Von der Singakademie zum Gorki-Theater

Gorki-Theater. Foto: Ulrich Horb

Am Abend zieht es ein buntgemischtes, überwiegend jüngeres Publikum in das im klassizistischen Stil errichtete Haus.  Berlins kleinstes Staatstheater liegt etwas zurückgesetzt neben dem Palais am Festungsgraben, wenige Meter von der Straße Unter den Linden entfernt. Erbaut wurde es zwischen 1825 und 1827 von Carl Theodor Ottmer nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel, damals als Konzerthaus  für die 1791 von Carl Friedrich Christian Fasch (18.11.1736 – 3.8.1800), dem Hofcembalisten Friedrichs des Großen, gegründete Berliner Singakademie, eine gemischte  Chorvereinigung, die ihre Auftritte heute überwiegend im Konzerthaus am Gendarmenmarkt oder in der Philharmonie hat.

Gorki-Theater. Foto: Ulrich Horb

Gorki-Theater, Statue von Carl Friedrich Christian Fasch (18.11.1736 – 3.8.1800), dem Hofcembalisten Friedrichs des Großen. Foto: Ulrich Horb

Schon gleich nach dem Bau musste sich das Haus aus Kostengründen für andere Anlässe öffnen, Alexander von Humboldt hielt hier Vorlesungen. Im Sommer 1848 kam die Preußische Nationalversammlung in der Singakademie  zusammen. Das Haus war aber auch Schauplatz herausragender Konzerte, angefangen mit der Eröffnungsaufführung,  der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach 1829, geleitet vom 20jährigen  Felix Mendelssohn Bartholdy. Die Singakademie erarbeitete sich ein viel beachtetes Repertoire, öffnete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch modernen Musikrichtungen und unternahm viele Konzertreisen ins Ausland.

Gorki-Theater. Foto: Ulrich Horb

Gorki-Theater. Foto: Ulrich Horb

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus beschädigt, von der sowjetischen Besatzungsmacht aber ab 1947 wieder instand gesetzt.  Denn nachdem im benachbarten Palais am Festungsgraben das „Haus der Kultur der Sowjetunion“  seinen Platz gefunden hatte, sollte im wiederhergestellten Theaterbau, der den programmatischen Namen „Maxim-Gorki-Theater“ erhielt,  russische Theaterkultur  zu sehen sein.

Gorki-Theater. Foto: Ulrich Horb

Gorki-Theater. Foto: Ulrich Horb

Ab  Ende 1949 wurde, ausgehend von der Sowjetunion,  auch in der DDR eine Kampagne gegen westliche Kultur und Dekadenz geführt. Das Gorki-Theater diente bewusst als Gegenpol zum als formalistisch eingestuften Berliner Ensemble Brechts,  dessen Schauspieler sich Distanz zu den dargestellten Figuren bewahrten und die auch Widersprüche in ihren Stücken zuließen. In der Formalismusdebatte zwischen Brecht und Friedrich Wolf wurden 1949 die unterschiedlichen Ansätze deutlich.  Im März bezog das Zentralkomitee (ZK) der SED  in einem Beschluss klar Stellung  „gegen Formalismus in Literatur und Kunst für eine fortschrittliche deutsche Kultur“.

Literatur und bildende Künste seien, so formulierte es Ministerpräsident Otto Grotewohl,  der Politik untergeordnet. Walter Ulbricht wetterte gegen abstrakte Kunst und düstere Bilder, die nur dem Niedergang des Kapitalismus entspringen würden. Der erste  Intendant des Gorki-Theaters Maxim Vallentin, zurückgekehrt aus der sowjetischen Emigration und dem sozialistischen Realismus verpflichtet, eröffnete das Haus am 30. Oktober 1952 daher nicht etwa mit einem Gorki-Stück, dem ursprünglich vorgesehenen düsteren „Nachtasyl“, in dem Kriminelle und Gescheiterte zusammenkommen, sondern mit der deutschen Erstaufführung   von Boris Lawrenjows Stück „Für die auf See“, einem Stück über falsche Entscheidungen eines zu  ehrgeizigen U-Boot-Kommandeurs.

Das Maxim-Gorki-Theater  lieferte  fortan klare politische Botschaften, wie sie den Vorstellungen der SED und der sowjetischen Besatzungsmacht vom  Auftrag  eines Theaters  entsprachen.  Mit der Entstalinisierung Ende der fünfziger Jahre gab es eine Phase, in der auch kritische  Stücke des Gorki-Dramaturgen Heiner Müller auf die Bühne kamen. 1988, ein Jahr vor der Wende, sorgte das Gorki-Theater mit der Aufführung von Volker Brauns „Übergangsgesellschaft“ , inszeniert von Thomas Langhoff, für Aufsehen. Es spiegelte die DDR-Gesellschaft und  zeigte Emanzipation und individuelles Engagement.  Albert Hetterle, Intendant seit 1968, machte die Aufführung möglich. Bis 1994 blieb er im Amt.

In einem mehrjährigen Gerichtsverfahren wurde das Gorki-Theater nach der Wende der  Singakademie zu Berlin zurückgegeben, der Berliner Senat einigte sich 2016 auf eine Ausgleichzahlung für die Nachwendezeit in Höhe von 3,5 Millionen  Euro. Dazu kommt eine jährliche Miete von 315.000 Euro.

Gorki-Theater. Foto: Ulrich Horb

Gorki-Theater. Foto: Ulrich Horb

Auf Hetterle  folgten  die Intendanten Bernd  Wilms (1994-2001), der anschließend zum Deutschen Theater wechselte, Volker Hesse (2001-2006), Armin Petras (2006-2013) und ab der Spielzeit 2013/2014 Shermin Langhoff und Jens Hillje.  Ein Mix aus klassischen Stücken und Neuinszenierungen prägte die Spielzeiten, bis Shermin Langhoff, Schwiegertochter von Thomas Langhoff, eine weitere Öffnung in die Vielfalt der Stadtgesellschaft  vorantrieb. Am kleinen Ballhaus Naunynstraße in Kreuzberg hatte sie zuvor vielbeachtete Aufführungen auf die Bühne gebracht, für die sie das Label postmigrantisches Theater entwickelt hatte.  Die Vielschichtigkeit der Stadt sollte auch auf der Bühne sichtbar werden. Autorinnen und Autoren und Theaterleute mit nichtdeutscher Herkunft fanden einen Raum für ihre Geschichten.  Ihr gehe es, so Shermin Langhoff 2011 in einem Interview „um Geschichten und Perspektiven derer, die selbst nicht mehr migriert sind, diesen Migrationshintergrund aber als persönliches Wissen und kollektive Erinnerung mitbringen. Darüber hinaus steht ,postmigrantisch‘ in unserem globalisierten, vor allem urbanen Leben für den gesamten gemeinsamen Raum der Diversität jenseits von Herkunft“.

Gorki-Theater. Foto: Ulrich Horb

Gorki-Theater. Foto: Ulrich Horb

2014 und 2016 wurde das „Gorki“ von der Zeitschrift „Theater heute“ als Theater des Jahres gewürdigt.  Über die Aufführungen hinaus engagiert sich das Gorki bei Kunstaktionen und Ausstellungen, etwa zur Situation Geflüchteter wie beim Herbstsalon 2015.

Die Singakademie, erste ihrer Art in Deutschland, hat wie ihr Gebäude die Jahrhunderte überstanden, heute gibt es sogar zwei. Ihr erster Direktor Carl Friedrich Christian Fasch, Hofcembalist Friedrichs des Großen, sorgte zunächst für private Proberäume, nach dem Anwachsen des Chores für Übungsmöglichkeiten in einem Saal der Königlichen Akademie der Künste, bis 1827 der Bau der Singakademie fertiggestellt wurde.

Der Schwerpunkt der Singakademien liegt dabei weniger in der Aufführung als in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Kompositionen durch die Mitglieder. Ihr zweiter Direktor, Carl Friedrich Zelter, sorgte 1807 für die Anbindung einer Orchesterschule und die Entstehung einer Liedertafel, einen ersten Männerchor. Mit der Pflege des Werkes von Johann Sebastian Bach gewann die Sing-Akademie zu Berlin im 19. Jahrhundert weiter an Bedeutung.

Die Angliederung der Sing-Akademie zu Berlin an die Akademie der Künste entzog sie dem direkten Zugriff der Nationalsozialisten, dadurch war auch ein Neuanfang in der Nachkriegszeit möglich. Noch wenige Tage vor Kriegsende fand mit dem Deutschen Requiem von Brahms ein Konzert statt, im November 1945 gab es bereits die erste Aufführung nach dem Krieg unter Leitung von Georg Schumann.

Von 1950 bis Anfang der siebziger Jahre leitete Mathieu Lange die Singakademie, die in der neugebauten Philharmonie im Tiergarten schließlich einen adäquaten Aufführungsort fand. Mit dem Bau der Mauer verlor die im Westteil der Stadt beheimatete Singakademie zu Berlin einen Teil ihrer Mitglieder. 1963 wurde im Ostteil die „Berliner Singakademie“ gegründet, die sich ebenfalls in der Tradition der alten Singakademie sah, aber auch dem Aufbau einer „deutschen sozialistischen Nationalkultur“ dienen sollte. Mitglieder der Berliner Singakademie hatten eine Aufnahmeprüfung zu absolvieren und konnten Gesangsunterricht nehmen. Helmut Koch (1963 bis 1975) und Dietrich Knothe (1975 bis 1989) leiteten die Berliner Singakademie in den Folgejahren, im August 1989 wurde Achim Zimmermann zum neuen Direktor gewählt. Anders als bei anderen Institutionen, die nach der Wende im Ostteil und im Westteil existierten, erfolgte keine Zusammenlegung. Beide Singakademien verfügten über so viel künstlerisches Potenzial, dass sie bis heute weiterbestehen.

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Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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