Journalisten zwischen zwei Welten (1960)

Cover  "Journalisten zwischen zwei Welten" aus dem Jahr 1960

Cover „Journalisten zwischen zwei Welten“ aus dem Jahr 1960

1617 erschien in Berlin die Frischmann-Zeitung, ein Vorläufer der Vossischen Zeitung. Damit begann die mehr als 400jährige Zeitungsgeschichte der Stadt. Einen kurzen, aber wesentlichen Abschnitt dieser Geschichte, die Nachkriegsgeschichte, beschreibt der 1960 erschienene Band  „Journalisten zwischen zwei Welten“  von Joachim G. Leithäuser.

1945 liegt das Berliner Zeitungsviertel rund um die Kochstraße in Schutt und Asche, die Druckmaschinen sind zerstört. Die gleichgeschalteten Redaktionen sind verschwunden und haben nichts von der einstigen Weltläufigkeit der Zeitungsstadt Berlin übrig gelassen.

Mit der von der Sowjetarmee herausgegebenen „Täglichen Rundschau“ erscheint am 15. Mai in Berlin die erste Tageszeitung nach dem Ende des Krieges, die Redakteure im großen Redaktionsgebäude am Friedrichshain tragen meist Uniformen, auch die aus Moskau heimgekehrten Deutschen. Druck- und Büromaterial wird aus dem Verlag des „Völkischen Beobachters“ herbeigeschafft. Als dort die Druckmaschinen wieder in Gang gebracht werden, wird die Zeitung auf das größere Format des früheren NSDAP-Kampfblatts umgestellt.  Es ist der Beginn eines neuen  Abschnitts der Zeitungsgeschichte. Am 21. Mai 1945 erscheint die „Berliner Zeitung“ als Zeitung des Kommandos der Roten Armee, dann ab Juli als Organ des Berliner Magistrats. Es folgen im Juni  und Juli die Parteizeitungen der KPD („Deutsche Volkszeitung“) und der SPD („Das Volk“). Das Papier wird von der sowjetischen Militärverwaltung zugeteilt, kann bei missliebigen Berichten gekürzt werden, Zensoren überwachen jede  Zeitungsproduktion.  Die Zeitungen sind antifaschistisch, belehrend, erziehend. Mit dem Einzug der Westalliierten entstehen neue Zeitungen in der Stadt,  ein anderes Modell des Journalismus zieht ein, die Trennung von Nachricht und Kommentar wird zur Grundregel. Der „Tagesspiegel“ nimmt als deutsche Tageszeitung seine Arbeit am 27. September 1945 auf, lizensiert von der amerikanischen Besatzungsmacht.  Seine beobachtende Rolle gibt er vorübergehend auf:  Als die SPD-Führung um Otto Grotewohl  unter dem Druck der KPD und der sowjetischen Besatzungsmacht einer Vereinigung von SPD und KPD zustimmen  will, gibt der Tagesspiegel der innerparteilichen Opposition in der Berliner SPD Raum. Sie setzt, publizistisch unterstützt, eine Urabstimmung durch, in der die SPD-Mitglieder  in den westlichen Bezirken Berlins ein sofortiges Zusammengehen von SPD und KPD  mehrheitlich ablehnen.

Der Zeitungsmarkt wächst. Mit der „Neuen Zeit“ gibt es eine CDU-Zeitung, der „Telegraf“ entsteht in einem sozialdemokratischen Umfeld, in Spandau erhält Erich Lezinsky die Lizenz für sein „Spandauer Volksblatt“.

Leithäusers Bericht ist ein spannendes Zeitzeugnis. Er  beschreibt die Entstehungsgeschichte der Nachkriegszeitungen, die alltägliche Arbeitssituation der Journalisten, die Konflikte, er lässt Zeitzeugen zu Wort kommen. Es ist die Zeit, in der  Ost und West zu Lagern werden, in der Grenzen gezogen werden, die immer undurchlässiger werden. Journalisten müssen sich zwischen diesen beiden Welten behaupten, ein auch persönlich risikoreiches Unterfangen.  Im Alliierten Kontrollrat werden einzelne Artikel scharf kritisiert. Chefredakteure müssen zurücktreten, 1947 verschwindet der „Abend“-Journalist Dieter Friede spurlos. Papierbeschränkungen und Stromsperren  behindern die Arbeit der Journalisten zusätzlich. Die Konflikte der Alliierten werden immer offener ausgetragen, die sowjetische Blockade West-Berlins trifft auch die Zeitungen: Am 16. April werden bei den Ost-Berliner Zeitungshändlern alle westlich lizensierten Zeitungen beschlagnahmt.  Mit der Spaltung der Stadtverwaltung ist auch die Teilung der Presse vollzogen, es gibt keine Verbindungen mehr zwischen den Zeitungen von Ost und West. In der Gründung des „Berliner Anzeigers“ im Oktober 1949, der später in der „Berliner Morgenpost“ aufgeht, sieht Leithäuser ein Indiz für das Ende der „wilden, gefährlichen Nachkriegszeit“. Denn erstmals  verdankte eine Zeitungsneugründung seine Existenz nicht mehr politischen Überlegungen.

Joachim G. Leithäuser,  Journalisten zwischen zwei Welten, Colloquium Verlag Berlin 1960, 96 S.

 

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
Dieser Beitrag wurde unter Berlin im Buch, Berlin-Antiquariat, Berlin-Geschichte abgelegt und mit , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert