Es ist die Geschichte von drei Berliner Jungs, die Michael Horeni in seinem 2012 erschienenen Buch erzählt. Und es ist eine Geschichte über Berlin, seine unterschiedlichen Kieze und Lebenswelten, über Ehrgeiz, Aufstiegswillen und falsche Vorbilder.
Ihre überdimensionalen Porträts sind auf eine Weddinger Hauswand gemalt, ganz in der Nähe der Stelle, wo sich der Käfig befand, in dem für die Brüder Boateng alles anfing. 2012, vor der Fußball-Europameisterschaft, hat Michael Horeni ihre Geschichte aufgeschrieben, er hat mit Lehrerinnen und Lehrern gesprochen, mit den Jugendtrainern, mit Freunden. Es entsteht ein vielschichtiges Bild der fußballbegeisterten Brüder.
Vom Ruhm träumten alle drei. Dass sie es einmal auf eine Hauswand und, besser noch, zu Clubs in München und Mailand schaffen würden, ahnten sie da nicht. Und einem gelang es auch nicht.
Drei Brüder, zwei Mütter, ein Vater. Im Wedding wachsen George und Kevin, geboren 1982 und 1987, bei ihrer Mutter Tine auf, in Wilmersdorf Jérôme, geboren 1988, bei seiner Mutter Nina. Der gemeinsame Vater Prince Boateng tritt erst spät ins Leben von George und Kevin, auch weil die Mutter es kaum zulässt. So kommen auch die drei Brüder erst spät zueinander. Ihre Treffen finden meist beim Fußballspiel statt – in einem umzäunten Platz, dem „Käfig“ am Gesundbrunnen. Später sorgen sie sogar dafür, dass ein Netz den Käfig überspannt, damit der Ball nicht dauernd vom Nachbargrundstück zurückgeholt werden muss. Hier arbeiten sie an ihren Tricks, an der Ballbeherrschung. Der große Bruder, der bald in der Jugendmannschaft von Hertha BSC spielt, dem Verein, der an der „Plumpe“ seinen Ursprung hatte, ist Vorbild. Kevin und Jerome trainieren hart. Der Wilmersdorfer Jerome mit besonderem Ehrgeiz. Ihm lässt es keine Ruhe, wenn Kevin mehr kann.
Sie spüren die Unterschiede der Lebenswelten im sozialen Brennpunkt im Wedding und im bürgerlichen Wilmersdorf. Und sie erleben Rassismus. Aber der Fußball verbindet sie und gibt zumindest Kevin und Jérôme Halt. George muss eine Haftstrafe wegen Körperverletzung absitzen, als das Buch erscheint, ist er Hundezüchter, inzwischen hat er als Rapper zwei Musikalben veröffentlicht.
Kevin und Jérôme werden die „wilden Jungs von Hertha“. Wobei Horeni auch die Schwächen der Jugendarbeit des Berliner Traditionsvereins deutlich macht. Kevin spielt später in den Ligen von Deutschland, England, Italien und Spanien und kehrt 2021 zu Hertha BSC zurück. Jérôme spielt für den HSV, Manchester City, zehn Jahre für Bayern München und ist 2021 bei Olympique Lyon angekommen. George, der seine Aufgabe darin sah, „Kevin vor dem Wedding zu beschützen“ und später Jérôme mit Rat und Tat zur Seite steht, spielt meist in der Landesliga. Vielleicht hätte auch er den internationalen Durchbruch geschafft, wenn er ausreichend Rückhalt und Förderung gehabt hätte.
Es ist ein Foul, das Kevins Image lange prägt. In einem Spiel der englischen Liga im Mai 2010 trifft er Michael Ballack so hart, dass der nicht nur vom Feld muss, sondern auch als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft bei der WM ausfällt. In Deutschland hat Kevin fortan verspielt, sein Wilmersdorfer Bruder muss sich gegen das Bild der Ghetto-Kids und Sippenhaft wehren.
Kevin und Jérôme haben beide in deutschen Jugendauswahlmannschaften gespielt. Kevin entscheidet sich 2010 für Ghanas Nationalmannschaft, Jérôme für die deutsche. Bei Kevin ist es eine Trotzreaktion, wie sein Bruder glaubt.
Es ist ein Buch, das viel über Fußball erzählt, über die deutsche „Internationalmannschaft“ mit Sami Khedira, Mesut Özil oder eben Jerome Boateng. Es erzählt aber auch, wie ungleich Chancen verteilt sind, wie unterschiedlich das Leben in den Kiezen einer Stadt wie Berlin verlaufen kann und wieviel davon abhängt, die richtige Unterstützung zu finden.
Michael Horeni: Die Brüder Boateng: Drei deutsche Karrieren, 267 S., Tropen-Verlag bei Klett-Cotta, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-608-50308-1