Künstlerkolonie: Wohnen mit Kultur

Künstlerkolonie, Ladenzeile. Foto: Ulrich Horb

Künstlerkolonie, Ladenzeile. Foto: Ulrich Horb

Es war die Heimat von Schauspielerinnen und Schauspielern, von Musikerinnen und Musikern. Hier entstanden Bücher, Kompositionen, Fotografien. Gedenktafeln zeugen heute von der Vielfalt künstlerischen Lebens in der Wilmersdorfer „Künstlerkolonie“. In unmittelbarer Nähe zum Breitenbachplatz, zwischen Südwestkorso, Laubenheimer Straße, Kreuznacher Straße und Steinrückweg, entstand Ende der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine Wohnsiedlung, die Bühnenangehörigen sowie Schriftstellerinnen und Schriftstellern preiswerten Wohnraum  bieten sollte.

Künstlerkolonie. Foto: Ulrich Horb

Künstlerkolonie. Foto: Ulrich Horb

Die Pläne für eine von der Gartenstadt-Idee beeinflusste Siedlung – ohne düstere Hinterhöfe und mit einem großen zentralen Platz – nahmen 1924 ihren Anfang. Architekten waren Ernst Paulus und sein Sohn Günther. Grundsteinlegung war am 30. April 1927.  Die notwendigen Mittel für den Bau brachten zu 75 Prozent die Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA) und zu 25 Prozent der Schutzverband deutscher Schriftsteller auf. Sie gründeten dafür die Gemeinnützige Heimstättengesellschaft mbH „Künstlerheim“. Die Wohnungsvergabe erfolgte durch Vorschlag der beiden Verbände.


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Der Anspruch, mit dem die Siedlung rund um den heutigen Ludwig-Barnay-Platz und damaligen Laubenheimer Platz geschaffen wurde, spiegelte sich in der Inschrift des Grundsteins: „Aus dem Nichts schafft ihr das Wort, und ihr tragt’s lebendig fort. Dieses Haus ist Euch geweiht, Euch, ihr Schöpfer uns’rer Zeit“. Sicher und angenehm sollten sie wohnen und sich auf ihr Schaffen konzentrieren können. Das wurde immer schwieriger – Ende der zwanziger Jahre, auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, hatten drei Viertel der Bewohnerinnen und Bewohner keine Arbeit und kein Einkommen. Dennoch konnten sie Zwangsräumungen verhindern.

Künstlerkolonie, Gedenktafel. Foto: Ulrich Horb

Künstlerkolonie, Gedenktafel Walter Hasenclever. Foto: Ulrich Horb

Künstlerkolonie, Gedenktafel. Foto: Ulrich Horb

Künstlerkolonie, Gedenktafel Ernst Busch. Foto: Ulrich Horb

Künstlerkolonie, Gedenktafel. Foto: Ulrich Horb

Künstlerkolonie, Gedenktafel Erich Weinert. Foto: Ulrich Horb

Künstlerkolonie, Gedenktafel. Foto: Ulrich Horb

Künstlerkolonie, Gedenktafel Alfred Kantorowicz. Foto: Ulrich Horb

Gustav Regler, kommunistischer Schriftsteller, der 1942 mit der KPD brach, erinnerte sich in seiner Lebensgeschichte „Das Ohr des Malchus“ an seine Zeit in der Künstlerkolonie: „Es waren billige Wohnungen, und doch bezahlte kaum einer seine Miete; weder die Gehälter noch die sogenannten Einkünfte der freien Berufe reichten aus. In den meisten Behausungen lag nur eine Matratze am Boden. Die Künstler aßen von Seifenkisten, über die sie Zeitungen gebreitet hatten; keiner verhungerte, man half sich gegenseitig und wanderte von Wohnung zu Wohnung, man roch, wo einer Arbeit gehabt hatte und etwas Speck und Käse zu finden war.”

Drei Wohnblöcke wurden bis 1931 bezogen, ein vierter geplanter wurde von den Nazis verhindert. Denn die „Hungerburg“, wie die Siedlung im Volksmund in Anspielung auf die Armut vieler Künstlerinnen und Künstler hieß, war zugleich eine Hochburg von KPD und SPD. Linke Intellektuelle unterschiedlicher Lager leisteten gemeinsam Widerstand gegen   den aufkommenden Nationalsozialismus. Abends organisierten sie einen Begleitschutz für von der Bahn heimkehrende Künstlerinnen und Künstler vor Nazi-Übergriffen, so berichtet es der heutige Vorsitzende des Vereins Künstlerkolonie Alwin Schütze bei seinen Führungen. SA-Stürme wurden an Provokationen gehindert.

Mit der Machtübernahme Hitlers änderte sich die Situation. Schon am 15. März 1933 stürmten Nazis die Siedlung.  SA-Angehörige drangen in die Wohnungen der Künstlerinnen und Künstler ein, verhafteten und verschleppten viele. Ein Teil ihrer Bücher wurde auf den Laubenheimer Platz geworfen und verbrannt. Viele Bewohnerinnen und Bewohner sahen sich zur Emigration gezwungen.

Die Liste der Bewohnerinnen und Bewohner der Künstlerkolonie liest sich wie ein Who is Who der Kulturszene der zwanziger und beginnenden dreißiger Jahre.

Heute sind es Gedenktafeln, die an nahezu jedem Hauseingang auf die früheren Bewohnerinnen und Bewohner verweisen: Walter Hasenclever (Ludwig-Barnay-Platz 3), Ernst Bloch (Kreuznacher Straße 52), Ernst Busch (Bonner Straße 11), Steffie Spira (Bonner Straße 9), Georg Hermann (Kreuznacher Str. 28), Eva Kemlein (Steinrückweg 7), Erich Weinert (Kreuznacher Straße 34), um nur einige zu nennen.

 

Video des Vereins KünstlerKolonie:

In den fünfziger Jahren ging die Künstlerkolonie wieder in den Besitz der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Gehag über, die einen modernen vierten Wohnblock errichtete. Seit 1990 steht die Gartenstadt am Südwestkorso mit der Künstlerkolonie unter Denkmalschutz. Für die bekannteren Künstlerinnen und Künstler sind inzwischen Berliner Gedenktafeln an den Hauseingängen angebracht. Der Verein „KünstlerKolonie Berlin e.V., gegründet 1987, sorgt für die Pflege der Geschichte und organisiert Veranstaltungen. Heute gehört der Wohnungsbestand zur Vonovia, die Mieten sind deutlich gestiegen.

2019 setzte sich der Bezirk für einen Rückkauf der 690 Wohnungen von der Vonovia ein, um weitere Mietsteigerungen zu verhindern. Allerdings zeigte die Wohnungsbaugesellschaft zu diesem Zeitpunkt kein Interesse an einem Verkauf.


Links:
Website des Vereins KünstlerKolonie: https://kueko-berlin.de

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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