Der Krempelmarkt am Reichpietschufer

Krempelmarkt am Reichpietschufer 1990. Foto: Ulrich Horb

Krempelmarkt am Reichpietschufer 1990. Foto: Ulrich Horb

Das Gelände am Reichpietschufer zwischen Landwehrkanal und Mauer war Anfang der achtziger Jahre eine Brache. Ein einsames Studentenwohnheim stand in angemessener Entfernung, Foto Klinke hatte in der Nähe einen Laden für Fotolaborbedarf. Zur anderen Seite hin waren die Umrisse der Staatsbibliothek zu erkennen und die Neue Nationalgalerie zeigte  West-Berliner Kunstschätze. An den Wochenenden gehörte der Platz am Reichpietschufer den Trödlern und ihren Schätzen.

Krempelmarkt am Reichpietschufer . Foto: Ulrich Horb

Krempelmarkt am Reichpietschufer . Foto: Ulrich Horb

Der Krempelmarkt im Schatten der Mauer zog in den achtziger Jahren Hunderte von Händlerinnen und Händlern und Tausende von Kaufwilligen an. Aus großen Pappkartons wurden Jacken, Hemden, Hosen ausgepackt, Gläser und Vasen standen auf den Holztischen der Marktbuden. Wenn es regnete, wurde das Gelände am Reichpietschufer zur sumpfigen Seenlandschaft.

Krempelmarkt am Reichpietschufer . Foto: Ulrich Horb

Krempelmarkt am Reichpietschufer . Foto: Ulrich Horb

Gebrauchtwaren standen hoch im Kurs. Im eingemauerten West-Berlin ließ die Kaufkraft zu wünschen übrig, viele Berlinerinnen und Berliner waren auf billige Elektrogeräte und Haushaltswaren aus zweiter, dritter oder vierter Hand angewiesen. Für andere war es ein „Statement“. Gebrauchte Kleidung  machte unabhängig von wechselnden Moden, individuelle Stile konnten mit den ausrangierten Textilien gepflegt werden. In Kreuzberg und Charlottenburg gab es eine Vielzahl von Trödel- und Antiquitätenläden, manche gefüllt mit Krempel aus Nachlässen, andere gut sortiert mit Markengeschirr und Schmuck.

Krempelmarkt am Reichpietschufer 1982 . Foto: Ulrich Horb

Land unter: Krempelmarkt am Reichpietschufer 1982 . Foto: Ulrich Horb

Krempelmarkt am Reichpietschufer 1982 . Foto: Ulrich Horb

Krempelmarkt am Reichpietschufer 1982 . Foto: Ulrich Horb

Krempelmarkt am Reichpietschufer 1982 . Foto: Ulrich Horb

Blick zur Staatsbibliothek: Krempelmarkt am Reichpietschufer 1982 . Foto: Ulrich Horb

Krempelmarkt am Reichpietschufer 1982 . Foto: Ulrich Horb

Krempelmarkt am Reichpietschufer 1982 . Foto: Ulrich Horb

Als Anfang 1989 die Visumspflicht in Polen aufgehoben wurde, entstand am Rande ein neuer Bereich, der „Polenmarkt“. Auf Decken wurden Wurst, Käse, Wodka und Zigaretten aus Polen ausgebreitet, gestickte Decken und Haushaltsartikel. Ausdruck der sozialen Not. Bis zu 40.000 Verkäuferinnen und Verkäufer kamen an den Wochenenden mit Bussen und Zügen, um sich einige Mark zu verdienen, immer  in Sorge, vom Zoll ertappt zu werden, der die unverzollten Waren beschlagnahmte und Einreiseverbote erteilte. 1990 stiegen die Preise in Polen so stark an, dass sich die Fahrt nach West-Berlin nicht mehr lohnte.

1989  bauten findige Verkäuferinnen und Verkäufer Stände direkt an der nun teilweise  geöffneten Mauer auf, an denen DDR-Wimpel, sowjetische Uniformen, Rubelmünzen, Medaillen und Mauerstücke angeboten wurden.

Mit der Wende gewann das Gelände an Wert, neue Pläne für den Potsdamer Platz entstanden. 1992 mussten die Händler des Krempelmarktes ihre Stände aufgeben. Einige zogen zum Trödelmarkt an der Straße des 17. Juni um, der ebenfalls von Michael Wewerka betrieben wurde, andere zu den kleineren neu entstehenden Flohmärkten in den Bezirken.

Das 1971 errichtete Bellevue-Hochhaus  wurde im  Oktober 1993 abgerissen, die 1984 errichtete Teststrecke für die Magnetbahn wurde abgebaut, die U-Bahnlinie wieder in Betrieb genommen. Wer heute an den Neubauten des Potsdamer Platzes vorbei zum Marlene-Dietrich-Platz geht, ahnt kaum, dass nicht weit von hier bis in die neunziger Jahre Trödler ihre Stände hatten.

 

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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