Kurt Mattick war in den sechziger Jahren Berliner SPD-Vorsitzender, Theo Thiele und Eberhard Hesse wirkten nach 1945 als SPD-Landesgeschäftsführer, der jung verstorbene Kurt Schmidt war 1945 wichtiger Parteiorganisator. Sie alle hatten eines gemeinsam: Sie gehörten einer schon Ende der zwanziger Jahre entstandenen Geheimorganisation an, der „ORG“ oder „Neu Beginnen“.
In seinem Buch „Das Netzwerk ,Neu Beginnen‘ und die Berliner SPD nach 1945“ beschreibt der Historiker Tobias Kühne detailreich den charismatischen Vordenker Walter Loewenheim und das konspirative Wirken seiner linkssozialistischen Gruppierung, die Mitglieder aus KPD und SPD vereinte, sie schulte und darauf vorbereitete, Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu leisten.
Zu den Mitstreitern gehörten ab 1931 auch Mattick, Thiele, Hesse und Fritz Erler, Berliner Vorstandsmitglieder der SPD-Jugendorganisation SAJ, die aber im April 1933 wegen ihrer Vorbereitungen auf die Illegalität aus der SPD ausgeschlossen wurden. Das hinderte sie nicht, nach dem Krieg, nun selbst in verantwortlichen Funktionen, mit Parteiausschlüssen linke SPD-Mitglieder zu bekämpfen. Für diesen Weg nach rechts macht Tobias Kühne spezielle Erfahrungen dieser Altersgruppe mit KPD-Totalitarismus und NS-Unterdrückung verantwortlich.
Im innerparteilichen Streit der fünfziger Jahre stehen die Netzwerker zunächst an der Seite Ernst Reuters und Willy Brandts gegen den linken SPD-Landesvorsitzenden Franz Neumann, lehnen dann aber die neue Ostpolitik ab. Ende der sechziger Jahre löst sich die Gruppe auf. Kühnes Buch, zugleich seine Dissertation, gibt neue Einblicke in innerparteiliche Kämpfe der Nachkriegsjahre.
Tobias Kühne, Das Netzwerk „Neu beginnen“ und die Berliner SPD nach 1945, Verlag für Berlin Brandenburg 2018, 504 Seiten, ISBN: 978-3-947215-00-3, € 35,00
(Rezension erschienen in: Vorwärts, September 2018)