Nur ein Turm erinnert noch an vergangene Zeiten. Er ragt heute aus einem Naturschutzgebiet an der Britzer Straße unweit des Volksparks Mariendorf und des Britzer Gartens. Erbaut wurde er 1922 vom Gärtnereibesitzer August Noack (1878 – 1945) als Wasserturm für die Versorgung der eigenen und der umliegenden Gärtnereien. Hier im Süden Berlins wuchsen einmal bis zu zwei Millionen Rosenstöcke.
Gärtnereien haben eine lange Tradition in Berlin. Eine Erfolgsgeschichte war 1720 die Gründung der Gärtnerei von Christoph Späth vor den Toren Berlins. Am Johannistisch nahe dem Halleschen Tor wurde frisches Obst und Gemüse angebaut. Die Stadt wuchs, mit ihr die Nachfrage und die Gärtnerei. An der Köpenicker Straße wurde sie 1760 vom Nachfolger Carl Späth auf acht preußische Morgen vergrößert. Sohn Friedrich Späth übernahm das Geschäft 1792. Dessen Sohn Ludwig verlagerte den Schwerpunkt ab 1831 schließlich auf die Züchtung von Blumen und die wissenschaftliche Erforschung der Pflanzen. Damit stellte sich auch international Erfolg ein. Die Späth’schen Sorten konnten aus einem Katalog bestellt werden und gingen in alle Welt.
Franz Späth, der die Baumschule 1863 in fünfter Generation übernahm, erwarb eine Reihe von Grundstücken südlich von Berlin im Bereich der Cöllnischen Heide. Der Ortsteil Baumschulenweg im heutigen Bezirk Treptow-Köpenick hat ihm seinen Namen zu verdanken. Zeitweise arbeiteten bis zu 2500 Beschäftigte für Späth. 1879 wurde auf dem Gelände ein Baumgarten angelegt. In diesem Arboretum, das 1961 der Humboldt-Universität angegliedert wurde, ließ sich testen, ob importierte Pflanzen und Bäume mit den klimatischen Bedingungen in Berlin und Brandenburg zurechtkommen würden. Ende des 19. Jahrhunderts galt die Späth’sche Baumschule mit ihren 120 Hektar als größte der Welt. Und trotz vieler Schwierigkeiten im 20. Jahrhundert konnte sie 2020 ihr dreihundertjähriges Bestehen feiern.
Im 19. Jahrhundert gewannen Parkanlagen und öffentliches Grün an Bedeutung. Berlin schmückte Straßen und Plätze. Und in der Enge der Stadt sollten Volksparks Erholung bieten. 1846 weihte die Stadt den Volkspark Friedrichshain ein, dreißig Jahre später bekam auch der Norden Berlins mit dem Humboldthain seinen Volkspark. Die Nachfrage nach Sträuchern, Bäumen und Blumen stieg. Und nach frischen Sträußen für die Wohnzimmer.
Südlich von Berlin entstanden in den siebziger Jahren des 19. Jahrhundert eine Reihe von Gärtnereien, die die Menschen in der gerade zur Millionenstadt gewordenen Metropole mit frischen Blumen versorgten. Aus Britz kamen Nelken, Flieder, Chrysanthemen, aber auch Topfpflanzen auf die Märkte. Zunehmend gewann die Rosenzucht an Bedeutung. Mit der Anlage eines Rosengartens auf der Pfaueninsel hatte Gartenarchitekt Peter Joseph Lenné (1789-1866) 1821 über Berlin hinaus für Beachtung gesorgt. Bis heute sind hier 200 historische Rosensorten zu finden.
Am heutigen Buckower Damm, damals Chausseestraße 119 – 121, hatte der Gärtner Täubler 1870 seinen Betrieb eingerichtet. Als einer der ersten Britzer Gärtner verkaufte er in den achtziger Jahren in größerem Stil Schnittrosen, die er aus veredelten Wildrosen gewonnen hatte. Ihm folgten in den kommenden Jahren weitere Gärtnereien, darunter die von L. Schmidt, Traugott Hennig, Gustav Hecht und dem Gärtner Czubowicz. Zu den Feldern mit Freilandrosen kamen immer mehr Gewächshäuser, um den hohen Ansprüchen der Rosen an Klima und Temperatur gerecht zu werden.
Das blühende „Rosen-Britz“ wurde zum Ausflugsziel für viele Berlinerinnen und Berliner. Dabei lagen die Blumenfelder etwas verstreut. Am Tempelhofer Weg hatten sich etliche Gartenbetriebe angesiedelt, in Mariendorf baute August Noack (1878-1945) an der damaligen Mariendorfer Allee (heute Mohriner Allee), der etwa zweieinhalb Kilometer langen Verbindung zwischen Alt-Britz und Alt-Mariendorf, die größte Rosentreiberei auf, eine „gläserne Rosenstadt“. Auf 22.000 Quadratmetern Gewächshausfläche züchtete Friedrich Schwarz (1880-1962) in der Nachbarschaft seine Pflanzen. Noack und Schwarz hielten insgesamt rund 60.000 Pflanzen in Gewächshäusern, das entsprach einer Million Blumen. Weitere 60.000 Pflanzen wuchsen im Freiland.
Zur Bewässerung seiner und der umliegenden Gärtnereien ließ August Noack auf seinem Gelände an der Britzer Straße 61 einen Wasserturm erreichten. Hochgepumptes Wasser sorgte im Turm für den notwendigen Druck im Netz. In der Kriegs- und Nachkriegszeit mussten viele Gärtnereien schließen, die Flächen wurden anderweitig benötigt. Zu Beginn der achtziger Jahre wurden rings um den Noackturm die Reste der alten Gärtnereien abgerissen. Der Turm blieb zunächst stehen und wurde nach seinem Umbau 1985 vom Tempelhofer Gartenbauamt genutzt. Später war er Domizil eines Pfadfinder-Stammes.
Das Gelände um den Noackturm ist heute ein Landschaftsschutzgebiet mit Grüntenpfuhl, Karpfenpfuhl und Kleinem Karpfenpfuhl. Auf der gegenüberliegenden Seite der Britzer Straße liegt ein weiteres Pfuhlgelände, daneben erinnert die Straße „An der alten Gärtnerei“ an die Vergangenheit. In der Nähe entstand zur Bundesgartenschau 1985 mit dem Britzer Garten ein weitläufiger Park, der als Erholungsgebiet weit über die angrenzenden Bezirke Neukölln und Tempelhof-Schöneberg hinaus genutzt wird. Auch im Britzer Garten ist ein Rosengarten angelegt.
Lieber Ulrich, danke für die tollen Infos. Ich konnte meinen Kindern so alles über den Turm erzählen
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Danke für den interessanten Artikel. Es hat mich sehr gefreut, so viele spannende Informationen über die Geschichte des Geländes um den Turm zu finden!