Südgelände: Grün setzt sich durch

Schöneberger Südgelände. Foto: Ulrich Horb

Schöneberger Südgelände. Foto: Ulrich Horb

Ab und zu schimmert ein wenig Rost durch das Grün. Über den Wipfeln der Bäume ist die Rundung  des alten, gut 50 Meter hohen Wasserturms zu sehen. Am Südgelände in Schöneberg, wo die Technik gut  150 Jahre zuvor die Natur verdrängte, erobern sich Pflanzen und Tiere den Raum zwischen Gleisen und alten Bahnanlagen zurück. Heute steht die Natur hier unter Schutz. Das ist auch dem Engagement von Bürgerinitiativen in den achtziger Jahren zu verdanken. 

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lag das heutige Südgelände ein ganzes Stück außerhalb der Stadtgrenzen im Süden Berlins, noch hinter dem Übungsplatz der Berliner Garnison, dem späteren Flughafen Tempelhof.  Schöneberg, Friedenau, Tempelhof waren eigene kleine Gemeinden.


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Durch das freie Gelände südlich von Schöneberg legte die Berlin-Anhaltische Eisenbahn-Gesellschaft  ihre Schienen nach Berlin, zum Anhalter Bahnhof. Am 1. Juli 1841 wurde die 63 Kilometer lange Strecke zwischen Berlin und Jüterbog eingeweiht, im September des gleichen Jahres wurden weitere 32 Kilometer von Jüterbog nach Wittenberg  in Betrieb genommen. 1875 kam die Strecke der Berlin-Dresdener Bahn  dazu, die ebenfalls am Anhalter Bahnhof endete.

Der Architekt Franz Schwechten entwarf als Leiter der Hochbauabteilung  der  Berlin-Anhaltischen Eisenbahn-Gesellschaft nicht nur den vielbeachteten Anhalter Bahnhof, er errichtete zwischen 1876 und 1879 auch Gebäude für ein Ausbesserungswerk der Bahngesellschaft an der Tempelhofer Eresburg- und Alboinstraße, dort wo sich heute ein Gewerbegebiet mit einem Möbelhaus und einem Baumarkt befindet.

1889 wurde der Rangierbahnhof Tempelhof errichtet. Zahlreiche Schienenstränge  liefen auf dem heutigen Südgelände zusammen,  Pflanzen hatten keine Chance, sich entlang der Gleise anzusiedeln. 1920 wurde der Rangierbahnhof erweitert, 1927 wurde der weithin sichtbare Wasserturm errichtet.  Der Güterverkehr nahm stark zu.

Vom Anhalter Bahnhof an der Stresemannstraße steht heute nur noch eine Ruine. Am 3. Februar 1945 hatten Bomben das Gebäude zerstört, nach dem Krieg wurde es nur notdürftig von den Trümmern befreit, aber nicht wieder neu aufgebaut. Der Bahnverkehr in ganz Berlin stand unter der Kontrolle der sowjetischen Besatzungsmacht, ihre Blockade des Westteils der Stadt und eine später veränderte Fernverkehrsführung machten den Anhalter Bahnhof zunehmend bedeutungslos. Am 18. Mai 1952 wurde der Zugverkehr völlig eingestellt, nur die S-Bahn, die 1939 den Betrieb aufgenommen hatte, befuhr von ihrem unterirdischen Bahnhof weiter die Nord-Südverbindung.

Schöneberger Südgelände, alte Gleise. Foto: Ulrich Horb

Der Anhalter Bahnhof wurde 1959 gesprengt, die Gleise der Fernbahn entfernt.  Auch ein Teil des Rangierbahnhofs Tempelhof wurde stillgelegt. Eine Vielfalt von Pflanzen überwucherte in den kommenden Jahren die verbliebenen Gleise und Bahnanlagen, die zur von Ost-Berlin geführten Reichsbahn und dem Reichsbahnvermögen gehörten. Planungen des West-Berliner Senats für einen Südgüterbahnhof kamen zunächst nicht voran. Eine schon geplante Rodung  verhinderte die im Oktober 1980 gegründete Bürgerinitiative Schöneberger Südgelände. Auf ihren Druck hin gab der Senat ein Gutachten in Auftrag, das Aufschluss über die Pflanzen- und Tierwelt des Südgeländes geben sollte. Auch wenn die Güterbahnhofspläne vom Berliner Senat noch bis 1984 weiterverfolgt werden, bescheinigte bereits im Herbst 1981 ein  ökologisches Gutachten, dass das Südgelände und das Gleisdreieck zu den wertvollsten Naturflächen in Berlin gehörten.  Gemeinsam mit Kleingartenvereinen und anderen Gruppen setzte sich die Bürgerinitiative für die Bewahrung des Geländes als Naturschutzgebiet ein.

Schöneberger Südgelände, November 2021. Foto: Ulrich Horb

Schöneberger Südgelände, November 2021, Graffiti. Foto: Ulrich Horb

Ab 1997 wurden die Planungen für einen Naturpark auf dem Südgelände umgesetzt, es entstand eine einzigartige Kombination aus wucherndem Grün,  alten Bahnanlagen und neuen Kunstobjekten, begrenzt einerseits von den Trassen der S-Bahn nach Teltow-Stadt und den Schienen des Fernverkehrs zum Südkreuz auf der anderen Seite.  Seit April 1999 ist das alte Eisenbahngelände Landschafts- und Naturschutzgebiet.

Der Haupteingang zum Naturpark befindet sich am S-Bahnhof Priesterweg.   Hier sind der alte Lokschuppen, der Wasserturm und das Gebäude der Brückenmeisterei erhalten.  In den Sommermonaten spielt eine Theatergruppe in einer kleinen Arena Stücke von Shakespeare. Ein alter  Tunnel und einige Steinwände sind für Graffitikunst freigegeben. Verwaltete wird das Gelände von der landeseigenen Gesellschaft Grün Berlin, die sich auch um die für Gartenschauen angelegten Parkanlagen in Marzahn und Tempelhof kümmert. Am Eingang zum Südgelände wird ein Eintritt von 1 Euro verlangt.

Ein 600 Meter langer Metallsteg führt durch das Naturschutzgebiet im Zentrum des Parks nach Norden, vorbei an Büschen,  Robinienwäldchen und Magerrasen. So ist die Begegnung mit der Natur möglich, ohne sie zu zerstören. 366 unterschiedliche Pflanzenarten haben die Botaniker auf dem 18 Hektar großen Gelände festgestellt, 26 verschiedene Vogelarten brüten hier, rund 100 verschiedene Bienenarten wurden gesichtet.

Heute gibt es eine durchgehende grüne Verbindung, den Nord-Süd-Grünzug,  entlang der alten Bahntrasse vom Priesterweg bis zum Gleisdreieck.  Vom Natur-Park Südgelände führt der Weg über den Hans-Baluschek-Park, den Grünzug entlang der Dresdner Bahn, den Monumentenplatz und den Flaschenhalspark hin zum Park am Gleisdreieck.

Naturpark Südgelände, Haupteingang am S-Bahnhof Priesterweg, täglich von 9 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit, Eintritt 1 Euro. Mehr unter www.suedgelaende.de

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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