Es ist eine Zeit heftiger politischer Kämpfe, eine Zeit, in der um den Erhalt der Demokratie gekämpft wird. „Triumph und Elend der Arbeiterbewegung“ hat Erich R. Schmidt seine Erinnerungen untertitelt. In ihnen beschreibt er seine Jugend in Groß-Berlin zwischen 1918 und 1933.
Schmidt, 1910 geboren, ist mit 18 Jahren Mitglied der SPD geworden. Schon drei Jahre später ist er Vorsitzender der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) von Groß-Berlin, des Jugendverbandes der SPD und zugleich angestellter Jugendsekretär des SPD-Bezirksverbandes.
Seine Erinnerungen hat Schmidt in der Nachkriegszeit verfasst, erschienen sind sie 1988 im kleinen Donat-Verlag. Ein wichtiges Motiv war es dabei, die Verantwortung der Arbeiterbewegung für den Erfolg des Nationalsozialismus zu untersuchen. „Selbst wenn man sich auf die Vielzahl auswegloser Dilemmas jener Jahre zurückzieht, den nie nachlassenden Bruderkrieg zwischen den beiden Arbeiterparteien, die große Wirtschaftskrise, die ganze ‚schreckliche Fatalität der Geschichte‘, die ein gerechtes Urteil mit in Betracht zu ziehen hat, bleibt eine enorme Mitverantwortung für den Zusammenbruch und seine Folgen, bleibt eine Menge des Erklärens nachzuholen“, so Schmidt in seinem Vorwort.
Diese Einschätzung kommt nicht von ungefähr, denn Erich Schmidt und wichtige Mitglieder seines SAJ-Vorstands sind seit Ende der zwanziger Jahre Mitglieder einer konspirativ arbeitenden Organisation, der „Org“, aus der später die Widerstandsgruppe „Neu Beginnen“ wird. Org-Mitglieder sind in SPD und KPD aktiv, um sie in ihrem Sinne zu verändern, sie wollen den „reformistischen“ Kurs der SPD bekämpfen und den „subjektivistischen“ der KPD, die die SPD mit ihrer Sozialfaschismusthese zum Hauptgegner erklärt hat. Unter dem Einfluss der „Org“ richten sich die SAJ-Vorständler auf die Arbeit in der Illegalität ein, im Juni 1933 werden sie dafür vom Bezirksvorstand der SPD, der den Nazis keinen Vorwand für ein Verbot liefern will, aus der SPD ausgeschlossen. Kurze Zeit später wird die SPD verboten. Erich Schmidt, kurzzeitig verhaftet, kommt frei und flieht ins Ausland, ab 1940 lebt er in den USA.
Seine Jugenderinnerungen beschreiben den Alltag in einer Arbeiterfamilie, geprägt von Armut, Heimarbeit, Arbeit im Kleingarten. Der Vater ist bei vielen Kundgebungen dabei, den Eintritt des Sohnes in die SAJ sehen die Eltern trotzdem mit Skepsis, da dort Jungen und Mädchen gemeinsam aktiv sind. „Die betreiben nur Allotria“, vermuten die sozialdemokratischen Eltern.
Schmidt beschreibt die Arbeit der SAJ, die Konflikte im Verband und die Auseinandersetzungen mit der SPD, er blickt auf die Entstehung des Jugendverbandes zurück und setzt sich mit den Veröffentlichungen zur Geschichte der Arbeiterjugend auseinander. Er berichtet von den Auseinandersetzungen der SAJ mit den Kommunisten. Und von ihrem Erfolg, der erst im Nachhinein mess bar wird: „Den wichtigsten Beitrag für unser Bild in der Geschichte haben unsere Aktivisten selber geleistet – durch ihren Einsatz nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes.“ Die übergroße Mehrheit der Arbeiterjugendgruppe „Schönhauser Vorstadt“, die rund sechzig Mitglieder umfasste, engagierte sich nach 1945 im Aufbau einer eigenständigen Sozialdemokratie und entschied sich damit gegen die SED.
Schmidt korrespondierte mit seinen SAJ-Mitstreitern im Nachkriegs-Berlin. Er selbst kehrte nur noch für Kurzbesuche zurück. 2008 starb Schmidt in Easthampton bei New York.
Für das 1988 erschienene Buch hat Willy Brandt, der Schmidt im Exil begegnete, das Geleitwort geschrieben.
Erich R. Schmidt, Meine Jugend in Groß-Berlin: Triumph und Elend der Arbeiterbewegung 1918–1933. Bremen: Donat- Verlag, , Bremen 1988; 181 S., 32,– DM