Hessels „Heimliches Berlin“

Cover "Heimliches Berlin" von Franz Hessel, Neuauflage von 2011.

Cover „Heimliches Berlin“ von Franz Hessel, Neuauflage von 2011.

Als Feuilletonist war er im Berlin der zwanziger Jahre bekannt. Mit kurzen Texten nahm der Freund Walter Benjamins die Leserinnen und Leser mit auf seine Spaziergänge durch ein lautes eiliges Berlin, er machte aufmerksam, erinnerte.  Schon zuvor hatte Franz Hessel (1880 – 1941) Gedichte und Romane veröffentlicht, als Lektor und Übersetzer des Rowohlt-Verlags war er mit den Werken Balzacs, Casanovas oder Prousts vertraut. 1927 erschien sein kleiner Roman „Heimliches Berlin“, der einen Tag im Leben einer bunt gemischten Gruppe aus der Berliner Bohème schildert und damit das Lebensgefühl Mitte der zwanziger Jahre in einem sich wandelnden Berlin einfängt.

Es ist das Jahr 1924, der Beginn der „Goldenen Zwanziger Jahre“. Erstmals gibt es nach dem 1. Weltkrieg, nach Putschversuchen und Hyperinflation wieder ein wenig Aussicht auf Besserung. Alles verändert sich, auch das ganz Private. Hessel erzählt in 13 kleinen Szenen die Geschichte des verarmten Adligen Wendelin, bei dem an einem Morgen Karola, die Ehefrau eines guten Freundes, erscheint, um mit ihm durchzubrennen. Aber beide brauchen noch bis zum 13. Kapitel, ehe die endgültige Entscheidung fällt.

Dazwischen treten lebenshungrige Künstlerinnen, reich gewordene Unternehmer, ein intellektueller und geduldiger Ehemann und etliche weitere Figuren in Erscheinung. Unerfüllte Liebe, die Suche nach Freiheit und Lebenslust spielen eine Rolle, aber auch Wohlstand und der Wunsch nach Sicherheit. Es ist eine eigene kleine Welt mit Ausflügen in Tanzetablissements für lesbische Paare, in Warenhäuser, Cafés und Salons. Von den Irrungen und Verwirrungen seiner Protagonisten erzählt Hessel mit beeindruckender Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit.

Hessel, der selbst einmal in einer Dreieckbeziehung gelebt hatte, die Truffaut nach dem Buch von Henri-Pierre Roché im Film „Jules und Jim“ erzählt hat, orientiert sich in vielen seiner Geschichten an Selbsterlebtem, so auch im „Heimlichen Berlin“. Siebzig Jahre nach dem Tod des Autors wurde das Werk wiederentdeckt und neu veröffentlicht. Für die 2011 im Lilienfeld-Verlag erschienene Ausgabe hat der Berliner Autor Manfred Flügge ein erhellendes Nachwort verfasst.

Franz Hessel, Heimliches Berlin, Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2011, ISBN 9783940357236, gebunden, 150 Seiten, 18,90 EUR

 

Über Ulrich Horb

Jahrgang 1955, Journalist und Fotograf in Berlin
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