bericht der Antragskommission mit eingeflochten war.

 

Dagmar   L u u k   (Steglitz): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich meine, dass es sehr hoffnungsvoll ist, dass in dem Antrag darauf verwiesen wird, dass, wenn wir die Politik als eine Weltinnenpolitik begreifen, natürlich eine Stärkung der UNO‑Organisation ins Auge gefasst werden muss. Das bedeutet natürlich auch, dass wir Einfluss und Kritik bei einer Neuformierung auch der Wirkungsweise der UNO nur haben können, wenn wir uns selbst einbringen und auch nicht kategorisch ausschließen, dass wir kriegerische Aktionen mit unterstützen, die zur Wiederherstellung der internationalen Sicherheit notwendig sind. Nur, wenn wir diese Verantwortung mit übernehmen, haben wir auch die Möglichkeit, gehört zu werden und mitzusprechen.

 

Ich denke, dass man darauf verweisen muss, dass es sich bei diesem Konflikt unter anderem auch um einen zwischen Nord und Süd handelt und dass man, wenn man längerfristig einen stabilen Frieden in dieser Region etablieren will, darauf achten muss, dass die zugrunde liegenden Konflikte, die diese Gesellschaften kennzeichnen, mit angepackt werden. Das heißt, es muss eine gerechtere Verteilung der Einkommen aus der Ölförderung erreicht werden, und es muss auch erreicht werden ‑ das ist ganz wichtig ‑, dass ein gerechter und gleicher Zugang zu dem Wasserreservoir in dieser Region für alle Anlieger garantiert wird.

 

Vor allen Dingen muss darauf verwiesen werden, dass es sich in dieser ganzen Nahost‑Region um Nicht‑Demokratien handelt, um Regimes handelt, die die Menschenrechte nicht achten und die Partizipation, Opposition, Freiheit der Meinungsäußerung nicht gewährleisten ‑ mit Ausnahme von Israel. Was immer wir auch an Kritik gegenüber einzelnen Politikfeldern in Israel haben, Israel ist eine Demokratie! ‑ Und bei aller Einschränkung, die ich persönlich anbringen möchte in dem Feld von Menschenrechten, gibt es in der Türkei einen Ansatz, der demokratisch genannt werden muss. Dieses wollen wir doch weiterhin unterstützen. ‑ Deshalb müssen wir uns noch mal ins Gedächtnis rufen, dass außer dem menschenverachtenden Diktator Saddam Hussein auch die umliegenden Länder nicht demokratisch verfasst sind. Hier muss es zu Änderungen kommen, wenn wir überhaupt an eine dauerhafte Friedensregelung denken können. Denn Sozialdemokraten können sich ja wohl nicht vorstellen, mit Diktatoren Frieden zu vereinbaren.

 

Ich kritisiere an dem Antrag, wie er uns vorliegt, dass hier von Fakten gesprochen wird, die noch nicht festgelegt sind. Das heißt, dass wir davon sprechen, dass die faktischen Grenzen zu berücksichtigen sind. Niemand weiß ‑ und Karl‑Heinz Niedermeyer hat mit mir Orientexperten dazu gehört ‑, was eigentlich die garantierten oder faktischen Grenzen sind. An diesem Antrag ist auch zu kritisieren, dass wir deutschen Sozialdemokraten wieder einmal nicht davor zurückschrecken, auch Konzepte einzubringen, die sehr detailliert und ausgefeilt sind.

 

Ich glaube, dass in der Sozialistischen Internationale ‑ und da sind ja nicht nur Oppositionsparteien vertreten, sondern auch eine große Zahl von sozialdemokratischen Regierungen ‑ der richtige Weg beschritten worden ist. In der letzten Woche hat die Sozialistische Internationale in Sidney getagt und einen Beschluss dazu gefasst ‑ das ist drei Tage her ‑, den ich hier in der Hand habe und der wesentlich genereller dazu Stellung nimmt, indem er vor allen Dingen ausführt, dass die von der UNO vorgeschlagenen und durchgeführten Maßnahmen richtig waren und dass sie auch mit der Solidarität der Sozialistischen Internationale so durchgeführt wurden. Ich meine, dass wir den mahnenden Worten, die Willy Brandt gesagt hat, dass wir deutschen Sozialdemokraten in der Sozialistischen Internationale in der absoluten Minderheit waren ‑ ‑ Wenn wir dort weiter gehört werden wollen, dann dürfen wir uns nicht verabschieden aus der Solidarität der westlichen ‑ ich sage das jetzt mal mit aller Fragestellung und in Anführungsstrichen, aber auch mit Überzeugung ‑ Wertegemeinschaft, müssen wir dazu beitragen, einen Dialog in Gang zu bringen.

 

Einer der Vorschläge, die ich hier unterstützen möchte, ist, auch einen Dialog mit dem Islam zu beginnen; denn so, wie man christlich‑jüdische Zusammenarbeit hat lernen müssen, so müssen wir vielleicht auch die christlich‑mohammedanische Zusammenarbeit lernen. Das ist für uns Berliner, die wir viele Moslems in unserer Stadt haben, glaube ich, darüber hinaus eine Aufgabe.

 

Ich möchte aber vor allen Dingen eines wiederholen ‑ auch wenn jetzt hier gemahnt wird, dass ich zum Schluss komme ‑, ich möchte sagen, dass wir keine speziellen Festlegungen in diesen Antrag hinschreiben dürfen, sondern wir wollen eine Konferenz erst am Ende eines Prozesses einführen, der geprägt ist von friedensstiftenden und vertrauensbildenden Maßnahmen. Erst, wenn alle miteinander reden, kann man sich kennenlernen. Und analog dem Verfahren, was wir im Rahmen der KSZE in Europa erlebt haben, wollen wir das auch in dem mittleren Osten auf den Weg bringen. Die Sozialistische Internationale ist die einzige Organisation,

(Glocke des Präsidiums)

in der sich Araber und Juden noch treffen und miteinander reden.

 

Darüber hinaus muss es so etwas wie einen Marshallplan geben, und da unterstütze ich Kurt Neumann: Es ist allemal sinnvoller, für die Entwicklung dieser Länder Geld zu geben, als sich an Kriegskosten zu beteiligen. Aber garantiert werden muss ein friedliches Nebeneinander von Israelis und Palästinensern.

 

Wir sollten uns aber zurücknehmen und diesen Prozess begleiten und müssen vorsichtig sein mit speziellen Handlungsanweisungen, die wir aus unserer Situation denen dort in der Region geben.

 

Ein letztes Wort,

(Präs. Ursula Leyk: Dagmar, ich muss dich wirklich bitten,

zum Schluss zu kommen!)

weil ich mich jahrelang darum gekümmert habe: Es muss, wenn es um Menschenrechtsrespektierung geht, auch darum gehen, dass wir die Opfer dann zur Kenntnis nehmen, wenn es uns nicht in den Kram passt. Denn als vor zwei Jahren Halacha war, und durch Giftgas die Menschen dort umgekommen sind, da war hier kein Protest. Erst wenn irgendwo andere dabei, zum Beispiel die Amerikaner, angegriffen werden können, dann findet ein Aufschrei in diesem Zusammenhang statt, und das wird den Opfern nicht gerecht.

(Vereinzelter Beifall)

Ich denke, dass wir da die gleichen moralischen Maßstäbe in der Zukunft, was die Selbstbestimmung im kulturellen Bereich und die Menschenwürde dieser Menschen, die auch unterdrückt sind, angeht, durchhalten können. ‑ Ich danke euch!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Genossinnen und Genossen! Ich möchte euch daran erinnern, dass wir eine Redezeitbegrenzung von fünf Minuten beschlossen haben. Ich bitte alle Rednerinnen und Redner, diese wirklich auch einzuhalten. ‑ Als nächster hat Hartmut Wiedemann das Wort.

 

Hartmut   W i e d e m a n n   (Reinickendorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Insgesamt kann ich dem Leitantrag des Landesausschusses durchaus zustimmen. Ich glaube, dass die wesentlichen Intentionen auch dieser Partei dort eingefangen sind. Ich möchte aber auf einen Punkt hinweisen, bevor ich, leider, hier weg muss ‑ ich hatte gehofft, es ginge schneller, und wir kämen eher zu der Aussprache zu diesem Thema ‑.

 

Auf Seite 5, IV. Abschnitt, Nummer 1, dreht es sich um das Selbstbestimmungsrecht der Völker und um die unveränderlichen Grenzen, dass die bestehenden Grenzen akzeptiert werden müssen. ‑ So weit, so gut! Es wird dann aber in dem übernächsten Absatz gesagt, dass für die Palästinenser ein eigener Staat geschaffen werden soll. Ich frage mich: Wie soll das geschehen, ohne Veränderung der Grenzen? Ist da Jordanien mit gemeint?

 

Oder ‑ es geht weiter, und das finde ich nun allerdings wirklich bedenklich ‑ auf der Seite 6 oben ‑ und da möchte ich euch herzlich bitten, nachher noch mal sehr genau darüber nachzudenken ‑, da wird gesagt, dass das kurdische Volk in den Grenzen der Staaten Irak, Syrien, Iran und der Türkei zu verbleiben hat. ‑ So kann man erst formulieren, wenn es dort steht. Wenn ich dieses in Kontext zum Selbstbestimmungsrecht stelle, dann frage ich mich natürlich: Was maßen wir uns als SPD‑Berlin an? ‑ Wir maßen uns an, den Kurden vorzuschreiben, dass sie in voller Selbstbestimmung für ihr Volk, freiwillig, in den Grenzen dieser vier Länder verbleiben. Und das kann doch wohl nicht ganz Sache sein. (Vereinzelter Beifall)

Ich möchte euch also herzlich bitten, nachher darüber noch einmal nachzudenken.

 

Wenn wir von Selbstbestimmung reden, dann müssen wir im Grunde genommen bei diesem Antrag ändernd dahin gehend einwirken, dass wir noch keinerlei Grenzziehungen in diesem Papier vornehmen. Selbstbestimmung der betroffenen Völker heißt letzten Endes, dass die ‑ und das klang ja eben auch schon an ‑ in einem, ja, Selbstbestimmungsprozess darüber erst einmal befinden müssen, wie sie denn leben wollen. Es kann doch wohl nicht so sein, dass die Ergebnisse des Ersten Weltkriegs, die zu irgendwelchen willkürlichen Grenzziehungen geführt haben, hier von uns festgeschrieben werden. Das empfinde ich als Anmaßung und bitte, an dieser Stelle eine Änderung vorzunehmen. ‑ Vielen Dank!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wenn du jetzt einen Änderungsantrag hast, müsstest du ihn, bitte, Kurt Neumann geben. ‑ Das Wort hat Heike Ließfeld.

 

Heike   L i e ß f e l d   (Spandau): Ich möchte mich bei meiner Rede auf den UNO‑Aspekt beschränken. Wenn man nach dem 2. August die UNO‑Sicherheitsrat‑Resolutionen verfolgt hat, dann weiß man auch, welche Reisetätigkeit stattgefunden hat, um die letzte Resolution durch den Weltsicherheitsrat zu bringen.

 

Klar ist, dass eine UNO‑Vollversammlung diese Resolution nie beschlossen hätte. Deshalb ist es für mich unabdingbare Voraussetzung für jegliche Beteiligung der Bundeswehr an UNO‑Aktionen und nicht, wie es hier drin formuliert ist, dass das unsere Forderung ist. Das soll heißen: Bundeswehr an Blauhelm‑Missionen für mich nur dann, wenn die UNO demokratisiert wird und das Vetorecht der Großen, nämlich der USA, der Franzosen und der Sowjetunion, eingeschränkt bzw. aufgehoben wird.

(Vereinzelter Beifall)

Ich finde, wir haben in der Bundesrepublik ‑ alt und neu ‑ überhaupt keine Diskussion darüber geführt, wie wir unsere Rolle innerhalb dieses Weltinnensystems begreifen. Wir haben unsere nationale Einheit gegen sehr viele Bestrebungen auch von außen, die die nationale Einheit auch gleich unter dem weltpolitischen und dem militärischen Anspruch der Bundesrepublik gesehen haben, gewonnen.

 

Nach Eintritt in den Golfkrieg sind wir beschimpft worden, dass wir uns eben nicht beteiligen. Aber es ist meiner Ansicht nach notwendig, dass wir auch innerhalb dieser Partei sehr intensiv darüber diskutieren: Was sind wir Deutschen eigentlich? Sind wir nur ein Teil von Europa? Sind wir als Nation ein Teil in Europa? Oder: Was sind unsere Interessen in der Welt insgesamt? Denn die wirtschaftspolitische Stärke der Bundesrepublik Deutschland kann auch sehr leicht dazu führen, dass wir im Konzert der nördlichen Industrienationen auch weiterhin zum Unterdrücker der unterentwickelten Länder werden. ‑ Danke!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Als nächster ‑ Andre Wilksch.

 

Andre   W i l k s c h   (Neukölln): Liebe Genossinnen und Genossen! Wenn die UNO zu einem Instrument gewaltfreier Weltinnenpolitik werden soll, dann muss sie Kompetenzen und Möglichkeiten haben, im Sinne der Charta der Vereinten Nationen Einfluss zu nehmen. Diesem Anspruch ist die UNO im Golfkonflikt gerecht geworden. Sie hat zwischen August und November 1990 zwölf Resolutionen verabschiedet, in denen die irakische Regierung immer wieder zum sofortigen Rückzug aus Kuwait aufgefordert worden ist. Des weiteren haben andere supranationale Organisationen wie die Arabische Liga, die Europäische Gemeinschaft ebenso wie die UNO bis zur letzten Minute versucht, eine militärische Auseinandersetzung zu verhindern. Niemand kann sagen, dass der Politik keine Chance eingeräumt worden ist. Wenn jemand der Politik keine Chance gegeben hat, dann war das einzig und allein der irakische Diktator Saddam Hussein, der mit seiner Politik dem Völkerrecht brüsk ins Gesicht geschlagen hat.

 

Wir müssen endlich das Denken des Kalten Krieges aus unseren Köpfen verbannen. Zum ersten Mal seit 1945 haben USA und Sowjetunion direkt an einem Strang gezogen, und 30 Nationen haben sich direkt daran beteiligt, dass dem Völkerrecht Geltung verschafft worden ist. Diesen Nationen, die im Sinn der UNO tätig wurden, gilt daher unser besonderer Dank. Sie haben den Weg freigemacht, dass es zu einer umfassenden und dauerhaften Friedenslösung im Nahen und mittleren Osten kommen kann. Den Vorschlägen von Präsident Mitterand und den Bemühungen des amerikanischen Außenministers Baker sollten wir unsere Unterstützung zuteil werden lassen.

 

Wenn wir den Krieg als Instrument der Konfliktlösung verbannen wollen, dann darf es einerseits keine Rüstungsexporte mehr geben, und andererseits muss die Weltgemeinschaft die Möglichkeit haben, auf potentielle Aggressoren entsprechend zu reagieren. Hier hat auch die Bundesrepublik Deutschland in Zukunft eine besondere Verantwortung zu tragen. Wenn wir Frieden in der Welt haben wollen, dann müssen wir die Realitäten anerkennen, dann haben auch wir unseren Beitrag zu leisten und dürfen uns nicht der Verantwortung entziehen. Je mehr Nationen einen Beitrag zur Stärkung der UNO leisten, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit eines Krieges, und das Ziel einer gewaltfreien Weltinnenpolitik rückt in greifbare Nähe. Zwar ist dieses Ziel im Leitantrag des Landesausschusses deutlich zu erkennen, aber der dafür vorgeschlagene Weg lässt an einigen Stellen die dazu notwendige Realität vermissen. Deshalb möchte ich dem Antrag in der vorliegenden Form nicht meine Zustimmung geben.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Das Wort hat Bettina Michalski.

 

Bettina   M i c h a l s k i   (Kreuzberg): Ich wollte eigentlich nichts mehr zur Entwicklung dieses Krieges sagen, aber der Vorredner provoziert mich doch zumindest zu einer Bemerkung. Man sollte, wenn man die friedenspolitische Rolle des Herrn Baker würdigt, vielleicht auch die Rolle der amerikanischen Diplomatie im Vorfeld würdigen, die, um nur ein Beispiel zu nennen, dem Irak bedeutet hatte, so in der Richtung: Also, ganz Kuwait besetzen, ist nicht drin, aber so ‑ Klammer auf ‑ einen Teil, könnte man ja überlegen, das ist vielleicht noch akzeptabel für uns. ‑ Also, da sind auch viele Sachen gelaufen, die nun wirklich mit friedensfördernden Maßnahmen nicht in Einklang zu bringen sind.

(Beifall)

Hinzu kommt, dass der Krieg eben dann angefangen hat, als die Embargo‑Maßnahmen zu wirken begannen. Auch das entbehrt einer gewissen Logik, muss ich sagen. Ich stimme der Genossin Heide Wiczorek‑Zeul zu, die diesen Krieg als verbrecherisch bezeichnet.

(Vereinzelter Beifall)

Zu diesem Antrag: Er hebt sich wohltuend von dem ab, was man ansonsten, zum Beispiel im „Vorwärts“, zu lesen bekommt. Ich habe mit wirklichem Erschrecken im letzten „Vorwärts“ die Position von Norbert Gansel zur Kenntnis nehmen müssen. Ich kann ihm da nur sagen: Deutschland als Symbol für Verweigerung, zum Beispiel für Waffenexporte ‑ ein deutliches Ja! ‑ Vielleicht könnte man ihm das übermitteln.

 

Zu meinen Änderungsanträgen, die euch auf grünem Papier vorliegen: Die erste Änderung ist gleich auf der ersten Seite des Antrags. Ich habe die Streichung des ersten Absatzes von Abschnitt II. beantragt, weil dort einige Formulierungen sind, die ich schon ein bisschen seltsam finde. Dieser Absatz muss nicht unbedingt drin sein, glaube ich. Das tut dem Antrag nicht weh, wenn er nicht drin ist, deshalb könnte man ihn auch streichen. Zum Beispiel eine Formulierung wie „Der Krieg hat … Zerstörung … gebracht … „: Wer hat denn Krieg gemacht, wo kam der Krieg denn her? Der Krieg an sich ist ja nicht irgendein Handeln, sondern da haben Menschen gehandelt, und Krieg wird von Menschen gemacht. Solche Formulierungen sollten wir gerade angesichts dieser Sache nicht mehr verwenden.

 

Ersatzweise ‑ für den Fall, dass der Antrag nicht durchkommt ‑ habe ich Änderung des Satzes „Wir haben aber nach wie vor Zweifel, ob …“ das vermeidbar war …‑ ‑ Ich will wirklich weder mit Militärs noch mit euch streiten, ob oder in welchem Maß das nun vermeidbar war, das finde ich wirklich müßig. Worin wir uns aber einig sein sollten, ist doch wohl, dass wir so etwas vermeiden müssen. In diesem Anspruch sind wir uns hoffentlich einig, und dann sollten wir diesen gemeinsamen Anspruch auch verabschieden.

 

Zum zweiten eine Änderung, die nicht auf meinem Papier sein konnte, weil das erst in der geänderten Fassung ist. Hier beantrage ich die Wiederherstellung der alten Fassung, was den Punkt Jerusalem angeht. Die Genossin Luuk hat eben sehr eindrucksvoll begründet, warum es nicht sinnvoll ist, Festlegungen vorzunehmen. Ich denke, die Festlegung von Jerusalem als israelische Stadt könnte möglicherweise Lösungen blockieren. Wenn es dann am Ende als Verhandlungsergebnis von allen akzeptiert rauskommt, ist das ja okay. Aber das von uns aus als Anspruch, schon, ja, als unabdingbar hinzustellen, halte ich für schwierig.

(Vereinzelter Beifall)

Die nächste Änderung ist auf Seite 6, betrifft Nummer 3. Da habe ich beantragt, das „irakischen“ zu streichen, weil ich der Meinung bin, dass alle Mittelstreckenraketen in diesem Raum umgehend abgebaut werden sollen, weil es mir, ehrlich gesagt, egal ist, welcher Nationalität die Mittelstreckenraketen sind, die irgendwelche anderen Menschen treffen können. Da bin ich einfach prinzipiell der Auffassung, Mittelstreckenraketen, die auch Athen oder so erreichen können ‑ das reicht, glaube ich, nicht ganz, aber die Westtürkei oder Ostgriechenland ‑, müssen nicht sein.

 

Die nächste Änderung ist auf der gleichen Seite in Nummer 4, zweiter Absatz. Da erstaunt mich das Vertrauen der Antragskommission oder auch des Antragstellers in die NATO als Abrüstungsinstanz. Da habe ich in den letzten Jahren grundsätzlich andere Erfahrungen gemacht. Deshalb da meine Formulierung, die eben sagt, europäische Abrüstungsprozesse, im Ergebnis: NATO, auch überflüssig. ‑ Also, eine Umstellung.

 

Der nächste Änderungsantrag zur Seite 7 ‑ mal gucken, nein, da komme ich jetzt im Moment nicht klar.

 

Die Änderungsanträge 5 und 6 von mir beziehen sich auf den Abschnitt VII, Nummer 2 ‑ ich ziehe sie zurück. Ich will mich nicht in den Streit der Juristen hier einmischen ‑ das ist offenbar eine sehr schwierige Materie ‑, die sich nicht ganz einig sind, was durch das Grundgesetz nun abgedeckt wäre oder nicht. Ich ziehe das zurück zugunsten des Antrags von Kreuzberg, der auch noch begründet wird.

 

Ich begrüße, dass die Antragskommission den letzten Änderungsantrag von mir übernommen hat, weil im Antrag zur Kontrolle der Rüstungsexporte nichts drin stand.

 

Ansonsten lade ich diejenigen Genossinnen und Genossen unter euch, die interessiert sind, die doch sehr komplizierte Materie einmal ein bisschen intensiver zu beleuchten, zu einem Seminar ‑ wahrscheinlich Anfang Mai ‑ ein. Wer daran interessiert ist, könnte sich dann bei mir melden.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Als nächster hat Hermann Borghorst das Wort.

 

Hermann   B o r g h o r s t   (Neukölln): Liebe Genossinnen und Genossen! Meine Vorrednerin hat schon gesagt, dass es sehr viele schwierige und komplizierte Fragen und Problemaspekte in diesem Antrag gibt. Ich habe mit verschiedenen Delegierten gesprochen, und es gibt viele Punkte, die unverständlich oder auch nicht hinreichend besprochen und beraten sind. Ich plädiere deshalb dafür ‑ das sage ich schon mal vorweg ‑, dass dieser Antrag dem Landesvorstand überwiesen wird

(Vereinzelter Beifall)

mit der Bitte, dass der zuständige Fachausschuss und die Arbeitskreise „Europa“ und „Nord‑Süd“ gemeinsam eine Fachkonferenz zu diesem Thema durchführen.

(Vereinzelter Beifall)

Denn ‑ ich sage das mal auch etwas pointiert ‑ aus den Gesprächen ist mir deutlich geworden, dass viele Delegierte sich überfordert fühlen, zu einigen konkreten Punkten klar Position zu beziehen. Ich will einige Punkte erwähnen, die mir besonders am Herzen liegen.

 

Ich glaube, in eine solche Resolution müsste eine viel deutlichere Verurteilung des Diktators Saddam Hussein rein,

(Beifall)

der Mord, Folter und Vertreibung betrieben hat. Und das muss auch sehr konkret in einem solchen Antrag formuliert werden.

 

Mir machen einige Anträge Sorge, vor allen Dingen auch der Antrag aus Kreuzberg, dass nämlich eine Position in der SPD breiten Anklang finden könnte, die uns, das heißt die Bundesrepublik Deutschland, international in eine isolierte Position bringt. Hier steht zum Beispiel, wenn wir Regierungspartei wären … Die Sozialisten in Frankreich haben der Aktion am Golf zugestimmt; die Labour‑Partei in England hat mit großer Mehrheit dieser Aktion zugestimmt. Ich glaube, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands muss sich diese Fragen gefallen lassen und muss sich überlegen, wie das vereinigte Deutschland die internationale Rolle in Zukunft ausführen soll. Hier gilt es ‑ nach meiner Auffassung ‑, eine größere internationale Verantwortung zu übernehmen.

 

Hier kann man auch nicht ‑ wie Kurt Neumann das getan hat ‑ die NATO so mit zwei, drei Sätzen abschreiben und sagen, die NATO ist überflüssig geworden, weil der Warschauer Pakt überflüssig geworden ist. Der Sachverhalt ist komplizierter, und er sollte auf einer solchen Fachkonferenz eingehend debattiert werden.

 

Ich sage mal für mich ‑ und ich glaube, das gilt auch für einige andere Delegierte ‑: Die Frage der Änderung eines Grundgesetzes muss wirklich sachkompetent, ausführlicher diskutiert und beraten werden, auch in dieser Partei. Das gilt zum Beispiel auch für die Aspekte: Was geschieht mit den Kurden, die in vier verschiedenen Ländern sind? So, wie es hier formuliert ist, scheint mir dies noch keine ausgereifte Position zu sein, sondern darüber sollte man reden.

 

Auch die Frage der Stellung von Jerusalem ist völlig offen. Es gibt hier zum Beispiel zwei unterschiedliche Positionen.

 

Also, noch einmal der eindringliche Appell, dass wir gerade auch den Genossinnen und Genossen aus dem Ostteil der Stadt, aber auch uns selbst aus dem Westteil der Stadt Gelegenheit geben, auf einer solchen Fachkonferenz all diese Fragen zu diskutieren, alle Interessierten aus der Partei dazu einladen, und ich glaube, der Fachausschuss und die beiden Arbeitskreise, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, wären der richtige Organisator dafür. Es ist mein Antrag, in dieser Weise zu verfahren. ‑ Herzlichen Dank!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Das Wort hat Irmi Meier‑Nieraad.

 

Irmi   M e i e r ‑ N i e r a a d   (Schöneberg): Nur ganz kurz: Ich schließe mich dem, was mein Vorredner gesagt hat, natürlich nicht an.

(Vereinzelter Beifall)

Ich bin der Meinung, dass dieser Antrag insgesamt eine sehr gute Grundlage bietet, dass er im Übrigen auch konkret und ausgewogen genug ist, um ihn hier abzustimmen. Ich spreche also absolut dagegen, diese Entscheidung, die wir auch als Berliner Landesverband einmal treffen müssen, hier noch zu verschieben. Es hat ja, was ganz bestimmte Punkte wie Rüstungsexporte und die Beurteilung des Beginns dieses Krieges angeht, auf Bundesebene für mich sehr irritierende, unterschiedliche Meinungen gegeben, die dann immer wieder so zu einem sehr faulen Kompromiss zusammengefasst wurden. Ich denke, wir sollten uns da anders verhalten. ‑ Das mal insgesamt zu dem Antrag.

 

Jetzt will ich zu einem Punkt sprechen, der etwas später ausführlicher behandelt wird ‑ ich nehme an, die Kreuzberger werden ihren Änderungsantrag noch genauer erläutern ‑, das ist der Initiativantrag Nr. 2 zu Abschnitt VII Nr. 2 des Leitantrags. Da bin ich der Meinung, dass dieser Kreuzberger Antrag unterstützt werden soll. Ich denke, dass das auch im Sinn der Schöneberger ist. Wir haben keine Zeit gehabt, den Leitantrag ausführlich zu diskutieren, aber wir haben in Schöneberg einen Kreisvorstandsbeschluss, der ‑ nicht wörtlich, aber doch inhaltlich ‑ die Forderungen stellt, die hier die Kreuzberger auch stellen und die eben etwas von dem entsprechenden Passus im Leitantrag abweichen. Wir hatten das so formuliert: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands stimmt einer Änderung des Grundgesetzes, die den Einsatz der Bundeswehr außerhalb der BRD bzw. außerhalb des NATO‑Bündnisgebiets zulässt, nicht zu. ‑ Das übrigens möchte ich noch mal zur Erinnerung sagen: Die Frage, ob denn die Bundeswehr zu solchen sogenannten friedenssichernden Einsätzen der UNO herangezogen werden kann, war ein kontroverser Punkt auch in der Vorbereitungsgruppe, die diesen Leitantrag auf den Weg gebracht hat. Wir waren da unterschiedlicher Meinung, haben uns auf einen Kompromiss geeinigt.

 

Ich halte den Kreuzberger Antrag, der von Schöneberg da mitgetragen wird, für besser, weil ich diese friedenssichernden Einsätze für problematisch halte. Mir ist das übrigens auch klargeworden durch den Wortbeitrag von Dagmar Luuk. Im Antrag ist von friedenssichernden Einsätzen die Rede. Dagmar hat aber, wenn ich das richtig mitgekriegt habe, auch von der Beteiligung an kriegerischen Auseinandersetzungen gesprochen. Und das zeigt die Problematik solcher Passagen, die nicht ganz klar das bedenken, was unter Umständen für Folgerungen aus solchen Forderungen gezogen werden können. ‑ Deshalb: Unterstützung des Kreuzberger Antrags zu diesem einen Punkt; ansonsten finde ich den Leitantrag gut und in Ordnung.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Als nächster hat Klaus Schroer das Wort.

 

Klaus   S c h r o e r   (Tiergarten): Genossinnen und Genossen! Ich wollte eigentlich in Änderungsanträge einsteigen, aber die Diskussion hat ja ‑ vor allen Dingen durch die Beiträge aus Neukölln ‑ jetzt doch eine etwas andere Wendung bekommen.

 

Es geht in der innerparteilichen Diskussion im Moment darum, sich eine Meinung zu bilden, ob eine Grundgesetzänderung, die den Einsatz der Bundeswehr ermöglicht, durchgeführt werden soll oder nicht. Dieser Parteitag muss sich meiner Ansicht nach eine Meinung dazu bilden, wie er dazu steht. Das Verschieben auf Tagungen ist das Wegtauchen, der Abschied aus der Entscheidung und bedeutet, alles der Parteitagsentwicklung im Mai zu überlassen. Das kann nicht angehen!

(Beifall)

Was diese grundsätzliche Entscheidung anbetrifft, bin ich der Auffassung, zur Sicherung des Friedens sind keine Militärinterventionen nötig, sondern zum Beispiel der Verzicht auf jede Art von Rüstungsexporten außerhalb der NATO.

(Beifall)

Betrachtet man weiterhin diesen Krieg, kann man doch sagen, dass sowohl der Krieg als auch die Unterdrückung, die dort seit Jahren von diesem Diktator ausgeübt wird, die gleichen Ursachen haben: eine Großmachtpolitik, die entsprechend eigener politischer und ökonomischer Interessen Diktatoren unterstützt und fördert, so, wie es gerade paßt. Das betrifft die Sowjetunion, die USA, Frankreich und andere, ich will die Liste damit nicht abbrechen.

 

Insofern ist meine Position klar und entspricht dem, was die Kreisdelegiertenversammlung Tiergarten beschlossen hat: keine Grundgesetzänderung, die diesen Einsatz der Bundeswehr ermöglicht!

(Vereinzelter Beifall)

Zu dem vorliegenden Leitantrag zwei Änderungsvorschläge, die im Prinzip die Diskussion aufgreifen, die durchgeführt wurde, und auch dem Tiergartener Antrag entspricht. Unter Abschnitt IV, Nummer 1 werden die grundsätzlichen Bedingungen für einen dauerhaften und gerechten Frieden und das nationale Selbstbestimmungsrecht genannt. Was dort fehlt und die gleiche Bedeutung bekommen müsste, ist aber die Demokratie in den Ländern, die dort fehlt. Diktatoren und Feudalherren sind ein Hindernis für jede Art von Friedensordnung dort. Das muss unterstrichen werden.

 

Deshalb würde ich vorschlagen, den Abschnitt IV, Nummer 1 beginnen zu lassen mit der Formulierung:

 

Ein dauerhafter und gerechter Frieden braucht als Basis Demokratie und Selbstbestimmungsrecht für alle Völker der Region. Diktatoren und Feudalherren sind Hindernisse auf diesem Weg.

 

(Vereinzelter Beifall)

 

Als zweite Änderung würde ich vorschlagen, in dem letzten Absatz des Abschnitts IV, Nummer 1, der die Kurden, das kurdische Volk, betrifft ‑ auf das Problem ist hier schon hingewiesen worden ‑ ‑ Es heißt oben „nationales Selbstbestimmungsrecht“, bei den Kurden wird aber gesagt, das ginge nur innerhalb der bestehenden Grenzen. Das kurdische Volk hat eine Jahrhunderte alte Tradition und kämpft das gesamte Jahrhundert im Grunde um sein nationales Selbstbestimmungsrecht. In welcher Form das passieren soll, ob in den bestehenden Grenzen oder anderen, das vorzuschreiben, ist nicht die Aufgabe des heutigen Parteitags.

(Vereinzelter Beifall)

Deshalb schlage ich euch vor, die Formulierungen, „… das Recht auf eigene kulturelle Identität und auf politische Autonomie innerhalb der jeweiligen Länder …“ schlichtweg durch die beiden Worte „nationale Selbstbestimmung“ zu ersetzen. Es ist dann Sache der Entwicklung dort, zu entscheiden, in welchen Grenzen und wie das passieren soll. ‑ Das sind die beiden Änderungsanträge. ­Danke schön!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Das Wort hat Peter Strieder.

 

Peter   S t r i e d e r   (Kreuzberg): Genossinnen und Genossen! Ich will noch mal zu diesem rosa Antrag aus Kreuzberg Stellung nehmen, dessen Inhalt ist: Deutsche Truppen beteiligen sich an militärischen Aktionen außerhalb des NATO‑Gebietes nicht. ‑ Das sagt dieser Antrag aus und begründet es. ‑ Es ist nicht möglich, diese Entscheidung zu verschieben bis irgendwann, denn der Bundesparteitag hat beschlossen, dass es eine Grundgesetzänderung mit der Sozialdemokratischen Partei nicht geben wird. Der nächste Bundesparteitag wird darüber beraten, ob diese Position beibehalten oder abgeändert wird, und dazu muss sich die Berliner SPD natürlich eine Meinung bilden.

 

Ich denke, die Gleichung, ein großes Deutschland ist ein wirtschaftlich mächtiges Deutschland, ist ein politisch mächtiges Deutschland und muss deshalb auch ein militärisch mächtiges Deutschland sein, geht nicht auf.

(Beifall)

Ich kann nicht verstehen, dass wir dabei sind und versuchen, die friedliche Revolution in Ostdeutschland dahin umzumünzen, dass wir jetzt endlich das machen dürfen, was einige schon längst wollen, nämlich sich an den verschiedensten militärischen Abenteuern zu beteiligen.

(Vereinzelter Beifall)

Es ist auch keine Frage ‑ und es ist doch eine Absurdität, das zu glauben ‑ der politischen Isolation. Dieses Deutschland ist ökonomisch das drittwichtigste Land in dieser Welt. Das hat politische Auswirkungen, egal, ob wir dabei sind, wenn in Medellin irgendwann mal die UNO versuchen wird, die Drogenmafia zusammenzuschlagen oder nicht oder ob im Nahen Osten Grenzen eingehalten werden oder nicht. Die politische Isolation Deutschlands wird dann beginnen, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, unsere wirtschaftliche Macht im Interesse der Völkergemeinschaft einzusetzen; da kommt es auf die militärische Macht überhaupt nicht an.

(Vereinzelter Beifall)

Unser Antrag ist deswegen so formuliert ‑ nicht, weil wir glauben, UNO‑Truppen, die Wahlen in Namibia überwachen, seien etwas Schlimmes, sondern hier geht es um das Einfallstor in die künftige Militärpolitik unseres Landes. Entweder wir sagen Nein, und wir bleiben bei diesem Nein, oder wir machen das Tor auf. Der angedachte Mittelweg, dass wir nur im Rahmen von Blauhelmen, also nicht kämpfenden militärischen Truppen, dabeisein werden, ist ein Irrglaube. Entweder wir sind dabei, dann sind wir auch bei solchen UNO‑Einsätzen dabei wie jetzt im Irak, oder wir sind nicht dabei. Ich bin für letzteres!

(Beifall)

Diese Frage, ob man militärisch dabei ist oder nicht, hat Auswirkungen, wie wir ganz deutlich gesehen haben, auf die Stimmungen, die in Ländern existieren. Als wir diesen Golfkrieg hatten, war die Friedensbewegung in Deutschland plötzlich wieder stark und in allen Städten, auch in Berlin, auf der Straße. In England und in Frankreich, die sich an diesem Krieg beteiligt haben, haben ganz andere Stimmungen existiert. Ich habe Angst davor, dass diese Friedensstimmung in unserem Land kaputtgeht, wenn wir uns an solchen militärischen Möglichkeiten beteiligen.

(Beifall)

Es ist nun mal ‑ das wird die Völkergemeinschaft einsehen ‑ ein Ergebnis deutscher Geschichte, dass wir sagen müssen: Nie wieder! Nie wieder soll am deutschen Militärwesen die Welt genesen! ‑ Danke schön!

(Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Das Wort hat Dietrich Stobbe.

 

Dietrich   S t o b b e   (Reinickendorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Glaubwürdig wird man in der Politik meiner Meinung nach, wenn man in eigener Reichweite vorhandene Probleme diskutiert, Lösungsvorschläge ausarbeitet und sie dann durchsetzt.

(Vereinzelter Beifall)

Ob die Berliner SPD gut beraten ist, neben den allerdings für die Deutschen zu ziehenden Konsequenzen aus dem Golfkrieg auch mit einem eigenen Friedensplan für die Nahost‑Region aufzuwarten, das wage ich jedenfalls zu bezweifeln.

(Beifall)

Ich meine, dass die Bundespartei mit einem ausgebildeten außenpolitischen Apparat, wo auch Gespräche mit anderen Ländern geführt werden, über deren Haltung wir uns hier gemäß Antrag Urteile bilden sollen, besser beraten wäre, einen Leitantrag vorzulegen. Ich werde deshalb jedenfalls Hermann Borghorst und seinen Antrag unterstützen. Denn wenn man schon einen Antrag zum Bundesparteitag schickt, dann muss der in sich auch wirklich ausgereift sein, und er darf nicht ganz offensichtliche Fehler enthalten wie zum Beispiel die Jerusalem‑Sache und andere.

 

Allerdings müssen Konsequenzen gezogen werden, eine erste ist die Rüstungsexportkontrollpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Da müssen wir in der eigenen Gesetzgebung mehr machen. Wir müssen das Problem aber auch internationalisieren. Ich erwähne das nur ‑ denn ich glaube, dass die SPD dazu eine klare Haltung hat ‑, weil hier ein kleiner Angriff gegen Norbert Gansel mit seinem Interview im letzten „Vorwärts“‑Magazin gefahren wurde. Ich kann dazu nur sagen: Wenn es einen Sozialdemokraten in der Bundesrepublik Deutschland gibt, der schon zu Zeiten der Regierung Schmidt konsequent für eine Kontrolle und Beschränkung der Rüstung, die in Deutschland produziert wird, eingetreten ist, dann ist es Norbert Gansel. Ich finde, dass sein Interview dort falsch gelesen wurde, und Angriffe sind völlig ungerechtfertigt.

(Vereinzelter Beifall)

Nun komme ich zu meinem Hauptpunkt ‑ Heike Ließfeld hat, glaube ich, die Frage gestellt ‑, und das ist die Frage: Was tun die Deutschen nach der Vereinigung? Da müssen wir zunächst einmal einen Zusammenhang als Deutsche erkennen. Dass der Kalte Krieg beendet werden konnte, hängt auch mit der Frage zusammen, dass Deutschland jetzt vereinigt ist. Dass die UNO eine neue Rolle spielen kann, hängt damit zusammen, dass der Kalte Krieg beendet wurde, und das wiederum hängt auch eng mit der deutschen Frage zusammen. Die jahrelange Blockade der Weltorganisation durch die Amerikaner und die Sowjetunion ist vorbei. Jetzt ist in der Tat gefragt, wie sich die Deutschen dort einbringen wollen und welche Konsequenzen sie ziehen ‑ auch aus diesem Golfkrieg, aber eben auch aus der Vereinigung.

 

Da bitte ich, doch eines zu bedenken: Wir stoßen bei unseren westlichen Partnern auf andere historische Erfahrungen als die unseren. Dieses deutsche Volk hat in den 30er Jahren andere Völker überfallen und die internationale Rechtsordnung klar verletzt. Die angelsächsische Welt hat gezögert und gewartet ‑ München und was es alles gab ‑, und dann gab es eine Allianz gegen Hitler. Man muss diesen historischen Erfahrungsgrund verstehen, wenn sie jetzt mit der Weltorganisation einem neuen Aggressor gegenübertreten, wobei ich keinen billigen Vergleich mache zwischen dem Iraker und Hitler. Man muss verstehen, dass das Rechtsbewusstsein bei unseren westlichen Partnern anders ist. Deshalb frage ich euch jetzt mal: Was soll das denn für eine Weltordnung sein, bei der die Bundesrepublik Deutschland ‑ vereinigt ‑ darauf verzichtete, ihre Friedenserfahrung im Einigungsprozess in eine sich stärkende Weltorganisation, die Weltinnenpolitik betreibt, einzubringen, wenn auf der anderen Seite die Gefahr droht, dass wir in eine Weltordnung hineinrutschen, wie wir sie jetzt schon rudimentär haben? Nämlich die besiegten Mächte des Zweiten Weltkriegs, die Japaner und die Deutschen, haben das Geld, und die Amerikaner und die jeweiligen regionalen Spieler haben die Waffen. Das kann doch auch kein sinnvolles Konzept für die Zukunft sein.

(Vereinzelter Beifall)

Deshalb meine ich, dass das Nachdenken über eine Verfassungsänderung grundsätzlich richtig ist, und ich selbst bin unter bestimmten qualifizierten Einschränkungen dafür.

 

Ich bin nämlich dagegen, dass sich Deutschland in irgendeiner Form militärisch an eine der Großmächte anhängt; es kann ja übermorgen auch die Sowjetunion sein. Aber wenn es innerhalb der Weltgemeinschaft zum Konfliktfall kommt und die internationale Rechtsordnung von einem Aggressor gestört wird, wie kann eine deutsche Demokratie dann sagen, wir spielen Schweizer Modell, die anderen die Sache vielleicht auskämpfen lassen, hinterher sind wir dann wieder mit unserem Scheckbuch da? ‑ Ist das eine Weltordnung, die sich lohnt?

(Beifall)

Kurt hat etwas sehr Gefährliches gesagt ‑ aber auch Richtiges ‑; denn ich stimme mit ihm überein: Wenn wir im Grundgesetz Artikel 24 lesen, kann man juristisch der Auffassung sein, dass das mit der Bundeswehr längst geht. Dagegen steht aber die jahrelange Aussage aller Bundesregierungen, dass es einer Verfassungsänderung bedürfe, wenn einem solchen Gedanken nähergetreten würde. Käme eine Verfassungsänderung zustande, die dieses an die Vereinten Nationen bindet und gleichzeitig ein Tätigwerden beispielsweise für eine Koalition, die nicht an die UN gebunden ist, ausschließt, dann ist das meines Erachtens ein Fortschritt und ein richtiges Hineinmanövrieren der vereinigten Deutschen in die internationale Weltordnung.

 

Deswegen kann ich nur sagen: Meiner Meinung nach müssen wir diesen Kreuzberger Antrag auf jeden Fall ablehnen!

(Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Das Wort hat Nuriye Alkonavi.

 

Nuriye   A l k o n a v i   (Wilmersdorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Der letzte Wortbeitrag hat mir zumindest ziemlich deutlich gezeigt, wie wichtig es ist, diese Debatte hier zu führen. Ich denke, dass wir uns wirklich unserer Verantwortung entziehen würden, wenn wir die Diskussion jetzt auf irgendeinen Fachausschuss und eine Konferenz, die dann unter geringster Beteiligung irgendwann einmal stattfindet, abschieben. Ich denke, die Diskussion muss hier geführt werden.

(Vereinzelter Beifall)

Ich denke auch, es ist ein falscher Ansatz. Der Genosse, der das vorhin vorgeschlagen hat, meinte ja, dass an vielen Punkten so unglaublich viel Sachkenntnis vorausgesetzt werden müsse und dass wir das hier nicht kompetent diskutieren könnten. Ich denke zum einen, dass die Diskussion um die grundsätzlichen Punkte, um die es hier geht, seit mehreren Monaten die Medien komplett beherrscht haben, dass wir in der Partei Diskussionen geführt haben, dass die Diskussionen in der Friedensbewegung gelaufen sind, dass eigentlich niemand ernsthaft sagen kann, er könnte sich dazu noch keine Position herausgebildet haben. Diese Grundgesetzänderungsfrage, denke ich, sollten wir auch ein bisschen von dieser juristischen Fragestellung loskoppeln, denn es ist meines Erachtens weniger ein juristisches als vielmehr ein politisches Problem; auch das hat der letzte Wortbeitrag deutlich gezeigt.

 

Ich möchte mich eindeutig gegen den Leitantrag an der Stelle äußern, soweit er sich auf die UNO‑Einsätze bezieht ‑ diese Blauhelm‑Mission ‑, und unterstütze da eigentlich den Antrag aus Kreuzberg. Es ist ein falscher Ansatz ‑ das kam, glaube ich, ganz deutlich bei dem Beitrag von Dagmar Luuk heraus ‑ zu argumentieren, wir müssten da jetzt rein, damit wir unseren Ansatz für eine Demokratisierung der UNO umsetzen können. Ich denke, das ist genau der falsche Ansatz; denn unser Ansatz kann nur sein zu sagen, dass wir da jetzt nicht mitmachen, weil die UNO eben nicht die Organisation ist, wie wir sie gern hätten, nämlich als ein wirklich demokratisches Gremium, dass es nach wie vor diese Veto‑Rechte gibt, die ein unhaltbarer Zustand sind. Wir machen uns unglaubwürdig, wenn wir uns trotzdem bereit erklären, da mit reinzugehen, um dann irgendwie von innen heraus irgendwann einmal eine Demokratisierung zu erreichen.

 

Ich denke, unsere Position muss da ein klares und entschiedenes Nein sein zu dieser UNO und zu der Entsendung von UNO‑Truppen, zumal ich auch die Bedenken teile, dass es sicherlich Schwierigkeiten macht, die Einsätze ganz kategorisch in friedliche, nicht so friedliche und halbfriedliche Einsätze zu trennen. Ich denke, da kann es nur eine Ja‑ oder Nein‑Position geben, und meine Position ist ein klares Nein, denn die UNO ist nicht demokratisch.

 

Ein weiterer Punkt aus dem Redebeitrag von Dagmar Luuk; ich weiß nicht, ob sie es wirklich so gemeint hat, als sie von demokratischen Ansätzen in der Türkei sprach. Die Prozesse, die momentan in der Türkei ablaufen, diese absolut brutale Niederschlagung der Gewerkschaftsbewegung zum Beispiel und auch das fatale Spiel, das Özal mit den Kurden betreibt, sie wirklich jahrelang grausamst zu unterdrücken und im Moment, als es politisch irgendwie in den Kram passte, ihnen dann doch so dreieinhalb Pseudorechte zuzuerkennen, ich denke, das ist ganz offenkundig und hat mit Demokratisierung überhaupt nichts zu tun. Ich würde schon darum bitten, dass wir das auch ein bisschen differenzierter diskutieren.

(Vereinzelter Beifall)

Schließlich ein letzter Punkt, den ich an dem Leitantrag auch kritisiere ‑ ähnlich, wie es bei Bettina schon angeklungen ist. Der erste Halbsatz des II. Abschnitts ‑ zum einen Punkte, die Bettina genannt hat, und zum zweiten ist mir dieser ganze Absatz auch ein bißchen harmlos formuliert, wenn es da heißt, dass wir kritisieren, dass die diplomatischen Mittel nicht ausreichend ausgeschöpft wurden. Ich denke ‑ wir haben das schon mal ein bisschen schärfer kritisiert ‑, da muss eine härtere Formulierung rein; denn ich glaube nicht, dass wir jetzt, an dieser Stelle, hinter unsere eigene Position zurückfallen sollten. ‑ Danke schön!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Es tut mir leid, Karl‑Heinz Niedermeyer muss noch mal warten, denn wir haben jetzt die rosa Stimmzettel verteilen lassen, die, bitte, als Zählzettel zu benutzen sind. Ich darf jetzt den Sprecher ‑ ‑  Wie ich höre, sind noch nicht alle Delegierten im Besitz dieses rosa Stimmzettels. Ich rufe daher jetzt Karl‑Heinz Niedermeyer auf, und anschließend hören wir das Wahlergebnis.

 

Karl‑Heinz   N i e d e r m e y e r   (Schöneberg): Genossinnen und Genossen! Ich spreche mich gegen die Überweisung dieses Leitantrags an die genannten Fachausschüsse aus und plädiere dafür, ihn im Wesentlichen unverändert anzunehmen, obwohl ich auch einige Bauchschmerzen habe. Dagmar Luuk hat mich ja in Anspruch genommen, dass ich auch entsprechende, sehr fundierte Äußerungen dazu gehört habe. Mir geht es jetzt nicht darum ‑ und ich glaube, die SPD würde sich überheben ‑, einen Friedensplan für den Nahen Osten hier vorzulegen, der in allen Punkten hieb‑ und stichfest ist. Es geht hier um eine deutliche Willensäußerung der SPD, zu den entscheidenden Fragen auch klar Stellung zu nehmen.

(Beifall)

Dazu gehört eben auch eine deutliche Stellungnahme zu den beiden Seiten des eigentlichen Kerns des Nahostkonflikts, nämlich Israel und Palästina. Ich stimme in der politischen Zielsetzung mit dem Inhalt des Antrags hier überein.

 

Ich möchte aber auch zu einem ‑ aus meiner Sicht ‑ noch wichtigeren Punkt sprechen, das ist die Wahrnehmung der neuen weltpolitischen Verantwortung des vereinigten Deutschlands im Zusammenhang mit dieser Grundgesetzänderung, die diskutiert wird. Ich denke, dass Deutschland sein neues Gewicht in die Waagschale werfen muss, aber doch, bitte, nicht dafür, eine bisher verfehlte Politik im Nahen Osten jetzt mit neuen militärischen Machtmitteln auszustatten. Es geht darum, positive Beiträge, Beiträge zur Schaffung eines positiven Friedenszustands, zu leisten. Dazu gehört natürlich erst einmal, dass wir unseren Anteil an diesem Konflikt mal reflektieren und auch unseren Anteil zurücknehmen, was zum Beispiel Rüstungsproduktion, Waffenexport usw. betrifft. Es betrifft sicher auch eine Wende in der Energiepolitik, um überhaupt Spielraum zu schaffen, damit es in Zukunft nicht mehr nötig wird, mit Waffengewalt billige Ölpreise zu verteidigen.

 

Ein weiterer Punkt ist: Wir sollten die unklare Verfassungslage nutzen, um jetzt die Vereinten Nationen zu stärken, damit es in Zukunft nicht mehr möglich wird, dass ein Freibrief für eine Macht ausgestellt wird, um eine nach ihren Interessen und Vorstellungen regionale oder vielleicht sogar Weltordnung zu schaffen. Die UNO‑Charta muss ergänzt werden, so dass in Zukunft solche friedenssichernden Aktionen ‑ ich will das jetzt nicht im einzelnen spezifieren ‑ ‑ Es kann durchaus auch möglich sein, dass da auch militärische Einsätze stattfinden, aber, bitte, nicht unter dem Dach der NATO, nicht unter dem Dach der bisherigen Vertragssysteme!

 

Wir sollten den Spielraum ausnutzen, bevor überhaupt über eine solche Verfassungsänderung diskutiert wird, um erst mal Strukturen zu schaffen, die einen positiven Friedenszustand möglich machen. Ich denke, wir haben eine Lehre noch nicht begriffen: Dieser Golfkrieg hat den Krieg insgesamt wieder hoffähig gemacht, er hat Kriege wieder als führ‑ und gewinnbar erscheinen lassen, hat einen Prozess unterbrochen, dass nämlich mit nichtmilitärischen Mitteln Konflikte gelöst werden können. Der Abrüstungsprozess, der kaum in Gang gekommen war, ist wieder unterbrochen worden. Deshalb: Grundgesetzänderungen erst einmal weit zurückstellen und erst mal an die anderen Sachen, die ich genannt habe, rangehen!

(Vereinzelter Beifall)

Eine Änderung zu diesem Antrag möchte ich aber doch gern vorschlagen, das betrifft die Menschenrechte, auf die Dagmar Luuk ja auch sehr stark eingegangen ist. Ich hätte gern eine Ergänzung auf Seite 6, Nummer 4: „… um die Durchsetzung der Menschenrechte von Frauen und Männern, …“, und zwar deswegen, weil bisher eigentlich gerade Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen ‑ und gerade in diesem Raum ‑ viel zu wenig beachtet worden sind. Das ist der einzige Vorschlag, den ich hier mache.

(Präs. Ursula Leyk: Karl‑Heinz, ich bitte dich, zum Schluss zu

kommen!)

Ansonsten würde ich darum bitten, dem Antrag im Wesentlichen unverändert hier die Stimme zu geben.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wir kommen wieder zu

 

Punkt 5 der Tagesordnung

Wahl von Bundesparteitagsdelegierten

und Nominierungen für den Bundesvorstand

 

Ich denke, alle Genossinnen und Genossen sind jetzt im Besitz eines Zähl‑, also rosa Stimmzettels, und ich gebe Mechthild Rawert für die Wahlkommission das Wort.

 

Mechthild   R a w e r t   (Wahlkommission II): Von 230 möglichen Stimmen wurden 226 abgegeben. Davon waren 223 gültig und drei nicht. 112 Stimmen sind die Schallmarke; ich lese jetzt die jeweiligen Wahlergebnisse vor:

 

Wolfgang Behrendt:             113 Stimmen, gewählt,

Klaus‑Uwe Benneter:            106 Stimmen, nicht gewählt,

Christine Bergmann:            147 Stimmen, gewählt,

(Vereinzelter Beifall)

Willi‑Fred Boheim:              94 Stimmen, nicht gewählt,

Manfred Breitenkamp:            89 Stimmen, nicht gewählt,

Marianne Brinckmeier:          106 Stimmen, nicht gewählt,

Manfred Dennert:                71 Stimmen, nicht gewählt,

Christina Eisner:              100 Stimmen, nicht gewählt,

Ingrid Holzhüter:              136 Stimmen, gewählt,

(Vereinzelter Beifall)

Thomas Krüger:                 140 Stimmen, gewählt,

Ursula Leyk:                    96 Stimmen, nicht gewählt,

Harald Lüderitz:                67 Stimmen, nicht gewählt,

Jürgen Lüdtke:                  86 Stimmen, nicht gewählt,

Irmi Meier‑Nieraad:             89 Stimmen, nicht gewählt,

Helios Mendiburu:               62 Stimmen, nicht gewählt,

Kurt Neumann:                  137 Stimmen, gewählt,

Anne‑Kathrin Pauk:             116 Stimmen, gewählt,

(Vereinzelter Beifall)

Doris Schneider:                92 Stimmen, nicht gewählt,

Monica Schümer‑Strucksberg:    104 Stimmen, nicht gewählt,

Peter Seitz:                    88 Stimmen, nicht gewählt,

Dietrich Stobbe:               136 Stimmen, gewählt,

(Beifall)

Utta Stötzer:                   82 Stimmen, nicht gewählt,

Karl‑Georg Maucher:             46 Stimmen, nicht gewählt.

 

Präs. Michael   E l z e   : So, wir müssen jetzt erst einmal feststellen, wie viele Frauen und wie viele Männer bisher gewählt worden sind. Ich höre gerade, es sind drei Frauen und vier Männer bisher gewählt. Das sind also sieben Bundesparteitagsdelegierte, die bisher die erforderliche Stimmenzahl bekommen haben. Insgesamt sind es 15, das heißt, es sind noch acht Bundesparteitagsdelegierte zu wählen. ‑ Ich frage den Landesgeschäftsführer: Wie sieht es jetzt mit den Stimmzetteln aus?

 

Es werden jetzt für den zweiten Wahlgang ‑ dazu werden wir noch etwas sagen ‑ die gelben Stimmzettel ausgeteilt.

(Austeilen der Stimmzettel)

Jetzt nehmt, bitte, den gelben Stimmzettel zur Hand. Ich gehe jetzt hier die Namen durch, sage, welche Genossinnen oder Genossen zu streichen sind ‑ weil bereits gewählt ‑ und frage dann gleichzeitig die anderen, die noch nicht gewählt sind, ob sie weiter kandidieren. Dann fangen wir mit Wolfgang Behrendt an: bitte streichen, da gewählt. Als nächster: Klaus‑Uwe Benneter. Kandidierst du weiter? Kandidiert weiter, also offenlassen. Christine Bergmann ist zu streichen, da gewählt. Willi‑Fred Boheim, kandidierst du weiter? Kandidiert weiter, nicht streichen. Genosse Manfred Breitenkamp, kandidierst du weiter? Genosse Breitenkamp kandidiert weiter. Marianne Brinckmeier? Marianne Brinckmeier kandidiert weiter. Manfred Dennert? Manfred Dennert kandidiert weiter. Christina Eisner? Christina Eisner kandidiert weiter. Ingrid Holzhüter ist zu streichen, da gewählt. Monika Kitzing ist zu streichen, da schon vorher nicht mehr Kandidatin. Thomas Krüger ist zu streichen, da gewählt. Ursula Leyk, kandidierst du weiter? Ursula Leyk kandidiert weiter. Harald Lüderitz? Harald Lüderitz kandidiert weiter. Jürgen Lüdtke? Kandidiert auch weiter. Irmi Meier‑Nieraad? Kandidiert weiter. Helios Mendiburu? Kandidiert ebenfalls weiter. Kurt Neumann ist zu streichen, da gewählt, ebenso Anne‑Kathrin Pauk, da gewählt. Kandidiert Doris Schneider weiter? Ja! Monica Schümer‑Strucksberg? Kandidiert ebenfalls weiter. Peter Seitz? Kandidiert auch weiter. Dietrich Stobbe ist zu streichen, da gewählt. Utta Stötzer? Utta Stötzer kandidiert auch weiter. Karl‑Georg Maucher? Kandidiert ebenfalls weiter. Ihr habt aber auf dem gelben Stimmzettel Karl‑Georg noch nicht drauf, das heißt, ihr müsst jetzt, analog dem Verfahren im ersten Wahlgang, Karl‑Georg Maucher hier noch unter Utta Stötzer hinschreiben, damit der Stimmzettel gültig wird.

 

Vielleicht vergleicht ihr noch einmal euren Stimmzettel, damit es da keine Irrtümer gibt. Insgesamt müssen acht Genosinnen und Genossen gestrichen sein, da sieben Delegierte gewählt wurden und eine Genossin schon vorher ihre Kandidatur zurückgezogen hatte. Also, acht müssen gestrichen worden sein von euch.

 

Wie schon gesagt: Es sind noch acht Bundesparteitagsdelegierte zu wählen. Ihr dürft höchstens acht, aber ihr müsst mindestens vier, die Hälfte also, ankreuzen.

 

Das zweite: Um die Quote zu erfüllen, müssen noch mindestens drei Frauen gewählt werden. Natürlich, wir haben ja auf dem Landesparteitag und im Landesvorstand für Berlin schon eine Fifty‑fifty‑Regelung beschlossen, aber wir müssen uns ja hier erst mal an das Bundesstatut halten. Und mindestens zwei Männer sind noch zu wählen. ‑ Das mit den drei Frauen und zwei Männern ist jetzt nur eine Empfehlung dahin gehend, dass wir nicht noch in einen dritten Wahlgang gehen müssen.

 

Ich eröffne also den Wahlgang. Ihr könnt eure Stimmzettel jetzt ausfüllen.

 

Wenn ihr die Stimmzettel jetzt ausgefüllt habt, dann bitte ich, diese einzusammeln.

(Einsammeln der Stimmzettel)

Jetzt sind alle Stimmzettel eingesammelt, damit ist der Wahlgang geschlossen!

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wir kommen zurück zu

 

Punkt 4 a) der Tagesordnung

Beratung eines Antrags über Grundzüge einer neuen

Friedensordnung im Nahen Osten

 

Bevor ich Gerd Löffler das Wort gebe, bitte ich alle Raucher, die es absolut nicht lassen können, ohne Nikotin zu leben, das draußen zu machen. Es wird hier vermehrt Klage geführt, dass man im Raum, bei der ohnehin sehr schlechten Luft, auch noch durch Zigaretten‑ oder anderen Rauch belastet wird.

(Beifall)

 

Gerd   L ö f f l e r   (Wedding): Liebe Genossinnen und Genossen! Im Landesausschuss war bei der Vorbereitung der Tagesordnung mehrheitlich die Auffassung vorhanden, dass dem Landesparteitag nur Grundzüge einer Friedensordnung für den Nahen Osten vorgelegt werden sollen. Kurt Neumann, es ist keine Kritik, dass es mehr geworden ist als Grundzüge, und weil es mehr geworden ist, gilt für mich das Urteil, das Dietrich Stobbe ausgesprochen hat. Es sind Teile drin, bei denen wir uns übernehmen, als ob wir der außenpolitische Ausschuss des Deutschen Bundestags wären.

(Vereinzelter Beifall)

Nun kann man das machen, aber ich sage: Die eine Seite, die die Sozialistische Internationale vor drei Tagen zur Krise im Nahen Osten beschlossen hat, ist politisch besser als acht Seiten mit problematischen Aussagen. Ich kann sehr vielem, was im Entwurf drin ist, zustimmen, weil es Grundkonsens der SPD ist: keine Waffenexporte oder dort, wo Grundzüge von Friedensordnungen genannt werden.

 

Ich kann nicht zustimmen, wo der Antrag weit über die Position der Sozialistischen Internationale hinausgeht. Da ich es als chancenlos ansehe, auf diesem Landesparteitag die Position der Sozialistischen Internationale mehrheitsfähig zu machen, werde ich dem Antrag nicht zustimmen.

 

Die Sozialistische Internationale bedauert, dass es zu einem militärischen Einsatz im Nahen Osten gekommen ist, aber sie sagt, er war notwendig, um einen Diktator zu bremsen.

(Beifall)

Wenn das nicht drinsteht, ist es politisch falsch. Wir können uns nicht auf unseren Wohlstand, der ja nur für den Osten nicht gilt, zurücklehnen und sagen: Die Labour Party, die Sozialisten in Frankreich dürfen das dreckige Spiel machen ‑ Krieg ist dreckiges Spiel ‑, aber wenn es um die Zurückdrängung eines Diktators geht, der tausendfach Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat, dann muss die UNO berechtigt sein, einzuschreiten ‑                                                     (Beifall)

und dem stimme ich zu. Das hat die Konsequenz, dass wir Amerika, Frankreich, Großbritannien und andere nicht allein die Kosten tragen lassen dürfen. Diese Passage des Antrags kann ich gleichfalls nicht akzeptieren. Die Mehrheit wird so beschließen.

 

Ich will noch einen Punkt sagen: Dass auf diesem Parteitag Kritik an Norbert Gansel geübt wird, der eine ausgewogene, von pazifistischen Grundvoraussetzungen herkommende Position eingenommen hat, finde ich bedauerlich. Ich sage euch voraus: Spätestens zum Zeitpunkt, an dem die Sozialdemokratie im Bund die Chance hat, Regierungsverantwortung zu tragen, wird sie bereit sein, auch deutsche Bürger unter einem Blauhelm für die UNO in Weltkonflikten friedensstiftend tätig sein zu lassen. ‑ Das hat Norbert Gansel gesagt. Diese Position teile ich. Dazu bedarf es keiner Grundgesetzänderung. Aber dieser Verantwortung wird sich auch die deutsche Sozialdemokratie stellen müssen, auch wenn der Berliner Landesverband das heute nicht tun wird und die Bundespartei vielleicht in Bremen auch noch nicht.

 

Aber irgendwann klopfen wir an das Tor der Regierungsverantwortung. Und Regierungsverantwortung eines so großen Staates kann nur bedeuten, auch Verantwortung für Friedenssicherung innerhalb der UNO zu tragen. Dazu bin ich bereit; dazu ist die Mehrheit des Berliner Landesverbandes nicht bereit.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Das Wort hat Kurt Neumann.

 

Kurt   N e u m a n n   (Steglitz): Liebe Genossinnen und Genossen! Wer sagt, wir Sozialdemokraten müssen einen Beitrag leisten, um Verantwortung zu tragen, dem stimme ich zu, der darf aber schlechterdings nicht sagen, wir wollen heute nicht entscheiden. Das ist ein sich Rausziehen aus der Verantwortung für den demokratischen Willensbildungsprozess unserer Partei.

(Vereinzelter Beifall)

Wir wissen, dass auf dem Parteitag im Mai die Debatte in der SPD geführt wird. Wir sagen, die SPD muss sprachfähig werden auch in diesem Bereich, und die Berliner SPD muss mitwirken ‑ und der Antragsschluss ist Anfang April, wenn ich das richtig sehe. Das passt nicht zusammen, das ist unehrlich! Wenn ihr sagt, ihr seid nicht in der Lage gewesen, eure eigenen Positionen zu formulieren in der Kürze der Zeit, dann habe ich Verständnis dafür. Aber sagt nicht, der Landesverband soll sich insgesamt nicht äußern ‑ das ist nicht richtig!

(Vereinzelter Beifall)

Ein zweites: Ich warne davor, dass wir auf dem Bundesparteitag in Bremen nur mit unseren Problemen, nur mit den Problemen des deutschen Ostens auftauchen, dass wir nicht als gesamtdeutsche SPD auftreten und zu allen, auch internationalen, Problemen Stellung nehmen. Ich warne davor; wir kommen in eine Schmollecke, in eine Ecke, die nur die eigenen Probleme diskutiert und nicht die Probleme, die die Partei insgesamt ganz heftig umtreiben. ‑ Das als erstes dazu.

 

Wenn der Bundesparteitag die besseren Experten hat, als wir sie sind, dann glaube ich das gern. Dann werden sie uns eines Besseren belehren, und dann werden wir aus dem Antrag, den wir in Berlin machen, aus Anträgen, die in Bremen, in Hessen‑Süd, in Nordrhein‑Westfalen entstehen, einen gemeinsamen Antrag auf dem Bundesparteitag machen, damit der gesammelte Sachverstand ‑ unserer und der der anderen, aber nicht nur der da oben ‑ einfließt. Dagegen wehre ich mich, immer auf die da oben zu warten.

(Vereinzelter Beifall)

Das sollten wir doch nicht mehr machen, nach den Erfahrungen, die viele von uns intensiver als die anderen noch gehabt haben.

 

Ich will noch zu wenigen Punkten inhaltlich etwas sagen. Zum einen: Ich wehre mich dagegen, zu sagen, dass die kriegerische Auseinandersetzung, zu dem Zeitpunkt durch die UNO abgesegnet, notwendig war.

(Vereinzelter Beifall)

Ich wehre mich dagegen! Es gab ein Embargo, dessen Wirkungen nicht ausgenutzt wurden. Dies muss klipp und klar gesagt werden. Das ist im Antrag sehr zurückhaltend formuliert. Ich stehe auch für die Zurückhaltung in der Formulierung, weil ich möglichst viele Genossinnen und Genossen zur Zustimmung bringen will. Ich will aber auch eines sagen, und das wird auch durch Beiträge von Peter Strieder und anderen nicht klarer: Dieses war kein UNO‑Einsatz, der dort gemacht wurde!

(Vereinzelter Beifall)

Die Charta der Vereinten Nationen sieht zwei Möglichkeiten vor: entweder den eigenen Einsatz oder den Einsatz von Mitgliedstaaten, gebilligt von der UNO. Das war, wenn man großzügig ist und die rechtlichen Vorschriften nicht so genau nimmt, ein von der UNO gebilligter Einsatz nationaler Armeen. Dieses ist aber ein Instrument, das schlecht ist, weil es durch den Sicherheitsrat und durch andere UNO‑Gremien nicht zu korrigieren ist. Deshalb bin ich dafür, dass solche Einsätze zukünftig nicht gemacht werden, sondern ausschließlich die Einsätze von UNO‑Kontingenten gemacht werden. Das setzt allerdings eines voraus, dass die UNO Kontingente hat. Und wer ihr die Kontingente verwehrt, der ist für Einsätze, wie sie jetzt im Irak stattgefunden, nicht umgekehrt.

 

Es ist in Artikel 43 der Charta der Vereinten Nationen vorgesehen, dass zu diesem Zweck Sonderabkommen geschlossen werden. Die Charta der Vereinten Nationen ist alt, aber es gibt kein einziges Sonderabkommen mit irgendeinem Staat. In einem solchen Abkommen zwischen Deutschland und der UNO könnte genau geregelt werden, welche Kontingente bereitgestellt werden, mit welcher Ausbildung und mit welcher Ausrüstung.

 

Ich sage eines noch mal zur Verfassungsfrage: Ich bin gegen jede Änderung des Grundgesetzes!

(Vereinzelter Beifall)

Ich bin gegen jede Änderung des Grundgesetzes, weil ich der Meinung bin, die Bundeswehr darf nicht außerhalb des Gebiets eingesetzt werden. Aber, was der Antrag will, ist ja nicht der Einsatz der Bundeswehr, sondern er will, dass die UNO Truppen aus der Bundeswehr abfordern kann, dass sie rauskommen aus der Kommandogewalt des Bundesverteidigungsministers oder, im Kriegsfall, des Bundeskanzlers und dem Kommando des Sicherheitsrats und des Stabsausschusses der UNO unterstellt werden. Das ist eine ganz andere Geschichte. Dann ist die Bundeswehr nicht tätig, sondern sind es UNO‑Truppen. Ich bitte recht herzlich, dieses differenziert zu sehen ‑ so zu sehen, wie es drinsteht in aller Klarheit der Formulierung ‑ und dem Änderungsantrag von Kreuzberg keine Zustimmung zu geben. ‑ Ich danke euch!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Als letzter Redner hat Michael Brückner das Wort.

 

Michael   B r ü c k n e r   (Treptow): Ich will es kurz machen: Liebe Genossinnen und Genossen, ich habe jetzt eben noch mal beobachtet: Die eine Hälfte ist draußen, die andere Hälfte, die drin ist, kann selbst Kurt Neumann nicht dazu bringen, uneingeschränkt zuzuhören. Mich stimmt das sehr traurig, dass ein Parteitag hier darüber befinden soll, wie sich unsere Haltung zu diesem Problem stellt, das die ganze Welt beschäftigt hat und heute noch beschäftigt, und nur die Hälfte ‑ oder noch viel weniger ‑ interessiert es.

 

Es betrifft Menschen, und es betrifft unsere Haltung zu ganz bestimmten Problemen, und deswegen möchte ich dafür plädieren, dass wir dem Antrag von Hermann Borghorst zustimmen, diesen Antrag hier an den entsprechenden Ausschuss zu verweisen.

(Widersprechende Unruhe)

 

Präs. Ursula   L e y k   : In der Zwischenzeit sind zwei weitere Wortmeldungen eingegangen. Als nächster hat Jochen Gardain das Wort.

 

Hans‑Joachim   G a r d a i n   (Reinickendorf): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich möchte das, was Gerd Löffler hier moniert hat, noch etwas stärker formulieren. Wir treten mit diesem Antrag an mit einem nicht nur geradezu weltpolitischen Anspruch, sondern wir treten an mit einem hohen moralischen Anspruch, was der SPD auch gut zu Gesicht steht. Wenn das aber so ist, dann müssen die moralischen Kriterien und die moralischen Differenziertheiten, die ein so komplizierter Prozeß und eine so schlimme Sache aufweisen ‑ die wir alle hier, Gott sei Dank, nur weitgehend aus der Ferne erlebt haben ‑, auch richtig qualifiziert werden.

 

Es geht nicht an, dass wir hier einen Antrag verabschieden, in dem der Irak, in dem Länder genannt werden, aber in dem der eigentliche Verantwortliche, der diese ganze Sache ‑ mit Hunderttausenden von Toten, mit den schwersten Umweltschäden, die in letzter Zeit diese Welt erlebt hat ‑ vom Zaun gebrochen und zu verantworten hat, hier nicht mit einem einzigen Wort, das heißt, bei seinem Namen genannt wird!

(Beifall)

Deshalb beantrage ich ‑ ich glaube, das ist leicht mitzuschreiben, weil es hier mit meiner Schrift womöglich etwas schwierig ist ‑, dass es im I. Abschnitt ‑ nach diesem einleitenden Zitat ‑ heißt:

 

Nach sechs Wochen des vom Diktator Saddam Hussein heraufbeschworenen Krieges am Golf …

 

Damit dort eindeutig gesagt wird, wo der Ausgangspunkt dieser ganz schlimmen Situation gewesen ist.

 

Nun will ich noch zwei weitere Änderungsanträge hinzufügen. Ich bin ja gar nicht der Meinung, dass die Vereinigten Staaten, dass die Briten, dass die Franzosen und auch alle die kleinen Länder im Verhältnis zur Bundesrepublik, die die kriegerische Auseinandersetzung ‑ ich sage mal ‑ für uns alle mitgetragen haben, in einem solchen Antrag nun etwa bejubelt werden müssten. Es ist ja alles schlimm und schwer genug, was dort gemacht worden ist. Aber es geht auch nicht an, dass in Nebensätzen ‑ und so indirekt schleichend immer an irgendeiner Stelle, an der es dann zunächst nicht auffällt, aber an der es dann eben auch missverständlich ist ‑ plötzlich die USA auftauchen ‑ auf Seite 5, oben, in dem ersten Absatz ‑ und einer Haltung verdächtigt werden, die sie zu Unrecht diskreditiert und die die Leistung, die sie in dieser weltpolitischen Auseinandersetzung vollbracht haben, abwertet.

(Walter Momper: Wo werden denn die USA abgewertet?)

‑ Das will ich dir sagen, Walter. „Der Krieg darf nicht erneut zum Mittel politischer Konfliktaustragung werden, auch wenn er nach …“ ‑ ‑

(Zurufe)

‑ Ja! ‑ Was soll denn der Satz heißen: „… auch wenn er nach den militärischen Erfolgen der USA und ihrer Verbündeten wieder als führbar erscheint …“?

(Zurufe)

Also, Genossen, dann beantrage ich jetzt, dass dieser Satz, weil er missverständlich ist, da rauskommt.

(Zuruf)

‑ Ja, ich kann doch das beantragen. Das ist auf Seite 5 ‑ oben ‑ der zweite Halbsatz.

 

Ich beantrage weiterhin, dass auf Seite 5 ‑ unten ‑ der letzte Halbsatz gestrichen wird, in dem es heißt: „… oder durch die USA und ihre Verbündeten besetzt bleiben.“, weil auf Seite 6 unter Nummer 2 weiter steht ‑ die berechtigte Forderung ‑, dass der Abzug aller fremden Truppen vorzusehen ist. Weil das so ist, Walter, möchte ich, um den Zweifel auszuräumen, dass hier wieder die USA einseitig aufgerufen werden, diesen überflüssigen Satz auf Seite 5 gestrichen haben. Ich will nur mal sagen: Natürlich haben wir das zu bedauern, dass im Libanon niemand helfen konnte und niemand eingegriffen hat. Natürlich haben wir die Millionen von Toten im Krieg zwischen Irak und Iran zu bedauern. Aber das kann doch nicht dazu führen, dass wir nun in einer völlig einseitigen Sicht die Schuldverschiebung im Irak vornehmen und die Augen davor verschließen, daß, wenn dieses Ungeheuer von Diktator an dieser Stelle nicht gestoppt worden wäre, der gesamte arabische Kontinent aufgerollt worden wäre ‑ über Jordanien bis Saudi‑Arabien, bis nach Ägypten. Und das sind die Kriterien, die Maßstäbe, die hier anzusetzen sind.

 

Wenn wir uns nicht zu Dank an die USA durchringen können, dann sollen sie wenigstens an der Stelle raus, bei der es nach Diskreditierung aussieht. ‑ Danke!

(Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wir haben wieder eine Reihe von Wortmeldungen. ­Heike Ließfeld hat das Wort.

 

Heike   L i e ß f e l d   (Spandau): Wenn auf dem Bundesparteitag ein Beschluss gefasst wird, dann bin ich in dieser Partei, um von unten nach oben darüber zu diskutieren und mir nicht von oben vorgeben zu lassen, was ich zu denken habe!

(Vereinzelter Beifall)

Deshalb ist es wichtig, dass heute hier darüber diskutiert wird; denn sonst brauchte ich nicht in dieser zu Partei sein, dann könnte ich in eine andere gehen, die sich inzwischen aufgelöst hat.

 

Wenn hier andauernd die UNO angeführt wird, dann macht euch, bitte, klar, dass dieser Weltsicherheitsratsbeschluss nur zustande gekommen ist, weil die USA seit August durch die Weltgeschichte gereist sind und die Veto‑Staaten ‑ sprich: Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion ‑ eingebunden haben. Eine demokratische UNO‑Vollversammlung hätte diese Resolutionen nie gefasst.

(Vereinzelter Beifall)

Wenn wir ohne eine veränderte UNO Teile der Bundeswehr dem UN‑Oberkommando unterstellen, dann heißt das, dass die USA uns nächstes Mal in Anspruch nehmen, wenn sie vielleicht wieder irgendeinen kleinen Staat wie Grenada besetzen wollen.

 

Im übrigen kann man ja sagen, dass Pierre Salinger ‑ (phonet. ‑ d. Red.) ‑ sehr unverdächtig ist. Sein Buch ist seit Dienstag in der Bundesrepublik erhältlich; in diesem Buch führt er sehr genau an, wie seit Ende des ersten Golfkriegs die USA Saddam Hussein ermuntert haben, nicht verstanden haben, weil hier wieder das typische Bild des Vietnam‑USA‑Kriegers in Erscheinung getreten ist, der von seinen Vorstellungen ausgeht und die kulturelle Identität und die andere Kultur anderer Staaten überhaupt nicht berücksichtigt.

 

Ich wehre mich dagegen ‑ so schlimm der Einmarsch in Kuwait gewesen ist ‑, dass dieser Krieg ‑ und das müsstest du dir auch mal vor Augen führen ‑ mit Waffen der USA, von Frankreich, von Großbritannien, von der Sowjetunion und aus der Bundesrepublik geführt worden ist, weil nämlich diese Staaten, auch die westlichen Staaten, im ersten Golfkrieg den Irak gegen den Iran aufgerüstet haben. Heute, bei diesem zweiten Golfkrieg, ist Syrien der große Verbündete, der vor kurzem noch der Weltterrorist Nummer eins gewesen ist. Jetzt bekommt Syrien die Waffen. Und wenn dann wieder irgend etwas nicht paßt, dann gibt es wieder eine alliierte Streitmacht im Nahen Osten, und dann wird vielleicht wieder mit Irak gegen Syrien marschiert. So einfach ist doch die Welt momentan noch geschaffen, und da lasse ich wirklich jede Dankadresse an die USA weg.

 

Das ist auch meine Frage: Welche Rolle will Deutschland spielen? Will es die USA bedingungslos unterstützen, wie du das gemacht hast, Jochen Gardain? Oder wollen wir wirklich kritisch sehen, dass auch die Entwicklungsländer zu ihrem Recht kommen?

(Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Das Wort hat Klaus Böger.

 

Klaus   B ö g e r   (Steglitz): Liebe Genossinnen und Genossen! Je länger man der Debatte zuhört, desto interessanter werden die Interpretationen dieses Antrags. Ich habe den Beitrag von Heike Ließfeld gehört und muss das so verstehen: Sie stimmt dem Antrag zu, unter anderem deshalb, weil sie gegen die UNO‑Resolutionen ist, die nun ‑ nach meiner festen Überzeugung ‑ das einzig glückhafte bei dieser Entwicklung waren, nämlich dass erstmals diese Weltgesellschaft via UNO zu gemeinsamen Resolutionen gekommen ist. Ich kann überhaupt nicht begreifen, wie man das auch noch kritisieren will.

(Beifall)

Ich begreife nicht, wie zugleich dann Kurt Neumann sich hier hinstellt und sagt, die Embargo‑Beschlüsse hätten weiter durchgezogen werden müssen, wenn man mit diesem Antrag gegen die UNO‑Resolutionen sein kann. Das begreife ich nicht.

 

Daraus ziehe ich einen Schluss: Es ist in der Tat nicht die Alternative, die hier formuliert wird ‑ von Kurt Neumann in Erwiderung gegen Gerd Löffler ‑: Diejenigen, die nachdenken und politisch aktiv sein wollen, müssen diesem Antrag zustimmen, und jene, die sagen, dieser Antrag soll in die Parteigremien in Berlin gehen, es sollen Diskussionen in Berlin geführt werden, sind die Unpolitischen, sind diejenigen, die auf Orders von oben warten. ‑ Nein, das ist nicht die Alternative!

 

Die Alternative liegt eben bei dem Vorschlag von Hermann Borghorst ganz klar so: Die Berliner SPD tut da etwas, wo sie etwas tun kann, nämlich die Gruppen und Menschen ins Gespräch zu bringen, über die Fragen offen zu diskutieren und insofern Konsense zu finden. ‑ Das ist sehr wohl ein wichtiger, politischer Beitrag, viel, viel wichtiger als irgendeine Resolution, einen Antrag zu verabschieden und zu denken, damit hat es sich.

 

Nun möchte ich noch etwas zu diesem Antrag sagen: Er hat schon einen ‑ Kurt Neumann, und da will ich diejenigen, die daran gearbeitet haben, hier eindeutig loben ‑, wichtigen Prozess ausgelöst. Er ist aber eben in den Dingen, die eigentlich aus bundesdeutscher Sicht klar und präzise zu benennen sind, nämlich in der Frage: Bundeswehreinsatz ‑ ja oder nein?, Grundgesetzänderung ‑ ja oder nein? und in der Frage Waffenexporte, Leistungen ‑ in Anführungszeichen ‑ der deutschen Industrie, schwabbelig und schwach. Und in den Fragen, bei denen wir eigentlich viel mehr Zurückhaltung haben müssten, nämlich bei Fragen, wie in der Region Nahost und Mittelost eine Friedenslösung auszusehen hätte, da ist er viel zu eindeutig.

 

Wir reden beständig vom Selbstbestimmungsrecht der Völker und damit auch der Staaten. Wie verträgt es sich denn eigentlich mit dem Selbstbestimmungsrecht, wenn wir diesen Völkern und diesen Staaten in dieser Region bis zum Jota vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben? Ich frage euch einmal, wie es angekommen wäre ‑ über 40 Jahre hat es gedauert nach dem Zweiten Weltkrieg, bis in Europa Bewegung kam ‑, wenn dort von den Staaten Südamerikas eine präzise Formulierung gekommen wäre, wie wir uns im eigenen Land zu verhalten haben. Das kann nicht angehen, da wäre Zurückhaltung politisch mehr gewesen. Aus diesem Grund bin ich für die Vorschläge von Gerd Löffler und von Hermann Borghorst.

(Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Das Wort hat Ingrid Holzhüter.

 

Ingrid   H o l z h ü t e r   (Tempelhof): Genossinnen und Genossen! Hier ist angeführt worden, dass die USA möglicherweise durch die Blume in irgendeiner Form von uns gemaßregelt werden sollen. Ich will hier mal ganz deutlich sagen, was wir seit Jahren sagen ‑ und hier sind wir gefordert, es an einem konkreten Beispiel auszusprechen ‑: Es gibt keinen gerechten Krieg!

(Beifall)

Krieg darf nicht wieder führbar erscheinen. Nirgendwo und durch niemanden!

 

Ich betrachte die USA als unseren Freund. Und wo, bitte, soll man denn kritisieren, soll man diskutieren, soll man bewahren, wenn nicht unter Freunden? Ich glaube, es ist geradezu unsere Pflicht, uns mit den USA auch in dieser Beziehung freundschaftlich auseinanderzusetzen, und dem kann und soll kein Tabu Einhalt gebieten. Ich denke, Freunde sollten vor allen Dingen ehrlich untereinander sein.

 

Die SPD hat sich lange als eine Friedenspartei dargestellt, nennt sich überall so, und ich denke, da ist es hier auf diesem Landesparteitag, der sich aus der SPD‑West und der, Gott sei Dank, unblutig dazugekommenen SPD‑Ost zusammensetzt, angebracht, dass sie sich deutlich und politisch so ausdrückt, wie es dieser Antrag in seinem Konsens, in seiner großen Aussage bedarf.

 

Hier ist auch gleich mit anzuführen, dass durchaus namhafte Leute sagen, dass das Horrorgemälde, was man gezeichnet hat, dass der Teufel Hussein mit Chemie und Atom durch die Lande zieht, vielleicht auch dazu gedient hat, die Leute etwas mehr zu dem Eindruck zu bringen, dass es einen gerechten Krieg gegen einen ungerechten Diktator gibt, weil dieser Krieg so gar nicht führbar gewesen wäre.

 

Ich denke, das muss hier nicht diskutiert werden, da können wir sicherlich auf dem von Hermann Borghorst vorgeschlagenen Forum eingehend darüber diskutieren. Ich glaube aber nicht, dass man deswegen hier diesen Antrag nicht beschließen soll. Man kann das eine tun und muss das andere nicht lassen.

(Vereinzelter Beifall)

Ich denke, Zustimmung zu diesem Antrag bedeutet doch überhaupt nicht, dass wir dieses nicht auch tiefgreifend und mit allen Erkenntnissen versehen diskutieren sollen.

 

Aber, Genossinnen und Genossen, macht euch doch nichts vor: Auf dieser Tagung wird es wieder das Häuflein der Aufrechten geben, die sich damit auseinandersetzen, und nicht die große Partei. Hier aber sitzen die gewählten Vertreterinnen und Vertreter der Bezirke, und wir sind auch dafür gewählt, dass wir der SPD eine kontinuierliche Aussage machen, wie wir über bestimmte Dinge denken.

 

Ich denke, über den Krieg da denken wir doch hoffentlich alle gleich, und deswegen hindert uns niemand daran, hier eine Aussage zu machen. Im Gegenteil: Es wäre wirklich schädlich für uns, wenn wir diese Aussage hier nicht machen würden und uns dahinter versteckten, dass man irgendwo und irgendwie immer noch andere Aspekte finden kann. Ich denke, das Thema Krieg wird nie in nächster Zeit zu Ende und abschließend diskutiert werden können. Es wird immer wieder neue geben, leider. Deswegen wird uns auch Raum bleiben für dieses Forum. Trotzdem werden wir den Antrag abstimmen.

(Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Das Wort hat Walter Momper, Kreuzberg.

 

Walter   M o m p e r   (Neukölln): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich im Kreis Neukölln der Partei angehöre und nicht mehr in Kreuzberg.

(Vereinzelter Beifall)

Ich bitte euch, über diesen Antrag zu befinden, und das, was abweichend davon ist, möge in Änderungsanträgen eingebracht werden. Denn wie jeder weiß, haben wir im Mai Parteitag. Und eine der Fragen, die innerhalb der deutschen Sozialdemokratie im Moment diskutiert wird ‑ und das wussten alle schon seit langem ‑, ist natürlich die Golffrage.

 

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass es der Landesausschuss war, der ziemlich einvernehmlich einer Kommission unter Kurt Neumann, die offen war für alle, die mitmachen wollten, den Auftrag erteilt hat, einen solchen Antrag zu erarbeiten, und zwar nicht einen Antrag, der moralisch beurteilt, was die USA gut gemacht haben und was dieser schlimme Saddam schlimm gemacht hat, sondern es ging darum, Hinweise für den weiteren Weg zu geben, um zu einer Friedensordnung dort zu kommen.

(Vereinzelter Beifall)

Das war der Inhalt des Antrags, und ich glaube, das ist, soweit das überhaupt möglich ist, gut eingelöst worden.

 

Wenn hier zu Recht gesagt wird, dass die Deutschen ‑ müssen und wollen ‑ eine größere Rolle in der internationalen Politik spielen, dann ist es wohl auch in Ordnung, wenn eine der großen deutschen Parteien, nämlich die Sozialdemokratie, sagt, was sie davon hält.

 

Man kann auch Anträge auf Parteitagen beschließen und sie hinterher mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutieren.

(Vereinzelter Beifall)

Ich teile das, was einige aus der Partei im Landesausschuss gesagt haben, die hier dazu diskutiert haben ‑ wie du beispielsweise, Klaus ‑: Wir haben eigentlich andere existentielle Probleme, die viel stärker im Mittelpunkt unseres Parteitags und auch unserer Parteiarbeit stehen sollten, als die Golffrage. Diese Gewichtung teile ich, und weil das so ist, sage ich: Einen Antrag mit der Willensbildung müssen wir beschließen, aber wir haben andere Probleme, die wir mit der Öffentlichkeit diskutieren sollten.

(Vereinzelter Beifall)

Weil alle wussten und weil alle wissen, dass auch der Berliner Landesverband auf dem Bundesparteitag in Bremen dazu ein Votum abgeben sollte, hätten sich auch alle darauf einrichten können. Es tut mir leid, wenn hier in diesem Landesverband künstlich Fronten und Gegensätze konstruiert werden.

(Beifall)

Dann teile ich das nicht und halte das auch nicht für richtig. Und das wird hier von einigen versucht. Es wird versucht, aus ziemlich vordergründigen Ursachen. Ich finde es auch deshalb nicht in Ordnung, weil beispielsweise im Landesausschuss ‑ mit einer Änderung, ich sage mal, zugunsten Israels, die Ursula Leyk zu Recht eingebracht hatte ‑ dieser Antrag auch nicht auf Widerstand gestoßen ist, sondern weil er ausgewogen ist, auch dort passieren konnte ohne größere Diskussion.

 

Nun sage ich mal, weshalb hier kein moralisches Urteil über Saddam drin ist. Es wäre wirklich wert, darüber mal zu diskutieren, wo denn sozusagen das Schlimme und das Tragische liegt, dass die Araber sich aufschwingen, sozusagen jedem Führer, und wenn es dieser schlimme Diktator ist, zuzujubeln, weil man dann darüber diskutieren müsste, dass das unendlich reiche Kuwait und in Kuwait wieder diese unendlich reichen Herrscher auf dem großen Geld sitzen, aber warum andere Staaten in dieser Region, zum Beispiel Irak, zum Beispiel auch Iran, an dem unendlichen Reichtum der Region nur so wenig partizipieren.

(Beifall)

Das alles ist wohl richtig, aber genauso gehört dann auch dazu ‑ das sage ich mit der gleichen Klarheit ‑: Natürlich gab es gegen diesen Diktator in dieser Situation kein anderes Mittel mehr, wenn man nicht hätte riskieren wollen, dass mit den Israelis sonst etwas passieren würde. Aber genauso gehört zur Wahrheit auch dazu, dass ‑ und das tut mir weh, das treibt mich um, und da bin ich mit vielen, die auch Sorge um das Land Israel haben, ziemlich einig ‑ langfristig die Situation der Israelis im Nahen Osten nicht etwa leichter geworden ist, sondern, im Gegenteil, sie ist schwieriger geworden. Deshalb kommt es jetzt so sehr darauf an, einen Frieden zu finden, der auch einigermaßen Substanz hat und der dann auch trägt.

 

Dann möchte ich noch mal etwas zu unserer innerparteilichen Diskussion sagen. Es geht nicht darum, ob die Sozialdemokratie sozusagen Nein sagt, die Deutschen werden sich an nichts beteiligen, was die UNO macht, die natürlich nun mal so ist, wie sie ist, und sie wird sich auch nicht so schnell demokratisieren, wie das hier so schön heißt. Das heißt, die wirtschaftlich Starken, die diesen Laden unterhalten und bezahlen ‑ das sind die großen Industrieländer der westlichen Welt, allen voran die Amerikaner ‑, haben natürlich unverändert einen großen Einfluss auf die UNO. Das ist nun mal so. Die Machtverhältnisse sind falsch verteilt. Ich finde das auch nicht so gut, aber das kann man nun mal nicht ändern.

 

In der Sozialdemokratie und im PV geht es darum ‑ und da kann ich auch nur alle lieben, rechten Freunde auf diesem Landesparteitag auffordern, dass auch der Berliner Landesverband sich eindeutig dazu äußert ‑, ob auch die deutsche Sozialdemokratie Ja dazu sagt, dass sich auch die Bundeswehr an Blauhelm‑Aktionen beteiligt und dass dafür auch das Grundgesetz geändert wird. Da möchte ich alle bitten und auffordern ‑ Hermann Borghorst, Gerd Löffler, Klaus Böger ‑, dazu möchtet ihr euch, bitte, bekennen!

(Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Das Wort hat Bettina Michalski.

 

Bettina   M i c h a l s k i   (Kreuzberg): Ich möchte mich vor allem bei der Genossin Holzhüter dafür bedanken, dass sie hier versucht hat, die Diskussion wieder etwas zu versachlichen ‑ Walter hat da versucht, etwas anzuknüpfen ‑. Ich hoffe, Ingrid war mit ihrem Versuch erfolgreich. Denn wenn wir jetzt auch noch anfangen, über die Interpretation von irgendwelchen Wortzusammenstellungen zu diskutieren, kommen wir nie zu irgendwelchen Beschlüssen, egal, zu welchem Thema, weil wir dann nicht nur den Antragstext beschließen, sondern auch noch, welche der Interpretationen dabei aber möglicherweise unzulässig ist. ‑ Also, so geht es einfach nicht!

 

Deshalb möchte ich euch auffordern, bezieht euch auf den Antragstext, seht, was wirklich darin steht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier irgend jemand im Raum ist, der Krieg als Mittel der politischen Auseinandersetzung gutheißt. Das kann ich mir selbst angesichts der verharmlosenden Fernsehbilder nicht vorstellen, so etwas geht über meine Phantasie. Ich glaube, in dem Punkt sind wir uns einig, und dann sollten wir diesen Punkt auch so beschließen.

 

Ich habe zum Beispiel Angst davor, dass sich jetzt überall Rüstungskonzerne die Hände reiben und ihre Auftragsbücher schon wieder herausholen, weil natürlich wieder Optionen geöffnet worden sind. Die werden sehr wohl mit Genugtuung gesehen haben, wie ihre Waffen da erprobt werden und werden sich überlegt haben: Was können wir denn noch verbessern? Oder auch die Firmen, die jetzt den Wiederaufbau dort zugeschoben bekommen und sich daran wieder dumm und dämlich verdienen; zu 80 % übrigens amerikanische Firmen, aber das nur mal nebenbei, dafür können sie ja vielleicht nichts, dass sie aus Amerika kommen. Egal, woher sie kommen: Es gibt Firmen, die verdienen am Krieg, es gibt Firmen, die verdienen am Wiederaufbau, und die werden in tausend Jahren noch dafür sein, dass man irgendwo etwas kaputtmacht und hinterher wieder aufbaut und neue Waffen herstellt. Das ist eine Kette ohne Ende. Ich finde, das ist eine Logik, der wir hier ein Ende setzen müssen, wo wir sagen müssen: Nein, Leute, ohne uns, das machen wir nicht mit!

 

(Beifall)

Natürlich ist es mit dem Antrag nicht getan. Die Weltentwicklung geht weiter, und wir werden in einem halben Jahr, in einem Jahr, in zehn Jahren uns immer wieder neu zu Fragen von Krieg und Frieden verhalten müssen. Die Partei hat, solange sie besteht, sich immer zu diesen Fragen verhalten. Dieser berühmte Satz, diesem System keinen Mann ‑ vielleicht auch keine Frau, heutzutage ‑ und keinen Groschen, ist ja nun mal unter anderem von einem Sozialdemokraten. Nicht nur, ich weiß, er ist älter, aber Bebel hat den Satz berühmt gemacht.

 

Und Ingrid hat in dem Punkt auch recht gehabt: Was hindert uns, diesen Beschluss auf unserem heutigen Erkenntnisstand und Kenntnisstand zu beschließen und dann trotzdem zu überlegen, ob es sinnvolle Möglichkeiten gibt, die Positionsfindung noch weiter voranzutreiben? Eine Möglichkeit hatte ich euch vorhin schon angeboten: Es wird ein Seminar dazu geben; wer Interesse hat, solle sich bei mir melden.

 

Wir können aber eines nicht machen: Wir können nicht überlegen, ob wir die Regenschirme, die wir morgen vielleicht brauchen, erst übermorgen austeilen. Das geht nicht! Wir müssen uns die Instrumentarien, die wir morgen für unsere eigene Handlung brauchen, heute zur Verfügung stellen, sonst sind wir nämlich außen vor, und das, finde ich, geht auch nicht.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Bevor ich Michael Frank das Wort gebe, möchte ich Jochen Gardain noch bitten, seine Änderungsanträge schriftlich nach oben zu geben.

 

Michael   F r a n k   (Steglitz): Genossinnen und Genossen! Ich glaube, wir sollten doch hier und heute feststellen, dass es bestimmte Vereinbarungen gibt, hinter denen wir alle stehen. Keiner von uns will Krieg, und ich glaube, wir alle sind dafür, dass die Waffenlieferungen in diese Krisenregionen aufhören müssen. Da ist es auch ganz egal, ob das Syrien, der Irak, Saudi‑Arabien oder ein anderes Land ist. Ich glaube, dahinter müssen wir doch alle stehen, und das ist eine Lehre, die wir aus diesem Krieg ziehen müssen.

 

Zu der Haltung in bezug auf die UNO und das, was geschehen ist, hat Gerd Löffler vieles gesagt, ich brauche das nicht zu wiederholen. Nur, in diesem Antrag erscheint es mir so, dass wir als Sozialdemokraten scheinbar der Welt jetzt sagen können, wie es sein muss. Das Wörtchen „muss“ erscheint fast in jedem Absatz. Und da bestimmen wir auch zum Beispiel, wer Gesprächspartner von Israel sein „muss“. Ich könnte mir vorstellen, dass die Entwicklung darüber hinweggeht, dass vielleicht nicht die PLO dieses ist. Sie kann es sein, aber sie muss es doch nicht unbedingt sein. Es gibt dort bestimmte Bestrebungen, die wir nicht vorwegnehmen müssen in Form dieses Imperativs.

 

Ein weiterer Punkt, der mir hierbei auffällt, ist die Kritik an der UNO. Walter hat gesagt, sie ist so, wie sie ist, und dann wird kritisiert, dass der UNO‑Sicherheitsrat nicht demokratisch ist ‑ von anderen, Walter. Das mag so sein, aber lügen wir uns nichts in die Tasche: Die Mehrheit der Länder in der UNO sind auch nicht demokratisch. Und wenn es dann eine mehrheitliche Entscheidung dieser Länder geben würde, wäre es eine von nicht demokratischen Ländern, nämlich von Ländern, die hauptsächlich Ein‑Parteien‑Systeme kennen und nicht Demokratie üben. Seht euch mal die Berichte von Amnesty International und anderen an, was dort kritisiert wird auch in der Dritten Welt. Das sollten wir doch zumindest anerkennen. Und deshalb müssen wir mit der UNO, so, wie sie jetzt ist, leben und versuchen, mit den Ländern, die Demokratien sind ‑ und das sind die USA, England und Frankreich beispielsweise ‑ ‑ Das sind Demokratien, die kann man kritisieren, aber mit denen muss man hier, glaube ich jedenfalls, klarkommen und sollte auch hier diskutieren und sie nicht verdammen.

 

Deshalb beantrage ich, dass ein Nebensatz gestrichen wird, weil er in der Bevölkerung wirklich suggerieren kann, die USA seien quasi Kriegstreiber, und zwar auf Seite 7, Abschnitt VI, zweiter Absatz. Dort steht nämlich: „Aufgabe der NATO war es, die Sicherheit West‑Europas gegenüber der Sowjetunion zu gewährleisten, …“. Ich beantrage, hier einen Punkt zu machen und nicht etwa hinzuschreiben, dass die USA im Nord‑Süd‑Bereich Kriege vom Zaun brechen. Dieses könnte nämlich den Eindruck erwecken, als sei das ein quasi gegen die USA gerichteter Antrag. Ich beantrage also, nach „gewährleisten“ einen Punkt zu machen.

 

Wir sollen auch mit Worten abrüsten und aufeinander zukommen. Deshalb gestattet mir eine persönliche Erklärung, dann brauche ich mich nachher nicht noch mal zu melden. Ich habe vorhin in einem anderen Redebeitrag bei den Delegiertenwahlen den Kreis Tempelhof genannt. Die Tempelhofer haben das so verstanden, dass ich ihnen vorwarf, hier nicht demokratisch zu verfahren, sondern sich vorschreiben zu lassen, wie sie abstimmen. Ich entschuldige mich hierfür ‑ sie können nichts dafür, dass ihnen der Zettel auf den Tisch gelegt wurde ‑, und ich hoffe, sie nehmen das so an. ‑ Danke schön!

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich gebe jetzt Dagmar Luuk das Wort und gehe davon aus, dass das jetzt wirklich die letzte Wortmeldung zu dem Thema ist.

 

Dagmar   L u u k   (Wedding): Liebe Genossinnen und Genossen! Gerade der Beitrag von Walter Momper hat auch deutlich gemacht, dass man sich vielleicht doch in der Sache ein bisschen mehr mit den Ländern im Nahen Osten auseinandersetzen müsste. Walter, der Irak ist nicht mal ein Entwicklungsland, sondern ein Schwellenland und verfügt über reichliche Ressourcen. Und hätte der Irak, der über Öl verfügt und Bauxit und ich weiß nicht, was noch alles für Bodenschätze, diese Gelder in die Entwicklung des Landes gesteckt und nicht in Waffen ‑

(Beifall)

da brauchst du nicht abzuwinken ‑, dann wäre heute das Lebensniveau der Menschen in diesem Irak weit besser, als es zu verzeichnen ist.

 

Und, Walter, ich denke, dass man sich, wenn man über Rüstungsexporte spricht, sicherlich zuerst an die eigene Brust klopfen muss, weil wir da einiges nachzuholen haben. Aber ich kann auch wie Dietrich Stobbe beitragen: Wenn es einen gibt, der sich dabei eingebracht hat, dann ist das Norbert Gansel. Das darf man nicht vergessen,

(Vereinzelter Beifall)

wenn er auch vielleicht an der einen oder anderen Stelle etwas sagt, was denen, die hier mehrheitlich versammelt sind, nicht passt. Ich sage aber auch, dass die Kriege in dieser Region natürlich nur durch die Waffenlieferungen der Sowjetunion, die 80 % der Waffen dorthin geliefert hat, möglich waren.

 

Ich sage auch, dass zehn Prozent des Außenhandels der Israelis im Waffenexport besteht. Das wollen wir bei der Gelegenheit auch nicht verschweigen. Das geht in die Länder Südamerikas und auch nach Südafrika. Ich denke, dass man all das offen ansprechen muss, wie ich überhaupt glaube, dass wir uns alle darin einig sind, dass es um eine Konfliktvermeidung geht, um eine Konfliktverhinderung und dass wir heute aber über Konfliktlösungen auch kriegerischer Art sprechen.

 

Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil ich der Auffassung bin, dass wir hier nicht sagen können: Wir wollen auf gar keinen Fall Krieg, unter keinen Umständen. ‑ Ich selbst glaube auch nicht, dass es gerechte Kriege gibt. Ich glaube aber, dass es Situationen geben mag, in denen einem Teil der Bevölkerung oder Ländern nichts anderes übrigbleibt, als sich zu wehren. Und wenn man den Sandinisten erzählt hätte, sie hätten keine Berechtigung gehabt, mit Waffengewalt gegen die Somoza‑Diktatur vorzugehen, dann bin ich heute noch, auch wenn es später Kritik an den Sandinisten gegeben hat, auf ihrer Seite, dass sie sich auflehnen mussten.

(Vereinzelter Beifall)

Ich bin heute noch auf der Seite der Rebellen in Guatemala und auch in Salvador, weil ich glaube, dass diejenigen bei der Arena‑Partei, die ‑ mit Unterstützung auch der USA, das weiß ich wohl ‑ das dicke Geld haben, diejenigen ihrer Bevölkerung unterdrücken, die die Mehrheit sind, die nicht die Möglichkeit haben, mitzusprechen. Die haben gar keine andere Wahl, als sich auch mit Waffengewalt durchzusetzen oder zu versuchen, überhaupt gehört zu werden. Man kann nicht so moralisch sagen, das gibt es niemals, dass man sich wehren darf. Die Organisation der Kurden, die im Irak vergast, vergiftet, verfolgt,

(Vereinzelter Beifall)

aufgehängt und massakriert worden ist, die Reste davon könnt ihr noch in den Flüchtlingslagern besichtigen, wie sie dort im Iran und in der Türkei unter miserabelsten Umständen, bei 20 Grad unter Null in Zelten, leben. Ich will das alles gar nicht beschreiben.

 

Jedenfalls hat sie die humanitäre Hilfe, die wir angeboten haben, die die UNO organisiert hat, nicht mal erreichen dürfen, weil das auch die Türken verhindert haben. Humanitäre Hilfe war bis jetzt auch im Irak nicht möglich, weil das IKRK, der Hohe Flüchtlingskommissar und all die UNO‑Einrichtungen, die ich für gut halte, dort überhaupt nicht hineingelassen worden sind.

 

Vielleicht noch ein letztes Wort. Kurt, ich habe dich schon verstanden, das Embargo, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren, war sicher richtig. Ob es Saddam Hussein vielleicht noch die Kraft gelassen hätte, die Atombombe fertigzustellen oder nicht, das können wir alle nicht beurteilen. Wenn hier aber ‑ und, Heike Ließfeld, du weißt, wir arbeiten in diesen Fragen auch oft zusammen ‑ von kultureller Unterschiedlichkeit gesprochen wurde oder von Mentalitäten, dann bin ich die erste, die da zuhören will. Ich möchte mich verstehen als jemand, der für die Länder des Südens eintritt, für faire Austauschbedingungen im Welthandel, für eine solidarische Entwicklungshilfe, aber nicht für Mord und Totschlag von jeglichem Gegner und für ein Niedermachen der Opposition und von Minderheiten!

 

Weil das so ist, fühle ich mich ganz wohl, wenn ich zum Schluss jetzt Willy Brandt, den Ehrenvorsitzenden und Präsidenten der Sozialistischen Internationale, zitieren darf aus einem Aufsatz, der gerade erschienen ist, der sich auch mit dem Schrecken des Golfkriegs und seiner Eskalationen auseinandersetzt, und der alles andere möchte, aber jedenfalls nicht militärische Konfliktlösungen. Er sagt, ich zitiere wörtlich:

 

Auf der anderen Seite kann kein Zweifel bestehen, dass der militärische Einsatz der USA und ihrer Alliierten durch die Resolution 678 des Weltsicherheitsrats legitimiert war.

 

Ich denke, dass wir, wenn wir einen Frieden wollen, weitergucken und die Ausgleichsprobleme zwischen Nord und Süd sehen müssen.

 

In dem Punkt stimme ich auch dem Antrag zu, aber nicht, was die doch hineingenommene Rückwärtsbetrachtung ausmacht. Ich stimme auch nicht dem zu, was sich hier so schön moralisch anhört: keinen Krieg, wenn ich damit keine gerechten Verhältnisse auf der Welt herstellen kann. Ich möchte sie anders haben, aber ich möchte auch nicht, dass Kleine wehrlos den Übergriffen anderer ausgesetzt sind oder dass unterdrückte Minderheiten und die Mehrheit in anderen Ländern ewig unterdrückt bleiben, weil sie keine Möglichkeit haben, sich gegen die Herrschenden durchzusetzen.

(Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wir sind damit am Ende der Aussprache und kommen zurück zu

 

Punkt 5 der Tagesordnung

Wahl von Bundesparteitagsdelegierten

und Nominierungen für den Bundesvorstand

 

Ich gebe Gerlinde Bernsdorff das Wort zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses.

 

Gerlinde   B e r n s d o r f f   (Wahlkommission I): Nach dieser aufregenden Debatte jetzt ein eher nüchternes Ergebnis. Aber ich denke, ihr werdet euch trotzdem darüber freuen, weil wir nämlich den dritten Wahlgang dadurch vermieden haben, dass wir gut gewählt haben. Der Reihe nach: Es wurden insgesamt 208 Stimmen abgegeben, alle waren gültig. Davon hat bekommen

 

Klaus‑Uwe Benneter:             89 Stimmen, damit hat er den 4. Platz,

Willi‑Fred Boheim:              81 Stimmen, 7. Platz,

Manfred Breitenkamp:            71 Stimmen,

Marianne Brinckmeier:           95 Stimmen, 2. Platz,

Manfred Dennert:                59 Stimmen,

Christina Eisner:              134 Stimmen und damit den 1. Platz,

(Beifall)

Ursula Leyk:                    71 Stimmen,

Harald Lüderitz:                43 Stimmen,

Jürgen Lüdtke:                  76 Stimmen und damit den 8. Platz,

Irmi Meier‑Nieraad:             83 Stimmen, 6. Platz,

Helios Mendiburu:               48 Stimmen,

Doris Schneider:                88 Stimmen, 5. Platz,

Monica Schümer‑Strucksberg:     94 Stimmen und damit den 3. Platz,

Peter Seitz:                    75 Stimmen,

Utta Stötzer:                   62 Stimmen und

Karl‑Georg Maucher:             22 Stimmen.

 

Es hätten mindestens drei Frauen und zwei Männer gewählt werden müssen. Gewählt worden sind fünf Frauen und drei Männer. Vielleicht geht das ja auch so demnächst mal weiter: das wäre doch mal eine Umkehrung, ein Fortschritt in eine andere Richtung. ‑ Ich danke euch!

(Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Danke, Gerlinde. ‑ Wir kommen zurück zu

 

Punkt 4 a) der Tagesordnung

Beratung eines Antrags über Grundzüge einer neuen

Friedensordnung im Nahen Osten

 

und damit zur Abstimmung über den Leitantrag.

 

Bevor ich Kurt Neumann das Wort gebe, möchte ich den Antrag von Hermann Borghorst aufrufen, der auf Nichtabstimmung und Überweisung an den Landesvorstand lautete. Mir wird signalisiert, dass Kurt Neumann den Text hat; ich gebe ihm das Wort.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Es ist in der Tat richtig: Das ist der weitestgehende Antrag, der uns die anderen Abstimmungen dann auch entbehrlich erscheinen lassen würde. Der Antrag heißt folgendermaßen:

 

Der Leitantrag zu einer neuen Friedensordnung im Nahen Osten wird an den Landesvorstand mit dem Auftrag überwiesen, gemeinsam mit dem zuständigen Fachausschuss des Landesverbands sowie dem Arbeitskreis „Europa“ und dem Arbeitskreis „Nord‑Süd“ eine Fachkonferenz zu dem Antrag und den Änderungsanträgen durchzuführen.

 

Da die Antragskommission empfohlen hat, dem Antrag in ihrer Fassung zuzustimmen, empfiehlt sie natürlich hinsichtlich dieses Antrags Ablehnung.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Kurt Neumann empfiehlt, den Antrag von Hermann Borghorst abzulehnen. Ich lasse über den Antrag von Hermann Borghorst abstimmen und bitte diejenigen um das Kartenzeichen, die dem Antrag von Hermann Borghorst ihre Zustimmung geben möchten. ‑ Gegenprobe! ‑ Auszählen! Es tut mir leid, es ist nicht eindeutig festzustellen, wo die Mehrheit liegt.

(Widerspruch)

Wir sind uns im Präsidium einig, dass ausgezählt werden sollte. Ich bitte also die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Aufstellung zu nehmen.

 

Ich darf dann noch mal um das Kartenzeichen bitten, wer dem Antrag von Hermann Borghorst auf Überweisung an den Landesvorstand seine Zustimmung geben möchte.

 

Ich darf jetzt mal das Kartenzeichen für die Gegenprobe erbitten.

 

Liebe Genossinnen und Genossen! Für den Antrag von Hermann Borghorst haben 84 Delegierte gestimmt, dagegen 94, damit ist der Antrag abgelehnt!

(Vereinzelter Beifall)

Ich gebe wieder Kurt Neumann das Wort.

 

Kur   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Es wird jetzt etwas kompliziert. Ich bitte, aufmerksam zu sein und mir zu helfen, wenn ich irgendwo mal etwas nicht ganz auf die Reihe kriege. Wir sollten jetzt die Anträge abschnittsweise durchgehen.

 

Zum Abschnitt I gibt es einen Änderungsantrag des Genossen Gardain, die erste Zeile zu ändern und es folgendermaßen lauten zu lassen:

 

Nach sechs Wochen des vom Diktator Saddam Hussein heraufbeschworenen Kriegs am Golf sind die unmittelbaren Kampfhandlungen beendet.

 

Die Antragskommission hat sich damit nicht im einzelnen beschäftigt. Wir haben aber immer versucht, das relativ neutral zu fassen. Wenn es aber der größeren Zustimmung auf dem Landesparteitag dient, schadet es nichts, wenn wir dieses aufnehmen, denn in der Sache ist das ja richtig.

(Vereinzelter Beifall ‑ Zuruf: Sehr gut!)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Damit ist das Bestandteil.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wenn aus der Antragskommission nicht heftigst widersprochen wird, dann ist das Fassung der Antragskommission.

 

Zu II. ist von der Genossin Michalski beantragt worden ‑ auf grünem Papier ‑, den Absatz 1 zu streichen. Dieses entspricht nicht den Intentionen der Antragskommission, denn wir wollten schon ‑ vorsichtig formuliert, aber nicht undeutlich ‑ zu politischen Verantwortlichkeiten und Ursachen Stellung nehmen, so dass möglichst jeder zustimmen kann, aber auch nicht so, dass wir neutral werden in diesem Punkt. Eine Streichung wäre Neutralität, und das könnte, glaube ich, nicht im Interesse einer politischen Aussage sein. Deshalb empfehlen wir Ablehnung.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich lasse über die Empfehlung der Antragskommission abstimmen. Sie empfiehlt Ablehnung. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Die Gegenprobe! ‑ Gegen ganz wenige Stimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann hat Bettina einen Hilfsantrag hierzu gestellt, den einen Satz ‑ Satz 5 ‑ auszuwechseln, in dem sie das geschrieben hat, was an anderer genauso schon drinsteht, dass Krieg keine politische Auseinandersetzung sein darf und dass Menschenleben geschont werden müssen. Wir wollten in dieser Formulierung, die sie gestrichen haben will, aber deutlich machen, dass hier Entscheidungen getroffen worden sind, die möglicherweise mehr Menschenleben gekostet haben, als wirklich notwendig gewesen wäre. Diesen Denkanstoß wollen wir uns eigentlich nicht versagen und empfehlen deshalb auch hier Ablehnung dieses Änderungsantrags.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich lasse wiederum über die Empfehlung der Antragskommission abstimmen. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Gegen ganz wenige Stimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann bleiben wir, wenn ich das richtig sehe, bei Abschnitt II. Genosse Gardain hat auf Seite 5 ‑ oben ‑ beantragt, nach dem ersten Halbsatz den zweiten Halbsatz zu streichen, „auch wenn er nach den militärischen Erfolgen der USA und ihrer Verbündeten wieder als führbar erscheint:“.

 

Mir scheint eine Streichung nicht angemessen, weil wir den Illusionen vorbeugen müssen, denen einige ‑ nicht bei uns ‑ nachlaufen, dass Krieg wieder in begrenztem Raum wirklich führbar erscheint. Diesen Eindruck haben wir, glaube ich, als Partei nicht, und das sollten wir auch deutlich sagen ‑ deshalb Ablehnung dieser Änderung.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich lasse wiederum über die Empfehlung der Antragskommission abstimmen, das heißt Ablehnung des Antrags von Jochen Gardain. Ich bitte diejenigen um das Kartenzeichen, die dem zustimmen möchten. ‑ Gegenprobe! ‑ Das erste war die Mehrheit, damit bleibt der Text so bestehen, wie er zur Zeit ist!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Zu III. habe ich keine Änderungsanträge, wenn ich das richtig überblicke.

 

Dann kommen wir zu IV. ‑ dazu ist aus Tiergarten beantragt worden, den ersten Satz von Nummer 1 zu streichen und zu ersetzen durch die Formulierung:

 

Ein dauerhafter und gerechter Frieden braucht als Basis Demokratie und Selbstbestimmungsrecht für alle Völker der Region. Diktatoren und Feudalherrscher sind Hindernisse auf diesem Weg.

 

Mir scheint das eine gute Formulierung zu sein, die mehr beinhaltet als das, was die Antragskommission zunächst vorgeschlagen hat. Deshalb meine ich, kann sich die Antragskommission das zu eigen machen und empfiehlt Annahme.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich lasse über die Empfehlung der Antragskommission abstimmen. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei ganz wenigen Gegenstimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann ist zu IV., Nummer 1, beantragt, die Jerusalem‑Formulierung der Antragskommission zu ersetzen durch die Formulierung des Landesausschusses. Ich weiß nicht, ob ihr so schnell zwischen den beiden Heften hin‑ und herspringen könnt. Ich lese beide kurz vor. Bei der Antragskommission heißt es:

 

Jerusalem sollte als israelische Stadt zu einer Stadt des Friedens werden, in der der Dialog zwischen dem Judentum, dem Islam und dem Christentum besonders intensiv geführt wird.

 

Die Formulierung des Landesausschusses hieß:

 

Denkbar erscheint als ein Ergebnis solcher Verhandlungen, dass ganz Jerusalem zu einer offenen Friedensstadt wird, in der der Dialog zwischen dem Judentum, dem Islam und dem Christentum besonders intensiv stattfinden kann.

 

Die Antragskommission hat sich für ihre Fassung eingesetzt, deshalb empfiehlt sie, den Antrag von Bettina Michalski, den Antrag in der Formulierung des Landesausschusses wiederherzustellen, abzulehnen.

 

(Zuruf von Walter Momper)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Tut mir leid, Walter, wir sind jetzt in der Abstimmung, ich kann jetzt keine weiteren Wortmeldungen zulassen.

 

Ich lasse jetzt über die Empfehlung der Antragskommission abstimmen und bitte diejenigen um das Kartenzeichen, die dem ihre Zustimmung geben wollen. ‑ Gegenprobe! ‑ Das erste war die Mehrheit!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann kommen wir zu IV., Nummer 1, den vierten Absatz ‑ auf Seite 5 unten ‑. Dort hat Jochen Gardain beantragt, den letzten Halbsatz zu streichen: „… oder durch die USA und ihre Verbündeten besetzt bleiben.“. Er hat darauf hingewiesen, dass dieses mit der Abzugsforderung aller Truppen bereits abgedeckt ist. Ich denke, das ist richtig. Und wenn darin jemand Antiamerikanismus sehen könnte, tun wir gut daran, das an dieser Stelle herauszunehmen, weil es inhaltlich nicht notwendig ist. Die Antragskommission macht sich das sicher zu eigen und empfiehlt Annahme.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich lasse jetzt über die Empfehlung der Antragskommission abstimmen. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Das erste war die Mehrheit, damit so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Zu Abschnitt IV, Nummer 1, erster Absatz auf Seite 6 oben ‑ jetzt wieder rosa Änderungsantrag Tiergarten ‑, dort ist formuliert: „… das Recht auf eine eigene kulturelle Identität und auf politische Autonomie innerhalb der jeweiligen Länder erhalten.“, zugunsten der Kurden, zu ersetzen durch „… das Recht auf nationale Selbstbestimmung …“. Ich denke, dass man das Recht auf nationale Selbstbestimmung so verstehen kann, dass beide Möglichkeiten umfasst sind: sowohl die Autonomie innerhalb der verschiedenen Länder als auch möglicherweise, wenn es in einem Friedensprozess denn möglich ist, einen eigenen Staat zu machen, so dass das eine offenere Formulierung ist. Ich denke, die Antragskommission kann sich dieses so zu eigen machen, so dass wir Annahme dieser Empfehlung vorschlagen.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich bitte wiederum um das Kartenzeichen, wer der Empfehlung der Antragskommission folgen will. ‑ Gegenprobe! ‑ Das war eindeutig die Mehrheit, damit so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann kommen wir zum grünen Änderungsantrag von Bettina Michalski, in IV., Nummer 3, das Wort „irakischen“ zu streichen. Wir haben in der Antragskommission kurz diskutiert. Wir denken schon, daß, bevor weitere Abrüstungsmaßnahmen überhaupt diskutiert werden, die irakischen Mittelstreckenraketen weg müssen, dass das allererste Voraussetzung ist,

(Vereinzelter Beifall)

und meinen, dass dementsprechend zu empfehlen ist, diesem Änderungsantrag nicht zuzustimmen, sondern ihn abzulehnen.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich bitte diejenigen um das Kartenzeichen, die dem folgen wollen. ‑ Gegenprobe! ‑ So beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   : Weiter im grünen Änderungsantrag zu IV., Nummer 4, Absatz 2. In Absatz 2 haben wir über einen Wiederaufbauplan und auch über Unterstützungsnotwendigkeiten der Europäischen Gemeinschaft und Deutschlands Formulierungen. Dieses würde eine andere Position bekommen, wenn hier gesagt wird, aus der Region heraus ist der Wiederaufbauplan allein zu finanzieren. Die Forderung, dass Reparationszahlungen möglicherweise nicht notwendig und nicht sinnvoll sind, weil das Land Irak genug zerstört ist, ist richtig, aber wir haben keine Äußerung zur Reparationszahlung. Wir wollen aber nicht, dass die ursprüngliche Fassung rauskommt, dass Europa und auch Deutschland den Wiederaufbau dort unterstützen sollen. Deshalb beantragen wir Ablehnung des auf grünem Papier vorliegenden Änderungsantrags.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Einen kleinen Moment! Wir haben übersehen, einen Änderungsantrag an Kurt Neumann zu geben. ‑ Ich darf jetzt erst mal über die Empfehlung der Antragskommission abstimmen lassen und bitte diejenigen um das Kartenzeichen, die dem zustimmen wollen. ‑ Gegenprobe! ‑ Das war die Mehrheit!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Übersehen ist nichts, aber schriftlich nicht vorliegende Änderungsanträge können eigentlich nicht berücksichtigt werden, weil es schon schwierig genug ist, die schriftlichen zu berücksichtigen.

(Vereinzelter Beifall)

Es ist nicht ganz einfach, muss ich sagen; aber jetzt ist es hochgereicht worden.

 

Zu IV.: In Nummer 4 soll die Formulierung „… um die Durchsetzung der Menschenrechte, …“ ergänzt werden um „… von Frauen und Männern …“. Ich würde sagen, „… für alle Frauen und Männer …“. Das liegt jetzt hier schriftlich vor, und da es sicherlich nicht falsch und auch zur Klarstellung gedacht ist, empfehlen wir Annahme.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich verstehe dich so, dass ihr das übernehmen wollt?

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Ja, wir übernehmen das!

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich bitte diejenigen um das Kartenzeichen, die der Empfehlung der Antragskommission die Zustimmung geben möchten.‑ Gegenprobe! ‑ Das erste war die Mehrheit!

(Zurufe: Nein, nein!)

Wenn das angezweifelt wird, lasse ich gern auszählen, aber von hier oben war es eigentlich eindeutig. ‑ Kurt, bitte, fahre fort.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Gut, Genossinnen und Genossen, man sollte bestimmten Anträgen dann doch nicht zu sehr entgegenkommen, wenn sie Verwirrung auslösen.

(Vereinzelter Beifall)

Selbstkritik auch mal an dieser Stelle.

 

Ein weiterer Änderungsantrag auf grünem Papier zu VI., Absatz 2, Satz 2 ‑ das ist auf Seite 7. Dort soll verändert werden ‑ ‑ Das ist falsch, ich muss zunächst auf den Antrag von Michael Frank eingehen, der textmäßig etwas davor ist. Michael Frank möchte in dem zweiten Absatz des Abschnitts VI. vom ersten Satz den zweiten Halbsatz gestrichen haben:

 

… nicht aber die westeuropäischen Länder in militärische Nord‑Süd‑Konflikte an der Seite der USA hineinzuziehen oder gar der regionalen Großmachtpolitik der türkischen Regierung zu dienen.

 

Wir denken, dass es wichtig ist, dass die NATO nicht umfunktioniert wird von einer bestimmten Aufgabenstellung in eine andere. Die Tendenz ist ja insofern dagewesen, als gesagt worden ist, wegen unserer NATO‑Bündnisverpflichtungen gegenüber der Türkei müssen wir in den Konflikt eigentlich eingreifen. Um dieser Umfunktionierung entgegenzutreten, haben wir diese Formulierung, wie sie der Landesausschuss vorgeschlagen hat, für richtig gehalten, und deshalb empfehlen wir Ablehnung des Änderungsantrags von Michal Frank.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich lasse dann über die Empfehlung der Antragskommission abstimmen. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Das erste war die Mehrheit!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Jetzt wieder zum grünen Papier: Abschnitt VI, zweiter Absatz, zweiter Satz: „Nach der Auflösung …“ usw. Dort möchte Bettina Michalski „KSZE und Truppenreduzierungsverhandlungen“ eingeschoben haben. Das Ende des Satzes möchte sie anders formuliert haben, es soll heißen: „… um im Ergebnis auch die NATO abzuschaffen.“. Bei uns heißt es: „… um im Ergebnis als Verteidigungsorganisation selbst überflüssig zu werden.“. Uns scheint das, was die Antragskommission vorgeschlagen hat, politisch klarer zu sein, dass hier etwas nicht mehr notwendig wird wegen der Dinge, die man vorher durchgesetzt hat. Außerdem scheint es im Bewusstsein vieler Menschen zustimmungsfähiger zu sein. Und weshalb soll man etwas nicht zustimmungsfähiger formulieren? Deshalb empfehlen wir Ablehnung des Antrags.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich bitte wieder um das Kartenzeichen, wer der Empfehlung der Antragskommission zustimmen möchte. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei ganz wenigen Gegenstimmen so beschlossen!

 

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Jetzt wird es ganz kompliziert, nun kommen wir zu Abschnitt VII. Hier haben wir zumindest drei Änderungsvorschläge. Zur Verfahrensvereinfachung: Das, was die Genossin Michalski vorgeschlagen hat, ist übernommen worden. Soweit es von der Antragskommission übernommen worden ist, bedarf es keiner Abstimmung mehr, so dass das insoweit deutlich und eindeutig ist. Das heißt, in Abschnitt VII., Nummer 2, Satz 2, wird zur Verdeutlichung eingefügt, dass alle Gremien demokratisch verfasst sein müssen und dass nach der Umsetzung dieser Anforderungen auch deutsche Soldaten dann nach Artikel 43 dort eingesetzt werden können.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Das war vorhin im Redebeitrag von Bettina zurückgezogen worden.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Ja, aber wenn die Antragskommission ihre Fassung verändert, dann kann der Antragsteller zurückziehen, was er zurückziehen will, dann ist das die Empfehlung der Antragskommission. Das ist so! Welche Gründe dazu geführt haben, gute Anträge, die auch noch die Zustimmung der Antragskommission finden, zurückzuziehen, das mögen die Genossen in Kreuzberg untereinander klären, das ist nicht unsere Aufgabe als Antragskommission.

(Vereinzelter Beifall)

Außerdem ist es verfahrensmäßig einfacher, dann haben wir nämlich nur noch zwei Änderungsanträge, wenn ich das richtig sehe. Der eine heißt auch „Änderungsantrag Kreuzberg“ ‑ ich habe ihn auf weißem, er ist aber, glaube ich, auf rosa Papier ‑, und der Initiativantrag 10 ist, wenn man es genau nimmt, auch ein Änderungsantrag zu diesem Absatz. Wir haben dieses Problem ausführlich diskutiert. Ich denke, der Antrag Kreuzberg ist der weitergehende Änderungsantrag; Antrag 10 ist der weniger weitgehende, obwohl man sich da vielleicht streiten kann. Da wir aber nach gründlicher Diskussion die Fassung der Antragskommission auf der Basis dessen, was der Landesausschuss erarbeitet hat, zur Beschlussfassung vorgeschlagen haben, lehnen wir beide Änderungsanträge ab. Ich bitte, entsprechend über beide abzustimmen in folgender Reihenfolge: erst über den von Kreuzberg, dann über den von Charlottenburg. ‑ Also: Ablehnung der Änderungsanträge zu Abschnitt VII., Nummer 2.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich denke, wir müssen hier noch mal zur Klarstellung etwas sagen, offensichtlich gibt es Irritationen im Saal. Grundlage der Beschlussfassung ist die Fassung der Antragskommission, die euch in dem Paket insgesamt vorliegt. Wenn jetzt Dinge ‑ ‑

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Nein, nein! Grundlage der Beratung sind die Empfehlungen der Antragskommission, wie sie sie zuletzt gefasst hat. Wenn aufgrund von Änderungsanträgen, die nachgereicht werden, die Antragskommission ihre Empfehlung ändert, dann ist das die aktuelle Empfehlung der Antragskommission, so ist das nun mal. Wir haben getagt zu Beginn des Parteitags, wir haben getagt mitten im Parteitag, und wir machen die Empfehlungen nicht als Scherz, sondern wir haben damit ziemlich viel Arbeit gehabt. Wenn wir diese Arbeit machen, dann wollen wir auch, dass darüber abgestimmt wird, und so ist es auch statutenmäßig richtig.

(Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Danke, Kurt, ich wollte das vielleicht ein bisschen ausführlicher sagen, als du das jetzt getan hast, aber es war trotzdem in sich kein Widerspruch.

(Vereinzelter Beifall)

Ich darf dann über die Empfehlungen der Antragskommission zu diesem Bereich abstimmen lassen, weil das der Wunsch der Delegierten ist. Ich bitte diejenigen um das Kartenzeichen, die dem zustimmen möchten.

(Unruhe ‑ Kurt Neumann: Kreuzberg zuerst!)

Kurt!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Noch mal kurz: Es liegen zwei Änderungsanträge vor, über die ich gesondert abstimmen lassen würde ‑ zunächst über Kreuzberg, dann über Charlottenburg. Kreuzberg heißt hier „Änderungsantrag“, Charlottenburg heißt „Initiativantrag 10“. Hinsichtlich beider Anträge empfiehlt die Antragskommission Ablehnung.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich danke für die Klarstellung und bitte dann jetzt um das Kartenzeichen, wer dem Votum der Antragskommission folgen will. ‑ Gegenprobe! ‑ Das erste war die Mehrheit, damit ist so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Gut, Genossinnen und Genossen, dann haben wir noch, wenn ich das richtig sehe, zwei unmittelbar dazukommende Änderungsanträge, der eine ‑ auf rotem Papier ‑ ist von Tiergarten. Die Antragskommission ist sich einig ‑ die Tiergartener hoffentlich mit uns ‑, dass dieser Antrag durch den Leitantrag ‑ und durch die Änderungen auch ‑ erledigt ist.

 

Dann haben wir ‑ auf grünem Papier ‑ einen Änderungsantrag aus Reinickendorf ‑ darüber steht Initiativantrag 1, soll aber Änderungsantrag heißen ‑, der ist bis auf den letzten Absatz erledigt. Wir haben die mühsamen und guten Arbeiten des Kreises Reinickendorf auch weitgehend verwerten können. Der letzte Absatz muss gesondert abgestimmt werden; da haben wir dann eine positive Empfehlung, das sollten wir danach beschließen.

 

Wenn ich das richtig gesehen habe, haben wir, wenn wir dieses so behandelt haben, keine Anträge mehr zum Leitantrag, so dass dann über den Leitantrag eine Gesamtabstimmung stattfinden könnte.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich habe dich jetzt so verstanden, dass du den letzten Absatz aus diesem ‑ ‑ jetzt noch abgestimmt haben willst, der dann Bestandteil des Leitantrags wird. Oder willst du total separat?

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Nein, nein! Ich weise nur darauf hin, dass wir noch Anträge haben, dass aber der eine hinterher behandelt werden muss und der andere nicht mehr, dass wir jetzt zur Abstimmung über den Leitantrag kommen können.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Dann kommen wir jetzt zur Schlussabstimmung des Leitantrags mit den beschlossenen Änderungen. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Das erste war eindeutig die Mehrheit!

(Vereinzelter Beifall)

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann kommen wir zurück zum Änderungsantrag auf grünem Papier. Hier sollten wir den letzten Absatz als gesonderten Antrag an den Bundesparteitag beschließen oder, wie es richtigerweise heißt, den Parteitag:

 

Die SPD verurteilt die Maßnahmen der gegenüber der Berichterstattung vom Golfkrieg ausgeübten Pressezensur als einen Angriff auf das Grundrecht der Meinungs‑ und Informationsfreiheit, das zu den entscheidenden Voraussetzungen einer demokratischen Weltordnung gehört.

 

Wir haben das in der Antragskommission auch debattiert. Wir waren uns darüber einig, dass es bestimmte Dinge gibt, in die man Journalisten nicht reinsehen und über diese dann auch nicht berichten lassen kann ‑ aus militärischen Notwendigkeiten. Aber Journalisten zensiert berichten zu lassen, und das über Tage und Wochen, das macht es fragwürdig, für welche demokratische Ordnung denn da eigentlich gekämpft worden ist. Da waren wir uns mit den Reinickendorfern einig: Dieses muss mit Deutlichkeit auch vom Bundesparteitag so beschlossen werden, deshalb sollten wir das beim Bundesparteitag so beantragen.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich bitte dann diejenigen um das Kartenzeichen, die dem ihre Zustimmung geben wollen. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei einigen wenigen Gegenstimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen, als nächstes sollten wir die Resolution, den Aufruf zum Ostermarsch, behandeln, die sich inhaltlich stark auf den Leitantrag stützt, den wir soeben beschlossen haben. Die Antragskommission empfiehlt Annahme dieser Resolution, die an euch verteilt worden ist.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich darf dann um das Kartenzeichen bitten, wer dem seine Zustimmung geben möchte. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei ganz wenigen Gegenstimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Unmittelbar zu diesem Bereich gehört auch der Initiativantrag 1, der ganz kurz ist. Er ist auf blauem Papier; wenn ihr ihn nicht findet, lese ich ihn schnell mal vor:

 

Wir fordern

‑ eine sofortige humanitäre Hilfe für den Irak und Kuwait, ‑ die Unterstützung einer demokratischen Entwicklung in   beiden Ländern,                                          ‑ eine Aufklärung über das Ausmaß der Kriegsschäden, die   Anzahl der Toten und Verletzten im Golfkrieg.

 

Die Antragskommission war nicht mehr in der Lage, dieses an vernünftiger Stelle in den Leitantrag einzubauen. Da uns die Forderung aber berechtigt erschien, empfehlen wir Annahme als gesonderten Antrag an den Bundesparteitag.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich lasse auch über diese Empfehlung der Antragskommission abstimmen und bitte um das Kartenzeichen, wer dem zustimmen möchte. ‑ Gegenprobe! ‑ Dieses ist bei einer Gegenstimme so beschlossen!

 

Wir kommen nun zu

 

Punkt 4 b) der Tagesordnung

Beratung der übrigen Anträge

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen dann zu den weiteren Anträgen, zuerst zum Bereich der Friedenspolitik. Ich bitte euch, wieder das Empfehlungsheft vorzunehmen, das euch heute auch vorgelegt worden ist, und Seite 10 aufzuschlagen. Dort geht es zunächst um Antrag 5/II/91 (Zehlendorf), Antragsbuch Seite 12. Es geht darum, eine breite Diskussion zur Frage Wehrpflicht oder Berufsarmee und derartige Konstellationen durchzuführen. Wir wollen, dass diese Diskussion in der Partei geführt wird und empfehlen deshalb Annahme.

 

Der zweite Absatz, der um bestimmte Reduzierungen geht, ist erledigt, so dass wir nur den ersten Absatz zu behandeln haben. Wir empfehlen, wie gesagt, Annahme.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich lasse darüber abstimmen und bitte diejenigen um das Kartenzeichen, die dem die Zustimmung geben möchten. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei wenigen Gegenstimmen so beschlossen!

 

Ich gehe davon aus, dass die Erledigungsvermerke dann wieder pauschal abgestimmt werden können.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Ja! Das wollte ich gerade vorschlagen. Die Anträge 13, 19 und 23, jeweils Antragsbuch Seite 10, sind sämtlich durch die Annahme des Leitantrags erledigt.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Erhebt sich dagegen Widerspruch? ‑ Das ist offensichtlich nicht der Fall.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen damit zum Bereich Innenpolitik, Seite 11 der Empfehlungen der Antragskommission. Zunächst Antrag 2/I/91 (Neukölln), Antragsbuch Seite 16, zur Verkleinerung der Abgeordnetenhausfraktion. Hier hatten wir einen gewissen Vorlauf im Landesausschuss. Der Landesausschuss war ‑ und ich hatte dem da zugestimmt ‑ der Meinung, dass die Fraktion das allein behandeln sollte. Es gab in der Antragskommission an dieser Haltung deutliche Kritik, und es wurde mit ganz überwiegender Mehrheit die Auffassung vertreten, dass dieses in der Partei breit diskutiert werden müsste. Deshalb haben wir empfohlen, diesen Antrag an die Fraktion zu überweisen, aber mit einer bestimmten Maßgabe, nämlich dass der Landesparteitag über die Ergebnisse der Beratung der Fraktion Bericht erstatten soll, und zwar auch über etwaige Minderheitsvoten, zweitens, in der Sache nicht entscheiden soll im Parlament, bevor der Landesparteitag die Möglichkeit hatte, hierzu Stellung zu nehmen. Das ist die Empfehlung der Antragskommission zu diesem Punkt, um den Rechten der Partei in Grundsatzfragen der Verfassungsgestaltung genüge zu tun.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Es ist Überweisung an die SPD‑Fraktion beantragt. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ­Das ist so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 8/II/91 (Wedding), Antragsbuch Seite 16, geht ‑ ‑

 

(Zuruf von Klaus Böger)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Entschuldigung! ‑ Ich kann mich nur entschuldigen, wenn eine Wortmeldung war. Offensichtlich hat das keiner im Präsidium gesehen, und ich auch nicht.

 

Genossinnen und Genossen! Durch ein Versehen des Präsidiums ist eine Wortmeldung übersehen worden. Ich bitte, ausnahmsweise zurückgehen zu dürfen und gebe Ditmar das Wort.

 

Ditmar   S t a f f e l t   (Tempelhof): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich will euch zu diesem Punkt kurz den Diskussionsstand in der Fraktion mitteilen. Wir haben ‑ erstens ‑ eine Koalitionsvereinbarung, die dieser Landesparteitag beschlossen hat. Diese Koalitionsvereinbarung sagt ganz klar, dass die Zahl der Abgeordneten in Zukunft nicht mehr 200, sondern weniger als 200 zu betragen hat.

 

Punkt 2: Wir glauben, dass es nötig ist, dass im Berliner Abgeordnetenhaus eine Entscheidung über diese Frage, nämlich über die Zahl, vor der Sommerpause erfolgen muss, damit das deutlich und klar für die Zukunft festgelegt ist und nicht etwa in Situationen, die wir heute nicht überschauen können, erst eine solche Entscheidung herbeigeführt werden muss.

 

Dritter Punkt: Wir haben gerade am Donnerstag einen Antrag der AL/Bündnis 90 abgelehnt, in dem es hieß, die Zahl der Abgeordneten wird auf 149 festgelegt. Wir haben das aus einem Grund getan: Es geht hier nicht um die Festlegung einer Zahl Pi mal Daumen, sondern darum, dass sehr wohl überlegt wird: Welche Zahl Abgeordneter benötigen wir, um als Abgeordnete in dieser Stadt tatsächlich auch Bürgernähe praktizieren zu können? Wie wird sich die Wahlkreiseinteilung in dieser Stadt darstellen?

 

Und im Übrigen: Unter welchen Prämissen ist dieses Parlament arbeitsfähig? ‑ Das ist nicht allein damit getan, dass wir einen spektakulären Beschluss fällen, die Verfassung ändern und dann nach kurzer Zeit wieder zu einer Änderung kommen, weil wir sehen, dass wir mit einer solchen Zahl nicht auskommen oder dass sie zu groß ist. Deshalb bitte ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich ‑ ich weiß ja nicht, wann der nächste Landesparteitag stattfinden wird ‑, dass wir das Votum des Landesparteitages hier auf den Weg bekommen ‑ Verkleinerung wird es geben ‑, dass wir aber den Handlungsspielraum als Fraktion erhalten, die Zahl festzulegen.

 

Wir werden mit dem Landesausschuss und auch mit allen anderen Gliederungen der Partei natürlich über diese Frage diskutieren und gegenüber ihnen auch Rechenschaft ablegen. Nur bitte ich, uns die Flexibilität zu erhalten ‑ unter allen Umständen. Ich sage mal: Spätestens im Mai, Anfang Juni sollte eine solche sachgerechte, wohlüberlegte Entscheidung im Abgeordnetenhaus getroffen werden ‑ in Absprache mit dem Koalitionspartner und möglichst auch der Opposition, bei der es ja auch um einiges geht, das darf man nicht vergessen. Es geht ja nicht nur um die Verkleinerung der großen Fraktionen, auch die kleinen müssen arbeitsfähig gehalten werden. Wir wollen also möglichst einen breiten Konsens in dieser Frage im Abgeordnetenhaus unter Beteiligung der Oppositionsparteien herbeiführen. Mein Petitum wäre: Überweisung an die Fraktion. Wir sind bereit, den Gremien der Partei eine entsprechende Sachstandsberichterstattung zu geben und die Gliederungen der Partei rechtzeitig zu informieren, aber, bitte, keine Festlegung auf den nächsten Parteitag.

(Vereinzelter Beifall)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Übernimmt die Antragskommission den Antrag von Ditmar Staffelt?

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir müssen erst mal klarstellen, was die Sachlage ist. Antrag 2 (Neukölln) hat eine eindeutige präzise Formulierung:

 

  1. Reduzierung der Abgeordnetenzahl von 200 auf höchstens    150.

 

  1. Reduzierung der Wahlkreise zur Eindämmung von    Überhang‑ und Ausgleichsmandaten.

 

Das ist der Antrag, der von Neukölln insgesamt eingereicht worden ist.

 

Dann gibt es das Koalitionsabkommen, das vom Landesparteitag gebilligt worden ist. Dort heißt es, ein Antrag zur Verkleinerung des Berliner Parlaments ist einzubringen:

 

Die Hälfte der Abgeordneten soll nach den Grundsätzen der relativen Mehrheitswahl, die andere Hälfte über Listen gewählt werden.

 

Das heißt: 50 : 50, nicht 60 : 40, weil das zu vielen Überhangmandaten führt. Alles weitere ist in der Koalitionsvereinbarung offen. Wenn wir den Antrag Neukölln beschließen, ist es nicht mehr offen.

(Ditmar Staffelt: Richtig!)

Also sind wir uns einig, dass da noch weiter diskutiert und verhandelt werden muss von der Fraktion; also ist Überweisung erst einmal richtig.

 

Nun ist das Problem, ob Überweisung und Berichterstattung an den Landesparteitag ‑ das ist sicherlich wünschenswert ‑ möglich sind. Nun würde ich von mir aus einen Kompromiss vorschlagen, ohne dass ich sagen könnte, dass das die Meinung der Antragskommission ist, weil wir anders abgestimmt haben. Ich versuche es mal ‑ wenn aus der Antragskommission kein Widerspruch kommt, ist das eine Empfehlung ‑, dass wir sagen: mit der Maßgabe, dem Landesausschuss über das Ergebnis zu berichten, und die Fraktion soll endgültig erst entscheiden, wenn der Landesausschuss die Möglichkeit hatte, Stellung zu nehmen. ‑ Dann haben wir die Partei eingeschaltet, aber sind nicht in der zeitlichen Schwierigkeit, dass der Landesparteitag erst später stattfinden kann. Der Fraktionsvorsitzende stimmt zu. Aus der Antragskommission erkenne ich keinen Widerspruch, also ist das die neue Empfehlung der Antragskommission.

(Ditmar Staffelt: Noch eine Verschärfung, die mir wichtig ist für die Arbeit in der Fraktion: noch vor der Sommerpause! Schreibt das, bitte, rein.)

‑ Nein, so detaillierte Vorschriften würde ich mich nicht getrauen, gegenüber der Arbeit der Fraktion zu machen. Das musst du in der Fraktion schon selbst durchsetzen, wie schnell ihr da arbeitet. ‑ Überweisung an die Fraktion mit der Maßgabe, dass im Landesausschuss zu berichten ist und dass der Landesausschuss vor der endgültigen Entscheidung gehört wird: Das ist jetzt die Empfehlung der Antragskommission.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich lasse jetzt die neue Empfehlung der Antragskommission abstimmen und bitte diejenigen um das Kartenzeichen, die dem zustimmen wollen. ‑ Gegenprobe! ‑ Gegen ganz wenige Gegenstimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Zu Antrag 8/II/91 (Wedding), Antragsbuch Seite 16 ‑ es geht um die Rückführung des unrechtmäßig erworbenen Eigentums der PDS ‑ empfehlen wir Annahme.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Gegen ganz wenige Gegenstimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 26/II/91 (Weißensee), Antragsbuch Seite 16, ist nur eine Meinungskundgebung an den Landesparteitag. Die Weißenseer Genossinnen und Genossen sind der Meinung, dass es bei den Bezirkslisten bleiben soll. Da dem Landesparteitag keine anderslautenden Anträge vorliegen, gibt es keine Notwendigkeit zur Beschlussfassung. Wir nehmen dieses also zur Kenntnis.

 

Antrag 27/II/91 (Weißensee), Antragsbuch Seite 9 ‑ Änderung der allgemeinen Zuständigkeitsverordnung und der Durchführungsverordnung. Genossinnen und Genossen, vielleicht dazu eine generelle Bemerkung: Die Antragskommission ist nicht der Meinung, dass wir als ein Ersatzparlament oder eine Ersatzfraktion da sind. Einzelne Fragen müssen schon von der Fraktion in eigener Verantwortung bearbeitet werden. Deshalb beantragen wir, hier wie an anderer Stelle, Überweisung an die Fraktion.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Offensichtlich enthält sich die Mehrheit der Stimme, aber jedenfalls war das erste die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 28/II/91 (Weißensee), Antragsbuch Seite 16: Hier fordert Weißensee die Abgeordnetenhausfraktion auf, den Wahltermin für die Bezirksverordnetenwahlen zu verschieben und gleichzeitig mit einer Verschiebung einhergehen zu lassen, zum Zeitpunkt des ursprünglichen Wahltermins 30. Juni, so ungefähr, die Anzahl der Bezirksverordneten zu verkleinern. Letzteres, glaube ich, geht überhaupt nicht. Ersteres ist politisch, glaube ich, falsch, denn wir müssen ‑ jetzt auch entsprechend der Koalitionsabsprache und weil es richtig ist ‑ die Bezirksverordnetenwahlen jetzt durchführen. Deshalb schlägt die Antragskommission Ablehnung des Antrags von Weißensee vor.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Gegen wenige Stimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Bei Antrag 32/II/91 (Abt. 4, Hellersdorf), Antragsbuch Seite 9, geht es um das Recht, in Stasi‑Akten Einsicht zu nehmen. Wir haben das ein bisschen umformuliert, wie es üblicher ist. Das haben wir aber in mehreren Anträgen gemacht. Vielleicht gucken sich die Antragsteller das an, damit sie es das nächste Mal auch so machen. In der Sache selbst haben wir nichts geändert. Wir empfehlen Annahme in der Fassung der Antragskommission.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Damit so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 33/II/91 (Abt. 5, Kreuzberg), Antragsbuch Seite 16: Da geht es um eine breite Verfassungsdebatte über eine erneut zu schaffende Verfassung für das vereinte Deutschland. Hier haben wir Inhalte, nämlich plebiszitäre Elemente, soziale Rechte, aus anderen Anträgen eingearbeitet als Zielrichtung, die bei der Diskussion mit berücksichtigt werden soll. Mit dieser Veränderung beantragen wir Annahme in der Fassung der Antragskommission.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Gegen wenige Stimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Bei Antrag 37/II/91 (Treptow), Antragsbuch Seite 9, auch wiederum nur eine kleine stilistische Umformulierung. Annahme in der Fassung der Antragskommission.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich bitte auch hier um das Kartenzeichen, wer dem zustimmen möchte. ‑ Gegenprobe! ‑ So beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission):; Antrag 39/II/91 (Friedrichshain), Antragsbuch Seite 9, ist erledigt durch Annahme des Antrags 33/II/91. Ich bitte, dies festzustellen.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Erhebt sich Widerspruch? ‑ Das ist nicht der Fall.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 40/II/91 (Friedrichshain), Antragsbuch Seite 9, ist durch Annahme von Antrag 37/II/91 erledigt.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Erhebt sich dagegen Widerspruch? ‑ Das ist nicht der Fall.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Bei Antrag 41/II/91 (Friedrichshain), Antragsbuch Seite 9, geht es um die Staatshaftung für Maßnahmen, die während der unsicheren Rechtsverhältnisse bei den Grundstücken getroffen werden, dass die Staatshaftung dort vom Bund übernommen wird. Wir empfehlen Annahme.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Das erste war eindeutig die Mehrheit!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 48/II/91 (Abt. 4, Mitte), Antragsbuch Seite 9 ‑ Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern des Stalinismus und der SED‑Diktatur ‑, haben wir etwas umformuliert. Wir empfehlen Annahme in der Fassung der Antragskommission.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gibt es Gegenstimmen? ‑ Damit so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 53/II/91 (Abt. 1, Köpenick), Antragsbuch Seite 9: Erledigt durch Annahme des Antrags 37/II/91.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Erhebt sich dagegen Widerspruch? ‑ Nein, weiter!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen zu den Anträgen im Bereich Soziales. In Antrag 1/II/91 (Wilmersdorf), Antragsbuch Seite 10, geht es um Seniorenwohnungen. Wir beantragen Überweisung an die Abgeordnetenhausfraktion.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ So beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 12/II/91 (Schöneberg), Antragsbuch Seite 11 ‑ Abschaffung des Ehegattensplitings. Wir haben das stilistisch etwas verändert, und in dieser veränderten Fassung empfehlen wir Annahme.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Entschuldigung, ich sehe eine Wortmeldung ‑ Lore Hüser!

 

Genossinnen und Genossen, wenn die Anträge aufgerufen sind ‑ Kurt ist zwar schnell, und ich denke, es ist in unser aller Interesse, das auch schnell zu machen ‑, bitte ich, wirklich ganz schnell nach vorn zu kommen und uns notfalls einen Zettel zu geben. Bei der Unruhe, die hier ‑ auch durch Herumlaufen ‑ herrscht, ist ein Handaufheben einfach schlecht zu sehen.

 

Lore   H ü s e r   (Schöneberg): Es geht um den Antrag zum Ehegattensplitting; da möchte ich nicht, dass es so schnell geht. Es ist geändert worden, dass das an die SPD‑Bundestagsfraktion überwiesen werden soll. Ich bin mir nicht sicher, ob die SPD insgesamt dem nun schon zustimmt. Ich kenne bislang nur die Forderung, dass das Ehegattensplitting gekappt werden soll. Das ist etwas anderes, als wenn es gänzlich gestrichen werden soll; deshalb will ich hier noch mal kurz ausführen, was darunter zu verstehen ist. Ich bitte euch um Aufmerksamkeit, Genossen, denn es geht im Zweifelsfall an euer eigenes Portemonnaie, jedenfalls immer dann, wenn ihr keine partnerschaftliche Ehe führt.

 

Das Steuerrecht muss derart umgestaltet werden, dass die Erwerbstätigkeit von verheirateten Frauen nicht benachteiligt wird und steuerliche Vorteile nicht an die Rechtsform der Ehe geknüpft werden. Das Ehegattensplitting wird abgeschafft. An seine Stelle tritt die Individualbesteuerung, womit die bisherigen Steuerklassen entfallen.

 

Noch mal kurz zur Erläuterung, das Splitting funktioniert folgendermaßen: Grundsätzlich werden alle Steuerpflichtigen einzelveranlagt nach der Grundtabelle des Einkommensteuergesetzes. Eine Ausnahme gibt es nur für verheiratete Paare. Sie haben die Möglichkeit, sich nach der sogenannten Splittingtabelle zusammen veranlagen zu lassen. Dabei werden die Einkünfte der Ehegatten zusammengerechnet, anschließend halbiert, das heißt gesplittet, und die Steuer auf beide Hälften gerechnet.

 

Beim Progressionsverlauf des Einkommensteuertarifs spielt es nun eine wesentliche Rolle, ob das Einkommen im Block oder geteilt besteuert wird. Alleinverdiener können durch das Splitting bis zu 23 000 DM im Jahr an Steuern sparen. Das Splitting ist eine Vergünstigung für Ehemänner, die eine Hausfrauenehe führen. Für eine partnerschaftliche Ehe, in der Mann und Frau gleichviel verdienen, gibt es keinerlei ‑ ich bitte, das zu beachten ‑ Vorteile für die Ehegatten durch dieses Ehegattensplitting. Erst wenn nämlich ‑ typischerweise ‑ die Frau weniger verdient, kommt es zu einer Steuervergünstigung. Diese Vergünstigung wird dabei um so größer, je weniger sie verdient, und ist am größten, wenn sie gar nichts verdient.

 

Will die Ehefrau dennoch erwerbstätig werden, erhält sie in der Regel die ungünstige Steuerklasse 5, wobei sie das zusätzlich an Steuern abführen muß, was ihr Mann mit Lohnsteuerklasse 3, die von der Hausfrauenehe ausgeht, spart. Das Nettoeinkommen wird dadurch so gering, dass sich die Erwerbstätigkeit der Frau kaum lohnt.

 

Die SPD will den Splittingvorteil auf 6 000 DM pro Jahr begrenzen, was einem Jahreseinkommen von ungefähr 80 000 DM entspricht. Da das Splitting mit steigendem Einkommen steigt, schafft eine solche Kappung zweifellos mehr Gerechtigkeit zwischen armen und reichen Ehemännern. Es schafft aber keine Gerechtigkeit für die Ehefrauen.

(Vereinzelter Beifall)

Solange das Splitting nicht grundsätzlich abgeschafft ist, wird die Berufstätigkeit von Ehefrauen bestraft, solange werden auch bei durchschnittlich Verdienenden die Frauen aus Steuergründen Aushilfsjobs anstreben oder ganz auf ihre ökonomische Eigenständigkeit verzichten.

 

Der zweite Punkt ist, dass alle familienstandsbezogenen Freibeträge und Vergünstigungen abgeschafft werden sollen. Jetzt bitte ich, da noch mal zuzuhören, denn das ist noch mehr. Das Ehegattensplitting begünstigt die Ehe und diskriminiert damit alle anderen Lebensformen.

(Zuruf von Walter Momper)

‑ Also, Walter, vielleicht hörst du jetzt mal auf mit deinen Kommentaren, sie irritieren mich. ‑ Die Besteuerung muss unabhängig vom Familienstand erfolgen. Es besteht kein Grund, für die Ehe als solche Steuervergünstigungen zu gewähren. Nicht die Ehe, sondern die Sorge um Kinder und pflegebedürftige Erwachsene muss gefördert werden.

 

Zum zweiten: Auch nach der Ehescheidung wirkt die steuerliche Subventionierung der Ehe zugunsten der Männer weiter, und zwar durch das sogenannte Realsplitting. Da können Ehemänner Unterhaltszahlungen an die geschiedene Ehefrau mit jährlich 27 000 DM von der Steuer absetzen. Unterhaltszahlungen an andere Personen, auch an die verarmte Mutter zum Beispiel, können, wenn überhaupt, nur bis 5 400 DM geltend gemacht werden. Es muss deshalb gefordert werden, dass alle familienbezogenen Steuervergünstigungen abgeschafft werden, das heißt insbesondere: Streichung des Realsplittings, Streichung auch der Kinderfreibeträge. Stattdessen: Anhebung des Grundfreibetrags auf das im Sozialrecht anerkannte Existenzminimum und Einführung eines einheitlichen erhöhten Kindergeldes, wobei letzteres kein Problem in der SPD ist, das ist weitgehend auch beschlossen.

 

Im Übrigen muss ich sagen: Walter, ich bin empört, was du hier für unqualifizierte Anmerkungen während der ganzen Zeit, in der ich hier meinen Vortrag gehalten habe, gemacht hast.

(Vereinzelter Beifall ‑ Zuruf von Walter Momper)

 

Präs. Ursula   L e y k   : Gibt es weitere Wortmeldungen, die wir eventuell übersehen haben? ‑ Das ist nicht der Fall.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir haben die Inhalte ja, soweit sie im Antragstext des Antrags 12 drin sind, übernommen. Wir halten nur nichts davon, dass der Landesparteitag beschließt, dass das Ehegattensplitting abgeschafft wird, weil das konsequenzlos ist. Wir können das nicht abschaffen. Deshalb haben wir vorgeschlagen, dass der Bundesparteitag beschließen soll:

 

Die SPD‑Fraktion im Bundestag wird aufgefordert, sich für die Abschaffung des Ehegattensplittings einzusetzen. …

 

Das ist der einzige Weg, wie das realisiert werden kann; denn die Bundestagsfraktion kann aktiv werden. Wir empfehlen, den Antrag in dieser Fassung anzunehmen.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich darf jetzt über die Empfehlung der Antragskommission abstimmen lassen und bitte diejenigen um das Kartenzeichen, die dem zustimmen wollen. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei etlichen Gegenstimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Zu Antrag 47/II/91, Antragsbuch Seite 11, der nicht vom Kreis Friedrichshain, sondern von der Abteilung 1, Mitte, ist ‑ da ist uns ein Fehler unterlaufen; man muss ja die Autoren hier auch nennen ‑, empfehlen wir Annahme in der Fassung der Antragskommission. Den Einleitungssatz haben wir geändert. Es geht da um gerechte Renten und dass keine Sonderrenten wegen SED‑Funktionen und Stasi‑Mitarbeit hier gezahlt werden ‑ wie groß die Dimension auch immer ist, das ist ja im Streit. Aber die Forderung, dass derartige Sonderrenten nicht gezahlt werden sollen, ist richtig, deshalb empfehlen wir Annahme.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Damit so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Bereich Gesundheit: In Antrag 43/II/91 (Friedrichshain), Antragsbuch Seite 11, geht es um eine Änderung des Sozialgesetzbuches, um Gesundheitszentren eine gleichwertige, wettbewerbsgerechte Chance im Gesundheitsbereich zu ermöglichen. Wir empfehlen Annahme.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei wenigen Gegenstimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Bau‑ und Wohnungswesen: Antrag 42 (Friedrichshain), Antragsbuch Seite 12. Da ist eine ganz kleine Formulierung, dass Leute   n a c h w e i s l i c h   über ein erheblich höheres Einkommen verfügen. Das war auch so sicherlich gemeint. Aber in der Antragskommission entstand der Eindruck, es sei notwendig, darauf noch mal besonders hinzuweisen. Wir haben uns dem nicht verschlossen und empfehlen also Annahme in der Fassung der Antragskommission.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei wenigen Gegenstimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 52/II/91 (Abt. 1, Köpenick), Antragsbuch Seite 12 ‑ Mietpreisbindung ‑, ist durch den Leitantrag Wirtschaft und Finanzen abgedeckt. Wir empfehlen deshalb, ihn für erledigt zu erklären.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Erhebt sich dagegen Widerspruch? ‑ Das ist nicht der Fall, damit ist das so!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Zu Antrag 56/II/91 (Abt. 1, Köpenick), Antragsbuch Seite 13 ‑ Mietpreisbindung für Gewerberäume ‑, empfehlen wir Überweisung an die Abgeordnetenhausfraktion. Wir haben das häufig schon beschlossen; ich weiß, auch die Abgeordnetenhausfraktion hat sich häufig damit beschäftigt. Aber wenn es auf Landesebene umgesetzt werden kann, muss es von der Abgeordnetenhausfraktion gemacht werden. Wir werden das Thema sicherlich noch weiter auf dem Parteitag behandeln müssen. Aber in dieser Phase scheint es das sinnvollste zu sein, das sofort an die Fraktion weiterzugeben, damit sie die Arbeit aufnimmt.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Dann ist das so!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Umweltpolitik/Sport: Antrag 2/II/91 (Wilmersdorf), Antragsbuch Seite 12 ‑ die berühmte Diskussion, ob der Umweltschutz Grundrecht sein soll oder Staatsziel. Wir empfehlen wiederum beides, weil wir dann juristische Streitigkeiten vermeiden. Ich bitte also in dieser Fassung um Annahme.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Das ist so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 4/II/91 (Zehlendorf), Antragsbuch Seite 14: Der Kreis sah sich nicht in der Lage, das zurückzunehmen, obwohl es eine Koalitionsabsprache gibt. Wir haben deshalb eine sehr milde Fassung der Antragskommission gewählt: Die Fraktion soll versuchen, noch mal Gespräche zu führen. In dieser Fassung empfehlen wir Annahme.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei einigen Gegenstimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 24/II/91 (Weißensee), Antragsbuch Seite 12: Hier fordert der Kreis Weißensee ein zusätzliches Dezernat bei den Bezirksämtern für den Umweltschutz. Ich bin dafür, fast alles für den Umweltschutz zu tun, aber nicht, beim Bezirksamt ein weiteres Dezernat einzurichten. Da war sich die Antragskommission einig, dass da eher zu viele als zuwenig Dezernenten sitzen, die Bezahlung eher zu hoch als zu niedrig ist, als dass man da noch mehr Geld reinstecken sollte. Deshalb empfehlen wir Ablehnung.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei einigen Gegenstimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wirtschaft und Arbeit: Bei Antrag 3/II/91 (Neukölln), Antragsbuch Seite 13, geht es um eine Veränderung der Arbeitszeitordnung, um Beschäftigungsverbote für Frauen im Bereich des Baugewerbes. Da hat uns der Genosse Borghorst für den Fachausschuss eine positive Stellungnahme zukommen lassen. Ich hatte mal mit der Genossin Rennebach gesprochen. Sie sagte, es sei nicht sinnvoll, isoliert so etwas zu streichen, man sollte erst einmal die Gesundheitsbedingungen in den Arbeitsbereichen klären. Und ein Genosse der Antragskommission, der besonders sachkundig ist, erzählte, dass dieser Punkt keine praktische Rolle spielt, jedenfalls nicht in größerem Umfang.

 

Wir waren der Auffassung: Wenn der Landesparteitag sich mit der Arbeitszeitordnung beschäftigt, dann sollte er es grundsätzlich politisch und umfassend tun und nicht so eine einzelne Formulierung rausgreifen und dieses dann behandeln. Deshalb schlagen wir vor, diesen Antrag an den zuständigen Fachausschuss zu überweisen, damit er uns einen fundierten Antrag zur Frage der Arbeitszeitordnung, auch zu Arbeitsschutzrechten von Frauen in den verschiedensten Bereichen, vorlegen kann, damit wir qualifiziert entscheiden können.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Das ist so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 25/II/91 (Weißensee), Antragsbuch Seite 13 ‑ es geht um ABM‑Beschäftigungsgesellschaften ‑ soll durch den nächstfolgenden Antrag erledigt werden, den ich deshalb vorziehe: Antrag 36/II/91 (Treptow), Antragsbuch Seite 13. Hier empfehlen wir, ihn in einer leicht umformulierten Fassung anzunehmen. Also, erst Antrag 36: Annahme in der Fassung der Antragskommission.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Ich lasse Antrag 36 abstimmen und bitte um das Kartenzeichen, wer dem folgen möchte. ‑ Gegenprobe! ‑ Gegen wenige Stimmen so beschlossen!

 

Ich gehe davon aus, dass dann der Antrag 25 erledigt ist, so, wie von Kurt vorgetragen; dagegen erhebt sich kein Widerspruch.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Dann kommen wir zu den Anträgen zur Organisation. Antrag 3/I/91 (Spandau), Antragsbuch Seite 14, wollte die innerparteilichen Wahlen auf den Herbst 1991 vorziehen. Wir beantragen Ablehnung dieses Antrags.

(Zuruf: Zurückgezogen!)

Der ist zurückgezogen ‑ nach der Diskussion auch das Vernünftigste.

 

 

Antrag 6/II/91 (Wedding), Antragsbuch Seite 14 ‑ Recyclingpapier ‑. Wir empfehlen Annahme.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Gegen wenige Stimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 7/II/91 (Wilmersdorf), Antragsbuch Seite 16 ‑ es gibt ähnliche weitere Anträge ‑, die Friedrich‑Ebert‑Stiftung, das Kulturforum und das Archiv nach Berlin zu verlegen. Wir wollen sagen, „zunächst“, und in dieser Fassung dann den Antrag annehmen. Ich bitte um Zustimmung zu dieser Fassung.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Das ist offensichtlich einstimmig so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Der Antrag 9/II/91 (Abt. 3, Wilmersdorf), Antragsbuch Seite 14, hat eine gewisse Aufmerksamkeit erfahren. Dort geht es um Besoldung, Honorare, Gehälter, sonstige Vergünstigungen. Wir sind in der Antragskommission der Auffassung gewesen, dass dieses einer sehr sorgfältigen Beratung bedarf, dass zum einen politische Konsequenzen daraus gezogen werden müssen, dass wir die Dreiteilung der Spitzenverantwortlichkeiten haben und, wenn der oder die Landesvorsitzende nicht Regierender Bürgermeister, nicht Senator, nicht Fraktionsvorsitzender ist, aber in der Hauptsache mit seiner Arbeitskraft Landesvorsitzender sein soll, dass dieses Konsequenzen auch materieller Art haben muss.

 

Wir waren uns auch auf der anderen Seite einig, dass wir bei allen, die diese und andere Funktionen innehaben, eine einheitliche Regelung über Abgaben, auch über besondere Beiträge haben müssen, weil das ein Gesamtkomplex ist, der einmal offen in der Partei diskutiert werden muss ‑ nicht an Einzelfragen, dann, wenn es einem gerade zupaß kommt an dieser Einzelfrage, weil eine Person dahinter gesehen wird. Da müsste ein Konzept sichtbar werden. Deshalb schlagen wir hier, wie bei dem späteren Antrag dann, Überweisung an den Landesausschuss vor, und der Landesausschuss soll über das Ergebnis seiner Beratungen berichten. Das ist die Empfehlung der Antragskommission: Überweisung mit Berichtspflicht des Landesausschusses.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Gegen einige Stimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 14/II/91 (Abt. Tegel/Reinickendorf), Antragsbuch Seite 14: Dort schlagen wir das vor, was uns der Landesgeschäftsführer nahegelegt hat ‑ ihr findet das auf Seite 7 der Antragsempfehlungen ‑, die Parteiwahlen nicht zu verlegen, sondern festzulegen, wann in den einzelnen Gliederungen die Parteiwahlen im Jahr 1992 stattzufinden haben, dieses etwas später zu machen, als wenn es genau auf den Tag zwei Jahre wären.

 

Wir haben auch die statutenmäßige Problematik dieses Antrags und ähnlicher Anträge beraten und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass dieses keiner Statutenänderung bedarf, sondern statutenmäßig unbedenklich ist. Im Statut ist geregelt, dass wir für zwei Jahre wählen; auch im Parteiengesetz befindet sich eine entsprechende Formulierung. Es steht nichts von 24 Monaten drin, sondern von zwei Jahren. Das setzt voraus, dass wir in einer gewissen Bandbreite wählen können. Wir halten diese Bandbreite nach Auffassung der Antragskommission ein, wenn die Abteilungen einige Monate später wählen, auf Landesebene einige Wochen später gewählt wird. Alles andere ist im Übrigen angesichts der Bezirksverordnetenwahlen unpraktikabel, so dass wir in dieser Fassung des Landesgeschäftsführers, die sich die Antragskommission zu eigen gemacht hat, Annahme empfehlen.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen will, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Gibt es Gegenstimmen? ‑ Gegen wenige Stimmen so beschlossen!

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 15/II/91 (Abt. 15, Reinickendorf), Antragsbuch Seite 14 ‑ erledigt durch Annahme des Antrags 14.

 

Präs. Ursula   L e y k   : Erhebt sich dagegen Widerspruch? ‑ Das ist nicht der Fall, dann ist das so.

 

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 16/II/91 (Lichtenberg), Antragsbuch Seite 14: Da geht es um zwei Dinge, einmal eine Übergangsregelung hinsichtlich des Delegiertenschlüssels zu schaffen, andererseits die Kreisgeschäftsstellen in bestimmten Kreisen zu erhalten. Wir haben hier eine geteilte Empfehlung gegeben: Hinsichtlich des Punktes 2 beantragen wir Ablehnung, denn für bestimmte Kreise ist eine Sonderregelung nicht sinnvoll. Hinsichtlich des Punktes 1 ‑ wie alle anderen Anträge zu der Fragestellung der verschiedenen Delegiertenschlüssel ‑ beantragen wir Überweisung an den Landesausschuss.

Ich möchte auch dazu eine kurze Bemerkung machen. Wir werden auf dem nächsten Parteitag wahrscheinlich eine Statuten‑Entrümpelungsaktion durchführen müssen ‑ da gibt es einiges auch in der Wahlordnung zu regeln. Wir werden in diesem Zusammenhang auch überlegen müssen, ob wir die Übergangsregelung, die wir im Statut für die Kreise Mitte und andere haben, verlängern. Das wird ernsthaft zu diskutieren sein, für und wider. Wir werden in diesem Zusammenhang auch diskutieren müssen, ob wir in diesen Kreisen die Möglichkeit der Kreisvollversammlung anstelle der Kreisdelegiertenversammlung haben sollten. Dieses bedarf einiger Vorarbeiten. Um diese sachgerecht leisten zu können, empfehlen wir hinsichtlich des Punktes 1 Überweisung an den Landesausschuss, was bedeuten wird: Wir werden auf dem nächsten Parteitag im Herbst die Sache hier intensiv behandeln müssen.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gibt es gegenteilige Meinungen? ‑ Gegen einige Stimmen so beschlossen!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 17/II/91 (Lichtenberg), Antragsbuch Seite 14: Das ist diese Frage mit den verschiedenen Abgaben; in den Kreisen Mitte u. a. sollen die Abgaben zu 80 % bei den Kreisen bleiben. Das wird sicherlich keine große Gegenliebe finden; aber wir sollten das insgesamt erst mal an den Landesausschuss überweisen, damit er das im Zusammenhang mit den anderen Fragen vernünftig berät und dann hier dem Landesparteitag berichtet. Also: Überweisung an den Landesausschuss mit Berichtspflicht.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen will, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Damit ‑ bei einigen Gegenstimmen ‑ so beschlossen!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 20/II/91 (Abt. 5, Kreuzberg), Antragsbuch Seite 15 ‑ es geht um einen Bericht offensichtlich des Wahlkampfstabes. Hierzu ist folgendes zu sagen: Erstens gibt es beim Landesausschuss eine Kommission, die ein Wahlauswertungspapier grundsätzlicher politischer Art macht.

Zum zweiten gibt es einen kurzen Bericht des Wahlkampfstabs für die Klausurtagung des Landesausschusses. Ich denke, dieser kurze Bericht sollte den Landesparteitagsdelegierten zur Kenntnis gegeben werden. Dieses vorausahnend, hat die Antragskommission empfohlen, den Antrag für erledigt zu erklären.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Mehrheitlich so beschlossen!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 21/II/91 (Charlottenburg), Antragsbuch Seite 15, geht um Verlegung weiterer Teile der Parteizentrale nach Berlin. Wir empfehlen Annahme in der Fassung der Antragskommission, die euch vorliegt.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen will, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Das ist so beschlossen!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 29/II/91 (Prenzlauer Berg), Antragsbuch Seite 15: Hier geht es darum, bestimmte öffentlichkeitswirksame Aktionen durchzuführen. Das gibt es in verschiedenen anderen Bereichen; wir werden eine Mietpreisbindungskampagne und andere Aktivitäten machen. Es ist sinnvoll, dass die ganzen Anregungen, die sich in solchen und ähnlichen Anträgen ausdrücken, an den Landesausschuss überwiesen werden, damit ein Gesamtkonzept erarbeitet und dieses dann hier zur Kenntnis bzw. Beschlussfassung vorgelegt werden kann ‑ deshalb Überweisung an den Landesausschuss.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Das ist bei wenigen Gegenstimmen so beschlossen!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 34/II/91 (Treptow), Antragsbuch Seite 15, ebenfalls Parteiinstitutionen: erledigt durch die Anträge 7/II/91 und 21/II/91, die wir bereits angenommen haben.

Präs. Ursula   L e y k   : Erhebt sich dagegen Widerspruch? ‑ Das ist nicht der Fall.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 35/II/91 (Treptow), Antragsbuch Seite 15, auch Öffentlichkeitsarbeit: ebenfalls Überweisung an den Landesausschuss.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei wenigen Gegenstimmen so beschlossen!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 38/II/91 (Abt. 3, Hellersdorf), Antragsbuch Seite 15, Verlängerung der Übergangsregelung hinsichtlich des Delegiertenschlüssels: wie vorher ‑ Überweisung an den Landesausschuss.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Wenige Gegenstimmen ‑ so beschlossen!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 50/II/91 (Abt. 2, Hohenschönhausen), Antragsbuch Seite 16. Dort soll jede Funktion in einer regierenden Körperschaft, was auch immer das ist, mit Parteifunktionen unvereinbar sein. Wir denken, dass das nun doch etwas weit geht und empfehlen deshalb Ablehnung.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei wenigen Gegenstimmen so beschlossen!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Antrag 51/II/91 (Abt. 1, Köpenick), Antragsbuch Seite 15, empfiehlt die Verdoppelung der Anzahl der Delegierten zu Landes‑ und Bundesparteitagen bei den Kreisen Mitte und anderen. Ich empfehle dieses im Prinzip auch ‑ durch Vergrößerung der Mitgliedschaft, aber das ist, glaube ich, nicht gemeint.

(Beifall)

Da das nicht gemeint ist, empfiehlt die Antragskommission Überweisung an den Landesausschuss wie bei den anderen Anträgen.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei wenigen Gegenstimmen so beschlossen!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Wir kommen dann zu den Initiativanträgen, soweit sie nicht bereits behandelt wurden.

Der Initiativantrag 1 ist bereits im Zusammenhang mit dem „Friedens“‑Antrag positiv behandelt worden.

Zu Initiativantrag 2 ‑ dort geht es um die Erhaltung und die Existenz von Eikita‑Plätzen ‑ ist eine generelle Bemerkung zu machen. Auf der Grundlage der Kenntnisse, die wir über die Finanzlage Berlins haben, ist einzusparen. Es ist natürlich möglich, für jeden sozialen Punkt gute Gründe zu finden, weshalb gerade da nicht gespart werden darf. Aber Politik besteht nicht darin, dass wir diese Punkte ansammeln, sondern es muss zueinander in Beziehung gesetzt und ein Gesamtkonzept entwickelt werden. Das kann nicht durch punktuelle Anträge auf einem Landesparteitag geschehen, sondern das muss die Fraktion in ihrer besonderen Verantwortung machen. Sie ist dafür dann auch rechenschaftspflichtig gegenüber der Partei insgesamt, aber das ist ihre Aufgabe. Deshalb beantragen wir hier Überweisung an die Fraktion.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Gegen wenige Stimmen so beschlossen!

Ich möchte alle Genossinnen und Genossen bitten, daran zu denken, dass wir noch Nominierungen für den Bundesvorstand vornehmen müssen und vielleicht die kurze Zeit ‑ es sind ja nur noch wenige Anträge ‑ hier auszuharren, bis das auch erledigt ist. Es sieht so aus, als ob immer mehr den Heimweg antreten.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): In Initiativantrag 3 geht es um die Regionalbüros. Hier gilt das, was vorher gesagt wurde: Wir empfehlen Überweisung an den Landesausschuss.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei wenigen Gegenstimmen so beschlossen!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Initiativantrag 4 ‑ „Häuser der Dienste“ (vormals VEB Dienstleistungen). Das ist sicherlich ein wichtiges Thema, das wir in der Antragskommission allerdings nicht verstanden haben, auch nicht verstehen zu müssen glaubten. Das ist eine Sache, die die Fraktion sicherlich gut behandeln kann, deshalb Überweisung an die Abgeordnetenhausfraktion.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ So beschlossen!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Initiativantrag 5 ‑ es geht um das Auftreten von Jugendoffizieren der Bundeswehr in Schulen und Schulklassen, was es bei uns vorher nicht gab, in Westdeutschland gang und gäbe ist. Hier ist die Forderung, dass dann auch die Möglichkeit gegeben werden soll, Wehrdienstverweigerern ‑ Kriegsdienstverweigerern, muss es eigentlich heißen, aber das haben wir nicht beachtet ‑ die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Wir empfehlen Annahme dieses Antrags.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei einigen Gegenstimmen so beschlossen!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Initiativantrag 6 ‑ Weiterbildung von Lehrern, insbesondere Grundschullehrern im Ostteil der Stadt ‑. Wir empfehlen Annahme.

Präs. Ursula   L e y k   : Hier ist eine Wortmeldung ‑ Lore Hüser!

(Lore Hüser: Es muss auch „Lehrerinnen“ heißen!)

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Richtig! An allen Stellen heißt es Lehrer und Lehrerinnen! Wir bitten generell, das bei der Antragstellung schon zu beachten. Gerade bei Initiativanträgen ist es sonst schwierig, das schnell zu korrigieren.

Präs. Ursula   L e y k   : Zur Abstimmung ‑ wer dem folgen möchte, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Das ist bei einigen Gegenstimmen so beschlossen!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Initiativantrag 7 geht um die Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Berlin an den Bundeskanzler. Wir haben das so in der Antragskommission diskutiert, dass dieses eine Diskussion ist, die zur Unzeit geführt wird ‑ sowohl zur Unzeit, was die Verdienste des Bundeskanzlers für die Stadt Berlin angeht, als auch zur Unzeit, was die Möglichkeiten angeht, Parlaments‑ und Regierungshauptstadt zu werden. Und weil das zur Unzeit diskutiert wird, sollten wir das nicht auch noch zur Unzeit diskutieren und sollten uns nicht befassen. Das ist die Empfehlung der Antragskommission.

(Beifall)

Präs. Ursula   L e y k   : Erhebt sich dagegen Widerspruch? ‑ Ja, da ist Widerspruch. Ist das gleichzeitig eine Wortmeldung?

Christian   H a ß   (Spandau): Genossinnen und Genossen! Es ist einerseits natürlich schlecht, dass wir diese Frage ein bißchen spät hier zur Diskussion bringen können. Aber trotzdem möchte ich diese Debatte kurz anreißen. Es kann nicht angehen, daß, wie im „Tagesspiegel“ steht, die Berliner SPD Bundeskanzler Kohl zum Ehrenbürger dieser Stadt machen möchte, gleichzeitig diese Berliner SPD in keiner Weise auf diesem Landesparteitag dazu diskutiert hat. Deshalb müssen wir dieses diskutieren, und ich hoffe, dass wir so abstimmen, dass wir diesen Kohl, der maßgeblich für Sozialabbau ist und auch durchsetzt ‑ ich sage nur, durchsetzt in den neuen Bundesländern ‑, dass wir diese Position haben, diesen Mann des Sozialabbaus hier nicht noch zum Ehrenbürger dieser Stadt machen. ‑ Danke!

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Ursula   L e y k   : Hast du damit gegen Nichtbefassung gesprochen?

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Trotz der Argumente bleibt die Antragskommission bei dem Vorschlag, sich mit Kohl nicht zu befassen.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Ursula   L e y k   : Dann stimme ich darüber ab und bitte diejenigen um das Kartenzeichen, die dem Votum der Antragskommission folgen wollen. ‑ Das ist eindeutig die Mehrheit! ‑ Gegenprobe! ‑ Nur wenige Gegenstimmen.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Initiativantrag 10 hatten wir vorhin bereits im Zusammenhang mit dem Leitantrag „Frieden“ für erledigt erklärt.

Entschuldigung, Initiativantrag 8 habe ich überschlagen ‑ Streichung der Mittel für die Vertriebenenverbände. Wir empfehlen Annahme.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um sein Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Das ist so beschlossen, einstimmig!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Initiativantrag 9 ‑ ‑

Präs. Ursula   L e y k   : Dazu gibt es eine Wortmeldung ‑ Mechthild Rawert!

Mechthild   R a w e r t   (Schöneberg): Ich melde mich hier zu Wort mit der Bitte, den Antrag nicht zu überweisen, sondern ihn hier positiv zu beschließen. Als Begründung, und das auch noch mal nach Rücksprache mit der Senatorin für Frauen, die auch den Frauenprojekten versichert hat, dass sie sich sehr stark dafür einsetzt, Frauenprojekte aus den Kürzungen herauszuhalten. Christine Bergmann wollte eigentlich hier auch sprechen, scheint aber schon nicht mehr da zu sein.

Begründung: Berlin wurde während des Wahlkampfs zu Recht als eine Stadt der Frauen bezeichnet. Das war also auch noch ein Grund, weshalb wir trotz alledem sehr viele Stimmen von Frauen bekommen haben. Das heißt, die Arbeit, die sich in verschiedensten Projekten von Frauen verdeutlich hat, besteht nicht nur aus Projekten gegen Gewalt gegen Frauen, das sind auch Kulturprojekte, das sind soziale Projekte, das sind Gesundheitsprojekte, die aufgrund eines bestimmten Ansatzes Frauenarbeit leisten.

Die jetzt anstehende Projektzerstörung und ‑zerschlagung führt dazu, dass eine ganze Szene keinen Platz mehr in dieser Stadt hat. Die Projekte haben öffentliche Arbeit geleistet. Wir können sie eigentlich als Beliehene des Landes Berlin bezeichnen. Das waren öffentliche Gelder, und es ist eigentlich auch nicht einzusehen, dass die Projekte in dem Fall schlechter gestellt sein werden als der öffentliche Dienst. Es geht auch darum, dass Frauen einen eigenen Gestaltungsraum haben möchten, sowohl in ihrer Arbeit als auch mit dem, wie sie sich politisch darstellen.

Wenn Frauenprojekte zerschlagen werden, heißt das nicht nur, dass Frauen keine Ansätze mehr bekommen, wohin sie sich um Rat und Hilfe wenden oder auch eine politische und feministische Unterstützung bekommen können, sondern das heißt auch noch mal eine Verstärkung der Arbeitslosigkeit von Frauen. Viele Frauen arbeiten in diesen Projekten, weil viele von uns trotz alledem auch noch einen sogenannten typischen Frauenberuf im sozialen Bereich aufgegriffen haben. Das heißt also, eine Benachteiligung von Frauen auf zwei Ebenen, denen, die Projekte in Anspruch nehmen und denen, die dort erwerbstätig sind.

Ich bitte um eine positive Beschlussfassung, weil eine Verlagerung ins Abgeordnetenhaus die SPD eigentlich um eine Position herummogelt, und das finde ich nicht gut. Jede Person, die dagegen stimmt, stimmt eigentlich auch automatisch dafür, dass Frauen weiterhin schlechter behandelt werden ‑ und das angesichts einer zunehmenden Gewalt in dieser Stadt.

Vielfältig wurde auch schon geäußert, dass das Leben von Frauen unsicherer geworden ist. Wenn jetzt gleichzeitig noch Projekte zerschlagen werden, dann wirkt das sehr negativ.

(Vereinzelter Beifall)

Präs. Ursula   L e y k   : Als nächste hat Ingrid Stahmer das Wort.

Ingrid   S t a h m e r   (Charlottenburg): Liebe Genossinnen und Genossen! Ich finde es zwar gut, wenn einzelne sich aus eigenen Perspektiven für besondere Gruppen hier einsetzen; es ist allerdings die Gesamtfinanzlage so schwierig, dass wir wirklich versuchen sollten, diese Fragen insgesamt zu behandeln und nicht je nach dem, ob sich eine Interessengruppe findet oder nicht.

Die Überweisung, die hier vorgeschlagen ist, halte ich deshalb für sehr sinnvoll. Ich würde allerdings euch alle auch bitten, alle sozialen Projekte in diese Gedanken mit einzubeziehen.

(Beifall)

Denn nicht nur Frauen werden arbeitslos, auch Männer werden arbeitslos,

(Beifall)

auch Jugendliche verlieren ihre Betreuung, nicht nur die Kinder bei den Initiativkindertagesstätten.

Wir müssen darauf achten, dass die unkonventionellen kleinen Projekte, die wir in dieser Stadt haben, bei dieser Kürzungsaktion nicht untergehen. Ich denke, darüber sind wir uns alle einig, das sollten wir mit großem Nachdruck versehen. Ich jedenfalls werde dafür kämpfen.

(Beifall)

Präs. Ursula   L e y k   : Danke, Ingrid! ‑ Kurt Neumann!

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Genossinnen und Genossen! Überweisung ist eine positive Entscheidung. Das heißt ja, dass das von der Fraktion in ihrer konkreten Arbeit beachtet werden soll, ohne dass wir im einzelnen hier Festlegungen treffen. Deshalb, denke ich, müssen wir bei Überweisung bleiben. Sonst müssten wir uns mit anderen Anträgen inhaltlich befassen und würden uns an der Aufgabe übernehmen, die wir nicht lösen können.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem Petitum jetzt folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Das erste war die Mehrheit, bei einigen Gegenstimmen so beschlossen!

Kurt   N e u m a n n n   (Antragskommission): Zu Initiativantrag 11 hatten wir auch Überweisung an die Fraktion vorgeschlagen.

Präs. Ursula   L e y k   : Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. ‑ Gegenprobe! ‑ Das erste war die Mehrheit, obwohl sich sehr wenige überhaupt an der Abstimmung beteiligt haben.

Kurt   N e u m a n n   (Antragskommission): Gut, Genossinnen und Genossen, wenn wir nichts übersehen haben ‑ das müßten die Antragstellerinnen und Antragsteller am besten wissen ‑, haben wir alle Anträge hier ordnungsgemäß und zügig behandelt.

(Vereinzelter Beifall ‑ Zuruf)

Entschuldigung! Ich habe mehrfach zugesichert, habe das dann doch ‑ ‑ Nein, Pressezensur hatten wir, habe ich doch nicht vergessen. Da habe ich mehr aufgepasst als du als Antragsteller.

Lasst mich zum Schluss zwei Bemerkungen machen. Die erste Bemerkung ist die, die ich jedes Mal mache. Ich hoffe, dass wir vor dem nächsten Parteitag zu einem geordneterem Verfahren kommen. Das heißt, dass wir früher wissen, wann der Parteitag ist, dass wir richtige Antragsfristen haben ‑ nicht solche von einer guten Woche ‑, dass wir dann auch rechtzeitig den Delegierten unsere Empfehlungen bekanntgeben können, so dass insgesamt ein etwas leichteres Arbeiten möglich ist. Trotzdem denke ich, ist es uns wieder gelungen, hier einigermaßen gut zu Rande zu kommen, und dafür möchte ich ‑ das ist meine zweite Bemerkung ‑ wieder Monique Wersebe ganz besonders danken, denn ohne sie wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Vielen Dank!

(Beifall)

Präs. Ursula   L e y k   : Vielen Dank, Kurt! Ich möchte auch den Dank des Parteitags an die Antragskommission aussprechen, die unter den schwierigen Bedingungen wirklich gute Arbeit geleistet und uns hier die Beratung erleichtert hat.

(Beifall)

Wir kommen zurück zu

 

Punkt 5 der Tagesordnung

Wahl von Bundesparteitagsdelegierten

und Nominierungen für den Bundesvorstand

Uns liegen fünf Namen, die für den Bundesvorstand nominiert werden sollen, vor: Angelika Barbe, Konrad Elmer, Walter Momper, Wolfgang Thierse und Hans‑Jochen Vogel.

Das Präsidium schlägt euch vor, diese fünf Genossinnen bzw. Genossen en bloc zu nominieren. Erhebt sich dagegen Widerspruch? ‑ Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich diejenigen um das Kartenzeichen, die die fünf Genossinnen und Genossen nominieren wollen. ‑ Gegenprobe! ‑ Bei drei Gegenstimmen somit nominiert.

Damit kommen wir zu

Punkt 6 der Tagesordnung

Schlusswort

Ich darf Walter Momper das Wort geben.

Walter   M o m p e r   : Liebe Genossinnen und Genossen! Vor allem möchte ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken, die diesen Parteitag ermöglicht haben.

(Beifall)

Zum zweiten möchte ich dem Vorsitzenden der Antragskommission und dem Präsidium danken, die uns über diesen Parteitag hinweggebracht haben.

(Beifall)

Als drittes bedanke ich mich bei den Delegierten dafür, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt ausgeharrt und so wacker mitdiskutiert haben. Stellt euch mal vor, wir hätten den heutigen Samstag anders verleben sollen ‑ wie hätten wir uns gelangweilt!

Es war ein interessanter politischer Tag. Ich hoffe, das große sozialdemokratische Familientreffen wird auch die befriedigt haben, die hier nicht so genau zugehört haben. Ich wünsche euch allen einen guten Heimweg und ein schönes Wochenende.

(Beifall)

Schluss: 18.25 Uhr

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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